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Am 31. März 183. – – es war wiederum an einem Freitag, und Mittwoche mit Freitagen spielen im Leben unsers Helden eine merkwürdige Rolle – steht der Benedict im paradiesischen Zustande vor den Regimentsärzten der Freiburger Garnison und die Herren machen ein bischen seltsame Augen, Einer davon sagt den Grund: »Füße wie zwei Sicheln, Rücken wie das Grammische Bierkellergewölbe, vom Kinn bis zu den Knöcheln Eine Dicke, mein Gott, was soll denn aus dieser Figur gemacht werden?« ... »Wenn wir noch Einen dieser Art hätten, besäßen wir ein hübsches Gestell für die große Trommel!« sagt trocken ein grauer Chirurg, der bei Leipzig die Säge drei Tage lang nicht aus den Händen gebracht hat. – »Was hat denn der Mann bis jetzt gearbeitet?« fragt der Kritiker wieder. – »Ich bin ein Bauer!« stottert der Benedict und schnappt nach Luft. – »Ach, da ist der Rückenkorb viel getragen worden, man sieht's dem Rücken, den Füßen, dem ganzen Mann an!« – »Nein, meine Herrn! doch auf dem Kopfe habe ich viel und schwer getragen.« – »Das sieht man wohl, 's ist eine Terrasse, worauf ein Ball arrangirt werden könnte!« meint der trockene Chirurg. – Nun, tröstet der Oberarzt, die Füße werden sich schon wieder strecken, der Tornister wird sich auch Platz machen, der Mann sieht gut aus, hat eine starke, ausdauernde Brust, er kann gut werden! – »Aber der kann doch den großen Bombardon noch nicht erspannen?« fragt der Graue. – »Weiß nicht, er hat ... lange Finger, er ist tauglich!« lächelt der Oberarzt, Eine Viertelstunde später mißt der Compagnieschneider im Zimmer der Staabscompagnie dem Benedict Rock und Hosen an und prophezeit, er werde die Montur meisterhaft machen, doch koste es ein Maaß Bier.
Am ersten April sitzt er auf dem Gang des Hintergebäudes der Kaserne, wo die Hobisten hausen, und ein entsetzlich langer Tambour stutzt ihn mit Kamm und Scheere um ein Schnäpschen zu einem vollkommenen Hobisten um, hält ihm dann den kleinen Spiegel vor und der Rekrut kann sich in seiner nagelneuen Montur nicht genug bewundern.
Schade, daß er nicht sofort zur Säbelkuppel greifen und zum Rösele ins Rheindorf hinüber marschiren darf; der Weg ist doch etwas weit und die Rekruten müssen zuerst Honneurs machen lernen, bevor sie zum Gitter hinauskommen.
Am zweiten Sonntag nach dem ersten April sagt der Straßenbasche beim Mittagessen. »Rösele, am nächsten Samstag gehen wir wieder einmal auf den Wochenmarkt, nach Freiburg hinüber und wollen sehen, was er macht!« – »Ja, ich mag gar nichts mehr hören!« – »Sei doch nicht so einfältig, hast verweinte Augen und ganz umsonst; er ist ja kein Kind mehr und sieht an Andern, wie weit er mit dem Leichtsinn kommt.« – In diesem Augenblicke springt des Nachbars kleine Johanne athemlos zur Thüre herein und keucht und sagt: »Rosa, dein junger Vetter ist wieder beim »Sanmathis!«... er ist kein Sauhirt mehr! ... hat einen Säbel! ... Soldat ist er!« »Was? ... Beim Hirt ist er? ... wirst nicht recht gesehen haben, Hanne!« – »Ho, er hat mir ja einen Wecken gegeben, da guckt, den Wecken hat er mir gegeben!«
Der Straßenbasche sieht auf und will zur Thüre hinaus, im gleichen Augenblick öffnet sich diese und in der Stube steht ein schmucker Hobist, der militärisch grüßt und wohlgefällig lächelt.
»Aber Röfele, kennst ihn noch? jetzt sag' nur nichts mehr, sonst – ...« »O Vetter, ich bitt' Euch! ... will gern nichts mehr sagen, wenn einmal dort neben Eurem Abschied ein ähnlicher von ihm an der Wand hängt!« –
Schon eilen Nachbarn und Freunde herein, Alle wollen den Hobisten sehen, sprechen, ihm gratuliren, sogar der blinde Michel tappt herein und greift an ihm herum, greift gleich einen Offizier heraus; Alles lobt, bewundert den Benedict, tadelt die unerbittliche Rosa und diese muß zuletzt, um den Straßenbasche nicht zu erzürnen, auch ein Wörtlein des Wohlgefallens von sich geben.
Wie die Leute wieder fort sind, fragt der Alte: »Wie ist's mit dem Zeugniß vom Amt und Bürgermeister gegangen?« – »Gar nichts weiß ich davon; entweder ist's vergessen worden oder die Offiziere haben es gar nicht oder im Wirthshause gelesen! Gewiß bleibt, daß zwei Andere fortgeschickt wurden, weil ihre Zeugnisse ein paar Tage ausblieben!« – »Ho, der Oberst hat eben deine Jugend in Anschlag genommen, er ist ein guter Herr, Alles vergißt sich leicht, wenn Du brav bleibst!« – »Ja, brav ist der Oberst! Gestern auf der Parade meldete ich mich und bat für heute um Urlaub, um Kleinmonturstücke zu holen. Da hat er mich ein wenig finster angeschaut und gefragt, ob ich denn eine Kaserne von einem Taubenschlage zu unterscheiden wisse. In der Todesangst nannte ich ihm Euern Namen, da strich er den großen Schnauz und gab mir Urlaub!« – »Wie lange?« – »Morgen früh bei der Tagreveille muß ich unterm Kasernenthor sein!« – »Ja, das sieht ihm gleich, er ist noch der alte Fuchser, bis er weiß, wen er vor sich hat!« lachte der Unteroffizier.
Am andern Morgen oder vielmehr kurz nach Mitternacht eilt der Benedict mit einem ordentlichen Päcklein Freiburg zu. Mutter Klara und Rösele haben feine, blendendweiße Leinwand, woran übrigens im gesegneten Breisgau kein Mangel ist, hergegeben, damit der bierdürstende Compagnieschneider 2 paar Sommerhosen daraus mache; die Mutter des blinden Michel sorgte für Leinwand zu Unterhosen und Kamaschen, die Mutter des Saumathes brachte Hemden und Schuhe, der Straßenbasche und Andere schwitzten etwas Geld, das Rösele legte 3 baare Gulden dazu; noch nach Mitternacht geben einige Buben dem Benedict das Ehrengeleite eine gute Strecke weit und kehren erst auf sein wiederholtes Geheiß singend und jodelnd ins Dorf zurück. – Das Rösele hat ihm mit weinenden Augen so dringend empfohlen, Gott vor Augen zu haben und sich an brave, erfahrene Kameraden zu halten, der Duckmäuser muß Vorbilder suchen und diese sich zu Freunden machen, hat bereits seine Augen prüfend umhergeworfen.
Montags nach der Austheilung der Menage mißt ihm der Feucht, der Compagnieschneider die Sommerhosen an und während der Operation fällt es dem Benedict bei, dieser Schneider sei das erbaulichste Muster eines stillen, frommen, gottesfürchtigen Soldaten. Weßhalb? Er hat die Maaß Bier, welche der Benedict ihm wegen der Montur zahlte, noch nicht getrunken, ist ein alter Soldat, der schon zum vierten Mal für Andere einstund, ein ruhiger gesetzter Mann, welcher den ganzen Tag bei seiner Arbeit sitzt, sehr wenig redet, mit Keinem umgeht, sich in seinem Arbeitseifer ungern stören läßt; die einzige Gelegenheit, bei welcher er zornig wird und in seiner Seehasensprache furchtbare, niegehörte Flüche zum Besten gibt, ist die, wenn Einer ihn necken will oder ihm Wachs, Zwirn, die Scheere, Maaße und dergleichen verlegt oder wegstipitzt oder nach seinem Ausdrucke »Dreck schwätzen« will.
So lange der Benedict unter den Zweifarbigen steckt, hat sich Meister Feucht noch nicht herausgewichst, nicht einmal den ungeheuern rothen Schnurrbart gekämmt und wozu hätte er es thun sollen? An Werktagen wie an Sonntagen arbeitet der Schneider und kommt kaum zur Stubenthüre, geschweige zur Kaserne hinaus.
Solch Muster der Eingezogenheit und Solidität hätte Benedict nicht unter den Hobisten gesucht; diese sind ein ziemlich lustiges und leichtes Völklein und der Feucht beinahe der Einzige, an welchen er sich getrost anschließen möchte.
Doch jedes Wort, was der Straßenbasche vorgepredigt, klingt fort in unserm Rekruten und so oft er sich dem Compagnieschneider nähern will, glaubt er aus dem ernsten, strengen Gesichte desselben folgende Worte des Straßenbasche zu lesen:
»Ein Rekrut soll sich vor allen längerdienenden Leuten stets in ehrerbiethiger Stellung und Entfernung halten, sich nicht vorwitzig oder gar frech in deren Reden mischen und Vorgesetzten jedes Ranges nur wenn er von diesen Etwas gefragt wird, anständig, bescheiden, kurz und wahrhaftig antworten!«
Unter solchen Umständen mußte sich der Duckmäuser einstweilen begnügen, den Meister Feucht aus naher Ferne zu bewundern und mit dem Spruche trösten: Kommt Zeit, kommt Rath, dann folgt die That! –
Am 5. Mai steht der Schneider in aller Frühe auf, bürstet mit der Silberglätte die rothgewordenen Messingknöpfe seines Monturfrackes, den Säbel, die Bataillenbänder des Tschako's, klopft dann drunten im Kasernenhofe Rock und Hosen aus, kleidet sich an und geht zum ersten Mal seit 5 Wochen im vollen Staate zur Thüre hinaus.
Der Benedict besitzt nicht den Muth, Einen um Erklärung des so räthselhaft gewordenen Betragens seines Vorgesetzten zu bitten, denn er ist der Jüngste von Allen und diesmal sicher auch der Gespannteste. Um 8 Uhr geht der Schneider zum Rapport, wird unsichtbar bis um 9 Uhr, wo derselbe mit geröthetem Kopfe zur Probe kommt. Letztere ist beendigt, Meister Feucht nähert sich seinem Bette, doch zieht er den Frack nicht aus, sondern kämmt nur seinen feuerrothen Schnurrbart recht sorgfältig und eilt dann abermals raschen Schrittes zur Thüre hinaus.
Der Schneiderstuhl bleibt heute den ganzen Tag unbesetzt, nicht Eine Nadel fädelt dessen Inhaber ein, weil er sich weder beim Mittagessen, noch beim Verlesen sehen läßt.
Abends macht der Duckmäuser einen Spaziergang; kurz vor dem Zapfenstreich kehrt er zurück, die Tambours spannen ihre Trommeln, beim Kasernenthor aber hält ein Bauer mit einem Mistwagen; er trägt einen Tschako in der einen, die Geisel in der andern Hand, auf dem Mistwagen aber liegt lang ausgestreckt ein Soldat, ein Hobist, stöhnend, ächzend und unverständlich fluchend. Der Benedict erschrickt nicht wenig, wie er in diesem Hobisten sein nachahmungswürdiges Muster, nämlich den Compagnieschneider Feucht erkennt. Doch, wem ein Unglück begegnet ist, pflegt nicht Versuche zum Singen zu machen, der ganzen Welt Brüderschaft anzubieten und vor der Kaserne in seligem Entzücken zu jauchzen. Der gute Feucht ist schwer betrunken; der Bauer muß ihn abladen, singend legt er sich sofort auf den Boden, zwei Soldaten tragen und schleppen ihn zunächst auf die Stockwache, von da in den Dunkelarrest für Unteroffiziere und hier mag er nach etwa 36 Stunden aus überirdischen Sphären wieder zum Bewußtsein seines soldaschen Schneiderthumes gelangen.
Benedict erzählt den Musikanten, was ihrem Schneider begegnet sei, doch Keiner verwundert sich darob und der Nachbar zählt kurz Meister Feuchtens Erlebnisse auf. Nach drei Tagen wird dieser wiederum erscheinen, sich ruhig auf den Schneiderstuhl setzen, genau sechs Wochen lang die Nadel und das Bügeleisen schwingen, schweigsam, unermüdlich, ruhelos, denn sechs Wochen hat er Kasernenarrest und nur so lange der Schneider von diesem festgehalten wird, ist Hoffnung da, daß die Hosen und Röcke der Hobisten geflickt werden. Heute über 6 Wochen wird Feucht sich wieder putzen, um 8 Uhr zum Rapport gehen, um sich als freier Mann zu melden, um 9 Uhr mit rothem Kopfe, doch taktfest die Deckel schlagen, um 10 Uhr verschwinden, Abends kurz vor dem Zapfenstreich von einem Bauer vom Mistwagen geladen, von zwei Soldaten der Kasernenwache in den Dunkelarrest für Unteroffiziere geschleppt werden und so fort bis in ferne Zeiten.
Also hat's der Compagnieschneider Feucht vom Bodensee seit vielen Jahren gehalten; alle Obersten und Generale Europas würden ihn nicht dazu bringen, frei und freiwillig eine Nadel zu berühren, im Arrest dagegen ist er anerkannt der eifrigste und beste Schneider des ganzen Regimentes und dereinst wird er im Arrest oder im Rausche Abschied von der Welt nehmen und diese wird um ein Original ärmer geworden sein.
Der Duckmäuser hörte auf, den Compagnieschneider als sein Vorbild zu betrachten, er dachte an Rosa und seufzte.
Unter 30 bis 40 Mann sollte es keinen braven und frommen geben? Nein, unter den Musikanten des Regimentes gibt es nachahmungswürdige, wackere und geschickte Leute, vorzüglich unter den Hobisten erster Klasse, doch diese sind verheirathete Männer, wohnen gar nicht in der Kaserne, lassen sich nicht zu einem jungen Menschen herab, kommen nur Morgens mit dem Kapellmeister zur Probe und der Benedict darf ihnen höchstens die Säbelkuppel anstreichen, die Knöpfe und Anderes recht glänzend putzen. –
Im Zimmer befindet sich ein junger Mann, auf welchen das Auge des Enttäuschten fällt. Derselbe spricht fast noch weniger als Meister Feucht, geht auch mit Niemanden um, er liest beständig. Er liest vor und nach der Probe, liest während des Mittagsessen, liest den ganzen Nachmittag und wenn er Abends zuweilen ausgeht, nimmt er jedesmal einen Pack Bücher mit und bringt einen andern zurück. Schon lange hätte ihn der Duckmäuser gerne um eines seiner interessanten Bücher gebeten, doch er getraute sich dessen nicht, Straßenbasche's Ordre kommt ihm nicht aus dem Sinn; bald eilt ein glückliches Ohngefähr dem Schüchternen zu Hülfe. Eines Morgens steht der Lesefreund sehr frühe auf, setzt sich ans Fenster, liest und vergißt vor lauter Lesen das Morgenessen, liest fort, bis der Kapellmeister erscheint.
Jetzt steht er auf, schleppt seine große Trommel an ihren Platz, haut während der Probe ingrimmig auf das Kalbsfell hinein, schlägt einigemal fehl und erhält dafür 2 Tage Zimmerarrest, um die Gedanken zu sammeln. Mittags kommt er zum Benedict, ersucht denselben, ihm einen Pack Bücher in die Leihbibliothek Waizeneggers zu tragen und alle zu bringen, deren Nummern auf dem beigelegten Zettel ständen. Freudig geht der von Kindesbeinen an dienstfertige Duckmäuser mit den Büchern fort, läuft jedoch nicht die Kaiserstraße, sondern den Löwenrempart hinauf; auf diesem kleinen Umwege ist er sicherer vor honneurswüthigen Unteroffizieren und Offizieren und kann ein bischen in die Bücher hineinschauen. Ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler ist der Duckmäuser von jeher gewesen, die Titel dieser Bücher eröffnen ihm eine neue Welt, er begreift die Lesewuth des großen Trommelschlägers, indem er liest: Bruckbräu oder der baierische Hiesel geschildert als Wildschütz, Räuberhauptmann, und landesverrufener Erzbösewicht – Simon Tanger der furchtbare Seeräuber – die sechs schlafenden Jungfrauen, eine Ritter- und Geistergeschichte – Ritterkraft und Mönchslist. – Die Grafen von Löwenhaupt – Tausend und Eine Ausschweifung.
Zitternd vor Freude, denn jetzt hat unser Rekrut gefunden, an was er sich halten soll, was ihn vor aller Gefahr wahrte und damit sein zeitliches und ewiges Glück feststellt, tritt er in die Bibliothek und die langen Reihen aufgestellter Bände entflammen vollends die längst gehegte Sehnsucht nach recht vielen Büchern zur Leidenschaft. Bisher hatte er leidenschaftlich Musik getrieben, denn in der Kaserne hatte er am ersten Tage den gewaltigen Unterschied zwischen der Dorfkirchweihenmusik und der Musik einer militarischen Musikbande entdeckt, unter welcher wahre Künstler und Virtuosen steckten; die Regimentsmusik, versetzte ihn in trunkenes Entzücken und kein Hobist übte sich fleißiger auf seinem Instrumente, denn der Duckmäuser. Doch Clarinettblasen konnte er auch nicht den ganzen Tag und weil er stets dachte, alle Gelegenheit meiden sei das Beste und fast immer zu Hause blieb, so fühlte er oft herzliche Langweile.
Nunmehr wollte er seine ganze Zeit theilen zwischen der Clarinette und den Büchern und er thats. Bald unterschied er sich vom großen Trommelschläger nur noch dadurch, daß er durch seinen Eifer für Musik sich die ganze Achtung und Liebe seines Kapellmeisters erwarb, bald keiner Belehrung mehr bedurfte, Alles vom Blatte wegblies und ein ordentlicher Künstler wurde.
Er hätte einen wirklichen Virtuosen abgeben und zugleich mehrere Instrumente erlernen können, doch dazu reichte die Zeit nicht hin, denn wenn er gerade mit einem rechten Bücherhelden zu thun hatte, vergaß er oft Essen, Trinken und Schlafen, bis er Alles wußte, was derselbe gethan und welches Fräulein er beglückt oder welchen Tod er erlitten habe.
Die Clarinette und der Katolog Waizeneggers verschlangen über ein Jahr eines stillen, glücklichen, genußreichen Lebens, ließen ihn alle Bierschenken, Wirthshäuser und Stadtmamsellen vergessen; alle Vorgesetzten achteten und liebten ihn, die Spöttereien und Neckereien leichtfertiger Vögel berührten ihn wenig, er gewann durch seine Freundlichkeit und Dienstfertigkeit die meisten Kameraden für sich, ohne ihre Einladung zum Ausgehen anzunehmen. An Samstagen fehlte er niemals auf dem Münsterplatze, wenn er glauben durfte, die Rosa zu treffen, Abends schrieb er zuweilen Briefe voll Gluth, Inbrunst und Tugendsinn und wenn er Urlaub bekommen konnte, eilte er ins Rheindorf hinüber.
Von Zeit zu Zeit brachte er seinem Rösele kleine Geschenke, vergaß niemals, dem Straßenbasche einige Päcklein ächten Portorikos, der kleinen Johanna und andern Kindern Milchbrödlein mitzubringen. Der alte Unteroffizier wußte, was ein stets ordentlich gefüllter Geldbeutel bei einem Soldaten und insbesondere bei einem Hobisten zu bedeuten habe, sah das gesunde Aussehen und die Nüchternheit des künftigen Schwiegersohnes, hörte, wie begeistert derselbe von seinem Stillleben in der Kaserne sprach und wie fremd ihm die Stadt blieb, er jubelte vor Freuden und die vornehmsten Bürger des Ortes sammt dem alten, ehrwürdigen Geistlichen eilten in das Haus des Straßenbasche, wenn es hieß, der Zweifarbige sei im Dorfe wieder gesehen worden.
Als noch im nächsten Frühling die Hobisten der Rosa auf dem Wochenmarkte dasselbe bestätigten, was sie im vorigen Sommer schon gesagt, daß nämlich der Benedict sicherlich durch sein ewiges Lesen noch ein »Pfaffe« werde und in ein Kloster wandere, da verloren sich auch ihre Besorgnisse, sie glaubte an die vollkommene Besserung ihres Geliebten und fühlte sich glücklich. –
Eines Tages sitzt der Duckmäuser mit dem Leibe auf dem wieder einmal verwaisten Schneiderstuhle des Meister Feucht, mit den Gedanken jedoch schwärmt er in überirdischen Regionen und mittelalterlichen Zeiten.
Während der Hobist an einem Stücke Komißbrod kaut, hält der Romanleser just auf einem glänzend schwarzen Streitrosse, den Leib mit einer silbernen Rüstung bedeckt, auf dem Haupte einen goldenen Helm mit wehendem Federbusche und hinaufgezogenem Visir als Sieger beim Turnier auf der Todesklippe vor dem Balkon der Ritterfräuleins. Die Königin aller Schönheit, die bezaubernde 17jährige Gräfin Etietta, um welche sich binnen kurzer Zeit 700 Ritter, 300 Grafen, 90 Herzoge und 11 kaiserliche und königliche Prinzen bereits todtgeschlagen, reicht ihm eine mit Gold und Edelsteinen reich geschmückte himmelblaue Schärpe und heftet zum Zeichen, daß sie ihn unter Allen einzig und allein liebe, eine rothe Schleife an seine Lanze. Eben will er in die Schranken zu den Rittern zurücksprengen, als ein dickköpfiger Füselier zur Stube herein und gerade auf ihn losgeht, um zu melden, Hobist Benedict werde im Münster von 2 Frauen erwartet.
Er plumpt in die schaale, prosaische Wirklichkeit zurück, doch bang und freudig zugleich schlägt sein Herz fort, denn augenblicklich denkt er an Etwas, dessen Mangel einzig und allein die Seligkeit seines Kasernenlebens stört.
»Der Eltern Segen baut den Kindern Häuser, ihr Fluch reißt sie darnieder!« hat er als Unterlehrer viele hundertmal gehört, gelesen und geschrieben und das furchtbare Wort »Nenne mich nie mehr Deine Mutter!« tönt wie Todtensang und Eulenschrei in den sonnenhaften Himmel der Gegenwart hinein.
In aller Eile putzt er sich, eilt zur Kaserne hinaus, doch läuft er weit langsamer, wie er bei der Post aus der Kaiserstraße auf den Münsterplatz einlenkt, er muß sich erinnern, daß er vor kurzem Sieger im großen Turnier bei der Todesklippe gewesen sei und als Hobist mindestens so vielen Muth besitzen müsse, um im Nothfalle vor einer alten Frau zu erscheinen.
Durch eine Seitenthüre tritt er in den herrlichen Tempel, wandert durch den Säulengang emsig umherspähend hinauf und entdeckt endlich die Rosa, welche betend vor einem Nebenaltare kniet. Dieselbe ist allein; doch nein! Die gigantische Säule hat Rosas Nachbarin verborgen, er kennt dieselbe nicht recht, doch sieht er soviel, daß es ein altes Mütterchen und sein pochendes Herz sagt ihm, wer es sei. Er bleibt stehen, hustet ein wenig, Rosa schaut um, steht auf, nimmt das ebenfalls sich erhebende Mütterchen bei der Hand, beide kommen auf den Hobisten zu – das Mütterchen ist Mutter Theres.
Welch Zusammentreffen, welch Wiedersehen!
»Das ist Euer Sohn, mein geliebtester Freund!« sagt die tiefbewegte Rosa; laut weinend wankt das Mütterlein heran, sieht vor Thränen die Hand nicht, welche ihr der Sohn entgegenstreckt und erst als er fragt: »Mutter, seid Ihr mir noch immer böse« spricht sie leise schluchzend: »Nein, Benedict, Du bist wieder mein Kind!« und reicht ihm die verwelkte Hand.
»Gott sei Lob und Dank!« jubelt der Hobist und tritt in einen Kirchenstuhl, um für die Erfüllung seines einzigen Wunsches zu danken, die Mutter und Rosa thun das Gleiche.
Alle Drei gehen in die Kaserne, der Benedict freut sich, den Weibern, die vom Inwendigen einer Kaserne gar wunderliche Vorstellungen herumtragen, Alles zeigen und erklären zu dürfen und ermangelt nicht, die Freude derselben durch Vorzeigung einiger seiner lieben Bücher vollständig zu machen. Aus der Kaserne geht's in den Löwen hinüber, ein guter Markgräfler wird aufgestellt, der Hobist weiß schon, daß Mutter und Geliebte nicht alle Jahre zu einem Gläslein vom Besten kommen.
Das Aussehen und die schöne, ehrende Kleidung sammt den Reden und Benehmen des Duckmäusers versetzten im Bunde mit dem Gläslein dessen Mütterlein in den siebenten Himmel, sie reicht ihm alle Augenblicke die Hand, ihr Auge ruht unbeweglich auf ihm und sie kann ihn nicht oft genug ihrer Liebe versichern und um Verzeihung bitten.
Mutter und Geliebte begleiten den Helden um 5 Uhr Abends zum Verlesen, der alten Frau schießen Zähren in die Augen, wie sie ihren verlornen und wiedergefundenen Sohn so blühend und stattlich im geschlossenen Gliede stehen sieht und wie dessen Name verlesen wird, meint sie, die ganze türkische Musik mit den lieben Engelein im hohen Himmel müsse einen Freudentusch darauf folgen lassen und vergißt alle Schmerzensthränen, welche er ihr schon ausgepreßt hat.
Abends sagt sie beim Abschied mit weinenden Augen: »Schau' Benedict, schon lange und viel tausendmal habe ich gewünscht, sterben zu können, mein Jakob hat's ebenso gehabt, nun aber wünsche ich mir, noch lange zu leben, denn ich bin wieder eine glückliche Mutter; viel Thränen hab' ich vergossen um deinetwillen, diese aber, die jetzt über meine alten Backen fließen, sind süß, es sind Freudenthränen!«
Mutter und Sohn sind glücklich, am glücklichsten ist das Rösele, welches bald mit ihr vor Freuden weint, bald ihn wie ein Engel anlächelt und sich von diesem Tage kindlich an Mutter Theres anschmiegt.
Am nächsten Morgen trennen sich alle Drei, sie versprechen bald möglichst wieder zusammenzukommen, die Mutter hat fahren sollen, doch es durchaus nicht gethan, der Sohn hat zuerst dem Rösele ein kleines, dann der Mutter ein großes Geleit gegeben und kehrte glücklicher als je in die Kaserne zur Klarinette und zu den Büchern zurück, welche der große Trommelschläger indessen für ihn ausgelesen hat.
Wo und wie kamen Mutter Theres und das Rösele zusammen?
Auf dem Wege von Freiburg nach Sanct Georgen steht bis zur Stunde links an der Landstraße ein winziges Kapellchen; die Rosa war vom Straßenbasche nach Freiburg geschickt worden und hörte in diesem Kapellchen weinen und beten. Sie trat hinein und kniete neben der Mutter Theres, jedoch ohne dieselbe zu kennen, denn erstens ist das Kapellchen winzig wie die Neuzeit und dämmerungsreich wie das Mittelalter und zweitens ist's schon eine schöne Zeit, seitdem der ehrliche Klaus am Herzbruch starb, weil er keinen Wortbruch begehen wollte, das Rösele sammt den Geschwistern ist aus dem Dörflein fortgezogen und ein großes, stattliches »Maidle« geworden.
Tief und schwer seufzt, bitterlich weint das Mütterchen und aus ihren Reden entnimmt Rosa, daß schwerer Kummer um eines Ungerathenen willen ihr Herz drückt und daß sie eine Landsmännin vor sich habe, welche im Begriffe stehe, eine Wallfahrt nach Marien Einsiedeln zu machen, was bei einer so alten, gebrechlichen Frau schon Etwas heißen will. Nach wenigen Fragen weiß das Mädchen, Benedicts Mutter stehe neben ihr, das liebende Herz wallt auf und fragt, ob das Mütterlein schon lange nichts mehr vom Sohne gehört habe der Benedict heiße. Doch die Frage wirkt arg, das Mütterlein schreit auf und bricht fast zusammen, fleht unter Thränen, diesen Namen nicht mehr zu nennen, kein Wort mehr von dem Sohne zu reden.
Daheim im Dörflein schämten sich die Eltern des Duckmäusers so sehr, daß sie um keinen Preis nach demselben gefragt oder auch nur dessen Namen genannt hätten. Die Dorfbewohner wußten dies, schonten deßhalb die unglücklichen Leute, doch wußten diese von der Margareth, daß der Benedict am Rheine drüben die Schweine hüte, denn der »Saumathis« sagte es bei einem Besuche der Verwandten, welche er im Dörflein besaß. Kein Mensch wußte jedoch, daß der Schweinhirt zum Hobisten geworden und in der Kaserne zu Freiburg sei, Mutter Theres hatte sich ihr banges und doch halbfreudiges Ahnen beim Durchmarsche durch Freiburg auch nicht erklären können. Jetzt sagte das Rösele, was und wo der Benedict zu finden, gab sich selbst zu erkennen und suchte die Alte zu bewegen, mit ihr in die Stadt zurückzugehen. Lange und harnäckig bleibt die Mutter dabei, den Sohn nicht sehen zu wollen, aber das Rösele hört mit guten Versicherungen, Bitten und Betteln nicht auf und so kam es zuletzt doch, daß die Beiden zusammen durch das Breisacherthor in die schöne, freundliche Kaiserstraße und beim Museum hinüber in das Münster wandelten, in welchem Bernhard von Clairvaux den Kreuzzug gegen die Ungläubigen im fernen Morgenlande, heuer die Jesuiten wahrhaft zeitgemäß den Kreuzzug gegen den Unglauben im Herzen der Zuhörer predigen.
Ein Soldat schlägt einem hübschen Mädchen selten oder niemals eine freundliche Bitte ab und so geschah es, daß ein dicker Füselier, der auf dem Münsterplatze stand, die Zähne am Winde trocknete und am wunderbar schönen, durchbrochenen Münsterthurm schwindelnd und staunend hinaufsah, auf Rosas Geheiß eiligst zur Kaserne trabte und den Hobisten Benedict mitten im Siege von der Gräfin Etietta weg ins Münster zum armen Mütterlein und zur Pflegetochter des Straßenbasche zauberte.