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33. Kapitel

Ein sehr lehrreiches Kapitel; handelt schließlich vom Abendstern und einer zerschlagenen Nase.

Erich hatte unterdessen eine bessere Uniform und weiße Handschuhe angezogen, auch seinen Säbel umgeschnallt, und ging nun, dem Befehle des Premierlieutenants gemäß, nach dessen Zimmer. Der Bursche des Offiziers ließ ihn ohne weiteres in das angenehm erwärmte und durch eine kleine Lampe spärlich erleuchtete Vorzimmer treten, wo er dann sogleich die Stimme des Premierlieutenants vernahm, der ihm zurief, näher zu kommen, aber seinen Säbel draußen zu lassen.

Erich hatte selten oder eigentlich noch nie ein so behagliches Gemach gesehen. Es war ziemlich groß und hoch, wie alle Kasernenzimmer, hatte einen Bodenteppich, auf dem man so weich und angenehm trat, und war aufs reichste besetzt mit Diwans, Stühlen und sonstigen bequemen Sitzgelegenheiten; in der Ecke auf einem großen, runden Tische summte und brodelte es in einem kochenden Wasserkessel, neben welchem man Tassen erblickte, schönes, weißes Brot, Butter, einen angeschnittenen saftigen Schinken, sowie daneben Eier, die in einer Schüssel mit Wasser lagen.

Der Premierlieutenant lag in einem bequemen Lehnsessel, wobei er die Füße auf ein kleines gepolstertes Bänkchen ausgestreckt hatte, und schien in einem Buche gelesen zu haben, das nun neben ihm auf dem Tische lag, während er in der rechten Hand eine lange Pfeife mit bunten Quasten hielt. Er trug einen langen Schlafrock von hellgrauer Farbe, dazu rote Morgenhosen und gelbe Pantoffeln, hatte somit alles Militärische abgestreift, sowohl von seinem Aeußeren als von seinem Inneren, denn er winkte dem Bombardier freundlich mit der Hand und sagte: »Nun, rücken Sie sich dort den kleinen, niederen Sessel heran und setzen Sie sich zu mir rauchen Sie?«

»Zu Befehl, nein; ich habe es bis jetzt nie versucht, Herr Premierlieutenant.«

»So lassen Sie es auch heute bleiben, aber ebenfalls Ihr Zu Befehl, sowie die Nennung meines Ranges in der Armee. Trinken Sie Thee?«

»Ich hoffe, daß ich das kann!«

»Es ist nicht so schwer; dort steht er schon aufgegossen. Schieben Sie mir die Kanne herüber so nun nehmen Sie Zucker und Milch und was das andere anbelangt, so will ich Ihnen mit gutem Beispiele vorangehen.«

Er bestrich ein großes Stück weißes Brot mit Butter, legte eine Schnitte Schinken darauf und deckte denselben mit einer Schnitte schwarzen Brotes zu, worauf er ein Aehnliches für Erich machte, ihm aus dem kalten Wasser einige Eier heraus fischte und dann mit Behagen seinen Thee schlürfte.

Der junge Bombardier war erstaunt über diesen Empfang. Wenn er sich auch bewußt war, durch nichts in den letzten Tagen einen Verweis verdient zu haben, so hatte er nach den Vorgängen doch immerhin erwartet, von dem strengen Premierlieutenant irgend welche ernste Ermahnungen zu erhalten, vielleicht im allerbesten Falle über den Inhalt eines der Bücher examiniert zu werden, die er von ihm von Zeit zu Zeit geliehen erhielt. Und nun nichts von alledem, sondern eingeladen zu werden, an einem für ihn außerordentlich reichen Mahle teilzunehmen, und daß er sich dazu nicht zweimal nötigen ließ, brauchten wir bei seinem offenen, freimütigen Wesen kaum zu erwähnen; ja, dem ersten Butterbrote folgte ein zweites, das er sich auf die Aufforderung seines freundlichen Vorgesetzten sehr gelungen selbst anfertigte, und bald war auch von den Eiern nichts mehr als die Schalen übrig.

»Ich hatte mir schon lange vorgenommen, mit Ihnen einiges zu reden,« sagte nun der Premierlieutenant, »und thue das heute um so lieber, da ich einen Brief meines Freundes, des Oberfeuerwerkers Doll, erhielt, der sich um so mehr und aufs freundschaftlichste nach Ihnen erkundigte, da, wie er am Eingange seines Schreibens sagt, auch die letzte Verstimmung gegen Sie verschwunden ist, weil sich endlich herausgestellt, daß Sie es nicht gewesen sind, der ihn in effigie an den Galgen gehängt.«

»Wie mich das freut!«

»Doll denkt sehr freundlich über Sie und läßt Ihnen seine besten Grüße sagen; auch habe ich kürzlich noch jemand anders kennen gelernt, der sich Ihrer wohlwollend erinnert.«

Erich sah ihn fragend an.

»Jemand, ebenfalls vom Handwerk, der sich draußen auf dem Fort Prinz Maximilian befindet.«

Freiberg dachte an den Bombardier Schmoller; doch war es zu unwahrscheinlich, daß dieser würdige Freund mit einem so abgeschlossenen Manne, wie der Premierlieutenant Schaller im gewöhnlichen Leben war, auf eine solche Art bekannt geworden wäre. Auch klärte sich dieser Irrtum in der nächsten Minute auf, als jener nach einem langen Zuge aus der Theetasse fortfuhr:

»Vielleicht erinnern Sie sich eines Offiziers, der vor Jahren das Unglück hatte, bei einem Manöver den Fuß zu brechen, und in einer Mühle, wo Sie sich gerade befanden, von dem Besitzer, der nebenbei ein ausgezeichneter Arzt war, vortrefflich behandelt wurde.«

»Ah, der Herr Premierlieutenant Schramm!« rief Erich erfreut.

»Derselbe. Er wurde allerdings nach bestem Vermögen des Arztes wieder hergestellt, behielt aber doch eine Schwäche in seinem Fuße und ließ sich deshalb von der reitenden Batterie weg zu der Festungscompagnie auf Fort Maximilian versetzen, deren Hauptmann, der alte, liebenswürdige, joviale und sehr gelehrte Walter, ein genauer Freund von ihm ist. Vor ein paar Tagen war ich bei Schramm, und da kam die Rede auf Sie, wo er sich denn wohlwollend nach Ihnen erkundigte und über Ihre verunglückte Brigadeschulzeit sprach. Sie sehen mich erstaunt an, aber ich kann dieser Geschichte doch beim besten Willen keinen anderen Namen beilegen und hatte mir schon längst vorgenommen, mit Ihnen freundlich darüber zu reden. Ob Sie an all den einigermaßen tollen Streichen, die man auf Ihre Rechnung schreibt, die volle Schuld tragen, weiß ich in der That nicht, bin aber dagegen überzeugt, daß Ihr Conto dorten mit einer solchen Menge schwarzer Striche gesegnet ist, daß es Ihnen, auch wenn man Sie wieder zur Brigadeschule einberuft, schwer halten wird, zu dem Ziele zu gelangen, das Sie sich vorgesteckt haben.«

»Das wäre sehr traurig für mich!«

»Bedingungsweise, wenn Sie wollen, ja; wogegen ich es andererseits wieder für kein Unglück halten würde, wenn Sie sich beizeiten darauf angewiesen sähen, einen anderen Lebensweg einzuschlagen. Schramm sagte mir, er hätte Sie dort auf der reizend gelegenen Mühle in so angenehmen Verhältnissen gefunden, und der Besitzer derselben wäre von den wohlwollendsten Gesinnungen gegen Sie beseelt gewesen; Sie hätten sich dort praktisch zum Landwirte ausbilden, dann vielleicht ein paar Jahre lang eine landwirtschaftliche Schule besuchen und so einen ebenso ehrenvollen Weg machen können, als den anderen, den Sie vorgezogen. Ich weiß wohl, daß Ihre Neigung etwas im Blute steckt, da Sie ein Soldatenkind sind, und verstehe es recht gut, wie der Glanz der Epauletten, das Klirren des Säbels, die ganze militärische Wirtschaft ein junges, empfängliches Gemüt zu blenden und zu bestechen vermag; aber wenn das nur anhaltend wäre, wenn nicht jeder, sowie er die militärische Bühne betritt, sogleich einen sehr ernüchternden Blick hinter die Coulissen thun würde, und wenn diese Coulissen nicht noch viel trügerischer wären, als jene der gewissen anderen Bretter. Ja, für jemand mit schönem Namen und großem Vermögen ist es schon recht amüsant und lohnend, sich mit dem Lieutenantstitel ohne allzu große Mühe einen anständigen, sogar ehrenvollen Rang in der menschlichen Gesellschaft zu erwerben, um in einer kurzen Reihe von Jahren auf dem schillernden Strome mit dahin zu schwimmen, um hier und da in hübschen Buchten Blumen aller Art zu pflücken und dann nüchtern, oft sehr enttäuscht, in einen stillen Hafen einzulaufen, behaglich zuschauend, wie dann jener schillernde Strom immer und immerfort in gleich trügerischem Glanze an uns vorüber zieht. Oder es sei Krieg und wir aus langer, drückender Schulzeit endlich einmal frei und mündig geworden, und da kommt es noch sehr darauf an, für welche Ideen wir den Säbel ziehen oder unsere Kugeln entsenden müssen nach dem Kriege ist und bleibt es doch wieder die alte Geschichte. Wir haben Wunden erhalten, die uns vielleicht unser ganzes Leben zu schaffen machen, und sind dafür mit einem kleinen Stückchen, häufig sehr unverdienten Kanonenmetalls belohnt worden, ohne ein tröstendes Bewußtsein aus dem Feldzuge mit nach Hause gebracht zu haben; denn wenn wir dort etwas erworben haben, Orden, Beförderungen, so ernteten wir auf den ruinierten Feldern unserer Mitmenschen, und unser ganzes Werk bestand darin, andere Werke, sogar das schönste aus der Schöpfung Gottes, mutwillig zu zerstören.«

»Gewiß ein trauriges Handwerk!«

»Es kommt Ihnen gewiß sonderbar vor, lieber Freiberg, mich so reden zu hören; aber wenn ich so, wie jetzt, in meinen angenehmen Feierstunden nur als Mensch in meinem Lehnstuhle sitze der abgestreifte Premierlieutenant hängt in meinem Vorzimmer habe ich das schon häufig vor jungen Leuten Ihres Schlages gethan, wenn mir dieselben würdig genug dazu erschienen, und konnte und kann das thun, da ich mich in zwei Feldzügen so benommen, daß Se. Majestät der König mich des Tapferkeitskreuzes für würdig erachtet. O, ich weiß wohl, was Ihr leuchtender Blick sagen will, mein lieber junger Freund, und bin überzeugt, daß Sie sich ebenfalls brav und tüchtig schlagen würden; aber um das für eine große Idee zu thun, haben Sie ja nicht nötig, Ihr ganzes Leben jenem mehr als zweifelhaften Glanze zu widmen. Das können Sie, wenn eine ernste Zeit eintritt, besonders bei unseren wunderbaren Heereseinrichtungen, frischweg vom Pfluge her leisten, die Büchse auf der Schulter, mit der Sie soeben den lustigen Wald durchstreift.« Erich schlug die Augen nieder und konnte sich eines bitteren Gefühles nicht erwehren, welches die Worte des Premierlieutenants, so wohlwollend sie auch klangen, in ihm hervorriefen.

»Sehen Sie mich an,« fuhr der andere fort, »der unter besseren Aussichten als Sie ins Militär trat, der Gelegenheit hatte, die vortrefflichsten Kriegsschulen zu benutzen, und sie fleißig benutzt hat, ich, der ich nun schon jahrelang auf dem Punkte stehe, endlich einmal eine Batterie zu erhalten, dann aber recht wohl fühle, daß damit meine Carriere als abgeschlossen zu betrachten ist, und ich nur danach trachten muß, noch einige Jahre bis zu einer kleinen Pension oder bis zu einer mageren Civilversorgung, mitzulaufen, um dann, zurückblickend, mit Schrecken einzusehen, welch furchtbaren Umweg ich gemacht, welche Verschwendung an Zeit, Fleiß und Lebenskraft ich getrieben, um dahin zu gelangen. Wir wollen nun das, was ich Ihnen hier nur im allgemeinen gesagt, speciell auf Sie anwenden, und ich bin dazu imstande, da ich neulich von Ihnen selbst, in diesen Tagen aber auch durch den Premierlieutenant Schramm Genügendes aus Ihren Verhältnissen und aus Ihrem früheren Leben weiß, und da ich noch viel besser beurteilen kann, auf welch schwachen Füßen Ihre Hoffnung auf ein rasches Avancement steht. Sagen Sie mir aber aufrichtig, mein lieber Freiberg, ob Sie mich für grausam halten, wenn ich so mit Ihnen rede und vielleicht dazu beitrage, Ihre glänzenden Hoffnungen zu zerstören.«

»O gewiß nicht, Herr Premierlieutenant,« antwortete Erich mit einer allerdings etwas gepreßten Stimme; »ich fühle ja aus allem, daß Sie es gut mit mir meinen, und kann Ihnen nur dankbar sein für jede wohlmeinende Aufklärung!«

»Gut gesprochen, wenn Ihnen das auch ein bißchen schwer vom Herzen kommt,« sagte der Offizier mit einem kurzen, aber nicht unfreundlichen Lächeln und fuhr alsdann nach einer kleinen Pause fort, während welcher er ein paar Papiere, die neben ihm auf dem Tische lagen, mit der Hand durcheinander geworfen: »Auch habe ich eine kleine Verpflichtung übernommen, so mit Ihnen zu reden, und zwar auf Veranlassung Schramms, der seit der Zeit seines damaligen Unfalles mit jenem Mühlenbesitzer, wie mir scheint, in stetem und lebhaftem Briefwechsel geblieben ist.«

»Ach, mit dem guten Herrn Doktor Burbus,« rief Erich erfreut »von dem ich leider seit lange nichts mehr gehört, obgleich ich mir wohl erlaubte, ihm hier und da zu schreiben! Er hatte mir das anbefohlen, gab mir aber seit Jahren keine Antwort.«

»Es muß das überhaupt ein sonderbarer Kauz sein,« bemerkte der Premierlieutenant; »doch schätzt ihn Schramm ganz außerordentlich, und da das, was der vorsichtige Schramm schätzt, wirklich schätzenswert ist, so möchte auch ich gar gern einmal die Bekanntschaft jenes alten Herrn machen.«

»So hat er sich meiner erinnert?« rief freudig der junge Bombardier.

»Gewiß, und auf die freundlichste und vorsichtigste Art. Durch den Oberfeuerwerker Doll, an den er durch Schramm gewiesen wurde, erhielt er häufig Nachrichten von Ihnen, die ihn allerdings nicht immer erfreuten, besonders jene Geschichte mit dem Wurzelzeichen ja, damals war es, wo ihn Ihr scheinbarer Mangel an Dankbarkeit sehr betrübte; doch hat sich diese Sache genügend aufgeklärt, und es folgte darauf ein Brief des Doktors Burbus an Schramm, der hier vor mir auf dem Tische liegt, infolgedessen ich mit Ihnen geredet, wie ich gethan.«

Erich blickte mit einem fragenden Ausdruck den Sprecher an, im Begriffe, etwas zu entgegnen. Doch winkte ihm jener mit der Hand, wobei er sagte:

»Lassen Sie mich noch etwas hinzusetzen: Daß Sie ebensowenig auf der Brigadeschule als hier beim hohen Chef unserer Batterie mit Glück debütiert haben, darüber brauchen Sie sich keinen Illusionen hinzugeben; ja weil ich es gut mit Ihnen meine, will ich Ihnen sagen, daß der Hauptmann von Manderfeld nur darauf lauert, Ihnen tüchtig eins ans Bein zu geben, sobald er dazu die allergeringste Veranlassung findet, deshalb nehmen Sie sich in acht! Und wie trotz aller Mühe, die Sie sich geben mögen, und trotz aller Beihilfe Ihre ganz besonders und vielleicht in guter Absicht befohlene Konduitenliste ausfallen wird, kann ich mir allenfalls denken. Denn der Herr Hauptmann hat das Recht, die gefährliche Rubrik der allgemeinen Bemerkungen nach eigenem und bestem Ermessen auszufüllen; er hat Sie, wie man so zu sagen pflegt, tüchtig auf dem Striche, und in solchen Fällen pflegt niemand eine schärfere Bürste zu führen als er. Sie sagten mir damals, seine Abneigung rühre von einer Begegnung her, die Sie, hier in der Gegend angekommen, mit ihm draußen im Walde gehabt?«

»Ja, dort traf ich mit dem Herrn Hauptmann zusammen, und unglücklicherweise in einem Augenblicke, wo er sich gerade in Gesellschaft eines anderen Herrn befand, der Ursache zu haben glaubt, mich ganz besonders zu hassen.«

»Ah, der Herr Graf Dagobert Seefeld,« entgegnete der Premierlieutenant mit einer spöttischen Miene, »mein Herr Kamerad von den Husaren, ein höchst vornehmer und sehr reicher Offizier, der, wenn er sich nur ein wenig Mühe gibt, eine glänzende Carriere schon machen wird, der, obgleich er einige zwanzig Jahre kürzer dient, als ich, doch früher eine Schwadron kommandieren wird, als ich eine Batterie, ein genauer Freund des Herrn Hauptmanns, und wenn der Ursache hat, Ihnen Steine in den Weg zu werfen, so können Sie sich darauf verlassen, daß der Freiherr von Manderfeld die Hand dazu bietet. Wann, wie und wo Sie ihm in den Weg getreten, sagten Sie mir nicht ganz genau, es ist auch gleichgültig; aber das Faktum genügt, um Sie über Ihre Zukunft ernstlich nachdenken zu lassen. Ich gebe zu, es ist gerade kein Glück für Sie, daß Sie unter diesen Umständen zu unserer Batterie kommen mußten; aber wenn auch anderenfalls Ihrem Avancement kein solcher Prügel in den Weg geworfen würde, sähe es doch unerfreulich damit aus. Wir sind mit einer Unmasse von Freiwilligen gesegnet, die teils bei der Batterie, teils bei den Brigade- und Artillerieschulen nach den Epauletten trachten. Allerdings ist sehr viel leichte Ware, sehr viel Schund darunter und vergeht wie Schaum auf dem Wasser; aber auch tüchtige Kerle, worunter ich Sie rechne, werden von den Verhältnissen hinabgedrückt, bleiben als Unteroffiziere oder Feuerwerker hängen, bringen es, wenn's hoch kommt, zum Wachtmeister oder Feldwebel und streifen so ihr lebenlang etwas weniges über dem Boden der Alltäglichkeit, statt, wie sie in ihrer Jugend geträumt, ihren Flug nach den Spitzen des Ruhmes und Glanzes nehmen zu können, häufig ein miserables Leben, wo es ihnen dann im glücklichen Falle noch wie unsereinem geht und sie auf dem gleich großen Wege eine kleine Civilversorgung erhalten, zu welcher sie vielleicht, gerade hinstrebend, weit eher gelangt sein würden. Nun will ich aber den günstigen Fall setzen: Sie wären wirklich Offizier geworden, hätten nun diese äußerlich so glänzende Stellung erreicht und versuchten es, auch ohne Protektionen, ohne Zulagen sich, tapfer schwimmend, oben zu erhalten es geht das am Ende, es gibt brave, achtungswerte Leute, die das fertig bringen; aber es ist ein verzweifelter Kampf mit dem Leben, wo man beständig, um in dem Gleichnisse eines Schwimmers fortzufahren, den Krampf in einem Beine spürt und stets gewärtig sein muß, unterzusinken, wo man am Ende nichts thun kann, als mit zwei gleich schlimmen Gesellen zu kokettieren, dem Kummer und dem Leichtsinn. Eine Chance bietet allerdings der Krieg, Feldzüge, besonders wenn sie glücklich und glorreich sind, wenn man das Glück hat, sich auszeichnen zu können, wenn irgend eine kühne That gelingt, wenn ein anderer uns nicht das Verdienst derselben nimmt und wenn wir dabei nicht gar zu jammervoll angeschossen werden. Sie sehen, mein lieber Freiberg, auch dabei sind eine solche Menge Wenn, die sich über sämtliche Züge, Compagnien und Regimenter der Armee zahllos verteilen, so daß es dabei wie in einer Lotterie geht: ein Gewinn auf tausend Nieten. So, das habe ich Ihnen teils aus eigener Anregung, teils im Auftrage meines Freundes Schramm als Mittelsperson jenes alten Doktor Burbus gesagt, und nun hören Sie, was dieser letztere in betreff Ihrer schreibt.«

Der Premierlieutenant nahm den Brief, welchen er vorhin leicht mit der Hand berührt, vom Tische, entfaltete ihn und sagte, einiges mit den Augen überfliegend: »Nachdem Doktor Burbus seine Befriedigung darüber ausgesprochen, daß Sie es nicht gewesen seien, welcher den alten, ehrlichen Oberfeuerwerker Doll an dem Wurzelzeichen aufgehängt, schreibt er nun wörtlich: Es hat mir von jeher Freude gemacht, mit solchen jungen Leuten zu experimentieren und in guter Absicht solch losen Vögeln einen unsichtbaren Faden ans Bein zu binden, um sie, wenn sie auch scheinbar frei davonfliegen, doch gewissermaßen in meiner Hand zu behalten. Entdeckte ich dann an ihnen, was ich nicht zu finden gewünscht und gehofft, so schnitt ich meinen Faden beruhigt entzwei und grüßte sie auf Nimmerwiedersehen; fand ich aber, wie hier, einen guten, edlen, anständigen Stoff, ein Fundament, welches einen tüchtigen Kerl in irgend einer Lebensstellung versprach, so wußte ich meinen Faden sachte wieder anzuziehen, so daß der Vogel wie von selbst ins Garn lief und dankbar und freiwillig dem Pfade folgte, den ich ihm vorzuzeichnen für gut fand. Ich habe auf die Art schon manchem zu seinem Glücke verholfen, ohne mich ihm als Helfer aufgedrängt zu haben, und so werde ich es auch mit dem jungen Freiberg machen, wenn ihn mir ein glücklicher Zufall wieder in den Weg führt. Sagen Sie ihm davon, mein wertester Herr, so viel, als Ihnen gut dünkt, um ihn über dem Wasser zu erhalten, wenn ihn die drückenden Verhältnisse, von denen Sie mir geschrieben, am kräftigen Vorwärtsdringen hindern sollten; oder noch besser ist es, wenn Sie ihm das nicht selbst sagen, damit er darin keine Aufforderung sieht, sich mir durch Ihre Vermittlung ohne triftige Veranlassung nähern zu wollen. Er soll seine Kraft versuchen und selbst zu der Erkenntnis kommen, ob es nicht besser ist, in Gottes freier Natur Bäume zu fällen oder die Scholle umzuackern, als ... doch hier schenken Sie mir wohl gern den Schluß meines Gleichnisses, der vielleicht nicht angenehm wäre einem so hoch verehrten Herrn und Freunde.

»Und nun weiß ich bei alledem doch nicht,« sagte der Premierlieutenant in seinem gewöhnlichen Tone, wobei er den Brief wieder zusammenfaltete, »ob ich nicht aus eigener Machtvollkommenheit meinen Auftrag überschritten und Ihnen in jeder Beziehung zu viel gesagt habe. Es ist aber gleichgültig, denn ich halte Sie für fähig, vernünftig zu überlegen und selbst zu prüfen und zu wählen; vor allen Dingen aber bin ich überzeugt, daß Sie Ihren Dienst mit gewohnter Pünktlichkeit thun werden und in Ihrem Fleiß und guten Betragen nicht nachlassen. Steigen dann an Ihrem Lebenshorizonte die schwarzen Wetterwolken auf, welche gewiß nicht ausbleiben werden, so bleibt Ihnen doch die Gewißheit, daß Wolken allerdings imstande sind, unseren Blick in eine heitere Ferne zu trüben, daß aber diese heitere Ferne oder Zukunft deshalb doch unwandelbar stehen bleibt und rastlosem, gutem Streben erreichbar ist.

»Und nun behüte Sie der Himmel, mein lieber Freiberg es würde den Unteroffizier Wenkheim unruhig machen, wenn Sie ohne Urlaub länger ausblieben. Merken Sie sich aber mein Zimmer für alle Fälle, und wenn Sie je etwas Dringendes haben, besonders etwas, das mehr den Menschen als den Premierlieutenant angeht, so suchen Sie mich um diese Stunde auf, aber, wie gesagt, nur in dringenden Fällen, damit man nicht eine Vertraulichkeit zwischen uns argwöhnt, die Ihnen von keinem Nutzen sein könnte und mich verhindern würde, Ihnen einmal irgendwo zu helfen.«

Erich war eigentümlich und tief bewegt, nachdem er die Wohnung seines freundlichen Vorgesetzten verlassen und den langen, halb dunklen, stillen Korridor entlang ging. Recht tief waren ihm die Worte des Premierlieutenants ins Herz gedrungen, und er hätte sehr viel darum gegeben, wenn er, statt hier in der dumpfigen Kaserne zu sein, nur eine Stunde im Walde, das heißt zu einer Zeit, wo dieser frisch und grün war, nicht wo wie jetzt die kahlen Aeste im scharfen Nordwinde seufzten, hätte verträumen können. Ach, alles das, was er gehört, hatte er schon selbst unbewußt gefühlt, und jetzt hatten jene wohlgemeinten Worte einen Damm zerstört, den er mühsam zwischen jene Zeit und jetzt aufgebaut, und als er nun, an einem einsamen Fenster lehnend, an den Himmel emporblickte, wo langgestreckte Wolken ruhig vorüberzogen, kaum erkennbar auf dem glänzenden, mit leuchtenden Sternen besetzten Hintergrunde, da nahmen diese Wolken Gestaltungen an, wie sie zu den Bildern seiner Seele paßten, und alles, was er damals erlebt, zog in für ihn erkennbaren Bildern still und geisterhaft an seinem Auge vorüber! Da war der Jagdgrund, auf welchem er dabei gewesen war, als der junge Burbus jenen Kapitalhirsch schoß und wie deutlich! Sogar die Schlucht, wo die riesenhafte Linde gestanden! Und das zog wie ein Panorama an ihm vorüber, die Waldfläche, wo ihn der gräfliche Förster ergriffen, o, so deutlich! Dann das Schloß, etwas im Nebel verschwimmend, und hinter demselben erschien ein Stück klaren Nachthimmels, besetzt mit den gleichen Sternbildern, zu denen er damals aufgeschaut, als er in hastiger Flucht durch den Wald die schützende Mühle zu erreichen suchte.

Nur einen einzigen, wunderbar leuchtenden Stern von unaussprechlich mildem und wohlthuendem Glanze, der hier vor ihm stand, erinnerte er sich nicht, damals gesehen zu haben, und doch schien er ihm so bekannt, so anmutig freundlich zuzulächeln, ja, ihn mit seinen zitternden Strahlen zu fragen: »Erinnerst denn du dich meiner nicht mehr? Ach, wie traurig!« Und als der Stern so zu sprechen schien, verschwand er halb und halb hinter einer seltsam geformten Wolke, so eine schwebende Gestalt annehmend mit langen, flatternden Gewändern, mit langem, flatterndem Haar, und als hierauf durch einen Riß des Wolkenschleiers das klare wundervolle Himmelsauge wieder zu ihm herüberblitzte, da erkannte er mit einem Male Stern und Gestalt und rief entzückt: »Blanda, Blanda, ja, du bist es! Wo du auch in der weiten Welt herumschweifen magst, in diesem Augenblicke gedenkst du meiner, wie ich an dich denke, du seltsames, wunderbares, herzig liebes Kind o, Blanda, Blanda!«

Damit war der Stern, als hätte er seinen Zweck erreicht, nun plötzlich hinter dichteren, schweren Wolkenmassen verschwunden, hinter seltsam geformten Gestalten, welche wie dahinjagende, phantastisch nebelhafte Reiterscharen erschienen ah, die Ticzka wild dahinstürmend als Wolkengebieterin! Wie sich die Gestalt, welche sie trug, unter ihrer starken Hand aufbäumte! Wie alles um sie her, neben und unter ihr wallte und ihre Form zu verändern strebte, und wie sie allein hoch oben stand, unerschüttert, unverändert siegreich vorüberziehend!

Dann erschienen in den Wolkengebilden phantastische Landschaften, Bergeshöhen, Felsenstürze, Waldflächen mit mächtigen Schlössern, eine ungeheure, meilenweite Hochebene, die sich zuerst etagenförmig in schroffen Felsterrassen gegen die Ebene, hier der klare Nachthimmel, senkte und sich hierauf wie eine sanft abfallende Niederung verflachte. Dorthin schwang sich Erichs Geist, strebend, so rasch als möglich das Ende jener langgestreckten Landzunge zu erreichen, wo er überzeugt war, aus dem unbegrenzten Meere dieser Himmelsfläche etwas Herrliches, etwas Tröstliches, etwas für seine ganze Zukunft Entscheidendes auftauchen zu sehen jetzt mußte es erscheinen, jetzt, am Ende jener langsam dahinziehenden, haarscharf endenden Linie.

Erich hatte die gefalteten Hände gegen seine Brust gedrückt und starrte fast atemlos dorthin, überzeugt von einer Offenbarung, die auf sein ganzes zukünftiges Leben Einfluß haben mußte.

Dann kam es zuerst wie ein sanfter Schein hinter der dunkeln, geheimnisvoll vorüberziehenden Wolkenschicht; dann lugte es blitzend um die Ecke, dann stand es blitzend und strahlend vor ihm Blandas Stern.

Zugleich aber auch trat die trübere Wirklichkeit langsam hinter ihn und verscheuchte mit einem Male seine prächtigen Phantasiegebilde, und zwar in einer sehr prosaischen Gestalt, als wachthabender Kanonier der Kasernengänge, in dir Stalljacke, den gezogenen Säbel im Arme, Pantoffeln an den Füßen.

»Ah, Sie sind es, Herr Bombardier! Ich habe nur sehen wollen, wer sich da so lange am Fenster zu schaffen macht!«

»Ja, ich bin es,« gab Erich mit einem Seufzer zur Antwort, »und will nun auf meine Stube gehen gute Wacht!«

Doch war es ihm nicht möglich, auf dem geraden Wege durch die dumpfigen Gänge nach seinem Quartier zu gehen, welches auf der anderen Seite der Kaserne lag, weshalb er die Treppen hinabstieg und über den Hof schritt, um nochmals den nun wieder klaren Himmel mit seinen lieblichen, freundlichen Sternen zu schauen. Da sah er auch den Orion, der ihm von der Erklärung der guten Ticzka Kolma her unvergeßlich war, dieses herrliche, wohlthuende Sternbild, welches uns wie eine tröstliche Hoffnung nach dem warmen, prächtigen Süden zeigt und zu welchem hinauf Erich wie auch ein anderer braver Mann, den wir genau kennen, selten versäumte, freundlich mit der Hand zu grüßen.

Als er dann weiter gegen den anderen Teil der Kaserne ging, sah er eine Gestalt in einem langen Mantel von dem Eingange herkommen und den gleichen Weg wie er selber nehmen. Wahrscheinlich der Einjährig-Freiwillige, der sich vielleicht ohne Urlaub verspätet und sich deshalb bemühte, nicht erkannt zu werden, denn er hielt das Taschentuch vor sein Gesicht und huschte so rasch als möglich in den Eingang. Erich war viel zu diskret, um ihn, wie er wohl gekonnt hätte, auf der Treppe einzuholen, weshalb er absichtlich langsamer ging und erst sein Zimmer erreichte, als er von droben her das Schließen der Thüre vernommen. Dann in seine eigene Stube tretend, war er überrascht, hier noch jemand außer Bett zu finden, der gerade im Begriffe war, ein Licht anzuzünden, und in welchem er alsdann zu seinem Erstaunen jene Gestalt im Mantel erkannte, die ihm aber den Rücken zukehrte und sich an Wiberts Waffengerüste zu schaffen machte.

Näher kommend, sah er aber, daß es der lange Bombardier selber war, welcher auf seinen freundlichen »Guten Abend« nur einige brummige, unverständliche Worte erwiderte, dann von dem Tische in der Ecke Wasserkrug und Waschschüssel herbeitrug und sich schweigend vor diesen Gerätschaften an den Tisch setzte, nachdem er sich vorher seufzend in einem kleinen Handspiegel betrachtete.

»Herrgott, Wibert, wie sehen Sie aus!«

»Nun, wie werde ich aussehen wie jemand, der das Unglück gehabt hat, über einen verdammten Steinhaufen zu stürzen!«

»Das ist ja sehr arg es müssen scharfe Steine gewesen sein.«

»Wie Pflastersteine gewöhnlich sind, oder glauben Sie vielleicht, man hätte sie für mich extra abgerundet?«

»Kann ich Ihnen irgendwie beistehen?«

»Nein; lassen Sie mich ins Teufels Namen zufrieden!« Dann betupfte er mit einem nassen Tuche leicht sein Gesicht, griff nun aber auf seinen Kopf und betrachtete hierauf unter einem halblauten Ausruf des Zornes seine mit Blut befleckten Fingerspitzen.

Erich begriff plötzlich den ganzen Zusammenhang, und um so mehr, als er jetzt aus einem der hinteren Betten ein leises, unterdrücktes Kichern vernahm.

Auch Wibert hörte es und blickte wild nach der Richtung hin; doch gerade daß der gutmütige Freiberg hier Ursache und Wirkung in so unangenehmem Zusammenhange vor sich sah, bestimmte ihn, dem anderen nochmals nachdrücklich seine Hilfe anzubieten, die denn auch nach einigem Zögern angenommen wurde. Als hierauf Wiberts Gesicht abgewaschen war, stellten sich die Verwundungen wohl als sehr häßlich aussehend, aber durchaus nicht als gefährlich dar, wobei es von dem Betreffenden immerhin eine eigentümliche Art zu fallen gewesen sein mußte; denn außer einigen sehr unbedeutenden Schrammen bestand der größte Schaden aus einer bereits sehr stark angeschwollenen und noch immer heftig blutenden Nase, sowie aus einem geröteten und verdächtig glänzenden Fleck unter dem rechten Auge, der alle Hoffnung gab, den anderen Tag in sämtlichen Regenbogenfarben zu schillern, wozu noch die oben erwähnte Wunde auf dem Kopfe kam, die sich indessen als unbedeutender Hautritz darstellte. Am meisten schmerzten den Betreffenden die Beschädigungen seines langen Schnurrbartes auf der rechten Seite und veranlaßten ihn, mit einem sehr derben Fluche auszufahren, als ihm bei genauer Berührung einige der schönsten Barthaare in der Hand blieben, worauf sich jenes Kichern und unterdrückte Lachen wieder von neuem vernehmen ließ und von dem langen Bombardier mit der Versicherung beantwortet wurde, daß er bei nochmaligen ähnlichen Beweisen von Teilnahme dem Betreffenden ohne weiteres den Wasserkrug ins Bett schleudern würde, worauf man die Stimme des Bombardiers Schwarz vernahm, welcher zur Antwort zurückrief: »Das muß man Ihnen lassen, Wibert, Sie sind ein famoser Kerl kommen da mitten in der Nacht nach Hause, randalieren uns aus dem Schlafe, und wenn man dann in Erinnerung an einen höchst angenehmen Traum ein wenig lächelt, so fangen Sie sogleich Händel an!«

»Halten Sie Ihr Maul, Sie sind ein naseweiser, junger Mensch!«

»Besser als ein nasendicker alter Mensch!« scholl die Antwort zurück, und wenn man näher hinblickte, sah man, wie Schwarz mit lachenden Augen aus dem Dunkel seiner Ecke herüberschaute.

»So, du hast einen so schönen Traum gehabt?« fragte Weitberg, der vor Lachen kaum reden konnte.

»Famos und du?«

»O, ich habe sehr schön geträumt mir träumte von einem Liede, das wir häufig singen:

»Im Dörfchen, nicht weit ist's von hier,
Da lag ich einmal im Quartier «

sang der kleine Weitberg, der eine ganz gute Stimme hatte und besonders gut jodeln konnte:

»Jo-hiohio-hio-hoh «

worauf Schwarz, so gut als er vor Lachen konnte, wiederholte:

»Da lag ich einmal im Quartier«

und dann der andere im Wechselgesange wieder anfing:

»Und ganz in der Stille
Schlich ich zu der Mühle,
Lieb Röschen, lieb Röschen,
lieb Röschen, mach auf!«

»Jetzt muß ich aber schon sagen,« hörte man die Stimme des Unteroffiziers Wenkheim aus der fernsten Ecke her und wie aus tiefstem Schlafe erwachend, »daß mir ein solcher Skandal und Höllenspektakel in einem königlichen Kasernenzimmer bis jetzt noch nicht vorgekommen ist! Kreuzmillionendonnerwetter, Sie sollten sich schämen, Schwarz und Weitberg, und was Sie anbelangt, Bombardier Wibert, so könnten Sie füglich Ihr schönes Gesicht am Tage im Spiegel beschauen, anstatt während der Nacht unnütz das Licht zu verbrennen und uns im Schlafe zu inkommodieren ist das eine Bande!«

»Er hat aber Ursache, sein Gesicht im Spiegel zu beschauen,« lachte Schwarz.

»Er ist in die Brennesseln gefallen,« meinte Weitberg. »Nein, auf einen Haufen Pflastersteine.« »Und ein anderer ist ihm hoch vom Himmel herab auf den Kopf gefallen.«

»Er sieht greulich aus!«

»Wer?« fragte der Unteroffizier, indem er sich im Bette aufrichtete.

»Nun, der Bombardier Wibert « »Denn ganz in der Stille
Schlich er zu der Mühle,
Lieb Röschen, lieb Rüschen,
lieb Rö . ..«

Daß der Wasserkrug dem Spötter nicht an den Kopf flog, konnte Erich, wenngleich nur durch Anwendung seiner ganzen Kraft, verhindern; nicht aber, daß der wütende Wibert eines der Kommißbrote ergriff, die vom Abendessen her noch auf dem Tische lagen, und mit solcher Gewalt nach Weitberg warf, daß es sowohl über dessen Bett, als auch über das des Bombardiers Schwarz hinweg rikoschettierte und dem Unteroffizier Wenkheim mit voller Wucht gegen den Bauch flog, und obendrein war es noch Brot mit Zubehör, bestehend aus einem kleinen Stücke Butter, welches sich der sparsame Weitberg zum Frühstücke aufgehoben hatte.

»Wuh!« stöhnte der Unteroffizier und dann sprang er mit gleichen Füßen aus dem Bette, um in höchster Wut nach seinem Säbel zu greifen, und wer weiß, was geschehen wäre, wenn Erich ihm nicht entgegengetreten wäre und mit hoch erhobenem Lichte des langen Wibert jetzt schwarz bepflastertes Gesicht beleuchtet hätte.

»Ah, der Teufel!« rief der Unteroffizier, indem er bestürzt zurücktrat »aber deshalb wirft man doch nicht gänzlich unschuldige, ruhige, schlafbeflissene Leute mit Kommißbrot auf den Magen!«

»Aber wenn man so gereizt wird, Herr Unteroffizier Wenkheim,« sagte Erich begütigend.

»Ja, das ist wohl wahr aber wartet nur, ihr da drüben,« entgegnete der Vorgesetzte, indem er mit der Faust nach dem Bette hinüberdrohte, »wir wollen euch die Geschichte morgen schon eintränken ja, schnarcht nur, es ist das beste, was ihr heute abend thun könnt, denn wenn ihr noch einen Muckser macht, so soll mich der Teufel holen, wenn ich nicht jetzt noch zum Herrn Wachtmeister hinuntergehe und dafür sorge, daß ihr noch in dieser Nacht auf Nummer Sicher kommt! Aber wirklich, Wibert, Sie sehen ganz außerordentlich aus! Was war es denn so eigentlich?«

»Er ist über einen Steinhaufen gefallen,« sagte Erich in gutmütigem Tone; doch mochte er sich dabei wohl nicht ganz eines kleinen Lächelns enthalten haben, denn der lange Bombardier schaute ihn plötzlich mit einem finsteren, mißtrauischen Blicke an, worauf er achselzuckend sagte: »Ihnen scheint es allerdings besser gegangen zu sein auf Ihren nächtlichen Promenaden!«

»Das beste wird wohl sein,« meinte der Unteroffizier, »daß Sie sich morgen früh zum Lazarett melden; denn wie ich aus Erfahrung weiß, wird Ihre Nase morgen früh aussehen wie eine dicke rote Kartoffel, und von Ihrem Auge wird jedermann sagen, es sei mit einem tüchtigen Faustschlage in Berührung gekommen sind das Geschichten! Aber RRRRuhe will ich jetzt haben, RRRRuhe von allen Seiten!«


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