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Ein junger Mann, begann Schlurck, der sich Wildungen nannte, erschien vor einigen Tagen am Fuße des Schlosses in Hohenberg, um dort einen Gegenstand zu reclamiren, der nichts mehr und nichts weniger als ein Schrein, eine einfache Kiste ist. Er gibt vor, daß ein Fuhrmann, dem er diesen Schrein anvertraute, ihn verlor. Und in der That bin ich es selbst, der durch Zufall diesen Schrein gefunden hat. Ich ließ ihn, um des Eigenthümers sicher zu werden, angezogen von einem merkwürdigen Zeichen auf seinem Deckel, öffnen. Er enthält die beglaubigten Ansprüche der Nachkommen einer Familie Wildungen auf gewisse, ihn vom Johanniterorden vor Auflösung des alten Tempelhauses in Angerode, zuerkannte Güter. Diese Güter sind alle die städtischen Besitzungen, die sich jetzt in den Händen unsrer Commune befinden. Ein alter Comthur, Hugo von Wildungen, trat sie nicht an, weil er katholisch blieb und die Plünderung der Verlassenschaft des protestantisch gewordenen Ordens verabscheuen mußte. Später ertheilte ihm der römische Stuhl einen Dispens. Aus politischen Gründen, um katholische Interessen mitten in protestantischen Landen gefördert zu sehen, durfte er nun den Besitz antreten. Er starb. Die Documente wurden nach Angerode geschickt. Während die Stadt die Verwaltung der demnach der Familie Wildungen gehörenden Besitzungen für sich antrat, gingen die Documente im alten Tempelhause zu Angerode verloren. Sie sind jetzt gefunden worden. Wo? Wie? Von Wem? weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß Jemand irgendwo im Mondenschein vom Anblick des vierblättrigen Kreuzes so überrascht wurde, daß er... Genug, die Documente über die Ansprüche der Familie Wildungen sind da und wer sie besitzt, wer sie mit Eifer in Plessen, wo sie verloren gingen, suchte, ist – sonderbar – Prinz Egon!
Pauline hörte voll Aufmerksamkeit zu, schüttelte den Kopf und meinte:
Ich erfuhr schon, daß Prinz Egon auf dem Heidekruge sich Wildungen nannte....
Dort sah ich ihn ja selbst!
Sie selbst, Justizrath?
Bei meiner neulichen Rückkehr von Hohenberg...
Wildungen! Wildungen! sagte die Geheimräthin nachdenklich und in ihrem Gedächtnisse forschend...
Es gibt einen Maler dieses Namens, fuhr Schlurck fort, einen Maler, der einen Bruder hat, Namens Dankmar Wildungen, einen jungen Referendar. Ich schickte heute in aller Frühe, als mir mein Bartusch diese Dinge erzählte, in die Wohnung dieser jungen Leute. Man fand sie nicht. Ich schickte zu Prinz Egon. Er ist abwesend gewesen, gehütet gleichsam von einem gewissen Louis Armand gestern Abends zurückgekommen, elend, krank und hat sich sogleich abgeschlossen und zur Ruhe gelegt. Man vermuthet eine hartnäckige Unpäßlichkeit... Meine Tochter darf kein Wort davon erfahren. Dies wunderliche Mädchen hat einen förmlichen Roman mit dem Prinzen, falls er es war, gespielt, ich glaube sogar, sie hat eine Leidenschaft für den jungen Mann gefaßt, den ich begierig bin, kennen zu lernen. Ist es der Prinz –
Warum sollt' er es nicht sein? rief Pauline bitter. Eine Million wird grade hinreichen seine Verhältnisse wieder herzustellen...
Sie überstürzen die Dinge, gnädige Frau! Wenn Sie nicht wissen, daß die Burys mit dem alten Geschlecht der Wildungen verwandt sind, so kann von einem solchen Gewinn nicht die Rede sein. Wär' es aber, welche wunderliche Stellung dann für mich, der ich die Sache der Commune vertheidige und mich doch auch zu sehen – hm! hm! – zu sehen freuen müßte, daß die Schulden des alten Fürsten dann plötzlich getilgt sind...! Ich will noch einmal in die Wohnung der Gebrüder Wildungen und hören, ob es wirklich ein echter oder erborgter Dankmar Wildungen war, der mit den Meinigen reiste. Im letzteren Falle ist Prinz Egon Jemand anderes gewesen...
Aber wer? fragte Pauline.
Ein junger Handwerker, sagte Schlurck ruhig, der im Schlosse Hohenberg ein gewisses Bild stehlen wollte...
Nein! sagte Pauline lebhaft, das ist nicht möglich...
Warum nicht, gnädige Frau?
Dieser Verdächtige sitzt bis auf weitre Ordre – wir haben schon mit dem Obercommissär Pax Rücksprache genommen – er sitzt im Plessener Thurme...
Und?
Und? Wenn der Prinz sich so compromittirte, daß er sich eine in diesem Grade schimpfliche Behandlung mußte gefallen lassen, so konnte er Ihre werthe Familie nicht begleiten, konnte nicht die Liebe Ihrer schönen Tochter – die ich nun kennen lernen muß, Justizrath – gewinnen... konnte auf dem Heidekruge nicht das Bild... doch genug! Es kann kein Prinz Egon im Hohenberg'schen Palais krank liegen, wenn der echte die Folgen eines gewagten Incognitos im Plessener Thurme büßt.
Sehr scharfsinnig! antwortete Schlurck, zog aber einen Brief aus der Brusttasche hervor und sagte:
In dem Falle thut mir nur Eines leid...
Sie stocken? Was?
Frau von Zeisel, die mir ihr besonderes Vertrauen schenkt, schreibt mir soeben und im größten Zorn auf meine Familie. Man hätte sie und ihren Gatten mishandelt, man hätte vor Fremden ihr, einer Nutzholz-Dünkerke, ein Dementi gegeben und was dergleichen Aufwallungen einer in einem kleinen Orte mit ihrem Ehrgeize eingetrockneten, aber sonst ganz charmanten Dame mehr sind. Das Wichtigste ist, daß Herr von Zeisel, wahrscheinlich von dem Zorn seiner in einer Einladung oder Nichteinladung gekränkten Gattin ermuthigt, den Gefangenen aus dem Thurme längst entlassen hat.
Pauline sprang auf.
Ist Das möglich? rief sie.
Bei Patrimonialrichtern, sagte Schlurck, ist Alles möglich.
Empörend! Dieser Gefangene...
Dieser Gefangene wäre ja durch nichts Erhebliches gravirt gewesen, schreibt die liebe, etwas polternde, aber wie gesagt charmante Frau. Man hätte sich in Plessen nie lange mit fremdem Gesindel aufgehalten und wie sie denn dergleichen sicherheitspolizeiliche, ganz stichhaltige Gründe mehr anführt, die jedoch wol zunächst nichts, als eine Rache dafür zu sein scheinen, daß auf dem Schlosse plötzlich andre Menschen erschienen, die sie verdrängten. Herr von Zeisel greift mit Freuden zu, wo ihm eine Gelegenheit geboten wird, mit den Provinzialgerichten außer Berührung zu bleiben. Also gnädige Frau, dieser Gefangene ist nicht mehr im Thurm.
Pauline brach in die heftigsten Verwünschungen und Drohungen aus. Diese Nichtachtung gegen einen so hohen Beamten wie ihren Gemahl, sagte sie, würde dem Justizdirector theuer zu stehen kommen!
Schlurck suchte sie im Interesse der ihm sehr werthen Frau von Zeisel zu beschwichtigen. Einem feinen Beobachter konnte kaum entgehen, daß ihn auch vorzugsweise wol nur diese Angelegenheit hergeführt hatte. Offenbar bereute Herr von Zeisel die schnelle Übereilung eines Entschlusses, den er nur auf Antrieb seiner Frau faßte...
Pauline nannte nun den ganzen gegenwärtigen Staatszustand anarchisch und war plötzlich wieder so ultrareactionär, daß sie mit Spitzkugeln und Shrapnels dem Universum drohte.
Auffallend! sagte Schlurck, um die Geheimräthin nur auf andre Gedanken zu lenken, auffallend bleibt es, daß der Bilderdieb mit dem sogenannten Dankmar Wildungen im Einverständnisse war, denn jener berief sich auf diesen...
Ein Helfershelfer! Ich wußt' es ja schon! Ein Chaos! Ein Chaos! Es soll diesen Zeisels theuer zu stehen kommen! rief Pauline und zeigte nicht wenig Lust, auch den Justizrath empfinden zu lassen, wie sehr sie sich durch seine Vertheidigung anarchischer Zustände verletzt fühle.
Sie ging im Zimmer auf und ab, ignorirte den bei ihrer Aufregung so ruhig bleibenden Besuch und hätte ihm bald verächtlich den Rücken gewandt, wenn Schlurck nicht ein Mittel zu finden wußte, sie plötzlich zu zähmen.
Andrerseits bin ich überrascht, fuhr er nämlich mit lauernder Miene fort, wie der wahrscheinliche Prinz Egon soviel mit den Zecks verkehrte.
Die Wirkung dieses Namens war erstaunlich. Pauline erblaßte. Krampfhaft hielt sie sich an ihrem Schreibtisch fest und richtete starr ihre Augen auf den spitzen Blick des Justizrathes, der fast gleichgültig und lächelnd, aber tiefforschend hinzufügte:
Überall sah man ihn, auch bei der Ursula Marzahn im Walde!
Worin der Stachel dieser neuen Erwähnung nun auch liegen mochte, ob Schlurck auf Dinge anspielte, die er kannte oder nur erforschen wollte, Pauline war fast einer Ohnmacht nahe. Ihre Lippen erblaßten. Die Augen übergoß ein eigner verglaster Ausdruck starrer Abwesenheit. Das Weiße trat schreckhaft blendend hervor. Die Hand fuhr über das Bandeau, riß die Schleife auf und warf es zur Seite.
Wie heiß! sagte sie mit bebender Lippe.
Schlurck meinte boshaft:
Und in solcher Hitze trägt man im Sommer diese Verhüllungen? Die Mode! Die Mode! Aber, ich halte Sie auf! Ich habe versprochen, bei Lippi griechischen Wein zu kosten. Ich sehne mich nicht nach dem griechischen Wein, aber nach Lippi's kühlem Keller. Sie haben hier wirklich sehr heiß, Gnädigste. Leben Sie nun wohl, Excellenz!
Damit stand Schlurck auf, um zu gehen.
Aber Pauline rief:
Wo wollen Sie denn hin? Bleiben Sie doch, Justizrath. Ich habe Sie jetzt nöthiger, als Sie glauben. Griechischen Wein... ich führe ihn leider nicht selbst... aber ein Glas Capwein, Justizrath?
Gnädige Frau, ich danke... was befehlen Sie noch?
Keinen Befehl, Schlurck! Nur Freundschaft und Theilnahme für ein unglückliches Geschöpf, das Vertrauen zu Ihrem Herzen hat und es selbst zu dem ihrigen verdient.
Excellenz –
Ich beschwöre Sie, lassen Sie doch die Förmlichkeiten! Ich verachte ja diese Formen, ich sehe in ihnen das Flüchtigste, das Erbärmlichste von der Welt! Ich fühle Gott sei Dank! mehr innern Werth in mir, als daß ich mich durch einen äußern unterstützen müßte. Ach! Ich bin von einer Gefahr umgeben, Schlurck, die ich mir vielleicht zu lebhaft ausmale! Aber gegen seine Phantasie kann Niemand etwas. Die hängt vom Blute ab und ich weiß nicht, wie ich es machen soll, daß mein Auge nicht zu schwarz sieht –
Ein Arzt macht Das, sagte Schlurck. Cremortartari wird auch mein armer Zeisel nehmen müssen, wenn der Intendant von ihm den Gefangenen heraushaben will und den guten Mann in Teufels Küche bringt.
Wo denken Sie hin, Schlurck! Wenn ich weiß, daß Sie durchaus diesen Vorfall vergessen möchten...
Gnädigste, Sie könnten die Güte haben, den Geheimrath zu bestimmen, den Zornausbruch einer gebornen Nutzholz-Dünkerke...
Ach, scherzen Sie nicht! Schlurck! Das Vergessen! Das Vergessen!
Wenn es nicht mehr ist als diese Angelegenheit!
Meinen innigsten Dank!
Pauline nahm Platz und fuhr in leidender Aufregung, indem sie den Justizrath zum Bleiben nöthigte, fort:
Schlurck, ich hatte ein bewegtes Leben, aber ich sehne mich nach Ruhe. Ich mag die alten Aufregungen nicht mehr, ich habe den Muth nicht mehr, gegen das allgemein Gültige zu trotzen. Ich will mein Leben abschließen, irgend noch einem guten vernünftigen Gedanken nachleben und vom Vergangnen mich lossagen. Aber ich will mich auch ganz lossagen. Ich will keine Erinnerungen in mir und in Andern und durch Andere noch weniger. Sie kennen die Macht der Antecedentien.
Ja, ja, beste Freundin! sagte Schlurck lächelnd über die plötzliche Zähmung der wilden Frau; warum sollt' ich die Antecedentien nicht kennen! Sie sind ja nächst der Cholera die verdammteste Krankheit der Zeit und eine ganz unheilbare! Wir sind die Censur der Schriften los, haben aber dafür die Censur der Sitten bekommen. Mit der Preßfreiheit, die vielleicht ein gesunder Zustand sein kann, ist die Krankheit der Antecedentien gekommen. Und wenn Sie wissen wollen, warum ich mich nicht wählen lassen mag, so ist es auch die Scheu vor einer allzufrechen Analyse meiner Persönlichkeit. Ich bin mir leidlicher Solidität bewußt....
Aber Sie haben gelebt!
Gelebt! O das ist viel gesagt. Alles, Alles, Frau von Harder!
Ja! Leben! Gelebt haben, Schlurck! Geschleudert gewesen sein hin und her, heute von einem Wahn, morgen von einer Leidenschaft, geschleudert nicht immer durch das Schicksal, das uns unverschuldet traf, sondern auch durch das, was wir uns selber zugezogen und bitter bereuen. Wer kann dafür, daß man fast fünfzig Jahre zählt!
Gnädige Frau!
Ja Schlurck, fast fünfzig Jahre! Ich besitze den Heroismus der Wahrheiten, die unleugbar sind.
O Sie sind ein Engel! meinte Schlurck und lächelte im Stillen, da er wußte, daß Frau von Harder hätte sagen müssen: Fast sechszig Jahre! Ja, ja, die Antecedentien! fuhr er fort. Da setzen sich Grünschnäbel hin, die nichts erlebten, nichts erleben konnten, weil sie jung, oder wenn alt, zu dumm waren und analysiren Lebensläufe! Nein, ich gestehe Ihnen, um diesen Preis wünsch' ich mir die alten Conduitenlisten der Behörden zurück. Die waren doch geheim, selbst die Register der Inquisition, in denen wir Beide vielleicht aufgezeichnet stehen, wir wissen's selbst nicht, selbst die sind mir nicht so zuwider, wie dies öffentliche Gerichtsverfahren über Menschen, die – gelebt haben!
Ah, das war eine Übereinstimmung! Es fehlte nicht viel, daß Pauline den Justizrath umarmt hätte....
Erkennen Sie daraus meine Verlegenheit, sagte sie nach einer freudigen Pause. Amanda von Hohenberg war meine Feindin. Ja! Hören Sie! Ich sage Alles! Sie hat Denkwürdigkeiten hinterlassen, in denen, wie sie mir selbst einst schrieb, Gott richten würde. Für diese fanatische Person war Gott so sichtbar schon auf Erden, daß ich gewärtigen kann, eine große Störung meiner Ruhe zu erleben, wenn diese Denkwürdigkeiten in unberufene Hände kommen. Zwei Jahre sind vorüber. Die Memoiren sind nicht da, sie erschienen nicht. Bei Ihnen wurden sie nicht deponirt, bei Niemandem und dennoch sollen sie vorhanden sein. Alle Welt erwartet sie. Die wahnwitzige Trompetta hat den Hof darauf schon vorbereitet. Jedermann ist gespannt. Sie finden sich aber nicht. Ich weiß es, Egon soll sie veröffentlichen. Egon sollte die Einrichtung ihrer Zimmer so treffen, wie sie sie sterbend verlassen hatte. Das Bild! war ihr letztes Wort. Alles ist nun, was sie schrieb, theils verbrannt, theils unter meinem Verschluß. Alles ist da, nur ein Bild nicht, ein Bild, das man in Hohenberg hat stehlen wollen. Alles ist da, nur die Memoiren sind es nicht und dies Bild. Dies Bild also enthält die Memoiren. Auf dem Heidekrug ist es entwandt worden. Entweder mit Wissen oder gegen Wissen meines Mannes. Darüber werden wir von ihm selbst bald Aufklärung haben, aber denken Sie sich, wenn Egon diese Denkwürdigkeiten drucken ließe!
Hm! hm! räusperte sich Schlurck. Wenn ich mir's genauer überlege... das Geplauder einer alten Rivalin, die sich von der Welt zurückzog, weil sie vielleicht keine Verehrer mehr fand... kann das schaden? Was machen Sie sich aus solchen kleinen Nadelstichen? Verbrechen werden Sie gegen keinen andern Gott begangen haben, als gegen den kleinen Gott der Liebe... Über die Streiche dieses Kindes lacht man.
Pauline schwieg und sah Schlurck von der Seite mit großem Mistrauen an, gleichsam um heimlich auszuspähen, ob dies seine wahre Meinung wäre. Als er die Brille wieder aufgesetzt hatte, sagte sie:
Nein! Auch lachen soll man nicht mehr über mich. Ich leide in der Gesellschaft noch zu sehr daran, daß man über Nadasdi lachte. Ein Buch von mir und ein Buch über mich ist ein großer Unterschied.
Die Bilder der Familie, meine gnädigste Freundin, fuhr Schlurck ruhig fort, die Bilder der Familie Hohenberg sollen an den Prinzen Egon zurück. Sie stehen genau in dem Inventarium verzeichnet, das beim Verkaufe des Mobiliars angefertigt wurde. Ich werde sie vom Geheimrath alle in Anspruch nehmen müssen. Meinen Sie vielleicht ein Bild im Medaillonformat, das Pastellportrait der weiland jungen Fürstin?
Suchen Sie es! sagte Pauline. Dies gerade wird fehlen....
Schlurck blickte nieder und spielte mit dem leichten Stöckchen, das er in der Hand trug. Er legte den Perlmutterknopf des Stockes bald an die Lippen, bald klopfte er damit auf die Fläche der linken Hand.
Pauline fühlte sich gefoltert.
Sie wissen etwas von dem Bilde – Justizrath? sagte sie.
Und wenn ich etwas davon wüßte? Das Bild ist mein! Es gehört dem Prinzen Egon!
Und Sie wären im Stande, es ihm auszuliefern... auszuliefern, ehe man es untersuchte? Wenn es eine Kapsel enthielte, unter der die Denkwürdigkeiten verborgen wären... Schlurck, würden Sie ihm diese ausliefern? Würden Sie ruhig mit ansehen, daß mein Ruf, meine Ehre, in die Hände meiner Feinde käme?
Hm! hm! sagte Schlurck, schwieg dann, wiegte das Stöckchen hin und her und schien zu überlegen, wie er diese Chancen der Aufrichtigkeit einer gefährlichen und einflußreichen Frau mit seinem Vortheil vereinigen sollte. Er ging von dem Grundsatz aus: Gegen schlimme Menschen muß man selber schlimm sein.
Auch Sie sind mein Feind, rief Pauline und sprang bebend vor innerer Erregung auf; ich sehe es, auch Sie!
Nach einer Weile warf sie sich in einen andern Sessel und bedeckte das Antlitz mit beiden Händen.
Schlurck stand auf und zog seine Handschuhe wieder an, als rüstete er sich zum Gehen...
Wir klagen, sagte er, und jammern über ein Bild! Hätten wir es nur erst! Wissen Sie, wo ich es vermuthe?
Wo?
In den Händen meiner Tochter.
Schlurck?
In den Händen meiner Tochter.
Sie scherzen....
Lassen Sie mich diese Vermuthung, die sich auf allerhand Plaudereien Bartusch's, die ich fast überhörte, gründete, genauer untersuchen. Ich hoffe, mich so zu benehmen, daß ich Ihnen nicht misfallen werde.
Pauline richtete noch einmal erstaunt den Kopf auf und fragte nochmals:
In den Händen Ihrer Tochter?
Sie wissen doch, sagte Schlurck, daß ich eine Tochter habe, die ich Melanie nannte, weil mir der Tonfall dieses Namens Das auszudrücken schien, was sie Gott sei Dank! zu meiner Freude wirklich geworden ist. Sie schwebt vorurtheilsfrei über die Erde hin und hat dazu von den Göttern die entsprechenden leichten Schwingen bekommen. Ich glaube, daß sie einmal der Sonne zu nahe kommen und sich elend verbrennen kann; aber wenn sie stürzt, wird sie nicht auf's Gemeine fallen. Ich liebe sie doppelt, einmal, weil sie mein Kind ist und zweitens, weil sie Verstand hat.
Sie liebt den Prinzen Egon.. Sie wird die Fürstin von Hohenberg! sagte Pauline.
Ich bitte Sie, rief Schlurck, dann nehm' ich mein Wort zurück und erkläre, daß sie keinen Verstand hat – Was glauben Sie? Ich wiederhole nur, was mir Bartusch, mein alter Maulwurf und Spürer, heute früh zugetragen hat. Da mich weit mehr der große Proceß und die Administration beschäftigte, als all diese kleine Romantik; da ich ferner jeden Augenblick zum Prinzen gehen wollte, um über alles Zukünftige klar zu sehen, so hört' ich nur halb und halb auf dies Tuscheln und Flüstern und merkte nur obenhin, daß der Alte von meiner Melanie viel Krauses und Buntes erzählte. Sie hat viel unterwegs gelacht und, wenn ich aufrichtig sein soll, gestern über Niemanden mehr –
Über Niemanden mehr – wiederholte Pauline gespannt. Schon wollte sie sagen: Als über meinen Mann? doch sie besann sich... der Gedanke des im Möbelwagen eingesperrten Intendanten war ihr denn doch zu demüthigend... Sie wiederholte:
Als über wen?
Nun nannte Schlurck, mit einem wohlangebrachten Handkuß, in aller Delikatesse und mit viel Schelmerei wirklich den Geheimrath...
Die Gewißheit, daß nun also doch Henning von Harder der Düpe irgend einer von weiblicher Hand im Interesse des Prinzen geleiteten Intrigue gewesen war, lag klar vor den Augen der klugen Frau. So wie sich weibliche Schönheit und Liebenswürdigkeit in die Verknüpfung der ihr so räthselhaften einzelnen Thatsachen mischte, ging sie nicht mehr irr, denn da hatte sie einen sicher leitenden Faden. Vom weiblichen Herzen wissen Frauen immer wohin es zielt und wofür allein es schlägt und wofür allein es etwas wagt. Ebenso klar war ihr aber auch, daß sie sich auf Schlurck jetzt nur noch halb verlassen konnte. Zu blind hatte sich ihr seine Liebe für das einzige Kind zu erkennen gegeben. Prinz Egon und Melanie im Bunde waren, das sah sie, unüberwindlich... Und da in demselben Augenblicke die Ludmer schon mit einem zartduftenden Antworts-Briefchen von der d'Azimont kam, worin diese schrieb: »Das erste Wort der Freundschaft, das mich hier begrüßt, kommt von Ihnen, Pauline! Von Ihnen! Edles Herz ( noble coeur, der Brief war französisch), Edles Herz, ich kann nicht um Eins kommen, aber um Sechs... heut Abend um Sechs umarm' ich Sie« – als Pauline diese Zeilen gelesen und von der Ludmer noch leise vernommen hatte, daß all' ihr erneutes Suchen nach dem Bilde vergebens gewesen wäre, entwarf sich ihr in solchen Dingen rasch erfindender Geist einen andern Plan, der so lautete:
Mögen Egon und die d'Azimont stehen, wie sie wollen, so groß sind noch ihre Ansprüche an diesen jungen Mann, daß eine bürgerliche kleine Kokette nicht wagen wird zu ihm aufzublicken, sieht sie erst die vielbewunderte junge Frau, der nach allgemeiner Übereinkunft in der Gesellschaft der wahre Besitz dieser von Melanie gemachten flüchtigen Landstraßen-Eroberung gehört....
Sie hoffte die d'Azimont noch nach sechs Uhr festzuhalten bis zum Thee, durch sie auf Egon zu wirken, durch sie den Bund zwischen Melanie und Egon zu sprengen. Als einzigen und ausdrücklichen Beweis der Freundschaft verlangte sie jetzt vom Justizrathe nur noch, daß er heut' Abend zur nähern Besprechung dieser Angelegenheiten vor dem Thee wiederkäme und zugleich endlich seine bewunderte Tochter Melanie ihr aufführe.
Ich muß den schönen Bösewicht kennen lernen, sagte sie verschmitzt, den Engel, der es gewagt hat, die alten schlummernden Empfindungen des Geheimraths in Aufruhr zu bringen. Ist hier ein komischer Roman im Gange, so soll er unter meinen Augen fortgespielt werden. Ich bin eifersüchtig, ich will Melanie sehen. Verlass' ich mich darauf, daß sie kommt?
Schlurck erwiderte, er wolle versuchen, seine Tochter zu überreden.
Nichts überreden! Sie befehlen! sagte Pauline.
Befehlen? sagte Schlurck und griff verlegen nach seiner Perücke. Nun ja... wir wollen befehlen.
Und wenn das Bild noch zu retten und nicht in Egon's Händen ist, sagte Pauline, indem sie dem Justizrath lächelnd die Hand hinhielt, wer erhält es?
Der Prinz das Bild, sagte Schlurck; etwaige Contrebande –
Die Denkwürdigkeiten seiner Mutter?...
Die... jetzt wurde Schlurck schelmisch... die trag' ich zum Buchhändler und lasse sie als zweiten Theil des Nadasdi drucken.
Mit dieser humoristischen Wendung wollte er zur Thür....
Nein! Nein! So entkommen Sie mir nicht! sagte Pauline in wirklicher Angst. Ein klares Wort, keine Galanterie! Kein Humor! Ich bin überhaupt keine Frau für den Humor....
Haben wir nur erst das Bild! sagte Schlurck drängend.
Justizrath, können Sie mich auf dieser Folter zurücklassen –?
Ludmer, setzte sie rasch hinzu, nimm ihm Hut und Stock ab!
Nein, nein, sagte Schlurck fast sich flüchtend, ich muß zu Lippi und griechischen Wein kosten und nachher noch einmal zu den Wildungens, dann zum Prinzen, wohin ich einen gewissen Ackermann bestellt habe, der sich zur Pachtung seiner Güter meldete. Auch die Krankheit der jungen Durchlaucht bekümmert mich... Er ist denn doch der Sohn des alten Fürsten, dem ich soviel Beweise...
Und kein Wort der Beruhigung, der Theilnahme, des Dankes für mein Vertrauen? unterbrach Pauline mit allem Aufwand von Liebreiz, dessen ihr Auge und ihre Mundwinkel noch fähig waren.
Schlurck küßte ihr wiederholt die magere Hand und sagte:
Bezaubern Sie mich nicht! Ich bin im Geiste noch nicht so alt wie im Kirchenbuch steht!
Ah! Frau von Zeisel sollte nur hier sein! Die sollte nur ihre Bitten mit den meinigen vereinen und gewiß, wir würden das harte Herz schon erweichen –
Es war viel Anmuth in diesen Worten der Geheimräthin.
Schlimme Frau, was sprechen Sie? lächelte Schlurck. In der That, man weiß nicht, soll man Sie fürchten oder lieben? Ich will Sie lieben, Frau Geheimräthin! Verlassen Sie sich auf meinen Verstand und beten Sie zu irgend einem der Götter, zu dem Sie das meiste Vertrauen haben, daß es noch Zeit sein möge, bösen und albernen Dingen der Art, wie Sie sie fürchten und wie ich sie selbst niemals habe leiden mögen, mit Klugheit vorzubeugen. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Mein Instinct spricht für Ihre Interessen! Heilig und gewiß! Auf Wiedersehen, vielleicht heut' Abend...
Damit ging Schlurck...
Nein, ganz gewiß! rief ihm Pauline noch nach, blieb dann eine Weile, um die beengte Brust durch einen tiefen Athemzug zu lösen, stehen, erwiderte nichts mehr auf die besorgten, fragenden Blicke der Ludmer und winkte nur, die halb tonlosen Worte ausstoßend:
Er ist fort... Auf alle Fälle macht man jetzt Toilette!
Damit hob sie den Vorhang ihres Schlafcabinets und schritt aus dem gelben Boudoir durch den Alkoven in das grüne und von diesem in ihr Toiletten- und Garderobezimmer.
Die Ludmer war gleichfalls verstimmt...
Ihre Nichte hatte ihr ein altes Bettelweib geschickt, um wieder von ihr eine Unterstützung zu begehren...
Sie hatte zwar draußen nur die einfachen Worte gesagt:
Ich kenne keine Auguste Ludmer, die sich meine Nichte nennt!...
Sie hatte die Thür dem Bettelweib von der Nase zugeworfen, aber es alterirte sie doch. Sie mußte etwas Melissengeist auf Zucker nehmen, um sich von denselben Aufregungen zu erholen, von denen Pauline von Harder sich nur ein wenig durch die Wahl der Toilette erholte, die sie eben machen wollte....
Als die Ludmer in das Garderobezimmer, wo ihre Herrin und Freundin noch wählte, nachkam, sagte diese nur die einzigen Worte:
Da hast Recht, Charlotte! Vor diesem Schlurck hab' ich heute zum ersten Male ein Grauen empfunden. Es ist mir, als hätt' er über uns Leben und Tod in seiner Hand.
Und das Bild? fragte die Alte.
Hat seine Tochter Melanie durch irgend eine Schlauheit, im Einverständniß mit Egon, meinem Mann abgelistet...
Diese Kokette! Wie war Das möglich?
.... Das Heranrollen eines Wagens vor dem offnen Thore des Hauses, die sichere Anfahrt und die Art der Öffnung des Schlages – man hörte das auf's Deutlichste – verrieth, daß der Geheimrath angekommen war.
Die Bedienten klopften leise an die Garderobe und berichteten:
Excellenz? Excellenz!
Etwas langsam und bedächtig schallten die Fußtritte, mit denen der zum Beichten beschiedene alte Herr in den ersten Stock aufstieg, den er bewohnte...
Wir werden ja hören! sagte Pauline ruhiger und entschied sich heute aus Rücksicht auf die zwei schönsten weiblichen Wesen, die man sich nebeneinander denken konnte, Melanie Schlurck und Helene d'Azimont, für einen Stoff von Silbergrau, auf den Abend aber für ein Costüm, das sie seiner malerischen Einfachheit und eines gewissen orientalischen Turbans wegen immer das biblische nannte.
Wir werden Gelegenheit haben, diese von Heinrichson ihr entworfene Toilette später genauer zu berichten...
Von Schlurck aber, den wir zum ersten Male in seinem geschäftlichen Tone kennen lernten, müssen wir gestehen, daß er nicht ganz derselbe war, wie wir ihn beim Kredenzen von Jaquesson und Geldermann-Deutz kennen lernten. Vielleicht findet er bei dem Italiener Lippi wieder den gewohnten Gleichmuth seiner Stimmung und stärkt sich zu den Geschäften, die ihn in das Hotel des Prinzen Egon rufen, von denen das über Ackermann angedeutete ebensosehr unsere Neugier spannen wird, wie die endliche Aufklärung über die Persönlichkeit der Prinzen Egon, mit dem sich Schlurck, nach Allem, was er über die Rückreise seiner Familie von Hohenberg fast Unglaubliches vernommen hatte, jetzt auf die leichteste Art zu verständigen hoffen durfte.