Agnes Günther
Die Heilige und ihr Narr
Agnes Günther

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Sechsundvierzigstes Kapitel: Die Entscheidung.

Hans Friedrich ist von Brauneck nicht zurückgekehrt. Der Wagen hat sein Gepäck geholt ... er hat eine kleine Reise angetreten, von der er in einigen Tagen wieder zurückzukommen hofft ... Rosmarie und Harro sind in den nächsten Tagen im Atelier verschwunden und haben die Türen geschlossen; Tante Ulrike steht Todesängste aus, ob ihr Kind von diesem ungeduldigen Harro auch versorgt und nicht zu sehr angestrengt wird. Aber man sieht ihr am Abend nicht viel an, wenn Harro sie wieder herüberträgt und Tante Ulrike übergibt. Es ist, als ob sich Harro ein wenig beruhige, die Arbeit ihm gut tue. Die alte Dame meint schon: »Rose, dein schlimmer Mann wird wieder menschlicher...« »Er war nie schlimm,« wehrte sich die Rose, »und daß er Kummer mit mir hat, wirst du ihm doch nicht verdenken.« Aber dann gestand sie doch: »Vor den nächsten Tagen fürchte ich mich. Heute morgen hat er endlich die Zusage bekommen, daß die zwei Herren, der eine von Berlin, der andere von Königsberg kommen, um an mir herumzuhorchen. Ich habe ihn selbst bitten müssen, mit dem Malen aufzuhören, weil er alles verdarb, so aufgeregt war er darüber... Tante Uli, wenn das glücklich vorüber wäre.«

Tante Uli wehrte mit den Händen ab. »Ich kann mir nicht denken, Kind, was sie Schlimmes mit dir tun könnten.«

»Das ist es nicht. Mögen sie. Das ist so gering gegen alles, was Harro nun wieder ausstehen wird. Er war schon so schön in seiner Arbeit: Der Hintergrund, die Bäume, das ist alles angelegt, ja großartig baut sich das auf. Ich vergaß alles über dem Zusehen. Und nun muß das kommen.«

»Kind, du kannst doch nicht erwarten, daß wir mit den Händen in dem Schoß deinem Leiden zusehen.«

»Uli, nimm dich doch um Harro an, wenn die Herren da sind... Ich bitte dich.«

»Kind, was werd ich dich allein den fremden Menschen überlassen.«

»Ach, das sind doch Ärzte, die gehen von einem zum andern und haben mich morgen vergessen. Lisa kann helfen, wenn es nötig ist.«

»Kind, ich hoffe, daß sich Harro zusammennimmt, ich will ihn vorher noch ein wenig zurechtschütteln. Rose, den allereinfachsten und leicht zu behandelnden Mann hast du gerade nie gehabt... aber jetzt.«

»Uli,« klagte die Rose, »willst du mich betrüben?«

»Nein, Kind, aber es fällt mir ein, daß ich von deinem maßlos sanften Ehegatten einen Auftrag habe. Auf Diplomatie verstehe ich mich nicht. Ich soll herausbringen, warum du nach Brauneck willst ... und es deinem Vater versprochen hast ...«

Die Rose errötete. »Uli, ich sag's nicht gern ... den Vater wird es freuen, Uli. Es ist meine Heimat. Solang Mama da war, konnte ich mich ja kaum dort an den Tisch setzen, so regte es sie auf. Uli, meine alte Heimat!«

»Harro meint, das Goldhaus sei jetzt deine Heimat ... Und was du denn hier vermissest?«

»Ich vermisse nichts ... gar nichts. Es ist nur zu schön und vollkommen hier ... und so lieb alles ... ja verstehst du denn nicht, Uli ... Wenn wir nach Brauneck gehen, gehen wir doch alle ... Du und Harro und Heinz und die Babette und Märt.«

»Na der Märt, was soll der in Brauneck? Ich denke immer, ihr habt Lakaien genug.«

»Märt ist kein Lakai. Er muß doch Harro helfen, wenn ich getragen werde. Und Harro braucht ihn auch sonst.«

»Kind, du hast immer noch nichts gestanden, und was ich Harro sage, weiß ich nicht.«

»Tante Uli, liebste, gute, alte Trostmutter, hilf mir nach meinem alten Brauneck. Und Harro sagst du: Ich wollte eben. Das ist auch ein Grund. Und wie hartnäckig ich dann bin, das wißt ihr ja alle.«

»Also du vertraust dich mir auch nicht an, Kind!«

Die lange schwarze Gestalt der Gräfin erhob sich, sie stand einen Augenblick am Fenster, dann kommt sie langsam zurück und setzt sich an Rosmaries Bett und faßt ihre beiden Hände.

»Uli,« fleht sie, »ich brauche dich so nötig, und alles Ausdenken nützt nichts, wenn du nicht hilfst. Du siehst ein, daß ich meinem Harro beistehen muß. Das muß ich doch.« Ulrike nickt ihr zu. »Daß nicht das Bitterste auf ihn kommt. Und dann, Uli, sieh mich doch nicht an, als ob ich ein vergoldetes Biskuitporzellan wäre. Ich denke ganz genügend auch an mich selbst. Und dann mußt du einsehen, daß Leben hier im Goldhaus ja wunderbar schön und leicht und festlich ist. Sterben kann man in Brauneck besser. Denk, die alten Mauern, die Galerien, in denen die seufzenden Winde gehen. Wie viele sind da schon gestorben, die Wände hängen ja voll von alten Seufzern. Ich könnte mir gar keinen besseren Ort zum Sterben denken. Die vielen Bilder, mit den gemalten Augen sehen sie einen an und sagen, wir haben es alle gelernt. Die Treppen, die widerhallen von Schritten derer, die einmal da gegangen sind. Du weißt, als Kind habe ich manchmal einen oder den andern von den alten, stillen Leuten, die keine Schatten werfen, auf den Gängen und Treppen gesehen und nie begreifen können, daß man sich vor ihnen fürchten könne. Sie schienen mir immer recht freundlich zu sein und ein Wohlwollen für mich zu haben. Du siehst also, wie gut ich da versorgt bin. Dann kenne ich doch die feierliche Zeremonialkutsche, die in so alten, wohl ausgefahrenen Gleisen rollt. Alles, was Harro auf seinem armen Herzen sägen würde, das geht von selbst. Fräulein Berger ist allem gewachsen. Wenn Harro dieses ganze Kapitel hier hätte, so würde er das liebe Goldhaus, das geliebte Haus, ... denk Uli, was da alles hineinverbaut ist von Sorge, Arbeit, Liebe, Kunst, Entbehrung, Mühsal, Opfer, Hoffnung, und das soll ihm nun alles vergällt werden! O mein armer Harro, nein, ich sorge für dich, ich muß für dich sorgen. Denk an den Festsaal, Uli, und daß er den nicht mehr betreten hat, seitdem sie mich herausgetragen haben. Soll er denn seine Empfangshalle mit dem Kinderbrunnen gedichtet und gebaut haben, daß mein Sarg darin steht! Die Braunecker Galerien und Treppen sind Särge gewöhnt. In der Kapelle im Boden liegt das große Kreuz, worauf sie gestellt werden, und die Säulen, an denen bei unserer Hochzeit die Rosenkränze hingen, haben die Haken, woran man die schwarzen Tücher hängt. Meine alte Kinderfrau erzählte mir davon, wie meine Mutter dalag mit meinem jüngsten Brüderchen im Arm. Ich wollte immer wieder ganz genau davon hören, denn ich beneidete doch das Brüderchen um seinen Platz. Da ahnte ich ja nicht, Uli, daß noch einmal eine Mutter auf mich warte und mich in ihre lieben Arme nehmen würde, wenn es mir am allernötigsten wäre. Du bist meine süße, beste Uli, weil du mich meine Fäden spinnen läßt.«

»Laß deine alte Uli, Kind, und sag mir von dir. Das denkst du dir also aus, wenn wir dich unter den Rebengang bringen zum Ausruhen.«

»Nein, Uli, das sind meine Rebenganggedanken nicht ... das sind meine Gedanken beim Vogel Rock. Harro lassen wir das alles nicht wissen.«

»Nie, Rose? Dann kennt er auch deine ganze große einzige Liebe nicht... Ich möchte ihn einmal nicht darum berauben.«

»Ach, er weiß schon, daß ich ihn lieb habe... er soll nur möglichst wenig gequält werden. Wir gehen auch jetzt noch nicht nach Brauneck. Erst wenn es mir so zumute ist, daß ich mich notwendig von meinem alten Lindenbaum am Lindenstamm trösten lassen muß. Und wir machen auch keinen feierlichen Auszug, Uli, sondern eines schönen Tags bekomme ich brennendes Heimweh nach Brauneck. Du Uli – hörst du! – sagst: man muß ihr den Willen tun, nun haben wir sie so verwöhnt und müssen sie haben, wie sie ist, – und du kennst ja ihre Hartnäckigkeit. Sie gibt doch keine Ruhe. Und dann muß es sehr schnell gehen, Uli. So schnell, daß ich mich nicht mehr umdrehen kann nach dem Goldhaus und Märts weißer Laube und dem singenden Brunnen. Hoffentlich ist mir's dann recht schlecht, daß ich mit mir selbst zu tun habe. Und ihr alle kommt nach und nach herüber. Märt auch, Uli. Seine Tauben muß er freilich jemand anderem anvertrauen. Uli, hilfst du? bist du meine einzige, meine...«

»Still Kind, ganz still... Ich helfe dir in allem.«

»Und jetzt, wenn wir die Professoren überstanden hätten. Wenn sie Harro nur ein Fetzchen Hoffnung machen, dies oder jenes würde mir gut tun, so wird er sich darauf stürzen. Wenn das überstanden wäre, Uli, und die schon wieder davon gesurrt wären mit ihrem Auto...«

Die beiden Herren kamen am Morgen an mit dem Herrn Hofrat, und die schneeblasse Rosmarie wurde ihnen ausgeliefert. Ihre sanften Augen waren ganz finster und sie war kaum zu den notwendigsten Antworten zu bringen. Über Harro brausten wieder alle Furien. Er stand oben am Fenster neben dem Saaleingang und wartete. Endlos, wie es ihm schien. Nun kamen die Herren heraus und gingen sofort in das Eßzimmer, wo sie sich einschlossen.

Harro wollte zu seiner Frau hinein, aber Ulrike duldete es nicht, sie sei von der Untersuchung zu sehr angegriffen. Endlich ging die Tür auf, die Herren kamen heraus, und der Älteste, eine sehr liebenswürdige, sympathische Persönlichkeit, winkte den Hausherrn herein. Dann ging eine Flut von Worten über ihn hernieder. Der Zustand Ihrer Durchlaucht entspreche allerdings nicht ganz den Erwartungen, die Professor B. zu hegen sehr viel Grund gehabt habe. Nun wurde dem Herrn Hofrat in seiner Behandlung ein vorsichtiges Lob erteilt, und jeder der Herren machte einige Vorschläge. Ihre Durchlaucht solle zu gehen versuchen, und noch anderes wurde gewünscht. Im nächsten Jahr vielleicht eine Kur in Nauheim. Eine längere Kur. Für den Augenblick war zwar der Aufenthalt auf Thorstein denkbar günstig, die Höhenlage, die reine Luft und Ruhe. Harros unruhige Augen irrten von einem der fein ausgemeißelten Gesichter zum andern, die so gar nichts verrieten. Dann erhoben sich die Herren, ein Frühstück lehnten sie ab, da sie von Brauneck kamen und dort bei Seiner Durchlaucht gefrühstückt hätten. Harro atmete tief und stützte seine Hand auf den Tisch, daß die Eichenplatte knarrte. Und seine Augen, seine wilden, flammenden Augen herrschten sie an und er sagte:

»Sonst haben mir die Herren nichts zu sagen!«

»Wir sind zu jeder Auskunft gern bereit, Herr Graf.«

»Diese Kur in Nauheim, was versprechen Sie sich davon, warum erst im nächsten Jahre? Der Winter ist lang.«

Wieder eine Flut von Worten über unerwartete Folgeerscheinungen, unglückliche Narbenbildung möglicherweise...

Der Herr Hofrat steht sachte auf und geht auf die Terrasse. Harro sieht ihn hinausgehen und wird blaß bis an die Lippen ... Er hört gar nicht mehr, was sie sagen... dann rafft er sich zusammen.

»Sie sprechen vom nächsten Jahre, von einer Kur im nächsten Jahr...«

Der Königsberger erhob sich. »Herr Graf, wir sprechen nur von einer Eventualität.«

Einen Augenblick sieht es aus, als ob Harro sich auf ihn stürzen wolle... »So, von einer Eventualität. Ich muß, mich in Ihren Ausdrücken erst zurechtfinden...«

»Ein solches Leiden, das ist immer unberechenbar... wir hoffen natürlich das Beste... und müssen uns gefaßt machen, es wäre ein Unrecht, es zu verschweigen. Auch auf eine plötzliche Änderung, Herr Graf.«

Harro verneigt sich.

»Der Herr Hofrat wird Sie ja in allem beraten.«

Dann tutet das Auto und die Herren werden von der alten Gräfin und Harro hineinkomplimentiert. Der Herr Hofrat ist verschwunden, der sitzt an Rosmaries Bett und hält die zuckende Hand.

»Nein, Durchlaucht, wir haben nichts Schlimmes beschlossen, ganz und gar nach Ihren Wünschen, hier oder in Brauneck, und mit dem Herrn Grafen werde ich jetzt einen kleinen Gang machen.«

Als das Auto hinter den Bäumen verschwunden ist, wendet sich Harro zu der alten Dame: »Nun, Tante, für einen Menschen, dem eben sein Todesurteil präsentiert worden ist, habe ich mich doch gut benommen.«

»Harro,« fleht die alte Dame, »laß das Kind nicht deine wilden Augen sehen, es ängstigt sich wieder um dich.«

Der Herr Hofrat berührt sanft seinen Arm. »Gehen wir ein wenig zusammen, Herr Graf.«

In dem davonfliegenden Auto sagt der Königsberger zu dem Berliner Kollegen: »Ein ganz unheimlich eruptiver Mensch, dieser Graf Thorstein, und eine sehr sonderbare junge Dame ebenfalls. Ich diagnostiziere auf eine unglückliche Ehe.«

»Na, hören Sie mal, er sah doch nicht aus, als ob er seine Frau los zu werden wünsche, mehr als ob er sich auf uns stürzen wolle, weil wir ihm nichts Besseres sagen konnten.«

»Ja, aber die Dame! Eisig gleichgültig, als ob es sich gar nicht um sie handle... sie sah auch beständig nach der Türe..., als ob sie etwas erwarte, vielleicht ihren Feuerbrand von Gemahl.«

»Es könnte auch sein,« darauf der Berliner, »daß sie eine äußerst geringe Meinung von unserer Kunst hätte... oder sie gar nicht wünsche.«

»Unglücklich verheiratet und von ihrem Leiden bereits so zermürbt, daß sie sich aus dem Rest nichts mehr macht. Nur als wir ihr sagten, daß wir sie jetzt zu keiner Kur fortbringen wollten, wurde sie gnädiger und taute ein wenig auf. Aber das Schicksal oder der Zustand des Herrn von Thorstein schien sie gar nicht zu interessieren. Nicht eine einzige Frage, Herr Kollege... Die Dame ist unglücklich verheiratet, das dürfen Sie mir glauben.«


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