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Der Aphorismus ist eine Gattung der Sprachkunst, unterworfen also wie jede Kunst einem Gesetz der Form, von dem sie sich frei macht allein durch dessen Erfüllung. Eine jede Kunst ist vollkommen erst, wenn sie in ihrem Formenreich der Gesetze zu spotten scheint, da sie die gnadenvolle Selbstverständlichkeit eines Lichtstrahls hat, des Vogelflugs, des fließenden Wassers, des Himmelsblaus, eines reinen Klanges. Aber jedes Mißlingen hat seinen Grund in der Verletzung oder Mißachtung eines Formgesetzes. Es gibt viele mißlungene Aphorismen, rein weil sie die kardinale Bedingung des Aphorismus nicht erfüllen. Nämlich, daß er immer auf Erkenntnis geht, und zwar auf philosophische Erkenntnis. Es gibt keinen lyrischen, epischen, wissenschaftlichen Aphorismus, es gibt nur einen philosophischen [es gibt auch keinen theologischen]. »Über allen Wipfeln ist Ruh« ist kein Aphorismus; es war einmal ... ist auch keiner; auch: »Die Summe der Winkel in einem Dreieck ist gleich 2, Rechten« ist keiner. Aber: πάντα ῥεῖ, Alles fließt: das ist einer, das ist sogar das Muster eines Aphorismus. Gibt es einen Satz, der »abgegrenzter« wäre? Aber was ist abgegrenzt? Das All gegen das Nichts, was nur die Philosophie kann. Gewiß, es haben jeweils auch Maler, Bildhauer, Dichter, Chemiker, Historiker echte Aphorismen geschrieben, aber sie haben sie als philosophische Geister geschrieben. Die winzigste philosophische Erkenntnis ist berührt vom Hauche des Alls – so auch jeder Aphorismus, die philosophischeste Gattung der Sprachkunst, die »abgegrenzte«, die »abgetrennte« – die erwählte!
Zwischen der unveränderlichen Wahrheit Gottes und der veränderlichen Wahrheit des Menschen spielen die Tragödien und Komödien und Tragikomödien der Menschheit. Die Wahrheit Gottes straft das Leben des Menschen Lügen. Der Mensch wird zum Sünder, zum stolzen der Heuchelei oder zum demütigen der Reue und Buße. Indes es gibt noch einen andern Stolz, den der »Wahrhaftigkeit«. Sie ist mehr als die »Wahrheit«, der wir nicht gleichen. Unser »Leben« straft die Wahrheit Gottes Lügen. Und was ist mehr als unser Leben? Nächst der Gesundheit des Leibes ist für unsern Dienst nichts so nützlich wie ein gutes Gewissen. Schaffen wir es uns durch Wahrhaftigkeit! Und was ist Wahrhaftigkeit anderes als zu sagen, was und wie wir sind? Und wir – der Mensch – sind das Maß aller Dinge. Das ist dann: Wahrheit.
Die gefährlichste, am schwersten zu entdeckende Fälschung des Seins durch die menschliche Erkenntnis ist die Auslassung der leisen Dinge, des leisesten Hauches: Es könnte der spiritus selber sein.
Es gibt auf dieser Welt absolut Wahres; es gibt nicht absolut Falsches. Das ist eine Konsequenz des Primates, des Vorseins – in einem metaphysischen und logischen Sinne – des Wahren!
Der aktuelle Abfall steht immer im Zeichen der »Macht«. Das Niedere über das Höhere herrschen zu lassen, das ist Abfall von der ewigen, hierarchischen Ordnung. Die Engel, die vorgesetzt waren der Schöpfung, dem Werke der Allmacht und an dieser Macht teilhatten, sind abgefallen, nicht die Cherubim und Seraphim, die Engel der Kontemplation. Sie ist die sicherste Hut. Wer den Schatz der Kontemplation sich entreißen läßt, um nur reine Aktion und durch und durch Tat zu sein, der ist in tödlichster Gefahr, die »Wahrheit« zu verlieren.
Daß in einem gewissen Sinne das Nichts, auch das Nichts noch, mit einbezogen wurde in das Sein, eben durch die Schöpfung, ist die größte Tat, das größte Werk, nicht nur der Allmacht, wiewohl nur ihr möglich, sondern der Liebe, ihr Übersein, ihr Überfließen. Hier ist das unbegreiflichste Geheimnis.
Die Unterscheidung zwischen ordentlich und außerordentlich geht immer nur die Mittel an. Das »Ziel« ist immer der ordo, das Ziel ist niemals außer der Ordnung, niemals »außerordentlich«. Wenn es so scheinen sollte, so handelt es sich um ein relatives, ein vorläufiges Ziel. Nur wenn die »Zeit«, die »Welt« aus der Ordnung geraten ist, verlangt sie außerordentliche Mittel. Aber so sehr ist die Kirche Christi für die »Ordnung«, daß sie zur Ausübung der außerordentlichen Mittel, zu denen sie zuweilen, um das Ziel des ewigen Ordo zu erreichen, gezwungen ist, wiederum einen temporären ordo, einen Orden, beruft und schafft, oder vielmehr, da er außerordentlich, unmittelbar durch den Geist Gottes, durch die Gnade, in einem berufenen Menschen ersteht, ihn anerkennt, sanktioniert, versiegelt und lenkt. Niemals läßt sie das Außerordentliche das Unordentliche sein oder werden. Sie ist die Kirche Christi, und der trinitarische Gott ist ein Gott der Ordnung kraft seines unergründlichen Seins, in welchem doch der Vater der Vater ist und der Sohn der Sohn und der Heilige Geist der Heilige Geist in unumstoßbarer seliger Ordnung des Wesens und Existierens, des Seins und der Erkenntnis.
Die Geschichte des abendländischen Christentums lehrt, daß die Wahrheit des reinen und lauteren Glaubens, des Glaubens in seiner Fülle immer nur lebendig erhalten, recht verteidigt, verfochten, wiederhergestellt wurde von der vollendeten Bildung, von dem jeweils ganzen Wissen und von dem einfachen in keiner Weise verbildeten Volke der Gläubigen. Das ist eine Eigentümlichkeit des abendländischen Christentums, in welchem von Anfang an mitgegeben wurde als die köstlichste natürliche Mitgift [durch Anlage – das meiste nämlich vermag die Geburt – und erwerbende, verdienende Arbeit] der Griechen die Wissenschaft und Idee der Wissenschaft; die Geschichte des abendländischen Christentums lehrt nicht minder, daß die Wahrheit des reinen und lauteren Glaubens immer wieder am heftigsten angegriffen, am unbegreiflichsten mißverstanden, am tödlichsten verletzt wurde von der halben Bildung, von dem halben [oder noch weniger] Wissen. Die Halbbildung ist ein signum der Zeit; sie ist im Begriffe, die »Welt« zu erobern. In ihr ist die Quintessenz der sieben Todsünden. Sie ist die superbia selber. Sie tritt in ihr Delirium, jenseits des Tragischen und Komischen, die es im echten Sinne unter ihr nicht gibt. Nichts in unserem Abendland, unserem Lande der Väter, das alle Vaterländer erst möglich und wirklich gemacht hat, ist so stolz und hochmütig, wie die Halbbildung. Lange Jahrhunderte haben sie unmerklich vorbereitet durch Theologen und Philosophen: Nominalisten, Rationalisten, Materialisten, Idealisten, Biologisten. Es sind lauter Etappen der Halbbildung, die zur ganzen weder Zeit noch Lust hat, die ganze Wahrheit verschmäht und nicht bis zum endlichen Ziele des menschlichen Geistes und der menschlichen Wahrheit und Weisheit gelangen kann, bis zur docta ignorantia, zum wissenden Nichtwissen.
Wenn es um die Wahrheit der Lehre ging, hat sich die Kirche mit Recht nie darum gekümmert, daß einzelne Häretiker im Augenblick der Entscheidung besser geschrieben haben als die Rechtgläubigen. Das wurde ihr immer auch weltlich belohnt. Schließlich hat sie auch in diesem Sinne die besten Schriftsteller. Sie fielen ihr zu. »Trachtet zuerst ...«
Es gibt auf natürliche Weise im Menschen den Griechen, den Römer, den Russen, den Inder [wie anders wäre Schopenhauer zu verstehen?] usw., denn der Mensch ist als Geist angelegt, und der Geist kann in gewissem Sinn alles werden. Gibt es auf dieselbe natürliche Weise den Christen im Menschen? Sicherlich nicht. Und das ist auch nicht die Meinung des Satzes von der anima naturaliter christiana. Den Christen gibt es auf natürliche Weise im Menschen nur »adventistisch«.
Weil es nicht dasselbe zu sein braucht, wenn zwei dasselbe denken und sagen, darum braucht es auch nicht dasselbe zu sein, wenn zwei dasselbe tun. Die Wahrheiten sind ineinander und hängen aneinander, und darum die Taten. Der Christ und der Atheist können dieselbe Wahrheit sagen: Die Welt wird einmal untergehen. Aber welch ein Unterschied von Leben und Tod im Leben und im Sterben der beiden!
Es gibt keine Definition des Schönen oder des Guten, die an glücklicher Genauigkeit sich messen ließe mit der Definition des Wahren als einer oder der adaequatio rei et intellectus, der Angleichung oder Gleichung oder Gleichheit des Dinges und des Verstandes, oder genauer: des Urteils. Nun ist aber sogar hier zu sagen, daß das erfüllte Sein selber des »Wahren« diese berühmte Definition in dem lebendigen Geist transzendiert, unvergleichlich mehr ist als sie. Am Ende ist eben Wahrheit Wahrheit und nichts anderes. Was hier noch so verschwommen intellektuell »gesehen« wird, ist mehr, als rational definiert wird. Die Bedeutung und Unersetzlichkeit eines echten »Namens« für ein echtes »Sein« wird offenbar. Es gibt einen Nominalismus als Erfüllung einer Forderung des Seins; er ist nicht zu verwechseln mit dem seinsentleerten, dem Schatten aller Häresien. Wahrheit ist Wahrheit, und Güte ist Güte, und Schönheit ist Schönheit. Alles was sie beschreibt oder umschreibt, ist nur um sie herum; alle »anderen« Namen, die dazukommen, dienen nunmehr nur; helfen nur, huldigen nur. Sie haben den Sinn, den Weg zu erleuchten [und oft die Gefahr, ihn zu verdunkeln], bis das eigene Licht des erforschten und zu erforschenden Seins und dessen Namens durch seine eigene Klarheit die nur von nachbarlicher Ferne her erklärenden Lichter der Definitionen, Beschreibungen, Umschreibungen fahl und unscheinbar und unsichtbar macht. Aber es sind Unterschiede. Das stärkste Licht, das Licht aller Lichter ist die Wahrheit. Ihr Wesen ist die Selbsterhellung und die Erhellung alles anderen ... Schwerer ist zu sagen, was das Gute ist, am schwersten, was das Schöne ist. Dabei sind aber alle drei für den Menschen Selbstverständlichkeiten, und rechtmäßig: sie sind in der Tat am Ende nur durch sich selbst verständlich. Aber die Philosophie des Menschen ist ein großer Umstand, und zwischen der primitiv gefühlten Selbstverständlichkeit und der verstandenen ist derselbe weite und oft lebenslange Weg wie zwischen der naiven und der docta ignorantia. Es gibt keine methodisch fruchtbarere Frage für einen Philosophen als die nach der sachlichen Heimat eines Begriffes, wie es keine fruchtbarere Forschungsmethode für einen Völker- oder Individual psychologen gibt als die Aufsuchung der Etymologie des Wortes, welches ein Volk oder Individuum zur Bezeichnung eines entscheidenden philosophischen Begriffes gebraucht. Und welcher ist entscheidender als der der Wahrheit! Es ist psychologisch sehr interessant und aufschlußreich, daß die Griechen, die Väter der abendländischen Philosophie, den Begriff der Wahrheit aus der theoretischen, ästhetischen, aus der ontologischen Sphäre holten und abstrahierten: Wahrheit ist ἀλήϑεια, d. h. Unverborgensein, Aufgedecktsein, während das deutsche »wahr« [mit dem Verbum »bewähren«] aus der praktischen und ethischen Sphäre kommt, wie auch übrigens das lateinische verum, welches dasselbe Wort ist. Welch ein barbarischer Unsinn wäre es aber, den philosophischen Begriff der Wahrheit oder gar den spiritualen der christlichen Theologie wieder aufgehen zu lassen in den jeweiligen Bildern, aus denen er sich erhoben hat! Ein Bild führt nicht weit und nicht lange; dann führt es schon irre ... Der wahre Gott ist ein verborgener Gott, das hieße auf griechisch dem Wort- und Bildsinne nach: der unverborgene Gott ist ein verborgener Gott.
Was ist in diesem Augenblicke wahr? Wie groß ist der Mensch, da er diese Frage stellen kann und versteht, und wie elend, da er sie nicht beantworten kann, und auch das versteht! Wie staunt er über Gott, der es weiß.
»Woher weißt du denn, daß Er es weiß?«
Von Gott.
»Eine Privatoffenbarung.«
Weit gefehlt! Das weiß jeder, der an Gott glaubt.
»Damit weiß er aber eigentlich viel.«
Ja, viel, aber nicht vieles, multum non multa.
Wo ist einer daheim? Es gibt viele Wohnungen in der ewigen Heimat, und sie sind einander nicht gleich. Und die vielen Geister würden sich nicht daheim fühlen, hätten sie nicht diese ihre ungleichen Wohnungen, aber sie würden sich in unsäglicher Fremde fühlen, wären diese ungleichen Wohnungen nicht im Hause des Vaters, welches eines ist.
Die beseligende Einheit ist nicht die Gleichheit, sondern die lebendige Identität des göttlichen Geistes in den Analogien des Ungleichen.
Es ist ganz gut, immer alles zu sagen. Gott sagt immer Alles. Aber nach Seiner Art. Und Er ist ein offenbarer und verborgener Gott. Er ist die Sonne und die Nacht und jenseits dieser sinnlichen Bilder ein Deus absconditus. Etwas davon in der Analogie müssen der Weise und der Künstler haben, um dem Sein gerecht zu werden und zu bleiben – um wahr zu sein. Sie haben nun auch beide eine Art der Verwandtschaft und Übereinstimmung darin, daß sie nicht ohne Verborgenheit sprechen, handeln und gestalten. Zur Fülle des Seins gehört die Stadt auf dem Berge und das unsichtbare, verborgene Inwendigsein des Reiches Gottes. Beide Sätze sind keine Gegensätze, die einander ausschließen, nur die sinnlichen Bilder und die tote Logik des Rationalismus tun das.
Der Mensch ist als »Erfinder« rationaler als Gott, der Schöpfer des Menschen, aber auch als Gott, der Erfinder des Maikäfers. Die Verwirklichung und der Triumph des Rationalismus ist die Maschine, das eigentliche »Geschöpf« des Menschen. Keine Wahrheit ist so durchsichtig und ohne »Geheimnis« wie die der Maschine, als Maschine.
Eine der tiefsten und geheimnisvollsten Folgen der Erbsünde ist die Trennung von Macht und Wahrheit. Daß sie zusammen gehören und auch sind, ist der Glaube der christlichen Kirche: Der Gott der Wahrheit ist der Gott der Allmacht. Wahrheit ist Macht, und Lüge ist Ohnmacht. Wenn alles wiederhergestellt sein wird in Gott, wird diese Wahrheit offenbar sein ohne Trug und Schein. So ist der Glaube des Christen, und er ist dessen gewiß. Er ist gewiß, daß die »Welt« reif werden wird für die Offenbarung der verborgenen Identität von Wahrheit und Macht. Aber bis zu diesem letzten Augenblick der Verwandlung sind sie getrennt, d. h. ist ihre Trennung zugelassen. Die Wahrheit hängt als Liebe am Kreuze. Es ist sinnlich schwer zu verstehen, daß in der Ohnmacht Wahrheit sein soll und in der Lüge Macht. Und doch ist es die Wirklichkeit dieser »Welt«, und diese Welt kann es von ihr aus nicht wenden. Sie hat dazu keine Macht, weil sie nicht die Wahrheit ist. Aber soviel Wahrheit ist doch in ihr, daß sie es als Torheit und als Ärgernis fühlt, wenn ein Gott, dessen primäres Kennzeichen in den Augen und für den Verstand der Welt die Macht ist [mit Recht!], ohnmächtig am Kreuze hängt. Hier ist das Geheimnis des Abfalls, der im Zeichen der Macht geschah. Um ihretwillen, der Macht willen, lieber die Lüge, auch wenn sie wesentlich und ewig ohnmächtig ist, da sie ohne Gott ist. Das ist die Wahl der gefallenen Engel, die von da an vor der inkarnierten Wahrheit, dem Gekreuzigten, und jedem wahren Worte zittern, weil sie dort die »Macht« sind. Ihr Genosse ist jeder Menschensohn, der die Macht ohne die Wahrheit erlangen will. Indes: so sehr und unablöslich ist durch Natur, also metaphysisch, als Forderung, und göttlich als Wirklichkeit die Macht mit der Wahrheit verbunden, daß der gefallene Engel wie der gefallene Mensch seine Lüge als Wahrheit ausgeben muß. Sie mögen im Innersten sehr wohl um ihre Lüge wissen; öffentlich und offiziell müssen sie dafür eine »Wahrheit« setzen, müssen sie Heuchler und Pharisäer sein. Anders läßt Gott die Usurpatoren der Macht nicht zu. Sie müssen lügen. Der Teufel sagt nicht, wie es die Wahrheit wäre: Ich bin der Irrweg, die Lüge und der Tod. Nein, die Lüge braucht die Maske der Wahrheit.
Der Ur- und reinste Typus der Gnostik ist die Trennung von Wahrheit und Macht im transzendenten ewigen Sein selber. Alle anderen Gnostiken sind Abwandlungen und Milderungen dieses absoluten Manichäismus, sind mehr oder weniger auch Kompromisse zwischen Zeit und Ewigkeit. So war die letzte Gnostik Schelers, der in das Werdesein sich rettete! Am Ende, am Schluß wird vielleicht der Gott der Wahrheit auch die Macht haben, die er am Anfang nicht hat. Sicher freilich ist das nicht. Es hängt an einem so gebrechlichen Faden, wie der Mensch es ist. Der christliche Glaube ist der schmale Pfad zwischen den beiden Abgründen der Ohnmacht der Wahrheit und der Lüge der Macht, die die Gefahr unseres geistigen und geistlichen Lebens sind und die Möglichkeit unserer Verzweiflung oder unserer Verhärtung. Der christliche Glaube, der in seinem Kern ein schwaches intellektuelles Sehen ist, dessen der Wille sich bemächtigt, ein schwaches dämmeriges Sehen in der Finsternis der Lüge, ein schwaches geblendetes Sehen im Reiche des Lichtes, aber immer ein Rest von Sehen und niemals ein absolut blindes Vertrauen – der christliche Glaube läßt von zwei Sätzen, welche seine Einheit ausmachen, nicht: daß die Wahrheit wesentlich Macht und die Lüge wesentlich Ohnmacht ist, und zwar schon in dieser Welt der Verhüllung, die enthüllt werden wird. Der christliche Glaube ist nicht nur Wahrheit, sondern Macht, und wer ihn in Wahrheit hat, hat nicht nur teil an der Wahrheit Gottes, sondern auch an dessen Macht, da in Gott Wahrheit und Macht eins sind. Aber wer den christlichen Glauben in Wahrheit hat, wird darauf gefaßt sein müssen, vielleicht die göttliche Identität von Wahrheit und Macht, nach der Weise des Gottmenschen beweisen zu sollen: als Zeuge der Wahrheit, als Opfer der irdischen Macht und göttlichen Ohnmacht der Welt.
Nietzsche ist ein exzeptioneller Deutscher wegen seines starken Intellekts. Er hat, wiewohl auch ein Dichter, erfaßt, daß es für den Intellekt nur ein Entweder–Oder gibt: Theismus oder Atheismus. Der durchschnittliche Deutsche erfaßt das schwer. Gott ist oder Er ist nicht. Er wird nicht. Alles »Mittlere«, alle Wald- und Wiesen- und Gefühlsreligion wird zwischen diesem Entweder–Oder zermalmt. »Gott ist tot«, das war in seiner Situation ein intellektuell reinlicher Satz. Deshalb hat er ihn auch nicht ausgehalten. Mit der dämmrig faustischen Seelenreligion kann man es sich bequemer machen. Eine pantheistische Frömmigkeit ist von jeher die erfolgreichste Vernebelung des Intellekts gewesen, also der Wahrheit.
»Ich habe es nur mit dem Diesseits zu tun.« Warum, mein Lieber, dieses emphatische » nur«?! Willst du sagen, daß es nur das Diesseits gibt, dann brauchst du es ja nicht. Es gibt die eine Wirklichkeit, jenseits deren nichts ist. Und so mußt du dann auch sprechen, wenn keine Unklarheit herrschen soll. Oder es gibt auch für dich noch ein Diesseits und Jenseits; dann ist dein »nur« nur eine Entscheidung deines freien Willens innerhalb eines von dir völlig unabhängigen, dir gegebenen Seins; es ist keine Aussage über die »Wahrheit«. Gewiß hat, wer so redet, etwas voraus: den Respekt vor der subjektiven Wahrhaftigkeit. Aber diese ist eine gefährdete Subjektivität, wenn sie nicht auch den Respekt vor der »Wahrheit« hat, die ihr übergeordnet ist und aller Wahrhaftigkeit erst Sinn gibt. Wer so redet, will mit dem Jenseits nichts mehr zu tun haben. Wohlan, das ist seine Sache und Verantwortung. Aber das Peinliche ist, daß er anscheinend nicht intelligent genug ist, um einzusehen, daß hier zuerst eine Seins- und also Wahrheitsfrage vorliegt, nämlich: ob ein Jenseits ist oder nicht ist. Wer nur Wahrhaftigkeit will, ohne die Leidenschaft zur »Wahrheit« zu haben, wird auch im Kleide äußerer Ordnung zu einer inneren chaotischen Schamlosigkeit oder zum geistig unterernährten und leiblich saturierten Bourgeois. Je nach Temperament. Wenn einer mit dem Jenseits nichts mehr zu tun haben will – gut! Aber ist in ihm auch nicht mehr der leiseste Verdacht, daß das Jenseits mit ihm zu tun haben könnte und daß dieses von ihm vollkommen unabhängig ist, so vollkommen unabhängig von seiner Macht wie z. B., daß er geboren wurde und daß er sterben muß – so ist er ein taubes Salz geworden.
Die wahre Lehre richtet nur die falsche Lehre; die Wahrheit den Irrtum immer nur auf derselben Ebene. Die abstrakte Wahrheit richtet also nicht den irrenden Menschen; das tut der wahre Mensch. Im Jüngsten Gericht richtet nicht die unfehlbare Lehre der Kirche den einzelnen Menschen, sondern der Lebendige Gott, der wahrer Mensch geworden ist, was ja übrigens eben die unfehlbare Lehre der Kirche lehrt.
Die letzte Versuchung des Philosophen: Zahle mir den Preis der Liebe, und ich sage dir die Wahrheit. Wer ihr verfällt, verliert jene und erhält nicht diese. Die Versuchung im Paradies ging primär um die Macht auf Kosten der Liebe, in welcher einbeschlossen ist die Wahrheit. Darum geht in diesem Äon der Kampf bis ans Ende primär um die Macht, und klagen so sehr die armen Philosophen ohne Macht, die um die Wahrheit sorgen ohne die Liebe.
Im geistigen Leben ist echtes Wiederherstellen ewiger Wahrheiten immer auch ein Fortschreiten und Wachsen über sie hinaus. Augustinus war ein Hinausgehen über Platon, und Thomas ein Hinausgehen über Aristoteles in der Erkenntnis der Wahrheit.
Das liebenswürdige Fragespiel des erkenntnisdurstigen Kindes wird zum Plagespiel durch die Vermengung der Sphären der Essenz und Existenz. Warum der Mensch da ist, das ist eine sinnvolle Frage, wenn auch kein Weiser sie beantworten kann. Warum der Mensch Mensch ist, das fragt nur ein Kind oder ein Tor.
Es gibt Menschen, die laut sagen, sie hätten in ihrem Leben niemals Angst gehabt, so ungefähr im selben Tone, wie andere sagen, sie hätten in ihrem Leben niemals Zahn- oder Kopfweh gehabt. Diese könnte ich zuweilen beneiden, jene aber scheinen mir, wenn sie die Wahrheit sagen, die Einheit des Menschengeschlechtes zu sprengen; zwischen ihnen und mir wäre ein Unterschied der Art, wie ich ihn unüberbrückbarer nicht denken kann. Einen Menschen ohne natürliche Angst kann ich nicht verstehen: er wäre mir unheimlich. Sagt er freilich eine Unwahrheit, dann sind wir wieder eins, denn unwahr sind alle Menschen – eben darum haben sie ja Angst.
Ein Philosoph, der seine Philosophie falsch anfängt, braucht als Mensch nicht falsch zu enden, denn er ist ja nicht seine Philosophie, aber daß diese Kraft des falschen Anfangs auch falsch endet und falsch enden muß, das kann er nicht verhindern, das kann er nicht aufhalten, das steht nicht in seiner Macht. Ich nehme an, daß er keine Zeit mehr hat zu retractationes: Es gibt nichts Tragischeres im Leben eines Philosophen. Aber auch, wenn er diese Gnadenzeit gehabt hat, kann ja der Jünger seiner Philosophie die retractatio ignorieren oder sie für eine Schwäche erklären. Wie oft geschieht das! Darum ist es für einen Philosophen doch gut, zwischen Wahrheit und Falschheit zu unterscheiden wie zwischen Leben und Tod.
Ewige Wahrheit appelliert nicht an die »Geschichte«, eine Welle, die heute emporträgt und morgen stürzt und umgekehrt, sondern an das Ende der Geschichte, an die Versiegelung des Gerichts. Die Wahrheiten der Zeit aber sind in den Wind gesprochen, in den Sand geschrieben. Ewiger Trost in der Zeit, Labsal ohnegleichen: Etwas ist vorbei, vorbei, endgültig vorbei. Mit dem Tag ist seine Wahrheit vorbei; sie kann nicht an die Ewigkeit appellieren: ohne aufgelöst zu werden.
Gott ist nicht »zeitlos«, wie ein logisches oder mathematisches Sein es ist, ja wie schließlich jeder Begriff es ist, sondern Er ist zeitlos als Schöpfer der Zeit und aller Zeiten. Das ist etwas toto coelo Verschiedenes und ganz anderes. Er ist der zeitlose Ursprung, nicht die zeitlose Abstraktion. Weder kann Er abstrahiert werden, noch kann von Ihm abstrahiert werden.
Es ist für die Psychologie und Charakterologie des Deutschen bemerkenswert und aufschlußreich, daß das letzte vor der Apostasie, was ihn noch am Christentum und Evangelium halten kann, die Tempelaustreibung ist, die Geißel und der Zorn Christi, oder sagen wir besser: die Entrüstung Christi. Vor ihr tritt die ganze Offenbarung in den Schatten. Kann er dieser Szene auch nichts mehr abgewinnen, weil sie vielleicht ersetzt wird von einer ähnlichen aus der eigenen Geschichte, dann gibt er das Christentum überhaupt auf. Die Reformation hat mit einer großen Entrüstung angefangen.
Atheismus ist keine Gnostik, die immer eine reale Trennung von Wahrheit und Macht ist. Atheismus ist die Vereinigung von Wahrheit und Macht: in der Materie. Deismus eher ist eine blasse Art von Gnostik, zu der der rationalistische Philosoph gerade noch die Kraft hat. In Wahrheit sind für den ganzen Menschen nach der Apostasie, nach der Preisgabe der »Wahrheit«, des »Glaubens«, der Offenbarung Christi die »Götter« wieder da. Sie treten wieder plötzlich in ihrer schrecklichen tiermenschlichen Gestalt aus dem Nebel des Daseins: Die Heiden sind ja nicht »gottlos« – das sind nur »Einzelne« – oder Individuen. Die Heiden sind im Unterschied zu Juden und Christen die, welche » falsche« Götter haben, in der Sprache der Bibel, für deren Wahrheit die Zeit heute freier ist als damals.
Der Stein kann nicht sagen: Warum bin ich nicht Pflanze? Die Pflanze nicht: Warum bin ich nicht Tier? Das Tier nicht: Warum bin ich nicht Mensch? Der Mensch aber kann sagen und wurde und wird versucht, zu fragen: Warum bin ich nicht Gott? Denn der Mensch ist als Geist angelegt, und nur der Geist kann überhaupt fragen, im Sein und nach dem Sein. Der Stein kann, ergriffen von einer höheren Kraft, als die seine ist, durch geheimnisvolle Wandlung in das Leben der Pflanze gezogen und einbezogen worden, die Pflanze in das Leben der Tiere, das Tier nicht bloß materiell, physikalisch und chemisch, sondern seelisch in das Leben des Menschen, der quodammodo alles ist. Aber all das geschieht, ist unmittelbar mit einbeschlossen in der natürlichen Schöpfung. Es geschieht und wirkt und wird gewirkt ohne Arbeit. Es ist ganz anders mit dem Menschen und seiner Aufnahme in ein höheres Sein. Dem Menschen ist verheißen, daß er an dem göttlichen Leben des dreieinigen Gottes Selber teilhaben könne durch die Gnade und die Mittlerschaft Christi, des Sohns Gottes und des Menschensohnes und durch die Arbeit des freien Willens. Darum kann der Mensch heilig oder sakrilegisch fragen: Warum bin ich nicht Gott?
Wer ein einziges Mal die geheimnisvolle Beziehung von Leiden und Erkenntnis erfahren hat, der hat, auch wenn er von Natur feige und allzu sensibel und leidensscheu sein sollte, gleichsam einen Neid auf solche, die Außerordentliches leiden. Er weiß, daß sie nur dadurch auch Außerordentliches erfahren, erkennen, wissen und glauben können.
Die Logik kann zum furchtbarsten und wirkungsvollsten Instrumente des Bösen werden, weil sie total funktioniert auch in einem partikularen Sein und innerhalb dessen unwiderleglich ist. Die Wahrheiten der Logik allein suchen, ist ein verhängnisvoller Fehler: die Wahrheit ist nur im ganzen Sein, dem die Logik untergeordnet ist. Und daraus erblüht auch wieder die Rettung. Die logischen Fehler, die die Verwirklicher einer innerlich unwahren Idee machen, sind auch wieder logisch innerhalb der Panlogik des ganzen Seins. Sie müssen früher oder später gemacht werden.
Die Wahrheit, daß Christus der Sohn Gottes ist, wird nicht widerlegt durch die Unwahrhaftigkeit dessen, der es sagt und nicht glaubt, aber selbstverständlich auch nicht durch die subjektive Wahrhaftigkeit dessen, der es leugnet, weil er es nicht glauben kann. Diese Wahrheit hängt allein an der Wahrhaftigkeit Gottes Selber und der von Ihm eingesetzten Kirche.
Der Glaube hat doch auch alles Natürliche, vor allem das Verstehen der Geschichte und in der Geschichte erleichtert. Fällt Europa vom »Glauben« ab, so fällt es nicht einfach in das Nichts, sondern in das Niederere des [natürlichen?] Wissens, Fühlens, Wollens und Glaubens [denn »glauben« gehört zur Natur des Menschen]. Aber dann wird alles unvergleichlich schwieriger, dann wachsen die Irrtümer und die Täuschungen, weil die ewigen Kriterien schwinden und verschwinden.
Ewige Dinge geschehen in jener Zeit nach ihrer eigenen Weise: in sichtbarer Verborgenheit und verborgener Sichtbarkeit. Immer ist die Blendung und die Lautheit der Zeit der undurchsichtige Vorhang, der sichere Schalldämpfer gottmenschlichen Geschehens. Innerhalb der stehenden Gleichzeitigkeit dieses Geschehens, der geheimnisvollsten und erfülltesten Simultaneität, die in diesem Äon ein Mensch nur im lichten Dunkel des Glaubens sehen und vage hören kann, ist der fluktuierende Wechsel der Entfernung oder Annäherung von dem und an den Augenblick der substantiellen Einigung der göttlichen und menschlichen Natur in der Geschichte der Menschheit.
Die liberalistische Lehre von der Religion als Privatsache, die Bankrotterklärung Europas als geistiger Einheit, ist die letzte Abart der Gnostik, deren Prinzip und Merkmal die reale Trennung von Wahrheit und Macht ist. Religion ist die innerste Angelegenheit des Menschen und also auch seine innerste Wahrheit – das wird nicht geleugnet und kann nicht geleugnet werden –, aber sie ist ohne Macht, sie ist »privat«, also beraubt der Kommunion, der Quelle des Verbindlichen. Das gibt einen Rattenkönig verwickelter Widersprüche und eine schlechte Theologie, wenn überhaupt noch eine, da sie den Charakter einer Wissenschaft nie annehmen kann und sich um die primitivsten metaphysischen Einsichten und Zusammenhänge phantastisch nicht zu kümmern braucht.
Von einem gegebenen Augenblick an wird »Wissenschaft« als Ziel und Methode zur Pflicht in den Ordnungen der Erkenntnis. Das ist die große Gabe, die das Abendland der übrigen Menschheit als Aufgabe mitbringt. Kurz vor Beginn der großen Verschmelzungen und Völkerwanderungen physischer, seelischer und geistiger Art. Man kann nicht mehr zurück in ein vorwissenschaftliches Erkennen, das schwanger ging mit der Idee der Wissenschaft. Auch eine gelegentliche Barbarisierung wird immer nur eine Episode sein können. Der absolute Wert der »Wahrheit« ist durch den Intellektualismus der philosophia perennis als die Bedingung der »Wissenschaft« erkannt und statuiert worden.
In principio erat Verbum. – Im Anfang war das Wort.
Estote autem factorcs verbi! – seid Täter des Wortes!
Luther haßte die Epistel des Jakobus um dieses Wortes willen und nannte sie eine stroherne. Das »Wort« kann man nur hören; es selber tut alles zum Heile des Menschen, und allein. Wie hat sich dieses Mißverständnis gerächt bei seinen Nachfolgern und ist ins Gegenteil umgeschlagen! Der Mensch tut alles, und allein. Ohne das Wort. Im Anfang war die Tat. Die Wahrheit aber ist, daß beides gilt, und die Ordnung der Wahrheit ist, daß im Anfang das Wort ist. Es soll gehört und getan werden; aber im Hören ist schon ein erstes Tun, und im Tun soll ohne Unterlaß ein Hören sein.
Unmöglichkeit der Diskussion
Ihr christlicher Glaube hängt an der Auferstehung der Toten. Ist es bewiesen, daß Tote nicht auferstehen können, so ist Ihre Religion absurd. Ist das so?
Ja, es ist so.
Haben Sie schon einmal einen Toten auferstehen sehen?
Nein.
Nun also! Sie begehen eigentlich ein Verbrechen, indem Sie Ihre geistigen Kräfte an Absurditäten verlieren, anstatt sie für vernünftige zeitliche Ziele und Aufgaben zu verwenden.
Christus ist auferstanden!
Sind Sie dabei gewesen?
Nein, aber viele Seiner Jünger und Apostel. Auch Paulus berichtet es als ein simples Faktum. Und meine Kirche lehrt es.
Jene haben offensichtlich Halluzinationen gehabt, das ist heute bewiesen, und die Kirche ist überhaupt nur ein Instrument herrschsüchtiger und machthungriger Priester. Das ist auch längst bewiesen, und Bismarck hat es auch schon gewußt und, wie er sagt, auch Agamemnon. Daß einer, der einmal tot ist, nicht wieder lebendig werden kann, das weiß, Gott sei Dank, heute jedes Kind. Der heutige Stand der einschlägigen Wissenschaften läßt hierüber überhaupt keinen Zweifel mehr zu. Das ist so klar wie 2 2 = 4.
Gestatten Sie! Verwirren Sie hier nicht sehr verschiedene Ordnungen des Wissens und Beweises? Wollen Sie im Ernst sagen, daß für Sie die Unmöglichkeit einer Auferstehung dieselbe ist, wie die Unmöglichkeit, daß es über ein und demselben Acker in ein und demselben Augenblick regnen und nicht regnen kann? Jawohl, es ist das eine so unmöglich wie das andere.
Das einzelne Falsche richtigstellen zu wollen ist in einem gegebenen historischen Augenblick falsch: die Verwirrung wächst nur, und der es tut, ist selber in Gefahr, verwirrt zu werden. Man muß mit den Prinzipien neu anfangen, wie es sich nicht mehr lohnt, ein Haus, von dem alles einzufallen droht, zu reparieren. Man muß es ganz neu vom Fundament her aufbauen, oder man läßt es einstürzen und baut woanders ein neues.
Der Christ und die »Welt«
Ihr betet die Macht an – wir auch! Aber wir beten nur die Allmacht an und – um die Welt! – keine andere, als die Allmacht selber – und hinge sie am Kreuze! Die Offenbarung der göttlichen Allmacht als die Liebe ist die christliche Revolution, von der man nicht sagen kann, daß sie unter den Menschen gesiegt habe, denn noch gelten die Verse des Euripides:
Was ist das Schönste,
das die Gottheit dem Menschen gewährt?
Den Fuß auf den Nacken des Feindes
siegreich zu drücken.
Und das Schönste ist auch das Liebste.
Die Entchristlichung Europas führt notwendig auch zu seiner Entmenschlichung; die Entchristung zur Entmenschung. Denn Christus ist zwar zuerst die Zweite Person der Trinität, aber Er ist auch der Menschensohn.
Wir reden nicht von anamateriell, oder anaphysisch, oder anapsychisch, oder anavitalistisch, sondern wir reden nur von analogisch, also vom Logos in Materie, Physis, Psyche und Leben.
Es kann kein Reich, das von dieser Welt ist, eschatologisch reden, denn die Reiche dieser Welt vergehen: ihr Eschaton ist der Tod, und davon redet man nicht. Es erfüllt weder die ganze Zeit noch den ganzen Raum. Zeit wird nicht Ewigkeit, so wie Jugend Alter wird: von selber; geschweige denn, daß sie Ewigkeit ist. Das »ewige Reich« ist allein das Reich Gottes, das »kommt«. Adveniat regnum tuum. Es kommt aber von innen und von außen, seine Transzendenz ist jenseits aller irdischen Dimensionen, nicht bloß einer; aller sinnlichen Bilder, nicht bloß eines. Die Zeit, als Zeit, als innere Dimension, ist in ihrer äußeren Veränderlichkeit eine größere Unruhe, beunruhigt den Geist des Menschen mehr, ist ein stärkerer Anlaß zur Skepsis, zum Zweifel an der Wahrheit, an der Möglichkeit der Wahrheit, als der Raum, äußere Dimension, der in seiner inneren Unveränderlichkeit für Kant z. B. das Bild selber der Ewigkeit zu sein scheint wie das sittliche Gesetz in der Brust des Menschen: also das Sichtbarste und das Unsichtbarste im Leben des Menschen. In Wahrheit sind trotz ihrer Definierung Raum und Zeit die vollkommensten Bilder und Symbole des Ewigen: das hic et nunc, das Hier und das Jetzt. Dem geschichtslosen Kant ward keine größere natürliche Gnade zuteil als der Anblick des Sternenhimmels und das Staunen darüber. Denn der gestirnte Himmel ist das gewaltigste »Hier« des Ewigen für das sinnliche Auge des Menschen. [Wie nahe sind die Sinne dem Geiste! Aber sie sind ja auch seine Pforten.] Innerlich näher ist der Ewigkeit die Zeit, wenn sie im Geiste des Menschen ein » Nunc«, ein »Jetzt« erreicht, vor allem im Menschen, der den Sinn der Geschichte hat, im christlichen Mystiker.
Eine tote Seele ist ein Selbstwiderspruch. Wo eine Seele ist, ist Leben, das ist ihr Wesen. Wo ein Geist ist, ist ein Erkennen; das ist sein Wesen, und er setzt jenes Sein und jene Ordnung voraus, die wir »Leben« nennen. Der Geist ist eine höhere Ordnung des Lebendigen. Es ist selber ein Leben. Nichts Totes kann die Gabe des Erkennens haben, sondern nur Lebendiges. Der Unterschied zwischen Tierseele und Menschenseele ist der Geist, der ein qualitativ höheres Leben ist. Die Einheit der menschlichen Seele ist ernst zu nehmen; man kann im Menschen nicht die Leibseele real trennen von der Geistseele, aber man kann beide real unterscheiden. Diese reale Einheit hat Konsequenzen, deren wichtigste diese eine ist, daß das ganze seelische Leben des Menschen und seine Äußerungen, auch dort, wo sie scheinbar identisch sind mit denen des Tieres, in der Wurzel schon anders bedingt sind als diese, nämlich eben vom Geiste her, dessen primäres Wesen das Erkennen des Allgemeinen, des Seins als Sein, ist.
Das große Problem der Metaphysik und auch des Glaubens war und ist nicht, ob der Geist lebendig sei – starke Geister haben diesen kläglichen Klageszweifel nie gehabt; das Problem ist und ist immer nur gewesen, ob das Leben des Geistes das Leben einer Leibseele und eines Leibes metaphysisch voraussetze, wie das zweifellos faktisch für den Menschen in dieser Welt gilt. Hier aber steht nun dieses fest: Die Meinung und der natürliche Glaube der Menschheit in überwältigender Mehrheit, die Lehre der philosophia perennis als wissenschaftliche Läuterung des gemeinen Verstandes und Ahnens der Menschheit und die Offenbarung des christlichen Glaubens haben immer behauptet, daß es ein Leben der Geistseele und der geistigen Person [vielleicht ist das ein Pleonasmus, denn Person ist immer Geist] gibt. Sie behaupten nicht, daß »Begriffe« für sich leben könnten; sie behaupten auch nicht, daß die Geistseele des Menschen »vollkommen« sei und ihr Wesen »erfülle« ohne ihren Leib, der ihr zukommt. Sie ist in der Unterwelt des Heiden nur ein Schatten, der nach »Blut« dürstet, und der Christ glaubt an die Auferstehung des Fleisches. Sie behaupten auch nicht, daß der reine Geist sei ohne das Prinzip des Leibes. Wäre in Gott, der Geist ist, nicht das principium des Leiblichen, wie sollte Er das Tier oder den Menschen schaffen!
Replik eines Philosophen
Primum vivere, deinde philosophari, zuerst leben, dann erst philosophieren. Wer könnte dagegen etwas einwenden auf der Ebene des Trivialen, über die der Seufzer eines großen Schriftstellers weht: Wo er Recht hat, hat er Recht. Primum vivere, deinde philosophari – das gilt für das Philosophieren als Beruf, als Stand, als Professur. Wo er recht hat, hat er recht. Aber was weiß dieser Satz von meiner Not: Vivere est philosophari. Leben ist Philosophieren?
Die Wahrheit über den Menschen in diesem Äon ist, daß er gejagt und gehetzt wird, nach kurzen Pausen immer wieder, und daß die Jagd des Himmels auch die Hunde der Hölle benützt.
Humor kann Verzweiflung sein oder besser: trotz der Verzweiflung sein. Das ist ein großes Geheimnis und eine Größe des menschlichen Geistes im Natürlichen. Das unterscheidet aber radikal den Humor vom Glauben, der Verzweiflung eben nicht sein kann.
Fanatismus gehört zum Wesen des Mohammedanismus, nicht aber zu dem des christlichen Glaubens. Im Laufe der Geschichte ist der christliche Glaube auch vom Fanatismus befleckt worden, gewiß, aber eben befleckt. Die Wahrheit des christlichen Glaubens, wie er aufgetreten ist in seiner Reinheit und Göttlichkeit, ruht unerschütterlich auf einem Felsen und brennt in der Liebe, die stärker ist als das Stärkste dieser Welt, welches der Tod ist, aber sie ist nicht fanatisch.
Der Maler, der auf Länge und Breite seiner Leinwand die Illusion der realen Tiefe des Raumes schafft, ist ein großer Künstler; er überwindet, ein getreuer Diener der totalen Wahrheit, seine und seiner Mittel Not – der Lebensphilosoph, der auf das Sein der Materie und des animalischen Lebens das Sein und Leben des Geistes reduziert, ist ein Nichtskönner oder ein Fälscher: er unterschlägt, unbewußt oder bewußt, die Wahrheit des Ganzen.
Der Satz: Verum index sui et falsi, das Wahre ist das Kennzeichen seiner selbst und des Falschen ist eine sehr glückliche Formulierung einer der wichtigsten metaphysischen und natürlich theologischen Wahrheiten und Einsichten. Wäre die Wahrheit nicht Offenbarerin ihrer selbst und des Falschen, so wäre der Manichäismus im Recht, und von Ewigkeit her, in principio, brauchte Gott des Teufels, um Sich Selber als Wahr, Gut und Schön zu erkennen. Aber Gott ist und erkennt also auch nicht in Gegensätzen. Und selbst wenn der Mensch faktisch [kaum wesentlich] es tut, so ist ein gewaltiger Unterschied, ob er primär das Falsche am Wahren, das Böse am Guten, das Häßliche am Schönen erkennt, oder umgekehrt. Und ein gewaltiger Unterschied ist es, ob er einsieht, daß das erste die Wahrheit ist. Es gibt heute, wo der Manichäismus an Macht gewinnt, keinen wichtigeren metaphysischen und natürlich-theologischen Satz, als: verum index sui et falsi.
Was ist Wahrheit? Wenn Christus die Wahrheit nicht ist, was ist dann Wahrheit? Das ist die Frage, die der Natur nach die Antichristen vorsorglich beantworten müßten. Es ist aber in ihnen eine große Scheu festzustellen, diese Frage überhaupt zu stellen, geschweige denn sie zu beantworten. Wo es aber dennoch geschieht, kommt eine intellektuelle Unzulänglichkeit zutage, die eine Art von Beweis ist, daß der gefallene Engel zwar auf das, was man Psychologie nennt, leidlich sich versteht, aber metaphysisch dumm [geworden] ist.
Das Werk ist die Frucht der Arbeit, und Arbeit ist des Menschen eigenste Tat im Zwange der Not und in der Freiheit des Willens. Das »Werk« der Arbeit liegt wie nichts sonst in der Hand des Werkenden. Aber das Wirken seines Werkes ist der Macht des Menschen entzogen. Ob es wirkt und wie es wirkt, das liegt allein bei Gott oder beim – Zufall.
Eine jede Philosophie hat nicht nur eine Morallehre, sondern ist selber eine Moral, die nicht immer so einfach zu formulieren ist, da sie, wenn die Philosophie falsch ist, notwendig ein auseinanderfallendes Bündel von Widersprüchen sein wird. So falsch in der Regel und oft komisch es sein würde, zu meinen, daß ein Philosoph auch nach seinen Morallehren lebe, so wahrscheinlich ist es in der Regel, daß die verborgene Moral, die eine Philosophie ist, auch die des Philosophen ist: eine widerspruchsvolle.
Eine jede Philosophie hat ihre Moral, die falsche eine widerspruchsvolle. Die kantische Postulatsphilosophie gegenüber den ersten Wahrheiten kann bezeichnet werden sowohl als Arroganz wie auch als maßlose Bescheidenheit, sowohl als metaphysische Tollkühnheit wie auch als metaphysische Feigheit, sowohl als seinsverletzende Selbstüberhebung wie auch als seinsungemäße Selbstpreisgabe. Sie ist tollkühn und arrogant, indem sie ein Postulat praktisch gleichsetzt einer Wahrheit im echten Sinnieren Fundament und Kern also theoretisch und kontemplativ ist [denn nur das ist – Wahrheit]; sie ist feige und allzu bescheiden den menschlichen Geist unterschätzend, indem sie seine Fähigkeit, zu einigen ersten ewigen Wahrheiten natürlich zu gelangen, radikal leugnet.
Die Moral der ewigen Philosophie ist die Einheit von Mut und Demut. Sie hat den Mut, die im wenn auch schwachen Lichte des menschlichen Verstandes gefundenen ewigen Wahrheiten festzuhalten trotz den flutenden Nebeln des Zweifels und der Verfinsterungen der Verzweiflung, und sie hat die Demut, nicht aus eigener »Macht« Wahrheiten setzen und »machen« zu wollen, trotz lockender Begierden und trotz dem oft so grell und blendend flackernden Irrlicht des kreatürlichen Stolzes und Hochmutes, der superbia.
Die »Moral« des Christen ist in ihrer Fülle die Liebe. Die Liebe des Christen ruht auf dem Grunde des Glaubens an den Dreieinigen Gott. Wer Christus nicht liebt, der liebt auch nicht Gott im Geist und in der Wahrheit. Das Kriterium der Fülle der Wahrheit, die ein Mensch haben kann, ist der Glaube an die Trinität. Mit keiner Wahrheit als » Wahrheit« ist der Christ so sehr der »Welt« voraus in alle Ewigkeit, wie mit der Wahrheit seines Glaubens, daß Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist ist. Nichts, nichts unterscheidet ihn heute seinsmäßig so sehr von allem »Religiösen«, wie dieses starre Dogma, das der Kern seines Lebens ist.
Auch in der »Existenz« ist die erste Wahrheit eine gegebene, »das meiste nämlich vermag die Geburt«. Es macht keiner sich selber zum Erstgeborenen, das wird ihm gegeben. Es macht keiner sich selber zum Liebling seines Vaters oder seiner Mutter, das wird ihm gegeben.
Ordnung ist im Logos allein, ist ein durch und durch geistiges Prinzip. Ordnung ist im Sein, weil im Anfang der Logos ist. Sie ist für den menschlichen Geist ein Immaterielles von solcher Aufdringlichkeit, daß an ihr dieses Wesen des Geistes überhaupt – daß es immateriell ist – am leichtesten erkannt werden kann. Ordnung, sogar im äußerlichsten Sinne als Ordnung materieller Dinge, ist selber nicht materiell. Das kann von vielen Menschen eingesehen werden, wenn auch diese Einsicht oft nur wie ein Blitz ist und ohne alle Konsequenzen bleibt. In der ewigen Philosophie aber, wo auch die Konsequenzen eingesehen werden, spielt sie eine große Rolle, denn das volle Sein wird nicht erkannt, ohne daß seine [hierarchische] Ordnung erkannt wird. Die große Aufgabe des Philosophen als eines werkenden Arbeiters, als eines, der arbeitet und ein Werk tut, ist das Ordnen auf Grund der Einsicht in dieses Wesen des Seins: daß es geordnet und ordnend ist.
Ordnung ist nichts anderes, als ... halt! halt! so fiele ich also selber in jene bequeme Redensart, die ich abgelehnt habe, die immer dort sich einstellt, im Flusse der Rede wie von selber, wo ein Wesen oder eine Existenz in sich selber nicht voll und ganz erkannt wird, oder erkannt werden kann – Ordnung ist nichts anderes als Ordnung, wie Zeit Zeit ist und Liebe Liebe. Beharren wir darauf und gebrauchen wir von diesem festen Punkt der Identität aus erst die Hilfsmittel! Dann erst kann man ohne Mißverständnis, daß man eine adäquate Definition gebe, zu sagen wagen: Ordnung ist nichts anderes, als daß jedes Ding, das ist, zunächst einmal in sich selber ganz sei, nicht mehr und nicht weniger, und also auch nicht mehr beanspruche, als was ihm gemäß seinem Sein zukommt, hinwiederum aber auch nicht mit weniger sich zufrieden gebe, als was ihm seinem Sein gemäß gebührt. Ordnung ist das äußere und innere rechte Verhalten zu sich selber und zu allem anderen. Aber das ist nur erst die Ordnung der Gerechtigkeit, welche die Voraussetzung ist der Ordnung der Liebe. Sie ist aber nicht mehr bloß ein Prinzip der Metaphysik der ewigen Philosophie, sondern das Prinzip der Theologie der Offenbarung.
Die Ordnung im natürlichen, erschaffenen Sein ist für Leibniz eine harmonia praestabilita. Das ist eine der geistreichsten Definitionen, die ein Philosoph außerhalb der ewigen Philosophie je gegeben hat. Aber: was ist dann die Unordnung?, die doch auch ist! Die christliche Philosophie antwortet, daß die Unordnung die Sünde sei. Zwischen der ewigen lebendigen Ordnung, welche das Sein Gottes und Seine Schöpfung ist, und der Unordnung ist der freie Wille des Geschöpfes, welcher als solcher zur ewigen Ordnung gehört und – der Mißbrauch dieser Freiheit im mysterium iniquitatis. Leibniz ist bei weitem der größte deutsche Philosoph, naturaliter der christlichste; aber er war allzusehr Ästhetiker in einem großartigen Sinne, als daß er die Realität der Sünde als die eigentliche Unordnung gesehen hätte. Kant sah sie wohl, aber er wußte keine andere Erklärung, als das radikal Böse im Sein.
»Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden.« Diese Bitte des Vaterunsers ist in der höchsten Sphäre die Erläuterung und Legitimierung des natürlichen ethischen Postulats: Ordnung soll sein. Denn Gott ist ein Gott der Ordnung, und Sein Wille ist unbestechlicher Ordner im Natürlichen und Übernatürlichen. Der einzige mögliche und wirkliche Gegner Seines Willens ist die von Ihm Selber erschaffene Freiheit Seiner geistigen Geschöpfe. Ordnung ist im Unerschaffenen Sein Gottes und Seiner Ideen und im erschaffenen Sein und Werdesein, soweit es unmittelbare Schöpfung Gottes ist; Ordnung ist und ist nicht im Sein und Werdesein der frei erschaffenen Geister und ihrer Werke, aber in ihnen soll Ordnung sein. Das Seinsollen gehört zur göttlichen Ordnung der freien Geschöpfe in diesem Äon. Aber was sein soll, muß, ebenso wie was ist, zuerst, auf welche Weise immer, erkannt werden. Der Primat der Wahrheit ist auch im Seinsollen. Wahrheit ist aber im Geiste, soweit er Intellekt ist. »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben« ist der unzerreißbare Satz der Selbstoffenbarung des Sohnes Gottes. Im Verhältnis zum Menschen ist das erste der Weg, im Verhältnis zu Gott ist das erste – die Wahrheit.
Das äußerste Zugeständnis, zu dem zuweilen ein Lebensphilosoph sich versteht, ist: daß man im Strome des Lebens auch auf Geistiges stoße. Das ist freilich ein explosiver Satz, der das ganze Gebäude sprengen wird, wenn die Lunte des Denkens zu glimmen beginnt. Wer oder was entdeckt denn im Strome des Lebens auch das geistige Sein und dann doch als ein übergeordnetes? Das Leben? Das ist doch Unsinn. Wer ist denn das Leben? Doch sicherlich nicht der Lebensphilosoph, der das Leben nur hat, nicht ist. Nur ein Dr. absurdiologiae kann in die komische Situation kommen, sich mit dem Leben zu identifizieren. Einer freilich konnte sagen: Ego sum vita, Ich bin das Leben, nachdem Er zuvor im selben Atem sogar gesagt hatte: Ego sum veritas, Ich bin die Wahrheit – aber dieser Eine war die Zweite Person der Trinität. Und wäre Er Sie nicht gewesen, kein Weiser, der das Maß des Menschlichen kennt und die feinen Ohren hat für den falschen Klang der Lüge und des Irrsinns, hätte vor Ihm die Knie gebeugt; keine von Natur so stolzen Geister, wie Augustinus, Pascal oder Kierkegaard, die unter ihresgleichen, unter menschlichen Geistern, keinem einen höheren Rang, als sie selber hatten, zugestanden, hätten sich so sehr gedemütigt, daß sie Ihn anbeteten. [Unter den menschlichen Beweisen für die Gottheit Christi ist kein stärkerer als dieser.]
Der Lebensphilosoph stößt im »Strome des Lebens« auch auf geistiges Sein. Wie kommt er dazu? Weil er das Leben hat? Aber auch die Pflanze ist lebendig, und das Tier ist lebendig. Entdecken sie im Strome des Lebens das geistige Sein oder das Sein des Geistes? Es hilft alles nichts. Man soll nicht originell sein auf Kosten der Wahrheit. Der Lebensphilosoph stößt im »Strome des Lebens« auch auf geistiges Sein, kraft des Geistes, der in ihm ist. Im Himmel, auf Erden und in der Hölle ist es der Geist, der sich selber erkennt und alles, was er nicht ist, aber: ihm verhaftet ist. Das ist ein Satz der ewigen Philosophie und der christlichen Theologie: der Geist ist es, der die Tiefen alles Seins erforscht und auch die Tiefen der Gottheit. Es gehört schon eine große Kraft der Abstraktion dazu, im Sein überhaupt einen »Strom des Lebens« festzustellen, eine Kraft und Fähigkeit, die nur dem Geiste zukommt, der mehr, nicht weniger ist, als der hier gemeinte »Lebensstrom«. Der Satz uralter Weisheit, daß Gleiches nur von Gleichem erkannt wird, ist eine Wahrheit, die, wie alle Wahrheit, nur im Geiste ist. Der materielle Stein wird nicht erkannt vom materiellen Stein, sondern, gar nicht so paradox, wie es sich anhört, vom geistigen Stein, der nun auch der Mensch ist. Der Mensch ist quodammodo omnia, gewissermaßen alles, weil er auch Geist ist, der auf seine Weise, also immateriell, alles ist. Dann ist freilich die unabweisliche Forderung, die wiederum der Geist stellt, daß in allem Sein ein Geisthaftes ist, also auch im Stein. Für die Lebensphilosophie ist der Geist der Stein des Anstoßes und das große Ärgernis. Es wäre ihr besser, nie gewesen zu sein.