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Der so gern nur wohlgemuthe Jäger Leberecht Heunisch kam in rosenrothester Laune von seinem Prinzen Egon.
Er, der so gewohnt war, nicht viel auf seinen Schultern zu tragen und der selbst von dem Nächsten, was um ihn her sich ereignete, nicht viel sehen und wissen mochte, hatte eine Menge lästiger Drangsale von seinem Gemüthe abgeworfen.
Gleich wie er von seinem genesenen, zum erstenmale ordentlich gesehenen hohen Patrone kam, begegnete ihm Dankmar Wildungen, den er seit dem Abschied vom Gelben Hirsch für den Prinzen selbst gehalten hatte.
Nun wußte er doch, wo er auch diesen Freund und Gönner hinbringen sollte. Es war ein »Bekannter« des Prinzen! Diese Thatsache nahm ihm, als er Dankmarn rasch eilen sah, um Egon zu begrüßen, alle Skrupel. Es lag wieder das helle, goldne, klare Nichts vor seinen Augen; der ganze blaue Himmel schien in seine blauen treuherzigen Augen zurück und nur Heinrich Sandrart, der Sergeant, und das Fränzchen und der alte französische Sprachmaitre... Die waren noch ein paar lästige Wölkchen für seine Behaglichkeit.
Er war von Egon und von dem frohen Wiedersehen des guten Rathgebers Dankmar in die Kaserne gegangen, um den Sergeanten abzuholen...
In seiner Patentuniform, wie er sie immer trug, kam der Sergeant mit dem Förster mit, nicht ohne Hoffnung, Fränzchen würde doch wol vielleicht dem Onkel zum Abschied eine für ihn tröstlichere Erklärung geben.
Der junge Krieger hatte eine freundliche Zusprache nöthig, denn seit dem Fortunaball geschah Vieles, um seinen sonst so fröhlichen leichten Sinn zu kränken.
Sein rundes volles Gesicht, dem ein Bärtchen an der Oberlippe und ein damals noch erlaubter demokratischer Kinnbart gar männlich stand, war seit einiger Zeit nicht aus Liebeskummer allein entfärbt.
Der Lieutnant von Aldenhoven hatte ihm die Äußerung: Wir sind hier nicht im Dienst, Herr Lieutnant! sehr übel genommen...
Man fand Heinrich Sandrart schon lange nicht von der ordonnanzmäßigen Botmäßigkeit, die die Gesetze der Disciplin in ihrer soldatesken Übertreibung mit sich brachte. Gerade, daß ihn gegen mancherlei Anklagen, die man bis zum Major seines Bataillons gegen ihn vorbrachte, dieser in letzter Instanz in Schutz nahm, ihn entschuldigte, eine brave Haut nannte, die man nicht kopfscheu machen müsse, gerade darin lag ein Grund mehr für einige Offiziere, ihm das offenste Unrecht anzuthun. Man konnte ihm zwar nicht nachsagen, daß er wie einige vorlaute und schon mehrfach bestrafte Krieger von den neuen Ideen angesteckt war, er besuchte keine verbotenen Gesellschaften, er war harmlos, gutmüthig und liebte nur das Vergnügen und die Frauen, man wußte, daß er um einer spröden Liebe halber schmachtete und zog ihn damit auf. Allein schon einige junge Krieger der Garnison waren, ohne zu den absichtlichen Wühlern zu gehören, dadurch, daß sie etwas Apartes für sich in Anspruch nahmen, aus dem Verbande der großen disciplinarischen Kette, die das ganze Institut der stehenden Heere aufrecht erhält, herausgeglitten und hatten in den Theorieen jener bald stilleren, bald lauteren Wortführer einen Anhalt für rein persönliche Misstimmungen gefunden. Dem Major von Werdeck sagte man ja etwas Ähnliches nach! Er sollte früher nie über Politik nachgedacht, ja sogar so ruhig, so loyal sich immer verhalten haben, daß man ihn anfangs an der Spitze einer Compagnie älter werden ließ, als es sein Wunsch sein konnte. Später erhielt er Beförderung; aber wie lange ließ man ihn warten, weil er immer zu den Geduldigen gehört hatte! Plötzlich wurde er verdrießlich. Man wollte ihn in eine entfernte Garnison zur Linie schicken, er schlug die Stellung aus und zog die alte geringere vor. Er las Zeitungen, bildete sich ein Urtheil und machte mit Niemanden Partei. Jedes Ding, jede Frage wollte er gewissenhaft prüfen und durch das Prüfen kam er vom politischen Köhlerglauben, den man Loyalität, Treue nannte, zum Zweifel, den man Liberalismus, demokratische Gesinnungslosigkeit schalt. Erst einmal in der Minorität, ging es dem Major wie jedem rechtschaffenen Manne. Er fand seine Ehre darin, einem eigenen Nachdenken seine Überzeugungen zu verdanken und sonderte sich immer mehr von den Andersgesinnten ab. Längst würde er seinen Abschied genommen haben, wenn ihn nicht zwei Dinge daran verhinderten. Einmal galt es von dem Staate, dem er angehörte, für angenommen und feierlich beschworen, daß ein neuer, volksthümlicher Geist die Seele des Ganzen werden sollte. Anderntheils sagte er sich, daß, wenn auf einem schwierigen, mit Kampf verbundenen Posten Jeder immer sogleich weichen wollte, man sich nicht wundern dürfte, wenn das Gute überall unterliege. Seine Untergebenen hielten mit leidenschaftlicher Vorliebe an ihm fest, so streng er auch sein konnte und so hoch er auch seinerseits die Nothwendigkeit der Disciplin anschlug. Er wiederholte oft den Schiller'schen Spruch: »Ein freies Leben ist ein paar sklavischer Augenblicke wol werth«. Daß Soldaten wählen sollten, daß man den Geist der Parteiung in die geschlossenen Glieder einer Armee verpflanzte, war ihm ein Gräuel. Die muthige Art, mit der er kurz und bündig manchem Parteihaupte gegenüber einen solchen Satz aussprach, hatte immer wieder zur Folge, daß die ihn umwühlende Intrigue sich etwas zurückzog und vorsichtiger zu Werke ging. Aber seine sogenannte Wiederherstellung in dem Vertrauen seiner Kameraden hatte nicht lange Dauer. Er verstieß nur zubald wieder gegen das System, das nun einmal in diesen Reihen gelten und die Kluft zwischen dem Alten und Neuen immer mehr erweitern sollte. Was man von ihm selbst nicht wußte, setzte man endlich bei der offen zur Schau getragenen Gesinnung seiner Frau über ihn voraus.
Die Besatzung wurde gerade jetzt viel mit Exerciren gequält. Schon am frühen Morgen war der Major auf einer großen Ebene vor der Stadt gewesen und hatte die schon tausendmal gemachten Manövres wiederholen lassen. Sein schmerzliches: Guten Morgen, Kinder! als Alles vorbei, hatten die Soldaten wohl verstanden. Es war eilf Uhr und Sandrart war schon übermüdet. Dies hinderte ihn aber nicht, sich rasch anzukleiden und mit dem Förster Heunisch, der, auch einst Soldat, die ewige Fuchserei (namentlich »in dieser Zeit«!) nicht begreifen konnte, zu Fränzchen zu gehen.
Onkel Heunisch war sehr angeregt. Der freundliche Empfang des jungen Fürsten hatte ihm wohlgethan. Auch dem Madeira hatte er lebhaft zugesprochen. Er war etwas zum polternden Zank aufgelegt und wiederholte alle die schlimmen und ärgerlichklingenden Reden, die er schon mehrmals gegen Fränzchen ausgesprochen hatte.
Diese war ruhig und reizte ihn dadurch doch noch etwas mehr als nur zum Scherz. Endlich mußte sich sogar Sandrart in's Mittel legen und ihn besänftigen. Brummend setzte sich der Jäger in einen Lehnsessel, ließ sich, um seinen brennenden Durst zu stillen, von einem Burschen der Werkstatt leichtes Bier kommen, steckte eine Pfeife an, rauchte eine Weile, trank nun und entschlief. Sandrart nahm seine Flöte und blies: Ach, wenn du wärst mein eigen! Madame Märtens klemmte die Brille auf die Nase und studirte mit Wißbegier das neueste Hellerblatt, das sie mit dem Schneider drüben zusammenhielt. Dieser nickte, dankbar für die Flöte, herüber. Fränzchen nähte und malte sich hinter ihren Blumen aus, wie es wol am nächsten Sonntag sein müßte, wenn es ihr recht, recht gefallen sollte...
Plötzlich ließ sie zitternd die Arbeit sinken. Sie hatte Jemanden kommen hören, sie vernahm eine Stimme, die Flöte schwieg, der Onkel schnarchte leiser, die alte Märtens sprach über den Hof hinüber. Sie hätte aufschreien mögen, als sie hörte, daß drinnen im Zimmer die Alte aus dem Fenster erschrocken rief: Hat mir's doch geschwant!... Sie sah hinaus... Eben kam Louis Armand.
Eine Minute darauf war Louis Armand im Zimmer.
In bewegtester Spannung von Freude und Furcht erregt, wartete Fränzchen, ob Louis nach ihr fragen und zu ihr eintreten würde.
Wie peinlich war dem armen Kinde die Anwesenheit Sandrart's! Sie hätte ihn heißen mögen mit seiner Flöte zum Kuckuk gehen und nie wieder kommen!
Vor Unruhe, vor Verzweiflung, daß sich dies Wiedersehen so fügen, unter so ihre Neigung in den Schatten stellenden Verhältnissen begeben mußte, konnte sie nicht sitzen bleiben. Sie stand auf, pflückte unruhig am Fenster welke Blätter von den Blumen und zerknitterte sie in der Hand. Sie nahm die Scheere und bohrte ein wenig in dem Sande der Töpfe und raufte einige verwelkte Blüten aus dem Kressenkasten.
Louis Armand sprach von seinem langen Ausbleiben, von seinem genesenen Freunde und Gönner, von den Bestellungen, die er auf der Schiefertafel verzeichnet fand und etwas mühsam, mit Hülfe der gelehrten Frau Tischlermeisterin entzifferte.
Wenn Fränzchen an die Möglichkeit seiner Liebe hätte glauben können, so würde sie gefunden haben, daß seine Stimme bewegt war und bei dem Anblick des jungen Soldaten sogar wehmüthig.
Aber wie konnte sie an seine noch ihr erhaltene Theilnahme glauben, da er kein Wort von ihr sprach, sich nicht nach ihr erkundigte!
Endlich mochte sie diesen Zustand nicht mehr aushalten. So sehr ihr Stolz widerstrebte, das liebekranke Herz zwang sie, ein Zeichen ihrer Anwesenheit zu geben. Noch wußte sie nicht, sollte sie thun, als hätte sie an ihrem Bett oder der Kommode etwas zu schaffen und rasch, ganz wie von ungefähr, an der geöffneten Thür vorüberschlüpfen, oder sollte sie etwas fallen lassen, das etwa soviel sagte, als: Hörst du denn gar nicht? Hier ist ja auch Jemand, dem sein Herz wie ein Hammer klopft und der dir am liebsten gleich um den Hals fallen möchte, wenn so etwas in dieser schrecklich anständigen Welt möglich sein dürfte!
Aus vielen Rücksichten und besonders deshalb, weil sie beim Vorüberhuschen an der Thür fürchten mußte, zu ihm hinein zu müssen, gedrängt von ihrem Gefühl, entschloß sie sich, etwas fallen zu lassen und nun fragte sich nur, was? Die Scheere gab nicht Klang genug, obgleich die auseinanderfallenden beiden Schenkel der Scheere gleich sagen mußten: Das kann nur Franziska sein!... Ein Nadelkissen mit Sägespähnen gestopft gab keinen Klang. Der Fingerhut war auch zu winzig. Da dachte sie an eine Zwirnrolle. Diese bot den Vortheil, daß sie fiel und gleich weit umher lief. Sie durfte ihr nachspringen und sich beim Suchen bücken, verwickeln. Und wenn sie sich bückte, war sie sogar nicht sicher, in das Nebenzimmer mit Gewalt hineingezogen zu werden.
Die Rolle fiel also und richtig! Man kam.
Aber leider gleich ihrer Zwei.
Louis Armand kam und Heinrich Sandrart.
Das hatte sie nicht bedacht, daß auch der junge Sergeant das Ohr spitzte und auf Alles lauschte, was sich nebenan begab.
Doch war es gut, daß sich Heinrich Sandrart fast am emsigsten bückte und Louis ungehindert war, Fränzchen die Hand zu bieten und ihr die Freude auszudrücken, sie wiederzusehen.
Ei! Leben Sie denn auch noch, Herr Armand? fragte sie. Wir glaubten schon, daß Sie nicht mehr an uns denken!
Louis warf einen theilnehmenden Blick auf Sandrart, der die Zwirnrolle zurückgab und dem beim Suchen das Blut in die Wangen geschossen war.
Es ist viel von Ihnen gesprochen worden, Herr Armand, sagte Sandrart mit einer Art Eifersucht, um sich in das Gespräch mischen zu dürfen.
Fränzchen wollte schon sagen: Doch mit Ihnen wol nicht? Sie unterdrückte aber die Bemerkung, weil sie ihr selbst zu schnippisch vorkam.
Louis sprach manches Freundliche, aber Unerhebliche, mit großer Ruhe. Er prüfte Franziska, er sah Sandrart an. Endlich erwähnte er den französischen Unterricht.
Woher wissen Sie...
Der schlafende Onkel da im Stuhle erzählte dem Prinzen Egon Alles, was ihn glücklich und traurig macht.
Franziska sah zu dem schlafenden Förster, den der Madeira überwunden hatte. Jetzt konnte sie sich denken, was Louis Alles von ihr gehört hatte...
Haben Sie den Onkel gesprochen?... sagte sie mit gezogenen Worten und sehr kleinlaut.
Wie heißt denn Ihr Lehrer?
Herr Sylvester.
Sylvester? Das ist ein Vorname!
Ich kenn' ihn nur bei diesem Namen...
Heinrich Sandrart wollte nun auch gesprächig, launig sein, sich in einem günstigen Lichte zeigen. Er fing an, Herrn Sylvester zu schildern...
Doch hörte Louis nicht viel darauf. Er war zu bewegt, den niedergeschlagenen Blick des jungen hocherglühenden Mädchens zu beobachten. Der Gedanke, daß sie Bälle besuchte und vielleicht von ihrer alten sittsamen Bahn gewichen war, drückte ihn peinlich.
Ein näher forschendes Gespräch war nicht möglich. Denn auch der alte Märtens kam nun von unten aus der Werkstatt herauf und jetzt gab es ein Begrüßen, ein Fragen, ein Erkundigen, ein Dolmetschen und Vermitteln durch Frau Märtens, das endlos zu werden schien, aber den festen gesunden Schlaf des Försters nicht störte.
Auf diesen endlich Rücksicht zu nehmen, schien Louis eine nothwendige Pflicht des Anstandes. Er ergriff seine Schiefertafel und wollte nach vorn gehen.
Frau Märtens sprach von den Wirthsleuten im Vorderhause. Wie er es mit seiner »Servirung« halten wolle? Ob er jetzt immer wieder »präsent« bliebe?
Ich denke wol, sagte Louis Armand. Ich bedarf wenig. Mein Zimmer, wo ich die Proben meiner schwachen Talente ausgelegt habe, sieht wie der Eingang zu einem vornehmen Herrn aus. Nebenan hab' ich eine Kammer, ein leichtes Bett, einen Riegel für meine Kleider und bin zufrieden, wenn mir die Leute vorn täglich nur frisches Wasser bringen.
Wenn Sie etwas rekommandiren, sagte die alte Märtens, Herr Armand, so sagen Sie's nur.
Und ihr minder gelehrter Gatte setzte hinzu:
Ich glaubte, unsre Sachen sollten nun recht Hand in Hand gehen.
Mit aller Macht! antwortete Armand. Ich nehme meinen alten Plan mit Freuden wieder auf! Ich bleibe noch in dieser schönen Stadt, die ich nun erst kennen lernen will und gearbeitet muß nun werden nach Wohlgefallen.
Die Tischlermeisterin, die trotz ihrer Pfennigblätter nach beschränkter Leute Art auf einem und demselben Gegenstande lange verweilte, sagte:
Es sind ganz accurate Menschen, die die Appartements vorne logiren. Heute nahm die kleine Frau das Intelligenzzettel von der Hausthür und sagte wie ich gerade vom Markt komme: Gott sei Dank, nun ist Alles vermiethet! Es ist eine reinliche Frau. Ihr Mann war – was begleitete er doch, Märtens?
Armand konnte die Abneigung des alten Märtens, auf ein so weitläufiges, wenn auch gebildetes Gespräch einzugehen, nur theilen. Franziska bot er die Hand. Diese gab ihm die ihrige. Da ihr das Blut zum Herzen drängte, war die Hand eiskalt. Er drückte sie theilnehmend und sah ihr fragend und forschend in's dunkle Auge, das sie zitternd und bewegt niederschlug. Heinrich Sandrart grüßte er leicht. So ging er.
Unglücklich Liebende sehen schwarz. Sie verdächtigen Alles, auch das Unschuldigste. Wer will dem jungen Sergeanten verdenken, wenn wie ein Blitzstrahl in den ohnehin gehäuften Zündstoff seines Mistrauens der Gedanke fiel, daß Fränzchen diesen Franzosen lieber haben möchte als ihn? Über diese Vermuthung in Vorwürfen sich Luft zu machen, hatte er kein Recht. So blieb ihm nichts übrig, als sich noch einmal an Franziska voll Liebe und Theilnahme zu wenden.
Fränzchen, sagte er, gehen Sie heut Abend mit dem Onkel und mir in's Theater! Der Hauptmann gibt mir frei bis zehn Uhr. Es wird die Leonore gegeben, ein so schönes Stück für Soldaten und für Mädchen, die einen Soldaten gern haben können...
Fränzchen aber, statt der Antwort, zeigte auf den Onkel, der plötzlich sehr unruhig schlief, kirschroth wurde und sich im Schlafe krümmend bewegte...
Er träumt schwer! sagte Frau Märtens, die eben den Tisch zum Mittagessen deckte. Es drückt ihn doch nicht die Alpe?
Wirklich entfuhren dem Förster allerlei Ausrufungen, die einen lebhaften, drückenden Traum verriethen.
Fort! Fort! sagte er. Urschel fort! Urschel, sie soll!... – Feuer! Feuer! Es brennt –! Sie soll...
Damit riß er sich, unterstützt von der Tischlermeisterin, die von dem Druck der »Alpen« Schreckliches zu erzählen wußte, auf und erwachte.
Wird schon gegessen? sagte er rasch orientirt, hab' ich geschlafen?
Damit zog er die Uhr mit einem schönen Horngehäuse. Schon halb eins! sagte er.
Sandrart stand stumm und still. Er holte rasch seine Dienstmütze. Er hatte sich in seinem Flötenspiel und der Eifersucht auf den jungen, gewandten Franzosen verspätet. In der Angst, schon wieder eine Rüge »zu besehen«, wie er's nannte, lief er davon. Fränzchen hatte ihm ohnehin schon durch ein Kopfschütteln den Besuch des schönen Soldatenstückes abgeschlagen.
Die Alte gab ihm das Zeugniß hinterher:
Ein guter, aber »drömerischer« Mensch!
Die Unterhaltung beim Mittagsmahle war eben so spärlich wie das bescheidene Mahl selbst... Die beiden alten Leute aßen wenig, Fränzchen fast gar nichts und Heunisch hatte zu gut gefrühstückt und einen garstigen Traum gehabt.
Seine ersten Worte mußten der Frau Tischlermeisterin und ihrer Bildung eine sehr schmeichelhafte Anerkennung zu Wege bringen.
Immer, sagte er, wenn ich von der Schneidemühle und vom Feuer träume, schmeckt's mir den ganzen Tag nicht. Dann liegt mir's ordentlich wie ein Alp auf der Brust. Wenn nur die Marzahn nicht einmal das Haus ansteckt! Jede Nacht steht sie auf und leuchtet mir mit der Lampe in alle Winkel. Ich kann von Glück sagen, daß ich die Hunde zu Hause ließ. Erst wollt' ich den Packan und die Jette mitnehmen, die sind die wachsamsten und schlagen gleich an. Ja sie sind Gott sei Dank vernünftiger als die Alte! Seit sie von einem Bruder, der in Amerika gestorben ist, das Geld gekriegt hat, sieht sie alle Nacht Gespenster! Ei, Muttersche, sagt' ich ihr erst vor ein paar Tagen ganz fuchswild: Muttersche, Muttersche, ist sie toll? Ich schieße 'mal drauf los, wenn sie wieder sagt: Da geht der Herr Baron über die Wiese und sucht unter der Eberesche seinen Erstgebornen!
Mann! Mann! sagte Madam Märtens und rückte ihrem Gatten das gekochte Rindfleisch hin zum Zerschneiden; schweigen Sie still, Onkel! So etwas kommt Einem die Nacht vor, daß man nicht schlafen kann!
Sie erzählte darauf eine lange Gespenstergeschichte.
Als sie zu Ende war, sagte Heunisch bedenklich, wenn sie noch so fortmacht, seine Alte, so glaube er doch noch, es gäbe Hexen.
Wie sie hörte, ich wollte hierher und die Fränz holen da mit ihrem Seidenhaar und dem starren, tückischen Sinn, kam sie mir in der Nacht, eh' ich fortmachte, an's Bett...
Jesus! sagte die alte Märtens. Da hätt' ich den lebendigen Tod gehabt!
Die Courage muß man zusammen nehmen! Heunisch, sagte sie, wenn er an's Wasser kommt, weiß er, wo das Waisenhaus liegt, dann sagt doch: die Kinder sollten im Waisenhaus nicht so schreien!
Der alte Tischler lachte und schenkte von dem Dünn-Bier ein, das einer seiner Lehrburschen, die des Gastes wegen nicht mit aßen, auf den Tisch stellte.
Was für Kinder? fragte die alte Märtens voll Interesse mit dem Beisatze:
Diese Ursula ist wol nicht recht gescheut?
Was für Kinder! antwortete Heunisch. So muß man da gar nicht fragen! Urschel, sagt' ich, schreien sie denn so die Kinder, daß du nicht schlafen kannst? Ach, sagte sie, ich kann wol schlafen, Heunisch; aber der Baron kommt und sagt: Schwester, was schreien denn die Jungen so? Die Gräfin will's nicht hören...
Die Gräfin! fragte wieder verwundert Madame Märtens.
Heute ist's eine Gräfin, morgen der Baron, dann das Nantchen von der Sägemühle und auch einmal die Line vom Gelben Hirsch. Das geht Alles da durcheinander und wenn mir's zu bunt wird, ruf' ich: Jette! – Das ist mein Windspiel – Jette! Eins, zwei – die Jette unterm Bett hervor... angeschlagen... ihr an die Strümpfe ein Bischen gekitzelt... Dann schimpft sie über die Hunde und geht mit allen ihren Dummheiten zu Bett.
Die Tischlermeisterin starrte.
Heunisch, sagte aber ihr Mann und schenkte von dem Bier ein, das dem Onkel nicht munden wollte, daß Sie Das da im Wald so allein aushalten! Und schon die vielen Jahre!
Es erbarmt sich ja Keiner eines so alten Hundes wie ich bin! sagte der Förster mit einem scharfen Seitenblick auf seine Nichte, die kaum hörte und für sich träumte.
Frau Märtens besann sich jetzt von ihrem Schreck. Sie wollte das ihr nicht angenehme Thema der Mitreise nach dem Forsthause nicht wieder anregen lassen, sondern setzte auf den Schrecken dieser Erzählung noch die Schrecken einer ihr bekannten wirklichen Hexengeschichte.
Als sie zu Ende war, konnte Heunisch von seiner Ursula Marzahn desto unbefangener fortfahren:
In der Nacht, eh' ich abreiste, kommt sie mir wieder mit dem Wasser und dem Waisenhaus an. Und weil ich gerade vor Unruhe, wie immer, wenn ich was vorhabe, nicht schlafen konnte, so ließ ich sie heute 'mal reden und rief nicht gleich die Jette. Von wem Urschel, sagt' ich, soll ich denn ein Compliment in's Waisenhaus sagen und die Jungens möchten ruhig sein? Von der Gräfin! sagte sie und blinzelte mit ihren kohlschwarzen Augen. Und der Baron will wol auch nicht gern das Kindergeschrei? sagt' ich. Da lachte sie. Es können viele Menschen das Kinderschreien nicht leiden, meint' ich. Wem muß ich denn sagen, die Kinder sollten nicht so laut schreien? Ich dächte, fuhr ich so im Spaß fort, ich sagt' es lieber gleich dem König. Was, Alte? Aber Das machte sie nun erst ganz verdreht. Was dabei der König sollte, verstand sie nicht und ganz ruhig geworden ging sie fort, wie ein bellender Hund, wenn man einen Stein von der Erde nimmt. Wenn Einer verrückt ist, muß man nur so thun, als wenn er ganz Recht hätte und dann geht er gleich in sich.
Der Tischler glaubte keine Wunder, als die in der Bibel stehen, seine Gemahlin schüttelte aber den Kopf und ermuthigte den Förster, fortzufahren:
Gleich darauf kommt sie wieder und sagt: Heunisch, sagt sie, er muß das Geld mitnehmen. Schön! sagt' ich, Urschel. Wie viel denn? Alles? Alles? Urschel gut!
Die Erbschaft von dem Bruder aus Amerika? warf Frau Märtens, die über diese schon unterrichtet war, dazwischen.
Die Erbschaft von dem Bruder aus Amerika! Das Geld, sagte sie, nimm mit und schlag's nur in eine Windel; und leg' er's auch noch in einen Korb und dann geh' er an die Brücke, wo das Waisenhaus liegt! Gut, sag' ich, Urschel, ich gehe an die Brücke, wo das Waisenhaus liegt. Husch, schrie sie dann, in's Wasser! In's Wasser? Donnerwetter, sagt' ich, Urschel, Geld wirft kein Mensch in's Wasser. Was sollen denn die zweihundert Louisdors in's Wasser? Da schwieg sie, weil ich sie so wieder auf meine Art gefangen hatte.
Märtens lachte über die Klugheit des Jägers, seine Frau tadelte aber die rationelle Auffassung solcher dunkelen Dinge und sie meinte:
Man hat doch schon Exempel statuirt...
Wo soll ich denn den Korb mit dem Geld hinsetzen, Urschel, fragt' ich, nun? Wol mitten auf die Brücke? Sie schüttelte den Kopf. Dann drüben an's Waisenhaus? Da nickte sie. Wo denn? Nun sah sie sich ängstlich um und flüsterte: Komm, es ist Alles still. Sie sehen's nicht. Hast du den Korb? Pst! Da steht eine Schildwacht. Hier bei der Laterne. So! Da! An dem Brunnen da liegt's! Husch! Mach nun fort! Fort! Fort!
Und das Alles können Sie bei nachtschlafender Zeit mit der Frau so zusammen diskuriren? fragte Madame Märtens und schüttelte sich.
Also da soll ich das Geld hinlegen, Ursula? sagt' ich, fuhr Heunisch unbekümmert um diese Frage fort. Sie nickte. Will's der Baron? Sie meinte: Ja! Will's auch die Gräfin? Sie nickte wieder. Gut, Ursula, sagt' ich, ich will mir's überlegen. Da lachte sie zufrieden, nahm ihr Licht und ging. Und nun rathen Sie 'mal was Neues?
Ach mein Himmel, was denn? erschrak ordentlich Frau Märtens, als käme nun etwas Unerhörtes.
Wie ich hierher komme, hatt' ich gestern bei einem Kaufmann, der sich gutes Schießmaterial hält, er heißt Hackert, etwas Vorrath für den Herbst einkaufen wollen. Such' ich den auf und finde ihn gerade gegenüber dem Waisenhaus. Da ist die Brücke, da steht ein Schilderhaus, da ist die Laterne, da ist der Brunnen. Nun sag' ich doch, die Ursula war vor etwa zwanzig Jahren, ehe sie den Marzahn heirathete, wol einmal einige Zeit in der Stadt, aber seitdem nicht wieder und sie hat's beschrieben, just wie's war, ganz deutlich; es war mir, als säh' ich den Korb dastehen an der Laterne, neben dem Brunnen, mit den Windeln und die zweihundert Louisdors darin und die Kinder schrieen im Waisenhaus...
Hören Sie auf! winkte die Tischlermeisterin, der es nun eisig überrieselte. Das Bild von Kindern, die im Waisenhaus vielleicht nach ihren Vätern schrieen, war ihr zu schauerlich.
Bei alledem ist die Ursula, schloß Heunisch, die beste Seele von der Welt. Sie sorgt für mich armen einsamen Kerl und meinen Nachmittagsschlaf – den – den hab' ich ihr auch – den hab' ich ihr auch... zu verdanken... und die Stube hält sie im Winter warm... und reinlich ist sie auch... und ihr Schrank... ihr Schrank, den mag sie... ihr Schrank...
Diese Worte brachte Heunisch schon gähnend und wieder halb schlafend hervor. Er hatte wenig gegessen und nur mit beständigem Gähnen unterbrochen sich und den Tischgenossen durch seine Erzählung die Zeit vertreiben wollen. Der Rollsessel, auf dem er saß, war ein Großvaterstuhl, der mit einem Ruck sich vom Tische fortbewegte und ihn in Schlummer sanft in die Nähe des noch nicht gefeuerten Ofens geführt hätte, wenn seine letzte Besinnung ihn nicht auf einen höflichen Gedanken an den alten Märtens gebracht hätte, der auch gern seinen Nachmittagsschlaf hielt. Er erhob sich also rasch, sagte: Gesegnete Mahlzeit! und warf sich ohne viel Umstände in der Kammer auf Fränzchens Bett, wo er in einer Minute entschlummert war; der alte Märtens, unfähig sich von Gewohnheiten zu trennen, schnarchte im Großvaterstuhl. Seine Gattin nickte etwas am Fenster, frei-schwebend, auf einem einfachen Stuhl mit hoher Lehne.
Fränzchen aber deckte, während Alles schlief, ab. Die Reste kamen in die Werkstatt zu den Lehrjungen.
Den Tisch stellte sie wieder aus der Mitte des Zimmers an die Wand und ihr Bett schützte sie denn doch vor des Onkels staubigen Stiefeln durch ein altes Tuch, das sie ihm behutsam unterschob. Dann begann sie, die um sie waltende Stille wahrnehmend, einen Gedanken auszuführen, der einigermaßen Das, was sie bedrückte, erleichtern sollte. Sie entschloß sich, an Herrn Sylvester einen Brief zu schreiben.