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IV.

– – Du, theuerster Anton, hast Deinem Bruder das Reisegeld gegeben und in zwei Wochen segle ich Amerika zu, um dort nach Kräften gut zu machen, was ich an der alten Welt, an dem Vaterlande, an meiner Familie und mir selbst gesündiget. Hätte ich nicht das Kleid eines gemeinen Verbrechers getragen, so würde ich in ein Kloster gehen, nicht sowohl um meine Schande zu verbergen, sondern um die Gnaden zu offenbaren, welche Gott auch dem Unwürdigsten noch zukommen läßt, wenn derselbe sich an Ihn wendet.

Es scheint mir nützlich und nothwendig zu sein, daß in den Tagen wachsender Armuth, unersättlicher Genußsucht und maßlosen Hochmuthes Menschen durch Thaten den Mitmenschen beweisen, wie wenig Einer braucht, um zu leben, wie wenig sinnliche Genüsse zum Glücke gehören und wie wenig Demuth und Selbstverläugnung uns erniedrigen. Klöster sind eine Forderung der Zeit.

Ach, ich möchte die Zahl Derer so gerne um Einen vermehren, welche laut und offen verkündigen, daß der moderne Staat wiederum ein christlicher werden müsse und daß Kaiser, Könige, Fürsten und Grafen bis herab zum Bettler hinter dem Zaune Eine Pflicht und Eine Bestimmung haben, weil Christus für Alle gestorben, Tod und Gericht Allen gemeinsam sind.

Leider sind jene Tage vorüber, wo auch große Verbrecher in stillen Klostermauern Aufnahme fanden, um Buße zu thun und durch Wort und Beispiel die Vergangenheit zu sühnen.

In zwei Welttheilen lebte ich als Seelenverderber, im dritten will ich als Seelenretter ausharren bis zum Ende und als ein in Christo Freigewordener, noch weit weniger als früher ein Gewicht auf die Warnung legen, welche Faust dem Wagner gibt:

Wer darf das Kind beim wahren Namen nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,
Die thöricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
hat man von je gekreuzigt und verbrannt!

Ich suche in Amerika kein Eldorado und weiß, welche Entbehrungen und Schwierigkeiten meiner harren, nachdem ich mich entschlossen, die Wilden der Urwälder aufzusuchen, unter denselben als Vorarbeiter und Gehülfe der Missionäre zu wirken und an ihnen gut zu machen, was ich an Andern gesündiget.

Doch ich will Deinen Wunsch erfüllen, theuerster Bruder und Dir Näheres von meinem Zuchthausleben erzählen, namentlich insofern dasselbe zu meiner sittlich-religiösen Wiedergeburt beitrug.

Es war im Spätjahr 1847. Ich wußte genauer als mancher Andere, daß Frankreich am Vorabend einer Revolution stehe. Daß dieselbe jedoch schon im Februar 1848 losbrechen und nicht nur die Julimonarchie stürzen, sondern die Monarchie überhaupt zertrümmern und Sozialisten zu Führern Frankreichs machen würde, das ahnte ich nicht, weil es meine kühnsten Hoffnungen überflügelte.

Hätte ich eine Ahnung davon gehabt, so würde ich die geheime Mission nach Deutschland nicht übernommen, eine verhängnißvolle Brieftasche mit Banknoten nicht – gefunden und das Inwendige des Zuchthauses wohl nimmermehr gesehen haben.

Ich lag im Gefängniß, als die Februartage kamen. Sie machten mich rasend; ich konnte Tag und Nacht keine Ruhe finden und wundere mich nur, daß ich nicht geisteskrank wurde. An Fluchtversuche dachte ich nicht, weil ich stündlich Befreiung auf andere Weise hoffte und erwartete und als diese ausblieb, hatte ich es durch meine Reden und mein Benehmen dahin gebracht, daß man ein scharfes Auge auf mich bekam und mich in ein besser verwahrtes Gemach brachte, wo ich einsame Stunden fieberhafter Spannung verlebte.

Es war zu erwarten, daß Berlin ein bischen Prosit rufe, wenn Paris nieße, aber daß Berlin Prosit schreie und die gute alte Stadt Wien zum »Paris in Knabenschuhen« würde, hatte ich auch nicht geahnt und als es dennoch so kam, verwünschte ich bereits im Sträflingskittel das Mißgeschick, welches langjährige Hoffnungen verhöhnte, indem es mich, den Sohn der Freiheit und Soldaten der Revolution zu einem Staatssklaven und Opfer tödlich verachteter und gehaßter Gesetze machte. Das Ärgste war, daß ich keineswegs umstrahlt von der Glorie eines politischen Märtyrers, sondern in der Eigenschaft eines gemeinen Spitzbuben in die Strafanstalt trat und hier zum Ueberfluß noch Leute fand, welche mich früher und leider nicht auf vorteilhafte Weise kennen gelernt.

Beamte und Aufseher behandelten mich gleich jedem Andern; ich fühlte, daß gleiche Behandlung Aller große Ungleichheiten zur Folge habe, sogar das Beisammensein mit Dieben empörte meinen Stolz und ich that Alles, um mich bei den Bessern der Sträflingsbevölkerung in Ansehen zu setzen. Doch ein alter, einäugiger durchtriebener Gauner, mit welchem ich früher einmal im Amtsgefängnisse zu N. gesessen, redete zu meinen Gunsten in einer Weise, welche mir die Achtung der Bessern verscherzen mußte und eine Mißgestalt von Bauernknecht, welchen ich in demselben Amtsgefängniß gewissenlos um seine Ersparnisse gebracht und der nunmehr wieder unter Einem Dache mit mir lebte, erzählte Alles, was er Schlimmes von mir wußte.

Draußen Revolution, der Kanonendonner und Freudenjubel der großen Zukunft, in der Strafanstalt elende Handarbeit, schmale Kost und schlechter Trunk, dabei noch Verachtung von Seite vieler Mitgefangenen, welche mich gerade deßhalb um so herber drückte, weil sie von Sträflingen kam – wie zermalmte mich solche Verschärfung meiner Strafe!

Der Gedanke, daß ich von meinen Freunden außerhalb der Gefängnißmauern verlassen und vergessen sei, beunruhigte mich so sehr als die Ungewißheit über die Lage der Dinge und ich glaube ich hätte damals einen Finger für eine Nummer der Augsburger Allgemeinen Zeitung gegeben.

Die verworrenen und sich widersprechenden Gerüchte, welche durch Plaudereien der Zuchtmeister, Schildwachen, Besuche und neu eintretenden Sträflinge verbreitet wurden, dienten im Ganzen nur dazu, meine Neugierde zu erhöhen, die Qual der Ungewißheit bis zur Verzweiflung zu steigern und meine Ansichten über die Ereignisse vollständig zu verwirren.

Du erfassest das Elend solcher Qualen, im Vergleich zu welchen die Qual der Gefangenschaft an sich geringfügig erscheint, nicht. Wer einen Gott hat und einen Himmel kennt, der trägt unzerstörbaren Frieden in sich und betrachtet das wechselnde irdische Leben ruhig.

Der Mai hatte einige Soldaten zu uns gebracht, die für eine zahme Republik gekämpft haben sollten und doch nicht wußten, was eine Republik sei. Es waren gutmüthige, brave Bursche und ich suchte mich denselben zu nähern, allein sie blieben gegen mich wie gegen die »Spitzbuben« zurückhaltend und spröde.

Sie sahen ein, daß es für Soldaten eine unverzeihliche Dummheit sei, zur Zeit einer Emeute eine Ausnahme vom Verhalten der Mehrzahl der Kameraden zu machen und nicht ihre harte Strafe, sondern ihr Zusammengeworfenwerden mit gemeinen Verbrechern war's, was sie nicht zu verschmerzen vermochten und ihren Rachedurst entflammte. Ich gewann sie leicht für meine Ansichten, nachdem sie einmal an ihre neue Gesellschaft besser gewöhnt waren und einiges Vertrauen zu mir gefaßt hatten. Unvergeßlich bleibt mir die Demüthigung, welche mir einer derselben bereitete. Ich erzählte nämlich von Robespierre und lobte vor Allem die Uneigennützigkeit dieses Helden der Revolution, den ich als eines meiner Vorbilder erklärte. Da meinte Jener trocken, wenn Uneigennützigkeit für einen rechten Volksführer unentbehrlich sei, so werde ich niemals einen solchen abgeben! – Aus dieser Rede wie aus den Blicken und dem Gelächter der Umsitzenden erkannte ich, daß alle genau wußten, weßhalb ich verurtheilt worden. Glaubst du, daß ich Nächte hindurch mich ruhelos auf meinem Strohsacke herumwälzte voll Aufregung über solche Gewißheit? –

Mit der Zeit bekam ich Gewißheit, daß man in der Welt auch ohne mich fertig werde und mich »den Spitzbuben« völlig vergessen habe – eine schmerzliche Gewißheit für einen mit der Großmannssucht behafteten Menschen meiner Art! Der Juniaufstand wurde durch einen Zufall bereits am folgenden Morgen nach dem Ausbruche unter uns Gefangenen bekannt.

Wiederum war für längere Zeit meine Gemüthsverfassung die einer Tigermutter, welche von Todfeinden ihre Jungen quälen und zerfleischen sieht, ohne mehr zu vermögen als den grimmigen Zorn und Schmerz durch Gebrülle zu mildern. Kaum fing ich an, mich an meine Lage zu gewöhnen und in ihren Zerstreuungen einen Schein von Ruhe zu gewinnen, als ich in eine Zelle versetzt wurde. Es war im Spätherbst 1848.

Nach einigen Tagen stiller Ergebung berauschte mich allgemach die Einsamkeit. Zuweilen verlebte ich ruhige, sogar heitere Stunden, doch in andern, besonders in der Todesstille der Nacht und bei schlechtem Wetter empfand ich alle die unbeschreiblichen Qualen meiner Lage.

Ich möchte dieselben mit denen des angeschmiedeten Prometheus vergleichen, doch hinkt solcher Vergleich vielfach, namentlich hatte ich dem Himmel mein Feuer nicht gestohlen, sondern von der Hölle entlehnt.

Arbeiten und Bücher gewährten mir einige Unterhaltung und Trost. Ich arbeitete, um mich selbst zu vergessen und einige Stunden des Schlafes, dieses köstlichsten aller Güter eines Gefangenen, zu genießen. Meine Liebe zum Lesen wäre leicht in Lesesucht ausgeartet, wenn ich mich der Hausordnung hätte entziehen können. Doch welcher Sterbliche vermag sich in einem Zellenbau der strengsten Beobachtung bei Tag und Nacht zu entziehen? Geistliche, Beamte und Aufseher besuchten mich nach ihrer Vorschrift, doch gewährten mir ihre Besuche wenig Unterhaltung und ihnen kein Vergnügen.

Mein Bestreben war darauf gerichtet, dieselben auf eine Weise zu kränken und zu beleidigen, für welche sie mich nicht zu bestrafen vermochten.

Uebrigens ist ihre Strafgewalt so beschränkt, daß man wenig mehr nach Strafen fragt, wenn man die üblichen einmal gekostet und nachdem mir eine Uebertretung der Hausordnung einigemal kleine Strafen zugezogen, ertrug ich Strafen gerne, wenn ich mir nur einbilden durfte, die Beamten recht geärgert zu haben. Nur Einer kam mit mir aus. Es war ein Hauslehrer, der von Zeit zu Zeit mit Heckerhut, Hahnenfeder und Schleppsäbel in meine Zelle trat, um sich nach dem Befinden des »Bürger Gefangenen« zu erkundigen. Nachdem er wußte, wie lange und wo ich in Frankreich und andern Ländern gelebt und welcher Parthei ich lange Zeit angehörte, führten wir viele wunderliche Gespräche mit einander. Bei ihm konnte ich meinem Grimme gegen Gott, Welt und Menschen freien Lauf lassen, denn auch er gehörte zu Jenen, welche von ergriffenen Prinzipien zu den äußersten Folgerungen derselben muthig fortschreiten.

Von ihm erfuhr ich, was draußen in der Welt gespielt wurde und meine Hoffnung auf Befreiung ward so lebhaft, daß ich mich am Morgen jedes Tages fragte: Wirst du die Hausschelle heute Abend noch hören? – Noch vor Mai 1849 verlor ich den Edlen, im Mai erfuhr ich die Befreiung der politischen Gefangenen und erwartete die meinige – vergeblich. Jetzt brütete ich wiederum düstere Plane unersättlicher Rache, schwelgte in entmenschten Träumen blutigen Hasses und fand darin die einzige Unterhaltung, weil ich in der Kirche nicht zum Hören zwischen den kahlen Zellenwänden nicht zum Lesen und Nachts nicht zum Schlafen gelangte.

Ich hatte Schreibzeug, noch einiges Papier und begann zu dichten. Eine Sammlung. »Rothe Lieder« sollte mir meine Lage erträglicher und nach meiner Befreiung meinen Namen der Welt bekannt machen.

Während der Arbeit schmiedete ich Verse und schrieb einen nach dem andern geschwind auf eine neben mir liegende Schiefertafel. Kam Jemand, so löschte ich das Geschriebene schleunig aus, andernfalls schrieb ich es am frühen Morgen oder während der Mittagsstunde auf Papierstreifen, die ich in den Schuhen bei mir trug.

Eines mag als Probe meiner damaligen Seelenstimmung hier stehen und Dir zeigen, wie weit ich noch nach etwa 10monatlicher Einzelhaft von Besserung entfernt war:

Ein Sklavenvolk mag vor Molochen kriechen,
Vor schlauen Bonzen wahnerfüllt sich beugen,
Sein Glück mit Füßen treten im Unsinnsreigen
Und Seligkeit aus Triererröcken riechen!

Doch ewig soll das Volk an Dummheit siechen? –
O nein! die Wahrheit wird und muß sich zeigen,
Muß glühendroth aus Tempelasche steigen
Sobald der Wahn des Christenthums gewichen!

Drum frisch, ihr Freien, laßt nie träg euch finden,
Wetzt gegen Bonzentrug die schärfsten Klingen,
Es gilt, der freien Menschheit Reich zu gründen!

Der Weltgeist leiht euch riesenstarke Schwingen,
Kein Adler kann im Sonnenlicht erblinden,
Der Menschheitsgott lohnt euer kühnes Ringen! –

Im Juni setzten mich Kanonendonner und Kriegslärm aller Art in fieberhafte Bewegung. Jeden Schritt, der auf den Steinplatten des Ganges dröhnte, hielt ich für den meines Befreiers.

Ich hoffte, daß alle Gefängnisse ihre bleichen Bewohner ausspeien würden und war gesonnen, aus denselben ein in die graue Tracht des Sträflings gekleidetes Corps zu bilden, um dasselbe als Vorkämpfer beim Kampfe gegen die alte Gesellschaft zum Siege zu führen.

Freiheit und Kampf, Sieg und blutige Rache, Tod und Ruhe war meine Loosung und ich vergaß dieselbe sogar in meinen nächtlichen Träumen nicht.

Eines Abends marschirten preußische Füseliere über die Ringmauern der Anstalt, bald nachher stand auf der Mauer meines Spatzierhöfchens geschrieben; »Die Freischaaren sind aus dem Schwarzwalde in die Schweiz, Alles ist aus. – Die Franzosen wollen wieder Einen haben und der Sträfling von Ham soll auf der Liste zu oberst stehen. Lauter Lumperei! – «

Dies war zuviel.

Seit vielen Jahren eines ins Aeußerliche versenkten Lebens hatte mich Gott das Rächeramt an mir selbst verwalten lassen. Eine beständige qualvolle Unruhe, eine tiefe geheime Unzufriedenheit mit mir selbst jagte mich aus einer Stunde in die andere wie den ewigen Juden und ließ mir nicht Einen vollkommen sorgenlosen Genuß. Aus jedem Freudenbecher stiegen Dämonen und setzten sich als unerträglich schwere Alpe auf mich, während Springfedern in mir zu sein schienen, die beim leisesten Drucke von Außen mich fernen, unbekannten Zielen zutrieben.

Während meiner Gefangenschaft war ich bereits so weit gekommen, die Ochsen und Kühe zu beneiden, welche den Brodwagen in den Hof der Anstalt schleppten. Ich würde gerne geglaubt haben, das elendeste Thier sei ein glücklicheres Wesen als der Mensch, wenn nicht ruhige, freundliche, glückliche Menschen, hinter denen mein scharfgewordenes Auge keinen Schein entdeckte, täglich in meine Zelle getreten wären.

Ich mußte mir in ruhigeren Stunden gestehen, eine Regierung, welche Diener von der Art meiner Besucher habe und ihre schlechtesten Unterthanen noch menschenfreundlich behandle, müsse nicht ganz fluchwürdig sein. Nicht minder fiel es mir bei, eine Religion, welche ihre treuen Anhänger so ruhig, freundlich und glücklich mache wie die christliche, bleibe eine preiswürdige Religion, selbst wenn ihre höchsten Vorstellungen keiner Wirklichkeit entsprächen. Ich begann die Gläubigen um ihres Glaubens oder vielmehr um des Glückes willen zu beneiden, welches der Glaube denselben gewährt.

Beim Durchmustern meines vielbewegten Lebens kam ich allmälig immer mehr auf meine Jugenderinnerungen zurück, weil sie die süßesten für mich waren. Unsere Kinderzeit, theuerster Bruder, wurde für mich zunächst der Born, aus welchem ich mich erfrischte, um zum Quell des wahren Lebens zu gelangen.

Die Macht dieser Erinnerungen trug Vieles bei, mein Felsenherz zu erweichen und die wehmüthigen Betrachtungen und Vergleiche zwischen dem seligen Kinde und dem unseligen Zuchthäusler versenkten mich in ernstes Nachdenken.

Mehr als einmal, wenn die Glocken von fern und nahe in meine Zelle hineinläuteten und das Abendroth zwischen den Kerkerfensterlein hindurchzuckte und golden über die kahlen Wände zog, da sah ich längst entschwundenes Abendroth und unter ihm die Thürme, von welchen die Religion ihren Abendgruß über unser Städtlein mit seinen dunkeln Dächermassen hinrief und sah ein Haus, worin ein aufblitzendes Licht die liebsten, freundlichsten Gestalten beleuchtete, die mir in meinen Erdenwallen vorgekommen. O Anton, Anton, ich wünschte dann wiederum ein Kind zu sein und mein Leben in ganz anderer Weise von vorn anfangen zu können! – –

Ich begann allmählig auch religiöse Schriften zu lesen und über den Inhalt reiflich nachzudenken. Schon die Vorträge und Predigten hatten mich überzeugt, daß ich in vielen Punkten der christlichen Religion in Irrthum und Unwissenheit geschwebt und alle Punkte nur von der Seite aus zu betrachten gewöhnt war, von welcher sie mir verwerflich erschienen.

Je besser ich erkannte, daß ich trotz allen Erinnerungen aus dem Katechismus und an Predigten von meiner Religion bereits so wenig als ein Heide verstünde, desto mehr stiegen Interesse und Eifer mich zu unterrichten. Bald machte ich Auszüge aus guten Schriften und zuletzt eigene Aufsätze, um mich im Denken zu üben.

Gleichzeitig las ich geschichtliche Werke und begann an dem Ikarien, in welches ich mich ganz und gar festgerannt hatte, irre zu werden.

Je mehr ich las und dachte, desto mehr wich der Fanatismus des Unglaubens. Ich lernte die Ruhe des Denkers kennen und wenn dieselbe auch noch lange nicht die Ruhe des Christen ist, so bleibt sie doch ein Durchgangspunkt, um zu derselben zu gelangen. –

Jetzt ist es mir klar, daß Gott mich ins Zuchthaus führte und daß die Zuchthausstrafe der Rettungsversuch war, welchen Er mit mir anstellte, damit meine Seele nicht ewig verloren gehe.

Er handelte an mir wie ein geschickter Arzt, welcher kein Sengen, Brennen und Schneiden scheut, wenn es dem Kranken nützt, ich dagegen lange genug wie ein in Fieberwahn Daliegender, der von keinem rettenden Arzte wissen will und um so heftiger nach demselben schlägt, je näher er ihm tritt.

Er züchtigte mich mit der einen und hielt mich mit der andern Hand.

Du weißt bereits auf welche Weise Er meine Zuchthausstrafe verschärfte. Unter Sträflingen wäre ich niemals so weit gekommen, Geschmack an religiösen Schriften zu finden. Seitdem ich einsam lebte und gar nichts mehr vom Leben und Treiben der Welt erfuhr, war ich allmälig im Stande Schriften zu lesen, deren Inhalt meinen Ansichten schnurstracks widersprach und der Mangel an Zerstreuung zwang mich, die Gründe der Verfasser zu prüfen.

Gleichzeitig gewann die Einsicht, daß ich durch unverständiges Benehmen meine Lage nur verschlimmere, Uebermacht über die Leidenschaftlichkeit meines Herzens und meinem anständigern, würdigerem Benehmen gegen Besucher entsprach eine freundlichere, gütigere Behandlung von ihrer Seite.

In B. dauert das Jahr nur 8 Monate. Die Hälfte meiner Strafe war überstanden, laut der Hausordnung konnte ich um Begnadigung bitten. Lange schwankte und zauderte ich. Der Gedanke auszuharren, um mich nicht der Gefahr einer demüthigenden Zurückweisung auszusetzen, wich nur, wenn ich an die bisher ausgestandenen Leiden dachte. Ein Traum war's, der mich bewog, ein Gnadengesuch einzugeben und an einen günstigen Erfolg desselben zu glauben.

Einen tiefern Schmerz habe ich selten in meinem qualenreichen Leben empfunden als den, welchen ich empfand, nachdem mir ein Schreiber die Nachricht brachte, meine Bitte sei eine vergebliche gewesen. Weniger die Vernichtung süßer Hoffnungen und die Fortdauer der Gefangenschaft, als die Täuschung des Vertrauens, das ich der regierenden »Bourgeoisie« geschenkt und der Gedanke, daß Beamte und Aufseher, die meine frühern Prahlereien angehört und deren Glauben an meine Standhaftigkeit ich durch die Bittschrift vernichtet hatte, wars, was mich schmerzte.

Ich that furchtbare Schwüre, daß meine Hand verdorren und mein Auge erblinden möge, wenn ich jemals wiederum eine Feder anrühre, um ein Gnadengeheul zu componiren. Der Schwur ward gehalten, nicht weil mein Hochmuth stark, sondern weil der Schwur Schwur blieb.

Alle Ruhe und Mannhaftigkeit, alle Versöhnlichkeit und Unpartheilichkeit waren aufs neue verloren. Selbst gegen meine Besucher konnte ich mehr als mürrisch und grob sein, denn ich hatte die Vornehmsten in Verdacht, daß sie meine Befreiung nicht bevorwortet, sondern hintertrieben hätten, während sie mir ins Gesicht Güte und Menschenfreundlichkeit logen und es gab Stunden, wo die innere Aufgeregtheit mich alle Klugheit und Mäßigung vergessen ließen.

Meine religiösen und geschichtlichen Betrachtungen, die Vergleiche der verschiedenen Systeme sozialistischer Träumer hörten auf, ich war zu unruhig, um lesen zu können und nur die »Rothen Lieder« gediehen.

Sie lullten mich in die Ruhe stiller Verzweiflung und stumpfer Gleichgültigkeit, indem ich durch sie meinen Schmerz und Ingrimm gegen Gott, Welt und mein Geschick aus mir herausarbeitete; aber wenn ich bedachte, weßhalb ich bestraft worden und wer mich in Gewalt hatte oder auf die lange trostlose Reihe der Kerkernächte zurück oder vorwärts blickte, dann hatte die trügerische Ruhe des Fatalisten, in welche ich mich hineinzuzwingen versuchte, ein Ende.

Nur ein gemeiner Verbrecher in der Zelle erfährt, was es heißt, die Hölle im Busen tragen und die Sehnsucht nach Glück sterben lassen. Es gab Augenblicke, wo ich auf die Knie stürzte und die unbekannten Mächte, welche ihr grausames Spiel mit mir trieben, um Erbarmen anflehte. Im nächsten Augenblicke stand ich auf, lachte voll ingrimmigen Hohns und rief den Teufel an, mir die Freiheit, Ruhe, Untergang im Genuß oder auch die Hölle zu verschaffen. In der Hölle ein ganzer Teufel zu sein, ewig Gott zu lästern und zu höhnen, in diesem entsetzlichen Gedanken lag für mich in meinen ärgsten Stunden eine Art Wollust. Ich wünschte, daß es einen Gott, einen persönlichen Gott geben möge, damit ich ein rechter Teufel sein könne. Wer gab ihm das Recht, mich auf diese Welt zu setzen? Aus einem glücklichen Nichts ein unglückliches Etwas zu machen? Weßhalb verfolgte Er mich seit vielen Jahren? Warum ließ er mich leben, da ich doch sterben wollte? –

Ja, wollte, theuerster Bruder! Schaudere nicht vor mir zurück, ich kannte und besaß mich selbst damals nicht mehr, ein Dämon lebte und regierte in mir, denn lange hatte ich der Hölle willenlos gedient und war in der Zelle bereits in Gefahr gerathen, ihr ungetreu zu werden! –

Ich wollte mich erstechen und schliff mein stumpfes Messer mit unsäglicher Mühe scharf und spitz. Aber ich besaß den Muth nicht dazu. Sage Keiner ein Selbstmörder sei ein Feigling, es ist nicht wahr, zum Selbstmorde gehört ein Muth, welcher den Selbsterhaltungstrieb und die Ewigkeit verhöhnt. Ein Aufseher entdeckte das Messer, nahm es weg und mehr als je fand ich mich beargwohnt und beobachtet. Ich betrachtete stundenlang meinen Kleiderrechen und dachte daran, mich zu hängen.

Allein das Hängen hat namentlich für einen alten Soldaten etwas Widerliches an sich, vielleicht weil es die leichteste oder doch angenehmste Todesart sein soll. Zudem konnte ich zu früh entdeckt, abgeschnitten und gerettet werden. Noch meine Todesgedanken waren von der Eitelkeit beherrscht; ich glaubte die herabsetzenden Redensarten derer, die meinen Leichnam auszogen, zu hören und der Gedanke, von gleichgültig lachenden Studenten zerschnitten zu werden, erregte mir ein widerliches, grauenhaftes Gefühl.

Die Hölle ließ mich auf eine Todesart verfallen, deren Namen ich nicht nennen mag; sie beseitigt den Schein des Selbstmordes und führt Annehmlichkeiten mit sich, welche die des Hängens durch Dauer weit überbieten. Um die Scheu vor der Anatomie zu beseitigen, wollte ich zuerst von meinem Gutmachgeld das Doppelte des Werthes meines Leichnams – ein menschlicher Leichnam gilt in B. 10 Gulden – an Jemanden außerhalb des Gefängnisses senden und es dahin bringen, daß dieser Jemand nach meinem Tode das Geld in die Anstalt brachte und die Beamten dadurch veranlaßte, meinen Leichnam nicht den Studenten zu schicken, sondern in B. begraben zu lassen.

Diesen Jemand hatte ich noch nicht gefunden, als ich in eine schwere Krankheit verfiel.

Ich kam in eine Krankenzelle, welche sich von den gewöhnlichen Zellen fast nur durch die größere Bequemlichkeit und vor Allem durch eine wahrhaft christliche Behandlung unterscheidet, deren man darin genießt. Nur dunkel entsinne ich mich, wie ich später in den Krankenstock hinabgetragen wurde, wo sich die Schwerkranken befinden.

Bienen, Rosenkäfer und buntfarbige Schmetterlinge gaukelten lustig um duftende Rosenhecken und prächtige Blumenketten des Citysus im heimelig stillen Zuchthausgarten und die Schwalben äzten ihre Brut, als meine Krankheit sich mit unerträglichem Kopfschmerz und galoppirendem Pulsschlage einstellte. Der Wind trieb aber die letzten falben Blätter von den Bäumen, der Sängerlärm im nahen Schloßgarten war verstummt und die unvermeidlichen Spatzen zankten sich um verlassene warme Nester unter den Dächern des vierten Flügels, als ich zu neuem Dasein erwachte und mich täglich etwas länger in der Kunst des Stehens und Gehens einüben durfte.

Ich vermeinte kein Gefangener mehr zu sein, denn ich wohnte in einem hohen, anständig eingerichteten Gemache mit großem Fenster ohne Eisengitter und nur der verbleichte Uniformsrock der Krankenwärter und noch mehr das unmenschliche und unnöthige Gebrülle der meisten Wachen auf der Ringmauer mahnte mich daran, daß ich noch Gefangener sei.

Der Krankenwärter besaß mehr Einsicht und Bildung als Leute seiner Art gemeiniglich zu haben pflegen. Er nährte meinen aufwachenden Verstand, während sein Gehülfe, ein etwas kurz und uneben gerathener Bursche mit koketten Löcklein und zahmen Blauaugen den Magen versorgte.

Ein dicker, stattlicher, herzensguter Mann, der dröhnenden Schrittes durch die Gänge und täglich lieber in mein Gemach stieg, zeigte sich bereit, mir Alles zu enthüllen, was von Adams Zeit bis zu meiner Genesung über und unter dem Monde vorgefallen war, insofern es sich nur mit der Hausordnung vertrug. Der Arzt selbst besuchte mich täglich zwei bis dreimal, der Widerwille, den ich früher gegen ihn als den »Knecht einer verrotteten Regierung« so gut als gegen andere Besucher empfunden, war wie weggeblasen. Er hatte mein Leben retten helfen und ich fühlte, daß ich das Leben wiederum liebte, denn als der Mann mit dem dröhnenden Schritte mir scherzend einen amerikanischen Strick in Aussicht stellte, schauderte ich unwillkürlich zusammen.

Täglich kam der vortreffliche Hausgeistliche zu mir und jeder Besuch machte mir denselben theurer. Durch maßlosen Hochmuth, ungeschickte Heuchelei und arge Verstocktheit hatte ich ihn oft betrübt. Seine Freude, mich gelassen und ruhig zu finden, war jetzt um so größer, denn er hatte alle Hoffnung aufgegeben, mich gründlich zu bekehren und gehörte zu jenen Wenigen, denen die Aufrichtung Eines Gefallenen in der That mehr gilt, als die Erhaltung von zehn Nichtgefallenen, bei denen die Gefahr des Fallens vorüber ist.

Der alte wüste Ichmensch schien wirklich absterben, ich neugeboren werden zu wollen. Die Krankheit hatte meine leibliche Kraft gebrochen, sie erstarkte allmählig, doch den alten Menschen konnte und Sollte ich nicht wieder erstarken lassen. Schon vor der Krankheit hatte ich so oft gewünscht, wiederum ein Kind zu sein und mein Leben von vorn anfangen zu können. Nunmehr war ich ein Kind und beschloß ein anderes Leben anzufangen, obwohl meine Seelenstimmung jetzt noch mehr Folge der allgemeinen Schwäche und mein Glaube an Christum, den Sohn Gottes und dessen Weltkirche noch kein felsenfester war.

Mit der Kraftlosigkeit eines Kindes verband sich bei mir auch die Weisheit und Leichtbestimmbarkeit eines Kindes. Liebe zieht den Menschen groß; die Liebe von Solchen, denen ich niemals Gutes erwiesen und oft genug Arges gesagt und gewünscht hatte, verhalf mir zu meiner leiblichen und geistigen Genesung.

Lange, einsame Spätjahrnächte gaben mir Muße zum reifen Nachdenken. Wenn der Sturm um das Haus heult und der Regen an die Fensterscheiben schlägt, dann fühlt sich der Mensch, dem nicht das Glück geworden, Gatte und Vater zu sein, einsam und keine trauliche Umgebung hält ihn von Betrachtungen ab, welche mit den Stürmen oder der Eintönigkeit der Außenwelt harmoniren. Und ich, ein gemeiner, kranker Verbrecher, ein Gefangener, der nach einem an verfehlten Bestrebungen und Thaten reichen Leben anfängt, ernsthaft in sich zu blicken, dem der Tod nahe gestanden und Gott neues Leben geschenkt, er sollte sich keinen ernsten und schwermüthigen Betrachtungen hingeben? –

Lange, einsame Spätjahrnächte hindurch überlegte ich namentlich auch, was ich denn wisse und verstehe und der Menschheit bisher nützte. Arm, krank, ohne Zweck und ohne Mittel lag ich als unwissender Mensch und Feind der Menschheit im Krankenzimmer eines Zuchthauses, ein Mann reif an Jahren, leer an ersprießlichen Thaten und – doch Bruder, theuerster Bruder, erlasse mir meine damaligen Stunden zu schildern. Nach langer, langer Zeit zum erstenmal weinte ich keine Thränen der Wuth, sondern lindernde schmerzstillende Thränen, weinte nicht über Andere, sondern über mich, versuchte zu beten, stammelte zuweilen ein Vaterunser, dasselbe Vaterunser, welches mich und Dich unsere theure, von mir so tiefgekränkte Mutter gelehrt hatte.

Ich dachte nach über mich und mein Schicksal. Es däuchte mir, als ob ich mich selbst bisher arg gehaßt und Alles gethan habe, um mir mein erlebtes Schicksal zu bereiten. Je mehr ich an mich selbst und meine Fehler dachte, desto mehr wurde ich geneigt, die Fehler Anderer in milderm Lichte zu sehen. –

Eine Unvorsichtigkeit rief einen Rückfall meiner Krankheit hervor und der Tod trat mir wiederum nahe. Ich zitterte nicht vor ihm, doch wünschte ich meine Erhaltung, weil ich so Vieles noch auf Erden gut zu machen und eine Ahnung künftigen Glückes mein ganzes Wesen durchklungen hatte. Zum zweitenmal wurde ich gerettet, doch wohl nur deßhalb, weil ich vor dem Rückfall in meiner Genesung ziemlich weit vorgeschritten war.

Wiederum dachte ich über mich und mein Schicksal nach, wiederum war mir das Zeitliche gleichgültig und ich beschäftigte mich gerne mit den Zuständen des Jenseits, dem ich näher als Andere gestanden, wiederum wirkten Besuche und das Vorlesen meines Wärters vorteilhaft auf mich ein.

Ich wünschte lebhaft ein anderer Mensch zu werden und zum lebendigen Glauben an Christum den Gottessohn, diesen süßen, beseligenden Glauben, zu gelangen. Es dauerte lange, bis ich mich dazu entschloß, Gott nicht nur um den Glauben zu bitten, sondern mich Ihm in einer Generalbeichte einmal ganz und unbedingt zu Füßen zu werfen.

Ein Sonntagnachmittag besiegte meine letzten Bedenklichkeiten; ich werde diesen und die darauf folgende Nacht nicht vergessen haben, wenn unsere Gebeine längst vermodert sind und wir zusammen dort leben, wo der Mensch den ganzen Plan und Gang seines Geschickes von der ersten Minute seines Daseins bis zur letzten erschaut.

Der Himmel schaute trüb zum Fenster herein, die nahen Hügel im Schmucke des Winters mahnten an Tod und kalte Nächte. Alle, die mich besucht hatten, waren ernst und einsilbig geblieben, ein Gedanke von Verlassenheit, wie ihn ein Sterbender in meiner Lage haben kann, durchklang meine Seele. Die Gefangenen sangen die Vesper. Die halb verlornen Töne der Orgel, die Stimmen der Singenden hatten etwas Tiefergreifendes, Wehmüthiges, Trauriges. Ich vermeinte meinen Leichengesang bei lebendigem Leibe zu vernehmen, ein herzzerreißendes wehmüthiges Klagelied über mein verfehltes Leben. Ich betete und glaubte zu fühlen, wie der Tod näher zu meinem Herzen heransteige, faltete unwillkürlich die Hände und betete.

Jetzt wurde ein anderer Psalm angestimmt, deutlich vernahm ich aus allen Stimmen heraus einen durchdringenden Tenor, der die Worte sang:

Die Dunkelheit der Leidensnächte
Verwandelt Er in Wonnetage! –

Dieser Vers bohrte sich mit unwiderstehlicher Macht in mein Gedächtniß; ich mußte ihn stets wiederholen und so oft ich beschloß, denselben zu vergessen, hatte ich ihn wieder gedacht oder sogar gemurmelt. Es lag etwas Wunderbares in den einfachen, von mir schon so oft gehörten und niemals besonders beachteten Worten.

Finsterniß – Leidensnächte – Er – Wonnetage! – an diese vier Worte knüpfte sich eine lange Kette von Gedanken, es schien mir, als ob Gott selbst zum Troste sie mir zugerufen.

Ich wollte beten, aber ich betete nur diese vier Worte, schlief endlich ein und als ich spät in der Nacht aufwachte, mahnte mich die Dunkelheit im Gemache an die Dunkelheit meines Lebens und meiner Lage.

Drüben in der Stube des Krankenwärters schlug die Wanduhr langsam und schwermüthig die zehnte Stunde. Dies war die Zeit, in welcher unsere Eltern auch von mir allabendlich den Gutenachtkuß erhielten und gaben.

Ich gedachte der Wonnetage unserer Kindheit, der Leidensnächte, welche ich mir und Euch bereitet, der zahllosen Beleidigungen und Frevel, welche ich gegen Ihn verübt, der mich verlassen und der Finsterniß, welche in mir viele Jahre geherrscht.

Das tiefe Schweigen der Nacht redete furchtbarer als je zu meinem Herzen, der Nachbar im Nebenzimmer war heute verschieden, ich glaubte ihn jeden Augenblick zur Thüre hereintreten, mich mit glanzlosen Augen und dem haarsträubenden Gesichtsausdrucke dessen, der die Ewigkeit mit ihren Schrecken erblickt, betrachten zu sehen und zu hören, wie er vom Jenseits redete. Diese Vorstellungen wurden immer lebhafter, kalter Schweiß überrieselte mich; ich wollte rufen, aber die Stimme versagte, vergeblich schloß ich die Augen und steckte den Kopf unter die Decke – immer sah ich den gräßlichen Boten der Ewigkeit vor mir, sah trotz der Decke und Dunkelheit, wie das Gemach sich mit Verstorbenen anfüllte, ich glaubte zu ersticken und war nicht im Stande ein Glied zu rühren. Ich sah den Vater, die Mutter, sie betrachteten mich mit Augen, in denen mein Verdammungsurtheil stand, verstorbene Freunde, die mich anstierten, Kameraden, welche den arabischen Sand mit ihrem Blute getränkt und mit denen ich so Vieles gesündiget und hinter ihnen eine gräßliche Gestalt, die mir zuwinkte und verschwand. An ihrer Stelle stand eine Lichtgestalt, der Glanz, der von ihr ausströmte, verklärte Alles ringsum. Leise, dann lauter, bald feierlich und majestätisch, bald weich und milde ertönten die Worte vielstimmig in Einem fort:

Die Dunkelheit der Leidensnächte
Verwandelt Er in Wonnetage!

Das Geschrei der Schildwachen weckte mich aus einem Zustande, der mir den Zustand der Verdammten und der Seligen geoffenbart. Hatte ich geträumt? War Alles Alpdrücken? Spiel der erhitzten Einbildungskraft? Ich weiß es nicht, doch das weiß ich, daß ich ganz anders als früher betete und augenblickliche Buße, den Beginn eines neuen Lebens gelobte und meine Seele ihrem lange genug verkannten Erlöser empfahl. Gebet und Gelübde verliehen mir wunderbaren Trost und eine Freudigkeit des Geistes, wie ich dieselbe noch niemals empfunden.

Der Krankenwärter trat herein, um nach mir zu schauen. Er versicherte, daß ich lange und laut geredet. Auf meine Bitte zündete er ein Licht an und holte ein Gebetbuch, um Etwas vorzulesen. War es Fügung oder Zufall, daß er gerade das Gedicht des heiligen Bernhard:

Jesu, dein süß Gedächtnis macht,
Daß mir das Herz vor Freuden lacht!

ein Gedicht, dessen unbeschreibliche Innigkeit und göttliche Liebe nur ein gläubiger Christ vollkommen erfaßt, aufschlug? Er mußte es mehrmals wiederholen und ich schämte mich der heißen, ebenso schmerzlichen als süßen Thränen nicht, welche es mir auspreßte.

Der Krankenwärter ging. Doch blieb ich nicht allein – mein Schutzgeist, mein Erlöser befanden sich bei mir und vernahmen von meiner Reue und Liebe Alles, was die Verwandlung der Leidensnächte in Wonnetage mir gegeben. Nach einem erquickenden Schlummer wachte ich auf, als die milden Sonnenstrahlen eines schönen Herbsttages bereits in mein Gemach spielten. Den ganzen Tag verwendete ich zur ernsten Gewissenserforschung, gegen Abend legte ich meine Generalbeichte ab und empfing wohl zum erstenmale würdig den Leib Jesu Christi. Wer gegen die Ohrenbeichte der Kirche auftritt, zeigt damit nur, daß er noch nie recht beichtete und wer im heiligen Abendmahl etwas Anderes als den verwandelten Christus findet, beweist, daß das innerste Wesen des Christenthums, das Liebesverhältniß der Menschenseele zu Gott, ihm noch nicht recht aufgegangen ist.

Gott war fortan mit mir und ich bei Ihm und wenn auch Schwachheit und Sündhaftigkeit mich Ihm zuweilen zu entfremden drohten, kehrte ich inbrünstiger zu Seinen Füßen zurück.

Ich betete viel und meist ohne Gebetbuch. Außer der Nachfolge Christi und der Philothea genügte mir kein Gebetbuch. –

Verbrechen, welche vom Gesetze geahndet werden und an sich entehrend sind, habe ich außer dem, welches mich in den Kerker führte, glücklicherweise keine begangen, aber will dies Vieles bedeuten?

Wie mangelhaft, wandelbar, verschieden sind Gesetzgebungen!

Unter Vielem, was mir schwer auf der Seele liegt, ist es besonders das Geld, welches ich im Amtsgefängnisse einem Bauernknechte herauslockte. Noth trieb mich dazu, meine Ansichten vom Eigenthum ließen mir den Schritt um so erlaubter erscheinen, weil ich ernstlich an Zurückgabe dachte.

Du weißt, daß Ersatz unmöglich geworden, weil der Betrogene im Gefängnisse an der Schwindsucht starb und keine Seele besaß, die er sein eigen nannte außer der eines unserer Mitgefangenen, des Duckmäusers. Doch werde ich Alles thun, um den Schaden auf andere Weise gut zu machen. – – Ich weiß, daß meine frühern Freunde mich als einen schwachköpfigen oder schlauen Renegaten verachten und verfolgen werden und beklage mich nicht darüber. Der Stolz, ein consequenter und entschiedener Communist gewesen zu sein, hat sich in das Gegentheil verkehrt und ich bin wohl am besten dabei gefahren. Es ist nicht die Aufgabe des Menschen, auf einem Standpunkte zu beharren, namentlich wenn er denselben als einen einseitigen und falschen erkennt, sondern sich immer mehr zu vervollkommnen. – Gegen die furchtbaren Gefahren, welche aus der täglich zunehmenden Verarmung, Verdienstlosigkeit und Verzweiflung der Massen erwachsen, hat nur die Weltkirche Jesu Christi Beschwörungsformeln, denn sie lehrt Leiden ertragen und in Freuden verwandeln und zeigt nicht nur den Weg zur ewigen, sondern auch zur zeitlichen Wohlfahrt. Im Christenthum als der absolut wahren Religion liegt auch die einzig ächte Nützlichkeitsphilosophie, die Lösung der sozialen Fragen verborgen. Von der Stellung, welche die verschiedenen Staaten und Stäätlein zur Kirche einnehmen, wird der Fortbestand oder Sturz dieser Staaten und Stäätlein abhängen. Staaten müssen sich aufrichtig bessern gerade wie einzelne Menschen und wenn große Staaten wie Oesterreich und Preußen mit gutem Beispiele vorangehen, wenn man das Aufleben kirchlicher Gesinnung beim Volke beachtet, darf man ruhiger in die Zukunft blicken. Stürme werden nicht ausbleiben, aber die Pforten der Hölle werden Christi Kirche nicht besiegen und das revolutionäre Heidenthum wird den Bestand christlicher Staaten und das Fortleben christlicher Völker nur stören, doch nicht zerstören.

Aber Religion, positive Religion muß in Palästen und Kabineten, in Deputirtenkammern und Amtsstuben so gut als in Hütten wohnen; bei den Reichen und Besitzenden muß die Charitas des Mittelalters neu aufleben; das positive Christenthum muß Obermacht über das herrschend gewordene Heidenthum erlangen, wenn die moderne Gesellschaft nicht ein ähnliches Geschick erleben will wie einst die versinkende Römerwelt! –


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