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Eine Werkstatt der zeichnenden Künste mußte so gebaut sein wie die des berühmten Professors Berg, um neben der Bestimmung, dem Künstler Gelegenheit zu ungestörtem Fleiße zu geben, auch als ein freier Tummelplatz heitrer Laune und scherzhaften Gespräches dienen zu können.
Der große Anbau seines italienischen Hauses war eine Halle, massiv gebaut, aber doch in Form jener antiken Bauart gehalten, die den Ursprung aller Architektur aus zusammengelegten Blöcken durch bunte Malerei, Vergoldung und Zierrath aller Art nicht verbergen will. Schimmerte auch die Decke nicht in goldenen Verzierungen, so wurden ihre Balkengevierte doch durch Farbenschmuck aller Art sehr frisch gehoben. Die Form der Halle war eine dreitheilige. Drei große nach Norden gehende Fenster warfen das der Malerei nöthige Licht in den gewaltigen Raum, der durch zwei von der halben Decke herabgehende schwere grüne Vorhänge in zwei kleinere und eine größere Abtheilung getrennt war. Ließ man die wuchtigen Vorhänge zufallen, so waren die hinter ihnen beschäftigten Maler voneinander getrennt. Standen sie offen, so gewährten sie die Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Unterhaltung durch das ganze Atelier.
In dem ersten Drittheil saßen einige Schüler und Anfänger, in dem großen Zwischenraum die selbständigen jüngern Kräfte, die sich um Professor Berg scharten, im dritten war dieser selbst beschäftigt.
Die große Südwand, ganz massiv, war in pompejanischem Geschmacke gemalt. Die rothe Farbe hatte in dem bunten Gemisch den Vorrang.
An der Ostwand war der doppelte Eingang, einer von unten her und einer oben von der Altane, die das erste Stockwerk des Hauptgebäudes mit dem Atelier verband. Auf der Hälfte der Stiege, die von oben her kam, schloß sich ihr von unten herauf eine andere an, die in einer langen hölzernen, mit grauer Ölfarbe gestrichenen Brücke endete, die durch das ganze Atelier ziemlich nahe an der Südwand sich hinzog – diese Brücke diente für große Gemälde, welche von dem Fußboden aus nicht gemalt werden konnten. Hier und da ließ sie sich auseinandernehmen und auf Rollen nach Belieben vor große Cartons oder Ölbilder vorrücken. An der Westwand, im engern Atelier des Professors Berg, waren sehr geschmackvolle Frescoverzierungen angebracht. Zwischendurch standen Statuen, meist von einem Blumenetablissement umgeben. Die Teppiche und Wandsophas, die ursprünglich in der ganzen Halle anzutreffen waren, hatten sich nur noch in dem engern Raume des Lehrers in dem eleganten Zustande erhalten, wie ursprünglich dieser ganze kleine Kunsttempel gedacht war. Hier fanden sich noch Stühle und Polster, die man den Fremden anbieten konnte. An den andern Punkten hatte jugendliche Zwanglosigkeit schon mancherlei Zierrath für seine Bestimmung untauglich gemacht, zum großen Ärger des mit Überwachung dieser Räume beauftragten Dieners. Auch die großen mit Steinkohlen nur heizbaren Öfen hatten sich im Winter schon mit manchem anschwärzenden Protest gegen den Traum eines sich hier nach Italien versetztglaubenden Idealisten geltend gemacht. Die parkettirten Fußböden waren selbst beim Professor nicht recht wieder zu erkennen und trugen alle Merkmale, daß der wahre Künstler, wenn er einmal in die freie Ausbildung seiner Herrschaft über Kreide und Farbe geräth, an äußere Eleganz und fashionable Bestimmung nicht mehr denkt.
Siegbert arbeitete im Mittelraum.
Nicht weit von ihm Leidenfrost.. Neben diesem ein junger schöner schlanker Mann, Namens Heinrichson, derselbe, dem zu Gefallen Frau von Harder den Ankauf zweier Schwäne aus Island für die königlichen Gärten veranlaßt hatte. Neben ihm stand jener Ofenschirm, hinter welchem Frau von Trompetta die Bewegungen jenes Schwanes, der Jupiter vorstellen sollte, und seine Angriffe auf eine hölzerne Figur, die die Leda sein sollte, mit so vieler Angst beobachtet hatte...
Dann kam ein junger Maler, Namens Reichmeyer, ein Verwandter des Bankiers von Reichmeyer.
Diese vier Maler arbeiteten in der mittlern Halle.
In der Vorhalle standen drei oder vier Schüler.
Der Raum, den Berg allein einnahm, war noch mit einem kleinern, von Tapeten gebildeten oben offenen Cabinet versehen für die Aufnahme lebender Akte.
Siegbert, Leidenfrost, Heinrichson und Reichmeyer waren in einem Gespräche begriffen, wie man es mit Unterbrechungen, langen Pausen allenfalls bei mechanischgeistiger Production doch führen kann. Sie hatten vom Morgen an stark an größern Arbeiten geschafft und nahmen jetzt gegen Mittag leichtere vor, die wol erlaubten, daß dann und wann ein Scherz die gesammelte Stimmung durchkreuzte, die vielleicht gerade mit etwas vorher schon ernst Bedachtem beschäftigt war.
Siegbert arbeitete an seinem Albumblatt für Frau von Trompetta.
Die drei andern Maler standen eben hinter ihm und wollten wissen, was er in's Gethsemane »stiften« würde.
Man sah noch in schwachen Andeutungen eine orientalische Gegend... Palmen, Felsgestein, Ölbäume. Am Boden ein schlafender Christus... Vor ihm eine noch nicht fertige undeutliche Figur... Negerknaben mit Fackeln... In der Ferne ein Kameel mit Dienern.. Andeutungen am Horizont zufolge, die auf Sterne rathen ließen, sollte die Beleuchtung Nacht sein.
Ist das unklare Menschenbild da vielleicht, sagte Max Leidenfrost, eine kleine Figur mit zusammengetrockneten, sogenannten Silen- oder Sokrateszügen, ist Das vielleicht einer von den heiligen drei Königen, der nach dreißig Jahren einmal wieder nach Jerusalem kommt, um den inzwischen stattlich herangewachsenen Heiland zu sehen? Er scheint sich recht zu verwundern, wie die kleinen Kinder mit der Zeit so aus Krippen herauswachsen können..
Siegbert antwortete, indem er mit dem Gummi die Negerknaben etwas corrigiren wollte:
Diese Jungen tragen Fackeln, um in die Nacht eine Art Rembrandt'scher Beleuchtung zu bringen. Die schwarzen Mohrenjungen hätten sich unter den Fackeln so prächtig ausgenommen... sie kommen auch nicht fort.
Nein, Nein! sagte Heinrichson und hielt die Hand mit dem Gummi zurück, nicht zu rasch mit dem Ändern und Vertilgen! Ein vernünftiges Motiv muß man nicht so bald aufgeben. Leidenfrost's Idee scheint nicht einmal die rechte zu sein. Ich glaube nicht, daß Sie der Frau von Trompetta humoristische Witze in's Album malen wollen, die sich nicht biblisch rechtfertigen lassen...
Wäre denn Das blos ein Witz, fragte Leidenfrost, wenn einer von den drei Königen einmal wieder einen Besuch in Galiläa machte? Könnt' er Jesus nicht gesagt haben: Braver Mann, ich hielt so viel von Ihnen, aber Sie sind auf dem Wege sich in's Unglück zu stürzen! Sie wollen eine neue Religion stiften und ich komme, weil ich mir etwas Anderes in Ihnen vermuthete, expreß aus Indien, um Ihnen zu sagen, daß wir dort einige noch recht gute alte Religionen haben! Die beiden Mohrenjungen mit den Fackeln würden eine treffende Symbolisirung der näheren Aufklärung über diesen Gegenstand sein... Lesen Sie die Zendavesta und die Vedas, meine Herren! Selbst Gützlaff gesteht, daß Confucius kein Confusius war.
Ich vermuthe eher, sagte Reichmeyer, der an Eleganz mit Heinrichson wetteiferte trotz der Atelierüberhemden, die sie trugen; ich vermuthe eher, daß wir einen Abgesandten des Hauptmanns von Capernaum vor uns haben, der Jesus zu seinem Herrn beruft. Der Heiland versichert ihm, daß er das Wunder bereits verrichtet hätte, er möge nur nach Hause gehen und sich schlafen legen...
Nein, meinte Leidenfrost trocken ohne die Miene zu verziehen, ich kann nimmermehr glauben, daß diese hohe, stattliche Figur, die ich da vor dem Heiland entstehen sehe, ein Unteroffizier oder eine Ordonnanz ist. Ich will dem militairischen Geiste der Juden nicht zu nahe treten, aber so stattlich war doch wol die Rekrutirung...
Ich glaube, unterbrach Heinrichson diese frivolen Späße, ich glaube, daß sie gar kein Kriegsheer hatten und daß der Hauptmann von Capernaum ein römischer Centurio war. Die Mohrenjungen sind dann schon eher angebracht. Man könnte annehmen, daß dieser römische Hauptmann aus jener Armee hervorgegangen ist, die schon unter Antonius bei der Cleopatra afrikanische Luxusstudien machte..
Mein Himmel, unterbrach Siegbert, dem des Spottens und Schraubens doch am Ende zu viel wurde, diese für zwei Maler, die auf einige Ausstellungen schon Heiligenbilder geliefert hatten, charakteristischen Äußerungen, mein Himmel, welche Verwirrung über die Auslegung einer sehr einfachen und, wie ich fast glaube, nicht genug ansprechenden Idee! Ich will ja nichts Anderes, als hier in einfacher Tusche die Thatsache wiedergeben: Nicodemus kommt zum Herrn bei der Nacht. Hier schlafen unter freiem Himmel die Jünger, von denen nur einige sichtbar sind. Christus wachend hat sich erhoben und empfängt den nächtlichen Besuch des vornehmen Pharisäers, der, von innerster Achtung vor dem Religionswerke des Heilands durchdrungen, doch noch nicht den Muth hat, ihn öffentlich zu bekennen. Die beiden Mohrenknaben leuchten ihm in den Garten. Hinten steht das aufgezäumte Kameel, auf dem er aus der Stadt gekommen, nur von einigen vertrauten Dienern begleitet. Auch diese wie die Mohrenknaben wollt' ich in ehrerbietiger Andacht erscheinen lassen. Hinten ganz fern sieht man die Zinnen von Jerusalem.
Sehr schön! rief Heinrichson mit einer gewissen gentlemanliken Herablassung. Die Skizze ist würdig, in Öl ausgeführt zu werden. Wie herrlich diese Beleuchtung durch die Sterne und die Fackeln! Schon seh' ich, daß Sie beabsichtigen, das rothe Licht grell auf die schlafenden Jünger fallen zu lassen. Es kann ein recht sanftes Leben in das Ganze kommen! Diese Nachtstille, diese schlummernde Pflanzenwelt! Und dabei das heilige Wachen des Glaubens und die feierliche Beherrschung der schlummernden Natur durch die Macht des Geistes! Ich sehe das Blatt schon fertig vor mir und verspreche Ihnen davon eine gute Wirkung...
Auch Reichmeyer stimmte dem feinen und so ausnehmend wohlwollenden Urtheile Heinrichson's, das Siegbert fast stutzig machte, bei und nannte das Ganze einen »guten Gedanken«. Doch tadelte er die Mohrenknaben.. Siegbert hätte selbst schon angedeutet, daß diese Vermuthung auf Abwege führen und für nicht echt jüdisch gehalten werden könnte. Die Juden hätten niemals solche Sklaven gehabt...
Ach was! rief Leidenfrost. Welcher Künstler wird sich denn an solche Niemals! Niemals! kehren? Wir haben auch keine Sklaven und doch Jockeys und wer sich einen Neger halten kann und die Kreuzung der Racen unter seinem Gesinde nicht fürchtet, der läßt sich gerade von einem Neger dahin begleiten, wo einheimische Bediente vorlaut und unzuverlässig sind. Bleiben Sie ja bei den Negerknaben, Wildungen! Auch bei dem Kameel! Die alten Italiener waren darin ja so prächtig ungenirt. Auf Paul Veronese's großen neutestamentarischen Scenen kommen alle die Neger vor, die man in den Häusern der vornehmen Venezianer damals herumlaufen sah, Papageyen und Affen, wie sie einmal zur orientalischen Anschauung gehören...
Siegbert, ermuthigt durch diesen Beifall und sonst schon den ganzen Vormittag in aufgeregter Laune, fiel mit den heitern Worten ein:
Die Negerjungen lass' ich schon der Frau von Trompetta wegen. Sie werden ihr die traulichsten Missionsgedanken wecken.
Heinrichson und Reichmeyer lachten über diesen Einfall.
Leidenfrost trat nun näher, betrachtete noch lange die Skizze und sagte endlich:
Bedenklicher freilich, bester Freund, ist der geistige Ausdruck Ihrer Skizze! Sie wollen doch gewissermaßen sagen: Seht da Einen von Denen, die nicht den vollen Muth ihrer Überzeugung haben! Nicodemus hat einen Anflug von Christi göttlicher Sendung empfangen, er fühlt, daß dies der verheißene Messias ist und hat doch nur den Muth, bei Nacht zu ihm zu kommen! Ich bin begierig, wie dies Urtheil des Künstlers herauskommt! Denn urtheilen dürfen wir doch? Nimmermehr werd' ich die feigen Pinsel anerkennen, die nur die Thatsache geben wollen und das Urtheil dem Beschauer überlassen. Der Künstler soll Partei nehmen, wie es die Alten thaten. Die Alten malten im Glauben. Der Glaube war ihnen Partei. Der Zweifel konnte nichts malen, er sah nur auf Effecte, wie es seit Guido Reni, Carlo Dolce und meinem sonst prächtigen, theatralischen Guercino Mode wurde. Die Neuen haben keinen Glauben und auch keinen rechten Zweifel; gut! sie sollen nur gerecht sein und geschichtlich und wahr. Sie mögen eine Thatsache einfach hinstellen, aber dann doch so gruppirt, daß sie verrathen, sie hätten selbst darüber nachgedacht und empfänden etwas über ihr Bild, irgend eine warme Überzeugung. Wie kommt mir nun hier, bester Wildungen, die Erbärmlichkeit dieses Nicodemus zur Anschauung, der nur bei Nacht den Muth hat, ein Christ zu sein? Zeigen Sie mir diese seine Erbärmlichkeit! Diesen Augenspiegel unserer ganzen Gegenwart!
Ich weiß zunächst nicht, antwortete Siegbert, die ästhetische Tendenzfrage fast vermeidend, soll ich ihn sehr reich oder recht arm kleiden? Das Erstere würde im Einklang zu seinen Dienern und den geschmückten Kameelen stehen, das Letztere aber gerade durch den Contrast mit diesen Umgebungen andeuten, daß er demüthig und voll Reue ist und seines Prunkes sich begeben will. Jesus sagt ihm ohnehin, es könne Niemand selig werden, der nicht in den Schoos seiner Mutter zurückkehre und von neuem geboren würde. Arm aber oder reich gekleidet denk' ich doch, daß hier die einfache Thatsache ihre Auslegung in sich selber trägt. Wie sollt' ich hier mein Urtheil anbringen, ohne nicht in Gefahr zu gerathen, den Frieden der Situation zu stören? Sie möchten den Nicodemus mit dem Pinsel gern geißeln, Leidenfrost! Geht Das?
O! rief dieser, prügeln möcht' ich ihn und nicht blos mit dem Pinsel!
O nein! fuhr Wildungen lachend fort, bleiben wir in der Welt meines Tuschkastens! Liegt nicht in des Heilands ernstem Blicke schon die ganze versöhnende Kritik seines nächtlichen Besuches? Wird Nicodemus nicht demüthig zur Erde schauen müssen und sich verneigen mit gekreuzten Armen, wie der Andächtige vor dem Crucifix? Versöhnt Das nicht? Und er kommt ja doch! Er folgt ja doch zu irgend einer Stunde dem innern Rufe, wenn auch nur bei Nacht! Er büßt doch seinen Fehler dadurch, daß.. er ihn büßt! Mehr als das bloße »Doch kommen«, »doch dem innern Drange Erliegen« mehr würde Strafe sein, unmöglich vorauszusetzen in der Absicht des Erlösers. Ich theile wie Sie den Zorn über die täglich uns begegnenden Menschen, die nicht den Muth ihrer Überzeugung haben, aber ich gestehe, ich habe mit der schwierigen Lebensstellung eines Pharisäers, wie Nicodemus, soviel Mitleid, daß ich ihn liebe, voll Wehmuth liebe, liebe seiner Schwäche wegen. Und gestehen Sie doch, wenn ein reicher Mann und gefeierter Schriftgelehrter zum Herrn kommt, ist's doch wol etwas mehr, als wenn arme Fischer und Handwerker von vornherein sich gleich zu ihm hielten?
Hm! brummte Leidenfrost. Zumal wenn man bedenkt, daß die Tausende von Müssiggängern, die diesem galiläischen Wanderprediger nachliefen, sich manchmal, um satt zu werden, mit fünf Broten und zween gebacknen Fischen begnügen mußten... Gut! Gut, Wildungen! Malen Sie Ihren Nicodemus, zu deutsch: Ihren Herrn von Volksbezwinger so, wie er für die fromme, weichmüthige Welt paßt und im Gethsemane gewiß bei Hofe großen Effect machen wird.. schon der Fackelbeleuchtung wegen.. Aber, wenn ein Anderer einmal den Gegenstand ergriffe...
Schweigen Sie endlich! rief Heinrichson nicht ganz im Scherz. Ihre verdammte Ideenfülle, Leidenfrost, macht uns noch Alle confus! Wenn wir einen guten Gedanken zu haben glauben, so setzen Sie immer noch einen Trumpf darauf und bringen uns in Verwirrung...
Reichmeyer stimmte dieser Bemerkung kräftigst bei und wünschte die Kritik zu allen tausend Teufeln...
Malt was Ihr wollt! sagte Leidenfrost kurz und bündig und kehrte zu seiner Staffelei zurück, auf der er architektonische Prospecte angefangen hatte.
Siegbert aber fuhr ungestört und nicht im geringsten zürnend in seiner Bleistiftskizze fort.
Wie kann Euch aber, sagte er, nachdem Alle wieder an ihre Arbeiten gegangen waren, zu den beiden zürnenden Genossen, wie kann Euch eine fremde Auffassung nur irre machen! Ihr wißt, daß ich mit dem Namen des Künstlers nicht so oft um mich werfe, wie so viele Pfuscher unserer Kunst; aber darin hab' ich mich wirklich doch als Künstler weg, daß ich nicht von jedes Andern Idee so rasch ergriffen werde, um aus meiner eignen Anschauung, aus dem mir nothwendigen Leben des Gemüths und den Grenzen meiner Phantasie herauszukommen. Ich wünschte gerade, daß Leidenfrost aufrichtig sagte, wie er diesen Stoff behandeln würde! Was thut Das? Ich müßte mir vorkommen, als wäre meine Malerei mein Elend und Jammer, wenn ich vor der Ideenwelt der Andern immer gleich erschräke!
Diese Meinung theil' ich nicht, sagte Reichmeyer. Hat man von einer andern Auffassung den Effect erkannt, so bin ich der unglücklichste Mensch, wenn ich bei meiner eignen, die vielleicht nüchterner ist, bleiben muß...
Diese Empfindung, antwortete Siegbert, haben Sie nicht aus Italien, sondern aus Paris mitgebracht. Sie Glücklicher, Sie hatten die Mittel, auf Reisen zu gehen und wählen Paris für Rom und Florenz! Was haben Sie bei Vernet und Delaroche gelernt? Vortreffliche Farbenzusammenstellungen, rasche Pinselführung, aber auch eine knechtische Verehrung vor dem Götzen Effect, den Ihnen unser guter treuer Eckart der Kunst, Professor Berg, nicht wieder austreiben kann. Ihr seid die wahren Eklektiker der Kunst! Ihr malt die Heiligen, die Griechen, die Fischerknaben, die Betteljungen, die Grenadiere, Alles durcheinander, wenn sie einen brillanten Moment abwerfen, wie Schauspieler, denen jede Rolle, jeder Geschmack recht ist, wenn sie nur Gelegenheit finden, sich darin als Virtuosen zu zeigen.
Die Deutschen malen langweilig, sagte Reichmeyer kurzweg. Jeder denkt, wenn er sich selbst gegeben hat, wär' er ein Poet mit dem Pinsel. Das ist eine alte Sage, die von unsern Akademieen und den bezahlten Professoren noch aufrecht erhalten wird. Aber die Geldbeutel der Käufer glauben nicht mehr daran. Sehen Sie nur zu, lieber Wildungen, was geschehen würde, wenn man von unsern königlichen Frescomalern ihre Nibelungensuiten, nach der Elle gemessen, auf den Markt brächte; wer würde viel dafür geben, auch wenn er die Wände hätte, diese schöngezeichneten bunten Tapeten passend aufzukleben!
Drum Dank dem Himmel, antwortete Siegbert, daß noch Möglichkeiten sind, die Kunst von der Liebhaberei des Privatgeschmackes frei zu halten! Sagen Sie nicht, ein Fürst, der auf große Bauten viel verausgaben kann, folge in ihrer Ausschmückung doch auch nur den Eingebungen seines Privatgeschmackes! Nein! Wir mögen über Geschmacksrichtungen streiten, soviel wir wollen, eine Kirche bringt ihren eigenen Geschmack mit sich, ein Königspalast gleichfalls, eine offene große Halle gleichfalls. Jede Anknüpfung der Kunst an große Institutionen veredelt das versteckte Gelüste der Privatliebhaberei und könnten wir es dahin bringen, daß alle Anknüpfungen der Künste noch, wie in alten Zeiten, großartige, allgemeine, vom ganzen Staatsleben unterstützte wären, so würden wir aller Willkür der Kritik, aller Anarchie der Production überhoben sein und Das malen, dichten, meißeln, componiren, was die Zeit wirklich will und was sich für das Allgemeine und die Würde der Kunst schickt.
Ein wahres Wort! mischte sich jetzt wieder Leidenfrost beistimmend ein. Ja! Wildungen, Sie sind auch so ein Nicodemus, der nur manchmal bei Nacht in den Hof der Wahrheit kommt! Sie wissen das Bessere und handeln nicht immer darnach, von Heinrichson und seinem alten mythologischen Schwäne-Kram und Reichmeyer's Melodramen-Malerei ganz zu schweigen! Ich habe Sie gestern mit Champagner gelabt, ich darf Ihnen heute Wermuth reichen. Wenn Ihr wahr sein wollt, gibt es eigentlich keine ideale Malerei mehr, es gibt nur noch Landschaften, Jagdstücke, Portraits und auch die sind schon verdrängt durch die Lichtbildnerei. Die wahre Bestimmung der neuern Malerei ist Zimmerschmuck, und in allen andern Bestimmungen erblick' ich nur Krücken, auf denen sie nothdürftig so dahinhumpelt! Kirchengemälde! Wer baut denn Kirchen aus Kirchendrang? Sind denn Kirchen nöthig? Schmelzen nicht alle Gemeinden der positiven Staatskirche so zusammen, daß sie in einem mäßigen Saale Platz hätten? Und die Dissidenten, die Sektirer, die eigentlich Frommen wollen keine Bilder. Um die paar Kirchen, die der Gustav Adolf-Verein bauen läßt, wird man doch nicht sagen, daß noch das Kirchenbauen an der Zeit ist! Cornelius mit seinem ganzen jüngsten Gericht ist eine alte Reliquie von Anno Schwartenleder. Da sind wol mehr Gedanken sichtbar als bei Rubens mit seinen dicken zu Gnaden angenommenen Blondinen und den alten wasserbäuchigen Sündern, die von den Teufeln gepiesackt werden; ja, Cornelius hat Kohlrauschen's deutsche Geschichte gelesen und weiß, wer Segestes war und Rubens hat nicht den Kohlrausch gelesen... aber die ganze Geschichte mit den jüngsten Gerichten und den Posaunenengeln und den Zornschalen ist alte Schweinsschwarte. Die Narrenspossen! Und nun Gott Vater, Gott Sohn, Gott der heilige Geist und solches bunte Farben-Gepinsel mehr! Sind denn Ruhmeshallen an der Zeit? Was ist denn Ruhm? Ein König setzt sich zu Gericht und sagt, was Ruhm ist! Ich will ein Volk sehen, das seine Kränze durch millionenfache Acclamation austheilt und was erleb' ich, Den, den ein paar Tausend bewundern, wollen ein anderes paar Tausend mit Koth bewerfen! Ehe nicht unsre ganze Gesellschaft geändert ist, ehe nicht die Herrschaft des Volkes entschieden hat, was heutzutage noch die Schultern des Menschen tragen, seine Hirnfasern glauben können, ist alle Kunstpflege Spittalsuppe. Der thut fromm und mischt seine Farben statt in Öl in Thränenwasser der Andacht, wie Sanct Fiesole; der malt lange Hünen und ausgereckte Recken, die Cuvier zu Mammuthszusammensetzungen hätte benutzen können, zu präadamitischen Zeuglodons; der liebäugelt mit dem allgemeinen Begriff des Schönen und lockt sich ein Situatiönchen aus einem Gedichtchen oder einem Märleinchen hervor – und das Gequängel und Gepimpel wird noch dazu von einem ebenso confusen Geschmacke bezahlt, beliebäugelt... und doch jammern die Herren, daß diese Sachen nicht das Evangelium sind und die Menschheit ummodeln können! Mit den Dichtern und Componisten ist es fast ebenso! Alle leiden daran, daß unsere Zeit erst zu einer neuen Herrschaft großer Thatsachen im Durchbruch liegt, Alle klammern sich an Vergangenes und machen sich eine künstliche Bildung, weil für eine natürliche und zeitgemäße die Anknüpfungen fehlen. Oft denk' ich: Käme nur einmal ein rechtes Wetter und übergösse Alles mit Hagel wie Quadersteine so groß, was jetzt prangt und sich brüstet! Auch die Kalmücken nähm' ich zu dem Ende mit Vergnügen an, wenn sie nur Alles kurz und klein hackten wie die Türken in Alexandria, die nichts leben ließen als den Koran. Unser ganzes Zeitalter ist ja ein solches buchmäßiges und schriftgelehrtes, wie es das alexandrinische war...
Heinrichson war über diese Humoreske sehr unwillig. Er nannte sie geradezu eine outrirte Barbarei und warf Leidenfrost vor, daß er sich in auffallenden Behauptungen gefalle, die an burschikose Renommisterei grenzten..
Sie wissen nicht recht, Leidenfrost, sagte er mit seinem feinen, spitzen Tone, welcher Stimme Ihres Innern Sie folgen sollen! Bei uns Malern sprechen Sie wie ein Maschinenbauer und wenn Sie hinausgehen in die große Willing'sche Maschinenfabrik und dort Modelle zeichnen, so werden Sie da gewiß wieder von schönen, idealischen Formen reden und hoffentlich die Lokomotiven mit häßlichen Tintenfässern vergleichen, ja nicht einmal mit diesen, sondern mit plumpen, chemischen Zündfeuerzeugen oder Apothekerbüchsen für Pferdecuren. Ich wette, daß Sie eben im Begriff sind, einen neuen Hebebaum zu erfinden und wenn er gut ist, wird der Königshasser die Demüthigung erleben, daß man ihn beim Kölner Dom in Anwendung bringt.
Aha! rief Leidenfrost und pfiff die Marseillaise.
Die Politik, sagte Siegbert zur Vermittlung, die Politik, lieber Heinrichson, spielt doch auch sehr in diese Fragen hinein! Sie sind conservativ und haben Ursache dazu. Ein Maler, dem man zu Gefallen echte isländische Schwäne vom König ankaufen läßt, würde undankbar genannt werden müssen, wollt' er demokratische Auffassungen theilen. Diese Gêne macht ja leider uns Alle so zahm und verpflichtet uns. Dennoch gibt es Demokraten unter uns. Auch Reichmeyer ist Demokrat, solange die Demokratie sich nicht auf communistischen Gelüsten ertappen läßt. Leidenfrost schüttet aber das Kind mit dem Bade aus und ist in seinen Irrthümern um so gefährlicher, als er selbst die Geheimnisse unsrer Kunst kennt und in Weihemomenten noch Glauben genug an sie besitzt, sie in seinem Sinne zu üben. Warum wollen wir in der hereinbrechenden Barbarei des Materialismus die Flucht ergreifen? Warum die Fahne Rafael's und Dürer's im Stich lassen und zu den Fabrikarbeitern und Nützlichkeitslehrern übergehen! Auch ich fühle für die praktischen Bedürfnisse des Volkes und die Nothwendigkeit, Alles zu bekämpfen, was die Tyrannei des alten Systems aus der Kunst entlehnt, um sich zu schmücken und scheinbar als Blüte der Humanität darzustellen, aber...
Nun, rief Leidenfrost, nun? Sie sagen da etwas Entsetzliches, Wildungen! Sie stocken schon! Die Tyrannei entlehnt aus der Kunst, um sich zu schmücken und sich scheinbar als Blüte der Humanität darzustellen.. schlagendes Wort! Bricht diese nichtswürdige Lüge aber nicht der Kunst den Hals für immer?
Nein, sagte Siegbert ruhig, sie beschämt nur die Tyrannei. Die Kunst selbst kann, darf nicht leiden unter ihrer falschen Anwendung. Der Sinn für das Ideale darf nicht aussterben, die neidische Feindschaft gegen das Schöne nicht gehegt und befördert werden. Sagen Sie selbst, Leidenfrost, in unserm neuen Freunde, dem liebenswürdigen Franzosen Louis Armand, liegt nicht bei all seiner Vortrefflichkeit und seiner warmen Empfindung für die Leiden des Volkes etwas in ihm, was man einen mangelnden sechsten Sinn, den der Schönheit nennen könnte?
Fünf Sinne brauchen wir nur! antwortete Leidenfrost trocken.
Reichmeyer fragte noch einmal nach dem Namen des Franzosen, den er eben erwähnt hörte..
Louis Armand! wiederholte Siegbert.
Louis Armand aus Paris? Ich kenne einen Vergolder dieses Namens, der dicht an Delaroche's Atelier wohnte.
Heinrichson, dem das Gespräch zu politisch wurde und es darum auf Anderes lenken wollte, sagte:
Gewiß, derselbe, oder ein Agent seines Geschäftes, der sich hier niedergelassen hat. Man rühmt die Proben seiner Gemälderahmen und hat Vieles bestellt...
Er hatte in Paris ein bescheidenes, aber gesuchtes Geschäft, ergänzte Reichmeyer. Das ganz Landhaus einer vornehmen Dame, der Gräfin d'Azimont, sah ich ihn einmal mit Spiegeln auslegen, wo er vielen Beifall erntete. Ich habe einige enkaustische Sachen für diese Einrichtung gemalt...
Heinrichson verstand Reichmeyern und merkte die Absicht, daß er ihm behülflich sein wollte, den politischen Faden abzuschneiden, den er nicht verfolgen wollte, da er ein leidenschaftlicher Anhänger des Bestehenden war und nur mit Vornehmen umging.
Ein Handwerker, sagte er, der von Künstlern lebt, sollte gegen die Künste dankbarer sein. Ich finde es sehr komisch, Gemälderahmen zu machen, Spiegelpaläste zu zaubern und gegen Gemälde und den Luxus überhaupt, wahrscheinlich als Sozialist, zu polemisiren. Apropos! Die Gräfin d'Azimont..
Tragisch ist Das, bester Heinrichson, unterbrach Siegbert, der, wenn er einmal in Erregung war, von seiner Glut für die richtige Überzeugung nichts vergab und nun nicht dulden mochte, daß Heinrichson zu der ihm völlig gleichgültigen Gräfin d'Azimont ablenkte. Tragisch find' ich Das, wiederholte er, wenn ein Mann, der in seiner Theorie etwas haßt, in der Praxis davon zu leben gezwungen ist. Erinnern Sie sich, Leidenfrost, wie erschüttert Armand war, als er zufällig auf jenen Spiegelpalast zu sprechen kam. Sagte er nicht, daß er dort den Prinzen Egon kennen gelernt hätte?
Nein, berichtete Leidenfrost, er hat ihn dort nur nach früherer Bekanntschaft in Lyon wiedergefunden.
Wohl! fuhr Siegbert fort. Aber darin müssen Sie mir Recht geben, daß unserm Armand doch ein gewisser höherer Sinn fehlt für das Schöne, das Träumerische und Ideale in unserm Sinne. Ich gebe zu, daß man im Schweiße seines Angesichts, vom untersten Schmuze der Arbeit niedergezogen, nicht im Stande ist, sich zu einer reinen und heiteren Auffassung auch der Dinge aufzuschwingen, die zunächst keinen handgreiflichen Nutzen tragen. Aber aus dem Nichtvermögen entstand hier auch das Nichtwollen. Sie verwerfen die Kunst als Ausgeburt des Luxus diese Communisten! Und kann man im Grunde den Ursprung der meisten Kunstwerke in etwas Anderem, als in der Leidenschaft für den Luxus finden? Solange noch dem Überflüssigen die jammervolle Nichtbefriedigung des Nothwendigen gegenüber existirt, solange ist auch die Kunst zur Gesellschaft schief gestellt. Wer die Kunst selbst anfeindet, weil sie überhaupt da ist, ist ein Barbar. Wer aber begehrt, daß die Kunst aus andern Beweggründen da sein solle, als nur in Folge der ungleichen und grausamen Eintheilung der Gesellschaft, dem muß ich Recht geben und halte ihn für einen um so größeren Menschenfreund, je mehr er die Kunst selber liebt. Jetzt sind wir die Sklaven der Reichen! Jetzt liegt an jedem Pinselstriche, den wir über die Leinwand ziehen, der Fluch des Elends der Gesellschaft! Wer sich damit tröstet, sich zu den Vornehmen, zu den Begüterten zu halten und in der Bezeichnung eines Reactionärs für sich etwas Ehrenvolles findet, der mag malen, dichten, componiren und von der Gunst der Großen Tausende verlangen, um seine Schöpfungen beim hellsten Lichte in's Leben treten zu sehen. Ich kann nicht zu diesen Glücklichen gehören. Ich möchte, daß die Kunst etwas Nothwendiges wäre und der Staat selbst, der durch die Volkssouveränetät frei gewordene Staat, sie mit in seine Sphäre aufnähme. Welch ein Gefühl, zu schaffen für eine Nation! Welche Wonne, mit seinem Talent einem großen, schönen Ganzen zu dienen! Nicht Aufdringling mehr, nicht geduldeter Sklave der Reichen, beschützter Schwächling, den die Tyrannen in ihre Obhut nehmen müssen; nein, ein Priester des Volkes, berufen und geweiht vom Genius des Vaterlandes! Welche Bilder, welche Gedichte, welche Gesänge sollten dann entstehen! Wie würde die schwache Kraft des Einzelnen wachsen und mit Adlerschwingen emporfliegen! Wie würde Feindschaft, Isolirung, Geschmacksanarchie weichen und Alles zu Gesammtschöpfungen sich vereinigen, da hinfort nicht mehr aus uns die Willkür, sondern die Idee selbst herausbricht und in duftende, bunte Blüten schießt! Jetzt leben wir versteckt, fast, wie Lessing's Maler sagt, vom Diebstahl der Natur; dann würden wir geborne Krösusse sein und die Natur zu bereichern scheinen!
Heinrichson schickte sich nach diesen Worten an, zum Zeichen des Aufbruchs seine Pinsel zu reinigen,.. eine lästige Arbeit, mit der die Maler, wenn sie in Öl arbeiteten, ihr vormittägiges Tagewerk beschlossen. Des Nachmittags kamen Wenige in das Atelier, so anziehend auch die Kühle des Raumes war...
Reichmeyer aber lobte diesmal zu Heinrichson's Ärger Das, was Siegbert gesagt hatte. Nur bedauerte er, daß man selbst in Frankreich, wo doch das nationale Leben am unmittelbarsten in jedem Einzelnen sich wiederfände, es nicht dahin hätte bringen können, die von der Regierung selbst beschafften künstlerischen Bestellungen ohne Neid von den Künstlern, die leer ausgingen, betrachtet zu sehen. Indessen fügte er hinzu, ist es doch immer erhebend zu beobachten, wie die gewöhnlichsten Bauern und Handwerker durch das Museum von Versailles wandern und sich die Heldenthaten der französischen Nation von Chlodwig bis zu den Feldzügen in Algier betrachten. Auch die Theater und sogar die Literatur sind in Paris weit mehr Volkssache als bei uns, und Niemand murrt darüber.
Und doch noch Alles zu sehr Spekulation, sagte Siegbert, zu sehr Willkür des Einzelnen!
Mein Freund Wildungen, nahm Leidenfrost in seiner ruhigen kaustischen Weise die Erörterung auf, mein Freund Wildungen will Griechenland wiederherstellen und weiß nicht, was er da erst Alles abschaffen müßte. Ich will von unsern zwanzig Grad Reaumur im Winter nicht sprechen. Man hat bei uns die Kirchen gebaut, ohne Rücksicht auf das Klima, rein aus Nachahmung der warmen Gegenden, die die Wiege des Christenthums waren! Aber dies Christenthum selbst ist seinen Plänen im Wege. Gerade dieser Religion verdanken wir die gänzliche Unmöglichkeit, die schönen Künste irgendwie anders in den Staatszweck einzuführen, als wir sie jetzt haben. Schafft uns erst die Verachtung der Welt, die mönchische Isolirung, den Miskredit des absolut Schönen, die Zweideutigkeit alles Formenreizes ab, und hernach wollen wir mit der Menschheit sprechen! Das macht sich aber nicht. Apollo steht auf dieser Wolkenschicht und Christus auf der andern. Die Menschen fallen nicht dort, sondern hier nieder, nicht vor dem schönen griechischen Gotte mit den menschlich vollendeten Gliedern, sondern vor dem ernsten, strengen verhüllten Lehrer der Entsagung! Die Tugend und Enthaltsamkeit ist den Menschen so ehrwürdig, daß sie aus Einem, der sie bis zur höchsten Vollendung übte, Gott selbst gemacht haben. Ehe nicht einmal ein Prophet kommt und die beiden Wolkenglorien verschmilzt, dem Apollo einen Heiligenschein, dem Christus eine Leyer in die Hand gibt, ehe nicht Apollo das Kreuz trägt und Christus wie einst die Ehebrecherin so auch die Musen, die vor ihm knieen müßten, frei spricht, eher wird sich auch in der Kunst und ihrer Stellung zum Leben nichts ändern. Wildungen möchte gern olympische Kränze austheilen und zu einem theatralischen Schauspiele ganze Völker einladen wie zu einem alle Jahre einmal stattfindenden Moment des fließenden Januariusblutes. Die Zeiten dieser Wunder sind vorüber! Und wen es anekelt, mit seiner Malerei um die Gunst der Großen und Reichen zu betteln, Kritiken zu lesen und nach Schultheorieen gefuchst zu werden, der verschönert die jungen Künste und Gewerbe, die einmal im Charakter unserer Zeit liegen und malt, wenn es nicht anders geht,... Pfeifenköpfe und Porzellanteller. Das schönste Bild, das ich malen könnte, macht mir nicht soviel Spaß, als z. B. die Idee, dem Stallmeister Lasally einen idealen Pferdestall nebst daran stoßender Reitschule zu bauen....
Wenn es meinem Cousin gelingt, eine reiche Frau zu heirathen! fiel Reichmeyer lachend ein, mit einem spottenden Blicke auf Siegbert, der roth wurde, da durch Leidenfrost's outrirte Grillen das im Atelier beliebte Melanie-Thema wieder in Gang kam.
Heinrichson zog sich einen eleganten Frack an und rief:
Leidenfrost profanirt das Atelier! Er zeichnet hier Grundrisse zu Pferdeställen! Seine Phantasieen von Kalmücken und hereinbrechenden Baschkiren sind nun erklärlich. Wie können Künstler so sich von der Unruhe des Tages erschüttern, ja wegreißen lassen! setzte er ärgerlich hinzu. Proletariat, Communisterei... welche Worte in einem Atelier, das Sie selbst so schön, so poetisch in Ihrem gefeierten Bilde geschildert haben! Ist Das auch nichts, daß wir Künstler und Genossen von Ihnen Alle verspottet wurden, daß Sie mich darstellten, wie ich in Fräulein Schlurck eine Sphinx sahe –
Reichmeyer warf hinein:
Und ich ein Meerweib mit goldenen Schuppen am Leib –
Beide Collegen wurden boshaft, worunter mehr Siegbert als Leidenfrost litt, der jedoch Siegberten durch eine Bemerkung beisprang, die er so obenhin einwarf.
Warum nicht eine Leda! sagte er. Heinrichson hätte dann nicht nöthig gehabt, die Auguste Ludmer zu copiren.
Die Wirkung dieses Namens war auf die Maler eine komische. Man lachte und sah zu dem ärgerlich die Augen niederschlagenden Heinrichson hinüber... Leidenfrost hatte ein zweideutiges Mädchen genannt.
Wissen Sie, wo Auguste Ludmer jetzt wohnt? fuhr Leidenfrost boshaft fort. In der Brandgasse Nr. 9, Zimmer Nr. 17.
Sie sind maliciös, sagte Heinrichson, und dennoch loben wir Sie! Solche Gesinnung ist also auch nichts? Künstleraufopferung, Hingabe aller Eitelkeit, rein der Idee des Schönen wegen, ist Das auch nichts? Oder ist es eine Gesinnung, würdig der bezahlten Sklaven, die den Reichen die Honneurs machen... Ich prophezeie Ihnen –
Vergessen Sie Ihre Rede nicht, Heinrichson, sagte Leidenfrost, da will Sie eben ein Abgesandter des versammelten Volkes von Athen sprechen! Freier Künstler, wahrscheinlich sollen Sie für den delphischen Apoll eine Skizze zu einem geschmackvolleren Dreifuß machen, damit Ihre Prophezeiung besser gedeiht..
Heinrichson wandte sich um.
Ernst, der Bediente der Frau von Harder, stand in glänzender Livree schon länger hinter ihm, hatte mit schlauem Lächeln die Späße über die verstoßene Nichte der alten Ludmer gehört und richtete den Auftrag aus:
Frau Geheimräthin lassen Herrn Heinrichson ersuchen, heut Abend zum Thee zu kommen. Es wird große Gesellschaft sein.
Als Heinrichson bejahend und etwas erröthend genickt und Ernst sich kurz und bündig entfernt hatte, rief Leidenfrost:
Tusch! Hurrah! Tatterata! Tusch!
Er blies dabei, als sollte ein ganzes Orchester sein Vivat unterstützen...
Bester Freund, setzte er zuletzt spottend hinzu, gilt die Einladung dem Maler oder Ihnen selbst, sozusagen als schönem Modell? Ist Das einfache Anerkennung oder Anerkennung der Anerkennung? Sollen Sie dieser alten Pythia an dem Theekessel der Begeisterung Liebe einflößen? O heiliger Apollo, ich schwöre dir, auf diese Verirrung eines Collegen mach' ich keine Satire, denn statt einer Sphinx wäre ich da versucht, eine alte Nachteule aus dem Geschlechte der großen Neuntödter zu malen.
Heinrichson biß sich auf die Lippen. Äußerlich aber nahm er den Spott nicht übel, sondern antwortete in der ihm eignen feinen und gewandten Art:
Damit würden Sie die ganze Wahrheit treffen, bester Freund; denn die Eule ist der Vogel der Minerva. Ich lerne Weisheit bei jener Frau. Man sieht Ihnen an, daß Sie nicht zu ihren Protégé's gehören...
Reichmeyer wandte sich und bemerkte verstimmt:
Gesellschaft bei Harder's? Schade!
Wie so? fragte Heinrichson.
Ich komme da in Verlegenheit...
Ruhe! Stille! rief Leidenfrost spottend. Apelles und Polygnot schütten ihre Verlegenheiten aus... Aspasia hätte wol auch Beide zum Thee laden können!
Leidenfrost, schweigen Sie! sagte Heinrichson zornig. Was ist? wandte er sich leise zu Reichmeyer.
Ich wollte den Abend zur Geheimräthin, sagte Reichmeyer, da mir die Gräfin d'Azimont, der ich heute freilich schon sehr früh um elf meine Aufwartung machen wollte, um sie als Pariser Gönnerin zu begrüßen, sagen ließ, sie wäre unfähig mich anzunehmen und ersuche mich, wenn ich sie sehen wollte, heute Abend zur Harder zu kommen, falls ich dort eingeführt wäre. Sie würde sich dort einige Augenblicke zeigen.
Zweiter Tusch! rief Leidenfrost. Vornehme Verachtung! Sie würde sich da einige Augenblicke zeigen! Für Geld sehen lassen! Vielleicht läßt sie beim Vorüberschlüpfen eine gnädige Bestellung fallen, die Spiegelprinzessin!
Siegbert lächelte still für sich über diesen ungeschlachten Gesellen und arbeitete.
Sie irren, sagte Reichmeyer zu Leidenfrost gereizt. Die Gräfin weiß sehr wohl, daß ich den Grund ihrer Zurückgezogenheit verstehe. Sie hat ein Verhältniß mit dem Prinzen Egon von Hohenberg, der in Paris mit ihr gebrochen hat. Sie ist ihm nachgereist, hat ihn sehr krank gefunden und ist davon wahrscheinlich so erschüttert, daß sie sich vor Niemandem sehen läßt, außer, wo sie muß...
Außer auf der großen Parade heute bei Heinrichson's Minerva – ergänzte Leidenfrost. Haltet Euch an sie, Jungen! Sie braucht eine öffentliche Demonstration ihres Schmerzes. Wie wär's mit einer weinenden Heiligen aus dem Kalender? Oder mit Miniaturen zu einem Gebetbuche, das ihre Augen benetzen werden? Hundert Louisdors für eine Magdalena, die zur Abwechselung einmal im gelben Duft interessante Thränen weint!
Heinrichson, ohne auf diese impertinenten Zwischenreden weiter zu achten, sagte zu Reichmeyer, er sollte ganz einfach zur Harder kommen, er würde ihr so willkommen sein wie immer und ihm gewiß den Gefallen thun, auch ihn mit der so vielgerühmten jungen Halbfranzösin bekannt zu machen...
Siegbert hatte bei seinem Schweigen besonders da mit stillem Sinnen an Melanie gedacht, als die Rede auf Leidenfrost's Bild kam. Die Erwähnung aber, daß der Prinz Egon krank wäre, machte ihn aufmerksamer. Er gedachte der näheren Veranlassung seines Verhältnisses zu Louis Armand, den er in kurzer Zeit schätzen gelernt hatte..
Reichmeyer hatte sich gleichfalls zum Gehen gerüstet: es schlug schon lange ein Uhr... Professor Berg kam von seinem abgeschlossenen Fenster her, um zu Tisch zu gehen... Der lange freundliche Mann mit grauem gelocktem Haare, entblößtem Halse und altdeutschem Hausrocke sprach mit den Malern einige wohlwollende aber gleichgültige Worte, sah auch nicht nach ihren Staffeleien. Er that Dies nur bei den Schülern, die am Eingangsfenster arbeiteten, dort hielt er sich einige Augenblicke auf und stieg, mit dem Taschentuche sich die heiße Stirn trocknend, die Stiege hinauf, die zu dem Altan führte...
Auch die Schüler gingen.
Heinrichson aber trat zu Leidenfrost heran und sagte:
Was hat nun wol der cynische Spötter gemacht, während andere Menschen ihrem Berufe leben und die Schranken der überlieferten Ordnung in Ehren halten?
Auch Reichmeyer näherte sich.
Doch vortrefflich! rief Heinrichson mit wahrer und aufrichtiger Begeisterung und Reichmeyer, der kälter und kritischer, auch nicht frei von Neid war, mußte gleichfalls mit einstimmen und fragen:
Das haben Sie in der einen Stunde gemacht?
Als nun auch Siegbert hinzutrat, wollte Leidenfrost seine Skizze mit dem Bret, auf dem sie ausgespannt war, rasch wegziehen, aber die Andern duldeten es nicht.
Leidenfrost! sagte Heinrichson; quand même! Das müssen Sie ausführen! Ohne Kreide, ohne Bleistift haben Sie diese Idee so mit dem Tuschpinsel frei hingeworfen und wie gelungen ist sie! Wie viel versprechend für ein großes Gemälde! Erschütternd! Wahr! Und durchaus neu!
Ihr lobt mich nur, sagte Leidenfrost, um mich wieder in Eure Kunstspitäler zurückzukuppeln! Ihr denkt, wenn man mich recht streichelt wegen meiner Tapferkeit, so bleib' ich bei der Bande! Ihr Räuber Ihr!
Er wusch sich bei dieser Gelegenheit die rauhen Hände und nothdürftig das verschrumpfte zwetschenartig getrocknete Gesicht und rüstete sich zu gehen.
Siegbert, der heute bis zwei Uhr arbeiten wollte, betrachtete die Skizze, unter der Leidenfrost mit dem Pinsel geschrieben hatte: Die Ganzen und die Halben.
Es war gleichfalls der Besuch des Nicodemus; aber in Leidenfrost'scher Auffassung. Der Entwurf bestand aus drei Gruppen. In der Mitte stiegen von einem Berge Weiber, Männer, Kinder in frommer demüthiger Haltung nieder, aber vertrauensvoll zum Himmel blickend, Palmen schwingend und mit Eifer sich Pergamente zeigend, auf denen sie nachzulesen schienen, was sie soeben über die alten Verheißungen gehört hatten. Sie kommen von Christus, den man nicht sieht, den man aber gerade Da ahnt, wo die volle Glut der Abendsonne wie eine aufgesprungene Pforte des Himmels erscheint. Auf der ganzen Gegend sollte wol Dämmerung, im Vordergrunde schon Nacht sein; die von Christus Heimkehrenden sind wahrscheinlich hinterwärts mit der Glut der untergehenden Sonne beleuchtet...
In der zweiten Gruppe ganz in dem rechten Winkel des Papiers stehen die Pharisäer. Meist nur die Köpfe sind sichtbar. Sie warten auf die Ankunft der Christusanhänger. Echte Zeloten, boshaft und intolerant. Einige ausgestreckte Arme drohen mit Stricken und Steinen. Die offenen Bekenner der Jesuslehre werden so empfangen werden. Muthvoll und gläubig gehen sie ihrem Schicksale entgegen...
Der dritte Punkt, der unsre Aufmerksamkeit fast als das Hauptsächlichste des ganzen Bildes in Anspruch nimmt, ist Nicodemus ganz allein. Dadurch, daß er in der Tracht, besonders am Haupte, wie die intoleranten Pharisäer erscheint, erkennen wir sogleich, daß er auch zu den Schriftgelehrten gehört. Die Ruinen eines alten Tempels verbergen ihn. Durch die zerbrochenen Säulen schimmert in der künftigen Ausführung die Glut der Abendsonne. Ihn selbst umfängt schon Nacht. Mit gesenktem Haupte, fast Thränen im Blick, die rechte Hand an's Herz legend, die linke eine Gesetzesrolle haltend, schreitet er dahin in der Nacht, von woher die Armen und Todesmuthigen schon am Tage kamen. Weder die Pharisäer, noch die Gläubigen konnten ihn sehen, aber sein Emporsteigen läßt keinen Zweifel, daß er dahin will, von wo die scheidenden Sonnenstrahlen kommen..
Siegbert stand sinnend vor der flüchtigen nur andeutenden, aber doch selbst im möglichen Farbeneffect schon erkennbaren Skizze.
Lassen Sie sich nicht irre machen, Wildungen, sagte Leidenfrost jetzt ruhig und fast weich und seinen schlichten grauleinenen Gehrock überwerfend, es ist zwar Glaube in dem Bilde, aber doch nicht der rechte, weil kein rechter Christus. Die untergehende Sonne kann allenfalls auch die Feuerreligion bedeuten, den Spinozismus oder die Hegelei. Bleiben Sie bei Ihrem Heiland und wie Sie ihn faßten. Den wollen die Menschen natürlich, den wollen sie leibhaftig sehen, seine Nägelmale fassen, die Hand in seine Wunden legen, sonst glauben sie nicht und sonst wirkt es auch nicht.
Sie sagen da das Einzige, erwiderte Siegbert, was ich an dem Entwurfe ausstellen möchte, die fehlende Person Dessen, der die Wahrheit lehrt, mag es nun Christus sein oder Sokrates. Und doch vielleicht ist auch dies geheimnißvolle Ahnen schön! Ich finde das Ganze gut und bedeutend. Welch' ein Ausdruck läßt sich da dem frommen, freudig rückkehrenden Pilgerzuge geben! Welche Wuth und Blutgier den Pharisäerköpfen, von denen Sie nur die Köpfe, die Hände, die Stricke und die Steine sehen lassen! Und hier Nicodemus aufsteigend hinter den Ruinen, bedeckt mit dunklem breitblättrigem Feigenlaub. Die Füße sieht man nicht... Fast Kniestück. Man hört ihn schleichen. Und welcher Schmerz im Antlitz! Welche Beklemmung und welche Sehnsucht nach Wahrheit! Ich ließ' ihn im Gehen das Alte Testament lesen und sich vorbereiten, ob er den rechten, verheißenen Messias finden würde. Man ist versöhnt mit ihm, man zürnt ihm nicht, man ahnt, daß er einst anstatt zu den Halben, zu den Ganzen gehören wird und sich einst seines Glaubens wegen steinigen läßt!
Halten Sie inne! rief Leidenfrost. Von Alledem steht noch nichts in der Pinselei! Bleiben Sie bei Ihrer Auffassung!
Besonders wenn Sie, sagte Reichmeyer, um mit einem Witze seinen Abgang effectvoller zu machen, außer den gläubigen Mohrenknaben und den Bedienten auch das Kameel hinten recht fromm und bekehrt darstellen.
Damit ging Reichmeyer, gefolgt von Heinrichson, der schon gelbe Glacéehandschuhe angezogen hatte...
Erbärmliche Effecthascher! rief ihnen Leidenfrost mit verbissenem Grimme nach. Was mag Reichmeyer da wieder outrirt haben?
Damit deckte er dessen Staffelei auf. Es war noch immer das Portrait seiner Verwandten, der Frau von Reichmeyer, das er in den Spitzen, der Gewandung, den Blumen und dem Sammetüberzug des Sessels, auf dem sie saß, zierlich übermalte.
Leider – sehr gut gemacht, sagte er. Es ist ärgerlich, daß man ihm nicht Eins versetzen kann.
Wozu? fiel Siegbert ein. Sein Spott ist lehrreich. Will ich mein Bildchen im Charakter des Gethsemane halten, so muß allerdings das Kameel auch fromm sein. Ich werde es ganz andächtig hinstellen.
Sie sind ein guter Mensch, Wildungen! sagte Leidenfrost und reichte ihm die Hand. Zu gut! Zu gut! Sehen wir uns heute? Meine Maschinenarbeiter, besonders Alberti, Heusrück, Danebrand quälen mich, den Franzosen kennen zu lernen. Die armen Jungen sind von unsern Demokraten zu läppisch an der Nase herumgeführt worden. Sie dürsten nach Vernunft, Wahrheit und Uneigennützigkeit.
Seien Sie in dieser Angelegenheit nur behutsam, bester Freund, antwortete Siegbert. Ich wünsche um Alles nicht, daß man uns misversteht. Ehe ich mich mit meinem Bruder nicht ganz verständigt habe, gehe ich auf diesem Wege nicht weiter. Heute hoff' ich ihn mir in dieser Angelegenheit etwas näher zu bringen und auch Armand mit ihm bekannt zu machen. Wo sind Sie denn Abends?
Sind wir nicht zusammen, sagte Leidenfrost, so schlag' ich in meinem Gedächtnisse nach, ob ich nicht Jemanden seit längerer Zeit vernachlässigt habe.
Da wünsch' ich, daß Sie ein Mädchen finden mögen, fiel Siegbert lächelnd ein.
Ich möchte Sie wol einmal, sagte Leidenfrost kopfschüttelnd, mit einer Arbeiterfamilie bekannt machen, in die ich durch Willing'sche Maschinenbauer eingeführt wurde. Sie würden staunen über eine weibliche heroische Natur, die an der Spitze dieses ganzen kleinen Gewühls von Kummer und kleiner Freude, von Greisen und lallenden Kindern steht. Waren Sie noch nie in den alten von der Stadt verwalteten Communal-Familienhäusern?
Niemals...
In der Brandgasse... in dem Hause, wo die Auguste Ludmer Nr. 17 wohnt...
Wie käm' ich dahin... die schöne Auguste! Die so tief gesunken ist!
Heinrichson's Verdienst!
Lassen Sie Das! Was geht Das uns an?
Louise Eisold ist der Name des Mädchens, das ich meine...
Und das Sie lieben.. in einem solchen Hause?
Lieben! Nein, Wildungen! Ich meine, Sie kommen doch auch noch dahin, sich für die Frauen zu interessiren, ohne gleich Ihr Herz in Brand zu stecken..
Tändeln Sie mit dem armen Mädchen? Das wäre noch schlimmer!
Louise Eisold? Nein! Nein! sagte Leidenfrost fortgehend und sich Cigarren aus seinem Portefeuille hervorsuchend. Ich lasse sie in ihrem Element und beobachte nur, wie sich Das doch auch regt, doch auch bewegt, wie Das plätschert, zappelt und nach Luft schnappt, gerade wie vielleicht die schöne Gräfin d'Azimont! Sie werden doch bei der Werdeck, die ich Ihnen zu malen überließ, nicht sogleich auch an Liebe denken?
Ich bitte Sie, Leidenfrost..
Es ist eine schöne unternehmende Frau... eine Polin!
Wenn Sie wüßten, sagte Siegbert fast erröthend, wie verächtlich mir die Männer sind, die bei jedem weiblichen Wesen sogleich an eine Eroberung denken! Im Gegentheil weckt die Bekanntschaft dieser Frau mir die dringendste Neugier, gerade ihrem Manne näher zu kommen. Sie verachtet unsere politischen Zustände und haßt sie in einem Grade, daß ich nicht begreife, wie ein Offizier in ihrer Nähe sich behaupten kann ohne ein Heuchler oder Tyrann zu sein, was Major von Werdeck doch wol nicht zu sein scheint... Woher kennen Sie diese Werdecks?
In Werdeck's Innerm, sagte Leidenfrost ausweichend und fast geheimnißvoll zur Erde blickend, gährt es wie in dem Herzen vieler Edlen, die in Verzweiflung gerathen, ihre bessere Überzeugung mit den Anforderungen ihrer Stellung in Einklang zu bringen. Schließen Sie sich dem Manne an, Wildungen!
Seine scharfen Züge wirken fast abstoßend auf mich...
Jede bedeutende Capacität, die handeln will, muß etwas vom Mephistopheles haben. Wir sind Alle etwas borstig und widerhaarig, die wir eine Meinung behaupten. Ich weiß wohl, wie unangenehm ich durch meine Überzeugungen wirke. Lieben kann man uns nicht. Aber Major von Werdeck wird noch einst in der Geschichte Epoche machen, wenn er nämlich auch von den Halben zu den Ganzen übergeht!.. Adieu, Freund! Vergessen Sie nicht Ihren Bruder zu sondiren!
Damit hatte sich Leidenfrost eine der Cigarren angezündet, seinen grauen Filzhut über den Kopf gestülpt und in ruhigem Schlendergange das Atelier verlassen...
Die Worte: Wenn er von den Halben zu den Ganzen übergeht! hallten in dem inzwischen leer gewordenen Atelier so nach, daß Siegbert vor ihrem Widerklange fast erschrak. Es lag in Leidenfrost's Betonung etwas, das ihn selber traf und doch verdroß ihn der Schein des Geheimnisses, der plötzlich die ihm so liebgewordene Gestalt des talentvollen, mit sich und der Welt fast zerfallenen jungen Künstlers umschleierte. Zum ersten male sprach in ihm eine Stimme: Folge diesen dunklen Wegen nicht ohne Vorsicht! und dennoch stand er sinnend vor der Skizze, die Leidenfrost vom Nicodemus entworfen hatte. Das schleichende, ängstliche Aufsteigen des seines Irrthums sich bewußten Pharisäers zum Tempel der Wahrheit erschütterte ihn tief... Er sah die ganze Zeit wieder, die ganze Schwere, die auf den Gemüthern lastet, den Widerspruch zwischen der bessern Überzeugung und der irdischen Rücksicht bei Hunderttausenden... Nicodemus! seufzte er.
Es währte lange, bis er zu seiner eigenen Staffelei zurückkehrte.