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1.
Wer kennt nicht die schönen Fabeln unsers Gellert und wer hat sich nicht an den frommen Liedern dieses Dichters erbaut! Wenige Dichter haben so viel zur sittlichen Bildung des Volkes beigetragen, wenige sind auch vom Volke so geliebt und geehrt worden, als Gellert, der, ausgezeichnet als Dichter, noch ausgezeichneter als Mensch war durch den edelsten Charakter, durch den frömmsten, reinsten Lebenswandel!
Christian Fürchtegott Gellert wurde am 4. Juli des Jahres 1715 zu Haynichen, einer kleinen Stadt im sächsischen Erzgebirge, zwischen Freiberg und Chemnitz gelegen, geboren. Sein Vater war daselbst Prediger, konnte sich aber keiner großen Einnahme rühmen und mußte sich sehr einschränken, wenn er die dreizehn Kinder, mit welchen ihn der liebe Gott gesegnet hatte, ehrlich und redlich durch die Welt bringen wollte. Er sowohl wie seine Gattin, eine rechtschaffene, gute und liebenswürdige Frau, bemühten sich, den Kindern von Jugend auf einen frommen, tugendhaften Sinn einzuflößen. Die Schule des Ortes war freilich schlecht, aber unser Gellert war auch für das Wenige, das er dort lernte, seinen Lehrern dankbar und erzählte später manchmal mit Vergnügen, daß er schon in seinem achten Lebensjahre von einem seiner Präzeptoren zu mancherlei kleinen Verrichtungen angehalten worden sei und sich dadurch eine Liebe zur Geschäftigkeit angeeignet habe, die ihn in seinem ganzen Leben nicht wieder verlassen habe.
Sobald der kleine Knabe sich einige Fertigkeit im Schreiben erworben hatte, hielt ihn sein Vater dazu an, die schmalen Einkünfte der Familie durch Abschreiben von Kaufbriefen, Dokumenten, gerichtlichen Akten und dergleichen zu vermehren. Der wackere Sohn gehorchte gern, denn er sah trotz seiner Jugend schon ein, daß zur Bestreitung der nöthigen Ausgaben so ein kleiner Nebenverdienst willkommen, ja oft nothwendig sei, und darum ging er, zur großen Freude des Vaters, immer frisch an's Werk und ermüdete nie.
Unter so ungünstigen Verhältnissen erreichte Gellert sein dreizehntes Jahr, ohne einen einzigen Versuch in der Dichtkunst gemacht zu haben. Still und tief ruhte die Knospe der Poesie in seinem Herzen, bis der Geburtstag des geliebten Vaters eine Veranlassung gab, daß die zarte Blüthe zum ersten Mal ihre Hülle durchbrach, um die Familie mit ihrem Dufte zu erfreuen. Die Pfarrwohnung war ein wenig baufällig geworden und um sie vor dem Einsturze zu bewahren, stützte man sie mit fünfzehn Balken. Vater Gellert's Kinder und Kindeskinder waren auch fünfzehn an der Zahl und der junge Dichter nahm diesen Zufall als eine Veranlassung, die Nachkommen des Vaters als Stützen desselben in einem Gedichte zu schildern, das in der Familie viel Heiterkeit erregte und allgemeinen Beifall fand. Dem ersten Versuche folgten nun mehrere, und obwohl der kleine Poet keinen Unterricht in seiner schwierigen Kunst empfing, verkündigte doch schon mancher gute Gedanke, manche glückliche Wendung, manche gelungene Schilderung, welch' ein reicher Schatz von Poesie in seinem Innern ruhete.
Gellert's Vater wünschte, daß sein Sohn Christian Fürchtegott studiren möchte, und dieser Wunsch stimmte glücklicherweise mit dem des Knaben überein. Es gelang, ihm eine Stelle auf der Fürstenschule zu Meißen zu verschaffen, und Fürchtegott ging in seinem vierzehnten Jahre dahin ab, um sich für die Universität vorzubereiten.
Die Fürstenschule zu Meißen war im Jahre 1543 von dem Kurfürsten Moritz von Sachsen gestiftet und mit den Gütern aufgehobener Klöster so reich fundirt worden, daß mehrere hundert Knaben, größtenteils ganz unentgeltlich, darin unterhalten und unterrichtet werden konnten. Sie war, wie die Erziehungsanstalten zu Pforta und Grimma, eine Pflanzschule der Gelehrsamkeit, aus welcher viele tüchtige und gründlich gebildete Männer hervorgingen. Aber dem jungen Gellert sagte der düstere Ernst und die strenge Aufsicht, welche in dieser Anstalt herrschten, nicht zu und seine Lehrer scheinen es nicht verstanden zu haben, ihn für die alten klassischen Dichterwerke zu begeistern. So kam es, daß er sehr mittelmäßige, jetzt längst vergessene Gedichte von Günther, Neukirch und Hanke dem Dichtervater Homeros, dem Horaz und Virgil vorzog. Er suchte die deutschen Dichter nachzuahmen, womöglich sie zu übertreffen, und so übte er sich wacker in der Muttersprache, die zu jener Zeit noch ziemlich steif und unbeholfen war. Sehr vortheilhaft wirkte auf Gellert der Umgang mit Gärtner und Rabener, seinen Mitschülern, welche sich später, gleich ihm, als Schriftsteller auszeichneten. Diese drei Jünglinge schlossen auf der Fürstenschule einen Freundschaftsbund, der bis an das Ende ihrer Tage durch keine Mißhelligkeit gestört wurde.
Nach einem fünfjährigen Aufenthalte verließ Gellert die Schule zu Meißen mit den besten Zeugnissen und begab sich in's älterliche Haus zurück, um sich auf die Universität vorzubereiten. Mit der Zustimmung seines Vaters beschloß er, Theologie zu studiren, und im Jahre 1735 bezog er die Leipziger Hochschule. Hier benutzte er seine Zeit eben so gewissenhaft wie zu Meißen; aber er begnügte sich nicht damit, sein Brodstudium zu treiben, sondern er besuchte auch noch andere Hörsäle als die theologischen, um sich eine möglichst vielseitige Ausbildung zu verschaffen. Bald sah der junge Gellert ein, daß er in der Wahl seines Berufes einen Mißgriff gemacht hatte. Gellert's Körper war zart und schwach, seine Gesundheit schwankend, seine Brust nicht die beste. Anhaltendes Sprechen wurde ihm schwer und bei langem Reden verließ ihn das Gedächtniß. Oft memorirte er acht Tage lang an einer Predigt und fühlte sich dann immer noch nicht sicher und ein Vorfall aus seinen früheren Jahren machte ihn noch ängstlicher.
»In meinem fünfzehnten Jahre,« so erzählt der Dichter selber, »legte ich die erste Probe meiner Beredtsamkeit an meinem Geburtstage ab. Ein Bürger bat mich, Taufzeuge bei seinem Kinde zu sein, das wenige Tage nachher starb. Ich wollte ihm eine Leichenrede halten, obwohl mein Vater mir die Erlaubniß dazu ungern gab. Das Kind sollte zu Mittag begraben werden; früh um acht Uhr fing ich an, meine Parentation auszuarbeiten, ward spät fertig, verschwendete die übrige Zeit mit einer Grabschrift und behielt keine ganze Stunde zum Auswendiglernen. Ich ging indeß beherzt in die Kirche, fing meine Rede sehr feierlich an und kam ungefähr bis auf die dritte Periode. Auf einmal verließ mich mein Gedächtniß und der vermessene Redner stand in einer Betäubung da, von der er sich kaum erholen konnte. Endlich griff ich nach meinem Manuskripte, das aktenmäßig auf einen ganzen Bogen geschrieben war, wickelte es vor meinen ebenso erschrockenen Zuhörern langsam auseinander, las einige Zeit, legte es dann in meinen Hut und fuhr endlich noch ziemlich dreist wieder fort. Man glaubte, ich wäre vor Betrübniß von meinem Gedächtniß verlassen worden. Viel Gelindigkeit! Indeß hat mich diese jugendliche Uebereilung viel gekostet! Der Gedanke daran verfolgte mich in jeder Predigt, die ich nachher gehalten habe, und brachte mich zu einer Schüchternheit, die mich niemals ganz verlassen hat. Lerne aus meinem Beispiele vorsichtiger handeln, hitziger Jüngling!«
2.
Im Jahre 1739 hatte Gellert seine Studien auf der Universität beendigt und verließ Leipzig, wo er sich einen reichen, wohlgeordneten Schatz von Kenntnissen erworben hatte, um die Erziehung zweier junger Edelleute in der Nähe von Dresden zu übernehmen. Hierauf bereitete er den Sohn seiner Schwester zur Universität vor und begleitete ihn 1741 nach Leipzig, um dort seine Studien ferner zu leiten. Es traf sich glücklich, daß er bei seinem zweiten Aufenthalt in Leipzig mehrere junge Männer kennen lernte, die sehr anregend auf ihn einwirkten. Gellert schloß sich besonders an Klopstock, den Sänger der Messiade, an Zachariä, den Dichter des Renommisten und anderer komischer Heldengedichte, dann an Kramer, Ebert, Schlegel, vor Allem aber an seinen Freund Rabener an, den er hier zu seiner großen Freude wiederfand. Die jungen, geistreichen, heiteren und witzigen Leute kamen öfters zusammen, studirten gemeinschaftlich die älteren und neueren Dichter, machten selber Versuche im Dichten und tauschten dann ihre Ansichten und Meinungen darüber aus. Keiner schmeichelte, dem Andern, Jeder sagte frei und streng sein Urtheil und das war bildend für Alle.
Gellert's Freunde lieferten Beiträge zu einer Zeitschrift »Belustigungen des Verstandes und Witzes,« die mit vieler Theilnahme gelesen wurde. Gellert wurde auch Mitarbeiter, zog es aber bald vor, selber eine andere und noch bessere Zeitschrift zu gründen, »die Bremischen Beiträge,« für welche er Fabeln und kleine Erzählungen verfaßte, die großen Beifall fanden und immer größere Aufmerksamkeit erregten, denn sie waren so natürlich, anmuthig und leicht, daß man sie gern auswendig lernte. Bei jedem neu erscheinenden Hefte der Bremischen Beiträge sah man zuerst darauf, ob auch Gellert wieder seine Leyer darin habe ertönen lassen.
Im Jahre 1744 erwarb sich Gellert die Magisterwürde und trat im nächsten Jahre als öffentlicher Lehrer an der Akademie aus. Sein Vortrag war nicht sehr einladend, denn seine Stimme klang hohl, aber dennoch strömten ihm die Zuhörer zu, denn er wußte so klar und faßlich über die Dichtkunst und die Gesetze des Schönen zu reden, daß Jedermann es verstand und zum Nachdenken angeregt wurde. Neben diesen Berufsgeschäften dichtete er immer neue Fabeln und Erzählungen, welche im Jahre 1746 gedruckt wurden. Ein zweites Bändchen folgte im Jahre 1748 und wurde, wie das erste, mit Begierde aufgenommen, gelesen und auswendig gelernt. Gellert's Fabeln sind noch immer Lieblinge des deutschen Volks und haben unendlich segensreich gewirkt, besonders zur Bildung des Herzens und Geistes der Jugend. Welch' einen tiefen Eindruck sie machten und wie weit sie verbreitet waren, kann man leicht daraus erkennen, daß eines Tages ein Bauer mit einem Wagen voll Brennholz zu Gellert kam, ihn fragte, ob er der Herr wäre, der so schöne Fabeln machen könne, und als der Dichter dies bejahte, ihm die Ladung Holz als Zeichen seiner Dankbarkeit zum Geschenk machte. »Die Fabeln haben mir und meinen Kindern so viel Vergnügen gemacht,« sagte der Bauer, »daß es mich drängte, Ihnen eine kleine Freude zu bereiten.« Der Beifall des einfachen Landmannes war Gellert noch viel erfreulicher als die Lobeserhebungen seiner gebildeten Freunde. Der Ruf der Fabeln durchdrang ganz Europa und sie wurden rasch hintereinander in's Englische, Französische, Dänische, Schwedische und Russische übersetzt. Mehrere Auflagen folgten sich schnell und waren eben so schnell wieder vergriffen. Weniger Beifall fanden die Schauspiele und ein Roman, den Gellert unter dem Titel »Die schwedische Gräfin« herausgab. Dafür erwarben sich die »Briefe«, welche der Dichter auf den Rath seines Freundes Rabener herausgab, wieder großen Beifall. Die »Oden und Lieder«, welche im Jahre 1756 erschienen, drangen wie die Fabeln in die Hütten und Paläste, wurden zum Theil in die Gesangbücher ausgenommen und dienen noch heute zu christlicher Erbauung.
Zwölf Jahre waren indeß vergangen, seitdem Gellert den akademischen Lehrstuhl bestiegen hatte, und aus lauter Bescheidenheit hatte er es versäumt, um eine feste öffentliche Anstellung anzuhalten. Im Jahre 1751 ward ihm jedoch ohne sein Zuthun die Stelle eines außerordentlichen Professors der Philosophie angetragen, welche er nach einigem Weigern und Bedenken annahm. Er las über Dichtkunst und Beredtsamkeit und seine Vorträge erfreuten sich eines solchen Zudranges, daß er sie in dem größten Hörsaale des Universitätsgebäudes halten mußte. Die Achtung, in welcher der liebenswürdige und bescheidene Mann stand, war unbegrenzt und hatte den besten Einfluß auf die studirende Jugend. Man rang nach seinem Beifalle, seiner Achtung, seinem Lobe. Um dies Ziel aber zu erreichen, mußte man sich eines fleißigen und ordentlichen Lebens rühmen können und die Folge war, daß die jungen Studenten selbst auf ihre Sittlichkeit achteten und sich von Rohheiten und wüsten Gelagen fern hielten. Keiner gewann dabei mehr als sie selbst, aber Keiner empfand auch eine herzlichere Freude darüber, als unser liebenswürdiger Gellert. Er sah, wie sein Beispiel wirkte und zur Nacheiferung anfeuerte, und Anderen sich nützlich zu machen, das war sein größter Lebensgenuß.
Aber während Gellert's Ruhm ganz Deutschland erfüllte, litt er mehr als je an seiner unüberwindlichen Kränklichkeit und sein Körper verfiel, während sein Gemüth oft sehr schwermüthig und melancholisch war. Er entsagte der Dichtkunst ganz und gar und beschäftigte sich blos mit der Moral (Sittenlehre), über die er Vorlesungen hielt. Um sich und Andere im Tragen menschlicher Leiden zu stärken, schrieb er »Trostgründe wider ein sieches Leben«, ein Buch, das viel gelesen wurde und Vielen Trost gewährte, auch in mehrere fremde Sprachen übersetzt wurde. Im Vertrauen zur göttlichen Vorsehung blieb der fromme Gellert in allen Leiden geduldig und immer sanftmüthig, trotz der vielen schlaflosen Nächte, der schrecklichen Träume, des körperlichen Ungemachs. An Freunden mangelte es dem edlen, vortrefflichen Mann nicht und von fern und nah bezeigte man ihm die innigste Theilnahme.
Gellert's Haus wurde von Besuchern nie leer. Alle Welt wollte den berühmten und trotzdem so liebenswürdigen Mann kennen lernen, der so viel Erbauliches und Angenehmes zu schreiben wußte. Als, wie schon oben erwähnt, Gellert's geistliche Lieder erschienen (1756), hatte eben der siebenjährige Krieg begonnen. Da der König von Preußen Sachsen als erobertes Land betrachtete, so wurden alle Gehalte der Staatsdiener vermindert. Auch Gelierten wurden seine 100 Thaler entzogen. Das kränkte ihn nicht, wohl aber das allgemeine Elend, unter dem Alle seufzten. Er gab den armen Studenten nach wie vor das Kollegium geldfrei und begegnete er einem Armen, der seiner Hülse bedurfte, so suchte er die letzten Thaler und Groschen zusammen, die er noch hatte. Dafür halfen ihm denn wieder angesehene und wohlhabende Leute aus seiner Geldverlegenheit.
3.
Im Winter des Jahres 1756 weilte auch Friedrich der Große in Leipzig. Friedrich liebte die Gelehrten, aber nicht die deutschen Gelehrten, weil er, von Jugend auf zur französischen Sprache angehalten, die französischen Schriftsteller lieb gewonnen hatte, wegen der Freiheit und Zierlichkeit ihrer Sprache und der Schärfe ihres Witzes. Die deutschen Autoren waren damals noch sehr schwerfällig und die deutsche Sprache sollte erst den Gipfel ihrer Schönheit und Vollendung erreichen, während die französische diesen Punkt längst erreicht hatte. Von Gellert hatte aber der große König eine gute Meinung und er wünschte den merkwürdigen Mann kennen zu lernen. Der 18. Dezember wurde für den Herrn Professor ein bedeutsamer Tag. Er saß um drei Uhr Nachmittags in seinem Schlafrocke, mit einer weißen Mütze, unbarbiert und gar nicht wohl aufgelegt an seinem Pulte, als Jemand an seine Thür pochte. »Herein!« – »Ich bin der Major Quintus Izilius und freue mich, Sie kennen zu lernen. Se. Majestät der König verlangen, Sie zu sprechen, und haben mich hergeschickt, Sie zu ihm zu bringen.« Gellert: »Herr Major, Sie müssen mir's ansehen, daß ich krank bin; es wird dem Könige mit einem kranken Manne, der nicht reden kann, nicht viel gedient sein.« Major: »Es ist wahr, Sie sehen nicht wohl aus, ich werde Sie auch nicht nöthigen, heute mitzugehen; aber das muß ich Ihnen sagen, wenn Sie sich mit dieser Ausflucht ganz von dem Gange loszumachen gedenken, so irren Sie sich. Ich muß morgen wiederkommen und wenn Sie da nicht besser sind, übermorgen und das so fort, bis Sie mitgehen können. Entschließen Sie sich also, ich lasse Ihnen noch eine Stunde Zeit. Um vier Uhr will ich wieder anfragen, ob ich Sie heute oder ein anderes Mal mitnehmen soll.« Gellert: »Ja, das thun Sie, Herr Major! Ich will sehen, wie ich mich alsdann befinde.«
»Nun ist also der Major fort,« erzählt Gellert selber in launiger Weise, »und der Herr Professor, der zum Unglück seinen Herrn Gödicke nicht zu Hause hat, schafft sich mit vielem Verdruß und großen Umständen einen Barbier und eine Perrücke und ist um vier Uhr fertig. Quintus Izilius kömmt und sie gehen nach dem Apel'schen Hause. In dem Vorzimmer befinden sich etliche Personen, welche voller Freude sind, den Herrn Professor kennen zu lernen. Jetzt aber geht die Thür zu Sr. Majestät Zimmer aus. Sie treten ein und bleiben mit dem Könige die ganze Zeit über allein. König. Ist Er der Professor Gellert? Gellert. Ja, Ihro Majestät! K. Der englische Gesandte hat mir viel Gutes von Ihm gesagt. Wo ist Er her? G. Von Haynichen bei Freiberg. K. Hat Er nicht noch einen Bruder in Freiberg? G. Ja, Ihro Majestät! K. Sage Er mir, warum wir keinen guten deutschen Schriftsteller haben? Der Major: Ihro Majestät sehen hier einen vor sich, den die Franzosen selbst übersetzt haben und den sie den deutschen Lafontaine nennen. K. Das ist viel. Hat Er den Lafontaine gelesen? G. Ja, Ihro Majestät, aber nicht nachgeahmt; ich bin ein Original. K. Das ist also einer; aber warum haben wir nicht mehr gute Autoren? G. Ihro Majestät sind einmal gegen die Deutschen eingenommen. K. Nein, das kann ich nicht sagen. G. Wenigstens gegen die deutschen Schriftsteller. K. Das ist wahr. Warum haben wir keine guten Geschichtschreiber? G. Es fehlt uns daran auch nicht. Wir haben einen Maskov, einen Kramer, der den Bossuet fortgesetzt hat. K. Wie ist das möglich, daß ein Deutscher den Bossuet fortgesetzt hat? G. Ja, ja, und glücklich. Einer von Ihro Majestät gelehrtesten Professoren hat gesagt, daß er ihn mit eben der Beredtsamkeit und mit mehr historischer Richtigkeit fortgesetzt habe. K. Hat's der Mann auch verstanden? G. Die Welt glaubt's. K. Aber warum macht sich Keiner an den Tacitus? Den sollte man übersetzen. G. Tacitus ist schwer zu übersetzen und wir haben auch schlechte französische Uebersetzungen von ihm. K. Da hat Er Recht. – G. Und überhaupt lassen sich verschiedene Ursachen angeben, warum die Deutschen noch nicht in aller Art guter Schriften sich hervorgethan haben. Da die Künste und Wissenschaften bei den Griechen blüheten, führten die Römer noch Kriege. Vielleicht ist jetzt das kriegerische Säkulum der Deutschen; vielleicht hat es ihnen auch noch an Augusten und Louis XIV. gefehlt. – K. Wie? Will Er denn einen August in ganz Deutschland haben? G. Nicht eben das; ich wünsche nur, daß ein jeder Herr in seinem Lande die guten Genies ermuntere.
So ging es noch eine Weile fort. Dann fragte der König: Kann Er keine von seinen Fabeln auswendig? G. Ich zweifle. Mein Gedächtniß ist mir untreu. K. Besinne Er sich, ich will unterdessen herumgehen. – – – Nun, hat Er eine? G. Ja, Ihro Majestät, den Maler.
Ein kluger Maler in Athen,
Der minder, weil man ihn bezahlte,
Als weil er Ehre suchte, malte,
Ließ einen Kenner einst den Mars im Bilde sehn
Und bat sich seine Meinung aus.
Der Kenner sagt ihm frei heraus,
Daß ihm das Bild nicht ganz gefallen wollte,
Und daß es, um recht schön zu sein,
Weit minder Kunst verrathen sollte.
Der Maler wandte Vieles ein;
Der Kenner stritt mit ihm aus Gründen,
Und konnt' ihn doch nicht überwinden.
Gleich trat ein junger Geck herein,
Und nahm das Bild in Augenschein.
O! rief er bei dem ersten Blicke,
Ihr Götter, welch' ein Meisterstücke!
Ach, welcher Fuß! O wie geschickt
Sind nicht die Nägel ausgedrückt;
Mars lebt durchaus in diesem Bilde.
Wie viele Kunst, wie viele Pracht
Ist in dem Helm und in dem Schilde
Und in der Rüstung angebracht!
Der Maler war beschämt, gerühret
Und sah den Kenner kläglich an.
Nun, sprach er, bin ich überführet,
Ihr habt mir nicht zu viel gethan.
Der junge Geck war kaum hinaus,
So strich er seinen Kriegsgott aus.
K. Und die Moral? G. Gleich, Ihro Majestät!
Wenn deine Schrift dem Kenner nicht gefällt,
So ist es schon ein böses Zeichen;
Doch wenn sie erst des Narren Lob erhält,
So ist es Zeit, sie auszustreichen.
K. Das ist recht schön. Er hat so etwas Koulantes (Fließendes) in Seinen Versen. Das verstehe ich Alles. Da hat mir aber Gottsched eine Uebersetzung der Iphigenie vorgelesen; ich habe das Französische dabei gehabt und kein Wort verstanden. Sie haben mir auch einen Poeten, den Pietsch, gebracht, den habe ich weggeworfen. G. Ihro Majestät, den werfe ich auch weg. K. Nun, wenn ich hier bleibe, so muß Er öfter wiederkommen.
Als Gellert fort war, äußerte der König: »Das ist ein ganz anderer Mann, als Gottsched. Gellert ist der vernünftigste unter allen deutschen Gelehrten.« Und in der That, würdiger, einfacher, fester konnte Niemand dem großen Könige gegenüber auftreten, wie es Gellert in dem mitgetheilten Gespräche gethan hat. Friedrich hat ihm auch den Rath gegeben, öfters zu reiten, und Prinz Heinrich von Preußen schenkte 1762 dem Professor ein Pferd, einen Schecken, geduldig wie ein Lamm, dasselbe Pferd, welches der Prinz in der Schlacht bei Freiberg geritten hatte. Nun sahen die Bewohner Leipzigs den lieben Gellert alle Tage einen Spazierritt machen, aber das Uebel wurde doch nicht gehoben und die Aerzte verordneten eine Kur in Karlsbad. Auch dieses Mittel schlug fehl, doch der Aufenthalt in dem Badestädtchen war ihm lieb geworden durch manche interessante Bekanntschaft, namentlich des tapferen, aus dem siebenjährigen Kriege bekannten Generals Laudon. Gellert schrieb hierüber an eine Freundin:
»Eine meiner ersten und liebsten Bekanntschaften war der General Laudon, ein Mann von einem besonderen Charakter und ernsthaft, bescheiden, halb traurig, wie ich, der wenig redete, fast wie ich, aber richtig und wahr redete, nichts von seinen Thaten, wenig vom Kriege sprach, der aufmerksam zuhörte und in seinem ganzen Betragen, in seiner Art sich zu kleiden, eben die gefällige Einfalt und Anständigkeit zeigte, die in seinen Reden herrschte. Er ist nicht groß von Person, aber wohl gewachsen; hager, aber weniger als ich, und hat nachsinnende, tief liegende, lichtgraue Augen, oder auch wohl bläuliche, fast wie ich. Er wurde nur nach und nach vertraulich gegen mich. »O,« sagte er einmal zu mir, als er mich in der Allee fand, »ich käme oft gern zu Ihnen, aber ich fürchte mich, ich weiß nicht, ob Sie mich haben wollen.« Ein andermal fing er an: »Sagen Sie mir nur, Herr Professor, wie es möglich ist, daß Sie so viele Bücher haben schreiben können und so viel Munteres und Scherzhaftes? Ich kann's gar nicht begreifen, wenn ich Sie so ansehe!« – »Das will ich Ihnen wohl sagen,« antwortete ich, »aber sagen Sie mir erst, Herr General, wie es möglich ist, daß Sie die Schlacht bei Kunnersdorf haben gewinnen und Schweidnitz in Einer Nacht einnehmen können? Ich kann's gar nicht begreifen, wenn ich Sie so ansehe!« – Damals habe ich ihn das erste Mal lachen sehen; sonst lächelte er nur. Er hatte sich genau nach meinem Geschmacke erkundigt. Er bat mich nicht eher zu Tische, als wenn er allein war; er ließ mich von Herzen ausreden und redete selbst so. Ich habe aus seinem Munde nichts als Gutes gehört und immer gemerkt, daß er religiös war. Ich mußte ihm eine kleine Bibliothek aufsetzen, denn das war seine Klage, daß er nicht studirt hätte, wiewohl sein natürlich scharfer Verstand und seine große Aufmerksamkeit auf Alles, was ihn umgab, bei ihm den Mangel der Wissenschaften ersetzten. »Was geb' ich Ihnen denn, das Ihnen lieb ist?« fing er einmal an, »ich möcht' es gern wissen.« – »Herr General! Und wenn Sie mir die ganze Welt geben, das ist mir in meinen jetzigen Umständen gleichgültig.« – Wenn er im Vertrauen mit mir reden wollte, führte er mich in eine einsame Allee und Niemand störte uns dann.
Obgleich Gellert's Gesundheit immer schwankender wurde, setzte der fleißige Mann dennoch und immer mit dem größten Beifall seine Vorlesungen fort. Auch der junge Göthe war unter seinen Schülern. Er sprach zu den Studirenden, wie ein Vater zu seinen Kindern, und seine Worte prägten sich tief dem Herzen seiner Zuhörer ein. Allgemeine Trauer und Bekümmerniß entstand, als Gellert immer hinfälliger wurde. Auch der Kurfürst nahm innigen Antheil an seinen Leiden und schickte seinen Leibarzt. Doch an Rettung war nicht mehr zu denken. Mit ruhigem und gefaßtem Muthe besorgte der Kranke seine häuslichen Angelegenheiten, tröstete die Freunde, die weinend sein Bett umstanden, und erhob oft seine Hände zum Gebet. Aller abwesenden Freunde erinnerte er sich mit Rührung und Dankbarkeit. Als er das heilige Abendmahl in christlichem Glauben genossen hatte, fragte er seine Freunde, wie lang' er wohl noch zu leben habe. Vielleicht noch eine Stunde! war die traurige Antwort. »Gottlob!« rief Geliert mit schwacher Stimme aus, – »nur noch eine Stunde!« Nach diesen Worten wendete er sich auf die Seite, schlief ein und entschlummerte ganz unmerklich zu einem besseren Leben. Sein Tod erfolgte am 13. Dezember 1769. Gellert war fünfundfünfzig Jahr alt, als er starb.
Ein stilles Trauern ging durch ganz Deutschland, als die Kunde von Gellert's Tode sich verbreitete. Schmerzlich wurde der Lieblingsdichter des deutschen Volkes beweint und sein Andenken wurde geehrt wie das eines guten Fürsten.