Friedrich Wilhelm Hackländer
Eugen Stillfried - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Neuntes Kapitel.

Enthält ein düsteres Stück Familienleben.

Die jetzt verwittwete Staatsräthin Stillfried war in früherer Zeit eine der schönsten und stattlichsten Frauen gewesen. In den höheren Kreisen der Beamtenwelt und des Bürgerstandes hatte sie von jeher den Ton angegeben – nach ihr richtete sich Alles, sie arrangirte Festlichkeiten und Bälle sowohl in den Gesellschaftslokalen als auch in ihrem eigenen Hause. Und hierzu war sie vollkommen berechtigt, sowohl durch ihre Schönheit, ihren Geist, als durch ihr großes Vermögen, mit dessen Einkünften der alte Staatsrath sie schalten und walten ließ, wie es ihr beliebte.

Wir sagen: der alte Staatsrath; denn der Herr von Stillfried war schon damals, als seine Frau noch in der Welt glänzte, ein ältlicher, zurückgezogener Mann, der es vorzog, sich zu Hause mit seinen Akten und Büchern zu beschäftigen, statt mit seiner Frau auf der Promenade oder in Gesellschaften zu erscheinen, und dem die einsame Lampe in seinem Studirzimmer lieber war als das Flimmern von Tausenden von Kerzen im Ballsaale. Er hatte von seiner Frau einen einzigen Sohn, dessen Erziehung und Bildung er sich auf's Emsigste widmete. Dem jungen Eugen wurden die trefflichsten Lehrer gehalten, die dafür zu sorgen hatten, daß er das, was ihm die Professoren in den verschiedenen Klassen des Gymnasiums, welches er besuchte, beigebracht, nicht vergesse, vielmehr daß dasselbe, geistig auf's beste verdaut, sich bei ihm zur Blüthe und Frucht ansetze. Die Staatsräthin dagegen bekümmerte sich nur insofern um diesen Sohn, als sie mit ihm, einem schönen Kinde, bei allen Passenden und unpassenden Gelegenheiten den Staat einer Mutter zu machen pflegte. Im Uebrigen überließ sie seine Erziehung, wie das auch recht und billig war, den Händen des Gemahls, der ihr dagegen die Freuden der Welt überließ und sich um ihr Thun und Treiben wenig bekümmerte.

Doch hatte dieses an sich traurige Verhältniß im Stillfriedschen Hause nicht gerade von jeher so bestanden; vielmehr hatte der Staatsrath die ersten Jahre mit seiner jungen Frau äußerst glücklich verlebt. Er schien sie auf's Zärtlichste zu lieben, und da er nebenbei in jener Zeit die gesellschaftlichen Vergnügungen ebenso sehr aufsuchte, wie seine junge schöne Frau, so paßten sie herrlich zu einander. Sie war sehr schön, hatte auch viel Verstand, ja war geistvoll; doch besaß sie neben diesen Vorzügen ein kaltes, ruhiges Herz, das schon nach den ersten Jahren ihren Mann, der für alles Schöne und Gute sich wahrhaft interessirte, mehr und mehr abstieß. Wie hatte er gehofft, mit seiner jungen und schönen Frau ein angenehmes Leben zu führen, in den stillen Freuden des Hauses sich gegenseitig liebend und verehrend, sich beide der Aufsicht und Erziehung ihrer zu hoffenden Kinder widmend! Darin hatte er sich aber sehr getäuscht. Sie wollte ihr Leben genießen in allen rauschenden Vergnügungen – sie war als das einzige Kind reicher Eltern so von Kindheit an gewohnt – und langweilte sich zu Hause und in der Unterhaltung ihres Gemahls, dessen Ideen sie nicht zu folgen die Lust hatte, dessen Neigungen und Wünsche sie entweder erreichen noch begreifen, dieselben aber noch viel weniger theilen wollte und – konnte.

Herr von Stillfried sah mit tiefem Schmerze, wie sich dieses traurige Verhältniß so allmälig gestaltete; doch liebte er seine Frau immer noch um ihrer Person willen, mehr aber wohl als die Mutter seines eben erst geborenen Sohnes. Er versuchte es umsonst, sie auf einen anderen Weg zu führen – sie konnte ihr inneres Wesen nicht ändern. Wäre es ein einfacher Fehler, eine Gewohnheit gewesen, sie hätte dieselbe ihrem Manne und dem Kinde zu lieb gewiß abgelegt. Doch die Leere ihres Herzens, welche diese Beiden nicht auszufüllen vermochten, konnte nur Befriedigung finden im wilden Treiben der Welt, in rauschenden, immerwährenden Vergnügungen. Sie war nicht im Stande, sich zu ändern, obgleich sie wohl fühlte, daß die häuslichen Freuden, deren Genuß sie sich in früherer Zeit so schön ausgemalt, nicht mit ihrem jetzigen Leben vereinbar seien. Daß diese Freuden dabei nicht aufblühen konnten, und wenn sich je eine zarte Knospe angesetzt, diese verwelken und ersterben mußte im Staube des Ballsaales bei dem leeren, hohlen und nichtssagenden Geschwätz ihrer Welt, war ja so natürlich.

Oft, wenn sie spät in der Nacht nach Hause kam und sie die Uhr in dem Schlafgemache ihres Gatten die späte Nachtstunde ansagen hörte, dann durchschauerte es sie unheimlich, und sie kam sich vor wie eine Fremde, wie eine Weihe- und Ruhelose, die sich eingeschlichen in einen ihr gänzlich fremden Familienkreis. Selbst ihr Kind, ihr schönes, blühendes Kind mit jenem gesunden Schlafe der Kindheit, mit Rosen auf den Wangen und Lippen, während ein tiefer, süßer, unnennbarer Friede um die geschlossenen Augenlider spielte, selbst dieses Bild der Unschuld war nicht im Stande, in ihr Herz die süße Ruhe zu gießen, die wir so gern fühlen beim Anblick jener schlafenden Engelsgestalten. Wohl faßte sie hie und da in solchen Augenblicken den festen Vorsatz, künftig ihr Leben zu ändern, dasselbe von jetzt an ihrem Gatten, ihrem Kinde zu weihen – aber es war zu spät!

Der Staatsrath, der bei seiner Verheirathung den süßen Glauben gehabt, es werde sich erfüllen, was er so angenehm geträumt: sie, die junge, reizende Frau, stolz auf ihn als Menschen und Geschäftsmann, stolz auf seinen Namen, der einen guten Klang hatte, werde ihn, den älteren Mann, mit inniger Liebe umschlingen, ihre frische Jugend werde auch die seinige wiederkehren heißen, oder, wenn dies unmöglich, doch mit ihm einen Herbst bilden voll der besten und süßesten Früchte, – er sah sich bald getäuscht, und nachdem er es ein paar Jahre lang versucht, im Guten und Bösen der Vergnügungslust seiner Frau Einhalt zu thun, erkaltete seine Liebe zu ihr plötzlich, er wandte sich mehr und mehr seinen Studien und Büchern zu, und das Plätzchen in seinem Herzen, welches der Aktenstaub noch nicht eingenommen – es wurde freilich immer kleiner und kleiner – blieb seinem einzigen Sohne Eugen geöffnet.

Das häusliche Leben der Familie Stillfried gestaltete sich hiedurch im Aeußeren ruhiger, selbst zufriedener. Heftige Scenen, wie früher so oft, kamen nicht mehr vor; ja der Staatsrath, der in den nächsten Jahren unter seinen Büchern und Akten, wohl auch unter der Last seines Kummers, sehr gealtert hatte, konnte sich hie und da beim Frühstück von seiner Frau die Scenen des vergangenen Abends, den sie auswärts zugebracht, und die komischen Figuren ihrer Gesellschaft darstellen und selbstredend einführen lassen, zu welchem Spiele sie ein großes Talent hatte und worüber er zuweilen, namentlich wenn es seine Collegen waren, die er so in getreuen Copien vor sich hörte, herzlich lachen konnte.

Da kam der Doktor Werner ins Haus. Er hatte den Ruf eines ausgezeichneten Advokaten und sich in kurzer Zeit hiedurch in der Residenz eine große Praxis erworben. Der Staatsrath brauchte seine Gesetzeskenntniß, seinen gediegenen Rath bei vielen verwickelten Geschäften; er gewann ihn lieb und zog ihn nach und nach fest an sich und sein Haus; doch sah er nur den Geschäftsmann in ihm.

Doktor Werner war, wie die Damen fast einstimmig sagten, kein Mann, der im Stande sei, ihnen zu gefallen. Dieser kalte, ätzende Verstand, das ironische Lächeln, welches beständig auf seinen Lippen schwebte, hatte etwas so Abstoßendes, und sein Mangel an Liebenswürdigkeit – er gab sich nämlich nie dazu her, ein Gespräch zu führen, blos um die Zeit zu tödten, oder Ansichten zu billigen, die den seinigen entgegen standen, auch wenn der schönste Mund dieselben aussprach – war den Damen so verhaßt, daß sie den Doktor Werner für den unausstehlichsten, unangenehmsten aller Männer erklärten und seine Unterhaltung und Gesellschaft zu fliehen schienen.

Eine Ausnahme hiervon hatte die Staatsräthin von jeher gemacht: sie fühlte geistige Kraft genug in sich, um die Anreden des Doktors, die fast immer zugleich Angriffe auf diese oder jene gesellschaftliche Einrichtung waren, festen Fußes zu erwarten und oftmals siegreich abzuschlagen. Wenigstens behauptete sie mit ihm zugleich beständig das Schlachtfeld und wich vor seinen Meinungen und Ansichten nicht einen Zoll breit.

Diese Frau in ihrer frischen Jugendkraft, geistig und körperlich von der Natur mit so großen Vorzügen ausgestattet, imponirte dem harten und strengen Advokaten. Ja, als sie eines Tages zufällig zu einer Berathung kam, die der Doktor mit dem Staatsrath hatte, und sie nach längerem Zuhorchen endlich auch ihre Ansicht in dieser Sache mit wenigen, aber kräftigen Worten aussprach, da fühlte sich der Doktor Werner von einer wahren Bewunderung für diese Frau hingerissen und küßte ihr das erste Mal, sich für überwunden erklärend, die Hand.

Von da an lag er zu ihren Füßen, und das merkte bald die Welt und am Ende auch der Staatsrath, dem, als er diese Entdeckung machte, und als er zu der Gewißheit kam, daß auch sie den Doktor Werner nicht ungern sehe, alle Wunden seines Herzens, die längst vernarbt schienen, noch einmal aufbrachen und ihm entsetzliche Qualen verursachten. Doch nur für ganz kurze Zeit. Der Staatsrath war unendlich ruhig und ernst geworden, sein Haar hatte sich weiß gefärbt, er zuckte nach längerem Nachgrübeln traurig die Achseln, seine Augen füllten sich mit Thränen, als er innig seinen Sohn Eugen auf die Stirn küßte, der zwischen seinen Knieen stand, und als er leise vor sich hinflüsterte: »Ein verlorenes Leben – möge es dir besser ergehen, mein Kind!«

Die Staatsräthin dagegen sah stolz und triumphirend um sich, als sie nun endlich zu der Ueberzeugung gekommen war, daß sie jenen Mann, den Schrecken aller Schwätzerinnen der Gesellschaft, ihn, den alle ihre Mitschwestern fürchteten und doch bewunderten, an ihren Wagen geschmiedet sah, als er endlich willenlos zu ihren Füßen lag, ein überwundener Feind, jetzt ein Sklave, der sich glücklich fühlte, wenn sie den schönen Fuß auf seinen Nacken setzte.

Ob sie ihn wirklich geliebt, sind wir nicht im Stande, genau anzugeben. Aber die Welt glaubte es, die Welt war davon überzeugt, und wir wollen uns dem Urtheile der Welt anschließen; denn hört sie nicht genau mit ihren unzähligen Ohren, sieht sie nicht fast in die Herzen der Menschen mit ihren zahllosen Augen, ruhelos spähend bei Tag und Nacht?

Es kamen damals wieder verschiedene heftige Scenen in dem Stillfried'schen Hause vor, deren Ursache und Ergebniß aber nicht in die Oeffentlichkeit drang; denn die Dienerschaft des alten Staatsrathes, die wir theilweise bereits kennen gelernt, hielt es bei ihrer Treue und Anhänglichkeit an ihren Herrn für ihre Schuldigkeit, alles geheim zu halten, was die Ehre desselben compromittiren konnte. Es war aber nicht zu verschweigen, daß, wahrscheinlich in Folge jener Scenen, die Staatsräthin eine größere und längere Reise unternahm und fast ein Jahr von ihrem Hause abwesend blieb.

Als sie endlich zurückkam, befiel den Staatsrath eine schwere Krankheit, während welcher sich manch Schauerliches und Unheimliches ergab, namentlich in einer gewissen Nacht, wo der Doktor Werner, ohne daß es der Kranke wußte, im Vorzimmer gewacht haben solle. Es war dies eine kalte, windige Novembernacht; der Kranke befand sich auf dem Wege der Besserung, aber in jenem Stadium, wo ein Rückfall unfehlbar den Tod nach sich ziehen mußte. Dieser Rückfall trat nun auch wirklich in der bezeichneten Nacht gegen Morgen ein, und als der Arzt in der Frühe in das Haus kam, fand er, daß die Krankheit wieder mit unbezwingbarer Kraft über den alten Mann hergefallen war, daß er rettungslos verloren sei. Ein Diätfehler konnte nicht vorgefallen sein, und der alte treue Kammerdiener Jakob schwor dem Arzte mit Thränen in den Augen hoch und theuer, der Kranke habe nichts zu sich nehmen können, als was ihm seine Hand gereicht.

In diesem Augenblicke aber zog ein scharfer, schneidender Luftzug durch das verdunkelte Krankenzimmer, und an einem Fenster, zunächst dem Bette, flogen die dunklen Vorhänge wie schwarze Trauerschleier hoch empor. Entsetzt warf sich der Arzt an das offene Fenster, um es zu schließen, und Jakob, der erschüttert und todtenbleich dastand, faßte bebend die Hand des Arztes, drückte sie krampfhaft und sagte: »Bei Gott im Himmel, Herr Doktor, so wahr ich hoffe, selig zu werden, die Fenster und Läden dieses Zimmers habe ich gestern Abend auf das Genaueste untersucht. Sehen Sie, wie sorgfältig die anderen noch befestigt sind. Bei allen Heiligen, auch an diesem war gestern Abend kein Riegel, keine Schraube los.«

Tief erschüttert wandte sich der Arzt ab, und als er durch das Vorzimmer hinaus ging und dort den Doktor Werner bemerkte der mit Durchsuchen von Papieren beschäftigt war, konnte er sich nicht enthalten, zu dem alten Diener in leisem, aber ausdrucksvollem Tone zu sagen: »Das Unglück ist geschehen. Ich werde gegen Mittag wiederkommen; bis dahin kann der Staatsrath noch leben, aber sein Tod ist gewiß. Jenes offene Fenster hat ihn herbeigeführt, der – – kalte Nachtwind hat ihn gemordet.«

Bei diesen Worten war der Doktor mit seinem Kopf auf die Papiere niedergesunken, in Schmerz und Trauer. Aber das dauerte nur einen Augenblick, dann raffte er sich auf, nahm seinen Hut und eilte mit bleichen, verstörten Blicken zum Hause hinaus.

Der Arzt hatte indessen nicht so ganz richtig prophezeit: der Staatsrath lebte noch bis zum Abend dieses Tages. Ja, nach der Mittagsstunde kehrte seine Besinnung wieder, und er sagte zu seiner Frau, die weinend vor seinem Bette auf den Knieen lag: »Gewiß, Sophie, ich bin überzeugt, dein Herz war nur leichtsinnig, aber nicht schlecht; nicht wahr, du hast mir mit Ueberlegung nichts Böses zugefügt? – Ich will es ja gern glauben und verzeihe dir all die trüben Stunden, die du mir gemacht ... Aber nimm dich vor jenem Manne in Acht, hüte dich vor ihm, hüte mein armes Kind, laßt ihn keine Macht über euch bekommen. Das verlange ich, es ist mein letzter, aber fester Wille!« – Dann hatte er gebeten, sie solle sich entfernen, und Jakob mußte zu ihm kommen. Ihm gab er mit zitternden Händen den Schlüssel zu einer kleinen Cassette, und der alte Diener mußte daraus mehrere Briefe hervorsuchen, die sämmtlich numerirt waren und welche ihm der Staatsrath bezeichnete. Einige waren von der Hand der Staatsräthin, auch ein paar mit den Schriftzügen des Doktors Werner, andere von einer fremden, dem alten Diener völlig unbekannten Handschrift. Dann mußte dieser ein kleines Schreibpult herbeiholen, dasselbe mit Papier, Feder und Dinte auf das Bett niedersetzen und seinen Herrn unterstützen, der sich nun mühsam aus den Kissen empor hob und mit zitternder Hand zu schreiben begann. Es war, als halte der Wunsch, wichtige Gedanken, die den Sterbenden quälten, auf das Papier zu bringen, seine Lebensgeister aufrecht, ja entflammten sie zu neuer Kraft; denn er schrieb fast volle zehn Minuten, setzte Datum und Stunde hinzu und fügte seine Unterschrift deutlich und leserlich bei. Als dies geschehen war und der Arzt, der im Vorzimmer auf die Beendigung dieses Geschäftes gewartet, nun hereintrat, zeigte er ihm das beschriebene Blatt, doch so fern, daß Dieser nichts davon lesen konnte, und sagte darauf mit matter Stimme: »Sie sehen, Doktor, und auch du, Jakob, hast es gesehen, daß ich dieses Blatt mit eigener Hand geschrieben und unterzeichnet, und Sie werden bemerken, daß ich bei diesem wichtigen Geschäft im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte war. Dies bitte ich mir durch Ihre Unterschrift und durch die deinige ebenfalls, Jakob, auf der anderen Seite dieses Blattes bezeugen zu wollen. – Nachdem dies geschehen, faltete der Kranke das Blatt sorgfältig zusammen, legte es zu den vorher erwähnten Briefen, Jakob mußte ein weißes Papier darum schlagen, um das weiße Paketchen, das auf diese Art entstand, ein rothes Band ziehen und es mit schwarzem Siegellack und dem darauf gedrückten Wappen des Staatsrates verschließen. Dieses Paketchen schob der Kranke, so lange der Arzt anwesend war, unter das Kopfkissen, und als dieser fort ging, befahl er Jakob, es unter seinem Haupte liegen zu lassen, so lange, bis ein gewisser Fall eingetreten sei. Dann sollte er es aufs Sorgfältigste zu sich nehmen und damit verfahren, wie er ihm früher schon gesagt.

Gegen Abend dieses Tages trat nun der Fall ein, den der Kranke soeben bezeichnet. Er ließ im Laufe des Nachmittags seinen Sohn Eugen nochmals zu sich rufen, betrachtete ihn lange mit einem Ausdrucke der innigsten Zärtlichkeit und legte seine Rechte auf die blonden Locken des Kindes. Dann wandte er seinen nassen Blick langsam in die Höhe, seine Augenlider deckten sich sanft darüber hin, seine Rechte sank von dem Kopfe des Kindes herab, sie wurde alsdann von dessen kleinen Händchen erfaßt und mit Küssen und Thränen bedeckt. Doch erwiderte kein Druck diese Zärtlichkeit des nun Verlassenen. – Der Staatsrath schien noch einige Stunden sanft und ruhig zu schlummern, dann aber hörte man seine Athemzüge immer langsamer, zuletzt gar nicht mehr – er war gestorben.

In dem Stillfried'schen Hause fand nach diesem Trauerfalle nur in so fern eine Veränderung statt, als das Haus selbst eine Zeit lang verschlossen blieb, keiner der Bewohner außerhalb desselben sichtbar wurde, als nur die schwarzgekleidete Dienerschaft bei ihren nothwendigen Ausgängen. Es verging auch ein ganzes Jahr, ehe diese äußeren Zeichen der Trauer abgelegt wurden, und während all dieser Zeit ließ sich der Doktor Werner nur höchst selten im Stillfried'schen Hause sehen.

In die Welt war von jenen geheimnißvollen Vorfällen während der Krankheit des Staatsrathes nichts gedrungen, und die Welt wunderte sich deßhalb auch nicht besonders, als nach Verlauf dieses Jahres das alte Haus wieder geöffnet wurde, als Tapezierer, Schreiner, und alle möglichen Handwerker begannen, dort aus und ein zu gehen, um den zweiten Stock, welchen die Staatsräthin von nun an bewohnen wollte, aufs Reichste und Eleganteste einzurichten. Ja die Welt erwartete Tag um Tag, von einer Verlobung im Stillfried'schen Hause zu hören, von einer neuen Verbindung, die ja schon früher voraus zu sehen war und die nur auf Beendigung des Trauerjahres gewartet zu haben schien, um öffentlich proklamirt zu werden.

Auch dieses Mal hatte die Welt, wie so oft, nicht Unrecht. Eine Verlobung im Stillen war schon gefeiert worden, und das neue Paar saß eben bei einander, um über neue Einrichtungen und ihr ferneres Leben zu sprechen. – Es war wieder Herbst geworden und der November gekommen mit seinen trüben Tagen, mit seinem Regen und Wind – da trat Jakob, der alte Diener in das Zimmer der Staatsräthin und bat den Doktor Werner, einen Augenblick herauszukommen, es wolle ihn Jemand sprechen. Jakob trug einen Armleuchter, und der zitterte vor Aufregung in seiner Hand. Sein Gesicht war bleich, und als der Doktor aus dem Zimmer heraustrat, bat er, ihm zu folgen, und stieg langsam die Treppen hinab in den ersten Stock. Der Doktor hatte diesen seit jenem Tage nicht mehr betreten, auch folgte er diesen Abend seinem Führer mit großem Widerwillen, mit einer unerklärlichen Beklemmung. Alle Röthe war von seinen Wangen gewichen, seine Augen starrten ängstlich umher, und doch mußte er dem voranschreitenden Diener folgen. Ja, er mußte ihm auch folgen durch den langen Corridor hinab in das Schlafzimmer des verstorbenen Herrn.

Es war ein Abend wie an dessen Todestage, und ob Zufall oder Absicht, wissen wir nicht, der Wind wehte auch wie damals die dunklen Fenstervorhänge empor und sauste schneidend und kalt durch das Vorzimmer. Dieser Luftzug schien dem Doktor Werner durch Mark und Bein zu dringen: er faßte krampfhaft die Thüre des Schlafzimmers, sein Haar sträubte sich empor. Aber trotzdem war er gezwungen, dem Wink seines Führers zu folgen – er wußte selbst nicht, welche Macht ihn hierzu zwang. Ja, er mußte vollends in das Zimmer hinein treten, und die Thüre schloß sich hinter ihm zu. Was die Beiden, der alte Diener und der Doktor, dort verhandelt, sind wir nicht im Stande, anzugeben; nur so viel können wir sagen, daß Letzterer nach einer kurzen Unterredung die Thüre aufriß, aus dem Zimmer stürzte, über den Corridor und die Treppen hinabflog und das Haus verließ ohne Hut und Mantel, in ängstlicher Hast wie von Furien gejagt.

Die Folgen dieser Unterredung waren, daß der Doktor auf lange, lange Zeit nicht mehr das Haus betrat, und daß von einer Verbindung zwischen ihm und der Staatsräthin ferner keine Rede mehr war.

Aber die Zeit, die Alles lindernde, führte auch den Doktor Werner, der nun Justizrath geworden war, wieder in das Haus der Staatsräthin. Zuerst kam er selten, dann häufiger, bald täglich mehrere Male. Er leitete die Geschäfte des Hauses, er gab seinen Rath zu der Erziehung des jungen Eugen. Und diese Rathschläge waren der Art, daß sie wohl im Stande waren, ihm die Zuneigung des wilden jungen Menschen zu erwerben. Eugen fand in ihm einen Vertheidiger aller seiner tollen Streiche, und wenn die großen Summen, welche ihm die Mutter, als er nun herangewachsen war, zu seinem Aufwande auf der Universität und zu seinen Reisen gab, doch nicht ausreichten, so half ihm der Doktor Werner auf das Bereitwilligste mit den gediegensten Creditbriefen.

So wurde Eugen endlich majorenn, und man mußte ihm die Verwaltung des väterlichen Vermögens überlassen. An dem Tage, wo ihm die Papiere und Abrechnungen übergeben wurden, hatte der alte Jakob eine längere Unterredung mit ihm, nach welcher er auf das Tiefste erschüttert schien, und an deren Schlusse ihm der Kammerdiener seines verstorbenen Vaters ein kleines Paket übergab, mit rothem Bande zugebunden und schwarz versiegelt.

Der Inhalt jener Unterredung mußte den Justizrath, aber auf sehr unangenehme Weise, betreffen; denn Eugen faßte in Folge derselben und von diesem Augenblicke an eine solche Abneigung, ja einen solchen Haß gegen ihn, daß er sich nicht einmal die Mühe gab, denselben vor dem Betreffenden oder der Mutter zu verbergen. Man kann sich leicht denken, daß hiedurch zwischen Mutter und Sohn die unangenehmsten Scenen vorfielen. Ja diese Scenen steigerten sich eines Tages, durch den Justizrath hervorgerufen, zu einer solchen Heftigkeit, daß Eugen erklärte, er könne und wolle ferner nicht mehr in dem elterlichen Hause wohnen. Der Justizrath, der ebenfalls auf diesen Zeitraum, wo Eugen selbstständig ins Leben trat, gewartet zu haben schien, hatte nämlich in einem längeren Gespräch mit seinem früheren Schützlinge seinen Wunsch, sich jetzt mit der Mutter desselben ehelich zu verbinden, auseinander gesetzt und aufs Beste motivirt. Eugen hatte ihm aber hierauf trocken erklärt, er als Sohn könne und wolle diese Heirath nie zugeben; da er jedoch wohl wisse, daß er gesetzlich keine Einsprache dagegen zu erheben im Stande sei, so wolle er dies hiemit privatim thun und, wie er hoffe und glaube, aufs Allerkräftigste. Und dazu hatte er dem Justlzrath einige geheimnißvolle Worte gesagt und ihm etwas gezeigt, worüber dieser sich entfärbt und worauf er die Unterredung kurz und schnell abgebrochen.

Eugen verließ darauf wirklich das elterliche Haus, und die Staatsräthin, seine Mutter, die ihn für einen ungerathenen, verlorenen Sohn hielt – er wurde ihr beständig so geschildert – ließ ihn achselzuckend ziehen.

Seit jener Zeit war es das einzige Dichten und Trachten des Justizrathes gewesen, jenes Etwas in seine Hände zu bekommen, aber bisher immer vergeblich. Aufmerksam folgte er dem ganzen Leben des jungen Stillfried, und sah und hörte mit Vergnügen, wie dieser sich zu Hause und auf Reisen in den wildesten Strudel der Vergnügungen stürzte, wie er große Summen wegwarf, wie er seine Revenuen erschöpfte, und anfing, das väterliche Kapital-Vermögen anzugreifen. Wo es ihm möglich war, that er dem Leichtsinne dieses jungen Menschen allen erdenklichen Vorschub und führte ihm unsichtbar Freunde und Freundinnen zu, die ihm helfen sollten, seine Gesundheit und sein Vermögen zu ruiniren, oder, was letzteres anbetraf, ihn wenigstens in solche Verlegenheiten zu stürzen, daß er sich endlich genöthigt sähe, wie der Ertrinkende nach dem Strohhalm, nach einer rettenden Hand zu greifen, die ihn aus seinen Verlegenheiten, sei's auch um jeden Preis, herausrisse.

Der Justizrath hätte um jenes Paketchen mit Freuden sein ganzes Vermögen gegeben und hätte Jeden als seinen Freund und Retter umarmt, der ihm gesagt: »Gieb mir deine ererbten, deine mühsam erworbenen und ersparten hunderttausend Gulden, sei ein Bettler, aber dafür liefere ich in deine Hand jenes Etwas, nach dem deine Seele lechzt!« – Dergleichen Wünsche waren aber bisher immer vergeblich gewesen. Eugen Stillfried war weder ein Verschwender noch hatte er Hang zu einem liederlichen Leben: er trank nur, wenn seine Kameraden mit ihm tranken, er spielte nur, wenn sie ihn dazu nöthigten, und machte große Einkäufe unnützer Dinge, wenn Jemand auf irgend eine Art ihm eine Veranlassung hiezu gab. Er hatte für eben genannte Vergnügungen durchaus keine Leidenschaft, und wenn er sich ihnen hingab, so geschah es, weil er gerade nichts Besseres zu thun wußte. Mit seinen Neigungen zum anderen Geschlechte verhielt es sich gerade so; auch hier war er ruhig und ließ sich vom Strome seines Lebens, vom jedesmaligen Augenblicke treiben. Führte ihn dieser hie und da an reizende Ufergestade und warf ihn unter Blüthenduft zu den Füßen eines schönen Weibes nieder, so blieb er dort, genoß, was zu genießen war, bis eine neue Welle von diesem Ufer ihn wieder in den Strom riß, und dann ließ er sich ebenfalls ohne vieles Widerstreben davon tragen. Er wandte kaum den Blick sehnsüchtig zurück; er kämpfte nicht mit der Fluth, um dorthin zurück zu kehren, wo ihm gerungene Hände nachwinkten, und thränende Augen wie geöffnete Arme schmerzlich auf seine Wiederkehr harrten.

Ein solcher Charakter war nun schwer zu fassen. Das sah der Justizrath mit tiefstem Grimme ein. Und hiezu kam noch, daß Eugen auf einer Reise seinen früheren Lehrer wieder fand, als dieser eben im Begriffe war, sich in einem Dorfe vor dem Hungertode zu schützen, indem er etlichen sechszig Kindern mit verschiedenen Prügeln und guten Worten das ABC und ein solides Stück Christenthum einbläute. Mit Freuden ergriff der Schulmeister die Hand seines ehemaligen Zöglings und zog mit ihm in die Residenz zurück als sein Freund, sein Gesellschafter, sein Sekretär, Verwalter und lustiger Rath. Konnte er ein glücklicheres Loos finden?! Eugen's Bibliothek – die Bücher derselben erwiesen sich als sehr bestaubt – stand ihm in der freundlichen Parterre-Wohnung zu Diensten; er hatte keine Sorgen, er lebte seinen Studien in all den Stunden, wo er nicht genöthigt war, mit Eugen in den Straßen der Stadt auf Entdeckungen auszugehen, wie dieser es nannte. Diese Entdeckungsreisen waren an sich ziemlich harmloser Natur und beschränkten sich auf ein großartiges Flaniren; nur zur Meßzeit und bei großen Märkten dehnten sie sich zu einer Arbeit aus; denn alsdann konnte es Eugen nicht unterlassen, sämmtliche Buden, die dort aufgebaut waren, mochten sie nun Menagerieen enthalten oder eine Affenkomödie, oder ein Panorama, oder Wachsfiguren, im ausgedehntesten Maßstabe mit seiner Gegenwart zu beehren. Vom Morgen an, wo der Kerl im schmierigen Tricot zum ersten Male draußen in die Trompete stieß, bis zum Abend, wo die trübe brennenden Oellampen endlich erloschen, durchstreifte Eugen die Sehenswürdigkeiten, weniger diesen selbst zu Liebe, als dem großen Interesse, das er an dem zigeunerartigen Leben der Buden-Eigenthümer selbst nahm.

Das war eine harte Zeit für den lustigen Rath; denn er mochte sich bei derartigen Veranlassungen auch nicht eine Stunde lang von seinem Freunde trennen, indem er beständig fürchtete, ihn wieder einmal einen sehr extravaganten Streich ausführen zu sehen, wie Eugen früher schon einmal gethan. Da hatte er sich nämlich, mit schlechten Kleidern angethan, zu dem Eigenthümer einer Affen-Komödie begeben und demselben seine Dienste als Sekretär und Billet-Abnehmer angeboten. Da er hier seine Bedingungen außerordentlich billig gestellt, so war er mit dem Prinzipal handelseinig geworden, hatte seinen Bedienten entlassen, seine Wohnung zugeschlossen und war mit der Affenkomödie auf und davon gezogen. Doch hatte er schon kurze Zeit darauf eine für ihn sehr unangenehme Scene mit der Prinzipalin zu bestehen, und er verließ daher ihre Gesellschaft bald wieder, und wir glauben sogar, wie sein Vorgänger aus der heiligen Schrift, ebenfalls mit Zurücklassung seines Mantels.

Doch sprach er noch lange Zeit nachher mit großem Vergnügen von dieser Kunstreise und erzählte dem verdrießlich zuhorchenden lustigen Rath viel merkwürdige Scenen davon, und wie dieses freie ungebundene Leben so etwas überaus Köstliches, etwas Ursprüngliches darbiete, und wie dieses Dahinziehen durch Feld und Wald, heute mit Mangel kämpfend und morgen im Ueberflusse lebend, die Nerven stärke und das Herz erfrische.

Für den Justizrath aber war die Anstellung des lustigen Rathes bei Eugen ein wahrer Dolchstoß gewesen. Er sah denselben überwacht und geleitet, er sah seine besten Plane durchkreuzt und vernichtet, seine schönsten Minen für den Ruin des jungen Menschen durch kräftige Gegenarbeiten zerstört. Er hatte alles Mögliche gethan, um jenes Bündniß zu lösen und diese Beiden aus einander zu bringen – Alles war vergebens! Und der lustige Rath hielt sich seinem Herrn gegenüber in den gehörigen Schranken. Er war offen und ehrlich, treu, ergeben, sprach seine Meinung unverhohlen aus und flößte hiedurch seinem jungen Freunde ein unbegränztes Zutrauen ein. Eugen fühlte wohl, wie nothwendig er ein solches Gegengewicht brauche, das ihn jetzt empor hielt, wenn er im Begriffe war, sich zu tief in den Schmutz des alltäglichen Lebens zu tauchen, und das ihn jetzt nieder hielt, wenn er in hochfliegenden, excentrischen Planen Zeit und Geld wegzuwerfen im Begriffe war.

Nachdem der Justizrath gesehen, daß er nicht im Stande war, diesen guten Geist von der Seite Eugen's zu nehmen, beschloß er seinerseits, nun noch eine böse Gewalt hinzuzufügen, die jenem entgegen für seine Plane wirke und schaffe. Er hatte hierzu den Bedienten Joseph ausersehen, den getreuen Pierrot, und es war ihm nach unsäglicher Mühe gelungen, diesen, wie wir bereits wissen, in die Dienste Eugen Stillfried's zu bringen.


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