Agnes Günther
Die Heilige und ihr Narr
Agnes Günther

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Neununddreißigstes Kapitel: Der Märt

Märt stapfte finster und brütend herum. Den Festsaal wieder instand zu setzen, hatte er ums Leben niemand anderem überlassen. Harro mußte ihn machen lassen. Er verlangte, daß man es ihn zur Nachtzeit tun lasse, und daß ihm niemand dabei begegne. Dann standen die Fenster oben wieder eines Morgens weit offen und der Sommerwind spielte mit den seidenen Vorhängen.

Im Morgengrauen war ein Förster dem Thorsteiner Märt begegnet, wie er von der Römerwiese kam, verstört und befleckt, mit einem Spaten und einem Eimer in der Hand. Am Morgen war er wieder bei seiner Arbeit, grimmig und finster. Am Abend, als er an der Stalltüre lehnte, kam sein Herr auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte:

»Die Frau Gräfin läßt dich grüßen, Märt.«

Märt brummte etwas Unverständliches.

»Freut's dich nicht, Märt? Wir werden sie bald miteinander auf die Terrasse tragen.«

Märt hob seine trüben Augen.

»Mit dem Herrn Grafen sprechen möcht ich.«

»Na, Märt, ich steh doch vor dir.«

Aber er deutet auf den Turm dort. Harro steigt mit ihm hinauf in das kleine Zimmer, in dem ihm das Wunderbarste geschehen.

»Herr Graf, ich hab's getan.«

»Ja, im Festsaal... ich danke dir.«

Aber er schüttelt. »Nein, das andere...«

»Märt, was willst du...«

»Das Blut und das blutige Zeug... auf der Römerwiese hab' ich's begraben. Da schluckt's die Erde. Die muß es schlucken, das Blut. Daß es hinunterläuft zu den Unterirdischen... daß sie davon trinken und anschwellen und unter dem Boden dahinlaufen, immer weiter und weiter, bis sie den finden, der es getan hat. Und ein Vaterunser dazu gebetet hab' ich auch. Vergib uns unsere Schuld.« Märts überwachte Augen glühen aus seinem grotesken Kopf, jedes einzelne Haar sträubt sich und seine hornigen Riesenhände schlagen auf den Tisch, der davon zittert.

»Wie wir vergeben, hab' ich ausgelassen.«

Harro schüttelt und würgt es... etwas Unbekanntes, wie wenn wieder eine Hand nach ihm griffe.

»Was soll das, Märt? Warum muß ich das hören, du marterst mich.«

Aber der Märt redet weiter. »Der Herr Graf hat es gehört .... Sie gehen unter dem Boden, überall ist Boden, überall können sie hin .... Und dann klopfen sie an unter den Sohlen. Von dem, der das Blut vergossen hat. Und dann zuckt es ihm in den Füßen. Er muß laufen.« Der entsetzliche, der rasende Haß in seinem Gesicht. »Laufen muß er Tag und Nacht.« Seine Faust kracht auf dem Tisch. »Und wenn er ruhen will, sie leiden's nicht, sie klopfen immer weiter. Sie hetzen ihn um die ganze Welt herum oder in einer Stube im Kreis. Es ist ihnen gleich... Und sie gehen schnell. Jetzt schon haben sie ihn und ablassen tun sie nicht, bis er ganz bei ihnen ist. Ha, Polizei! Fängt einen und weiß nicht, ob sie ihn behalten will, und macht ein Geschwätz und fragt die Leute, die nie etwas dabei zu tun gehabt haben. Herr Graf, wir brauchen sie nicht. Wenn sie wieder kommen, lassen Sie mich die Kerls vom Hofe jagen. Und Herr Graf, wenn einer einmal kommt, der die Füße nicht still halten kann und tut, als brenne es unter ihm, der war es, den zeigen Sie mir.«

»Märt, du bist entsetzlich. Wenn die Frau Gräfin dich so sähe.«

Märt warf seinen Kopf auf den Tisch, auf seine Arme.

»Märt, das fühlst du selber, daß sie dich nicht so sehen dürfte. Sie wäre traurig, Märt. Der Unglücksmensch, der das getan hat, war doch kein Mörder. Er wird selbst toderschrocken sein über das, was er angerichtet...«

Märt sah auf und sagte trotzig: »Das glauben der Herr Graf selber nicht.«

»Aber Märt, natürlich glaub' ich's. Ich habe nie einen andern Gedanken gehabt... Märt, auf was für Wegen läufst du. Dein Zauberwerk ist schauerlich. Gräßlich ist's. Mit dem Blut, das aus ihrem lieben Herzen geflossen, willst du einen Höllenbann ausüben? Zum Ekel bist du mir, Märt, mit deinem scheußlichen Aberglauben! Wenn mich nicht die stärksten Bande mit dir verbänden, so würde ich jetzt sagen: pack deine Sachen und geh aus meinem Umkreis.«

Märt zitterte vom Kopf bis zum Fuß. »Das tun der Herr Graf nicht. Ich kann ja bloß hier leben auf dem Thorstein. Da müßte mir der Herr Graf gleich den Strick dazu geben.«

»Ich tu es auch nicht, das weißt du sehr wohl. Aber sage selbst, wenn die Gräfin davon erführe – –«

»Aber daß der Herr Graf den laufen lassen, der das getan hat. Die Frau Gräfin, daß man sie aufschnallen muß auf einen Tisch ...«

»Das hat sie uns gerettet, Märt.«

»Ja, wenn es wahr ist. Sie wird doch nie lachen und in Silberkleidern herumgehen und den jungen Herrn auf dem Arm tragen. Ich hab's auch ganz allein gemacht, daß der Herr Graf nichts damit zu tun haben. Und wenn's ein Höllenbann ist, so kommt es auf mich ganz allein, aber der, der es uns angetan hat, der soll nimmer lachend herumlaufen und in den Spiegel gucken und Glitzerzeug an sich hinhängen.«

»Märt, komm zu dir. Sobald die Leibwache des Doktors fort ist, so nehm ich dich zu der Gräfin. Wenn du sie siehst, wird es dir besser. Sie wird ja wieder gesund.«

Und Harro ging mit einem schweren Druck am Herzen die Treppe hinunter. Märts wilder und düsterer Unsinn quälte ihn, und es war doch etwas dabei, das ihn rührte. Und Märts dämonische Rachelust, erweckte die denn gar kein Echo in ihm? Wenn Märt recht hätte, wenn es einen Menschen gäbe, der ihnen nachgeschlichen, die Waffe in der Faust und nach dem liebevollsten Herzen zielend? Grausam und feig zugleich und nachher verschwindend, als habe der Boden ihn aufgenommen, und jetzt sich seiner Untat freuend? Nein, das war ein Phantasiezerrbild aus einem Kolportageroman. Märts Wildheit hatte ihm das Bild suggeriert. Und er wanderte im Hause herum, und es litt ihn nirgends, als finge Märts Zauber bei ihm zu wirken an.

Und Rosmaries Zimmer ist ein verschlossenes Paradies. Sie liegt da und hat heute zum erstenmal ihren linken Arm losbekommen und ihre Kissen, und Babette hatte angefangen ihr Haar zu entwirren. Solange Schwester Johanna es duldet. Dann hat sie plötzlich aufhören müssen, und nun liegen die goldenen Haarsträhne über das Bett zerstreut und das Sommerwindchen spielt mit den Enden. Schwester Johanna hat ihre grobe, ganz geräuschlose Häkelarbeit in der Hand, man meint fast, sie hätte ein wenig rote Wangen. Und sie muß von dem Hause erzählen, des Herrn Professors Privatklinik, wo sie arbeitet.

Und Rosmarie hört ihr zu und macht sich ihre Gedanken über das feine blasse Mädchen und ihren Herrn Chef. Daß sie bei all den schwer Operierten wacht die erste Nacht. Immer sie, daß der Herr Professor das niemand anderem anvertraue.

»Da sehen Sie auch viel Jammer, Schwester Johanna.«

»Man sieht viel, ja ... aber Besuche dürfen da nie herein. Wie der Herr Graf.«

»Müssen die immer allein liegen und leiden, die Armen?«

»Manchen lese ich ein paar Worte vor, wenn sie es sehr verlangen, Durchlaucht. Aber ich habe noch nie so Angst gehabt wie damals, als ich den Herrn Grafen hereinließ.«

»Es hat mir gut getan, Schwester Johanna, und meinem Manne auch; nun laßt ihr mich ja so allein liegen.«

»Es hätte auch Frau Gräfin töten können.«

»Ach, an der Freude stirbt man nicht. Der Schrecken, ja mittags, als ich den großen Schrecken hatte, das hat mir weh getan. Das hat mich leiden gemacht.«

»Und auf zweiundsiebzig ist der Puls auch nicht wieder gekommen, bis jetzt noch nicht, Frau Gräfin.«

»Das will ich Ihnen sagen, warum. Weil ihr immer den Herrn Grafen hinausschickt und er traurig da herumgeht, und darum bin ich auch bekümmert, und wie soll mein Herz da überhaupt besser werden.«

»Bis morgen, Durchlaucht,« schmeichelt Schwester Johanna. »Nur noch bis morgen, da werden Sie auf die Veranda getragen.«

»Und soll ich da allein liegen?«

»Nein, der Herr Graf muß auch dabei sein.«

»Ach, Schwester Johanna, darum könnt ihr auch heute meinen Mann hereinlassen. Er hat ein Verlangen nach mir. Ich fühl's. So etwas fühle ich. Und mein Herz wird doch nie mehr so ganz richtig.«

»Durchlaucht werden wieder ganz gesund, sagt Herr Professor. Es ist ja keine Krankheit gewesen, bei der das Übel im Blut liegt oder ein Organ sich schlimm verändert hat. Darum ist doch alles schon geheilt.«

»Ja, aber ein Unterschied ist da, Schwester Johanna, ein sehr großer Unterschied. Sehen Sie, vorher in all den letzten drei Jahren hatte ich überhaupt kein Herz, das heißt, wenn ich sehr erregt war, da fühlte ich etwas klopfen, aber sonst, da tat es seine Arbeit, ohne daß ich etwas davon merkte. Wie all die merkwürdigen Dinge, die man im Körper hat und die mein Mann auf großen, sonderbaren Karten gemalt hatte. Sehr viel sonderbare Dinge sind's. Die fühlt man doch auch nicht. Aber das ist nun so ganz anders... so ganz anders. Ich habe immer ein Herz. Keine Sekunde, in der ich es nicht hatte. Es tut seine Arbeit nicht mehr gerne. Es nimmt einen Anlauf und hat einen guten Willen, und ich nicke ihm zu und denke, nun strengt es sich an und will seine Sache gut machen, und dann lahmt es wieder und gibt sein Geschäft überhaupt auf. Das ist sehr hart, und es muß doch wieder noch eine Weile... so widerwillig es ist. Liebe Schwester Johanna, kann man das wohl sehr lange aushalten? Diesen Handel mit seinem Herzen?«

Schwester Johanna sieht eifrig auf ihre Häkelarbeit. Ach, sie ist so betrübt, sie hat Mühe, ihre Tränen zu verbergen, und ist doch alles gewöhnt in ihrem weißen Hause in Würzburg.

»Das ist, weil Durchlaucht noch müde sind. Noch angegriffen von dem schweren Leiden. Durchlaucht sehen schon ganz anders aus. Nach so schweren Operationen sind manche Kranke heruntergekommen wie ein Schatten, und in einem halben Jahr kennt sie keiner wieder.«

»Was ist eine Woche. Ach, ich meine, es seien Monate, seit ich auf der Sommerwiese ging und... Glauben Sie, daß das Herz später einen Gang erlaubt?«

»Oh, einen kleinen Gang.«

»Sie wissen, daß es nicht erlaubt ist, daß ich mich allein aufrichte. Es tyrannisiert mich fürchterlich, Schwester Johanna. Wir vertragen uns sehr schlecht, mein Herz und ich. Tue ich ihm nicht jeden Willen, so kündigt es mir: Ich arbeite nichts mehr, dann sieh, wie du auskommst. Natürlich gebe ich nach.«

»Wenn Durchlaucht ganz ruhig liegen. Die Arme so, wie der Herr Professor es wünscht.«

»Und Schwester Johanna, wenn ich nun wirklich so still liege ... und mich um es kümmere und es in guter Laune zu halten versuche ... Das kann doch nicht immer so bleiben. Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt. Ich kann doch nicht von jetzt ab ein ganzes Leben unbeweglich auf dem Rücken liegen und hinausstarren. Und das Himmelsstückchen? Und meine Arme so halten wie der Herr Professor es wünscht.«

»Durchlaucht werden auf die Terrasse getragen. Jeden Tag kommt es ein wenig besser. Durchlaucht werden daran denken, wie es allmählich immer besser wird.«

»Wird es das?«

»Nach sechs Tagen, Durchlaucht! Wenn manche nach sechs Wochen noch nicht so weit sind, wie Sie jetzt!«

Am nächsten Tag im Schmollzimmer auf der Chaiselongue, die quer an der offenen Glastüre steht, ist es schon besser. Der Fürst sitzt neben ihr mit dem wundervollen Rosenstrauß, den er gebracht hat. Klein Heinz spielt auf der Veranda mit seinen ersten Baublöckchen, mit denen er allerdings vorderhand nur Lärm machen kann. Und Harro lehnt an der offenen Türe, lang, mager und traurig. Jeden Tag hat der Silberschimmer auf seinem Kopfe zugenommen.

Sie sprechen jetzt von der Fürstin und ihrer Krankheit. Sie findet keine Ruhe, nur mit künstlichen Mitteln kann man ihr Schlaf verschaffen. Bis sie die bekommt, quält sie ihre Leute stundenlang. Das schrecklichste ist, daß sie gar nicht still sitzen kann. Keinen Augenblick bleiben ihre Füße auf dem gleichen Platz. Man hat sie zu Bett gelegt, aber da ist es noch schlimmer geworden. Nun geht sie eben herum, bis sie von Müdigkeit beinahe umfällt.

Draußen kracht plötzlich ein Tablett zu Boden mit allerhand Glas und Silbergeschirr. Märt hat das Silber geputzt und ins Büfett hereingetragen im Eßzimmer. Rosmarie ist natürlich erschrocken, aber Harro noch viel mehr, ganz grau ist er geworden. »Ich dächte, Märt zerschlage nie etwas,« meint der Fürst. »Nun, er ist doch nicht ganz unirdisch vollkommen.«

Harro geht ins Eßzimmer, da lehnt der Märt an der Wand, die Scherben und das Silber um ihn herum, und macht nicht den leisesten Versuch, es aufzuheben. Einen Augenblick sehen sich die beiden an, dann flüstert Märt: »Es kommt nur auf mich, Herr Graf, es kommt nur auf mich ...«

»Du bist ein Narr, Märt, ... und solltest dich schämen, neben der Frau Gräfin.«

Der Fürst kommt herein: »Na, Märt, so zerschmettert sind Sie. Nun machen Sie sich keinen Kummer, ich werde alles ersetzen, schicken Sie die Sachen herüber, man besorgt es Ihnen ... Kommen Sie zu meiner Tochter, sie möchte Sie sprechen.«

Märt wirft einen jammervollen Blick nach seinem Herrn, daß der Fürst denkt, wenn sie doch bei mir über jeden Glaskrug sich so beelendeten! Märt putzt lang an sich herum und dann tappt er hinein, noch schwerfälliger als sonst. Weiß Gott, was er erwartet haben mag ... ein tiefer Seufzer der Erleichterung. Da ist sie ja, die Herrin! Und ihr Haar ist so golden und weich wie je, die schönen Augen noch schöner, fast ein wenig schmaler und blasser das Gesicht, und so schön auf ihren Kissen in dem zarten weißen Seidenkleide ... Und sie streckt die schmale Hand nach ihm aus. »Märt, freust du dich, daß ich wieder so weit bin? Gib mir doch die Hand.« Sie muß es zweimal sagen, bis er es tut ... und dann liegt die feine Hand wie ein Rosenblatt auf seiner harten Riesenfaust.

Und bei der Berührung fallen ihm seine Sünden ein ... oh. wenn sie wüßte! Und nun hat der Zauber schon gewirkt. Und es wird ihr nicht recht sein! Oh, wie ihm die sanften Augen wehtun. Nein, sie ließe die Hand nicht darauf, wenn sie ihn mit dem Spaten gesehen hätte. Keinen Ton bringt er heraus. Nur ein rauhes Seufzen.

»Lieber Märt, hast du dich so gegrämt um mich?« Er nickt mit seinem widerborstigen Dickschädel, und sein Gesicht zuckt komisch und schauerlich zugleich. »Oder hast du noch einen andern Kummer, Märt?« Oh, die Frau, die Frau – – – sie sieht ihm ins Herz ... sie sagt vielleicht wie der Herr Graf: Geh, Märt! Dann kann er nur noch zu dem nächsten festen Tannenaste laufen, den Strick dazu hat er schon in der Tasche.

»Lieber Märt, du hast einen Kummer, ich seh's dir an. Wir alle haben Kummer gehabt. Wenn ich einmal im Garten bin und du krautest, dann kommst du und erzählst es mir. Jetzt ist der Fürst da. Wir müssen alle unsere Last tragen, Märt!«

Und Märt geht hinaus, er hat noch eine Lebensfrist. Es ist späte Nacht, als er in seinen Turm steigt und sich seine Lampe anzündet, was er sonst niemals tut. Sein Bett findet man auch im Finstern. Er holt sich aus seiner Kommode ein altes Gesangbuch heraus. Da liegt das silberbeschlagene seiner Mutter, aber er greift nach dem seinigen, das tut's auch noch. Seit der Militärzeit hat er's nicht aufgemacht. Die Predigt verstand er schlecht und die »Leut« waren ihm überhaupt zuwider. So mochte er auch nirgends hin, wo ihrer viele beisammen waren. Er blätterte darin und las die Überschriften, aber sie verwirrten ihn nur. Der Bann, der Höllenbann ... Seine milden, rachsüchtigen Gedanken hatten immer die Fürstin umkreist wie Bluthunde.

Märt hatte eine Freundschaft mit der Babette, aber durchaus nichts Erotisches, nein, sondern Märt war ein solcher Beisprung und Alleskönner, daß jedes weibliche Wesen ihn schließlich schätzen lernte, und mit Babette verband ihn die gleiche Liebe zu der Prinzessin. In seinem Herzen nannte er sie stets so. Und von Babette hatte er doch manches gehört. Und gesehen hatte er auch. Die Fürstin pflegte ihre Dienstboten überhaupt wie Möbelstücke zu gebrauchen. Man sagt auch nicht, ich danke, du Stuhl, oder was denkst du, Kommode? Märt hatte schon immer ein Mißtrauen gegen die hohe Dame gehabt, und Babettens Geschichten hatten eine andere Farbe bekommen.

Und da saß er und blätterte noch immer in dem Gesangbuch. Geschehen ist geschehen. Und sein Herr ist gerächt. Und aufzukommen braucht nichts. Keine Polizei braucht zu schnüffeln und dumm zu fragen. Aber von Rache steht in dem Buche nichts. Ja in der alten Bibel dort, da steht genug davon. Aber seine Mutter nahm immer das Gesangbuch, wenn sie »beten« wollte ... Die Bibel ist für die Pfarrer, meinte sie, daß sie daraus predigen.

Sterblieder ... Vorbereitung auf den Tod ... Märt seufzt schwer. Wenn sich einer vielleicht henken muß, dann kann er das nicht brauchen, an einen guten Ort kommt der nicht. Trostlieder ... Aber es will kein rechter Trost herausspringen. Geschehen ist geschehen. Für seinen Kummer steht nichts darin, von seinem Haß nichts und von seiner Liebe nichts. Da fällt ein Blättlein heraus – Ach, das haben die Singbuben gesungen vor dem Sterbehaus seiner Mutter. »Ich bin ein Gast auf Erden und hab' hier keinen Stand ... der Himmel soll mir werden. –« Ach, er schüttelt ... nein, das hat er verspielt ... mit dem ist's aus ... der Höllenbann, hat der Herr Graf gesagt ... Und so fein tröstlich wie das Lied weitergeht ... »Was ist mein ganzes Wesen von meiner Jugend an als Müh und Not gewesen, so lang ich denken kann ...« Der Märt nickt. Das Lied weiß es ... »Hab' ich so manchen Morgen, so manche liebe Nacht mit Kummer und mit Sorgen des Herzens zugebracht.« – Oh, das tut wohl, und den Morgen, wo man die Frau Gräfin auf der Bahre hinaufgetragen hat, den weiß das Lied auch. Sein Finger klebt an den Buchstaben. Ja, das Lied ist gut für alles. »Ich habe mich ergeben in alles Glück und Leid. Was will ich besser haben in dieser Sterblichkeit ...« Ja, hat er denn nicht immer vorher schon Salzkörner gestreut? Weil die zu viel Glück hatten ..., mehr als andere Leute zusammen. Ganz deutlich sagt's das Lied. »Es muß ja durchgedrungen, es muß gelitten sein, wer nicht hat wohl gerungen, geht nicht zur Freude ein.« Ach, wenn das Lied auch noch etwas für ihn wüßte. Daß er loskäme von dem Höllenbann! Daß es nicht ein Judasende nehmen muß mit ihm, wenn die Frau Gräfin auch sagt: »Märt, du bist mir zum Ekel. Geh Märt.« Ach, das kann er nicht aushalten, das kann er nicht: der Thorstein, die Tauben, der kleine und der große Herr. Und die Frau, ach, die Frau! Da schlägt das Geziefer mit den Flügeln und gurrt und ruckst und weiß nicht, wie es ihm ist, so daß der Turm vielleicht leer wird.

Sein Finger kriecht weiter ... »So will ich zwar nun treiben ... Mein Leben durch die Welt ...« Oh, das Lied, das gute Lied, – noch einmal fährt sein Finger nach ... Es steht wirklich da. Als hätt' es die ganze Zeit auf ihn gewartet, so steht es da ...: »So will ich zwar nun treiben mein Leben durch die Welt ... Doch denk ich nicht zu bleiben in diesem fremden Zelt ... Ich wandre meine Straße, die zu der Heimat führt, da mich ohn' alle Maße mein Vater trösten wird.« Ist das nicht zu viel für dich, Märt! Wenn du auch noch getröstet werden sollst... Und der Höllenbann, Märt... Und die Flüche, die du eingegraben hast, und das verstümmelte Vaterunser.

Der Märt steht auf und nimmt den Spaten. Er schleicht sich hinaus in die Nacht auf die Wiese, wo die zerknickten Blumen trauern und die Käuze in Scharen fliegen ... Der Nachtwind heult, und ein gelber halber Mond scheint... wie es sich regt und rührt in dem Walde. Da klopft etwas wie ein banges Herz, da huscht's und raschelt's, und die Zweige bewegen sich, als winke jemand mit ihnen. Wenn es nur hilft! Aber es muß helfen. Und wenn die Unterirdischen sich auf ihn stürzten, daß er selber laufen müßte bis ans Ende der Welt, wenn er nur den Höllenbann loskriegt. Es ist das stärkste Zeichen zwischen Himmel und Erde. Von dem Haselnußbusch schneidet er Zweige und verbindet die in der Mitte, daß es ein kleines Kreuz wird. Da ist die Stelle am Rain, wo er das blutbefleckte Bündel vergraben hat. Moos hat er darauf gelegt, daß man's nicht sieht. Der Mond hilft ihm. Er kniet nieder und steckt das Kreuzlein tief in den Boden hinein. Und dann überwältigt ihn wieder der Schmerz. Sie muß sterben, die Frau Gräfin. Die mögen's anders sagen, er hat's ihr angesehen an ihren Augen. Er, der für alles Lernen einen so verzweiflungsvollen harten Schädel gehabt hat, er hat die Worte behalten: »Ich wandre meine Straße, die zu der Heimat führt.« Ja, da wird sie hingehen, die Frau, die liebe Frau ... und sie werden ihr nachsehen, der große und der kleine Herr... Er kniet schon auf ihrem Grabe, der Märt... Ach, und da muß ja aller Zorn und das Wilde und Böse schwinden. Und der letzte Rest vom Höllenbann muß hinweg ... Vater unser im Himmel... vergib uns unsere Schulden, wie wir vergeben unseren Schuldigern. Laut und rauh hallt es über die blutbefleckte Römerwiese, auf die der gelbe Mond scheint, wo die zerknickten Blumen trauern und die Käuze ihre zackigen Flüge ziehen.


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