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39. Kapitel

Bombardier Schmoller entdeckt im glücklichsten Augenblicke seines Lebens, daß man ihn betrogen hat, und Erich ist unbesonnen genug, seinen Feind zu Boden zu schlagen.

Wie gern hätte Erich sein Versprechen, Blanda recht bald wieder zu besuchen, schon am anderen Tage erfüllt, und wie prächtige Gelegenheit hätte er hierzu durch die Pferde des Premierlieutenants gehabt, wenn der Hauptmann von Manderfeld es nicht als eine thörichte Zeitverschwendung erklärt hätte, daß ein junger Mensch, der noch in vielen Dingen der letzte sei, so stundenlang auf dem Sattel herum bummle, und dann zu seinem ersten Lieutenant gesagt:

»Lassen Sie das durch einen der älteren Unteroffiziere besorgen, oder nehmen Sie meinetwegen Wibert; das ist ein gesetzter Mensch und ordentlicher Reiter.« Worauf der Premierlieutenant in trockenem Tone erwiderte: »Ich danke Ihnen für den guten Rat, Herr Hauptmann; bis mein Bursche wieder gesund ist, können meine Pferde auch durch den Bombardier Freiberg unter meiner Aufsicht in der Reitbahn geritten werden, wobei der junge Mensch etwas lernt und wogegen Sie wohl nichts einzuwenden haben werden!«

Dann hatte er mit seiner Hand leicht an seine Dienstmütze gelangt und war ohne weiteres davon gegangen, worauf dann Erich das zweifelhafte Vergnügen genoß, den Rappen in der Reitbahn herumzutummeln, wobei die Aufsicht des Premierlieutenants darin bestand, daß er zuweilen einen Augenblick zuschaute, wenn der Bombardier aufsaß.

Dieser überließ sich bei solchen stillen Reitvergnügen seinen Phantasien und stellte die Länge der Reitbahn in Verhältnis zu dem Wege nach dem Jagdschlößchen, wobei er sich diesen recht lebhaft vergegenwärtigte, jetzt in seiner Phantasie das Fort Maximilian vor sich sah, dann das Haus der Pension, hierauf, natürlich immer in Gedanken, die Landstraße in einem animierten Galopp dahinflog und dann, die Reitbahn in Diagonale nehmend, in voller Karriere vor seinem Luftschlosse anlangte. Statt aber am Ende einer solchen Phantasietour Blandas liebliche Züge zu sehen, blickte er plötzlich in das Gesicht Schmollers, der über die hohe Holzeinfassung der Bahn herüberschaute.

»So, bist du es? Ich will noch ein paar Minuten im Schritt herum reiten, dann bin ich zu deinen Diensten; gehe indessen auf meine Stube.«

»Ich will lieber hier warten,« meinte der andere; »ich war schon droben, da lungern alle die Kerls um den Tisch herum, so daß man doch kein vernünftiges Wort reden kann.«

»Gut, ich komme sogleich.«

Schmoller verschwand, und Erich, welcher seinen Freund nicht mehr gesehen, seit ihn dieser vor ein paar Tagen auf der Landstraße begleitet, überlegte, was er ihm, jene Photographie betreffend, mitteilen könne und dürfe. Die ganze Wahrheit, daß man ihn eigentlich zum besten gehabt, wäre für den armen Schmoller zu schmerzlich gewesen. Doch welche Entschuldigung dafür finden, daß er ihm das hochverehrte Bildnis nicht wieder zurückbringen konnte?

Glücklicherweise fand Erich, als er gleich darauf mit seinem Freunde im Kasernenhofe zusammentraf, daß Schmollers Geist mit etwas anderem beschäftigt war, denn er fragte nur flüchtig nach dem Ergebnis von Erichs Spazierritt und sagte dann:

»Da ist mir gestern abend etwas ganz Absonderliches begegnet; es war prachtvolles Wetter, wie heute, und da ich nichts zu thun hatte, setzte ich mich mit einem Buche auf den Wall des Forts.«

»Natürlich an der Nordseite?«

»An der Nordseite,« bestätigte Schmoller mit einem leichten Seufzer. »Es umgab mich eine warme, balsamische Luft, zu meinen Füßen sproßten Frühlingsblumen, hoch über mir jubelte schmetternd die Lerche; ich lehnte an der Böschung und blickte träumerisch ins Thal hinab.«

»Ganz Toggenburg,« lachte Erich

»Blicktest stundenlang
Nach dem Fenster deiner Lieben.«

»Wo ich aber leider nichts sah, als geschlossene Fensterläden ein trostloser Anblick! Da, auf einmal hörte ich den Klang von Pferdehufen und sah, aufblickend, jenen Husarenoffizier, bei dem ich damals war und ihm deine Papiere übergab.«

»Ah, den Grafen Seefeld!«

»Denselben; aber er war nicht allein, ihm zur Seite ritt ein älterer Herr, während beiden eine junge Dame in langem Reitkleide, den kleinen Hut mit wallender Feder keck auf dem Kopfe, um einige Pferdelängen voraussprengte, dann nicht weit von dem Platze hielt, wo ich mich befand, und aufmerksam zur Stadt hinabblickte. Ein Bedienter in reicher Livree folgte. Natürlich erhob ich mich aus meiner liegenden Stellung, um dem Husarenoffizier die Honneurs zu machen, die aber von demselben durchaus nicht beachtet wurden, was ich indessen sehr begreiflich fand, da ihn die junge Dame mit einer reizend klingenden Stimme an ihre Seite rief.

›Schauen Sie dort hinab, lieber Graf Seefeld,‹ sagte sie, ›da ist der Schauplatz meiner Thaten! Lassen Sie uns ein paar Schritte weiter rechts reiten, so kann ich Ihnen das Fenster meiner Gefängniszelle zeigen!

»Dabei kamen sie nahe an mich heran, daß mich fast das lange Reitkleid der Dame streifte, als sie ihr Pferd wieder gegen die Brüstung wandte. Ach, sie war schön, Erich, blendend schön! Ein herrlich geformtes Gesicht, glänzende Augen, schwarzes, lockiges Haar, und dabei eine Weichheit und Elasticität in dem feinen Körper, etwas so Reizendes und Elegantes in allen Bewegungen, daß man Pferd und Sattel hätte beneiden können! Dabei war es mir ganz eigentümlich zu Mute, als sie vom Schauplatze ihrer Thaten da unten sprach und die Zelle ihres Gefängnisses bezeichnen wollte, worauf ich so begierig war, daß ich nicht vom Platze gegangen wäre, wenn auch der Blick aus dem unangenehmen Gesichte des Husarenoffiziers noch deutlicher gefragt hätte: Was willst du denn eigentlich hier, gemeiner Kerl, und verschwindest nicht augenblicklich, wenn du Leute, wie wir, herankommen siehst? Aber ich war hier zu Hause, deshalb in meinem Rechte, und obendrein voll eines Gefühls wie Neugierde, Spannung, Erwartung auf irgend etwas, was ich mir selbst klar zu machen nicht getraute.

»Du kannst mir aber glauben, Erich, daß ich fast erschreckt zusammenfuhr, als sie nun mit der Reitpeitsche, die sie ausgestreckt in der rechten Hand hielt, anfing, die Fenster des Hauses drunten von links nach rechts abzuzählen, und als sie nun bei dem sechsten im zweiten Stocke anhielt und sagte:

»Das war es, da habe ich manche lange Stunde verseufzt.«

»Eigentümlich!« meinte Erich mit einem etwas erkünstelten Erstaunen, fuhr aber gleich darauf lachend fort: »Nun, du warst doch nicht am Ende der Ansicht, es sei diese reizende Amazone die gewesen, die früher mit dir Schriftliches gewechselt? Ah, Schmoller, ich halte deine Eigenliebe nicht für so groß, weiß auch ganz gewiß, daß du dich geirrt hast! In dem Zimmer des sechsten Fensters hat wahrscheinlich mehr als eine junge Dame gewohnt.«

»Es ist in dieser Welt vieles möglich, was uns ganz unglaublich erscheint. Nachdem die schöne junge Dame so ihre ehemalige Wohnung bezeichnet, stützte sie sich mit beiden Händen auf den Hals ihres Pferdes und sagte:

»Wie oft habe ich von da drunten nach dieser Höhe hinauf geschaut und nicht gedacht, daß ich sie so bald, so frei und fröhlich betreten würde!

»Und so gegen alles Verdienst, sagte der ältere Herr lächelnd; eine Wohnung in den Kassematten hier unter uns wäre für euch alle viel richtiger gewesen!

»Böser Papa! schmollte sie, wandte sich aber gleich darauf mit einem leuchtenden Blicke an den Husarenoffizier und sagte ihm: Ich will es nur gestehen, diese kleine Festung war häufig der Tummelplatz unserer Mädchenphantasie, und unsere Gedanken gingen oft auf diesen Wällen spazieren; wir bevölkerten uns das zuweilen mit bekannten Gestalten ...

»Und gingen auch mit diesen spazieren, flüsterte der Graf Seefeld leise.

»Pfui, Sie sind unausstehlich, Graf Seefeld, und verdienen es nicht, daß ich Ihnen gesagt, wie ich dabei einigemal an Sie gedacht! Gewiß, fuhr sie mit einer lieblichen Naivetät fort, wenn Sie mir nicht versichert hätten, Sie wären nie hier oben gewesen, so würde ich mit Bestimmtheit sagen, ich hätte Sie gerade hier auf dieser Stelle ein paarmal gesehen!

»Und das war gerade die Stelle,« fuhr der Bombardier Schmoller mit einem leichten Seufzer fort, »wo ich stundenlang gestanden und hinab gestarrt.«

»Bis das Fenster klang.«

»Ja, bis das Fenster klang, bis die Liebliche sich zeigte und wenn ich nun über mein Buch hinweg in ihr schönes Gesicht sah, so war es mir gerade, als erinnerte ich mich trotz alledem dieser lieblichen Züge.«

»Und damit ist diese romanhafte Begegnung zu Ende?«

»Noch nicht, Erich, es kommt noch Erschütternderes für mich und tief Ergreifendes. Der alte Herr machte den Vorschlag, rings um den Wallgang der kleinen Festung zu reiten, vorher aber unserem Festungskommandanten, dem Herrn Hauptmann von Walter, einen Besuch zu machen. Zum ersten gab die junge Dame auch ihre Zustimmung, bei der letzteren Partie aber behauptete sie, unnötig zu sein und auf die Rückkehr der beiden hier, wo sie sich gerade befand, warten zu wollen, um, wie sie sagte, noch einige Augenblicke zu schwärmen in der Erinnerung an vergangene Tage.«

»Das fandest du begreiflich, Schmoller?«

»Ja, und mir klopfte das Herz gewaltig; ich war schon im Begriffe, mich davon zu schleichen, blieb aber trotzdem an die Böschung gelehnt stehen und that, als ob ich eifrig in meinem Buche läse. Da hörte ich plötzlich die schöne, klangvolle Stimme der jungen Dame fragen:

»Sind Sie hier oben als Wache? »Das konnte nur mir gelten, denn der Bediente hielt ziemlich weit zurück mit seinem Pferde; auch sah ich, als ich aufblickte, daß ihre Augen auf mich gerichtet waren. Rasch näherte ich mich deshalb, und dicht neben ihrem Pferde stehend, erwiderte ich: Nein, gnädiges Fräulein, ich bin hier oben nicht auf Wache, sondern nur hierher gegangen, um die milde Frühlingsluft und die herrliche Aussicht zu genießen.

»Ich hätte es mir auch denken können, daß Sie hier nicht auf der Wache sind, denn sonst würden Sie nicht mit Ihrem Buch da stehen. Sieht man von hier aus den Königsplatz?

»Dort links, gnädiges Fräulein, dort, dicht bei der Kuppel mit dem goldenen Kreuze.

»Ach ja, wie deutlich erkenne ich jetzt alle Gebäude! Welch prächtigen Blick man von hier auf die Stadt hat!

»Wohl den ausgedehntesten von allen benachbarten Höhen, vom westlichen Ende der Stadt, wo die Sternwarte steht, bis zum östlichsten hier vor uns, dort mit dem Hause, dessen Fensterläden seit einigen Tagen fest verschlossen sind einem ehemaligen adeligen Damenstifte! erlaubte ich mir mit einem etwas ausdrucksvollen Tone zu sagen.

»Sie schaute mich mit einem großen Blicke an und entgegnete erst nach einer Pause: Ja, das ist jetzt verlassen und sieht recht traurig aus!

»Gewiß, recht traurig!

»War wohl sonst für die hier oben ein willkommenes Ziel der Beobachtung? sagte sie mit einem heiteren Lächeln.

»Ach ja, und erscheint jetzt nur noch als eine trübe Erinnerung!

»Das schien sie nicht zu verstehen, denn sie schaute über mich hinweg mit ernstem, nachsinnendem Blicke zu den Waldhöhen hinauf und sprach erst nach einer Weile, wie zu sich selber:

»Es ist sehr schön hier oben, und ich will es nicht vergessen, daß ich endlich auch einmal hier oben war und nicht nur in Gedanken! »Dann glitten plötzlich ihre Blicke wieder auf mich herab, und ich sage dir, Erich, die volle Glut ihrer dunklen Augen gab mir einen entzückenden und doch schmerzlichen Stich ins Herz, und ich mußte diese volle Glut mindestens sechs Sekunden aushalten, wobei ich fühlte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg!

»Was lesen Sie denn da? fragte sie rasch.

»Gedichte, gnädiges Fräulein! Und siehst du, Erich, wenn es mich meinen Kopf gekostet, ich hätte es nicht anders gekonnt, als ihr diese Lüge zu sagen um va banque zu spielen, denn es war eine Lüge; ich las in einem Romane von Spindler, that aber so, als ob ich aus dem Buche läse, als ich ihr die Verse von Heine recitierte, die ich einstens, auf ein Stückchen Papier geschrieben, drunten an der Gartenmauer aufgehoben hatte.

Sie liebten sich beide, doch keiner
Wollt' es dem andern gestehn;
Sie sahen sich an so feindlich
Und wollten vor Liebe vergehn.

Sie trennten sich endlich und sah'n sich
Nur noch zuweilen im Traum,
Sie waren längst gestorben
Und wußten es selber kaum.«

»Und sie ließ dich diese Deklamation zu Ende bringen?« fragte Erich.

»Ja,« antwortete Schmoller nach einem tiefen Atemzuge, »sie hörte mich ruhig an, sie beugte sich auf den Hals ihres Pferdes nieder, und als sie sich hierauf wieder aufrichtete, bemerkte ich, daß ihre schönen Züge gerötet waren.«

»Schmoller, du betrügst dich selber!«

»Laß das gut sein; ich weiß zu genau, daß diese Verse einen großen Eindruck auf sie machten. Ich kann dir das ebensowenig ausführlich beschreiben, als wie den Ausdruck des Blickes, den sie auf mich warf; höre nur noch ruhig den Schluß dieses wunderbaren Abenteuers, und dann urteile. Sie neigte ihr Haupt gegen mich, wie zum Danke oder zum Gruße, zog dann die Zügel etwas heftig an, so daß sich ihr Pferd vorn erhob und dann auf ein leichtes Berühren mit der Reitgerte in einer Lancade an mir vorüber flog, wobei sie ihre rechte Hand mit einer raschen Bewegung gegen ihre Brust erhob absichtslos, wie ich dachte, bis ich zu meinem freudigsten Erschrecken etwas durch die Luft fliegen und auf den Boden fallen sah ein Veilchenbouquet, welches sie zwischen den Knöpfen ihres Reitkleides getragen. Der rasch folgende Bediente bemerkte das um so weniger, als seine Augen auf die beiden Herren gerichtet waren, die jetzt auf der Biegung des Wallganges wieder erschienen, und als alle verschwunden waren, hob ich rasch die duftenden Blumen auf und verbarg sie auf meinem Herzen.«

Erich konnte nicht anders, als ungläubig lächelnd seinen Kopf schütteln und so den großen Unmut Schmollers erregen, der achselzuckend vor ihm stehen blieb und ziemlich heftig sagte:

»O, ich hab' es wohl gewußt, daß du alles das für übertrieben oder gar für eine Phantasie halten würdest! Es ist mir im Grunde gleichgültig, und würde ich dir gar nichts davon erzählt haben, wenn ich dir nicht nach dem, was du neulich erfahren, mein ganzes Vertrauen schuldig zu sein glaubte.«

»Ja, nach dem, was ich neulich von dir erfahren, kann ich nun einmal nicht anders, als dir meine ehrliche Meinung sagen, daß ich glaube, man hat dich zum besten gehabt, oder war die Photographie, die man dir gesandt, das Bild der jungen Dame, von welcher du soeben mir erzählt?«

»Das nicht, aber du wirst mir zugestehen, daß es vielleicht ein Akt der Klugheit war, mir, einem fremden Menschen, eine falsche Photographie zuzusenden.«

»Wenn ich dir nun aber sage, daß ich das Original jener Photographie gesprochen und daß dieses Original, ein angenehmes, verständiges Mädchen, deine Bekanntschaft zu machen wünscht!« Darin sagte Erich nun gerade nicht die Unwahrheit, obgleich Mamsell Stöckel Schmoller nicht in der Absicht zu sehen wünschte, um ihm jene kleine Verräterei, die mit ihrem Porträt vorgegangen war, in freundlichen oder gar herzlichen Worten zu erklären.

»Wenn dem so ist, so bin ich in einer peinlichen Lage,« versetzte Schmoller mit großem Ernste; »es ist gewissermaßen ein Unglück zu nennen, wenn man so ein allgemeines Interesse einflößt.«

»Du kommst mir vor wie Herkules am Scheidewege, solltest dich aber sehr rasch entschließen, an jene glänzend trügerische Erscheinung nicht mehr zu denken, und das kann dir eigentlich nicht schwer werden nach der Leidenschaftlichkeit, mit welcher du noch vor wenig Tagen die allerdings höchst angenehmen und milden Züge jener Photographie betrachtet. Lerne das Original erst kennen, und du wirst mit mir übereinstimmen, daß hier etwas Positiveres ist, als bei jenem leuchtenden Blitze, der deine Augen vorübergehend geblendet.«

»Ja, ich will sie kennen lernen,« entschied sich endlich Schmoller nach einem tiefen Seufzer.

»Aber indem du ruhig und natürlich auftrittst, denn die junge Dame hat ein stilles, gesetztes Wesen, welche die leidenschaftlichen Deklamationen, in denen du stark bist, kaum verstehen würde, ja, welcher schon deine Art, von dem Fort Maximilian herunter zu telegraphieren, recht auffallend erschienen sein mag und die wohl imstande wäre, dir bei der ersten Unterredung recht offen ihre Meinung darüber auszusprechen.«

So, damit hätten wir einigermaßen vorgebaut, dachte Erich, indem er sich dem Freunde gegenüber ein sehr ernstes und würdevolles Ansehen zu geben wußte, welches auch seine Wirkung nicht verfehlte, denn Schmoller fragte hierauf etwas kleinlaut:

»Wann glaubst du, daß wir zusammen jenen Besuch machen können?«

»Wir haben morgen einen Feiertag,« gab Erich zur Antwort, »und wenn mich heute nicht irgend ein Unglück nach St. Agatha verschlägt, was man bei der Liebe des Herrn Hauptmanns für mich nie zu wissen vermag, so wäre ich morgen nachmittag bereit, mit dir hinaufzugehen.«

»Also zu Fuße?«

»Anders wird sich's nicht thun lassen, da ich dem Rappen des Herrn Premierlieutenants auf hohen Befehl, wie du vorhin gesehen hast, hier auf der Reitbahn Bewegung machen muß.«

Hierauf trennten sich die beiden Freunde, ohne daß Schmoller glücklicherweise nach seiner Photographie verlangt hätte. Trug er doch an derselben Stelle, wo er jene aufbewahrt, jetzt das gefundene Veilchenbouquet, und wenn ihm auch Erichs Bemerkungen etwas von seiner Sicherheit benommen hatten, so glaubte er doch noch immer an Zeichen und Wunder auf dem Gebiete der Liebe und konnte sich nun einmal nicht entschließen, selbst das Außerordentlichste für unmöglich zu halten; er war darin ganz Königin von Golkonda, und mit jedem Schritte, den er langsam und träumend seinen Berg hinauf machte, erhob er sich von einer schwindelhaften Position zur anderen und war vor dem Thore der Festung angelangt so weit gekommen, daß ihn Seine Majestät der König auf dringendes Bitten der Eltern seiner Braut zum Grafen Schmoller von Schmollershausen ernannte, und ließ erst von diesen Träumereien, nachdem ihm ein scharfer Windstoß seine neue Mütze in einen recht unsauberen Winkel des Festungsgrabens geweht hatte.

Erich war langsam die Treppe hinaufgestiegen und vernahm, als er in die Nähe seiner Stube gelangte, einen heftigen Wortwechsel, bei welchem er die Stimme Wiberts unterschied, welcher übrigens nicht mit jener brutalen Sicherheit sprach, wie er gewöhnlich zu thun pflegte, wogegen sich die andere Stimme, die des Unteroffiziers Wenkheim, in so scharfen Aeußerungen erging, wie sie dieser bis jetzt noch nicht gegen den Liebling des Hauptmanns von Manderfeld gebraucht. »Und wenn es nur ein Papier war,« rief der Unteroffizier, »das Sie sich nur ein wenig in der Nähe betrachten wollten, so war es immerhin ein strafbarer Eingriff in das Waffengerüst Ihres Kameraden, wozu Sie nach Ihrer Ansicht den passendsten Augenblick erwählt, da Sie geglaubt, es befände sich außer Ihnen niemand im Zimmer und nachdem Sie vorher die Thür sorgfältig zugeschlossen!«

»Die Thür schloß ich zu, weil alle anderen auswärts beschäftigt sind und weil ich mich umziehen wollte.«

»O, ich kenne Ihre Schamhaftigkeit!« hohnlachte der Unteroffizier. »Sie irrten sich auch wahrscheinlich im Waffengerüste und sahen das Papierpaket für ein reines Hemd an!«

»Das erste ist allerdings der Fall, und wenn Sie mir nicht glauben wollen, so will ich Ihnen sogleich zeigen, daß ich ein ganz ähnliches Papierpaket in meinem Waffengerüste habe, wodurch ein Irrtum erklärlich wird.«

»Na, Herrrr, wir wollen doch sehen, ob Sie damit durchdringen!«

Jetzt öffnete Erich rasch die Thür, und wenn ihm nicht das, was Wibert hatte ausführen wollen, sehr ernst und bedenklich vorgekommen wäre denn er wußte wohl, um welches Papierpaket es sich handle so hätte er in ein lautes Lachen ausbrechen müssen über den Anblick des Unteroffiziers Wenkheim, welcher, nur mit dem Ersten und Unentbehrlichsten, womit ein Mensch bekleidet sein kann, vor Wibert stand und zornrot in ihn hineinschrie.

»Ja,« rief er, nachdem er die Thatsache mit dem Waffengerüste vor Erich wiederholte, »ich lag in meinem Bette mit der Decke über den Kopf, weil ich mich nicht ganz wohl fühle, und da glaubte er sich allein im Zimmer! Augenblicklich aber werde ich mich anziehen und diese Geschichte dem Herrn Premierlieutenant melden!«

»Meinetwegen,« knurrte Wibert, dessen Trotz beim Anblicke Erichs wieder gewachsen war, »melden Sie es, wohin Sie wollen, und jeder vernünftige Mensch wird mir zugeben, daß hier ein Irrtum möglich ist da ist das Paket aus meinem Waffengerüste.«

Erich warf einen raschen Blick darauf und eilte dann an seinen eigenen, kleinen Schrank, um zu sehen, ob die gewissen Papiere, die sich dort versiegelt befanden, noch da seien, und sah sie allerdings, wenn auch etwas herausgezerrt aus Wäsche und sonstigen Dingen, worunter er sie sorgfältig versteckt. Ob er wohl leichtsinnigerweise vor einer Stunde vergessen, sein Waffengerüste zu verschließen er konnte sich nicht mehr genau darauf besinnen; aber es war ihm klar, daß hier ein durchdachter Plan zu Grunde lag und daß Wibert ein ganz ähnliches Paket nur deshalb bereit hielt, um es in einem günstigen Augenblicke mit dem seinigen vertauschen zu können. Woran er früher nicht gedacht, that er jetzt, und schrieb auf das Paket seinen eigenen Namen, ehe er es sorgfältig wieder verdeckte und dann das Waffengerüst abschloß.

Mit Wibert über diesen Vorfall ein weiteres Wort zu wechseln, hielt er überflüssig, ja er trat zu dem Unteroffizier, der sich hinter seinem Bette eiligst anzog, und bat ihn dringend, die Sache auf sich beruhen zu lassen.

»Besser ist das am Ende allerdings,« polterte Wenkheim, »denn es möchte mir schier das Herz abdrücken, wenn ich melden müßte, das sei auf meiner Stube passiert! Hol der Teufel diesen langen Labander! Sehen Sie selbst zu, wie Sie mit ihm fertig werden! Ich muß in die Luft, sonst erstick' ich vor Zorn!«

Dann eilte er hinaus, nachdem er sich rasch angezogen, und Erich trat ein paar Augenblicke nachher völlig ruhig und gesammelt an den Tisch, wo sich Wibert niedergelassen hatte und unbekümmert Brot und Butter zu einem Stücke Wurst schmauste; er ließ ihn sogar dieses Frühstück ruhig beenden, während er zum Fenster hinausschaute, und wandte sich erst dann gegen ihn, indem er sagte: »Den schlechten Streich, den Sie da eben ausführen wollten, dem Hauptmann zu melden, wäre vielleicht vergebliche Mühe, Sie werden mich wahrscheinlich verstehen; aber das sage ich Ihnen, sowie Sie sich noch einmal unterstehen, sich für mein Waffengerüst zu interessieren, sei es auch nur mit einem Ihrer unverschämten Blicke, so schlage ich Sie zu Boden!«

»Oho,« schrie der andere aufspringend, »stützen Sie sich vielleicht auf die dumme und lächerliche Anklage des Unteroffiziers Wenkheim, um so mit mir zu reden? Warte, Bürschlein, wenn mir meine Faust nicht zu lieb wäre, um sie in Berührung zu bringen mit dem Gesichte eines so hergelaufenen Strolches, eines Spions und Verräters, so ...«

Weiter vermochte er im Augenblicke nicht zu reden, denn Erichs Faust hatte ihn so gewaltig an der Halsbinde gepackt, die er rasch ein wenig herumdrehte, daß ihm das Wort in der Kehle stecken blieb, worauf in größter Geschwindigkeit ein paar klatschende Maulschellen auf seiner Wange brannten; dann ließ er ihn los, und Wibert, der um einen halben Kopf größer war und wie ein wildes Tier schnaubte und wütete, würde feige genug gewesen sein, es dabei zu belassen, wenn er jetzt nicht die Stimme des kleinen Bombardiers Schwarz vernommen hätte, der mit Weitberg in die Stube trat und der in entzücktem Tone ausrief: »O, famos o, famos!«

Das mußte ihn natürlich antreiben, sich auf Erich zu stürzen, wobei Wibert diesem von oben herab einen so tüchtigen Faustschlag {bild} auf den Kopf gab, daß ihm die Ohren sausten und ihm feurige Ringe aus den Augen sprangen; doch schien er nur eine Sekunde lang wie betäubt zu sein, dann unterlief er den langen Bombardier, preßte ihn fest an sich, um ihn darauf mit einer kraftvollen Schwenkung auf den Boden zu schleudern, daß die Planken krachten. Aber damit war es noch lange nicht genug, wie sich die schrille Stimme des kleinen Schwarz vernehmen ließ und wie auch Erich selbst dachte, gegenüber all den Unverschämtheiten, die sich Wibert täglich gegen die ganze Stubenkameradschaft zu schulden kommen ließ. Rasch langte er nach seinem Säbel, der zufällig am Tische lehnte, riß ihn aus der Scheide und fuchtelte mit der flachen Klinge einen gewissen Teil des langen Bombardiers so rasch und nachdrücklich, daß dieser alle Gegenwehr aufgab und in ein wahrhaft kannibalisches Gebrüll ausbrach, wozu Schwarz und Weitberg im höchsten Entzücken einen ausdrucksvollen Kriegstanz ausführten. Plötzlich aber fühlte Erich seinen Arm gehalten und sah, sich umwendend, in Weitbergs schreckensbleiches Gesicht, dessen Augen nach der geöffneten Thür starrten, in welcher der Hauptmann von Manderfeld mit dem Premierlieutenant Schaller standen.

Da war nun nichts zu machen – sich durch irgend etwas zu entschuldigen, hätte Erich jedenfalls unter seiner Würde gehalten, weshalb er kaltblütig ein wenig auf die Seite trat und den Säbel wieder in die Scheide steckte, nachdem er vorher mit demselben salutiert, was allerdings wie der größtmöglichste Hohn ausgelegt werden konnte und gewiß auch so, ja noch viel schlimmer ausgelegt wurde.

Der Hauptmann von Manderfeld schien nur mit großer Mühe seine aristokratische Ruhe beibehalten zu können, und selbst der Premierlieutenant schüttelte bedenklich mit dem Kopfe; doch überwand der erstere jeden Ausdruck eines gemeinen Zornes, zog ruhig sein Batisttuch hervor, wischte langsam seinen Schnurrbart nach beiden Seiten und sagte dann erst in einem affektiert gleichgültigen Tone: »Sie haben wohl die Güte, Herr Premierlieutenant, den Wachtmeister Pinckel zu veranlassen, daß dieser Mann da in Untersuchungsarrest gebracht wird, und werde ich über die Aufnahme des species facti das Nähere selbst befehlen.«

Damit verließ er die Stube, wo sowohl Schwarz als Weitberg in der größten Bestürzung zurückblieben. Ersterer kratzte sich hinter den Ohren, und statt seinen Lieblingsausdruck zu gebrauchen, sagte er in kläglichem Tone: »O weh, o weh!«

Der lange Wibert war, sich tüchtig reibend, hinter den Betten verschwunden, und Erich dachte: »Was ist's weiter einmal hat es doch so kommen müssen!« Nur als er hierauf an das Jagdschlößchen und an Blanda dachte, konnte er sich eines schmerzlichen Gefühles nicht erwehren.

Aber die schwere Wetterwolke sollte noch einmal gefahrlos über seinem Haupte dahinziehen; denn es waren kaum zehn Minuten nach diesem Vorfall vergangen, als der Unteroffizier Wenkheim hastig mit hochrotem Gesichte in das Zimmer trat und ausrief: »Der Bombardier Freiberg wird auf einen neuen Befehl des Herrn Hauptmanns nicht in Untersuchungsarrest abgeführt, der Bombardier Wibert aber ist auf die Stube Nr. 8 versetzt!« Da fing der schmächtige Weitberg vor Freuden an zu jauchzen und zu tanzen, und der kleine Schwarz, nachdem er gellend: »O, famos o, famos!« geschrieen, eilte zur Markedenterin, um den Rest seiner Barschaft gegen Schnaps und Wurst umzusetzen.


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