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26. Kapitel

Läßt uns die Bekanntschaft der reitenden Paradebatterie Nr. 4 machen, vom Wachtmeister mit Mißtrauen empfangen, wird Erich von seinen Kameraden mit Ehrfurcht betrachtet.

Erich betrat mit großen Erwartungen die stattlichen Gebäude, in welchen die vierte reitende Batterie lag. Räume, welche eigens zu dem Zwecke gebaut worden waren und welche man nicht, wie die mancher ähnlichen Anstalten, mit schroffem Wechsel alles Irdischen, alten Klöstern abgewonnen hatte. Hier war alles größer, neuer, weitläufiger und luftiger, ohne deshalb gemütlicher auszusehen, wie zum Beispiel in jener alten Dominikanerkaserne, wo die Brigadeschule war, wo die inneren Seiten der großen, im Dreieck liegenden Gebäude mit luftigen Arkaden versehen waren, unter denen man zu Fuße exerzierte oder wo auch bei Regenwetter der Appell abgehalten wurde. Hier war nichts zu sehen von dergleichen luftigen Arkaden oder von kleinen, gemütlichen Spitzbogenfenstern, oder von einer verschnörkelten Treppe, wo der Mittelpunkt der Schnecke vielleicht einen kolossalen gemeißelten Steinrömer zeigte, oder auch die Gestalt eines alten Kapuziners; hier war nichts von heimlichen Kreuzgängen mit ehemaligen Blumengärten, in welchen jetzt, allerdings zum Besten der Menageküche, Zwiebeln, Lauch, Petersilie, Sellerie oder andere Küchengewächse wucherten. Hier war alles geradlinig, rechtwinkelig, stramm aufrecht; hier schienen die poesielosen, viereckigen Fenster mit Wohlgefallen auf den Hof hinabzuschauen, wenn nach Zählen rechts- und linksum gemacht wurde; hier schienen die glatten, hellen Mauern mit höchstem Interesse auf das helle glatte Lederzeug der bei großen Gelegenheiten im Hofe aufgestellten Batterie hinabzublicken, auch wohl Vergleiche anzustellen über gegenseitige Propretät; hier war nichts Verschnörkeltes an den Dachtraufen und Regenrinnen, sondern letztere liefen in gleichen Intervallen so regelmäßig an der Außenseite der Gebäude hinunter, daß man sie von weitem für Schildwachen in äußerst tadelloser Stellung hätte halten können. Auch in den Höfen, welche das Gebäude umgaben und es mit den dahinter liegenden Stallungen verbanden, sah man nicht das geringste Willkürliche oder Unordentliche. Die Düngergruben im Viereck, eingefaßt mit hellen Steinen, ließen auch nicht die Spur eines Strohhalmes außerhalb ihrer Einfassung sehen; die Schubkarren, mit denen das Betreffende herbefördert wurde, waren in eine regelmäßig gerade Linie geschoben, und selbst die Sperlinge, welche sich hier aufhielten, schienen von dem allgemeinen Ordnungssinne etwas profitiert zu haben und flogen nicht, wenn sie aufgestört wurden, leichtsinnig im Hofe umher, sondern verfügten sich sein säuberlich auf das benachbarte Dach der Geschützremise, um dort zu warten, bis es ihnen erlaubt werde, aufs neue zuzugreifen. Und diese Geschützremise, welches Bild der Ordnung und Sauberkeit bot sie! Wie scharf waren die nebeneinander aufgestellten Geschütze gerichtet, welche vollkommen gleichmäßige Hebung der Deichsel, welche vollkommen gleiche Senkung der Geschützröhren, alle scharf auf Visier und Korn niedergeschraubt, mit Zündlochdecker und Mundpfropf, und dazu die metallenen Röhren so blank, daß man sich in ihnen hätte spiegeln können! Ja, wer alles das mit richtig verständigem Auge ansah, dem mußte das Herz im Leibe lachen, und wenn er auch Poesie besaß, würde er sich gar nicht gewundert haben, die Kaserne bei einer großen Parade selbst mit aufmarschieren zu sehen, so vollkommen und gänzlich untadelhaft parademäßig sah sie aus.

Aber auch im Innern des Gebäudes herrschte dieselbe Sauberkeit, das gleiche fast pedantische Streben, überall Ordnung zu zeigen. Diese Ordnung schien nicht nur in dem gehandhabt zu werden, was das Auge sieht und die Nase riecht, sondern auch in dem, was das Ohr hört, denn hier vernahm man aus den Zimmern heraus kein lustiges Lied, kein lautes Geplauder auf den Gängen, vielmehr bemühten sich alle, die man hin und her wandeln sah, eines fast ängstlichen Stillschweigens, verbunden mit ernsten, würdevollen Mienen, gewiß die Frucht des Bewußtseins eigenen Wertes und ganz besonderer Vortrefflichkeit.

Erich betrat die Schreibstube des Wachtmeisters und wurde von einem hier befindlichen Kollegen in das Nebenzimmer verwiesen, wo er den Gewaltigen beschäftigt fand, das Haar und den vorschriftsmäßigen Backenbart, vor dem Spiegel stehend, mit einer Bürste zu bearbeiten; doch legte er dieses profane Instrument augenblicklich beiseite, indem er es seinen beiden Händen überließ, den mächtigen, weit abstehenden Schnurrbart ein wenig zu kräuseln.

Der Wachtmeister Pinkel war ein großer und schöner Mann, mit dem Anstande mindestens eines Stabsoffiziers.

»Ah,« sagte er, Erich mit einem leichten Blinzeln betrachtend, »wahrscheinlich der Bombardier Freiberg! Nun, Ihr Äußeres ist nicht so übel, als ... Doch glaube ich, es würde Ihnen leichter gewesen sein, in irgend einer Fußbatterie zurecht zu kommen; es ist für einen Vorgesetzten und die Bombardiere zählen nun einmal zu den Vorgesetzten etwas mißlich, wenn sie, was die Reitkunst anbelangt, nicht einmal mit ihren Untergebenen konkurrieren können.«

»Allerdings bin ich stolz darauf,« gab Erich bescheiden zur Antwort, »einer reitenden Batterie zugeteilt worden zu sein, doch war ich nicht imstande, hierzu etwas beizutragen. Ich hatte keine Ahnung, wie über mich verfügt worden, als ich den Befehl bekam, mich hier zu melden, was ich damit pflichtschuldigst gethan haben will. Was die Reitkunst anbelangt, so glaube ich darin einige Vorkenntnisse zu besitzen.«

Über das Gesicht des Wachtmeisters flog ein leichtes Lächeln und er erwiderte kopfnickend: »Ja, ja, der Herr Oberst haben gedacht, daß es Ihnen nicht schaden könne, besonders fest zur Ordnung angehalten zu werden, und was das betrifft, kommen Sie in die rechte Schmiede. Haben Sie Mittel, das heißt, haben Sie eine kleine Zulage von Hause?«

»Nein,« sagte Erich kurz, worauf sich der Wachtmeister, leicht mit den Achseln zuckend, etwas gegen das Fenster wandte und erst nach einer Pause sagte: »Gut, es ist das auch gleichgültig. Gehen Sie mit meinem Schreiber draußen auf Zimmer Nr. 16 zu Unteroffizier Wenkheim; der Herr Premierlieutenant wird wahrscheinlich befehlen, daß Sie bei dessen Geschütz eingeteilt werden; Wenkheim wird Sie auf die Kammer führen und einkleiden lassen. Sie, Bombardier Schwarz,« rief er dem Schreiber im Vorzimmer zu, »Wenkheim soll das Einkleiden genau nehmen, daß wir diesen jungen Mann morgen zum Appell dem Herrn Hauptmann in einer anständigen Gestalt vorstellen können! Adieu!«

Erich machte vorschriftsmäßig kehrt, und während er das Zimmer verließ, wandte der Wachtmeister seine Sorgfalt aufs neue seinem in der That wunderschönen Backenbarte zu.

Der junge Bombardier, welcher Erich begleitete, eine kleine, dürftige Gestalt, aber mit einem intelligenten Gesichte, ging die ersten Schritte schweigend an seiner Seite, ihn ein paarmal scheu betrachtend, und erst als beide anfingen, die Treppe des zweiten Stockes zu ersteigen, sagte er: »Sie kommen von der Brigadeschule das ist wohl ein lustiges Leben in einer solchen Brigadeschule?«

»Nun, wie man's nimmt; es kann auch sehr ernst und langweilig sein. Jedenfalls wird es hier bei der Batterie im praktischen Dienste mehr Unterhaltung geben, als bei uns in den trockenen Lehrsälen.«

»Aber in den Freistunden nimmt man es bei Ihnen wohl nicht so genau und sieht man Ihnen mancherlei durch die Finger?« Während der Bombardier Schwarz das sagte, mit einem pfiffigen Lächeln, welches sich in einen Ausdruck der Bewunderung verwandelte, fuhr er fort: »Von Ihren Freistunden, Bombardier Freiberg, haben wir aus den Akten einiges erfahren, worüber wir uns recht amüsiert haben. Donnerwetter, muß das ein Leben auf so einer Brigadeschule sein! Ja, wenn wir uns hier so etwas herausnähmen ...«

»Und was denn, wenn ich fragen darf?«

Ehe aber Herr Bombardier Schwarz die nötigen Aufklärungen gab, faßte er rasch die Hand des anderen, schüttelte sie herzlichst und sagte ihm flüsternd: »Alle Bombardiere der Batterie werden entzückt sein, Sie kennen zu lernen, Ihre Geschichten sind gar zu famos, sie haben sich unter der Hand wie ein Lauffeuer verbreitet.«

»Ich fürchte fast, daß mir Ihr Lob nicht angenehm sein wird.«

»O, famos!« rief der ankere enthusiastisch. »Wir sind alle entzückt darüber, und da haben wir einen ganz verfluchten Kerl unter den Bombardieren, einen gewissen Wibert, er hat halb und halb studiert und will auch Offizier werden, wie wir alle, der hat versichert, er würde es nächstens einmal gerade so machen!«

»Nun, was denn, wenn ich fragen darf?«

»O, statt in Arrest zu gehen, den Sie durch Ihren heillosen, aber ganz famosen Kasernenskandal allerdings verdient, den Gefängniswärter zu bestechen, dann mit dem Unteroffizier, der Sie auf Numero Sicher bringen sollte, die Nacht durchzukneipen und zu randalieren, dann bei einem philisterhaften Kerl einzudringen o, famos! mit einem hübschen Dienstmädel Kaffee trinken, dabei Ihre Brieftasche vergessen und wieder zurückkehren, um sie von dem Philister herauszutrotzen o, famos! dann...«

»Ich meine, es könnte genug sein, Bombardier Schwarz,« erwiderte Erich halb lächelnd, halb entrüstet.

»Es hätte allerdings genug sein können, aber das Famoseste war doch, daß Sie alsdann vor der Wohnung des Obersten auf den Alten selber gewartet, um ihm in die Zähne zu sagen, Sie seien nicht in Arrest gegangen, weil Sie diese Strafe ungerecht erhalten o, famos! Ist es denn wahr,« fragte er alsdann dringend neugierig, »daß der Alte seinen Säbel gezogen hat und nur durch den Brigadeadjutanten daran verhindert wurde, Sie zusammenzuhauen?«

»Ich kann Ihnen versichern, daß das nicht wahr ist, daß überhaupt die ganze an sich unbedeutende Geschichte Ihrer Erzählung nach arg übertrieben worden ist.«

»O, ich weiß das besser, ich weiß das besser!« entgegnete der schmächtige Bombardier, sich vor Vergnügen die dürren Hände reibend. »Wir alle wissen das besser o, famos!«

»Es wäre schlimm,« sagte Erich in ernstem Tone, »wenn solche Nachrichten hier über mich cirkulierten; denken Sie sich doch, in welchem Lichte ich beim Hauptmann und den Offizieren erscheinen muß!«

»Ja, das thun Sie auch!« rief der andere vergnügt. »Doch hat Wibert gesagt: Paßt nur einmal auf, Burschen, der läßt sich weder von dem Hauptmann, noch von dem Krummstiefel auf der Nase herumtanzen!«

»Wer ist denn der Krummstiefel?«

»Pst!« machte der Bombardier Schwarz, indem er scheu um sich herblickte, »das ist nur so ein Beiname für den Premierlieutenant; er hat nämlich Reiterbeine, geht sehr einwärts und tritt deshalb seine Stiefelabsätze beständig schief, eigentlich Chef der Batterie, ein älterer, famoser Offizier o, famos, famos! während der andere so zu sagen nur zum Staat da ist «

»Der Kapitän?«

»Pst, ja; doch sagte Krummstiefel gestern dem Wachtmeister, als von Ihrer Ankunft die Rede war, daß auf dass legte er einen besonderen Nachdruck der Barsch damit meinte er Sie den Teufel im Leibe hat, geniert mich im Grunde gar nicht, wollen nur sehen, ob er sich auch im Dienst teufelmäßig anläßt. Doch hier ist Nr. 16, und ich mache mir eine Ehre daraus, Sie dem Unteroffizier und den beiden Bombardieren, die schon in der Korporalschaft sind, vorzustellen. Der Unteroffizier ist durch und durch Kommiß, aber die anderen sind ordentliche Kerls.«

Damit öffnete er die Thür so weit als möglich und sagte in lauterem Tone, als gerade notwendig: »Herr Unteroffizier Wenkheim, ich soll Ihnen diesen jungen Mann vorstellen, und Sie möchten ihn sorgfältig einkleiden lassen! Es ist der Bombardier Freiberg von der Brigadeschule!« Als er letzteres sagte, zitterte seine dünne Stimme förmlich vor Rührung und Bewunderung.

Der Unteroffizier speiste gerade etwas Wurst und Brot, legte aber sein Messer nieder und blickte den Gemeldeten unter seinen buschigen Augenbrauen mit einem finsteren Blicke an, wobei er ihm entgegenknurrte: So? Nun, es ist gut. Gehört haben wir schon von Ihnen, hätte Sie mir aber anders vorgestellt. Dort in der Ecke ist ein leeres Bett, dahin legen Sie Ihre Siebensachen, und wenn ich hier fertig bin, wollen wir auf die Kammer gehen.« Erich that, wie ihm geheißen, ließ sich dann von seinem Begleiter mit den beiden anderen Bombardieren bekannt machen, was Schwarz mit einem Anfluge von Hochmut that und so, als seien er und Freiberg, schon genaue Freunde geworden, wobei er seine kleine Figur um einen ganzen Zoll streckte.

Das Kammergeschäft, das heißt das Einkleiden des Neuangekommenen, ging nun vor sich, wie dieses Geschäft immer vor sich zu gehen pflegt. Der betreffende Unteroffizier verlangte für seinen Einzukleidenden immer das Beste, und der Capitain d'armes wollte nur das Schlechteste geben, ja, er wehrte sich um eine halbwegs anständige Reithose und um einen erblindeten Säbel und rostige Sporen, als wollte man ihm die eigene Haut abziehen, war dabei barsch und bissig wie ein böser Hund, den man beim Fressen stört, und so scharf ihm auch der Unteroffizier Wenkheim entgegentrat und auf die Finger schaute, so übervorteilte er ihn und seinen Schutzbefohlenen doch auf die schlaueste Weise, indem er ihm unter anderem, kunstvoll zusammengelegt, einen Waffenrock gab, an dem einige Haken und Knöpfe fehlten, sowie eine Reithose mit einem großen Teerflecken, gerade auf dem rechten Knie.

Da aber der allgewaltige Wachtmeister befohlen hatte, daß der neue Bombardier am anderen Tage beim Appell in guter Uniform vorgestellt werde, so hatte der Capitain d'armes, trotz seiner verzweifelten Gegenwehr, eine bessere Uniformsgarnitur ebenfalls von der Kammer heruntergeben müssen. Da sämtliche Kanoniere von Nr. 16 mithalfen, wie auch die Bombardiere, welche ihn mit Bewunderung anschauten, so war am anderen Vormittage alles, was zu einem anständigen Bombardier gehört, in bester Ordnung, und Erich konnte sich beim Appell schon sehen lassen. Allerdings machte ihm das Tragen und Halten des schweren Schleppsäbels einige Mühe, doch nachdem ihm seine speciellen Kameraden, zu denen sich auch der famose Wibert gesellte, einigen Unterricht erteilt, gelang es ihm, ziemlich tadellos dazustehen, um später dem Hauptmann die Meldung machen zu können: »Von der königlichen Brigadeschule zur vierten reitenden Batterie versetzt!«

Einiges Herzklopfen verspürte Erich allerdings, wenn er an den Empfang bei seinem neuen Vorgesetzten dachte und an den schlimmen Ruf, der ihm vorausging und den er doch gewiß nicht verdient hatte.

Was war zu thun? Er hatte während einiger schlaflosen Stunden der vergangenen Nacht darüber nachgedacht, und da er überzeugt war, daß alles Leugnen seinerseits den Kameraden gegenüber doch nichts helfen würde, so beschloß er, da es nicht zu ändern war, in ihren Augen als jener verfluchte Kerl auch ferner zu gelten, sich aber seinen Vorgesetzten gegenüber durch Pünktlichkeit und Ordnung im Dienste zu bemühen, deren gute Meinung zu erringen und zu verdienen.

So wurde zum Appell geblasen, und die Batterie trat auf dem parademäßig rein gefegten Kasernenhofe an; Erich etwas seitwärts hinter der Fronte, wie ihn der Wachtmeister angewiesen, aufs höchste gespannt, seine neuen Vorgesetzten, von denen ja nicht nur das Schicksal seiner nächsten Zeit, sondern vielleicht seines ganzen Lebens abhing, kennen zu lernen.

Von den Ställen her kamen jetzt ein paar Offiziere in langsamem Schritte, und konnte er sich über einen derselben durchaus nicht täuschen. Es war das eine mittelgroße, gedrungene Persönlichkeit, langsam und schwer auftretend, mit allerdings etwas verschobenen Absätzen; er hielt seinen schweren Säbel mit beiden Händen gefaßt auf dem Rücken und schien seinem Begleiter mit wenig Aufmerksamkeit zuzuhören, denn während dieser in einem fort plauderte, wandte er den Kopf bald rechts, bald links, und seine Blicke fuhren rastlos von einer Ecke des Kasernenhofes in die andere, hoben sich auch zuweilen zu den Fenstern des Gebäudes empor oder blieben auf Augenblicke an den weit geöffneten Geschützschuppen haften.

Sein Begleiter war ein blutjunger Lieutenant neuester Ausgabe, an dem alles neu und glänzend war, von den Sporen bis zum Knopfe der Pickelhaube in noch ganz untadelhafter Feuervergoldung, die strahlende Säbelscheide ohne Beule und Schramme, an der Uniform noch einzelne Tuchfalten sichtbar, blank von oben bis unten, ein glückseliges Geschöpf in stets gehobener Stimmung, förmlich flatternd in und außer dem Dienste, und bei Spaziergängen durch die Straßen nur bedauernd, daß sein Anblick in unzähligen Mädchenherzen so namenloses Unglück anrichte.

Auch jetzt flatterte er neben dem Premierlieutenant dahin, und wenn dieser nicht gerade so ernst und brummig gewesen wäre, so würde er bei den lustigen Geschichten, die jener erzählte, unfehlbar mitgelacht und ihm nicht das saure Geschäft allein überlassen haben, sich über seine eigenen Witze zu freuen. »Stillgestanden!« kommandierte der Wachtmeister vor den herannahenden Offizieren. Doch winkte der Premierlieutenant mit der Hand und sagte in langsamem, etwas schnarrenden Tone: »Lassen Sie es gut sein, bis der Herr Hauptmann kommt;« und setzte dann leise für seinen Begleiter hinzu: »Mein lieber Herr Lieutenant Müller, sehen Sie sich Ihren Zug ein bißchen an; es wäre mir lieb, wenn wir heute keine Explikationen wegen nicht ganz blank geputzter Knöpfe hätten, es ist mir das höchst langweilig.«

Und nun abermals: »Stillgestanden!« Diesmal blieb es auch bei diesem Befehle, denn es war der Herr Hauptmann selbst, der in Begleitung des ältesten Sekondelieutenants den Hof betrat.

Erich konnte das Gesicht seines neuen Chefs nicht deutlich sehen, doch war die Figur desselben wahrhaft blendend – in voller Parade, mit Schärpe, Säbel und Kartusche, ja, auf der Brust hatte er vier glänzende Orden, und wenn ihn der flatternde Lieutenant mit einigem Neide betrachtete, so konnte man ihm das nicht übelnehmen, denn gegenüber jenem glänzend illustrierten und vergoldeten Prachtwerke war er, obgleich in einer funkelnagelneuen Uniform, doch nur eine armselige Makulaturausgabe. Der Hauptmann hatte in seinem Gange etwas Eigentümliches, man hätte sagen können, etwas affektiert Gespreiztes. Er setzte seine Füße, an denen er glänzende Lackstiefeln trug, sehr stark auswärts, wiegte sich beim Gehen ein wenig in den Hüften, und während er mit der linken Hand leicht zierlich den Säbel trug, faßte er zuweilen mit der rechten an seinen Schnurrbart oder an seine Augen, deutlich konnte Erich das nicht sehen.

»Der Herr Hauptmann sieht wirklich blendend aus!« sagte der junge Lieutenant mit anerkennender Wärme. »Welches Glück, bei seinen Jahren schon vier Orden zu besitzen o, beneidenswert!« Damit seufzte er schmerzlich und hörte, in den Anblick seines Chefs versunken, kaum, daß der Premierlieutenant brummend sagte: »Und welches Glück, daß für diese vier Orden der Herr Baron nicht den kleinsten Teil seiner Nagelspitze oder seines Schnurrbartes in Gefahr zu bringen brauchte!«

»Allerdings, aber er sieht wundervoll aus.«

»Gewiß,« versetzte der andere, wobei er leicht seine Kriegsdenkmünze, aus erobertem feindlichem Kanonenmetall bestehend, berührte. »Diner- oder Gratulationsorden,« sprach er alsdann achselzuckend zu sich selber, »Toilettenstücke, leichte Ware, wie sie leicht verdient sind.«

Der junge Lieutenant war indessen vor die Fronte geeilt, und begrüßte nun den herannahenden Chef mit ausgezeichneter Diensthaltung, zwei Finger der rechten Hand an die Pickelhaube gelegt, mit kokett und so weit als möglich abgebogenem Arme.

»Guten Morgen, meine Herren! Sie verzeihen, wenn ich Sie einen Augenblick warten ließ, aber man ist auch außerhalb des Dienstes oft so mit Geschäften überladen, daß man seine Zeit nicht immer einhalten kann. Da ist gestern abend der Prinz Georg angekommen, zu dem ich heute morgen zur Audienz befohlen war bitte, entschuldigen Sie mich!«

»Wir sollten eigentlich um Entschuldigung bitten, Herr Hauptmann,« sagte der Premierlieutenant in trockenem Tone, aber mit einem kurzen, humoristisch sein sollenden Lächeln, »daß wir so alltäglich aussehen, während der Herr Hauptmann in voller Parade erscheint.«

»Sie scherzen, und daß Sie das einmal thun, kommt mir in der That spaßig vor. Was gibt es von oben herab Neues Wachtmeister?«

Da der Kommandantur- sowie der Abteilungsbefehl wenig oder nichts Bemerkenswertes enthielt, so wurde zu den Haushaltungsgeschäften der Batterie übergegangen, das Exerzieren für den Nachmittag und für den nächstfolgenden Tag bestimmt, ein paar Rügen erteilt, auch einige Strafen diktiert; doch war der Hauptmann offenbar mit etwas anderem als diesen Dingen beschäftigt. Er blickte im Hofe umher, und es kam Erich vor, als klemme er zuweilen sein Glas ins Auge und blicke scharf nach ihm herüber.

»Und sonst nichts Neues, Wachtmeister?«

»Der Bombardier Freiberg von der Brigadeschule, um sich beim Herrn Hauptmann zu melden.«

»Aaaha! Könnte füglich für heute unterbleiben; wenn er aber einmal da ist, so mag er kommen.«

Gar zu gern hätten sämtliche Bombardiere das Herannahen des Betreffenden beobachtet, doch standen sie so starr und unbeweglich, als seien selbst ihre Augen aus Steifleinen fabriziert.

Jetzt stand Erich vor der Fronte und meldete: »Bombardier Freiberg von der Brigadeschule zur vierten reitenden Batterie versetzt!«

Der Hauptmann hatte sich in diesem Augenblicke abgewandt und wischte seine Nase mit einem seinen Battisttuche.

Als er sich nun langsam wieder herumdrehte und den jungen Mann voll anschaute, zeigte sich ein vergnügliches Lächeln auf seinen Zügen, sonst aber durchaus nichts von Erstaunen und Ueberraschung, während Erich aus ähnlichen Beweggründen beinahe zurückgefahren wäre, denn er erkannte in dem Hauptmann {bild} von heute den zweiten Jäger von gestern, den mit den seinen, aber verlebten Zügen.

»Aaah ça!« rief der Freiherr von Manderfeld »ich bin entzückt, Ihre Bekanntschaft zu erneuern, haben sich da vortrefflich bei Ihrem neuen Chef eingeführt, mach' Ihnen deshalb mein Kompliment! Bleiben wenigstens konsequent, und das ist immer schon etwas wert!«

»Die Avancierten,« wandte er sich mit lauter Stimme an die Unteroffiziere, »rechts und links anschließen, Kreis formieren!« Und da diesem Befehle augenblicklich Folge geleistet wurde, so sah sich Erich sogleich von höchst erwartungsvollen Gesichtern umgeben, dicht vor dem Hauptmann, vor dem ersten Sekondelieutenant und dem jungen, flatternden Offizier stehend, während der Premierlieutenant zur Compagnie getreten war und dort wahrscheinlich Wichtiges zu verhandeln hatte, denn er sprach oft so laut, daß der Hauptmann ein paarmal erstaunt hinüberblickte.

»Dies also ist,« sagte er alsdann mit einer angenehmen Handbewegung gegen Erich, »der Bombardier Freiberg, wegen sehr lockeren Lebenswandels von der Brigadeschule entlassen und zu meiner reitenden Batterie versetzt. Es ist das Brigadebefehl, also nichts dagegen zu erinnern; auch bin ich weit entfernt davon, Ihnen Ihre früheren Streiche nachzutragen, muß Ihnen aber in Erinnerung bringen, daß ich und die Herren Offiziere ein besonders scharfes Auge auf Sie haben werden, und will Ihnen heute, am ersten Tage Ihres Dienstes, die vertrauliche Mitteilung machen, daß Sie bei meiner Batterie nicht zu Ihrem zweiten liederlichen Streiche kommen werden, denn, Herrrr, verlassen Sie sich auf mich, nach dem ersten werde ich Sie vollkommen unschädlich machen, darauf können Sie sich verlassen! Wo ist er eingeteilt, Wachtmeister?«

»Bei dem Unteroffizier Wenkheim.«

»Gut; dort ist er gut aufgehoben,« wandte er sich an diesen. »Sie sollen mir ohne alle Schonung und Rücksicht mit diesem jungen Herrn verfahren, auch vierteljährlich Ihrem Herrn Zugführer einen speciellen Rapport über ihn machen, den ich dann von Ihnen, Herr Lieutenant Müller, ergänzt erwarte. Ich bewundere Sie in der That, daß Sie die Kühnheit hatten,« sagte er nach einer Pause, während welcher er seine Arme übereinander geschlagen hatte, »sich hierher zu meiner Batterie versetzen zu lassen, es wäre wirklich besser gewesen, wenn Sie demütigst gebeten hätten, in irgend eine Festungscompagnie eingereiht zu werden! Doch begreife ich das,« fuhr er mit einem plötzlichen, aber durchaus nicht angenehmen Lächeln fort, »Sie bilden sich ein, etwas ganz Besonderes zu sein, nicht nur als entlassener Brigadeschüler, sondern auch wegen der Vorgänge Ihres früheren Lebens, die mir, dem Himmel sei es gedankt, nicht unbekannt geblieben, und haben alle Ursache, sich etwas einzubilden, denn dieser junge Herr,« wandte er sich speciell an die beiden Offiziere, sprach aber dabei so laut, daß man es auf dem ganzen Kasernenhofe hören konnte, »ist einzig in seiner Art und wird einzig in seiner Art bleiben; da nämlich das berühmte Corps der Bombardiere laut hohem Kriegsministerialbefehl künftig nicht mehr ergänzt werden soll, so ist er der letzte Bombardier, und ich bin überzeugt, daß er dem Prädikate dieses Titels alle Ehre machen werde und in meiner Batterie,« sprach er jetzt direkt zu Erich, »nichts anderes sein wird als der letzte Bombardier auseinandertreten!«

Damit war Erichs erster Appell beendigt, und nachdem die Mannschaft schon nach allen Seiten auseinander gegangen {bild} war, stand er noch immer bleich, regungslos, mit zusammengepreßten Lippen allein auf seinem Platze. Er hätte laut aufschreien mögen vor Schmerz und Zorn, und dann wieder mußte er die Augen schließen, um schwere Tropfen zurückzudrängen, die, sein tiefes Weh verratend, hervorquellen wollten. Fühlte er doch nach diesem Empfange, daß es über kurz oder lang mit seiner militärischen Laufbahn zu Ende sein würde, empfand er doch die kalte Hand, die in sein Leben eingriff, und wußte er doch nach allem dem, daß er seine ganze Kraft aufbieten müsse, nur um sich vor dem gänzlich rettungslosen Untergange zu bewahren, nachdem sein Schifflein an sichtbaren und verborgenen Klippen wie unfehlbar geschehen würde zerschellt war! Danach in die Höhe blickend, sah er den klaren, blauen Himmel so gleichförmig und unparteiisch über alles ausgespannt und die Sonne so glänzend herablächeln, über den mit Orden bedeckten Kapitän wie über ihn, den letzten Bombardier, und das war so viel Trost in seiner Seele, daß er sich mit großer Fassung umwenden und der Kaserne zuschreiten konnte.

Ehe er aber dieselbe betrat, hörte er sich angerufen und erblickte den Premierlieutenant, der neben den Geschützschuppen stand und ihm heranzukommen winkte, nachdem er den Wachtmeister durch eine Handbewegung verabschiedet.

»So,« sagte der erste stellvertretende Offizier der Batterie, »jetzt machen Sie mir auch einmal Ihre Meldung, die ich vorhin ebensowenig genießen konnte, wie die feierliche Rede des Herrn Hauptmanns, da ich zufällig mit Schlechterem beschäftigt war; oder meinetwegen lassen Sie Ihre Meldung auch bleiben, da ich ohnedies schon ziemlich genau weiß, wer Sie sind und was Sie gesündigt haben.«

Er sagte das kopfnickend mit einem wohlwollenden Tone, während er mit der Reitpeitsche an seine Beinkleider klopfte, als wollte er diese von hartnäckigem Staube befreien; ja, er lächelte ein klein wenig und nicht gerade unfreundlich, als er jetzt wieder aufschaute und in Erichs ernstes, ja, kummervolles Gesicht blickte, weshalb sich dieser nicht enthalten konnte, ihm zur Antwort zu geben:

»Wenn der Herr Premierlieutenant in der That wissen, wer ich bin und was ich gesündigt, so werden Sie mir zugeben, daß der Herr Hauptmann mich doch in der That zu unfreundlich empfangen.«

»Und was würde Ihnen das nützen, wenn ich Ihnen das zugäbe, junger Mann? Ein Herr Hauptmann hat seiner Compagnie gegenüber beständig recht ich hoffe nicht, daß Sie daran zweifeln werden vollends ein Herr Hauptmann, dessen Brust mit verdienten Orden bedeckt und der obendrein von so alter und guter Familie ist. Ich hoffe, daß Ihnen darüber kein Zweifel aufstößt, denn sonst würden Sie dem Herrn Hauptmann Veranlassung geben, in Bezug auf Sie noch früher zu dem glänzenden Resultate zu kommen, das er sich vorgenommen zu haben scheint. Doch lassen wir das jetzt; ich wollte Ihnen nur sagen, und nicht gerade unfreundlich wollte ich es Ihnen sagen, daß ich in der That genau über Sie unterrichtet bin, und zwar durch einen alten Bekannten auf der Brigadeschule, den Oberfeuerwerker Doll, der Ihnen immer noch wohl geneigt ist, obgleich Sie ihm in Ihrem jugendlichen Übermute auch etwas mitgespielt haben.«

»Ich gewiß nicht,« rief Erich, schmerzlich bewegt, aus, »ich war gewiß nicht der, welcher sich jenen Scherz mit dem Oberfeuerwerker erlaubte, konnte mich nur leider nicht entschließen, den Ankläger gegen meine Kameraden zu machen!«

»Es ist möglich,« erwiderte der Offizier in gutmütigem Tone; »ich weiß das aus Erfahrung, wenn einer einmal als schwarzes Schaf gilt, hält man ihn sogar für fähig, dem Teufel den Schwanz auszureißen. Doch sei dem, wie ihm wolle, die feierliche Rede des Herrn Hauptmanns wird, hoffe ich, die Wirkung auf Sie haben, daß Sie sich in allem hier donnermäßig zusammennehmen, denn der Herr Baron von Manderfeld wird Ihnen auf die Finger passen, sei es auch nur, um seinen Ausspruch von wegen des letzten Bombardiers zu rechtfertigen.«

Er grüßte kurz und verließ Erich, der aber jetzt mit einem ganz anderen Gefühle, wie vorhin, noch ein paar Augenblicke stehen blieb, um ihm nachzuschauen; also hatte er doch einen Vorgesetzten bei der Batterie, der ihn nicht so gänzlich zu den Verlorenen warf, wie es der Hauptmann gethan. Das richtete ihn wieder ein wenig auf und ließ ihn gefaßt auf seiner Stube erscheinen, wo ihn der Unteroffizier Wenkheim, eine sehr gewöhnliche Kommißnatur, mit barscher Stimme darüber belehrte, daß sich die Bombardiere nach beendetem Appell augenblicklich zu ihrem Geschützführer zu begeben hätten, um dort das Nötige über den Dienst des Tages zu erfahren.

»So geschieht es bei uns,« schloß er, seine Säbelkoppel durch einen scharfen Ruck herabrückend; »wie es in der Brigadeschule Mode ist, das weiß ich nicht. Können Sie mich vielleicht darüber belehren?«

»O ja,« entgegnete Erich ruhig; »es ist in der Brigadeschule Mode, daß man anhört, was einem ein vorgesetzter Offizier zu sagen hat, und dies war bei mir der Fall, da mich der Herr Premierlieutenant im Hofe zurückhielt.«

Die beiden Bombardiere, welche im Zimmer waren, lächelten über diese Antwort, und der Unteroffizier räusperte sich, ehe er weiter sprach:

»Verlieren wir darüber kein Wort mehr. Sie haben heute nachmittag von drei bis fünf Uhr Ihren ersten Reitunterricht und wird es Ihnen gar nicht schaden, wenn Sie sich schon vorher in den Stall bemühen und sich zeigen lassen wollten, wie man einem Gaule Decken und Trense auflegt.«

Erich hätte ihm gern gesagt, daß er über diese Anfangsgründe der edlen Reitkunst längst hinaus sei; doch dachte er bei sich, es sei wohl ersprießlicher, alles das unter der vortrefflichen Leitung des Unteroffiziers Wenkheim sehr rasch zu erlernen, eine kleine, aber unschuldige Heuchelei, die ihm indes gute Früchte eintrug.

Schmoller sah er erst am nächsten Sonntage wieder, und erschien dieser vortreffliche Bombardier in seiner eigenen, feinen Uniform, mit höchst verbotenen Zuthaten, als zierlichem Hemdekragen und seidenem Portepee, hierdurch kein geringes Aufsehen in der Stube Nr. 16 verursachend. Er war wieder ziemlich bei Kasse und lud den Freund zu einem Spaziergange mit Erfrischungen ein, und ehe sie miteinander fortgingen, verwunderte er sich sehr darüber, daß sich Erich in seinem Anzuge auch nicht die kleinste Ausschweifung erlaubte, sondern so korrekt dienstmäßig anzog, daß er sich zu einer Besichtigung bei dem Hauptmann von Manderfeld hätte anmelden lassen können, wobei aber Schmoller mit einigem Neide versicherte, daß er immerhin noch das Ansehen eines verflucht hübschen Burschen habe.

Da saßen sie nun miteinander in dem stillen Winkel eines sehr eleganten Cafés, und als Erich seine Erlebnisse bis heute erzählt, auch berichtete, wie er sich die größte Mühe gebe, den Dienst zu erlernen und sich auf der Reitbahn auszuzeichnen, wobei Schmoller über den letzten Bombardier nicht schlecht gelacht, unterdrückte dieser einen leichten Seufzer und sagte achselzuckend:

»Du hast recht, dich in den Strudel des Dienstes zu stürzen; jeder thut nach seiner Neigung oder wie es ihm vom Schicksale bestimmt ist. So hat nach mir die Schreibstube abermals sehnsüchtig ihre Arme ausgestreckt, und ich bin an den hölzernen Busen des Pultes gesunken, exerziere mit der Feder und vergieße Tinte statt Schweißtropfen. Es hat sich das eigentlich ganz natürlich gefügt; kaum erfuhr der Feldwebel unserer Compagnie, daß ich jahrelang auf der Brigadekanzlei gearbeitet, so spannte er mich nicht nur ein, sondern fand auch mein Talent und meine Fähigkeit so enorm, daß er mir eine kleine Zulage aus der Compagniekasse bewilligte.«

»So habt ihr wohl einen angenehmen Hauptmann?« fragte Erich.

»O, ein guter, vortrefflicher alter Herr, teilt seine Zeit ein zwischen Lachen und Schnupfen! Ihm kommt alles heiter und gemütlich vor, und wenn die Kerls bei den Wallgeschützen sich mit den Gelenkwischern so ungeschickt benehmen, daß sie sich hier und da ihre eigenen dummen Köpfe blutig stoßen, so lacht er, daß ihm die Thränen aus den Augen stürzen, und schnupft darauf anhaltend heftig, um sich wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Wenn nicht der Premierlieutenant Schramm die Sache ernsthafter betriebe, so glaube ich, hätten wir bald jene glückselige Zeit, die uns auf dem kleinen Bildchen: Das Soldatenleben im Frieden, so reizend erschienen, wo ein junger Bombardier schlafend ruht am Fuße eines Wallgeschützes, dessen Richtmaschine und Zündloch mit glänzenden Spinngeweben überzogen sind, oder worin die Sperlinge nisten.«

»Wer ist dieser Premierlieutenant Schramm?« fragte Erich nachdenkend.

»Ein noch junger und tüchtiger Offizier, wie mir der Feldwebel erzählte, der vor ein paar Jahren bei den Manövern mit dem Pferde stürzte und sich dergestalt verletzte, daß man ihn bei einer Festungscompagnie einteilte.«

»Ich glaube, daß ich ihn kenne. Sei so gut, Schmoller, und nenne ihm gelegentlich meinen Namen und erinnere ihn dabei an die Mühle des Doktor Burbus.«

»Soll nicht vergessen werden. Was nun meinen unmittelbaren Chef, den Feldwebel, anbelangt, so ist das ein altes Lagerbuch, nicht nur den Dienst, sondern auch die militärische Chronik betreffend. Natürlich forschte ich ihn aus über die Verhältnisse deiner Batterie und erfuhr, daß dein Hauptmann so eine Art von Protektionskapitän ist; der Sohn einer wohl gelittenen Staatsdame, heiratete er eine Cousine des Kriegsministers und wäre durch diese enormen Protektionen schon lange auf geradem Wege zum Regimentskommandeur, wenn er das Lernen in der Jugend nicht für gar so schwer gefunden hätte und das Brett vor seiner Stirn nicht gar so dick wäre. Deshalb versuchte man es mit der Schlangenlinie, machte ihn vom Infanteriefähndrich zum Lieutenant in der Kavallerie, dann zum Ordonnanzoffizier bei des Kriegsministers Excellenz, schob ihn von dort außer der Tour als Premierlieutenant in ein Husarenregiment, kommandierte ihn alsdann zur Dienstleistung zur zweiten Artilleriebrigade und verlieh ihm hierauf die schöne reitende Batterie, wobei es sehr erklärlich ist, daß ein so tüchtiger Offizier, dessen Brust mit Orden geschmückt ist und der schon bei allen Waffengattungen gedient hat, eine Zierde des Generalstabes sein wird, und man es nach diesem Umwege sehr natürlich findet, ihn an der Spitze eines Kavallerieregiments zu sehen.«

»Alles das verstehe ich, nur die Orden sind mir unbegreiflich!«

»Spatzenkopf! sagt Bansen in Goethes Egmont, ein pfiffiger Kerl, obgleich auch nur ein Schreiber, wie ich; doch erfahren wir so mancherlei in der Schreibstube, wenn man sich harmlos in unserer Nähe unterhält, ebenso dabei uns wie Tinte und Papier für Dinge haltend. Dergleichen Orden, wie sie euer Kapitän trägt, sind durchaus keine Beweise irgend welchen Verdienstes; sie werden nach dem Grundsätze erteilt: manus manum lavat was auf deutsch soviel heißt als: Dekorierst du meinen Juden, dekoriere ich deinen Juden! Es ist das ein ewiges Börsen- und Tauschgeschäft: ein Großkreuz hinüber, drei Kommandeurkreuze herüber, jenem den Sonnenorden mit Krokodilsschwänzen, diesem dafür den Stern zum Vergißmeinnicht in himmelblauer Emaille.«

»Aber es sieht hübsch aus.«

»Das ist aber auch alles, und ein Gescheiter lächelt darüber. Ja, allen Respekt vor jenen Auszeichnungen, auf dem Schlachtfeld verdient, oder für Werke des Friedens, dem Erfinder, dem Gelehrten, dem Künstler und Schriftsteller; aber das Sterngefunkel auf der Brust junger Leute, die kaum ihre Schuldigkeit gethan, sollte nur dann gestattet sein, wenn jeder auch mit einer Extradevise versehen wäre, zum Beispiel für Gratulationen oder Kondolationen.«

»Ich staune über deine Art, diese Dinge anzuschauen, beneide dich aber nicht darum, halte es auch für mich ersprießlicher, die Orden auf der Brust meines Kapitäns als Beweise tapferer und verdienstlicher Thaten anzusehen.«

»Und mit vollem Rechte, mein lieber Freund,« gab Schmoller zur Antwort, wobei er sich mit einer Protektionsmiene die spärlichen Anfänge seines Schnurrbarts strich, »nach dem, was du mir von deinem Empfange erzählst, der dir zu teil geworden. Also er war einer der beiden Jäger, denen wir auf so lästige Weise ins Revier kamen. Sage mir doch auch, wer der andere war, denn daß du ihn gekannt, darüber war ich beim ersten Blicke nicht im Zweifel.«

»Allerdings kenne ich ihn, doch von einer Zeit her, die mit unserer Gegenwart eigentlich in, keiner Verbindung steht und deshalb für dich uninteressant ist. Es ist ein Graf Seefeld und steht als Lieutenant bei einem hiesigen Husarenregimente. Ich erzählte dir früher einmal, daß ich mich auf der Mühle eines Freundes befand, dessen Güter an die gräflichen Besitzungen stießen, und dort kam ich zufälligerweise mit ihm in eine für mich nicht sehr angenehme Berührung.«

»Darin scheinst du mir die Wahrheit zu sagen, und ich bin überzeugt, er hat diese Berührung nicht vergessen, denn der Blick, mit dem er dich betrachtete, hatte durchaus nichts Freundschaftliches.«

»Willst du ihn kennen lernen?«

»Wen deinen Graf Seefeld? Vielleicht mit einer Empfehlung von dir? Dafür muß ich danken!«

Erich dachte eine Zeitlang nach. Die Papiere, welche er damals gefunden, die er im Untersuchungsarrest gelesen und bis jetzt sorgfältig aufbewahrt, hatten ihm schon lange gewissermaßen auf der Seele gelegen. Er hätte sich ihrer auch schon längst entledigt, wenn er nur eine passende Gelegenheit gefunden. Etwas ihm selbst Unerklärliches hielt ihn ab, sie zu vernichten, was vielleicht das Klügste gewesen wäre.

»Aber wenn ich dir,« sagte Erich alsdann, »eine Empfehlung an ihn gebe, wofür du seiner Erkenntlichkeit gewiß sein könntest?«

»Nein, nein, ich danke wirklich; mit diesen vornehmen Herren ist schlecht Kirschen essen!«

»Aber wenn du mir einen Dienst damit erzeigen könntest?«

»Das ließe sich allenfalls hören; doch müßtest du vorher deine Duckmäuserei ablegen, damit ich möglichst klar in diese Geschichte hineinsehen könnte.«

»Möglichst klar allerdings, und doch wäre es nicht anders möglich, als daß noch vieles, wie für mich, auch für dich dunkel bliebe.«

Nun erzählte Erich einiges und Wesentliches von seinem früheren Zusammentreffen mit dem Grafen Dagobert Seefeld, ohne indessen sowohl der Esmeralda, als auch später der Ticzka dabei zu erwähnen, verschwieg auch die nächtliche Scene im Hause der letzteren vollständig, und was das Paket mit den Briefen anbelangte, so blieb er allerdings insofern bei der Wahrheit, daß er versicherte, es zufällig auf der Straße gefunden zu haben.

»Und nun weißt du alles, und kannst mir deinen guten Rat geben, sowie nach Umständen deine Bereitwilligkeit ausdrücken, diese Papiere ihrem rechtmäßigen Eigentümer zuzustellen.«

»Ich will dir etwas sagen, mein lieber Erich: vor allen Dingen muß ich diese Papiere lesen, um zu beurteilen, ob sie überhaupt der Mühe wert sind, zurückgegeben zu werden, oder ob es nicht besser ist, sie einfach verschwinden zu lassen. Du hättest dich an niemand besser wenden können, als an mich, denn für alles, was Schreibereien betrifft, bin ich so kompetent als möglich; jedenfalls aber ist mein Rat, daß wir uns mit der Herausgabe dieser Papiere nicht unnötig übereilen. Sind sie ihm wichtig...«

»Was ich nicht glaube,« warf Erich ein.

»Was weißt du davon, was das versiegelte Paketchen, von dem du sprachst, Wichtiges enthält? Vielleicht genug, um dafür einen Gegendienst zu verlangen. Ich bin stets für Gegenleistungen eingenommen, beruht doch der Verkehr der ganzen Welt auf gegenseitigen Leistungen. Ergo conclusum, wie jener Stadtschultheiß gesagt hat, übergib mir die Papiere, die auf meiner Kanzlei jedenfalls besser aufgehoben sind, als in deinem Waffengerüste, und dann will ich sie sorgfältig prüfen und darüber referieren.«

»Aber ich bitte mir aus, daß das kleine, versiegelte Paket vorderhand ungeprüft bleibt.«

»Gut, das verspreche ich dir, da ich fest überzeugt bin, daß der Inhalt an Wert verliert, sobald wir den Stöpsel aus bloßer Neugierde öffnen, gerade wie bei einer Champagnerflasche, die nicht sogleich ausgetrunken wird.«

Schmoller begleitete hierauf seinen Freund nach dessen Kaserne, die heute in der Ruhe des Sonntags, bei gänzlicher Abwesenheit auch des geringsten Strohhalmes und Papierschnitzels im Hofe, in feiertäglicher Stille, noch viel parademäßiger aussah als gewöhnlich. An einem anderen Sonntag ging Erich nach dem kleinen Fort hinaus, um dem Bombardier die bewußten Papiere zu überbringen und sich bei ihm umzuschauen. Hätte er das Gefühl des Neides gekannt, so würde dasselbe bei ihm hier rege geworden sein. Welch prachtvollen Blick hatte man von hier auf die ganze große Stadt, ja, auf die Landschaft, stundenweit ringsumher!

Wie entzückend muhte es hier im Frühjahre sein, wenn die mit Bäumen und Buschwerk bewachsenen Glacis einen kleinen Wald bilden, in dem das schloßähnliche Fort mit seinen ausgedehnten Wällen und Gräben, mit den krenelierten Mauern, seinen Türmen und Schießscharten, seinen Zugbrücken und gotischen Thoren wie die Königsburg in einem alten Märchen prangte! Ah! ein solcher Aufenthaltsort hätte ihn glücklich gemacht! Und dabei die kleinen Willkürlichkeiten Unordnungen konnte man es füglich doch nicht nennen die der kommandierende Artillerieoffizier hie und da duldete, wenn nicht gar selber ins Leben rief. So zum Beispiel kleine Blumengärtchen auf den Wällen, zwischen den alten, ehrwürdigen Positionsgeschützen, die alsdann von rankenden Pflanzen aller Art so respektlos behandelt wurden, daß diese naseweisen Dinger sich ohne Scheu um Räder und Laffette eines Vierundzwanzigpfünders wanden, ja, ironisch das Zündloch desselben mit einer frischgetriebenen Ranke überspannten Horreur für jeden anderen Artillerieoffizier, aber der Hauptmann von Walter fand in einer solchen Zusammenstellung ein so reizendes Bild des Soldatenlebens im Frieden, daß er um alles in der Welt nicht erlaubt hätte, dasselbe zu zerstören. Damals aber sah es ja auch so friedlich in der ganzen Welt aus, daß die schwarzen, eisernen Dinger da oben mit den weiten Mündungen, oder die langen, weithin glänzenden Kanonen auf alle Welt den Eindruck machten, wie andere überwundene Standpunkte, wie zum Beispiel eine fest umwallte mittelalterliche Stadt oder ein geharnischter Reiter auf geharnischtem Pferde in irgend einer Waffensammlung. Kriegszeug Unsinn! Kinderschreck! Wie kann ein Vernünftiger auch daran glauben, daß die Geschütze da oben noch einmal anders ihren Mund aufthun würden, als um die Geburt eines Thronerben oder sonst ein wichtiges Ereignis würdig zu feiern. Hätte man damals die sinnigen Kugelhaufen gefragt, ob sie einen Krieg überhaupt noch für denkbar hielten, sie würden diese Fragen verneint haben; ebenso die ehrlichen Flinten, mit den braven langsamen Steinschlössern, ja, die alten Bronzekanonen mit den ehrenvollen Wunden und Schrammen aus den Befreiungskriegen würden mit Entrüstung gesagt haben: Wozu denn Krieg führen, da alle Welt zufrieden ist? Ja, glückliche Zeit des Friedens, mit umrankten Vierundzwanzigpfündern, mit bestaubten Steinschloßgewehren und fest verschlossenen Mundpfropfen an den stillen Festungsgeschützen, wo es noch keinen feindlichen Nachbar gab, der mißgünstig zu uns herüber schielte, wo noch keine Zündnadeln erfunden waren, keine gepanzerten Schiffe, und wo sich alle Kanonen noch in harmlos kindlicher Ungezogenheit ihres Lebens freuten.

Wie gern hätte Erich mit seinem Freunde Schmoller getauscht, besonders wegen dessen freundlichem Kommandanten! Der Hauptmann von Walter hatte die beiden jungen Leute, auf dem Walle spazieren sehen, darauf eine starke Prise genommen und Schmoller zu sich herangewinkt, worauf dann der junge Freiberg in bester Form vorgestellt wurde, und zwar als »der letzte Bombardier!« ein Witz, der übrigens dem heiteren Kommandeur der Festungscompagnie schon bekannt geworden war und der sich auch sonst nach allen Richtungen hin wie ein Lauffeuer verbreitet hatte: gewiß nicht ohne Zuthun des Freiherrn von Manderfeld, der sich auf diese Geistesblüte nicht wenig einbildete und sogar Mittel und Wege wußte, sie vor einen kleinen, intimen Zirkel des Allerhöchsten Hofes zu bringen, wo er denn so glücklich war, es zu erleben, daß selbst Se. Majestät kopfnickend über die Erfindung des letzten Bombardiers gelacht, jedoch mit dem Zusatze: »In der That, recht gut für den Manderfeld!« »Siehst du, dort hinauf,« sagte Schmoller zu Erich, »liegt jene bewaldete Anhöhe, wo wir gejagt wurden; da unten glänzt die Sonne auf das bronzene Reiterbild, an dem wir vorüber kamen, und dort links ist deine Kaserne.«

»Eine große, schöne Stadt, und welche Masse von Kirchen!«

»Dort in der Mitte auf dem freien Platze liegt das königliche Schloß, umgeben von einem wahren Häusermeere, das saust und rauscht und braust wie die wirkliche See.«

»Ach, wie schön, wie von einer einsamen, glücklichen, stillen Insel da hinabzuschauen!«

»Besonders mit einem guten Tubus, wie ihn der Herr Hauptmann von Walter hat, und mit welchem man von hier oben die schönsten Entdeckungen macht; ich freue mich schon auf das Frühjahr, wenn Sonnenschein und milde Luft die schöne Welt häufiger ins Freie locken, als jetzt ich fürchte nur,« setzte Schmoller seufzend hinzu, »daß ich eines Tages mein Herz per Fernrohr verlieren werde! Schau, dort rechts am Flusse gibt es zur schönen Sommerzeit allerliebste Badeanstalten; es cirkulieren darüber unter den Kameraden die wunderlichsten Traditionen.«

»Also hast du dich mit deinem Schicksale, bei einer Festungscompagnie eingereiht zu sein, so ziemlich wieder ausgesöhnt?«

»Unter solch einem liebenswürdigen, vortrefflichen Chef gewiß, vorderhand wenigstens. Zuweilen gibt es allerdings Augenblicke, wo ich die ganze Spielerei satt habe und mich selbst gern dort hinauf von dannen ziehen sehen möchte, wohin weiß ich freilich nicht. Hast du nie ähnliche Gedanken?«

»O ja,« sagte Erich, »besonders heute hier oben, wo ich im Gegensatze zu unserem ernsten Kasernenhofe fast frei in die Welt hinausblicke; wenigstens möchte ich mich nur für einen Augenblick hoch und immer höher erheben können, um über jene Berge hinüber zu sehen, sowie vielleicht über andere, die dahinter liegen, zu einem See hinab, auf dessen leuchtender Fläche ein einzelner Blumenstrauß ruht und welchen zu erreichen schon ein Lieblingstraum meiner Kindheit war!« Er sagte das in einem so eigentümlich träumerischen Tone, daß ihn der andere erstaunt anblickte und erst nach einer Pause lachend versetzte:

»Warum in die Ferne schweifen, wenn uns das Schöne, wenigstens Interessante so nahe liegt? Ich habe auch meine kleinen Träume, aber ganz anderer Art, wie ich dir schon vorher andeutete, recht poetische Träume, und bin hier imstande, mir aus unbedeutenden Gründen recht artige Romane zusammenzustellen. Betrachte dir doch einmal da unten rechts, fast außerhalb der Stadt, am Fuße unseres Hügels, den großen Garten mit einem einzelnen, ansehnlichen Hause in der Mitte. Du mußt erkennen, was ich meine, da das Schieferdach dieses Hauses jetzt förmlich in der Sonne leuchtet. Siehst du es?«

»O ja, ich glaube es zu sehen.«

»Auch den großen Garten ringsumher?«

»Auch den.«

»Das ist ein Kloster, oder ein Damenstift, oder eine Pension für noch junge Mädchen.«

»Wohl möglich, und ich finde darin nicht besonders viel Interessantes.«

»Weil dir die rechte Phantasie fehlt; für mich aber nicht, der ich diese unglücklichen, eingeschlossenen Wesen täglich in langen Reihen dort unten spazieren gehen sehe. Habe mir schon allein dadurch den Anfang eines kleinen hübschen Romans zusammengestellt. Die da unten seufzen wahrscheinlich nach Glück und Freiheit. Eine von ihnen blickt häufig zu uns herauf.«

»Thut sie das wirklich?«

»Nein, aber eine könnte es thun, und sähe dann zu gewissen Stunden immer hier oben einen höchst interessanten jungen Mann stehen, der ihr pantomimisch sein Mitgefühl zu erkennen gäbe. Was sagst du dazu? Wäre ein solcher Anfang nicht der Fortsetzung wert?«

»Gewiß,« gab Erich lachend zur Antwort, »und wenn der Anfang einmal gemacht ist und du ein paar hübsche Fortsetzungen erlebt hast, so bist du vielleicht so freundlich, mir darüber Mitteilungen zu machen.«

»Warum nicht? Mit aller Diskretion. Aber da du jetzt gerade hinuntergehst und hart an dem Garten vorüberkommen mußt, so könntest du von unten zu mir heraufblicken, um mir anzudeuten, ob du eine von meinen vielversprechenden Pantomimen richtig erkannt hast. Ich werde mich an die Brüstung des Walles lehnen, mit der rechten Hand meine Augen beschatten, was so viel heißt, als: Ich bin von deinem Anblicke geblendet. Hast du diese Blendung verstanden, so leg du die Hand auf dein Herz, woraus ich dann ersehen kann, ob im Falle mit dieser Art von Telegraphie etwas zu machen wäre. Willst du?«

»Mit Vergnügen!«

»So leb denn wohl, und was deine Papiere anbelangt, so werde ich sie mit dem Compagniesiegel verschließen und darauf schreiben: Für den Fall meines Todes dem Herrn Grafen {bild} Dagobert Seefeld zu übergeben Das wird mir noch übers Grab hinaus ein gewisses Ansehen geben.«

Erich verließ ihn lachend, und als er unten an dem großen Garten ankam, welcher rings mit einer hohen Mauer umgeben war, erinnerte er sich seines Versprechens und blickte zu Schmoller empor. Daß dort irgend jemand an der Brüstung lehne, konnte man allenfalls entdecken, nicht aber, ob er seine Augen, wie geblendet über den Anblick irgend einer holden Erscheinung, mit der Hand beschatte; er hätte sich ebensogut die Nase putzen oder am Kopf kratzen können. Doch versäumte Erich es nicht, seine Rechte mit einer großen Bewegung auf die Brust zu patschen, worauf denn der andere seine beiden Hände in die Höhe hob, und dadurch aussah wie ein Telegraph, der in Verwunderung geraten ist über ein sehr merkwürdiges oder erfreuliches Ereignis.

Dann wandte sich der Bombardier der reitenden Artillerie, nachdem er noch einen Abschiedsgruß hinauf gewinkt, lächelnd ab, um die breite Straße nach der Stadt wieder zu gewinnen, und ging zu diesem Zwecke um die hohe Gartenmauer herum, bis er an ein eisernes Gitterthor gelangte, welches den Einblick auf einen kleinen, gepflasterten Hof, sowie auf das am Ende desselben liegende stattliche Gebäude gewährte. Dieses war von ziemlicher Ausdehnung und hatte mit seinen hohen Fenstern, seinem frischen hellen Anstriche, mit dem Schieferdache ein wohlhabendes, fast vornehmes Aussehen. Hinter demselben erhoben sich die jetzt allerdings kahlen Aeste mächtiger Bäume; dort hinaus und gegen die Festung lag auch der Garten, wahrscheinlich mit Terrasse und Treppen, während sich diesseits nur eine hohe und breite Eingangsthür zeigte. Dieselbe schien durch zwei Drähte mit dem hohen Gitterthore der Umfassungsmauer in Verbindung zu stehen, und so war es auch in der That, denn wo hier außen diese Drähte in Klingelzügen mit kupfernen Knöpfen endigten, las man unter dem einen derselben: »Glocke für die Dienerschaft«, und unter dem anderen: »Glocke für die Direktorin«. Schmoller hatte also insofern wohl recht, als dieses Haus, wenn auch kein Kloster, doch ein Stift für junge Damen oder eine Pensionsanstalt für Töchter höherer Stände zu sein schien; und nicht nur, daß diese durch die sehr hohe Mauer, sowie durch das ernste eiserne Gitterthor beschützt und bewacht waren, sondern sie waren es noch außerdem von einem riesigen Hofhunde, der ein kleines Sonnenfleckchen im Hofe zu seinem Lager benutzte, wobei er mit verdrießlicher Miene den jungen Mann draußen beobachtete und, als sich dieser, um sich den Hof etwas näher anzuschauen, dem Gitterthore näherte, murrend und knurrend näher kam.

Da aber Erich durchaus keine Phantasie hatte, wie sein Freund Schmoller droben, und ihm Haus und Garten deshalb außerordentlich gleichgültig waren, so wandte er sich, um des Hauses redlichen Hüter nicht weiter zu belästigen, und kehrte nach der Stadt zurück.


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