Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.
Ihrer Majestät Schiff »Victrix«.

La nuit porte conseil. Als ich am andern Morgen erwachte, hatte ich den Entschluß gefaßt, den Kapitän ins Vertrauen zu ziehen, sowie sich mir eine Gelegenheit bieten würde, ihn allein zu sprechen. Er war Engländer und segelte unter englischer Flagge, wenn auch der Dampfer einen amerikanischen Namen führte. Auf seinem Deck war somit englischer Boden, und ich glaubte, auf seinen Schutz rechnen zu dürfen. Allein ich nahm zu viel als selbstverständlich an, wie ich sehr bald finden sollte. Die einfachste Wahrheit dringt nicht immer durch, wenn ihr eine anscheinend wohlbegründete Lüge entgegengestellt wird.

Lange brauchte ich auf die Unterredung mit dem Kapitän Sherborne nicht zu warten. Statt nach der zweiten Kajüte zu kommen, ließ er mich zu sich bescheiden, und ich wurde ihm wie ein Uebelthäter, zwischen einem Aufwärter an der einen und einem Steuermann, und zwar meinem Freunde vom gestrigen Abend, an der andern Seite, vorgeführt. Die Papiere trug ich bei mir in meiner inneren Brusttasche. Auch wurde ich nicht in seine auf dem Schanzdeck gelegene Kajüte, sondern in die des Zahlmeisters gebracht, die, im mittleren Teile des Schiffes gelegen, halb Kajüte, halb Bureau war, und auch dieser Beamte war zugegen. Der Kapitän, ein vierschrötiger, wettergebräunter Seemann, konnte, wenn es ihm paßte, sehr gutmütig und munter sein, allein sein gerötetes, von einem weißen Backenbarte eingefaßtes Gesicht vermochte auch grimmig und abstoßend auszusehen, wie ein Leuchtfeuer im Nebel, und in diesem Augenblick war dies leider der Fall.

»Sie sind der Mensch, der sich Hardcastle nennt, und Sie haben die Schiffsvorschriften dadurch verletzt, daß Sie den für die Reisenden erster Klasse ausschließlich vorbehaltenen Raum betreten haben. Ich habe Sie selbst gesehen.«

»Das gebe ich zu. Welche Strafe steht denn darauf? Wohl Nachzahlen des Fahrgeldes für die erste Klasse? Dann, Herr Zahlmeister, nehmen Sie den Betrag an sich und geben Sie mir eine Empfangsbescheinigung. Meine Koje werde ich indessen nicht wechseln.«

Dabei warf ich ein paar Fünfpfundnoten auf den Tisch, woran der Kapitän saß, und der Zahlmeister, ein kleiner, magerer Herr mit einem langen weißen Barte, nahm das Geld auf, sah aber den Kapitän zweifelhaft an.

»Langsam, langsam, mein Sohn, so glatt geht die Geschichte denn doch nicht. Die Übertretung der Vorschriften ist das Geringste. Es ist ein Diebstahl an Bord vorgekommen, der mir diesen Morgen gemeldet worden ist, und – und – und …«

»Sie haben mich im Verdacht?« – Er nickte. – »Aus welchem Grunde, wenn ich fragen darf? Dazu habe ich doch das Recht?«

»Ich werde Ihnen aber nicht antworten. Ich bin der Kapitän dieses Schiffes …«

»Werden das nach dieser Reise, glaube ich, nicht mehr lange bleiben, wenn Sie eine solche Angelegenheit so von oben herunter behandeln und in einer durch nichts zu entschuldigenden Weise einen Reisenden des Diebstahls bezichtigen, ohne einen Grund dafür angeben zu wollen.«

Dieser Schuß traf; in seinen wütenden Augen erschien für kurze Zeit ein unsicherer Blick, und sein Auftreten wurde weniger bestimmt.

»Ich bin nur meinen Vorgesetzten verantwortlich, nicht Ihnen …«

»Und, wenn Sie es erlauben, dem englischen Publikum – zu dem auch ich gehöre – sowie der englischen Regierung, die ich hier vertrete, Kapitän Sherborne.«

Sein Kinn sank herab, und er sah den Zahlmeister, der sich vorbeugte und ihm einige Worte ins Ohr flüsterte, hilflos an. Diese schienen indes seinen Zorn nur noch mehr anzufachen und ihn in seinem Entschluß, sein Ansehen zur Geltung zu bringen, noch zu bestärken.

»Beim – –!« schrie er. »Ich werde mich nicht von einem hergelaufenen Lümmel, der mir seine verfluchten Lügen ins Gesicht schleudert, ins Bockshorn jagen lassen. Und noch dazu an Bord meines eigenen Schiffes! Die britische Regierung kann sich hängen lassen. Was schere ich mich hier mitten im Atlantischen Ozean, wo ich fünfzig Faden blauen Wassers unter dem Kiel habe, um sie? Und außerdem sind Sie es doch allein, der das behauptet. Wie können wir wissen, ob's wahr ist? Sie haben zugegeben, daß Sie unter einer falschen Flagge segeln. Was ist denn Ihr wirklicher Name?«

Noch vor einem Augenblick war ich entschlossen gewesen, ihm alles zu sagen, aber jetzt traute ich seiner Vorsicht nicht mehr.

»Den werden Sie schon zur rechten Zeit erfahren, wenn es mir paßt. Inzwischen mache ich Sie dafür verantwortlich …«

»Was? Sie sind ja schlimmer als ein Seeadvokat, wie Sie da um den ganzen Kompaß herumlavieren. Beantworten Sie mir eine Frage. Haben Sie die Papiere gestohlen oder nicht?«

»Welche Papiere? Wessen Papiere?«

»Die des Herzogs von Buona Mano. Sie sind in der Nähe seiner Kajüte gesehen worden.«

»Das ist nicht wahr, denn ich bin nie in deren Nähe gekommen und weiß nicht einmal, wo sie ist. Aber was die Papiere anlangt – ja, die habe ich hier,« antwortete ich, indem ich die Hand auf meine Tasche legte, »und ich gedenke, sie auch zu behalten.«

Der Kapitän sprang vor Wut fast von seinem Stuhle in die Höhe.

»Sie scheinen mir rein toll zu sein, ein tobsüchtiger Verrückter, weiter nichts. Ich werde Sie in Eisen legen und unten in den Raum bringen lassen. Her damit, im Augenblick, oder …«

Bei diesen Worten erhob er sich drohend.

»Zurück! Rühren Sie diese Papiere ja nicht an! Kein Mensch darf sie sehen. Sie gehören der britischen Regierung.«

»Wie sind sie dann in die Hände dieses Herzogs gelangt! So – nun versuchen Sie's einmal mit einer andern Lüge.«

»Er hat sie sich unrechtmäßigerweise angeeignet und wird sich dafür, wie für andre Dinge, zu verantworten haben; er und die, die bei ihm sind.«

»Einschließlich des jungen Millionärs, Kapitän Wood, der durch diesen Diebstahl, Ihren Diebstahl, ganz besonders betroffen zu sein scheint.«

Jetzt konnte ich nicht länger an mich halten.

»Der ist ja gar nicht Kapitän Wood. Er ist ein Betrüger. Der Kapitän Wood, Mr. M'Faughts Erbe, bin ich.«

Auf diese Eröffnung brach der Kapitän in ein brüllendes Gelächter aus, in das der Zahlmeister von Herzen mit einstimmte.

»Bei allem, was heilig ist, das geht denn doch über die Hutschnur. – Steuermann!« schrie der Kapitän, »holen Sie doch einmal ein paar Leute mit einem Tauende und bringen Sie diesen Menschen hinunter. Wir dürfen ihn nicht frei auf dem Schiffe herumlaufen lassen. Aber zunächst nehmen Sie ihm die Papiere ab. Sie stecken in seiner innern Tasche.«

Doch ehe sie Hand an mich legen konnten, machte ich einen Schritt nach dem offenstehenden Fenster und warf mit einer raschen Bewegung das Päckchen in die See.

»Sie verzweifelter Halunke! Ich werde das Schiff stoppen – ein Boot aussetzen. Laufen Sie auf die Brücke, Steuermann!«

»Die Papiere sind so schwer, daß sie lange, ehe Sie ihnen auf eine Meile nahe kommen, gesunken sind, Kapitän Sherborne, und nun können Sie thun, was Ihnen beliebt; mein Gemüt ist vollkommen ruhig.«

»Ich werde Sie dem Herrn gegenüberstellen, dem diese Papiere gehört haben.«

»Dem haben sie nie gehört, und sie werden von jetzt an auch niemand mehr gehören. Aber noch einmal warne ich Sie. Seien Sie vorsichtig. Wenn Sie uns gegenüberstellen, wird es ein Unglück geben.«

»O nein, denn ich werde Sie erst binden lassen, und zwar so fest, daß Sie keinen Finger rühren oder auch nur die Augen verdrehen können, mein Bürschchen.«

»Die Sache liegt umgekehrt, Kapitän. Mir wird etwas zu leid geschehen, und ich sage Ihnen, was auch vorfallen möge, Sie werden dafür verantwortlich gemacht werden. Ich nehme Ihren Schutz in Anspruch, und wenn Sie mir den verweigern, so thun Sie es auf Ihre Gefahr.«

Der Kapitän sah etwas verdutzt aus. Wenn er auch noch immer geneigt war, mich für einen Verrückten zu halten, so schien er infolge meiner ruhigen, überlegten Redeweise seiner Sache doch nicht mehr ganz sicher zu sein.

»Ich weiß meiner Seel' nicht, was ich sagen, oder thun soll. Was raten Sie, Mr. Boffinge?« fragte er den Zahlmeister.

»Er behauptet, er sei Kapitän Wood, während wir dies auf Grund dieser Liste für unwahr erklären müssen,« antwortete der Zahlmeister, indem er ein auf dem Tische liegendes gedrucktes Verzeichnis der Reisenden berührte, »wenn er es aber doch sein sollte, dann muß der andre ein Betrüger sein. Fragen Sie ihn doch, ob er beweisen kann, daß er der echte ist. Kann er sich vielleicht auf jemand an Bord berufen, der seine ungeheuerliche Behauptung bestätigt?«

»Das ist ein guter Gedanke, Boffinge. Was sagen Sie dazu, mein Sohn? Können Sie das?«

»Mit der größten Leichtigkeit könnte ich das, wenn es mir paßte. Es sind zwei Damen an Bord, die es bestätigen würden, aber ich möchte sie lieber nicht in diese Geschichte verwickeln, denn ich bin mit der einen von ihnen verlobt.«

Der Kapitän grinste, denn er erblickte in meinen Worten einen neuen Beweis meiner Verrücktheit.

»Außer diesen ein junger Mann, der so gut als in meinem Dienst steht, obgleich er einer von Sarabands Leuten ist …«

»Des New Yorker Detektivgeschäfts? Von denen habe ich gehört.«

»Aber vielleicht ist es ihm nicht angenehm, wenn Sie erfahren, wer er ist.«

»Es läuft also darauf hinaus, daß Sie uns keine Bürgschaft für Ihre Aussage geben können, he? Kommt mir vor, als ob Sie dem Sinken bedenklich nahe wären und bald ein völliges Wrack sein werden,« höhnte der Kapitän. »Die ganze Geschichte sieht oberfaul aus. Sie treiben sich an Orten umher, wo Sie nichts zu suchen haben, es werden Papiere bei Ihnen gefunden, die ein andrer Reisender als ihm gestohlen bezeichnet und die Sie zerstören, als sie Ihnen abgenommen werden sollen. Sie erheben Anspruch auf den Namen eines andern … kurz, die ganze Geschichte gefällt mir nicht, und ich will Ihnen sagen, was ich mit Ihnen zu thun beabsichtige. Ich werde Sie in strenger Haft behalten, bis wir nach New York kommen. Dort können Sie sich bei den zuständigen Behörden rechtfertigen. Bis dahin übernehme ich die Verantwortung, denn ich muß für den guten Namen und die Ehre meines Schiffes Sorge tragen.«

»Wo wollen Sie mich denn gefangen halten?«

»In einer leeren Koje, die der Zahlmeister Ihnen anweisen wird. Sie sollen Ihre Mahlzeiten erhalten und aufmerksam bedient werden, aber Sie bleiben hinter Schloß und Riegel, bis wir im Hafen liegen und Onkel Sam jemand an Bord schickt, der Sie abholt.«

»Ich erhebe Einspruch, und, wie ich schon gesagt habe, ich mache Sie für alles verantwortlich; Sie werden es bereuen …«

In diesem Augenblick erhielt der Kapitän eine eilige Meldung von der Kommandobrücke. Der Offizier der Wache ließ sagen, ein großer Dampfer, der der »Chattahoochee« schon seit einigen Stunden gefolgt war, sei jetzt nahe und gebe Signale.

»Er signalisiert, er wolle uns sprechen,« sagte der vierte Offizier, der die Meldung überbracht hatte. »Seine Nummer können wir nicht erkennen, aber es ist einer von den neuen britischen Kreuzern, und Mr. Aston meint, er müsse seine dreiundzwanzig Knoten laufen.«

»Das Kriegsschiff kommt wegen der Papiere, Kapitän Sherborne, oder ich müßte mich sehr irren,« warf ich mit einem Lachen der Genugthuung dazwischen. »Vielleicht ist jemand an Bord, der mich kennt.«

Der Kapitän sah mich wütend an, aber seine Augen senkten sich vor meinem ruhigen Blicke, und ich konnte seine Gedanken deutlich lesen: wachsende Zweifel, die Furcht, daß er sich ins Unrecht gesetzt habe, die Ungelegenheiten, die für ihn daraus folgen mußten, daß er mich ohne genügenden Beweis als Dieb behandelt hatte, und doch blieb er bis zuletzt auf dem hohen Pferde.

»Ich werde später mit Ihnen abrechnen, mein Bürschchen, und zwar ordentlich. Sie können mich nicht einschüchtern.«

»Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, Kapitän Sherborne, so ist Ihr Platz jetzt auf der Brücke. Ich will mir nicht herausnehmen, Sie Ihren Dienst zu lehren, aber wenn ein Mann sich vom Zorn hinreißen läßt, so kann er leicht etwas übersehen. Wir können unser kleines Mißverständnis nachher aufklären, aber ich warne Sie vor jeder Gewaltmaßregel. In dem Schiff dahinten sind vielleicht Freunde von mir …«

Bei meinen Worten stieg, wie ich sah, von neuem die Wut in ihm auf, aber er zügelte sich und verließ die Kajüte mit einem Fluche und dem Befehle, mich loszulassen.

Ohne daß mich jemand daran hinderte, ging ich an Deck, stellte mich in der Nähe der zur Vorderkajüte führenden Treppe auf und beobachtete die für mich sehr anziehenden Vorgänge, die sich jetzt an Bord abspielten. Alle Welt war durch die Annäherung dieses herrlichen Kriegsschiffes in die höchste Aufregung versetzt. Das Gerücht, daß es etwas mit uns zu thun habe, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, und durch die vielen bunten Signalflaggen, die beständig wechselten, wurde die Neugier noch erhöht, auf den Gipfel aber stieg sie, als der Befehl gegeben wurde, mit halber Kraft zu fahren. Jeder Aufenthalt in der Fahrt eines Dampfers erregt stets Aufsehen an Bord, und auf Vorder- und Achterdeck drängten sich die Reisenden. Ich sah, daß die der ersten Klasse eifrig untereinander sprachen und mit lebhaften Gebärden auf das Kriegsschiff wiesen. Auch viele Gläser waren darauf gerichtet, und ich merkte, daß diese Verzögerung unsrer Fahrt mit Mißfallen ausgenommen wurde. In diesen Tagen, wo sich die Dampfer an Geschwindigkeit zu übertreffen suchen, ist schon der Aufenthalt von einer Stunde eine ernste Sache.

Jetzt trat an dem etwas abseits gelegenen Orte, wo ich stand, der Schlächter der »Chattahoochee« zu mir. Roy hatte unsre Bekanntschaft vermittelt, und wenn er sonst etwas sauertöpfisch und verschlossen war, so fand ich ihn jetzt plötzlich fast geschwätzig und ganz verbindlich. Er hatte auf Kriegsschiffen gedient, und der Anblick der weißen Flagge hatte ihn freudig erregt.

»Das ist doch großartig, herrlich, diesen eisernen Kasten zu sehen, der seine dreizehntausend Tonnen Wasserverdrängung hat und lustig wie ein kleiner Vogel auf der Brust des mächtigen Ozeans dahinschießt. Das stellt den Sieg des Menschen über die Natur dar, das bedeutet Wissenschaft, Kenntnisse und vor allem – Mut. Das ist ein Anblick! Der feinste und neueste Kreuzer, der auf dem Wasser schwimmt! Ihrer Majestät Schiff ›Victrix‹ …«

»Also kennen Sie das Fahrzeug?«

»Ob ich's kenne? Meiner Schwester Mann Vetter im dritten Grade ist Korporal an Bord, und es ist noch keine Woche her, seit ich das Schiff, während es im Solent lag, von oben bis unten besehen habe. Damals hatte es den Befehl, nach den chinesischen Gewässern zu segeln, und der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, was es auf einmal mitten im Atlantischen Ozean zu suchen hat.«

»Wahrscheinlich hat es einen besondern Auftrag.«

»Vielleicht gibt's Krieg. Wir leben in schlimmen Zeiten, und ich habe in den Zeitungen gelesen, daß uns böse Dinge bevorstünden. Vielleicht ist es abgeschickt worden, um unsre Handelsschiffe zu warnen und zu benachrichtigen.«

»Nun, wir werden es ja bald erfahren. Sehen Sie, jetzt hat es ein Boot ausgesetzt, und wir fahren jetzt unter schwachem Dampf, um die Leute darin an Bord zu nehmen.«

Die »Victrix« lag etwa eine halbe Meile entfernt, und als ihr Boot abstieß und unter den wohlabgemessenen taktmäßigen Schlägen seiner sechzehn Ruder über die langen Wogen des Atlantischen Ozeans schoß, sah es im Vergleiche zu der gewaltigen Größe des Kreuzers aus wie eine Nußschale. Im Stern des Bootes saß eine Gruppe von drei Männern, und als sie in das Sehfeld meines Glases kamen, sah ich, daß einer von ihnen ein Marineoffizier und die beiden andern in Civil waren.

Einer von ihnen war kein andrer, als mein Mitarbeiter im Nachrichtenbureau Swete Thornhill, und der andre – ja, wahrhaftig, das rosige, skorbutische Gesicht war nicht zu verkennen – der andre war Mr. Snuyzer, der Detektiv.

Jetzt war mir sofort klar, was ich zu thun hatte. Ich sah, daß es durch rasches Handeln möglich war, Swete Thornhill alles Erforderliche mitzuteilen und doch unerkannt zu bleiben. Deshalb eilte ich in den zweiten Salon hinab und schrieb ein paar Worte an ihn:

 

»Lieber Swete!

Ich habe die Papiere wiedererlangt und über Bord geworfen. Laß nicht mehr über mich bekannt werden, als unbedingt notwendig ist, aber bewege den Kapitän, Dich und Snuyzer zu einer kurzen Besprechung in meine Koje oder an irgend einen andern Ort zu begleiten, wo wir von niemand gehört werden können. Ich habe triftige Gründe, mich verborgen zu halten.

Dein
W. Wood.«

 

Dieses Briefchen nahm ich mit in die Kajüte des Zahlmeisters, den ich auch glücklicherweise dort fand, wo er mit endlosen und umfangreichen Rechnungen über Lebensmittel beschäftigt war, die ihn weit mehr interessierten als die Dinge, die an Deck vorgingen.

»Sie werden die Güte haben, dies sogleich dem Kapitän zu übergeben,« sagte ich in befehlshaberischem Tone. »Es ist für einen der Herren bestimmt, die jetzt im Boote des Kriegsschiffes kommen.«

Der Zahlmeister las die Aufschrift des Briefes mit einiger Ueberraschung, wenn nicht Besorgnis: »Königliche Dienstsache. An den Major Swete Thornhill, von der Königlichen Artillerie, durch Vermittelung des Kapitän Sherborne, Dampfer ›Chattahoochee‹. Vertraulich und sehr eilig.«

»Gewiß,« entgegnete der Zahlmeister, dessen Benehmen plötzlich ganz anders wurde, worauf ich an meinen Beobachtungsposten auf Deck zurückkehrte, um das Weitere abzuwarten.

Ich sah nun, wie meine Freunde an Bord kamen, zuerst der Marineoffizier, der den die Fremden an der Fallreeptreppe erwartenden Kapitän durch Abnehmen des Hutes begrüßte und sodann seine Begleiter vorstellte, worauf sich die ganze Gesellschaft schweigend durch das Gedränge der vor Neugier fast vergehenden Reisenden arbeitete und in der Kajüte des Kapitäns verschwand.

Auf die Folgen brauchte ich nicht lange zu warten, denn in wenigen Augenblicken wurde ich vom Aufwärter der zweiten Kajüte angerufen, der mir etwas kurz angebunden mitteilte – aber der arme Mensch wußte es ja nicht besser – ich solle zum Kapitän nach unten kommen.

»Na, Master Willie,« begann Major Thornhill, nachdem wir uns alle die Hände gedrückt hatten, »du hast uns da eine nette Suppe eingebrockt. Wie zum Teufel kommst du denn hierher, und bist du sicher wegen der Papiere?«

»Das hat alles Zeit, und wegen der Papiere brauchst du nur den Kapitän Sherborne zu fragen. Er weiß, was daraus geworden ist.«

»Ich will mit der Sache nichts zu thun haben. Daß Sie gewisse Papiere, die Sie, wie ich noch immer glaube, gestohlen hatten, über Bord warfen, habe ich allerdings gesehen …«

»Kapitän Wood wird sich hierüber an zuständiger Stelle rechtfertigen, doch auch Sie werden sich für Ihre Anklage zu verantworten haben,« unterbrach ihn Thornhill etwas steif, »darauf können Sie sich verlassen. Wir werden geradeswegs nach New York segeln, wo wir vor Ihnen anlangen, und dort werden Sie der britische Konsul und andre Behörden erwarten.«

»Das ist alles, was ich verlange,« rief ich. »Seht zu, daß ihr zuerst dort eintrefft und alles in Ordnung bringt. – Sie verstehen mich ja, Snuyzer, ich hoffe, die andern merken nichts von dem, was vorgeht, oder haben wenigstens nur Vermutungen, und ihr müßt alles so einrichten, daß sie bei unsrer Ankunft verhaftet werden.«

»Wir werden unser Möglichstes thun, Kapitän, darauf können Sie sich verlassen,« sagte Snuyzer. »Wenn es das Gesetz erlaubt, werden wir sie greifen. Unser Mr. Sidney Saraband setzt alles durch, was zu erreichen ist. Wir werden Ihr Vermögen den Zähnen dieser Haifische entreißen, und ich zweifle nicht daran, daß sie etwas unternehmen werden, was sie vor dem amerikanischen Gesetz strafbar macht. Jedenfalls ist es klar, daß wir jetzt, wo alles so ziemlich in Ordnung ist, dieses schöne Schiff nicht länger aufzuhalten brauchen,« fuhr er fort, indem er dem Kapitän eine Verbeugung machte. »Der Major hier ist zufriedengestellt und Sie sind in Sicherheit, wofür wir aufrichtig dankbar sein müssen, wenn ich das aussprechen darf, und bis wir an Land kommen, ist weiter nichts zu thun. Schauen Sie nach uns aus, Kapitän. Einige von uns werden Ihnen mit einem Dampfer entgegenfahren und Sie kurz hinter Sandy Hook treffen.«

Wieder schüttelten wir uns die Hände, und ich versprach allen, einschließlich des Kapitäns, der sich jetzt sehr artig benahm, das beste Diner, das in New York für Geld und gute Worte zu beschaffen sein würde. Wenn alles gut ging, mußte die »Victrix« in etwa dreißig Stunden dort eintreffen, die »Chattahoochee« aber in achtundvierzig bis fünfzig, und diese Annahme stellte sich auch schließlich als richtig heraus.

Eine Veränderung meiner Verhältnisse auf dem Schiffe nahm ich für die wenigen Tage der Reise, die noch übrig waren, nicht vor. Abgesehen von den Dämmerstunden, die ich in wonnigem Zusammensein mit Frida verlebte, hielt ich mich auf meiner Seite des Decks. Was zwischen uns vorging, geht niemand an, als uns selbst.

Sonntag vormittags passierten wir Sandy Hook, und es wurde angenommen, daß wir gegen zwei, spätestens drei Uhr am Staden liegen würden. Unter den Reisenden herrschte schon die größte Unruhe, besonders unter denen der ersten Kajüte machten sich die Anzeichen der bevorstehenden Veränderung bemerkbar. Sie erschienen geputzt und aufgetakelt, als ob sie zu einem Feste geladen wären. Auch hörte ich häufig seltsame Worte, wie »zu verzollen« und »etwas anzugeben« und so weiter, und man sagte mir, daß die Untersuchung im Zollhause von allen sehr gefürchtet werde.

Die Aufregung erreichte ihren Höhepunkt, als ein kleiner Dampfer in Sicht kam, der mit voller Geschwindigkeit auf uns los fuhr. Einige riefen: »das Zollboot«, als er sich längsseit legte und eine große Menge Menschen an Bord stieg. Mir kam der Diensteifer dieser amerikanischen Beamten ganz außerordentlich vor, namentlich im Vergleiche zu unsern bedächtigen und würdevollen Zolloffizieren, allein, als die Ankömmlinge auf das Hurrikandeck liefen, nein, rasten, sich untereinander schoben, stießen und an den Rockschößen festzuhalten suchten, merkte ich, daß ich mich geirrt hatte.

»Ehrlich Spiel! Jedem das Seine!« und »Wo ist er?« riefen sie dabei lachend. »Führt ihn mal vor! Wir wollen den jungen englischen Krösus sehen; gönnt uns den Anblick des verzogenen Glückskindes, William Aretas Wood!«

Nicht Zollbeamte waren es, sondern Vertreter der Presse, Reporter, die gekommen waren, den falschen Wood zu »interviewen«.

Ich hielt mich ferne und beobachtete den Vorgang höchst belustigt, da ich wußte, daß sich der Spieß gegen die Verschwörer kehren werde, sowie Snuyzer erschien, der alles dies ohne Zweifel ausgeheckt und durch Kabeldepeschen ins Werk gesetzt hatte. Jetzt trat mein Doppelgänger, der falsche William Wood, vor und begann eine schöne Rede, die augenscheinlich sorgfältig vorbereitet war.

Als ich mich dem Achterdeck etwas näherte und die Anfangssätze hörte, beschloß ich, diesem frechen Betruge ein Ende zu machen. Rossiter, der mich kommen sah, versuchte, mich zurückzuhalten, allein ich drängte mich an ihm vorbei und trat vor die versammelte Menge.

»Alles dies ist ein Irrtum,« sagte ich dabei laut. »Ich bin Kapitän Wood …«

Lautes Geschrei und Gejohle unterbrach mich.

»Werft ihn über Bord!« schrieen einige. »Ruhe, Ruhe!« riefen andre, worauf das Toben noch toller wurde.

»Zurück nach dem Dampfer!« hieß es jetzt; »wir wollen ihn gleich mit an Land nehmen.«

Ein allgemeines Drängen nach der Seite des Schiffes, wo der Schleppdampfer lag, folgte, einige von den Reportern, die den »andern« Wood unter dem Arm gefaßt hatten, befanden sich an der Spitze der Menge, und der Herzog von Buona Mano folgte ihnen auf den Fersen.

Nun erkannte ich, wie von einem Blitze erleuchtet, die Bedeutung des Vorgangs. Mein unüberlegtes, thörichtes und unerwartetes Auftreten hatte den Verschwörern die Nähe der Gefahr enthüllt, und sie versuchten, ihr zu entgehen. Das gelang ihnen auch, denn obgleich ich die Offiziere, den Kapitän, die Zollbeamten, kurz, alle und jeden bat, den Schlepper anzuhalten, dampfte dieser doch gleich darauf in der Richtung nach New York von dannen.

Zu meiner Freude kann ich indessen berichten, daß die Sache damit keineswegs zu Ende war. Gleich nach diesem Vorfalle traf Snuyzer auf einem andern Dampfer ein, und mit ihm kam sein, Prinzipal, Mr. Sidney Saraband, ein feiner Herr. Ein höherer Polizeibeamter der Vereinigten Staaten begleitete die beiden, und als sie von der Entweichung hörten, eilten sie nach New York zurück und ordneten eine scharfe Verfolgung der Schwindler an, wobei sie durch die Herren von der Presse wirksam unterstützt wurden. Die Berichterstatter, die so hartnäckig und eifrig für die Verschwörer Partei genommen hatten, waren sehr froh, reichlichen Stoff für eine ganz Reihe sensationeller Zeitungsartikel zu erhalten, und teilten Snuyzer mit Vergnügen alles mit, was sie von den beiden Schurken wußten, die eine so fein angelegte Verschwörung gegen den echten Wood angezettelt hatten.

Wie wir bald erfuhren, waren der Herzog und mein Doppelgänger nach den Geschäftsräumen meines New Yorker Rechtsanwalts in Chambers Street gefahren und hatten sich noch in der elften Stunde ein schönes Stück der Beute gesichert. Mr. Dann, der mich erwartete und »Kapitän Wood« aufs wärmste willkommen hieß, hatte keine Schwierigkeiten gemacht und ihnen einen ordnungsmäßigen Check über fünftausend Dollars ausgestellt, denn ein eben in Amerika angekommener Fremder hat natürlich Taschengeld nötig. Hierauf hatten sie sich nach Astor House begeben, wo schon lange Zimmer gemietet waren, und dort war es ihnen gelungen, ihre litterarische Begleitung abzuschütteln. Während diese unten geblieben war, hatte sich der Herzog unter dem Vorwand, hinaufzugehen, gedrückt, das Haus durch einen andern Ausgang verlassen und war mit einem Wagen der Straßenbahn davongefahren. Indessen wurde er noch an demselben Tage in der Bowery bei einem Zuckerbäcker, einem Landsmanne, alten Freunde und Verwandten, verhaftet und nach Numero sicher gebracht.

Simcox, der falsche Wood, hatte sich auf einige Zeit nach seinem Zimmer zurückgezogen – um sich auszuruhen, wie gesagt wurde – allein die Zeitungsberichterstatter waren ungeduldig geworden und hatten einen Diener hinaufgeschickt, der das Zimmer leer gefunden hatte. Auch Simcox hatte sich durch eine Hinterthür aus dem Hause geschlichen und war unbeobachtet nach dem Zentralbahnhofe gelangt. Wahrscheinlich hatte er die Absicht, die Bahn nach Albany zu benutzen, um dann in Verkleidung nach New York zurückzukehren, denn Sarabands, für die eine derartige Verfolgung das reine Kinderspiel war, stellten alsbald fest, daß er in Tarrytown den Zug verlassen und in einem Kleidergeschäft einen Anzug gestohlen hatte. Gerade dieser Anzug war es, der zu seiner raschen Entdeckung führte. Auch er wurde in der Bowery verhaftet und ins Untersuchungsgefängnis abgeführt.

Die Auslieferung wurde nicht beantragt. Obgleich das Hauptverbrechen auf britischem Boden begangen war, ermöglichten es der erschwindelte Check und der dadurch, daß einer von ihnen meine Rolle gespielt hatte, verübte Betrug den Herren Smiddy & Dann die Verbrecher vor einem amerikanischen Gerichtshöfe zu belangen. Ich kann die Sache gleich durch die Mitteilung erledigen, daß der Herzog, der kein Herzog war, und Simcox, der ehemalige Schreiber bei Quinlan, jeder fünf Jahre Zuchthaus erhielten. Die andern Verschwörer – Lawford, Mc Quahe und der Mulatte – kamen glimpflicher davon, da gegen sie nichts weiter vorlag als eine Prügelei mit Körperverletzung, begangen auf französischem Boden, ein Vergehen, das von den französischen Gerichten nur leicht bestraft wurde. Lawfords Verwundung war indessen so schwer, daß er viele Monate im Krankenhause liegen mußte. Als er mich jedoch aufsuchte, um den ihm versprochenen Check über zehntausend Pfund Sterling in Empfang zu nehmen, war er auf dem besten Wege zur Wiedergenesung.

Mancherlei hielt mich noch eine Zeit lang in New York fest. Zur Uebernahme meines großen Vermögens war meine persönliche Anwesenheit erforderlich, und ich sah bald ein, daß Sir Charles Collingham die Wahrheit gesprochen, als er gesagt hatte, großer Reichtum bringe auch große Sorgen mit sich. Allein ich fand auch dafür Entschädigung in der Gesellschaft meiner geliebten Frida, die ich bald überredete, meine Frau zu werden. Dabei that sie so, als ob sie zwischen zwei Uebeln – der Verbindung mit mir und einer abermaligen Seereise nach so kurzer Zeit – das kleinere wähle, eine Ansicht, der ihre Mutter von Herzen beipflichtete. Demnach wurden wir in aller Stille in New York getraut, wobei Swete Thornhill mein Brautführer, Snuyzer, Rossiter und Joe Vialls geschätzte Hochzeitsgäste waren.

Nach der Hochzeit führte ich meine junge Frau nach meinem »Landhause« in New Port, einem palastähnlichen Gebäude mit bescheidenem Namen, aber von Marmor strahlend und mit unschätzbaren Gemälden und kostbaren Möbeln gefüllt, worauf der alte M'Faught ungeheure Summen verwandt hatte, in der Hoffnung, auf diese Weise Zutritt zur feinen Gesellschaft zu erlangen, eine Hoffnung, die indes nicht in Erfüllung gegangen war. Was die »ersten Familien« seinen Geldsäcken nicht zugestehen wollten, boten sie mir gern an: einen herzlichen Willkomm in ihren Kreisen, so daß uns unser Aufenthalt in Amerika in jeder Hinsicht aufs höchste befriedigte und es uns leid that, als mein Urlaub abgelaufen war. –

Jetzt versuchen wir es, uns das Leben zu Hause zwischen Fairholme Park, meinem neuen Palast am Grosvenor Square, und der Jacht »Fleur de Lis«, die ich gekauft und neu habe herrichten und ausstatten lassen, erträglich zu machen. Ich unternehme gern manchmal eine Kreuzfahrt auf ihr und denke über die Gefahren und die Lasten nach, die großer Reichtum seinen Besitzern aufbürdet.

 

Ende.

 


 << zurück