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III. Joseph Haydn. E. Ortlepp.

 

1.

Joseph Haydn wurde am 31. März 1732 in dem Dorfe Rohrau, auf der Grenze von Ungarn und Oesterreich, geboren. An ihm ward offenbar, wie das Genie eine Gottesgabe ist, die nicht allein in den Palästen der Reichen und Großen einkehrt, sondern auch, und vielleicht am liebsten, aus der Hütte des Armen hervorgeht. Haydn's Vater war ein armer Radmacher (Wagner), der ein wenig auf der Harfe klimpern konnte und sich aus seinem Spiel einen Sonntagsverdienst machte. Die Mutter sang dazu und der fünfjährige Joseph stand neben seinen Eltern mit einem Brettchen, über welches er mit einer Gerte strich, als ob er Violine spielte. Einstmals traf sich's, daß ein benachbarter Schullehrer diese musikalische Szene mit ansah. Dieser erkannte aus dem Gebehrdenspiel des Kleinen und aus seinem strengen Takthalten dessen Talent für die Musik und überredete die Eltern, ihm den Knaben mit nach Haimburg zu geben. Daselbst unterrichtete er ihn zwei Jahre lang und der kleine Joseph machte bald die erstaunlichsten Fortschritte. Zufällig kam der kaiserliche Kapellmeister von Reuter zu dem Schullehrer nach Haimburg. Der Letztere erzählte ihm von seinem talentvollen Schüler, den der Kapellmeister alsbald zu sehen verlangte. Reuter prüfte ihn und fand das Lob des Schulmeisters gegründet. »Geben Sie mir den Joseph mit nach Wien,« sagte er; »wir wollen sehen, was aus ihm zu machen ist.« Und so wurde denn Haydn in seinem achten Jahre Chorknabe und mußte in der Stephanskirche zu Wien singen. Schon zwei Jahre darauf fing er an, sechzehnstimmige Kompositionen zu setzen. Mit Lächeln erzählte er später: »Ich glaubte, je schwärzer von Noten das Papier, desto schöner die Musik!«

Doch in derselben Zeit verlor er seinen herrlichen Sopran und mit ihm seine Stelle als Chorknabe, wodurch er in eine verzweifelte Lage versetzt wurde. Eine Zeit lang wohnte er in einem Stübchen ohne Ofen und Fenster sechs Stock hoch, und als der Winter eintrat, mußte er einen Theil des Tages im Bette zubringen. Oefters schloß er sich den in den Straßen herumziehenden Musikanten an, um einen Zehrpfennig zu bekommen, dann erhielt er einige Privatschüler, die er im Klavierspiel unterrichtete, spielte auch wohl bald an diesem, bald an jenem Orchester mit und lernte dabei in aller Stille die Komposition. »An meinem von Würmern zernagten Klavier,« sagte er, »beneide ich nicht das Glück der Könige!« Als ihm die sechs ersten Klaviersonaten von Phil. Em. Bach in die Hände fielen, stand er nicht eher vom Klavier auf, als bis er sie von Anfang bis zu Ende durchgespielt hatte. »Wer mich kennt,« sagte er später, »der wird gefunden haben, daß ich dem Emanuel Bach viel verdanke, daß ich seinen Styl gefaßt und mit Sorgfalt studirt habe; er selbst machte mir vor Zeiten ein Kompliment darüber.« O deutsche Jugend, die du Musik lernen willst, laß dir doch die Meister Bach angelegen sein, und spiele deutsche Sonaten anstatt der Walzer und Galoppaden!

 

2.

Nach einiger Zeit lernte Haydn ein Fräulein von Martinitz kennen; diese mußte er im Gesang und Klavierspiel unterrichten, und dafür erhielt er freie Wohnung und freien Tisch. Damals wohnten der größte Komponist und der berühmteste Operndichter in Einem Hause beisammen, aber freilich in himmelweit verschiedenen Umständen. Der Komponist hieß Haydn, der Operndichter Metastasio. Dieser ziemlich mittelmäßige Poet hatte gute Tage, indeß der arme Musiker im Winter nicht einmal sein Zimmer heizen konnte. Bei Metastasio lernte Haydn auch den Sänger Porpora kennen, der ihn zum Akkompagniren und Stiefelputzen brauchte. Als das Fräulein von Martinitz Wien verließ, gerieth der arme Komponist wieder in die traurigste Lage. Endlich fand er Aufnahme in dem Hause eines Frieseurs und heirathete dessen Tochter. Unerfahren, wie er war, erst 18 Jahre alt, mußte er nun von seiner Frau und seinem Schwiegervater die bittersten Kränkungen erleiden; diese Verbindung verbitterte ihm seine schönsten Lebenstage. Nachdem er zu dieser Zeit sein erstes Quartett (Komposition für vier Streichinstrumente) komponirt hatte und es den Kunstrichtern vorlegte, wollten diese es gar nicht loben. Indeß ging er getrost seinen Weg fort, ohne viel nach den herkömmlichen Regeln zu fragen, denn er meinte, daß in der Musik nur das verboten sei, was ein feines Ohr beleidige. Bald darauf erhielt er eine Organistenstelle bei den Karmelitern in der Leopoldvorstadt; auch spielte er die Orgel in der Kapelle des Grafen von Haugwitz und sang in der Stephanskirche. Abends durchzog er mit andern jungen Musikern die Straßen; dann wurden gewöhnlich Quartette gesungen, die von ihm selbst komponirt waren. Er setzte auch eine Oper, aber diese fand wenig Beifall und erlebte nur drei Aufführungen. Dabei studirte er immer fort, und lernte besonders viel aus des berühmten Fux Gradus all Parnassum. Dieses Werk lehrte ihn einen Satz in seine Glieder, wie einen Gedanken in die einzelnen Perioden und Sätze zertheilen und durch verschlungene Fäden wieder zu einem Ganzen verknüpfen.

Haydn war jetzt so berühmt geworden, daß ihn der Fürst Esterhazy zu seinem Kapellmeister ernannte. Befreit von den drückenden Sorgen des Lebens konnte er nun seinem Genius freien Lauf lassen. Mit allem Eifer warf er sich nun auf die Symphonie und leistete in diesem Gebiet noch nie Dagewesenes. Auch komponirte er nun den größten Theil seiner herrlichen Streich-Quartette. Als der Fürst Esterhazy den Entschluß gefaßt hatte, seine Kapelle zu verabschieden, schrieb Haydn die unter dem Namen »Haydn's Abschied« bekannte Symphonie. Der Tag des Konzerts erschien; der Fürst war begierig, was ihm seine Kapelle zum letzten Mal vorspielen würde. Da sah er denn, wie gegen das Ende ein Musiker nach dem andern verstummte, sein Notenblatt zusammenrollte und sich aus dem Saale entfernte. Dies machte einen so tiefen Eindruck aus ihn, daß er die Kapelle beibehielt.

 

3.

Im Jahre 1785 komponirte Haydn sein schönes Oratorium: »Die sieben Worte des Erlösers am Kreuz,« und diese großartige Musik wurde mit größtem Beifall in allen Kirchen aufgeführt. Im Jahre 1790 aber hörte die Kapelle doch auf, die Haydn fast dreißig Jahre hindurch geleitet hatte. Dies veranlaßte ihn, einem schon mehrmals an ihn ergangenen Rufe Folge zu leisten. Er reiste nach London ab, um dort zwölf musikalische Akademien (wie man es nannte) zu geben. Er wurde glänzend aufgenommen; jede der Akademien trug ihm 200 Pfund Sterling ein und die Oxforder Universität beehrte ihn mit dem Doktordiplom. Nachdem er aus England zurückgekehrt, leitete er im Nationaltheater zu Wien die Akademien zum Besten der Wittwen und Waisen und brachte durch seine Symphonien große Wirkungen hervor. Das Publikum fühlte, daß eine neue deutsche Musik geboren sei, wie sie keine andere Nation besaß. Im Jahre 1794 reiste Haydn abermals nach London, wo man ihm ein aus Milton's verlorenes Paradies entlehntes Oratorium, das die Schöpfungsgeschichte behandelte, vorlegte; er nahm die Dichtung mit nach Wien und zeigte sie dem kunstsinnigen Freiherrn van Swieten. Dieser ermunterte Haydn, das Gedicht zu komponiren, nachdem er die für zweckmäßig erachteten Abänderungen gemacht hatte. Nach drei Jahren war Haydn mit der Komposition des Oratoriums fertig, dessen Partitur eine Gesellschaft von zehn Gliedern des vornehmsten Wiener Adels für 700 Dukaten kaufte und am 18. März 1796 zum ersten Mal im Wiener Nationaltheater aufführen ließ. Die glänzende Einnahme von 4088 fl. überließen sie ganz dem Komponisten. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen. Bald vollendete »die Schöpfung« (so hieß das Oratorium) ihren Kreislauf durch alle Hauptstädte Europa's und Haydn's Ruhm stieg auf den höchsten Gipfel. Von Paris aus erhielt er eine goldene Medaille; auch wurde dort in dem Konzert seine Büste in der Mitte des Orchesters aufgestellt und nach der Aufführung seiner neuen Symphonie unter dem Jubel der Anwesenden mit einem Lorbeerkranze gekrönt. Viele auswärtige Akademien ernannten ihn zu ihrem Ehrenmitgliede.

 

4.

Zu dem folgenden Oratorium, den »Jahreszeiten,« fand sich der herrlichste Stoff in Thomson's unsterblichem Werke gleichen Namens. Haydn las dasselbe mit tiefem, stillem Entzücken; begeistert davon eilte er zu jenem Dichter, der ihn ganz verstand, zu van Swieten, und bat ihn, es ihm möglichst musikalisch zu einem Oratorium einzurichten. Dieser that es mit Vergnügen, und kaum hatte Haydn das Gedicht, als er trotz seines Alters – er stand schon im 65. Lebensjahre – mit solchem Feuer an die Arbeit ging, daß er Tag und Nacht nicht vom Komponiren abließ. Er lieferte ein Werk, das eher einen Jüngling, als einen Greis vermuthen ließ.

Einige Jahre vor seinem Tode wurde Haydn von der Dilettantengesellschaft zu Wien zu einer Aufführung seiner Schöpfung eingeladen. Der ausgezeichnete Empfang machte auf den durch die Last der Jahre gebeugten Greis einen tiefen Eindruck; noch gewaltiger aber erschütterte ihn sein eigenes Werk, und bei der Alles ergreifenden Stelle: » Es werde Licht!« fühlte er sich dergestalt überwältigt von der Macht der Harmonien, die er selbst geschaffen, daß ihm die Thränen über die Wangen rollten und er mit emporgehobenen Händen ausrief: »Nicht von mir, von dort kommt Alles!« Er unterlag den ihn bestürmenden Gefühlen und mußte weggetragen werden. Kollin hat diese Scene durch ein schönes Gedicht verewigt. Sein Tod erfolgte am 31. Mai 1809 und sein Leichenbegängniß wurde trotz der in Wien damals herrschenden Unruhe feierlich begangen. Die von Menschen erfüllte Schottenkirche war schwarz ausgeschlagen und der Namenszug Haydn's war an den Säulen angebracht Während der Messe wurde Mozart's Requiem aufgeführt. Haydn's Leichnam ruht auf dem Gottesacker vor der Hundsthurmer Linie in Wien. – Als seine besten Schüler pflegte er selbst Pleyel, Neukomm und Nessel zu rühmen. Beethoven hatte nur kurze Zeit bei ihm Unterricht und brach sich bald eine neue ganz eigenthümliche Bahn.

Es ist ein eigener Zufall, daß die größten Tonkünstler der Welt, Haydn, Mozart, Beethoven, in unmittelbar auf einander folgender Lebensperiode während fünfzig Jahren alle drei in Wien lebten und auf einander einwirkend die Kunst rasch bis auf den höchsten Gipfel führten. Im Jahre 1814 ließ Neukomm aus Dankbarkeit gegen seinen Lehrer über dessen Grabstätte einen Leichenstein mit der goldenen Inschrift setzen:

» Non omnis moriar.«
(Ich werde nicht ganz sterben).

 

5.

Haydn's unerschöpfliches Genie hat sich in allen Gattungen der Musik hervorgethan; aber alle seine Werke, deren Zahl sich auf 1400 beläuft, athmen den Hauch der Schönheit und Anmuth. Jedes seiner Stücke ist ein abgerundetes Ganze und trägt das Gepräge des Genius aus jeder Seite. Seine Symphonien sind Meisterwerke voll Wahrheit und Natur; es paart sich in ihnen südlicher Wohllaut mit deutscher Kraft. Ueberall sprachen dem Künstler die Dinge zum Herzen und erweckten ihm Gedanken, die er musikalisch ausdrückte. Wollte er einen Gedanken zur musikalischen Darstellung bringen, so setzte er sich gewöhnlich erst an das Pianoforte und phantasirte so lange, bis der Gedanke zum Gefühl verdichtet wurde oder sich zur geeigneten Tonform ausbildete. Wie ist in den Oratorien Alles so tief und lebendig erfaßt und wiederum so einfach und klar dargestellt, daß Jeder meint, so würde er es selber ausgedrückt haben! Ein Kritiker sagt schön von Haydn's Kompositionen:

»Der Ausdruck eines heiteren kindlichen Gemüths herrscht in allen Werken Haydn's. Seine Symphonien führen uns in unabsehbare grüne Haine, in ein lustiges buntes Gewühl glücklicher Menschen; Jünglinge und Mädchen schweben in Reihentänzen an uns vorüber; lachende Kinder, hinter Bäumen und Rosenbüschen versteckt, werfen sich neckend mit Blumen. Es ist ein Leben voll Liebe und Seligkeit, wie vor der Sünde in ewiger Jugend!«

Man hat sehr passend das Verhältniß von Haydn, Mozart und Beethoven also bezeichnet: Haydn erbauete ein schönes, liebliches Gartenhaus, Mozart schuf das Gebäude zu einem prächtigen Palaste um und Beethoven setzte einen hohen Thurm darauf. – Heil aber dem Volk, das solche Komponisten sein nennen darf!


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