Friedrich Wilhelm Hackländer
Eugen Stillfried - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Zwanzigstes Kapitel.

Vor, während und nach der Schlacht. – Heute roth, morgen todt.

Ich glaube nicht, fuhr der Präsident der Leimsudia, nachdem er einen tüchtigen Schluck aus seinem Glase gethan, nach einer Pause fort, daß es euch darum zu thun sein wird, von mir die Schilderung eines Verbandplatzes während und nach der Schlacht zu erhalten. Man sieht da an menschlichem Jammer und Elend, was die kühnste Phantasie nicht auszudenken im Stande ist, fürchterliche Leiden des Körpers und der Seele. Ich muß euch gestehen, ich betrachtete ängstlich jeden neuen Verwundeten, der mir gebracht wurde: denn ich fürchtete immer, meinen jungen Freund vor mir zu sehen mit zerschossenen Gliedern.

Aus dieser Besorgniß riß mich endlich gegen Mitternacht Major v. C., der in das Spital kam – sein Bataillon lag dicht bei Mortara – um nach seinen verwundeten Leuten zu sehen. Die braven Jäger hatten sehr gelitten. Natürlich war meine erste Frage nach jenem jungen Manne.

»Er ist wohl und gesund,« gab mir der Major zur Antwort, »und es freut mich außerordentlich. Geben Sie Acht, der bringts bald zum Offizier,« setzte er hinzu. »Freilich ein tollkühner Bursche, aber dabei mit einem ungeheuer kalten Blute, was man selten beisammen findet, und schießt zugleich wie ein Engel. Ich werde mich wahrhaftig genöthigt sehen, ihn zur silbernen Medaille vorzuschlagen, wenn er sich nicht in den nächsten Tagen vielleicht gar die goldene heraus haut.« – –

Vor Mortara wich der Feind, wie bekannt zurück, und der König von Sardinien sammelte bei Novara seine ganze Streitmacht, um die österreichische Armee in ihrem Siegeslauf aufzuhalten. Es war eine blutige Affaire, die bei Novara, und als wir gegen Mittag das Schlachtfeld betraten, sah man die verschiedenen Gefechtaufstellungen, wie sie heute Morgen gewesen, bezeichnet durch Massen von Todten und Verwundeten, die überall herum lagen. – Hier gab's zu thun. Ich blieb auf dem ersten Verbandplatze, den wir erreicht, und bat einen der jungen Ordonnanzoffiziere, mich rufen zu lassen, sobald man meiner, was ich übrigens nicht hoffe, beim Hauptquartier bedürfe. Nachdem ich ein paar Stunden auf dem Verbandplatze mein Möglichstes gethan und in doppelter Hinsicht froh war, daß kein Bote an mich gekommen, sah ich einen Stabsdragoner eilfertig die Chaussee hinab eilen, der überall umher schaute und richtig auch mich zu suchen kam. Einem seiner Kameraden, im Gefolge des Hauptquartiers, war von einer Geschützkugel der Fuß weggerissen worden, und man beorderte mich, dorthin zu kommen. Ich warf mich aufs Pferd, und nach einer kleinen halben Stunde langten wir im Hauptquartier an.

Dieses stand ziemlich tief im Feuer. Schon ehe wir den Feldmarschall erreichten, schlugen die schweren sechspfündigen Kugeln rechts und links auf die Chaussee und in die Weingärten. Mein Geschäft War bald beendigt; ich ließ den Verwundeten zurückbringen und blieb nun hier, um für alle Fälle bei der Hand zu sein.

Es war ein grauenvoller Tag. Des Himmels Angesicht war verhüllt in graue Schleier ob all der Gräuel, die unter ihm geschahen; Nebelmassen sanken herab und wurden zerrissen wieder emporgeschleudert von dem unendlichen Pulverdampf, der die Ebene bedeckte.

Einer meiner genauen Bekannten, ein Ordonnanzoffizier, Graf S., kam herangesprengt und suchte nach einem Arzte. Ich eilte mit ihm fort, in die Schlachtlinie hinein, um einem Offizier, der dort schwer verwundet lag, wo möglich Hülfe zu bringen. Wir hatten eine weite Strecke zu reiten. Ich rauchte eine Cigarre, der junge Offizier wollte sich die seinige bei mir anzünden – da, als wir unsere Pferde gegen einander dirigirten, fuhr eine Granate zischend und heulend zwischen unseren Köpfen hindurch – ein unwillkommenes Feuer. – Ich hatte bei diesem Ritt Gelegenheit, zu bemerken, wie wenige von den in einer Schlacht abgeschossenen Kugeln eigentlich treffen. Das pfiff und sauste immer nur so an uns vorbei und um uns herum und als wir näher kamen, waren die Vollkugeln und Granaten, die vor und hinter uns, rechts und links einschlugen, nicht mehr zu zählen. Ich hätte nimmer geglaubt, daß ich mir nach kurzer Zeit so wenig daraus machen würde, mich so als lebendige Scheibe hinzustellen; aber man wird das Ding gewohnt, und nur alsdann tief davon erschüttert, wenn man zufällig in die Nähe eines Bataillons kommt, wo so eine mörderische Kugel mehrere Rotten wegreißt und ein halbes Dutzend Menschen in ihrem Fluge dahin wirft, so daß die Nebenstehenden für einen Augenblick entsetzt auf die Seite prallen.

Bald mischten sich unter das grobe Geschütz Kartätschen und einige weit gegangene Büchsen- und Flintenkugeln; auch mehrten sich die Leichen am Boden. Es war in der Nähe der Casa Visconti, einer Villa mit hohen Mauern und Thoren, die von den Piemontesen mit Geschütz und Mannschaft besetzt und aufs Hartnäckigste vertheidigt wurde. Hier litten besonders die Wiener Freiwilligenbataillone beim Sturm auf diese Villa. In der Richtung vom Hauptthore, aus dem vier Geschütze ein ununterbrochenes Kartätschenfeuer unterhielten, lagen ganze Reihen niedergestreckt. Wir ritten auf einem Feldwege, der uns dorthin brachte; und dieser Feldweg hatte das Angenehme, daß auf ihn alle Kartätschenkugeln, welche über die Häupter der Stürmenden hinwegsausten, einschlugen und sie waren wahrhaftig nicht zu zählen.

»Reiten wir gerade aus?« rief ich dem jungen Offizier bei diesem Anblick zu; »oder machen wir einen kleinen Umweg?«

»Immer der Nase nach!« entgegnete er lachend und warf sein Pferd in den Kugelregen hinein.

Es war auf unserer Seite und zu den Füßen unserer Pferde ein Anblick, wie wenn im Sommer auf einer staubigen Chaussee schwere Regentropfen mit großer Gewalt aufschlagen, so zischte und klatschte es hier von allen Seiten, und das war eine Strecke von vielleicht hundert Schritten, die wir solcher Gestalt zu passiren hatten.

Unter einem Baume, etwas rückwärts von der Schlachtlinie, fanden wir den Offizier, zu dessen Hülfe ich herbeigeeilt. Es war leider zu spät! Er hatte zwei Kartätschenkugeln in der Brust, und wir kamen früh genug, ihm die Augen zuzudrücken. Aber ich hätte ihn, auch wenn ich früher gekommen wäre, nicht retten können – jede der Verwundungen war tödtlich.

Wir schwangen uns wieder auf unsere Pferde, um zum Hauptquartiere zurück zu eilen in dem Augenblicke, als ein frisches Jägerbataillon gegen das Thor der Villa geführt wurde. Es war Major v. C. – Ich zitterte ordentlich bei dem Gedanken an meinen jungen Künstler, ob er wohl noch unter den Lebenden sei, oder ob er nicht am Ende hier vor meinen Augen todtgeschossen werde. Unter lautem Hurrah kamen die Jäger heran. Gott sei Dank! dort sah ich ihn auf dem Flügel, das frische Gesicht von Pulverdampf geschwärzt. Er ging mit den Anderen freudig darauf los. wie zu einer Lustpartie: vorn auf der Brust zwischen dem schwarzen Lederzeug hatte er eine blaurothe Nelke stecken. Auch er erkannte mich; denn er winkte mit der Hand und zeigte freudig lachend auf das Thor droben, das immer dichtere Pulverwolken und immer zahlreichere Kartätschenkugeln ausspie.

Wie gingen die braven, tapferen Jäger darauf los! Zuerst schwenkten sie etwas gegen die Mauer, dann wandten sie sich wieder dem Thore zu. Schon waren sie nicht fünfzig Schritte mehr davon entfernt, da blitzte es abermals aus diesem Höllenrachen hervor. Mehrere Kugeln hatten getroffen. Mancher, der eben in frischer Jugendkraft vorwärts geeilt war, lag zerschmettert am Boden, todt oder schwer verwundet. Mancher blieb plötzlich wie angewurzelt stehen und stierte eine Sekunde vor sich hin – auf den bleichen Zügen die grauenhafteste Ueberraschung; dann ward sein eben noch so lebhafter Blick starr und gläsern, er drehte sich mit einer entsetzlichen Geschwindigkeit herum und fiel todt auf das Gesicht. Aber der Anblick so mancher gefallenen braven Kameraden entflammte den Muth der Jäger höher und höher. Aufgepaßt! schrieen die Vorderen. – Nieder, nieder! Ganze Reihen bückten sich bei diesem Zurufe der Kameraden tief auf den Boden. Droben auf der Villa krachten abermals die Schüsse, pfiffen abermals die Kugeln, sausten aber unschädlich über die am Boden liegende Mannschaft hinweg. Wie Ein Mann erhob sich diese wieder und eilte in wilden Sprüngen vorwärts. So stürzt der Tiger auf seine Beute. Da hörte man keinen Schuß mehr aus der Reihe der Jäger; die Büchse mit dem doppelschneidigen Hirschfänger zum Stoßapparat umgewandelt, waren die Verwegensten von ihnen in drei, vier Sätzen vor dem Thore der Villa. Die piemontesischen Artilleristen hatten in diesem Leben zum letzten Male gefeiert. Kobolden gleich verschwanden die Jäger und die Wiener Freiwilligen zwischen den Gebäuden. Der Pulverdampf verzog sich langsam, die blanken Kanonenmündungen sahen jetzt zum ersten Male stumm und still auf das Todtenfeld hinaus, und nachdem drinnen in dem Hofraum der Kampf unter Flinten- und Büchsenschüssen noch einige Minuten fortgedauert, waren die Piemontesen verjagt und die stark befestigte Villa genommen.

Wir ritten durch das Thor hinein, über Leichen und Sterbende hinweg. Drüben sammelte der tapfere Major von C. seine Leute aufs Neue, um die Braven zur weiteren Arbeit zu führen. Ich hatte nun Zeit, ihm meine Bewunderung auszudrücken und mich nach meinem jungen Freunde umzuschauen. Da war er an der Seite des Majors frisch und lebendig, aber um den Kopf hatte er ein weißes Tuch gebunden und darüber keck den Jägerhut aufs Ohr gesetzt. »Ein kleiner Säbelhieb!« rief er mir zu; »unbedeutend, nicht der Rede werth!« Seine Nelke hatte er noch im Knopfloch stecken, und ich konnte mich nicht enthalten, ihm zu sagen: »Aber warum haben Sie sich mit Blumen geschmückt?« worauf er mir antwortete: »Ein Festtag! ein Freudentag!« und dann setzte er leiser hinzu: »Es war ihre Lieblingsblume.« – »Narrenpossen!« brummte der Major, indem er den Schweiß von der Stirne wischte; »ich habe das heute Morgen schon gesagt, thun Sie mir das Ding weg! Wozu die rothe Blume? Wir sehen ja Blut genug um uns.« – »Wenn Sie befehlen, Herr Major,« antwortete er darauf, »so stecke ich sie in die Tasche.« – Und er that also.

»Wer mich kennt,« sagte der Major leise zu mir, »weiß, daß ich ebenso getrost mit meinem Bataillon gegen den Feind marschire, als ich einen Spaziergang mache; aber so was kann ich nicht leiden: das Ding sah aus, wie eine klaffende Wunde auf der Brust. – Nun Gott befohlen! – Vorwärts, Kinder! – Adieu, Adieu!«

Die Jäger stießen wieder zu ihrer Division, wir kehrten nach dem Hauptquartier zurück.

Die Schlacht dauerte bis zum Abend, Die Nebel sanken wie graue Schleier auf den Boden nieder und bedeckten darauf mit einem feinen Regen Tausende der Unglücklichen, die hier beisammen lagen. Das Hauptquartier ging nach Charlasco zurück; doch brauchten wir mehrere Stunden, um Schritt für Schritt durch den Knäuel von Menschen und Pferden, Geschützen und Wagen zu dringen, mit denen die Landstraße bedeckt war. Es war spät in der Nacht, als wir in unser Quartier kamen. Keiner hatte nach diesem aufregenden Tagewerke Lust, sogleich zu Bette zu gehen; auch fehlte noch mancher der Ordonnanzoffiziere, die da und dorthin auf das Schlachtfeld geschickt worden waren und deren Rückkehr wir abwarten wollten. Im Kamine brannte ein großes Feuer, wir saßen im Kreise herum und erzählten unsere Erlebnisse. Bald hörten wir jedoch Pferdegetrappel, Einer um den Andern kam zurück, durchnäßt und müde, zuletzt Graf S., der am Schlimmsten aussah – denn er hatte keinen Paletot, und an dem dünnen Attila troff das Regenwasser herunter.

»Du siehst schön aus!« riefen ihm die Kameraden zu; wie kann man auch in dem Wetter ohne Mantel ausreiten?«

»Ihr habt gut reden!« sagte lustig der Husarenoffizier; »wie ihr mich da seht und ich da vor euch stehe, bin ich wahrhaftig noch ein paar Procent besser, als der heilige Martin. Der hat seinen Mantel mit jenem Armen nur getheilt, ich habe den meinigen ganz weggegeben. Habt Respekt – ei, das ist ja der Doktor!« wandte er sich an mich; »Sie sind an meiner außerordentlichen That die Hauptursache.«

Mich überschlich bei diesen Worten eine traurige Ahnung.

»Da habe ich etwas für Sie,« fuhr Graf S. fort; dabei hob er seine Säbeltasche in die Höhe und zog ein kleines Stück Papier heraus, das er mir darreichte.

Es war meine Karte, die ich vor einigen Tagen in Pavia dem jungen Freiwilligen gegeben. Sie war zerknittert, von Pulver geschwärzt – – mit Blut befleckt.

»Erzähle,« liefen die anderen Offiziere, was hast du getrieben?« Auch ich bat mit leiser Stimme darum. »Als Alles vorbei war,« sagte der Husar offen, dem man begreiflicher Weise den besten Platz am Herde eingeräumt – »wurde ich mit einem Befehle bedacht, den ich nach dem zweiten Armeecorps bringen sollte; ich habe in solchen Fällen immer das meiste Glück. Mein Pferd war müde, ich auch, wir Beide ebenfalls durchnäßt, aber der Dienst rief. Was Teufel! ich hatte nicht daran gedacht, nochmals in die Nacht hinaus zu müssen; ich dachte mir: die Sache ist zu Ende, jetzt geht's nach Hause, und deßhalb hatte ich auch so ziemlich alle Direktionen verloren, und es war mir nur eine unbestimmte Idee davon geblieben, wo der Stab des zweiten Corps vielleicht zu finden sei. Da stand ich allein in der Nacht, unter dem strömenden Regen, und schaute mich rings um. Mein Pferd ließ die Ohren hangen und wandte sich mehrmals der Gegend zu, von woher man noch das Geklirre des abziehenden Hauptquartiers vernahm. Zu all dem Vergnügen war es noch stockdunkel, tiefe Wassergraben gab es auf allen Seiten, wie ich genau wußte – die Sache war höchst amusant.«– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Hier unterbrach sich der erzählende Präsident der würdigen Gesellschaft und sagte, aus dem bisherigen Tone fallend: »Aber ich erzähle euch da ein Geschichte, die euch vielleicht langweilt; ich muß wahrhaftig fürchten, daß man mir die Schande anthut und den Leimtopf wieder auf's Feuer setzt; ich glaube, es ist besser, wenn ich mit ein paar Worten meine Geschichte zu Ende bringe.

»Nein, nein!« versetzte der Herr mit dem rothen Gesicht eifrig; »dagegen protestire ich feierlichst; es wäre in der That nicht zu verantworten, wenn wir den jungen, braven Husaren nächtlicher Weise so lange auf dem Schlachtfelde ließen.«

»Ja, in Regen und Kälte!« setzte der lange Regierungsrath hinzu, »das hört sich im trockenen Clubzimmer so behaglich an – Regen, Nacht und Schlachtfeld, ich glaube, unser würdiger Präsident bedient sich arglistiger Schriftstellerkniffe, er will unsere Erwartung aufs Höchste spannen.«

»Wahrhaftig, nein!« sagte der Ebenerwähnte; »aber es ist schon ziemlich spät in der Nacht, und ich fürchte in der That, die Gesellschaft zu langweilen.«

»Ich dächte, wir wollen hierüber abstimmen,« sprach wichtig der dicke Herr mit dem rothen Gesicht, »unparteiisch abstimmen. Wer dafür ist, daß unser Präsident nicht weiter erzähle, der krieche unter den Tisch.«

Nach diesem sinnreichen Vorschlage sah sich der dicke Herr rings um und sagte mit feierlicher Stimme: »die Gesellschaft ist einstimmig zu dem Beschlüsse gekommen, der Präsident habe in seiner Erzählung fortzufahren.«

»Nichts Bessres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten weit in der Türkei
Die Völker auf einander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus,
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man Abends froh nach Haus
Und segnet Fried' und Friedenszeiten.«

recitirte der lange Regierungsrath, und der Präsident fuhr also fort:

»Ich that,« so erzählte der junge Husaren-Offizier am Kaminfeuer, »was an meiner Stelle jeder brave Kavallerist ebenfalls gethan hätte: ich wandte den Kopf meines Pferdes dem Schlachtfelde zu, trieb das müde Thier vorwärts und ließ es, nachdem ich so die Richtung angegeben, seinen Weg selbst suchen. Das war das Beste, was ich thun konnte, und statt in die Wassergräben hineinzupurzeln, was unfehlbar geschehen wäre, hätte ich den Zügel fest in der Hand behalten, kletterte jetzt der brave Chalif an den Abhängen hinunter und hinauf, daß es eine Freude war. Bald erreichte ich einen Feldweg, der mir für meine Direktion passend erschien, und nun ging's schon schneller vorwärts. Bald war ich mitten auf dem erkalteten Schlachtfelde; ich befand mich in entsetzlicher, grauenhafter Umgebung. Es ist eigenthümlich, daß man das während der Schlacht so fast gar nicht fühlt, daß die Stunden des heißesten Kampfes so gar nichts Erschütterndes, nichts Entmuthigendes für den Soldaten haben. Der Artillerist folgt dem Geschütz mit Lust und Liebe, er nimmt ruhig sein Ziel, und seine Belohnung ist, wenn die Kugel in die dichtesten Haufen der Feinde einschlägt und dort Tod und Verwüstung bringt. Der Reiter scheint Eins zu sein mit seinem Pferde – ein tiefer Athemzug schwellt die Brust beim Signal zum Angriff; alle Leidenschaften find erwacht, während er den feindlichen Kavalleriemassen entgegenstürmt. Falle, wen es trifft. – Ueber Pferde, über die Leiche des Nebenmannes geht er weg, er kann sich nicht nach ihm umschauen, er kann ihn nur rächen. Die Geschütze krachen, hie und da schallt Trommelwirbel, die Fahnen flattern – es gilt eine Verschanzung zu nehmen, eine Höhe zu stürmen; mit lautem Hurrah stürzen die Colonnen darauf los. Wenn auch ganze Reihen von den feindlichen Kartätschen niedergerissen werden – die Nachfolgenden schließen ihre Glieder wieder und behalten fest im Auge den Punkt da oben, wo es aufblitzt, wo sich die weiße Rauchwolke emporthürmt – die feindliche Stellung.

»Sind sie aber erobert, die mörderischen Geschütze, ist ihr metallener Mund verstummt, sind alle Positionen genommen, zeigen lange Staubwolken dort drüben und dazwischen hervorblitzende Gewehrläufe und Helme den geschlagenen Feind, wie er sich eilig zurückzieht; dann blickt der Soldat rückwärts auf die Strecke, die er heute im heißen Kampfe zurückgelegt, und sucht mit den Augen die Stelle, wo unter Haufen anderer Gefallener sein Freund, sein Bruder ausgestreckt liegen könne. Aber jetzt ist noch keine Zeit zum Aufsuchen der Gefallenen, zur Klage um die Todten; der Soldat muß bleiben, wo er ist, die Nacht sinkt herab, muß das Schlachtfeld behaupten. Aber er sitzt nicht wohlgemuth um das Feuer, er spricht nicht laut und fröhlich mit seinen Kameraden; nur leise flüstern sie zusammen, denn die da draußen, die umher liegen, sprechen zu laut, zu entsetzlich. Wer nicht dabei war, kann sich keinen Begriff machen von dem unheimlichen Gefühl, mit dem man Nachts über das Schlachtfeld reitet. Man hört so verschiedenartige Töne, Klagen, Stöhnen, unendlich grausenhaft und unheimlich; und dazu sieht man rechts und links oder gerade vor sich im Wege dunkle Punkte, und wenn zufällig der Mond ein kleines Streiflicht durch zerrissene Wellen sendet, so erkennt man diese Punkte, diese schauerlichen Hügel – da liegen sie lang ausgestreckt, zerrissen und blutig, und hie und da glaubt man eine Bewegung, ein Zucken zu bemerken, und irrt sich wohl auch nicht; denn noch liegt dort alles durch einander, Lebendige und Todte.– – –

»Dazu pfiff Regen und Wind über die Ebene, und je weiter ich hinaus kam, desto stärker hörte ich die unheimlichen Töne, desto mehr sah ich die dunklen Gruppen rechts und links umher liegen. Mein Pferd schien alle Müdigkeit verloren zu haben; es schnaubte heftig und drängte zuweilen zitternd in die Zügel, um vorwärts zu kommen. Ihm waren seine todten Kameraden, die zusammengeschossen waren und in ihren Geschirren an Pulverwagen und Geschützen lagen, ein Gräuel. So kam ich in die Gegend der Casa Visconti – wissen Sie, da, wo wir heute zusammen waren; aber ich mochte nicht durch das Gehöft reiten, es war mir darin zu viel geschehen, es mußte gräßlich aussehen zwischen den Mauern des Hofes. Gleich hinter der kleinen Villa begegnete ich einer Kavallerie-Patrouille, die mir ungefähr den Weg nach dem zweiten Corps anzeigte. Ich hatte nun den blutigsten Theil des Schlachtfeldes hinter mir und konnte rascher weiter. Doch hatte ich keine Viertelstunde im Trabe zurückgelegt, als ich Feuer sah und von einem Jägerposten angerufen wurde. Es war das Bataillon des Majors von C., der hier bivouakirte. An dem konnte ich nicht vorbei reiten. Ich lenkte mein Pferd gegen das Feuer. Da saß er auf ein paar Tornistern, die Knie in die Höhe gezogen, den Kopf darauf gestützt; er rauchte aus einer kurzen Pfeife und starrte in die spielenden Flammen. Beim Hufschlage meines Pferdes blickte er auf – ich rief ihm meinen Namen zu, und als er mich erkannte, als ich ihm gesagt, ich komme über das Schlachtfeld herüber vom Hauptquartier her, schüttelte er sich und sagte: Nicht wahr, da sieht's gräßlich aus? –Schauerlich, entgegnete ich ihm, ihr müßt furchtbar gelitten haben. – Viel, viel, entgegnete er mir kopfschüttelnd, lauter brave Leute. Apropos! Wenn Ihr ins Hauptquartier zurückkommt, so gebt diese Karte dem Freunde Wellen; ich habe sie von jenem jungen Manne, er weiß schon, von wem – ja, ja, setzte er düster hinzu, man soll auf dem Schlachtfelde keinen Spaß treiben; mich hat die rothe Nelke, als ich sie diesen Morgen bei ihm sah, schon genirt, und just auf der Stelle traf ihn eine feindliche Büchsenkugel.«

Ihr könnt euch denken, fuhr der Präsident nach einer kleinen Pause fort, wie ich athemlos und gespannt der Erzählung des Husarenoffiziers lauschte; hundertmal wollt' ich ihn unterbrechen, um ihn zu fragen: Und wo ist der, der diese Karte für mich gab? Aber wenn ich das kleine Blatt Papier betrachtete, mit dem starrenden Blute daran, so hatte ich nicht den Muth, diese Frage zu stellen – ich wußte die Antwort im Voraus. – – – – – – – – – – – – – – »Also er ist todt?« fragte ich nach einem langen Stillschweigen den Grafen S. – Er antwortete mir darauf: »Ganz genau konnte der Major von C. es gerade nicht sagen; wie ich aber schon erzählt, hatte nicht weit von Casa Visconti, vielleicht eine Stunde nachdem wir dort waren, bei der neuen Attaque ihn eine Büchsenkugel in die Brust getroffen; einer der Aerzte, der zufällig in der Nähe war, schüttelte den Kopf, doch ließ ihn der Major augenblicklich nach dem nächsten Verbandplätze schaffen; was aus ihm geworden, wußte er natürlicher Weise nicht.«

»Und welcher Verbandplatz kann das sein?« rief ich aufspringend; »ich muß dahin, ich muß den armen jungen Menschen sehen!« Der Adjutant des Marschalls, Major E., der ebenfalls am Kaminfeuer saß, sagte nach einem kleinen Nachdenken: »das muß am Ende der Schlacht gewesen sein. In der Nähe der Casa Visconti; also ist er nach einem der Verbandplätze gebracht worden, die sich in den Häusern unter den Mauern von Novara befinden. Da wird er morgen dorthin in's Spital kommen.«

»Aber was meinen Sie, kann ich ihn wohl heute Nacht noch aufsuchen?«

»Lassen Sie das bleiben,« sagte Graf S., »'s ist keine Möglichkeit, Doktor, einen einzelnen Verwundeten zu finden; alle Felder, Wege und Brücken in der Nähe der Stadt stecken so voll von Militär, daß es nicht möglich ist, durchzukommen; auch könnten Sie bei den Vorposten große Schwierigkeiten haben. – Ja, das vergaß ich auch noch zu erzählen, es gehört zu meinem Bericht: ich fand nun das zweite Armeecorps zunächst der Stadt, und in letzterer schien der Teufel los zu sein. Da brannten ein paar Häuser und Gewehrschüsse knallten dazwischen. Sie müssen sich unter einander in den Haaren liegen; denn wir haben blos die Stadt cernirt, von den Unsrigen ist noch Niemand hinein.«

Was sollte ich also thun? Alle riethen mir, den Morgen abzuwarten und dann meine Nachforschung anzustellen. Das that ich denn auch nach besten Kräften, aber Alles vergeblich. Obgleich ich von Tagesanbruch bis zur sinkenden Nacht des folgenden Tages auf den Beinen war, obgleich ich alle Verbandplätze besuchte und selbst mit ein paar Bekannten das Schlachtfeld auf's Eifrigste untersuchte – ich fand keine Spur von meinem jungen Künstler. Da waren die Soldaten beschäftigt und machten große Gruben und legten die todten Kameraden hinein, und bei manchen dieser Gruben blieb ich stundenlang stehen und betrachtete genau die herbeigebrachten Leichen und dachte immer: jetzt wirst du auch ihn erkennen. Umsonst! ich fand ihn nicht.

Das Hauptquartier blieb während der Schlacht mehrere Tage in Novara, und diese Zeit benutzte ich zu den sorgfältigsten Nachforschungen. Mein Platz war ja überhaupt in den Spitälern, sowie in den Kirchen, wo man eine Menge Verwundeter untergebracht. Aber nebendem ließ ich auch kein Haus in der Umgegend ununtersucht, wo sich noch schwer Kranke befanden, die man nicht, transportiren konnte. Aber Alles umsonst! Die einzige Spur, die ich von dem jungen Bildhauer erhielt, bestand in der Aussage zweier seiner Kameraden, die ihn, als er schwer verwundet wurde, aus dem Kampfe zurückgebracht hatten. Diese Beiden versicherten mir, sie haben ihn bis zum nächsten Verbandplätze getragen und dort einem Unterärzte übergeben, der aber die Verwundung achselzuckend betrachtet. Er habe ihm freilich auf ihre dringenden Bitten hin einen Verband angelegt, doch dabei gesagt, das sei alles unnütz, die Kugel sei zu tief gegangen. – –

Es war mir, als habe ich einen langjährigen Freund verloren, und ihr könnt euch denken, mit welch schmerzlichem Gefühle ich einige Tage später über das Schlachtfeld ritt, als wir nach Mailand zurückkehrten. Es war ein unfreundlicher Morgen, in der vergangenen Nacht war Schnee gefallen und bedeckte die Vertiefungen des Terrains. Um so schauerlicher aber ragten aus dem weißen Grunde die vielen, vielen Grabhügel hervor, an denen ich vorbei mußte. Hier und dort hatten die Kameraden auf dieselben einen großen Stein hingewälzt oder ein einfaches hölzernes Kreuz dahin gesetzt. Ich mußte beim Vorbeireiten jedes einzelne betrachten und dachte: unter welchem magst du schlafen, mein armer Freiwilliger? Wo mag deine nun erkaltete Künstlerhand ruhen und dein warmes Herz, das dich hieher getrieben aus dem Frühling des Lebens in diesen Winter des Todes?«

So erzählte Doktor Wellen, und die Gesellschaft saß bei dieser Erzählung ruhig und still.

»Präsident! sagte nach einer langen Pause der dicke Herr mit dem rothen Gesicht, »ich glaube, Ihr macht es wieder wie die schlechten Schriftsteller: Ihr habt gewiß noch etwas von jener Erzählung auf dem Herzen und haltet damit hinter dem Berge. Heraus damit! Erzählen Sie ein glückliches Ende der Geschichte, sonst thue ich aus Alteration die ganze Nacht kein Auge zu, und Ihr werdet morgen zu einem Kranken mehr gerufen.«

»Das sollte mir leid thun,« entgegnete der Doktor mit einem trüben Lächeln; »aber ich kann euch wahrhaftig nicht mehr sagen, als ich weiß. Seit jenen für mich so denkwürdigen Tagen sind einige Jahre verstrichen, und obgleich ich mehreren Kollegen, die dort bleiben, für diesen Fall meine Adresse hinterließ, habe ich nicht eine Sylbe erfahren – mir ein sicheres Zeichen, daß der unglückliche Freiwillige gestorben ist. – – Aber es ist nun über alle Maßen spät geworden, wahrhaftig ein Uhr lange vorüber, und ich erkläre hiemit die heutige Sitzung als aufgehoben.«

Der Präsident setzte nach diesen Worten seinen Hut auf; die Lampe und der Leimtopf wurden dem Kellner feierlichst zur Aufbewahrung eingehändigt, und die Gesellschaft ging aus einander.


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