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Diese Armut des menschlichen Geistes offenbart sich in dem größten theoretischen Werke des menschlichen Geistes, welches die Philosophie ist. Wäre der menschliche Geist von Natur reich und stark, es gäbe nur eine Philosophie, die ewige, die philosophia perennis, klar und leuchtend wie die Sonne. Zwar gibt es sie, aber in welch einem unsicheren, gefährdeten Zustande, umtost von Stürmen und immer wieder überrannt von niederreißenden Gewalten unerleuchteter Gefühle und triebhafter Wollungen, ein zartes, kleines, armes Licht, das faktisch sogar nur durch die Hilfe der Offenbarung brennend und leuchtend erhalten wird. Faktisch aber gibt es drei Systeme des menschlichen Philosophierens analog den drei Seinsreichen, die dem menschlichen Geiste gegeben sind: die Philosophie der Materie, des Lebens und des Geistes. Sind Materialismus und Lebensphilosophie von vornherein unzulänglich, weil sie die größte Sünde der Philosophie begehen, nämlich etwas Wesentliches auszulassen, so hat die Geistesphilosophie, zu der zweifellos die philosophia perennis gehört, große Irrtümer und Abirrungen auf dem Gewissen, indem auch sie etwas ausließ.
Da in Europa der Glaube sinkt, aus dem öffentlichen und sichtbaren Leben verschwindet, um nur noch im Privaten und Unsichtbaren zu leben, kommt der natürlichen Philosophie, der Metaphysik, als tiefstem Ausdruck des natürlichen menschlichen Geistes, wieder eine ungemeine Bedeutung zu, oder sagen wir es genauer: der Wahrheit oder Falschheit der geltenden Philosophie. Historisch betrachtet sind gewiß die Aussichten auf eine wahre Philosophie gering, wenn der Glaube – unter Glauben verstehe ich den christlichen, den Glauben der Kirche, Fides, La Foi, The Faith – nachläßt oder aufgegeben wird. Wie rasch ist der antike Geist abgeglitten von den Höhen der platonisch-aristotelischen Philosophie! Wie rasch hat er das Totale preisgegeben, um Teile zu magnifizieren und zu glorifizieren. Es scheint überhaupt für den menschlichen Geist eine fast unmögliche Aufgabe zu sein, einen einmal erreichten Gipfel mit natürlichen Mitteln auf die Dauer zu behaupten. Es scheint dazu, wenn es gelingen soll, einer übernatürlichen Hilfe zu bedürfen. Wenigstens ist es ein historisches Faktum, daß die Höhe der platonisch-aristotelischen Philosophie, als welche die Metaphysik des Seins zu bezeichnen ist, einzig und allein durch die christliche Theologie in der Person von Heiligen gehalten worden ist und heute der europäischen Menschheit in schweren Kämpfen immer neu erobert und neu verteidigt – als letzte natürliche Festung und Ordnung. Diese natürliche Ordnung der Metaphysik als strenger Wissenschaft, wo gewisse primordiale Wahrheiten also zu demonstrieren sind, gewinnt heute eine überragende Bedeutung, wo die übernatürliche Ordnung, das Signum des christlichen Europa, durch den Mangel des Organs ihrer Erfassung, des Glaubens also, sich erhebend versinkt in die Nacht ihres allzu strahlenden Lichtes.
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Die Tätigkeit des Geistes ist ein Leben. Ist dieses einmal unverlierbar erkannt, dann ist vieles gewonnen, um gefeit zu sein gegen die Mode finsterer Tage, die Mode der Panpsychik, die im scheinbaren Gegensatz zu einem Panmaterialismus das Leben der Gefühle zum beherrschenden Mittelpunkt macht und das Leben der Menschen verwirrt. Der konsequente Materialismus, der klassische, möchte man fast sagen, verachtet eher das Gefühlsleben der Tiere und Menschen und umkleidet seinen Wahn und Irrtum mit einer eisigen Rationalität, dem Korrelat seines Abgottes, der Maschine. Die Maschine ist das, was der Geist des Menschen der Materie und ihren immanenten Gesetzen als äußerstes Resultat abgewinnen kann. Aber dieser konsequente, klassische Materialismus hat in der westlichen Philosophie seine Rolle ausgespielt. In der westlichen Philosophie wird heute keiner mehr die These verteidigen, daß Leben, Seele, Geist gradlinige Entwicklungen oder Nebenprodukte und Epiphänomene der »Materie« sind. Aber damit ist nicht gesagt, daß etwas Besseres oder gar das Wahre nachfolgen müsse.
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Wenn der konsequente Materialismus das Wesen der animalischen Seele und des Geistes, als der Materie übergeordnet und nicht aus ihr entsprungen, verkennt, wiewohl er ja beide, wenn er sich nicht selber vernichten will, auch nicht ganz leugnen kann, so in einer anderen Anordnung nicht minder der Biologismus, die sogenannte Lebensphilosophie. Sie erhebt die tote Materie zur Lebendigkeit und nivelliert den Geist auf das animalisch-physische Leben. Auch sie zerstört die hierarchische Ordnung, die schon in der Natur herrscht und die der gemeine Menschenverstand in vager Weise einhält; denn für den gemeinen Menschenverstand ist ein Stein ein Stein, etwas, das zwar ist und seine bestimmten Eigenschaften hat, aber etwas »Totes« ist im Vergleich zu Pflanze, Tier und Mensch. Für den gemeinen Menschenverstand sind Pflanze und Tier etwas Lebendiges mit völlig neuen Kategorien: des Wachsens, Blühens, Reifens, Fruchttragens, Welkens, Sterbens und ist schließlich der Mensch etwas Neues und anderes – wodurch, wenn nicht durch dessen Geist, also durch Wissen, Erkennen, Denken. Nun aber zeichnet sich die echte Philosophie, die dauernde Philosophie, die philosophia perennis dadurch aus, daß ihr Gegenstand kein anderer ist als der, den der gemeine Menschenverstand vage und dunkel auch hat; sie hat ihn klarer zu gliedern und unzertrennlicher zu einen; sie hat wesentlich weder etwas auszulassen, was ist, noch etwas hinzuzufügen, was nicht ist; sie hat ihn weder gewalttätig zu simplifizieren, noch im Vakuum erfinderisch zu komplizieren. Beides geht in einer falschen Philosophie immer Hand in Hand. Der Materialismus ist die ungeheuerlichste Simplifikation des dem Menschen gegebenen Seins, indem er für das allein Wirkliche die Materie erklärt, aber wie absurd kompliziert wird die Sache, wenn er aus ihr das geringste Leben, geschweige denn den Geist hervorgehen lassen soll. Diesem gesetzmäßigen Verhängnis, die natürlichen, wenn auch noch so vagen Erkenntnisse des gemeinen Menschenverstandes vergewaltigen zu müssen, scheu um sie herumgehen zu müssen, entgeht auch die Lebensphilosophie nicht. Sie schenkt sich zwar die Sisyphusaufgabe, aus der toten Materie auf Grund noch so staunenerregender Bewegungen das Leben erstehen lassen zu müssen: das Leben ist ihr gegeben, aber der Geist nur als Phänomen des Lebens, und das ist ihr Jammer und ihre – Unwahrheit im strikten Sinne des Wortes. Denn der wahren Philosophie ist in der hierarchischen Ordnung auch und zuerst der Geist gegeben über dem animalisch-physischen Leben und über der Materie. Wir sind Hierarchisten – ein Ärgernis erregender Satz heute in Europa, so kurz er auch ist. Jede falsche Philosophie ist eine Unordnung des menschlichen Intellekts im Verhältnis zur Ordnung des Seins und dadurch auch eine Perversion des Willens im Verhältnis zum Guten und zum endlichen und unendlichen Ziele des Menschen. Der Materialismus wie die Lebensphilosophie, die biologische Weltanschauung, überlasten sich und verheben sich, sie nehmen auf ihre Schultern, was sie gar nicht tragen können, d. h. sie lehren Unwahres, sie gründen auf einer metaphysischen Absurdität, nämlich daß in einer Ursache weniger sei als in der Wirkung, daß die Materie das Leben erzeuge und den Geist, daß das pflanzlich-animalische Leben neben anderem auch den Geist entwickle.
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Es ist interessant zu sehen, daß eine konsequente Lebensphilosophie nicht nur kein Auge hat für das hierarchische Höhersein des Geistes, dessen Eigen sinn und Eigen leben im vollen Sinne des Wortes [nicht bloß für dessen logische Autonomie], sondern auch den Blick verliert für das Eigensein der Materie, also der ihr untergeordneten Ordnung. Sie hat die Tendenz, nicht nur den Geist und sein Leben zu nivellieren auf ihre eigene unzulängliche Ebene, sondern auch die Materie zu erhöhen auf ihr eigenes hohes Niveau. Sie läuft Gefahr, bald nicht mehr zu erkennen, daß ein Stein ein Stein ist; sie läuft Gefahr, die staunenerregenden Bewegungen der Atome zu konfundieren mit den einer höheren Ordnung angehörenden Äußerungen des primitivsten Lebens; sie läuft Gefahr, das stille Sein der Elemente zu übersehen, zu übersehen den Stein, das Gold, die Kohle, den Kristall; sie läuft Gefahr, zu übersehen, daß, wenn das Leben diese Materie und ihre Elemente mit hineinreißt in seinen Strom, sie einer Kausalität höherer Ordnung unterworfen werden, einer inneren brennenden Umwandlung anheimfallen, die sie zu etwas ganz anderem macht, als was sie in der Ordnung der toten Materie sind. Die organische Chemie hat die Aufgabe, diese Verwandlungsfähigkeit zu studieren und sie als reale Möglichkeit der vom Leben noch nicht ergriffenen Materie zu erkennen. Das ist in Ordnung, aber nicht in Ordnung ist eine Lebensphilosophie, die die Grenzen verwischt und einen Stein und eine Kohle nicht mehr Stein und Kohle sein läßt mit der relativen Autonomie einer eigenen Seinsordnung. Eine Physik, die sich infizieren läßt von einem Panbiologismus, wirkt im Zeitalter der Wissenschaft unappetitlich, oder lassen wir den Affekt: sie wird falsch, weil sie ihren Gegenstand verliert, den sie doch noch halten könnte, wäre die rechte Ordnung gewahrt. Es ist das unentrinnbare Schicksal eines Panvitalismus, einer biologischen Weltanschauung, sowohl die Ordnung der Materie wie die des Geistes verkennen zu müssen, d. h. aber, der Materie etwas zu geben, was sie nicht hat, und dem Geiste etwas zu nehmen, was er hat, um eine trügerische Einheit, der keine Wirklichkeit entspricht, herzustellen. Was sie der Materie fälschlich hinzugibt, ist das pflanzlich-tierische Leben, das sie eben nicht hat; was sie dem Geiste nimmt, ist die Immaterialität, sein immaterielles Sein, sein immaterielles Leben. Sie ist dazu verdammt, den Geist, der doch das Innerste ist, als eine nur äußernde, mitteilende, im übrigen recht gefährliche, weil zu krankhaften Eigenwucherungen neigende Funktion des allein wirklichen, realen »Lebens« zu halten, das allein unendlich schrankenlos und ewiger fruchtbarer Schoß ist; sie ist dazu verdammt, im äußersten Falle sogar nicht die Materie, sondern den Geist für den Mörder der Seele, des Lebens zu halten. Das aber zeigt nur, daß sie die wirkliche Ordnung vergewaltigt, indem sie nicht vordringt bis zur Ordnung des Lebens des Geistes, welches übrigens das Fundament ist des geistigen und auch des geistlichen Lebens des Menschen. Macht eine Lebensphilosophie die Dreiteilung des menschlichen Seins in Körper, Seele und Geist, so ist das doch nur ein Schemen oder ein Schema. Es bleibt etwa bei dem starren Bild eines dreistöckigen Hauses. Bilder sind unentbehrlich für die menschliche Erkenntnis, aber sie sind immer unzulänglich und immer gefährlich. Ein wachsamer Geist hat deshalb immer eine heilsame Angst davor, sich in einem Bilde fangen zu lassen, ein allzu großes Wohlgefallen im Genusse eines Bildes zu finden. Er lernt mit Schmerzen Askese zu üben, er erkennt ihre Notwendigkeit. Er lernt und gebraucht immer mehr seine Macht, sich von ihnen zu lösen im Augenblick der Gefahr, mit und in ihnen die Wahrheit, die im Intellekt daheim ist, zu verfehlen oder zu verlieren. Jenes dreistöckige Haus z. B. hat wohl eine Einheit im Hause selber, das die drei Stockwerke zusammenhält wie die Person Körper, Seele und Geist. Aber jedes der Stockwerke ist von derselben Materie, und was sie miteinander verbindet, die Treppe, ist wiederum von derselben Materie, und der Übergang vom einen zum andern ist kein Geheimnis wie der Übergang von der Materie zum Leben, vom Leben zum Geist, so daß auch in den innigsten Formen existentieller Annäherung zweier Ordnungen ein Abgrund der Diskontinuität bleibt, nicht zu überschreiten für unsere ratio. Das Bild wird, wenn es mehr sagen soll, als es wirklich sagt, kindisch und roh und – falsch.
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Der philosophische Materialismus ist in gewissem Sinne geistiger und insofern aristokratischer, gleich dem Atheismus, der ihm notwendig entspricht, als die immer mittelmäßige Mitte einer Lebensphilosophie und der ihr notwendig entsprechende Pantheismus. In beiden ist der Geist sich selber unbekannt, blind gegen sein eigenes unvergleichliches Sein, seine unvergleichliche Tätigkeit, die aus diesem Sein fließt und die ein Leben ist, blind gegen seinen Primat und seine offenbare und verborgene Herrschaft, unheimlich blind gegen das Faktum, das eigentlich klar ist wie der Tag, daß doch er es ist, der alle diese Systeme macht, auch die, die ihn leugnen. Wer sollte es denn sonst tun! Über dem Geiste ist nichts außer ihm selber, das ihn und alles andere erforschen und erkennen könnte, denn nur der Geist erkennt die Tiefen des Seins. Es gibt keine Anaphysik oder Anapsychik, es gibt nur eine Analogik, denn überall und in allem ist der Geist, der Logos, aber nicht in gleicher Weise. Warum sage ich, daß in gewissem Sinne der philosophische Materialismus und der ihm entsprechende Atheismus geistiger, aristokratischer sei als eine Lebensphilosophie und der Pantheismus, der notwendig ihr Korrelat ist? Wohlan: Was erkennt im philosophischen Materialismus der Geist, ohne sich selber zu erkennen – aber das tut er in der Lebensphilosophie ja auch nicht –? Er erkennt ein primum, ein principium, welches die Materie zweifellos ist. Es entspricht dem Wesen des Intellekts mehr, erfüllt es mehr, ein wirkliches primum, und sei es auch nur das primum von unten her, zu erkennen und festzustellen, als bei einem vagen Mixtum oder besser Medium zu verweilen, das nicht Fisch und nicht Fleisch ist.
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Der philosophische Materialist geht von der unwiderlegbaren Tatsache aus, daß in dieser Welt das Leben wie der Geist die Materie zur Voraussetzung hat; wesensmäßig und geschichtlich, essentiell und existentiell. Sie ist in der Konstitution dieser Welt ein primum, und ein Hausbau muß wohl oder übel mit dem Fundamente begonnen werden. Weil dieses schließlich zu evident ist, ist die Lebensphilosophie dazu verurteilt, aus dem »Leben« in dieser Welt ein primum zu machen und die tote Materie früher oder später zu leugnen. Aber eben hier läßt der gemeine Menschenverstand sich nicht so leicht betrügen und auch nicht die in seinen primitiven Kenntnissen ruhende Wissenschaft der Physik, so sie nur reinlich und nüchtern bleibt und sich nicht beirren läßt durch phantastische Grenzüberschreitungen: Ein Stein ist eben ein Stein, und er ist eben nicht lebendig, sowenig wie Kohle oder Gold oder Eisen oder ein Kristall. Ihr Sein ist eben nicht ein Lebensein. Die Kraft der Elektrizität, die Bewegungen des Lichtes oder der Gase sind eben nicht Kraft und Bewegungen eines Lebewesens. Ich weiß nicht, was unheimlicher wirkt: die scheinbar lebendige Bewegung eines toten Körpers oder die scheinbar mechanische eines lebendigen. Eine Philosophie, die aus irgendeinem Grunde gezwungen ist oder sich dazu verführen läßt, diese primäre Ordnung nicht mehr zu sehen, nicht mehr wahrhaben zu wollen oder wahrhaben zu können, weil sie sonst primitive Gesetze der Logik ihrer eigenen Voraussetzungen verletzen würde, ist eben in diesem Betracht eine falsche Philosophie. Da ist nicht zu helfen. Es handelt sich bei dieser Gegenüberstellung von Materialismus und Lebensphilosophie wahrlich nicht darum, leugnen zu wollen, daß der Lebensphilosoph eine unermeßliche reale und autonome Ordnung des Seins mehr sieht als der Materialist: eben das Leben. Aber er sieht sie nicht »in der Ordnung«, wenn er sie für ein » primum« hält und erklärt und das Sein des Geistes ausläßt oder es, analog dem Materialisten, für eine bloße Nebenordnung auf derselben Stufe, für eine bloße Funktion, nun zwar nicht mehr der bloßen Materie, sondern eben des animalisch-physischen »Lebens« hält. Er ist dazu verdammt, die Wahrheit und also das volle Sein nie zu erreichen. Er bleibt Partikularist, Separatist wie der Materialist, und läßt ein Sein aus, das ihm doch gegeben ist, ob er es nun beachtet oder nicht beachtet. Wer aber ein Sein ausläßt, erreicht niemals die ganze Wahrheit, denn Sein und Wahrheit entsprechen einander. Die größte intellektuelle Sünde eines Philosophen ist, etwas auszulassen. Ich will nicht müde werden, das zu sagen.
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Was aber läßt er aus, wenn nicht das Sein des Geistes, das primum von oben? Die Materie kann er nicht so leicht auslassen, wenn er auch ihr Sein, wie wir gesehen haben, fälschen und verkennen kann, wobei aber zu seiner Entschuldigung nicht übersehen zu werden braucht, daß zu dieser Fälschung und Verkennung ihn ein Korn der Wahrheit veranlassen kann – nämlich, daß das Leben, indem es Materie gebraucht und in seinen Strom reißt, sie sozusagen exaltiert, magnifiziert, sublimiert, sie zu mehr macht, als sie an sich, ruhend in ihrer eigenen noch so dynamischen Ordnung, zu sein gebunden ist. Indes der große Irrtum bleibt dann doch, diese Ordnung aufzulösen und die ihr entsprechende Wissenschaft, in diesem Falle die Physik, philosophisch zu ruinieren, was sich früher oder später unaufhaltsam dadurch rächt, daß diese Wissenschaft eine solche impertinente Philosophie und ihren Wahrheitsanspruch verdächtigt, verspottet, verachtet. Und sie hat recht. Die Materialität eines Steines, als Stein, wird nicht ungestraft geleugnet. Was der Lebensphilosoph wie der Materialist ausläßt, ist das autonome Sein des Geistes und die ihm adäquate Wissenschaft: die Metaphysik; was die Lebensphilosophie in ihrer zeit- und raumgebundenen unentrinnbaren Relativität nicht erreicht und übersieht, in dieses Wortes schlechter Bedeutung, ist das Absolute, das der menschliche Geist mit einigen wenigen lebendigen Sätzen zu erfassen vermag, z. B. mit dem Satze vom Widerspruch oder dem Gesetze der Kausalität. Was die Lebensphilosophie ausläßt, das ist das Sein des Geistes oder, da das doch nicht völlig möglich ist, da sie schließlich doch von ihm reden muß, das substantielle Sein des Geistes, und daß er ein primum ist, und zwar dieses Mal: von oben. Ein Sein also, das »für sich« sein kann, wie für den Materialisten die Materie, für den Lebensphilosophen das Leben. Das Sein des Geistes ist aber ein Leben. ᾙ γὰρ νοῦ ἐνέργεια ζωή. Die Aktualität des Geistes ist ein Leben, nicht eine Mechanik.
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Hat es aber vielleicht eine solche »Geistphilosophie« nicht gegeben? Ganz gewiß hat es sie gegeben und gibt es sie vom griechischen Altertum her bis zum Rationalismus und Idealismus. Historisch, also zeitlich zuerst kam in der europäischen Philosophie wohl das mixtum, das Medium einer Lebensphilosophie im Hylozoismus, dann aber fast zu gleicher Zeit die Lehre von der Materie und dem Atom und die Lehre vom Geiste, vom Nus, jeweils als einem primum in der Konstitution der Welt. Die Lehre vom Geiste, vom Nus, triumphierte in der Philosophie des Platon und Aristoteles und in der christlichen Philosophie, um zu entarten im Rationalismus und »Idealismus«. Die Entartung aber entstand großenteils durch eine Übersteigerung und Überbelastung des menschlichen, des »armen« Geistes, deren zweifellose Unwahrheit und Unwirklichkeit den »Geist« selber in Verruf brachte. Was dem menschlichen Geiste ohne Zweifel nicht möglich ist, nämlich ohne die Sinne und ohne die Imagination zu erkennen, das ist, so meint die Lebensphilosophie, auch dem Engel nicht möglich, dem reinen Geiste; ja dieser selber ist nicht möglich: es gibt keine reinen Geister, so statuiert die Lebensphilosophie. Was dem menschlichen Geiste zweifellos noch unmöglicher ist [wie übrigens auch dem kreatürlichen Geiste des Engels], auch nur ein Sandkorn, von dem er zuvor die Idee hat, aus dem Nichts zu erschaffen, das ist auch dem Geiste Gottes nicht möglich, so entscheidet die Lebensphilosophie. Es geschah wie immer in menschlichen Dingen. Das eine Extrem rief das andere. Wurde dem menschlichen Geiste zuviel zugetraut, so später überhaupt nichts mehr. Daß der Geist das primum ist im Bestehen und Sein dieser Welt, ist bei weitem die herrschende Lehre der europäischen Philosophie gewesen [bis auf diese Tage fast] und ist und bleibt es in der philosophia perennis, welche die Kirche bewahrt und bewahren wird bis zu den letzten Tagen. Was hat die Menschen von heute hauptsächlich veranlaßt [es gibt mehrere Gründe], sie aufzugeben zugunsten einer alles nivellierenden Lebensphilosophie? Ich sagte es eben schon: eine Überschätzung des menschlichen Geistes und im weiteren Sinne: des erschaffenen Geistes, eine menschliche superbia und denkerisch: ein bequemer Verzicht auf das etwas anstrengende Prinzip der Analogie. Im Denken soll alles schnell und sofort, soll alles leicht und ohne »Bedenken«, soll alles einfach und ohne »Unterscheidungen«, soll alles klar und deutlich und ohne »Geheimnis« abgehen. Alle superbia macht den Menschen bequem, zum stolzen Sklaven seiner Einfälle. Aus dem demütigen Ritter wird ein stolzer Kavalier, der die Wahrheit cavalièrement behandelt. Wenn der Rationalist den menschlichen Geist überschätzt und also über ihn eine Unwahrheit aussagt, die früher oder später entdeckt wird und sich rächt, wie jede Unwahrheit [eigentlich ist das uneigentlich ausgedrückt, denn was sich rächt, ist die beleidigte Wahrheit: ach, auch das ist wieder uneigentlich gesagt, denn eigentlich büßt der durch Schuld irrende Mensch], wenn, sage ich, der Rationalist mehr oder weniger schuldig irrt, so tut er es doch fast ausschließlich in der Ebene des Erkennens, das er auf das einseitig mathematische reduziert, wodurch er den an sich armen Geist des Menschen unnötigerweise noch ärmer macht: er unterschlägt und vergewaltigt das Leben der Sinne und der Leibseele des Menschen, an welche der menschliche Geist gewiesen und gebunden ist, und er verliert das Leben der Tugenden. Der philosophische Idealist geht um einen qualitativen Schritt weiter. Der menschliche Geist hat nicht nur, wie beim Rationalisten, das Privileg, unmittelbar wie ein reiner Geist, wie ein Engel, das Sein zu erkennen, sondern er hat – der Weg geht ja von Kant zu Fichte und Hegel – subjektiv, transzendental oder, ununterscheidbar mit dem Geiste Gottes Selber sich zusammenwerfend, das unmitteilbarste Privileg des Schöpfergottes, der Geist ist: die Welt, die Dinge kraft seiner Kraft aus dem Nichts zu heben und zu erschaffen – in der Phantasie. Es ist gut, daß der gemeine Menschenverstand den Rationalisten zur Ordnung ruft, indem er ihm zeigt, daß das menschliche Erkennen von den Sinnen ausgeht und nicht von den klaren Ideen und ihn hinweist auf die Geheimnisse und nicht aufzuhellenden Dämmerungen unseres Erkennens; es ist noch besser, daß derselbe gemeine Menschenverstand den Idealisten zur Ordnung des Geschöpfes, und nun sowohl des Menschen wie des Engels, zurückruft, indem er ihn zu bedenken heißt, daß seine Ohnmacht, aus dem Nichts zu schaffen, absolut und unabänderlich ist; daß der Geist wie dessen Gegenstand gegeben wird. Die ganze unheimliche Phantastik des Rationalismus und des Idealismus wird von einer Philosophie aufgelöst, die auf die Gegebenheiten des gemeinen Verstandes zurückgeht. Aber auch dieses geschieht nicht immer in der Ordnung. Es besteht nämlich eine Harmonie zwischen dem gemeinen Verstand und der echten Philosophie, die von beiden Seiten gestört werden kann. Werden die vagen Gegebenheiten des gemeinen Verstandes von dem philosophischen Geiste mißachtet, so entsteht eine falsche Philosophie, die hinwiederum rückwirkend den Verstand schwächt und entmutigt, seine Wahrheiten anzumelden. So leistet der menschliche Geist feige oder verzweifelt oft lieber überhaupt Verzicht auf die echte Philosophie, als daß er sich tapfer der Mühe der Wiederherstellung der wahren unterzöge. Ein Produkt solcher Schwächung durch grobe Irrtümer ist die Lebensphilosophie. Ich meine ausdrücklich die moderne, die von einer Höhe absteigende oder fallende oder abgefallene, nicht etwa den Hylozoismus, der zur Höhe führen konnte und geführt hat. Die Lebensphilosophie ist die schlechte Mitte und geistige Mittelmäßigkeit, intellektuell eine peinliche Sache. Das zeigt sich sofort im Hinblick auf – Gott.
Ist die Materie das primum, so ist kein Gott. Der strenge Materialist ist notwendig Atheist.
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Ist der Geist das primum, so ist notwendig Gott, der in der Sphäre der Erkenntnis das sich selber denkende Denken ist, in der Sphäre der Macht der erste unbewegte Beweger und die Erste Ursache alles Seienden. Mit dieser Philosophie ist die Metaphysik da und in einem die natürliche Theologie. Ein solcher Philosoph ist notwendig Theist auf Grund natürlicher Erkenntnis, diesseits der Offenbarung: er ist Christ im Advent. Ist das Leben das primum in dem Sinne, wie es heute zwar nicht verstanden, denn es kann nicht verstanden werden, aber gesagt wird, dann ist ein intellektuelles Chaos da, dann ist Gott und ist auch wieder nicht, d. h. dann haben wir den werdenden Gott, dann ist Licht und Finsternis ungeschieden in dem, der sie doch scheiden soll, dann haben wir Wandel von Licht und Finsternis in dem, der Licht ist, dann haben wir die Absurdität selber. Mit einer solchen Lebensphilosophie ist die Möglichkeit einer Metaphysik und einer natürlichen Theologie vernichtet. Ein starker Intellekt, dessen Gegenstand das Sein ist, weiß, daß Gott entweder ist oder nicht ist, und, wenn er ist, die Erste Ursache ist, die Erste Wahrheit ist, der absolute Richter ist. Die Weisheit der Heiligen Schrift spricht nur von dem Toren, der da sagt, es ist kein Gott, und dem Weisen, der weiß, daß Gott ist, und danach handelt. Sie stellt diese beiden wahrlich nicht auf eine Stufe, als ob beides in Wahrheit möglich und im Sein gleichermaßen begründet sein könnte – eine Kluft ist zwischen ihnen –, aber sie hält doch beide für der Rede wert, während sie, in objektiver Verachtung, nicht einmal nennt einen, der da sagt: Gott wird. In Wahrheit ist das ja auch nur eine Erfindung einer Philosophie, die die Probleme sich selber macht, anstatt sie sich geben zu lassen vom Sein und von den Dingen selber. Vielleicht kann der Satz: »Gott wird« in der Erfahrung des Mystikers einen einem Sein, einer Wirklichkeit entsprechenden Sinn, einen mystischen Sinn haben: Gott schenkt sein Sein dem Nichts, wird Nacht und Licht der armen Seele, aber das ist ein um eine Welt anderes als der Satz des Philosophen, der seine natürliche Kraft verloren hat und einen in simplem, ja banalem Sinne metaphysisch falschen Satz sagt. Einmal spricht der christliche Mystiker kraft der übernatürlichen Gnade, welche die Philosophie niemals aus eigenen Kräften kennt oder erreicht, und spricht eben deshalb in einer Sprache ganz anderer, nämlich spiritueller Wesensart, mit einer Abgelöstheit und Rücknahmefähigkeit, mit einem absoluten Symbolismus, die die Sprache des natürlichen Philosophen gar nicht haben kann, ja gar nicht haben darf, ohne nichtssagend zu werden. Zum andern spricht der christliche Mystiker auf dem Grunde der natürlichen und der Offenbarungstheologie durchaus im Einklang mit dem allerersten theologischen Satze, daß Gott IST, der Er IST: Ego sum qui sum. Er spricht über dem Abgrund eines für ihn an sich unaussprechlichen Seins. Er ist creatura im kreatürlichsten Sinne des Wortes, creatura nach dem Herzen Gottes: arm im Geiste und darum fähig, den Geist Gottes zu empfangen.
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Es gibt normalerweise, von der natürlichen Philosophie als der wissenschaftlichen Erweiterung des gemeinen Verstandes aus gesehen, den Materialisten, welcher notwendig Atheist ist, und es gibt den »Intellektualisten« im Sinne der ewigen Philosophie, der philosophia perennis, welcher notwendig Theist ist und notwendig vom Geiste her, der ein Leben ist, auch das Leben erkennt. Beide gehen von einem primum aus, der eine von unten, der andere von oben. Der »Lebensphilosoph« aber pfuscht und manscht; von ihm möchten wir, diesmal ein Wort Zolas variierend, sagen: il n'a pas notre estime intellectuelle. Ich möchte noch einmal betonen, daß diese moderne Lebensphilosophie durch eine entgegengesetzte Richtung und Tendenz sich unterscheidet von dem alten Hylozoismus, der inhaltlich mit ihr ein Gemeinsames ohne Zweifel hat. Jener Hylozoismus hatte die Tendenz zum Nus, zum Geist, als einem höheren, Materie und Leben einschließenden, formgebenden und beherrschenden Prinzip. Die moderne Lebensphilosophie dagegen schließt den Geist, wenn nicht aus, so doch nur ein als Nebenerscheinung, als mehr oder weniger erwünschte oder unerwünschte, nützliche [wem? dem Leben natürlich, antwortet da ohne Besinnung der Lebensphilosoph] oder überflüssige Funktion. Trotzdem bleibt eine substantielle Beziehung zwischen dem Hylozoismus und der Lebensphilosophie, so wie auch eine substantielle Beziehung bleibt zwischen dem Materialismus Demokrits, der Franzosen des achtzehnten Jahrhunderts, der Büchner, Moleschott, Haeckel des neunzehnten und dem Materialismus, wie er heute verstanden und repräsentiert wird. Das Gemeinsame bleibt hier der logisch geforderte Atheismus auf Grund der These, daß das primum alles Seins und alles Seienden »Materie« ist. Wenn der sozusagen klassische Materialismus sogar bis Haeckel das universale Sein [darin durchaus achtungswert, denn was für ein mittelmäßiger Kumpan ist doch ein »Philosoph«, der nicht das universale Sein verstehen will!] seiner Erklärung unterwirft, so ist der Materialismus, wie er heute sowohl populär wie wissenschaftlich und philosophisch verstanden wird, durchaus eingeengt, »beschränkt« auf den Menschen, er ist anthropozentrisch, und sogar nicht bloß auf »den Menschen« zentriert, sondern auf den Menschen einer bestimmten Klasse. Was aber ist für einen anthropozentrischen Materialismus Materie? Das ist nicht schwer zu sagen, das versteht jeder. Der Mensch muß essen, trinken, sich kleiden; er pflanzt sich fort, und er führt Krieg. So ist Materie alles, was der Befriedigung dieser Bedürfnisse dient, unmittelbar, von unten her zuerst, also als ein primum, d. h. »materiell« dient: alle Nahrungsstoffe, alle Stoffe überhaupt, Rohstoffe, Halbstoffe, alle Technik, alle notwendigen Mittel, die Arbeit, das Geld, das Kapital. »Materie« ist schließlich für die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes die nackte Sexualität. Alles, was darüber hinaus vorgefunden wird, ist abhängig von, erklärbar durch die »Materie«, welche das primum ist, ist sekundäre Ideologie, im besten Falle Verfeinerung, Sublimierung, Luxus gegenüber der am Anfang – und am Ende! – stehenden »nackten Existenz«, als welche die materielle ist in dieser Welt und bleibt.
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Es hieße vor dem Relativismus und Historismus kapitulieren, wollte man leugnen, daß im menschlichen Geiste überhaupt als Möglichkeiten beschlossen liegen, nicht als gleichwertige, wahrlich nicht, aber doch als Möglichkeiten verschiedener Dignität in Beziehung auf Wahrheit: die Philosophie der Materie, des Lebens, des Geistes oder des »Seins« als Gegenstandes des Intellekts, welcher der Lichtkern des Geistes ist. Diese Möglichkeiten sind dem menschlichen Geiste immanent. Sie werden nicht durch Zeit und Umstände, durch Rassen, Klassen, Gesellschaften, Individuen erschaffen, wohl aber durch sie in mancherlei Gestalten bevorzugt, akzentuiert und realisiert. Wollte man dieses leugnen, so könnte man schließlich auch noch dazu schreiten, die Unterscheidung von Wahr und Falsch, von Gut und Böse, von Schön und Häßlich relativistisch und historistisch, soziologisch, rassisch, schließlich statistisch zu erklären, während sie primordiale Unterscheidungen des Geistes, und also auch des menschlichen Geistes sind. Aber die Begriffe relativistisch und historistisch, deren Merkmal die Leugnung oder logische Zerstörung des Absoluten ist, bezeichnen nur eine Entartung der im gegebenen Sein sich notwendig aufdrängenden Begriffe des Relativen und Historischen oder Geschichtlichen. Denn von ihnen gilt, daß beide, der erste mehr logisch und essentiell, der andere mehr existentiell ein absolutes Sein und Dasein im Ewigen, einen Anfang und ein Ziel in der Zeit voraussetzen. Da es in Ewigkeit eine Hierarchie des Seins und der Werte gibt, ist auch in Ewigkeit und im Ewigen eine Relativität des Niedereren gegenüber dem Höheren und dem Höchsten – ohne den Nebenton der »Erniedrigung« und der »Befleckung«, den das Wort »nieder« in unserem Äon hat – gegeben, so daß auch der verklärte Geist diese Seinsordnung sehen mag. Von »Relativismus« als Aufhebung des »Absoluten« oder gar Leugnung desselben ist hier keine Spur mehr. Im selben Nu, da es Zeit gibt und solange es sie gibt, ist auch Geschichte, und zwar wesentlich Geschichte. Das kann von der Zeit nicht genommen werden, sowenig wie vom Raum die Materie. Aber das ist kein Historismus, der vielmehr die Fäulnis oder die Dürre, die Verdorrung der Zeit ist, wenn ihr das Absolute, das Ewige genommen wird, wenigstens in der täuschungs- und irrtumsfähigen Vorstellungs- und Denkkraft des Menschen, denn im Sein selber kann es ihr ja nicht genommen werden. Wahr und gut und schön, das ist ewig, das ist der Zeit »gegeben«, das erschafft sie nicht, so unbestimmbar vieles sie auch erschaffen mag. So kann man auch sagen: Wahr und gut und schön, das ist ihr aufgegeben, daß sie es entdecke, daß sie es anschaue, daß sie es tue, daß sie es schaffe in geheimnisvoller Wechselwirkung dieser drei Tätigkeitsweisen. Aber nicht nur dieses Humane wirkt in der Geschichte sich aus, nein: Gott Selber, die Erste Wahrheit, das Höchste Gut, die Schönheit Selber ist in der Geschichte als Erste Ursache, indem Er die Wahrheit offenbart, das Gute und Barmherzige tut, die Sonne der Schönheit leuchten läßt. Die echte Geschichte ist die seinsgegebene Kategorie des erschaffenen Daseins schlechthin, so daß also nichts, was an erschaffener Existenz überhaupt ist, außer ihr ist, sondern alles in ihr. Es gibt auch erschaffene Wesen: sie sind außer ihr, wie von vornherein alles unerschaffene Wesen, natürlich – aber nur sie. Relation und Geschichte also setzen das Absolute in Sein und Dasein voraus, sie lösen es nicht auf wie Relativismus und Historismus, die eigentlich nichts anderes als eine moderne Form der Skepsis sind. Sie ist elephantiasistisch angeschwollen durch die Fülle der Materie, die empirische Wissenschaften aller Art, namentlich aber die Psychologie angeschwemmt haben, die das eigentliche formale Problem, das jedem Wissen und jeder Äußerung von Wissen zugrunde liegt, nämlich das Problem der Wahrheit: ob wahr oder falsch, für geschäftige Menschen gar nicht mehr erraten, geschweige denn zutage treten läßt. Ob dieses Anschwalls der Materie ist der Historist noch weniger geneigt und kann es noch länger hinausziehen als der klassische Skeptiker, das einzige zu tun, was ihn im letzten Augenblick vor dem Fall in die Absurdität retten kann: zu schweigen.
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Der Historist läßt nicht die Welt und die Dinge und den Menschen in der Endlichkeit, in der Zeit und also diese selber von einem Ewigen Unerschaffenen Schöpfer aus dem »Nichts« erschaffen sein, schwebend sozusagen immer über dem Abgrunde des Nichts, sondern er stellt die Welt und die Dinge und den Menschen, also Zeit und Endlichkeit auf das Nichts; und das ist phantastisch und wird absurd. Nun bestimmt nicht das Sein das Nichts, sondern das Nichts das Sein. Und der unmögliche Versuch, Unverständliches verständlich zu machen, den Nihilismus zur Ontologie zu erheben, kann endlos beginnen. Relativismus und Historismus – Annexe übrigens der Lebensphilosophie – sind verdammt zur Dialektik des »Nichts«, die verwirrend ist, ein Labyrinth, ohne Eingang und Ausgang; sie sind dazu verdammt, an Stelle des Absoluten [ohne das tut es, wenn auch oft insgeheim, der menschliche Geist nicht] nicht das Unerschaffene Sein, also Gott, zu setzen, sondern das Nichts, als Erklärung des schlechthin Unerklärlichen. Und dann ereignet sich ein Unvermeidliches. Je mehr einer in Philosophie und Geschichte dem Nichts die Präponderanz zuschreibt, um so mehr wird es zu einem Sein, ja schließlich zu einem absoluten Sein. Und – in Parenthese – Hegel kann als Retter auftreten aus den Dschungeln dunkelster ressentimenterfüllter, das Licht scheuender Psychologien. Die Dialektik des Nichts wird unentrinnbar, wenn dieses auch nur das geringste Sein zu sein oder zu haben Anspruch erhebt. Nun aber können wir gar nicht anders, als vom Nichts in der Sprache des Seins zu sprechen, wir laufen beinahe Gefahr, es zu einem Ding zu machen und absurd zu werden. Aber selbst wenn wir uns davor hüten durch Wachsamkeit des Denkens und Spiritualisierung der Sprache: vom Sein kommen wir nicht los, solange wir sind. Zweifellos haben wir recht zu sagen, daß auch dieses verwirrende Geheimnis in der Hut des göttlichen Geistes ist, daß erst für den Geist Gottes das Nichts eben nichts – ja was denn, sagen wir, was wie von selber folgt und auf der Zunge liegt, sagen wir: ist, so sind wir ja wieder im Sein und sagen vom Nichts, was ihm schlechterdings nicht zugehört, ein Sein aus. Wollten wir uns retten dadurch, daß wir sagen, daß nur vom Geiste Gottes auch das Nichts in Wahrheit als das Nichts erkannt werde, so sind wir ja wieder in der Fülle des Seins, denn erkannt wird nur ein Sein, nicht das Nichts. Und Sein und Wahrheit fallen zusammen, so daß in alle Unwahrheit das Nichts gemischt ist, wie in anderer Weise das Gute in jedes Böse und das Schöne in jedes Häßliche. Aber dieses Nichts ist ja nicht. Hartnäckig verharren Gedanke und Sprache im Sein. Indes: kann man das Nichts nicht vielleicht »erleben«, wenn man es schon nicht weder denken noch sagen kann. Gerontius auf seinem Sterbebett beschreibt es und sagt:
As though my very being had given way,
As though I was no more a substance now,
And could fall back on nought to be my stay,
[Help, loving Lord! Thou my sole Refuge, Thou]
And turn no whither, but must needs decay
And drop from out the universal frame
Into that shapeless, scopeless, blank abyss
That utter nothingness, of which I came:
This is it that has come to pass in me;
O horror! ...
Wohlan, dieses ist um ein fundamentales Fühlen mehr, das vielleicht auch das Tier hat, wenn es in sein Nichts, in seinen Tod geht. Ein Furchtbares, eine elementare Angst, ein horror. Es ist um das Leben des Blutes und der Seele mehr, aber ein menschliches, ein humanes Erleben ist es doch nur durch das dies alles beherrschende und erleuchtende Leben des Geistes, das aber schon im reinen Denken und Wissen ist, die hinwiederum das unvergleichliche früchtetragende Leben des so oft geschmähten zur mechanischen oder höchstens organischen Funktion erniedrigten intellectus sind. Ein weisender Stern in der Trostlosigkeit eines vehementen Denkhasses wäre diese feste Erkenntnis vom vollen und sublimen Leben des intellectus, als des Kernes des Geistes überhaupt, der mehr als die Pflanze und mehr als die Seele des Tieres – lebendig ist, das Prinzip, das primum – von obenher – des Lebens ist.
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Man sehe sich die Verse Newmans an und so manche anderen Sätze heiliger Mystiker, die noch tiefer und spiritualer das Nichts erlebt haben und von diesem Erleben künden: sie müssen es doch äußern in den Formen des intellektuellen Erkennens. Wie heißt es doch: Als wäre ich keine Substanz mehr; als könnte ich zurückfallen in das Nichts. Als könnte ich fallen aus dem universalen Gefüge in jenen gestaltlosen, raumlosen schieren Abgrund, in dieses äußerste Nichts, aus dem ich kam ... Wahrlich: welch ein aktives Lehen des menschlichen intellectus war nötig, um zu diesen Begriffen als seinen Früchten zu gelangen! Sie, die Künder solcher Erlebnisse müssen sie künden in den Linien des Seins, die nur der Intellekt im Menschen ziehen kann. Wohl, sie lassen sie umwachsen mit »Fleisch« und sich füllen mit »Blut«, sie inkarnieren, was der komplexen Natur des Menschen entspricht, die immateriellen Formen, die hinwiederum nur der lebendige Geist erkennt. Aber sie müssen diese als Fundament haben. Anders nämlich müßten sie schweigen, und zwar schweigen nicht wie ein Mensch, der Geist ist, schweigen kann, sei es in Hochmut, Hohn und Verachtung, sei es in Niedrigkeit, Scham und Verzweiflung, sei es in Hoheit, Barmherzigkeit und Liebe, nicht wie ein Mensch also, der Sprache hat als köstlichste, sichtbare, hörbare Frucht des Lebens des Geistes, und zwar des intellectus in ihm, so daß auch sein Schweigen ein Teil seiner Sprache, ein »Wort« sein kann. Sie müßten schweigen, wie das Tier schweigt, das die »Sprache« nicht hat, weil es den Intellekt nicht hat. Das Schweigen des Tieres ist seinem Sein nicht gewachsen, weil es den Intellekt und die Sprache nicht hat, es kann zuweilen zur Not interpretiert werden durch den Intellekt und die Sprache des Menschen. Denn einem Sein gewachsen, mehr oder weniger, ist allein der Intellekt, in welchem die Wahrheit »daheim« ist. Wahrheit ist das, was dem Sein entspricht; sie fallen im idealen Falle zusammen. Das Erleben, um ein menschliches zu heißen, hat in sich das Wissen. Wissen aber gehört zum Intellekt. Es geht nicht an, das Wissen vom Allgemeinen, das implizit in jeder Erkenntnis des gemeinen Menschenverstandes liegt und zum Ausdruck kommt und in der ewigen Philosophie zu klaren Sätzen drängt und Wissenschaft wird, schroff entgegenzusetzen, als sei es von anderer Art, dem weisen Wissen, das nur durch das eigene Erleben einer Person gewonnen und gehabt werden kann. Das Erleben, um ein menschliches zu sein, ist nicht bloß ein Wissen, es hat sozusagen als Materie, als ein bestimmtes Sein und Nichtsein, etwas, was unter Umständen auch das Tier, ja der Stein haben kann, z. B. die Existenz, die auch dem Steine zukommt, ohne daß er irgendeine Art von Erleben dieser Existenz hat. Das Tier »erlebt« Lust und Qual, Zeugung, Geburt und Tod, aber ohne dieses Wissen vom Allgemeinen, das erst die Fülle des menschlichen Erlebens möglich macht, ohne das kein Mensch Mensch heißt, ohne das keine Religion ist, keine Offenbarung, kein Glaube, keine Theologie, keine Philosophie, keine Kunst, keine Wissenschaft. Es ist gewiß ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Hersagen des Kindes und der Mehrzahl »gesunder« Erwachsener, daß man sterben muß, und dem gelebten Wissen und Sprechen des Weisen, der seinen Tod mit einlebt und einweiß in sein Leben. Aber es ist ein Unterschied im geistigen und intellektuellen Leben des Menschen.
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Unsere Lebensphilosophen, die von der Verachtung oder doch Verkennung des Intellekts und des geistigen Seins leben, täten doch gut daran, zu bedenken, daß die Milliarden Tiere selbst das bloße Hersagenkönnen nicht haben, daß sie sterben müssen, geschweige denn, daß sie ein innerstes Erleben davon haben, dessen sublimster leuchtender Kern eben ein »Wissen« ist. Wissen aber ist immer nur die Frucht eines Intellekts. Pascal in seinem berühmten Worte vom roseau pensant, das der Mensch sei, geht, um die unermeßliche Distanz und die unüberschreitbare Kluft zu kennzeichnen, die zwischen dem heute allein anerkannten »Leben« und dem Geiste, der selber kein Leben habe oder sei, auf die niederste Form überhaupt des »Lebens« zurück, auf die Pflanze, und setzt sie zusammen mit dem Participium praesentis des Denkens, mit dem gegenwärtigen Teilhaben am Denken, also am Tun des Intellekts. Dieses Teilhaben an hierarchischem, schlechterdings nicht ineinander übergehendem Sein macht aus die wunderbare labile Einheit des Menschen. Teil hat er am Stein, an der Pflanze, am Tier und am Engel. Und teil hat er durch die Gnade und den Glauben am Unerschaffenen Sein, an der Deitas Gottes. Aber lange noch und weit weg von der Gnade Gottes und dem übernatürlichen Glauben spricht Pascal, der große Denker, von dem roseau pensant, mag ihm auch, gewiß, die Gnade und sein christlicher Glaube dazu geholfen haben. Er spricht noch keineswegs vom realsten Sein der offenbarten Gnade, von den Geheimnissen des Trinitarischen Gottes. Er spricht von einem natürlichen Sein, das also der natürliche Geist entdecken und demonstrieren kann, von einem natürlichen Sein, das prinzipiell die philosophia perennis in Platon und Aristoteles finden konnte und auch gefunden hat.
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Wie denn? Soll das Denken, das im Menschen dazukommt und allein seine menschliche Würde ausmacht, niedriger sein, als das Sein des Schilfrohrs, das er auch ist, nicht vorher, sondern zugleich ist? Soll es weniger sein als das »Leben« der Pflanze und des Tieres? Oder – manchmal ist der Lebensphilosoph entgegenkommend! – soll es auf der gleichen Stufe stehen, soll es nivelliert sein auf die eine Ebene des Lebens, die ohne qualitative Unterscheidungen eine Einheit ist für Pflanze, Tier und Mensch, die eher noch die Materie, den Stein, auch noch in sich aufnimmt, als den reinen existierenden Geist herausragen läßt in ein höheres Sein, das dann notwendig ein höheres Leben sein muß?! Weniger kann es nicht sein. Dann also ist der Geist und sein Lichtkern, der Intellekt, ein Organ, eine Funktion des »Lebens«, insofern also noch lebendig. Es ist gewiß eine Eigenheit des Lebens, aus seiner übergeordneten Einheit heraus sich Organe, funktionerfüllende Organe zu schaffen, die dieser Einheit »blind«, in blindem Gehorsam [das Wort hat hier seine absolut wörtliche Bedeutung] dienen. Sie sind in jeder Weise nur um der Einheit willen, die zuerst ist, dem Wesen wie der Existenz nach. Sie sind real nicht möglich und in der Idee nicht denkbar ohne das Ganze, das sie schafft und erhält. Es gibt keine Lungen und keinen Magen, die an sich und für sich allein sein und wirken könnten. Gewiß wird ein Lebensphilosoph sofort sagen, daß dasselbe auch für den Geist und im besonderen den Intellekt gelte; er ist ein Organ und eine Funktion des Lebens, im konkreten Falle des Lebewesens. Aber wenn er nicht ganz stur ist, wird er doch gezwungen, auf einen Unterschied aufmerksam zu werden. Niemand wird ihm als ein Problem die Autonomie des Atmens und Verdauens vorhalten, bei dem sich etwas denken ließe, aber von einer Autonomie des geistigen Seins spricht sinnvoll auch der noch, der ein reines Geistsein, losgelöst von dem Unterbau des materiellen und des vegetativ-physischen Lebens leugnet oder, vorsichtiger: in suspenso läßt, da es ihm noch nie vorgekommen sei. Selbst dann noch also ist der Geist ein Sein und erschafft sein Wirken und Tun ein objektiv Seiendes, die ihn ohne jeglichen Vergleich emporheben über alles, was sonst als Organ und Funktion des »Lebens« sinnvoll gelten mag. Er hat einfach und schlechthin seine eigenen Gesetze.
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Auf den, der das einmal gesehen und eingesehen hat, wirkt ein Lebensphilosoph wie der physisch Blinde, der ja deshalb immer noch tasten kann, auf den physisch Sehenden, wobei der Vergleich aber nicht hinanreicht an die Größe des Artunterschieds, der da ist zwischen dem pflanzlich-animalischen Leben und dem unvergleichlichen immateriellen Leben des Geistes. Denn das ist es, was den Artunterschied macht, was hinzukommt zu dem Leben des Geistes und des Intellekts in ihm: die Immaterialität. Weniger als Leben kann das geistige Sein nicht sein, es kann nicht Totes sein wie die Materie, der Stein, es kann nicht Organ und Funktion sein wie Lunge und Magen, Atmen und Verdauen: es kann nur mehr sein, ein Leben zwar immer, denn Leben ist ein höchstes Sein und ein höchster Begriff, aber das eigentliche Leben, von dem alles Leben niederer Art erst Sein und Namen hat, da es die Sprache, das Wort zeugt und gebiert – gibt es eine köstlichere Frucht als das Wort?! –, ein Leben so absoluter Art, daß es der menschliche Geist, der an Sinne und Materie gebunden ist, zwar nicht nur »lebt«, sondern auch noch »dunkel« ausdrücken kann im dämmernden Lichte gleichsam und nur negativ: es ist ein immaterielles Leben, das zu seiner Selbsterfassung ein angestrengtes Denken verlangt, nicht ein unnatürliches, wie der Bequeme gerne sagen mag, denn das geistige immaterielle Sein gehört zur Natur des erschaffenen Menschen und ist ihm vom ersten Augenblick seiner Existenz an gegeben, aber wohl ein angestrengtes durch den Widerstand der nur im Anfang helfenden Sinne und durch das Gesetz des »Leibes«, als der seelisch ergriffenen und erfüllten Materie, die gehorsam und bereit sein kann, den Geist zu empfangen, aber auch nicht sein kann und in der Regel nicht ist: nach dem Sündenfall.
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Es ist nur in einem Abfall vom Christentum möglich und auf Grund jahrhundertelang zehrender und fressender Häresien, die ja auch ihre »Früchte« tragen, aber was für welche!, den Geist entgegenzusetzen, wenn man ihn nicht unterschlägt und ohnmächtig verdrängt, dem sinnlich-seelischen Leben, der Vitalität. Damit ist man mitten im Irrsinn, ja eigentlich im Irresein. Denn was, um des Himmels und der Erde willen, soll er denn sein, wenn nicht: ein Leben, ein in der Potenz lebendiges Sein; der Geist, der lebendig macht! Da ist keiner – noch einmal und immer wieder –, der mich übertreffen soll, die Sprache des Menschen zu preisen, die wundersame Tochter des Logos. Aber sie will gepriesen werden in der Wahrheit, dem Reiche ihres Vaters; sie verachtet nicht die Rhetorik, aber die Phantastik der Lüge. So muß ich sagen, daß sie das Leben des Geistes, durch das und in dem sie doch ihr Lehen hat, nur schwächlich sagen kann: durch Steigerung, durch ein »über«; sie kann sagen, daß der Geist ein Überleben sei, und sagt nichts Unwahres. Sie kann es noch stärker – via negationis – durch die Negierung eines wesentlichen Bestandteils des animalischen Lebens sagen: der Geist ist ein immaterielles Leben. Aber ein Leben; nicht ein Nichts oder ein völlig unsagbares, sondern ein analogisch sagbares Sein. Also ein eigenes, an sich unvergleichliches Sein, ein von fremdem Licht umrandetes und zugleich aus eigenem Licht blendend leuchtendes Sein, so daß unsere Augen, an schwächeres Licht gewöhnt, es nicht sehen können als Licht, sondern als Nacht, was ein Bild für »analogisches Sein« überhaupt sein mag. Siehe Christentum und Kultur: Über das Prinzip der Analogie.
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Es gibt heute zwei Arten von Lebensphilosophien. Die erste hat ihren Ursprung in dem größten deutschen Dichter, in Goethe. Bei ihm ist der Geist noch schön eingebettet in einem reichen Leben, aber die Ordnung ist längst gestört. Immerhin kann man sagen: wäre der Genius Goethes auch philosophischer Natur gewesen und nicht nur dichterischer, Goethe wäre davor bewahrt geblieben, den zweifelhaften Ruhm zu haben, der immer wieder aufgerufene Nährvater einer Lebensphilosophie, einer biologischen Weltanschauung zu werden, deren Ende die Unverständlichkeit selber ist. Die Geschichte dieser Lebensphilosophie ist grausam. Es kam in Deutschland Dilthey; dieser äußerst sympathische Professor hat »das Leben« zum unheimlichen Schoße auch des Geistes gemacht. In aller freundlichen Humanität wird das gelehrt und mit aller Vornehmheit, die diesen reich gebildeten und vielfach interessierten Geheimrat ausgezeichnet hat, ahnungslos. Aber diese Lebensphilosophie ist auf die Straße gegangen und ist von robusteren Geistern als Fundament ungereimter praktischer Handlungen dogmatisiert worden. Da ist ein Strom des Lebens, und in ihm ist der Mensch eine Einheit aus Körper, Seele und Geist, und diese drei sind zwar nicht völlig gleichwertig, da die beiden ersten doch immer noch wichtiger sind, aber unentbehrlich ist doch auch der Geist, weil er die Rolle der Mitteilung, der Einteilung, der Organisierung, kurz: des Verkehrs hat. Man blickt auf zwei Jahrtausende des christlichen Europa zurück, und man schämt sich, man friert im Herzen. Es gibt noch eine zweite Art von Lebensphilosophie. Sie stammt von Nietzsche. Sie ist aristokratischer und – geistiger. Ihre verzweifelte Paradoxie hindert sie, so leicht auf die Gasse zu gehen, wie jene erste, die den Vorteil der leichten Eingänglichkeit in mittelmäßige Geister – hätten sie auch in einer niederen Dimension gigantisches Ausmaß – und des Verzichtes auf Anstrengung sublimer Art hat. Nietzsche war nicht weit von dem bekannten Urteil Kierkegaards über Luther. Nietzsche von Haus aus Protestant und aus dem Boden der katholischen Kirche so entwurzelt wie Kierkegaard. Das Urteil ist in beiden Fällen ein rein menschliches, aber es ist das Urteil eines von Natur aristokratischen und allzu stolzen Geistes. Beide unterscheiden sich freilich radikal voneinander, was auch ihr Ende offenbart. Kierkegaard, der ungleich tiefere Geist, war gegen den Wahnsinn: »Gott ist tot« gefeit. Er starb äußerlich außerhalb der Kirche, aber er starb in einer großen sokratischen Nüchternheit und Heiterkeit der Seele, zugleich mit einer glühenden Liebe zu Jesus Christus, seinem Herrn: also innerlich innerhalb der Kirche. Sein Hauptgebet, neben dem kontinuierlichen Danksagen, war: daß ihn, der immer Grenzposten stand zwischen dem Menschlichen und dem Dämonischen, Gott in seiner letzten Stunde – in hora mortis nostrae – nicht verzweifeln lassen möge: dieses Gebet hat ihm der Allmächtige Gott, der ja auch Seine große Barmherzigkeit, Seine magna misericordia offenbart hat, in der Fülle erfüllt. Er starb zwar tragisch, aber selig. Von Nietzsche können wir sagen, daß er tragisch gestorben ist und Gott ihn gnädig in Wahnsinn gehüllt hat. Nun aber zurück!
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Eine Lebensphilosophie wie die Nietzsches kann eben infolge ihres Aristokratismus den Geist nicht so tief degradieren, daß sie sein Tun und Wirken auf die Ebene des Atmens oder Verdauens als Lebensfunktion nivelliert. Aristokratismus ist seinem Prinzip nach ein Feind der Nivellierung und kann dieses Prinzip auch nicht verleugnen in der Lebensphilosophie, wiewohl das metaphysisch eine harte und verzweifelte Aufgabe ist. Wozu wird der Geist in einer solchen aristokratischen Lebensphilosophie? Ein hoher Rang muß ihm eingeräumt werden. Nivellierung und simple Koordinierung ist an sich verhaßt. Er ist da, wenn auch nur »irgendwie«. Aber andererseits: das Leben, dieses Leben, dieses irdische Leben, außer dem kein anderes ist, ist das summum. Darüber ist nichts! [Auch unter ihm ist nichts!] Was ist er dann? Er ist wie ein Nichts, das aber unheimlich wirkt; ein Nichts, das aber sich selbständig macht, und »etwas« zu sein sich anmaßt, wie ein Tod, der nicht tot ist, sondern tötet. [Sobald die »Ewige Philosophie« die wahre Metaphysik verlassen wird, kommen wir notwendig zu einer Art von Absurdiologie.] Der Geist wird zum Feind des Lebens, wie es natürlich das Herz oder der Magen nie werden kann; das Denken wird eine Lebensantifunktion, wie es das Atmen und Verdauen natürlich nicht werden kann. Für die aristokratische Lebensphilosophie, die von Nietzsche herkommt, wird »der Geist«, an sich der Feind des Lebens, eben dadurch zu seinem Freund. Durch den ewigen Krieg, den er, der wesenlose Schmarotzer, führt, erhöht er das Leben. Nur durch den Krieg auf Grund einer ewigen Feindschaft. Es ist, so meint sie, wesensmäßig unmöglich, daß je Freundschaft im eigentlichen Sinne und Harmonie sei zwischen Leben und Geist und durch ihn das Leben seine Vollkommenheit erreiche. Als Feind, der nie Freund werden kann im Sinne des gemeinen Menschenverstandes, ist der Geist Freund des Lebens, dessen höchste Äußerung nur in und durch Disharmonie möglich ist. Geist ist Macht.
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Zu diesem Satze, in dem auch Wahrheit ist, kommt die aristokratische Lebensphilosophie als solche, nachdem sie das absolut Primäre des Geistes, das »Erkennen«, das intelligere, das intus legere, das cognoscere und also das Sein der »Wahrheit« verkannt und unterschlagen hat. Wo einmal die rechte Ordnung zerstört ist, stoßen die Irrtümer hart aufeinander. Der aristokratische Lebensphilosoph nimmt dem Geiste sein Wesen: die Wahrheit, läßt ihm aber die Macht, die er doch nur auf Grund der Wahrheit hat; ein hochbegabter Philosoph, wie Scheler – kein Lebensphilosoph; er bleibt insofern immer noch in der Tradition der philosophia perennis – läßt zwar dem Geiste seine Natur, nämlich zu erkennen und also zu entscheiden über Wahr und Falsch, über Sein und Nichtsein, d. h. was Sein und Nichtsein ist, stellt aber die absolute Antithese auf: Geist ist Ohnmacht. Er kommt zu dieser These, weil er meint, daß der Geist zu seinem Tun wohl Leben nötig habe, aber dieses, wenn auch in minimalen Dosen, aus dem Triebleben, das allein »mächtig« ist, beziehe, während der Lebensphilosoph meint, der Geist könne eine »Macht« sein, ohne sozusagen lebendig zu sein.
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»Geist ist Macht« ohne Rücksicht auf Wahrheit. »Geist ist Wahrheit«, aber ohne jede Macht in sich. Zwischen diesen beiden Tälern des Todes, in denen der Mensch die Menschheit verliert, erhebt sich die Wahrheit, daß der Geist in die Tiefen des Seins dringt und Wahrheit fordert und hat und darum und daraus auch ewig die Macht hat. Der spirituale Mensch lebt und erlebt diese Wahrheit. Schwierig wird das alles in der Ebene der Philosophie, die es mit dem Allgemeinen und nicht mit dem Konkreten, Individuellen und gar Persönlichen zu tun hat. Nur die philosophia perennis, die dauernde Philosophie, wird der Aufgabe in sich gerecht. Freilich, die Geschichte lehrt, daß immer nur kurze glückliche Augenblicke lang diese Wahrheit von menschlichen Geistern lebendig realisiert worden ist. Wer sie bloß nachsagt, der sagt immer noch eine Wahrheit nach, eine tote sozusagen, die aber immer noch radikal sich unterscheidet von einer Unwahrheit, die ja auch »tot« sein und nur nachgesagt werden kann. Er sagt eine Wahrheit nach, die gewiß auch als relativ tote nur da sein kann, weil sie einmal lebendige Frucht eines lebendigen Geistes war. Die Realisierung der Wahrheiten der philosophia perennis erfordert die immer neue Anstrengung eines lebendigen und einigermaßen gereinigten Geistes. Es gibt viel bequemere Philosophien, die dem sinnlich-seelischen Schwergewicht im menschlichen Geiste nachgeben. Einen Teil der Folgen dieser Feigheit und dieses Verrats lernen wir heute kennen, vielleicht bekommen Söhne und Enkel den bitteren Rest zu schmecken. Aber alles liegt bei der Barmherzigkeit Gottes. Die philosophia perennis erfordert die ganze Anstrengung des menschlichen Geistes, vor allem in der Erfassung der unentrinnbaren Wahrheit, daß das Sein des Geistes ein immaterielles Sein ist. Immerhin ist diese Anstrengung keineswegs unnatürlich, führt keineswegs zu einem absoluten Paradox. Wenn das behauptet wird, dann immer nur in Verkennung des realen Sachverhalts und in rhetorischer Übertreibung.
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Ganz anders ist es oft mit der wahrhaft über- oder besser antimenschlichen Anstrengung, die von anderen Philosophien, die die philosophia perennis an irgend einem Punkt verlassen haben, verlangt wird. Ich will nur zwei Beispiele anführen, wiewohl natürlich jede in einem wesentlichen Punkte falsche Philosophie eines oder gar mehrere liefern muß. Wenn die Philosophie Schopenhauers von mir verlangt, Schuld und Sünde nicht mehr im falschen Tun eines freien geistigen Willens, sondern in einem blinden unerschaffenen Sein selber gegründet sein zu lassen, so vergewaltigt er den gemeinen Verstand, der nicht ohne eine widernatürliche, antihumane Anstrengung sich davon abbringen läßt, daß alle Schuld und Sünde im Mißbrauch der Freiheit des Willens, die nur einem geistigen Geschöpfe zukommen kann, ihre letzte Ursache haben müssen. Wenn Bergson von mir verlangt, alle Bewegung sich in sich selbst auflösen zu lassen, zu entsubstantialisieren, so daß nichts ist, was bewegt oder was bewegt wird, ein Sehen ohne Auge, das sieht, ohne Gegenstand, der gesehen wird, so erreicht er eine Absurdität, in die der gemeine Verstand nur durch die widernatürliche antihumane Anstrengung der Selbstaufgabe getrieben werden kann oder durch die Versetzung in einen phantasienreichen Traumzustand. Die Zumutung, die an den Verstand gestellt wird, die Möglichkeit zu denken, daß Münchhausen sich selber aus dem Sumpfe zieht, indem er sich selber beim Schöpfe packt, ist in Wahrheit um eine Stufe weniger absurd, als was der Philosoph mir zumutet. Wie das möglich ist? Die Erfahrung, manche Erfahrung aus der Geschichte der Philosophie lehrt, daß der Verstand des Menschen in seiner konstitutionellen Schwäche viel leichter in einen haltverlierenden schwindligen Zustand geraten kann, wenn er das ganze Sein, das All und darin auch das immaterielle Sein zu erfassen bestrebt ist oder überredet wird, als wenn er ein einzelnes oder einen einzelnen Vorgang verstehen will. Wiederum: der menschliche Verstand kann, wenn überhaupt, in die philosophische Sphäre, welche die des »Seins« überhaupt ist, zwar aus jedem und dem geringsten Anlaß gelangen, aber wenn er dahin gelangt ist, ist er auf weglosen Wegen oder wie einer, der in ein fremdes Element geworfen ist, darin sich zu bewegen er erst lernen muß, und zwar immer neu. Jedes Gefühl anstrengungsloser, der Wachsamkeit vergessender Sicherheit ist trügerisch. Die Philosophie fängt mit dem Staunen an und endet mit ihm nicht minder. Sie steht vor dem Geheimnis des Seins, das, je nackter es wird, um so verhüllter und verborgener ist. Der menschliche Geist ist dem Geheimnis des Seins gegenüber von Natur unzulänglich. Darum geht er leicht unnatürlich oder widernatürlich vor. Wer möchte dem Verstande wehren wollen, zu verstehen, da dieses seine Natur und sein Wesen ist? Aber er hat ein Maß, und es ist seine Aufgabe, sowohl es zu erfüllen, wie es nicht zu überschreiten; sokratisch: zu wissen, sowohl was er weiß, als auch was er nicht weiß. Das ist schwer, und das ist die natürliche Anstrengung, die die philosophia perennis in jedem Augenblick verlangt, in dem ein Philosoph »als solcher« spricht oder schreibt.
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Die Natur des Verstandes ist, zu verstehen und zu erkennen. Wie, wenn sie leidenschaftlich wird! Und verdient einer in Wahrheit den Namen des Philosophen, in dem nicht eine Leidenschaft wohnt, zu verstehen und zu erkennen? Hat es einen großen gegeben, der sie nicht gehabt hätte? Haben nicht alle sie gehabt? Ja, mag einer sagen, alle, die im Laufe der Jahrhunderte die philosophia perennis zerstört haben. Aber das ist nicht richtig. Es haben an diesem Zerstörungswerk manche recht geruhige und unentflammte Gestalten gearbeitet, und es haben alle großen Zerstörer nicht nur zerstört, sondern auch manches gefunden und hinterlassen. Und es sind, drittens, die Stifter und Beginner einer nie in diesem Äon als hersagbares Resultat vollendeten philosophia perennis durchaus leidenschaftliche Denker gewesen. Soll Sokrates keiner gewesen sein? Sollen keine gewesen sein Platon, Aristoteles, Thomas von Aquin? Leidenschaft ist keine Tugend, aber auch kein Laster. Sie ist eine indifferente Kraft und kann mit beiden sein. Es gibt eine Leidenschaft zum Verstande, die ihn dazu treibt, alles Erkennbare erkennen zu wollen und darunter eben auch das ihm gegebene Maß, die ihm gezogene Grenze, so daß er sich ebenso leidenschaftlich wehrt, sie zu überschreiten, wie leidenschaftlich sich bemüht, sie zu erfüllen und zu erreichen. Diese echte, heilig nüchterne Leidenschaft hat die große griechische Philosophie existentiell und adventistisch zur Bereitschaft gemacht, eben auf dem Gebiete der Philosophie – warum sollte sie ausgeschlossen sein? – den »Logos«, den Johanneischen, der vor dem der griechischen Philosophen IST, demütig aufzunehmen, hat in dem heiligen Philosophen, in Thomas von Aquin, unterstützt von der Gnade, die Formal-Philosophie der »Natur« des Menschen konstituiert, der »Natur«, welche von der Gnade real vorausgesetzt ist. Das aber ist eine progressive Philosophie. Sie fängt also nicht immer von vorne an und mit neuen unerhörten Prinzipien: sie entspricht dem Sein, das dem menschlichen Geiste gegeben ist, und das das wahrlich auch nicht tut; sie strebt einem Ziele zu, das in diesem Äon nicht erreicht wird und werden kann. Auch das erkennt sie aus eigener Natur. Dächte man sich ein Polygon lebendig und auch mit Geist begabt: es würde den Kreis als das Absolute seines Seins erkennen. Wäre es nun nicht mittelmäßig und sich begnügend mit dem Gewöhnlichen, also: die Erfüllung in der Idee vorwegzunehmen, was in Ordnung und notwendig ist, und das bereits für die Realisierung zu halten, was nicht notwendig, sondern eine bequeme Selbsttäuschung ist; wäre es mit der Kraft der Leidenschaft begabt, es könnte in zwei große Irrtümer fallen. Es könnte verzweifelnd sagen, ein Dreieck komme dem Kreise ebenso nahe wie ein Billioneneck, was ganz simpel nicht wahr ist, und es könnte, verblendet vom verzweifelten Stolze seines unermüdlichen Strebens, meinen, es könne eines Tages doch die andere Ordnung kraft seiner eigenen erreichen, was ebenso simpel nicht wahr ist. Dieselbe Leidenschaft könnte ihm aber auch die Wahrheit ganz klarmachen, daß es zwar den Kreis nie erreichen wird, daß aber der Kreis ist. Der Mensch ist kein Polygon, und das Absolute, das er erkennt, ist nicht der Kreis. Er steht vor verwirrenderen Geheimnissen, dennoch besteht eine Analogie zwischen dieser erdichteten Paradoxie und der realen des Menschen. Der natürliche Geist des Menschen kann auf natürliche Weise klar einsehen, daß er das absolute Sein, den Gott der natürlichen Theologie, den Gott der Philosophen und Gelehrten niemals erreichen kann, daß aber dieses absolute Sein ist. Man sage nicht, daß dieses zu erkennen nichts sei, das ist in einer Zeit verzweifelt falscher Philosophien sehr viel, in einer Zeit, da man so oft der Meinung ist, daß es auf »Wahr« und »Falsch« gar nicht ankommt, daß die Philosophie nur Dienerin ist, nicht der Wahrheit, der Ersten, sondern eines Kollektivs, einer Klasse, eines Staates. Und auf dem Gebiete der natürlichen Philosophie können wir gar nicht weiter gelangen, die Leidenschaft des Denkens aber sollte bis dahin gelangen. Warum geht sie aber faktisch, in der Regel, eher davon ab?
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Sie ist unrein! Sie will, mehr oder weniger verborgen, anderes als die Wahrheit, das eine oder andere der Güter, die der Mensch mit Recht oder Unrecht erstrebt. Die Leidenschaft zur Wahrheit ist die seltenste unter den Menschen als den niedersten Geistern, viel seltener als die Leidenschaft zur Macht. Dann aber ist eine innige Beziehung zwischen dem Wahren und dem Guten, so daß als eine Bedingung der vollen Erkenntnis der Wahrheit, die nur im Intellekt stattfinden kann, ein reiner Wille zur Wahrheit als einem Gute mithalten muß. Man kann aber eigentlich nicht ein einzelnes Gut völlig losgelöst von allem anderen Guten wollen, denn das Gute hängt in sich zusammen wie das Wahre. Zwar ist denkbar und zuweilen wohl auch faktisch nachweisbar ein exzeptionell starker Intellekt, der trotz seiner Verderbtheit oder gar Bosheit des Wollens gewisse Wahrheiten, vor allem spekulativer Art, und ihre Verschlingungen rein aus seiner Natur heraus spontan erkennt und lange festhält – aber er hat oft ein trauriges Ende. In jedem Falle sind die Inauguranten der philosophia perennis nicht vorstellbar ohne einen Willen zum natürlich Guten überhaupt, zu dem eben auch das Wahre gehört, und ohne daß sie auch, soviel an ihnen lag, Täter des Guten waren. Wer die Wahrheit erkennt, der will sie auch erkennen. Das gehört zum Wesen der Philosophie. Dieses gilt auch für das übernatürliche Erkennen aus dem Glauben, das mit der philosophia perennis des heiligen Thomas von Aquin so innig verbunden ist. Zwar ist die ausschließliche Quelle aller übernatürlichen Erkenntnis subjektiv der übernatürliche Glaube, der objektiv allein durch Gnade ist, welche hinwiederum allein das Werk Gottes ist. Aber wer so glaubt, der will auch glauben. Der Glaube gehört wohl primär zur Natur des Intellekts, der allein fähig ist, ein Sein als Sein zu erfassen, aber die Gnade ergreift und durchwirkt den ganzen menschlichen Geist, also auch den freien Willen, der zu ihm gehört. Der Christ will glauben, weil er das Gute will. In seinem Glauben ist miteinbeschlossen der Wille zu glauben; wie im natürlichen Erkennen miteinbeschlossen ist der Wille zu erkennen, weil es gut ist, zu erkennen und zu glauben.
1
Die natürliche Armut des menschlichen Geistes ist der Grund, warum er eines eigenen Organs bedarf, das nicht wesentlich und notwendig zum Geiste überhaupt gehört, sondern nur zum menschlichen: es ist der Glaube, zunächst der natürliche Glaube, der den übernatürlichen nicht schafft oder notwendig und geradlinig entwickelt oder auch nur voraussieht oder ahnt, der aber die konkrete Natur ist, welche von der Gnade vorausgesetzt und real ergriffen wird. Denn die Natur, welche von der Gnade vorausgesetzt wird, ist ja nichts weniger als ein Abstraktum, sondern jeweils die höchste und letzte, die von Natur lebendigste Konkretion, die aktuellste Spitze und Schneide des natürlich Menschlichen. Der menschliche Geist ist der doppelten Erkenntnis fähig, und zwar als gemeiner Verstand schon: einmal, daß es zum Wesen eines vollkommenen Geistes gehört, sehend zu wissen, und nicht bloß zu glauben, und dann, daß der menschliche Geist davon weit entfernt ist, da er im natürlichen Leben schon ohne natürlichen Glauben nicht auskommt. Dieser natürliche Glaube aber hat ein intellektuelles Fundament, so daß auch hier der Primat des Intellekts zum Ausdruck kommt. Wenn freilich schon das natürliche Wissen des menschlichen Geistes gröbsten Irrtümern ausgesetzt ist, um wieviel mehr sein natürlicher Glaube; die großen Tragödien der einzelnen und der Völker entstehen nicht durch ein falsches Wissen, sondern durch einen falschen Glauben, der freilich hinwiederum – noch einmal sage ich das – zur Grundlage ein unzulängliches oder schuldhaft unterdrücktes, vernachlässigtes, verworfenes Wissen hat.
2
Das Beunruhigende des menschlichen Geistes, das ihn selber – wen anders? – Beunruhigende ist, daß er in relativ gleichgültigen Dingen unter Umständen absolute oder doch nahezu absolute Gewißheit hat, in entscheidenden aber nur relative, nur im besten Falle Wahrscheinlichkeit, und auf den natürlichen Glauben angewiesen ist. Die Menschheit hat z. B. im großen und ganzen immer einen natürlichen Glauben an das Dasein Gottes, an die Unsterblichkeit der Seele gehabt, ohne sie mit derselben Unwiderlegbarkeit beweisen zu können wie einen mathematischen Satz, oder darauf hinzeigen zu können wie auf die Sonne oder den Mond oder einen Baum und ein Haus. Das gehört zur Armut und zur Schwäche des menschlichen Geistes, die zu seinem göttlichen Reichtum werden können. Zu jedem Glauben nun gehört ein entscheidendes Wollen, und das macht den Unterschied zwischen Glauben und Wissen, ohne freilich etwas daran zu ändern, daß auch das Kriterium eines Glaubens die Wahrheit ist und sein muß, und dann erst seine Kraft, nicht umgekehrt, wie heute zuweilen gelehrt wird. Der christliche Glaube etwa hat die Erste Wahrheit zum Inhalt und nicht das Paradox! Auf seinem Grunde, in ihm selber, ist durchscheinend ein Licht, welches führt. Dann freilich gilt: Ein Glaube, wiewohl er immer eine intellektuelle Grundlage hat, ist niemals ohne den Willen. Wer glaubt, der will glauben. Hier also muß ich auch vom Willen sprechen, wenn auch mein Hauptthema der Intellekt ist.
3
Die Mitarbeit des Willens im Erkennen und Glauben und im Erringen und Besitzen der Gewißheit ist ein seinsgegebenes Problem. Und sie birgt, wie jedes seinsgegebene Problem, ein großes Geheimnis. Dieses zu sehen und nicht aus den Augen zu verlieren, ist die Aufgabe des echten und wachsamen Denkens. Sie wird vom Rationalismus ebenso verraten wie vom Voluntarismus, denn beide sind Feinde der Kontemplation oder erreichen sie nicht, die allein imstande ist, eines Geheimnisses als Geheimnis inne zu werden. Kontemplation ist immer ein Innehalten des Geistes, ein tätiges Ruhen, ein lebendiges Verweilen, eine hörende Stille; Sprechen und Schweigen zugleich. Der Voluntarismus wie der Rationalismus macht daraus absolute Antithesen. Die Absolutheit rationaler Logik erstickt das Mysterium, das Geheimnis, und wird selber zu einem vollkommen unlösbaren Rätsel, zu einer Nacht ohne den geringsten Strahl der Aufhellung, zu etwas unheimlich Unmenschlichem. Das menschliche Geistesleben aber ist existentiell weder vollkommenes Licht noch vollkommene Nacht, sondern ein Dämmerleben, das in beiden sich bewegt, im Licht und im Dunkel. In der Kontemplation, der höchsten Würde des Menschen, die er nur hat durch das Wesen des Intellekts als eines Lichtes und intensiven Lebens, fühlt und weiß und will der menschliche Geist als eine dreiverbundene Einheit und als eine Einheit des Seins überhaupt, mit wesentlichen Scheidungen und Unterscheidungen nach Transzendenz und Immanenz. Es ist aber nicht absolute Immanenz des Denkens nur, wohin der Rationalismus führen muß, und nicht absolute Transzendenz eines dem Sein tyrannisch und wesensfremd gegenüberstehenden geistigen Willens, der, mit göttlicher Allmacht begabt, mit dem Sein machen kann, was er eben will. Die Wahrheit einigt für den menschlichen Geist scheinbare Gegensätze im Geheimnis, das gehütet ist im unzugänglichen Lichte des göttlichen Geistes. Der Irrtum schafft absolute heillose Gegensätze und einigt sie in der Absurdität. Wo sollte die Logik seiner Prätention nach sicherer aufgehoben sein als im Rationalismus?
4
Indes, der Schöpfer der analytischen Geometrie erwog die finstere Möglichkeit, daß der absolute Wille Gottes A zu non A machen könne, was eine schlechte Theologie ergibt und die philosophia perennis vernichtet und mancherlei praktische Folgen im Leben der Völker und der Einzelnen haben kann. Freilich ist die Leibwissenschaft des Rationalismus die Mathematik und nicht die Logik, wenigstens nicht die metaphysische, welche die primordiale Kontemplation voraussetzt, nämlich die des Seins überhaupt, des ens reale. Mit diesem hat die Mathematik nichts zu tun. Ihre unvergleichliche Lage ist, daß sie sowohl von der geistigen wie der materiellen Existenz absieht. Sie nimmt unter den Wissenschaften eine, natürlich nur teilweise, ähnlich exzeptionelle Stellung ein, wie unter den Künsten die Musik, was Unmittelbarkeit und Losgelöstheit anlangt. In beiden wird von einem Teil des existentiellen Seins abgesehen. Das gibt ihnen ihre »Leichtigkeit«. Der Satz der Identität und des Widerspruchs ist ein kontemplativer Satz von ungleich größerer spezifischer Schwere, der in viel gründlicherem Sinne, funditus, eine Selbstaussage und Selbstoffenbarung des Seins ist als jeder mathematische Satz, wie der Sprachsatz einer antiken Tragödie schwerer ist – gravior –, in verborgenere Dimensionen reicht, als die noch so tragischen Klänge in einem Stücke von Mozart oder Beethoven, geschweige denn in einer Wagnerschen Oper. Es gibt den Grad der Stärke und des Lebens eines Intellekts an, ob er ihn für tot oder lebendig, für eine leere Tautologie oder den primären Akt der Erkenntnis überhaupt, für ein Nichts oder für die Fülle des Seins hält, für den kreatürlichen Abglanz der Offenbarung, als Gott Seinen Namen offenbarte: Ego sum qui sum. Ich bin, der Ich bin. Durch diese Offenbarung wurde klar, daß die erste und letzte Erkenntnis des menschlichen Intellekts vom Sein, eben der Satz der Identität und des Widerspruchs, die volle Sanktion des göttlichen Seins Selber hat. Das ist viel und gibt vom Augenblick dieser Offenbarung an der philosophia perennis in deren Anfang eine natürlich – übernatürliche Sicherheit und Gewißheit. Der menschliche Intellekt ist schwach in der Wahrheit, aber er ist von Natur in der Wahrheit und kann durch den rechten Willen gestärkt werden, in ihr zu sein und zu bleiben.
5
So sind wir wieder bei dem seinsgegebenen Problem: Was hat der Wille mit der Wahrheit zu tun? Ich meine nicht in der Welt des Handelns und Tuns des Menschen, in der Welt der Taten und der Verwirklichungen von Ideen. Daß hier ohne den Willen nichts geschieht, ist offenbar. Zwar ist alles Schöpferische im Logos und durch ihn, aber »schöpferisch« sein, ist weder im Göttlichen noch im Menschlichen identisch mit der Verwirklichung oder »Tat«. Sie ist durch den Willen. Das ist ein großes Geheimnis des Willens, welcher der Sitz ist der »Souveränität«, der echten und der unechten, der übernatürlichen, der natürlichen und der unnatürlichen und widernatürlichen. Er ist der Vollstrecker der Macht und der Allmacht, der Vollstrecker nur, nicht die Quelle, welche hinwiederum der Logos ist, absolut der Unerschaffene, relativ und analogisch der erschaffene. Das Mysterium des Lichtes, die Vereinigung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit [Gott kann weder ungerecht, noch kann er unbarmherzig sein] liegt im Willen Gottes; das Mysterium der Finsternis, die Ungerechtigkeit [iniquitas] und der sie gründende und wiederum aus ihr fließende Haß liegt im Willen des Geschöpfes. Im Wesen des Geheimnisses als solchem gibt es keine Grade und Stufen. Geheimnis ist Geheimnis; wenn es keines ist, ist es eben keines. Hierin sind sie alle gleich, ob es sich handelt um das Geheimnis des Zusammenhangs zwischen Leib und Seele, Geist und Sprache, Bild und Begriff, Pflanze und Tier, Tier und Mensch. Indes, es gibt Unterschiede des Charakters von Geheimnissen, Grade und Stufen in Hinsicht auf letzte Entscheidungen des Menschen in seiner geistigen Existenz. Hat man nur immer diese Unterscheidung im Auge, dann kann man der Kürze halber auch von Graden und Stufen der Geheimnisse selber reden.
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Was ich meine, ist dieses. Es käme uns schrullenhaft und sonderlingshaft, ja fast komisch vor, wenn uns einer sagte, seine Seligkeit oder Unseligkeit hänge ab von der Klärung des Geheimnisses, das in der Verbindung von Leib und Seele liegt, in dem Übergang von Tier zu Mensch, in der Entstehung eines immateriellen Begriffs aus materiegeladenen Bildern. Wir würden ihm gegenüber Materialisten, Rationalisten und Lebensphilosophen leicht und gerne zugeben, daß alles dies unauflösliche Geheimnisse für den menschlichen Verstand sind, wohl wert, das Staunen des Philosophen zu erregen und zu erhalten, aber seine Folgerungen, würden wir sagen, überschritten jedes durch das wirkliche Sein gegebene Maß. Wir könnten uns kaum zurückhalten, seine Position humoristisch anzugreifen. Aber diesen letzten humanen Standort, den Humor, müßten wir selber aufgeben, wenn uns einer sagte oder wenn wir dahinter kämen, daß er »verzweifelt« ist an dem Geheimnis der Hölle und der Prädestination der Gerechten, »verzweifelt« an dem Geheimnis, wie das Böse in die Welt gekommen ist, »verzweifelt« an dem Geheimnis der »Zulassung« des Bösen durch Gott, der gut und allein gut ist, »verzweifelt« an der Entstehung des Bösen [und welch eines Bösen nach Qualität und Quantität] durch einen Akt eines kreatürlichen Willens! Denn: hegen wir darüber nicht den allergeringsten Zweifel! Der christliche Glaube hat als unausweichbare Konsequenz, daß der kreatürliche Wille im Engel und im Menschen prima causa, erste Ursache alles Bösen in der Welt ist. Nicht des Schwachen! Auch Christus hatte in sich die »Schwäche« der Kreatur, aber nicht die Sünde, die er »trug«. Gegenüber diesem Geheimnis ist der Humor, der Gipfel der Humanität, keine Position mehr; er ist nur eine gegenüber dem »Schwachen« der Kreatur, die natürliche Demut selber [kein Hochmütiger hat Humor!].
7
Wir sind beim Ernst, beim tödlichen Ernst. Der Humor zieht sich zurück, auf seine Weise natürlich, also humoristisch. Er sagt: »Lebwohl, das geht mich nichts an. C'est affaire de Dieu. Ich kann nur lachen und weinen. Und das ist das ›Humane‹. Wenn einer nur lacht oder nur weint, ist der Mensch in der Hand Gottes oder des Teufels. Zu viel für mich oder zu wenig!« So bestimmt der Charakter des Geheimnisses in Hinsicht auf die geistige Existenz des Menschen den Grad des Geheimnisses selber. Man kann sagen, daß das mysterium absolutissimum des Seins und Daseins für den Menschen in der Möglichkeit [spekulativ] und in der Wirklichkeit [existentiell] des Bösen liegt. Nächst dem unzugänglichen Mysterium der Trinitarischen Gottheit Selber ist keines so groß wie das » mysterium iniquitatis«, das denn auch als einziges aller Geheimnisse der erschaffenen Welt in der Heiligen Schrift genannt wird. Es ist deshalb so groß und so ernst, weil es als einziges scheinbar Anlaß sein kann zur eigentlichen Todsünde, zur Sünde wider den Heiligen Geist: zu verzweifeln an der Güte und Barmherzigkeit Gottes. Alles spekulative Versagen des Intellekts in der Gnostik, die entweder Gott Selber teilt in einen Schöpfer- und einen Erlösergott oder das Gute und das Böse zusammenwirft in die Eine unerschaffene Erste Ursache, ist Opfer dieser Klippe. Nichts ist gewaltiger als der Glaube des Christen: der Allmächtige Gott, Schöpfer Himmels und der Erde, ist allein gut. Dieser übernatürliche Glaube, im innersten Kern von intellektuellem Charakter, da er ja einem Sein entspricht und alle innerste und ursprünglichste Erfassung eines Seins vom Charakter des Intellekts ist, ist das Fundament der übernatürlichen Hoffnung, die nicht verzweifelt und nicht verzweifeln läßt, und der übernatürlichen Liebe, die das letzte Maß des Wertes einer jeglichen Person ist, nach welchem Gott richtet. Jegliches Geheimnis betrifft und trifft zuerst das intelligere, auch wenn sein Aushalten die Kraft des Willens erfordert.
8
Es ist ganz klar, daß im menschlichen Tun und Handeln ohne den Willen nichts geschieht, daß keine menschliche Tat und kein menschliches Werk zustande kommt ohne den Willen. Gewiß, auch dann kann man noch unterscheiden einen rechten und unrechten Willen und tut gut, nicht zu übersehen, daß Recht und Unrecht schließlich wieder wurzeln in Wahr und Falsch, so daß das intellektuelle Fundament alles Seins auch hier wieder zum Vorschein kommt. Aber ohne Willen geschieht nichts, was geschieht, durch Tun, Handeln, Machen. Wie aber ist es im Erkennen selber? Ist ein Erkennen, als solches, also ohne daß es, wenigstens im Augenblick, praktisch werden, realisiert werden soll, in welchem der Wille und dessen Hilfe in gar keiner Weise engagiert sind? Glaube ist niemals ohne den Willen, wie aber ist es mit dem Wissen? Die Frucht und reife Vollkommenheit des Wissens wie des Glaubens ist die Gewißheit. Braucht nur die des »Wissens« den Willen nicht, braucht ihn nur die Gewißheit des Glaubens? des natürlichen wie des übernatürlichen, jeweils in anderer Form? Zunächst: Jegliche Art von Gewißheit wird durch den menschlichen Geist besiegelt und sanktioniert durch einen Akt der Zustimmung. Nur dadurch ist ein Geist mitbeteiligt an einer Gewißheit und hat sie lebendig. Ein Akt der Zustimmung ist immer auch ein Akt des Willens, gleichgültig, ob er absolut oder in unbestimmbar vielen Abstufungen nur relativ bedingt sein mag vom intelligere, vom Lichte der Einsicht, von der Gewalt untadeliger logischer Konsequenzen. Kann man sagen, daß der menschliche Geist dem Satze vom Widerspruch oder der Einsicht, daß 2 2 = 4 ist, seine Zustimmung nicht geben könne? Er muß sie eigentlich, seinem Wesen nach, geben, aber er tut es zuweilen faktisch nicht durch einen Akt der Täuschung und freilich um den Preis der absoluten Absurdität, um den Preis der absoluten Isolierung und Separierung in der Nichtigkeit und wesenhafter Ohnmacht. Die Folgen der Erbsünde sind eine peinliche Verengerung der Grenzen des Intellekts und zugleich eine phantastisch maßlose Erweiterung derer des Willens. Das ist eine große »Unordnung«. Der Wille wird zu seinem eigenen »Geist«, zu einer Quintessenz als Willkür, zu einem Absolutum, zum Geist überhaupt. Er verliert den Zusammenhang mit dem ganzen Sein und seine Ordnung in der Einheit und vergißt, daß er selber nicht diese Einheit, sondern eine Inheit ihrer ist mit durchaus geordneten und in der ewigen Philosophie erkannten Beziehungen. Zum Charakter der Gewißheit einer Erkenntnis, die Sache eines lebendigen Geistes ist, gehört die Zustimmung, die ein Akt des Willens ist. Die Zustimmung oder Ablehnung, ein Ja oder ein Nein. Ohne sie ist eine Erkenntnis jedenfalls noch nicht vollendet.
9
Das Wesen des Willens aber ist die Freiheit. Ist nun, so fragen wir, die Freiheit des Willens aufgehoben, wenn er einer Evidenz zustimmt? Und wenn, hat es dann überhaupt noch einen Sinn, vom Willen zu reden, da ihm sein Wesen genommen ist? Sicherlich nicht, es ist sinnlos. Es widerspricht allen guten Regeln einer guten Metaphysik, einem zeitlosen Prinzip, und das ist der Wille, da er auch Gott zukommt, in irgendeinem Moment sein Wesen zu nehmen und es ihm in irgendeinem anderen Moment wiederzugeben. Da hört das Denken auf. Entweder ist der Wille prinzipiell immer frei, oder er ist es überhaupt nicht. Ich spreche natürlich nicht vom äußeren Zwang, der ein Geschick und eine Schwäche des menschlichen Willens sein kann. Ich spreche auch nicht von der Wahlfreiheit nur zwischen Gut und Böse, Wahr und Falsch, die ja nicht die Fülle des Wesens der Freiheit ist. Gottes Wille z. B. hat keine Freiheit der Wahl zwischen Gut und Böse, zwischen Wahr und Falsch, Gott kann weder getäuscht werden noch täuschen: Er will notwendig, d. h. aus dem Innersten des freien Willens selber, nicht von außen gezwungen, das Gute und ist eben dadurch der absolut Freie. Die notwendige Zustimmung des menschlichen Willens innerhalb des Lebens der Erkenntnis zu ein paar evidenten Sätzen der Metaphysik und der Mathematik ist Bild, schwaches Abbild des Wesens der göttlichen Freiheit und auch der Freiheit der durch Gnade der göttlichen Natur teilhaftig gemachten Kinder Gottes, denn durch diese genötigte Zustimmung des Willens etwa zum Satze vom Widerspruch erlangt der Wille erst die eigentliche Freiheit der Autonomie, über eine Unzahl realer Möglichkeiten wahrhaft Herr zu sein – über alle hat sie nur der Allmächtige Gott. Die Freiheit wächst durch die Anerkennung des Notwendigen. Diese eigentliche Freiheit der Autonomie wird innerhalb der Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse, durch die Entscheidung auch für das kleinste Böse, in unabsehbaren Maßen und mit unabsehbaren Folgen eingeschränkt. In Wahrheit ist, was für uns wie ein äußerer Zwang aussehen kann, wie eine dem Willen aufgenötigte Zustimmung zu gewissen evidenten Sätzen im Gegenteil ein Beweis der auch innerhalb dieses Äons unzerstörbaren Güte der Schöpfung, die nicht die Freiheit des Willens aufhebt und dadurch den Willen selber [wer das eine tut, tut auch das andere], sondern sie beide stützt und ihnen zeigt, was eigentlich Wille und Freiheit ist, nämlich in der Wahrheit des Seins über dessen wahre Möglichkeiten autonom Herr zu sein. Freilich ist es so, wie wir schon angedeutet haben, daß selbst diese natürliche Gnade, die anscheinend überhaupt nicht zurückgewiesen werden kann, zwar in wesentlicher Ohnmacht und absoluter Absurdität, aber trotzdem von einem pervertierten Willen zurückgewiesen werden kann mit jener dämonischen Dialektik des mysterium iniquitatis: »Ich will nicht, was ich doch wollen muß« und: »Ich will, was ich doch nicht wollen kann.« Denn der Wille des Menschen ist sein Himmelreich. Das Geheimnis des Willens ist das tiefste, da dieser, sogar als kreatürlicher, zur causa prima werden kann, nämlich im Bösen. Das Tiefste, was darüber noch gesagt werden kann, steht in Kierkegaards »Krankheit zum Tode«. Der Wille, der den Gesetzen eines niederen Seins, die eine Zeitlang mißachtet und verletzt worden waren, wieder aus ihrem Recht zu ihrer Macht verhilft, richtet Gutes nur an, wenn er dabei die Gesetze höheren Seins nicht mißachtet und verletzt, sonst führt er nur in tiefere Tiefen. Doch kehren wir zurück zu dem Falle, wo ein Akt der Gewißheit gleichsam des Willens überhaupt nicht zu bedürfen scheint. Der Intellekt scheint sich selber zu genügen und alles zu leisten. A = A, 3 4 = 7: dazu ja zu sagen, scheint die Bemühung des Willens illusorisch zu machen.
10
Er hat gar keine andere Wahl mehr, als ja zu sagen. Das ist zweifellos so. Und wenn wir zwar nicht zugeben, daß das Wesen der Freiheit des Willens in der Wahl zwischen evident Wahrem und evident Falschem bestehe – dann wäre Gott nicht frei! –, so ist doch das ganz sicher, daß das Jasagen zu einer evidenten Wahrheit weder ein Wagnis noch ein Verdienst sein kann. Die Existenz des Menschen aber in dieser Welt ist auf Wagnis und Verdienst gestellt. Das ist einer der Hauptunterschiede zwischen Wissen und Glauben im Übernatürlichen. Doch nicht darum geht es hier im besonderen. Es gibt den Unterschied zwischen Wissen und Glauben auch im natürlichen Leben und vor der Offenbarung, auf der die Wahrheit der christlichen Religion ruht. Der Unterschied zwischen natürlichem evidentem Wissen und wagnishaftem natürlichem Glauben bleibt innerhalb der Natur; der Übergang ist nicht der von einer Ordnung zu einer unvergleichlich anderen, also ein auf natürliche Weise unmöglicher Sprung, sondern er ist mehr kontinuierlich, wohl auch immer noch ein Qualitätsübergang, aber innerhalb ein und derselben wesenhaften Ordnung. Es gibt natürliche Gewißheiten rein intellektueller Art, also metaphysische, logische und mathematische [wiewohl diese eine weitere Gegebenheit und Gabe spezifischer Imagination erfordern], die nur sehr wenige Geister haben können auf Grund einer besonderen Mächtigkeit und jahrzehntelangen Lernens und Übens. Sie sagen ihr Ja dazu, wie wir es zu A = A oder zu 2 2 = 4 sagen – ohne jegliches Wagnis oder Verdienst; sie können nicht anders. Unsere Zustimmung dazu ist die eines natürlichen Glaubens, in irgendeinem Maße also eine intellektuell nicht adäquate, also auch ein intellektuelles Wagnis, freilich ohne entscheidende Folgen für unsere Existenz, ohne entscheidende, sage ich, denn Folgen freilich hat sie immer. Die lebendige Zustimmung, auf Grund einer Evidenz, zu gewissen Sätzen der Mathematik, so daß der natürliche Wille ohne dämonische Perversion nicht anders kann als zuzustimmen, ist eine Seltenheit, die zuweilen in Jahrhunderten nur einmal vorkommen mag. Aber daß es sie gibt, darüber ist kein Zweifel, wiewohl ich selber sie niemals in diesem Leben werde haben können, da mir die dazu unerläßliche Begabung fehlt. Diese Begabung liegt indes innerhalb des gemeinen Menschenverstandes, und ihre Funde und Resultate überragen ihn nicht; darum kann er auf eine einmalige Autorität hin, also auf Grund eines natürlichen Glaubens und Vertrauens die Wahrheiten übernehmen, ohne je eine adäquate Gewißheit haben zu können. Es gibt andere Gewißheiten natürlicher Art, die unsere Existenz entscheidender angehen, unser Leben bis ins Mark treffen: ob Gott ist, was Er ist, ob unsere Seele unsterblich ist, ob wir weiterleben nach dem Tode. Gibt es dafür Beweise, Evidenzen, Demonstrationen derselben Art wie für die ersten metaphysischen, für die logischen und mathematischen Wahrheiten und Sätze? Nicht ganz; der Rand, die Marge der Unsicherheit und also des Dämmerlichtes verbreitert sich. Ich bin aber überzeugt, daß es objektiv stringente Beweise für das Sein und Dasein Gottes und für die Unsterblichkeit der Seele des Menschen gibt und machtvolle Intellekte selbst unter den Menschen, die der willentlichen Zustimmung eine solche Helligkeit vorausschicken, daß sie wie von selbst gegeben zu sein scheint. Im Falle des Dämons, des von Natur ungleich stärkeren Intellekts, als von Natur ein Mensch ihn haben kann, ist dieser Fall ganz klar. Beim Menschen ist es selten, eine Rarität. In beiden Fällen ist es nicht so, daß der gefallene Engel oder der exzeptionell starke Intellekt eines Menschen auf Grund seiner unwiderleglichen Beweise Gott sehen, nein, aber sie wissen auf natürliche Weise, daß Gott ist. Die Regel aber für den Menschen ist, daß er diesseits der Offenbarung den natürlichen Glauben an Gott und an die Unsterblichkeit der Seele hat, nicht aber ein Wissen von ihnen im Sinne logischer oder mathematischer Demonstrierbarkeit ohne eine Marge der Unsicherheit, über die der Wille zur Zustimmung straucheln könnte. Dennoch: es geht um ein Wissen des Glaubens; auf dem Grunde des Glaubens ist ein Wissen, und Unsicherheit, Wagnis, Verdienst betreffen ein Wissen, das es zu retten, aus dem Dunkel zu heben gilt. Das vergessen und sehen nicht die Verächter des Intellekts, die diese Tage verfinstern. Der Glaube ist der Garant und der Schützer des Intellekts, nicht sein Widerpart, und der übernatürliche Glaube gar führt zur visio beatifica, der Anschauung Gottes und dem Schauen, wie Gott schaut, zur Erfüllung also des Intellekts, da der Glaube aufhören wird. Fides quaerit intellectum, der Glaube sucht und bemüht den Intellekt bis zu dessen letzter Anstrengung und hilft ihm, der ja der Lichtkern und die unvergängliche Natur seiner selbst ist. Sie beide sind nicht Feinde, die nie sich einen können, auch nicht Pole, die in ewiger Spannung als Gegensätze einander gegenüberstehen. Das sind Phantasmagorien, gewoben aus den Giftnebeln Jahrhunderte währender Häresien, sehr leichtsinnige Vergleiche oder einfach gedankenlose Redereien. Das jedenfalls ist die wahre und gesunde Lehre der christlichen Religion, wie sie uns überkommen ist in der Heiligen Schrift durch Christus und Seine Apostel und lebendig erhalten in der Kirche.
11
Ich bin zuweilen gefragt worden, ob ich denn meine, daß jemals irgendein Mensch durch die Gottesbeweise überzeugt worden ist, und ich habe darauf geantwortet, daß ich persönlich keinen solchen Menschen kenne [was freilich will das schon bedeuten?!], aber überzeugt bin von der Möglichkeit einer solchen Wirkung der Gottesbeweise auf einen starken und reinen Intellekt. Es kann nach meiner Überzeugung Menschen geben eines starken, mächtigen, relativ unverderbten Intellekts, die rein intellektuell eine metaphysische Gewißheit von den Wahrheiten der natürlichen Theologie haben, eine Gewißheit, die, expliziert und in logischer Ordnung ausgedrückt, auf den Argumenten der klassischen Gottesbeweise sicher ruht. Eine Gewißheit der ersten Sätze natürlicher Theologie, also: daß Gott ist, daß Er die Erste Ursache ist, daß Er der absolute Richter in moralischen Dingen ist, daß die menschliche Geistseele unsterblich ist. Immer habe ich meinem Frager gegenüber gesagt, daß diese Möglichkeit noch von keinem Menschen und Philosophen unwiderleglich bestritten worden ist, ja noch mehr, daß nach meiner Meinung auch hie und da der aktuelle Fall eingetreten ist: es hat wirklich, auch nach dem Falle Adams, ein starker Intellekt diese allgemeine natürliche Gewißheit gehabt von dem Dasein Gottes und von dem, was allgemein daraus folgt. Aber das ist eine fast zu ignorierende Seltenheit; die erforderliche natürliche Lichtstärke des menschlichen Intellekts und die erforderlichen Bedingungen, daß dieses wenn schon von Natur vorhandene Licht nicht in irgendeiner auch nur leise, aber schon entscheidend wirksamen Weise getrübt werde, sind so ohne Maß selten, daß man faktisch nicht damit rechnen kann, ein Mensch, der noch nicht glaubt, werde vom Dasein Gottes allein durch die natürlichen Gottesbeweise überzeugt werden können. Das ist faktisch, unter den gegebenen Umständen dieser Welt, kaum möglich. Es gibt hitzige Geister, die einen bei einem »Gastmahl« bedrängen: Nun heraus damit! Beweise mir die Unsterblichkeit der Seele so exakt, wie man mir in meiner Schulzeit den pythagoräischen Lehrsatz bewiesen hat, und – ja, was denn?! – und ich will glauben. So sehr gehen Wissen und Glauben ineinander, daß ein Intellektueller sie unversehens zusammenwirft im Gespräche bei einem Symposion. Die Wahrheit des pythagoräischen Lehrsatzes braucht er ja nicht zu glauben, sie weiß er ja, weil er sie einsieht. Aber ich ehre solche Geister, vorausgesetzt, daß ihr Anliegen ein ernstes ist. Das kann man merken, auch bei einem Gastmahl; Sokrates hat es sicherlich immer gemerkt. Ich ehre in einem solchen Ernstfall diese hitzigen Geister, weil sie, wenn auch noch so inkonsequent, ihre Frage kraft des sicheren und gesunden Instinktes stellen, daß ein jeder Glaube [auch der übernatürliche, der nur durch Gnade ist] ein vernünftiger sein muß, also auf einem intellektuellen Fundamente ruhen muß: auf einem Wissen Gottes, der überhaupt nicht »glaubt«, und das also vollkommen ist, und einem Wissen des Menschen, der zu seiner Seinserfüllung des Glaubens bedarf, und das also unvollkommen ist.
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Der natürliche Glaube des Menschen ist seiner Rangordnung nach unter dessen natürlichem Wissen, denn Evidenz und Gewißheit auf derselben kreatürlichen Stufe sind mehr als Wahrscheinlichkeit. Der übernatürliche Glaube des Christen ist seiner Rangordnung nach mehr als natürliches Wissen, denn er hat als Auktor und als Ziel den offenbarenden Gott, der allwissend ist, was der Mensch niemals sein kann. Für den Zustand dieser Welt ist es bezeichnend, daß die Wirksamkeit eines irrenden, fehlbaren, blinden natürlichen Glaubens ungleich größer ist als die eines nicht nur erreichbaren, sondern auch erreichten Wissens auf Grund metaphysischer Einsichten in natürlicher Theologie, natürlicher Ethik, natürlichem Recht [in dieser Linie liegt die Unbelehrbarkeit der Völker durch die Geschichte!]. Diese Wirksamkeit wird erreicht durch den dunklen Untergrund und die stürmische Begleitung unerleuchteter Gefühle. Eine Mahnung, zu achten auf die große Bedeutung des Fühlens für die Menschheit, als eines primum von unten her. Die Geschichte des Menschen wiederholt sich eigentlich nicht, wohl aber jeglicher Irrtum des Menschen. Es ist fast immer – ich sage fast – dieselbe Geschichte der allein sich wiederholenden Irrtümer der Menschheit und ihrer Selbstzerstörung, freilich auch ihrer immer wiederholten Sünden und deren Bestrafung. Für den Zustand dieser Welt ist es aber nicht minder bezeichnend, daß die Wirksamkeit – wenigstens für das Geschehen dieser Welt – des übernatürlichen Glaubens des Christen, ruhend auf der Allwissenheit des offenbarenden Gottes, ungleich kleiner ist, als die des höchst unzulänglichen natürlichen Wissens des Menschen, das seinen Niederschlag gewinnt in der Form irgendeiner Philosophie, sei es der materialistischen, der rationalistischen, der voluntaristischen oder der verdächtigsten von allen, der Lebensphilosophie, wo die Unwissenheit bereits sichtbar das Übergewicht hat. Dieser Zustand der Welt ist ein tragischer, d. h. er ruht auf der Schwachheit sowohl wie der Schuld des Menschen, auf der natürlichen Schwachheit des menschlichen Intellekts und auf dem Mißbrauch der Freiheit des Willens, in dem allein »Schuld« sein kann, also Weigerung, das Wahre anzuerkennen und zu tun.
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Ich kann einem hitzigen Frager die Unsterblichkeit der Seele nicht beweisen, nicht demonstrieren in derselben Weise wie die Richtigkeit des pythagoräischen Lehrsatzes, darüber ist kein Zweifel. Der dunkle Rand des Geheimnisses und der Unsicherheit, der das Licht des Beweises umgibt und mehr oder minder bis zur Unterdrückung der Leuchtkraft schwächt, ist zu groß. Es braucht anderer Kräfte und auch der Freimachung dieser Kräfte. Und es ist zweifellos nötig der freie Entscheid des Willens im Sinne eines Wagnisses und eines sittlichen Verdienstes. Nicht als ob ein solcher Willensakt das intellektuelle Fundament schaffen oder durch sich selber je ersetzen könnte. Selbst die absolute Gnade Gottes, die für den übernatürlichen Glauben immer statt hat, kann das nicht tun und tut das nicht, sie setzt voraus die erschaffene Natur und in ihr den menschlichen Intellekt und sein Licht. Doch bleiben wir innerhalb der Metaphysik und der natürlichen Theologie, diesseits der Offenbarung, und im besonderen bei dem Beispiel der Unsterblichkeit der Seele. Die Menschheit hat in vager Weise eigentlich immer an sie geglaubt, in allen möglichen Formen, die die Einbildungskraft diesem Glauben gegeben hat. Zwar hat sie das Fortleben der Geistseele des Menschen nach dem Tode für kläglich und schattenhaft gehalten, da ihr Leben vollkommen nur sein kann im Zusammenhang mit einem Leibe und mit dem Blute des Herzens, aber sie hat an dieses Fortleben trotzdem geglaubt, auch wenn sie zu den großen Phantasien der Seelenwanderung und der Reinkarnation Zuflucht nahm. Die Lehre von der Auferstehung des Fleisches, die die christliche Offenbarung brachte, ist eine große Erfüllung des ursprünglichen natürlichen Glaubens und eine Befreiung von phantastischen Vorstellungen. Es ist nun ein warnendes Zeichen der unheimlichen Geisteslage der europäischen Menschheit, daß diese zum Teil ostentativ die Unsterblichkeit der Seele leugnet und die praktischen Folgen, die ein Glaube an die Unsterblichkeit und also Verantwortlichkeit der Seele in einem künftigen Leben schon für dieses Leben hat, zu unterbinden sucht. Zuweilen verschiebt sie das Problem durch die Vorspiegelung eines seins- und wesenlosen Ersatzes. Natürlich ging und geht es dem gemeinen Verstande der Menschheit immer um die Unsterblichkeit der einzelnen Seele und um den wirklichen Tod als Riß und Scheidung und Entscheidung, nicht um die Unsterblichkeit ohne Sterben von Rassen und Völkern. Diese Verschiebung, die in einigermaßen gesunden Zeiten gar nicht verstanden wird, ist ein Zeichen für die Degradation der menschlichen Person und ihr Versinken in die Masse und die Massengefühle.
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Kein Mensch kann einem, der mir nichts dir nichts an ihn herantritt und es von ihm verlangt, demonstrieren, daß die Seele unsterblich ist, wie er ihm demonstrieren kann, daß die Summe der Winkel in einem Dreieck gleich zwei Rechten ist. Welch ein Unterschied aber in der Zugänglichkeit zu den natürlichen Argumenten für die Unsterblichkeit der Seele zwischen einem Menschen, der niemand liebt, auch sich selber nicht, der im geheimen und in der Tiefe den Nächsten haßt wie sich selbst oder der sich fürchtet vor einem Fortleben nach dem Tode, und einem Menschen, der den Nächsten liebt und also auch sich selbst, der Achtung hat vor seiner eigenen Person und ihrem ewigen Werte wie vor der des anderen; der eine geliebte Person durch den Tod verloren hat! »Ah«, höre ich einen Vertreter dieser Tage sagen: »Also dein Wunsch, deine Sehnsucht ist der Beweis für die Unsterblichkeit der Seele; du forderst sie vielleicht sogar, du postulierst sie. Uber diese Selbsttäuschungen sind wir hinaus.« Aber gerade darüber ist im Gegenteil der Abkömmling Kants, und der diesen Einwand macht, praktisch nicht hinaus, denn gerade er hält Postulate zwar nicht für Beweise einer Theorie, aber für metaphysisch schöpferisch und verfälscht die vagen Einsichten des gemeinen Menschenverstandes. Die Sache für uns ist doch anders. Alles Beweisen und Aufzeigen und Sehen ist immer intellektueller Art. Alles Beweisen durch Fühlen nur, durch Wollen nur, durch das »Praktische« ist ein in sich gefährlicher Gebrauch des Wortes. Kein Sein ist Sein, kein Nichtsein Nichtsein durch ein »Postulat«. Nein, die Sache ist anders. Wir bleiben in der Einheit und zerreißen nicht Theorie und Praxis. Das Walten von Liebe und Haß und den ihnen verwandten Gefühlen und Wollungen und alles Tun und Handeln ist Erhellung oder Verfinsterung des geistigen Auges, ein Sein oder Werden zu sehen oder nicht zu sehen, das unabhängig von ihnen ist. Wäre die Unsterblichkeit der Seele nicht und als ein Sein also erfaßbar durch den Intellekt, keine Liebe des Menschen könnte sie erfolgreich postulieren oder gar erschaffen, ist sie aber, dann kann auch kein Haß des Menschen sie je erfolgreich ablehnen oder gar vernichten. Jeglicher »Beweis«, ob stark oder schwach, ob der Wille sozusagen willenlos – im menschlichen Sinne – sich ergeben muß oder als ein »guter« sich entscheiden muß, ist in sich von intellektueller Natur. Jeglichem Postulat, das nicht von vornherein ein Nichts ist, und die kantischen Postulate sind das ja wahrlich nicht, geht ein Sein voraus; jegliches »Sein« aber hat als Partner den Intellekt. Die großen praktischen Fragen der Menschheit sind auch ihre großen theoretischen Fragen. Die Verächter des Intellekts sind Verächter des Seins. Aber nicht jeder Intellekt ist dem Sein gewachsen, weder im allgemeinen noch im besonderen, und am wenigsten der menschliche, welcher der schwächste ist. Aber es gilt: wo immer ein Sehen, ein Beweisen, ein Feststellen eines Seins ist, noch so dämmerhafter, schwacher, unsicherer Art, da ist der Intellekt, und das gilt auch, wie die Sprache schon verrät, vom Seinwollen und Seinsollen. Was der Wille will oder befiehlt, daß es sein soll, das ist in einer besonderen Weise vorweggenommen, ist ein ideales Sein, ein mögliches oder unmögliches, worüber der Intellekt im Geiste Recht spricht. Jedes Sein ist primär die Domäne des Intellekts, sofern es eine Beziehung zum Geiste hat, d. h. die praktische Vernunft setzt von Natur die theoretische voraus. Wenn das Dasein Gottes nur Postulat des praktischen Lebens des Menschen wäre ohne jeglichen noch so schwachen Kern intellektueller Einsicht, dann hätte der Philosoph im Menschen, der es ursprünglich mit der theoretischen Vernunft zu tun hat, der wesentlich ein spekulativer Geist ist, nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, Atheist zu sein, denn ein Sein, das in Theorie und Spekulation keinen aufzeigbaren Grund hat, ist überhaupt nicht. Dezidierter Atheismus, übrigens selten! ist eine Krankheit des Intellekts, auch wenn ihre Ursachen im Wollen und Tun und in der Sünde liegen können, so wie eine klare Zustimmung, daß Gott ist, ein unverrückbares Fürwahrhalten der Existenz Gottes eine Gesundheit des Intellektes ist, auch wenn eine wichtige Ursache dieser Gesundheit im rechten Fühlen, Wollen und im geraden Tun liegt. Das ist das erste, und erst, wenn dieses Erste eingesehen ist, kann ein schweres seinsgegebenes Problem betrachtet werden, das Faktum nämlich, daß für die Unsterblichkeit der Seele die Einsichten und Beweise des menschlichen Intellektes nicht die zwingende Kraft haben, die Einsichten und Beweise für logisches und mathematisches Sein haben.
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In einer gewissen menschlich intellektuellen und rationalen Ordnung betrachtet sind die gewissesten Dinge die ungewissesten. Das wirft ein Licht auf das geheimnisvolle Wesen des menschlichen Geistes als eines armen, von dem wir geredet haben. Wohlverstanden, wir halten es für völlig unbestreitbar, daß es natürliche Gottesbeweise gibt, deren Gewicht, Kraft, momentum sich einmal zu unterziehen der menschliche Intellekt einfach verpflichtet ist, will er in dieser Diskussion überhaupt mitreden, aber wir haben andererseits einfach festzustellen, was vor Augen liegt, nämlich daß diese Beweise nicht die unmittelbare Sicherheit und Kraft haben, die denen logischer und mathematischer Natur zukommt. Diese nehmen dem Willen nicht seine Freiheit überhaupt, das kann nichts und niemand, wohl aber seine Wahlfreiheit, er hat, ohne im Augenblick in Absurdität zu fallen, überhaupt keine andere Wahl, als zuzustimmen, daß 2 2 = 4 ist. Der Intellekt sieht hier alles, und alles, was er sieht, im vollen Licht. Ich meine: alles, was zu diesem Teil einer bestimmten Ordnung gehört; die Wahlfreiheit ist aufgehoben. Sie bleibt bestehen bei allen natürlichen Gottesbeweisen allgemeiner Art – es kann einer persönliche haben von absoluter Sicherheit, aber sie sind nicht mitteilbar, nicht übertragbar. Der Wille kann nein sagen, ohne auf der Stelle in evidente Absurdität zu fallen. Wenn das nicht so wäre, wie könnte der Zustand dieser Welt erklärt werden? Zwar sind es immer Toren, stulti, die da sagen: Es ist kein Gott, aber es sind Toren anderer Art, sie können immer noch argumentieren. Und es gibt auf diesem Gebiete den error invincibilis, den unüberwindlichen Irrtum, den es in Logik und Mathematik nicht gibt. In diesen äußersten und letzten Fragen ist der freie Wille aufgerufen zu dem letzten und äußersten Entweder – Oder, das es in dieser Welt für den menschlichen Willen überhaupt gibt: zur Wahl zwischen Wahr und Falsch, und analog zwischen Gut und Böse. Zwischen 2 2 = 4 und 2 2 = 5 ist ein absolutes Entweder – Oder, aber keine Wahl, die auch nur im leisesten noch einen Hauch von Vernunft hätte. Zwischen »Gott ist« und »Gott ist nicht« ist auch ein absolutes Entweder – Oder – es gibt hier wahrlich kein Sowohl – Als auch –, aber es gibt eine Wahl, die nicht in absolutem Sinne absurd ist. Hier ist das größte Geheimnis des erschaffenen menschlichen Geistes: des Intellekts, der nicht in voller eigener Klarheit sieht, und des freien Willens, der sich entscheiden muß, nicht zwar immer wie im Philosophen durch einen allgemeinen abstrakten, rein intellektuellen Satz, aber konkret und eindeutig in einer vom Denken, Fühlen, Wollen durchwobenen menschlichen Handlung, die diesen allgemeinen Satz bestätigt.
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Beim Glauben erst, noch nicht so beim Wissen, tritt, um zur Wahrheit zu gelangen, der Wille in entscheidender und sichtbarer, aufdringlicher Form in Erscheinung. Beim Glauben erst, der zum Wesen des menschlichen als eines armen Geistes gehört, hat der Wille die unumgängliche Aufgabe, ohne deren Erfüllung er nicht zum Ziele kommt, weder theoretisch noch praktisch, alles und jedes herbeizutragen, was zur Intellektualität, also zum Sehen und Einsehen und zum Wege zur Gewißheit, zur Wahrheit führt, alles und jedes wegzuräumen, was die Intellektualität, also das Sehen und Einsehen und den Weg zur Gewißheit, zur Wahrheit verhindert und versperrt. Und das ist erst seine erste Aufgabe, die zweite ist seine Zustimmung oder Ablehnung, sein Ja oder sein Nein. Und hier erst ist Wagnis und Verdienst eines guten Willens, die es im evidenten Wissen nicht gibt. In ihm gibt es [nur in diesem Äon!] uneigentlich, weil ewig zum Scheitern verdammt, für den Menschen ein Wagnis des bösen Willens, nämlich: daß eine eingesehene Unwahrheit, eine bewußte Lüge unentdeckt und ungesühnt bleibe und ohne die ihr seinsgemäß entsprechenden Folgen in diesem und im künftigen Leben. Dieses Wagnis, so lehrt die Geschichte, wird oft versucht. Es ist möglich durch ein geheimnisvolles Faktum: die Verborgenheit Gottes. Wo aber kann die Allmacht am besten sich verbergen als in der Ohnmacht? Daß die Zweite Person der Trinität das Kreuz der Ohnmacht auf sich nahm, das schwerste für den Stolz des Menschen, wodurch allein Ihr das Opfer der Liebe möglich war, hat als Gegenstück notwendig auch die Möglichkeit, daß wesenhafte Ohnmacht hinter der Gewalt dieser Welt sich verbergen kann. Nie wird jenes Wagnis des bösen Willens leichter versucht werden als im Scheine vergänglicher Macht. Doch hat ein großer Heide schon erkannt, daß die Macht des Ungerechten über den wahrhaft Gerechten wesenhaft Ohnmacht ist. Christus aber ist auferstanden!
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Sagte ich vorhin einmal, daß neben der klassischen Bestimmung des Menschen, daß er animal rationale sei, ganz nahe stehe die Bestimmung, daß er das einzige Lebewesen sei, das die Sprache hat, daß er sozusagen animal loquens sei, so könnte ich jetzt am Schlusse den Menschen definieren als das einzige Lebewesen, welches glaubt, daß er sozusagen animal credens sei. Denn weder Tier noch Engel »glauben«. Jenes kann es nicht, dieser braucht es nicht. Aber diese Bemerkung führt doch dazu, daß das gemeinsame erste Fundament des Sprechen-Könnens, Sprache-Habens, wie des Glauben-Müssens und Glaube-Habens der Geist ist und in ihm der Intellekt, so daß es bei jener klassischen Bestimmung sein Bewenden haben muß. Groß und unumgänglich ist für den Glauben die Mitwirkung des Willens, aber auch wenn er führt, tut er es im Dienste der Wahrheit. Und die Wahrheit gehört zum Intellekt.
Der griechische Dichter nennt den Menschen das gewaltigste, schauererregendste Wesen unter der Sonne, und noch gewaltiger und schauererregender sagt dieses Selbe kraft der Offenbarung der Psalmist: Du hast den Menschen wenig niedriger gemacht denn Gott, und mit Ehre und Schmuck hast Du ihn gekrönt.
Was aber macht den Menschen so groß, wenn nicht sein Geist? Sein Denken?! Darüber ist alle natürliche und übernatürliche Weisheit einig. Doch dieser Geist ist ein schwacher und armer Geist von Natur. Auch darüber ist alle natürliche und übernatürliche Weisheit einig, denn wir rechnen nicht die Stolzen, die superbi, zu den Weisen. Und sanktioniert wird dieses wahre Faktum durch die Zweite Person der Trinität Selber in der ersten der Seligpreisungen vom Berge herab: Beati pauperes spiritu. Selig sind die Armen im Geiste.
Die spirituale, die geistliche Armut ist das Jasagen im Geist und in der Wahrheit sowohl zum Geiste wie zu dem natürlichen Faktum der Armut des menschlichen Geistes und dadurch das Bereitetsein und Bereitsein für den Reichtum Gottes, welcher Geist ist und die Wahrheit Selber. Die Wahrheit aber ist das Ziel des menschlichen Geistes, insofern er Intellekt ist.