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Der Duckmäuser erhielt wirklich manchen Brief, in welchem Itania mit den schönsten zärtlichsten und wohlgesetztesten Worten ihre innigste Liebe und unverbrüchlichste Treue gegen ihn ausdrückte. Hundertmal des Tages zog er diese Briefe aus der Brusttasche, küßte und las sie und las sie noch einmal, bevor sie eingesteckt wurden. Der große Trommelschläger las Itaniens Briefe auch und wenn er von Itanien anfing, dann hafteten Benedicts Augen auf ihm, wie die eines Schwerkranken auf dem Arzte und beide überlegen, welche Geschenke an Neujahr der Huldgöttin zu Füßen gelegt werden sollten.
Eines Morgens kommt der Glückliche vom Exerzierplatze heim, da erscheint der Briefträger, um ihm zu sagen, es sei ein Päcklein für ihn da und er möge es in seiner Wohnung holen. Eiligst geht er mit, erkennt Itanias Hand auf der Adresse, unterschreibt den richtigen Empfang, fliegt zurück ins Compagniezimmer und öffnet das Päcklein mit zitternder Hand, denn er erwartet das wohlgetroffene Bildniß wohleingewickelt zu finden, um welches er das Burgfräulein zu bitten wagte, und ein artiges Gegengeschenk.
Doch – schreckensstarr und todtenblaß steht er da, denn all' seine Geschenke sieht er wohlgeordnet vor seinen Augen, glaubt zu träumen und aus seinem überirdischen Frühling plötzlich in den trostlosesten badischen Altweibersommer hineingeworfen zu werden! ...
Meister Feucht streicht seinen Fuchsbart und lacht wie ein Spitzbube, der erste Fagotist schleicht hinter den schier zusammensinkenden Benedict und schaut hinter dessen Rücken in folgende Hiobspost hinein:
»Freunt! Vergebe sie mer, wenn ich ihne mit diesem Schreiben und dem Zurikgeben des Bagets duschieren sollte. Sie seind mir lieb und werth, aber ich will, kann und darf Nix von Ihne wisse, meine Ehre erlaubt es nicht, denn wir wissen Alle sehr genau, daß Sie wegen schlechter Aufführung öffentlich bekannt geworden, mußten aus dieser Ursach das elterlich haus verlassen und stehen beim Regimend auch nicht in guter Haltung. So seind unsere genauesten Erfahrnisse. Ich bitte daher, kommen Sie mir zu Liebe ihr Lebtag nicht mehr auf die Burg, denn ich gebe mich durchaus in keiner Beziehung mit einem so schlechten Basaschier ab und schäme mich genug, nur Wohlgefallen an ihne gehabt zu haben. – Das Present aber (Gott was haben wir für Angst gehabt, bis es wieder aus unserm Haus), so große Freid ich daran hatte, könnte ich nicht behalten, weil ich befirchten mußte, daß es gestolenes Gut sei. Nehme Sie es daher wieder und geben Sie es Einer, die mit ihne gleich gesinnt ist, sonst schlagt mich der Vater tod, was übrigens nicht nöthig ist.
Mit durchdolchter Liebe und bleibender Achtung bin ich in Eile
ihnige ehemalige treue Itania.«
Der Duckmäuser zittert vor Schrecken, Wuth und Schmerz, vermag weder zu reden, noch zu denken und zu handeln, sitzt wie ein Sterbender auf seinem Bett, bleibt etwa eine Stunde sitzen, dann zerreißt er den Brief in hundert Fetzen und zermalmt (der große Trommelschläger hat denselben abgeschrieben, um der staunenden Nachwelt einen Beweis der Herzlosigkeit unseres tintenkleksenden Saeculums zu geben!) die Fetzen zu Staub, ballt die Fäuste und knirscht. »Warte, Karnali, du sollst's büßen!« Mit diesen Worten dachte er an Rosele, denn er glaubte, diese habe aus Rachsucht nach der Burg geschrieben und Alles verrathen.
Der Seidenstoff war unter Itanias zarten Händen bereits zu einem Weiberrocke geworden, der Hobist packt denselben zusammen, um ihn einer Nätherin zu verkaufen. Hier trifft er mehrere junge Mädchen, schämt sich, ein Kleid auszukramen, geht unverrichteter Sache wieder fort, tritt in ein Bierhaus und die Kellnerin, ein etwas verblühtes doch hübsches Mädchen meint:
»Das ist ein Wunder, daß Sie allein kommen und dazu noch an einem Werktage. Haben Sie sich heute verirrt?« – »Ich denke, es wird noch Mancher bei Straßburg über die Brücke gehen, ohne von Ihnen gesehen zu werden!« – »Um Vergebung, habe ich den Herrn Ritter etwa beleidiget?« – »Nein, durchaus nicht, gnädiges Fräulein, ich bin nicht so leicht zu beleidigen!«
Das Wort »Herr Ritter« hat die Gemüthsstimmung des Duckmäusers plötzlich verändert, er fängt ein langes freundliches Gespräch an, trinkt Bier dazu, überzeugt sich, daß die Kellnerin Agatha eine ganz gewaltige Romanenleserin gewesen sein muß, sich trotz dem duftendsten Ritterfräulein zu benehmen weiß und – schon am andern Tage bringt er derselben Itanias Gewand und alle Kostbarkeiten dazu als Weihnachtsgeschenk, beredet sie, das prosaische Bierhaus aufzugeben und einen gemächlichen Dienst zu suchen, dabei weniger auf Lohn, denn »auf gute Behandlung« zu sehen.
Der große Trommelschläger war überzeugt, Itanias Brief sei ein Blendwerk der Hölle, ein Zwangsbrief und der Ritter könne durch einen neuen Brief wieder zu Ehren kommen, die Geliebte vielleicht aus unsäglichen Gefahren befreien, doch Agatha versteht es, den Benedict zu bezaubern und zu fesseln, in jeder Hinsicht die Seinige zu werden!
Alles Arbeiten und Sparen hörte plötzlich auf, der Held war wenig mehr in der Kaserne, verlor Zeit, Geld und noch weit mehr bei der Agatha und diese benutzte die Gelegenheit vortrefflich, ihn in jeder Beziehung auszusaugen. Itanias Gewand und Schmuck taugte nicht zu ihren bescheideneren Kleidern, schöne Worte und Liebkosungen bewogen den Ritter, sie als Burgfräulein vollständig und standesgemäß zu equipiren, sein Geld flog weg wie Spreu, zum Arbeiten bekam er keine Zeit mehr und verlegte sich in der Raserei seiner durch die beständig gereitzte Sinnlichkeit aufgestachelten Leidenschaft auf – kühne Griffe, wobei ihn das Glück außerordentlich begünstigte, so daß es wieder Spätjahr wurde, ohne daß er Unannehmlichkeiten bekam.
Uebrigens mußte Vater Jacob nicht nur erleben, daß die 50 Gulden, die er von Liebhardt geliehen, nicht mehr zurückkamen, sondern auch, daß sein ritterlicher Sohn häufig in der Nacht ins Dörflein kam und am Morgen mit einem Theile des mütterlichen Vermögens von dannen zog, dabei den Säbelgriff selten aus der Hand ließ.
Nach der großen Revüe machte Ritter Benedict eine Luftfahrt mit Fräulein Agatha, verschwendete in 3 Tagen 20 Kronenthaler theils auf Rechnung seines Vermögens, theils auf Regimentsunkosten.
Ein sogenannter Zufall ließ ihn während der Luftfahrt entdecken, die Tieffühlende und Hochpoetische habe schon vor Jahren als zartsinnige Jungfrau der badischen Regierung ganz unberufen zwei kleine Unterthanen geschenkt und sei unter dem Namen »Kasernenhäschen« bekannt gewesen. Solche unromantische Enttäuschung bewirkte, daß in grimmem Zorne der Ritter der bisher Angebeteten den Fehdehandschuh ins Gesicht schleuderte, ohne die Hand vorher aus dem Handschuhe herauszuziehen und dieselbe auf dem Wege verließ.
Sein Urlaub lautete auf 8 Tage und weil nach 3 Tagen sein Geldbeutel leer geworden, hätte er in die Garnison zurückkehren sollen.
Er that es nicht aus drei triftigen Gründen, nämlich erstens aus Liebesschmerz, zweitens aus Furcht vor einem Wauwau beim Regimente, der ihm gar bange Ahnungen machte und drittens aus Furcht vor der Zukunft, weil eine Hauptquelle seines Einkommens, sein mütterliches Vermögen, vom hartnäckigen Vater Jacob verstopft worden war.
Nachts kommt er in das Rheindörflein, wo Rosa wohnt und wo er als Knecht des Saumathis so glücklich gelebt hat; er will in den Adler, da begegnet ihm sein alter Freund und Gutthäter, der Straßenbasche, packt ihn am Arm und zwingt ihn, mit ihm zu gehen. »Was hat's Rosele verbrochen, daß Du sie so verächtlich von Dir stießest? – Warum kannst Du so gegen uns sein, was haben wir Dir zu Leide gethan? – Bist Du denn nicht mehr unser Freund? Mein, wenn Du wüßtest, was alle Leute sagen!« – fragt und klagt der alte Unteroffizier, doch hartnäckig bleibt der Duckmäuser dabei, Rosa sei an allem Unheil Schuld, was ihm beim Regimente zustieß und wodurch jetzt sein Glück für immer zerstört sei!
Mutter Clara weiß gar nicht, was sie für ein Gesicht machen, geschweige was sie reden soll, das Rosele sitzt neben ihr auf der Ofenbank, bringt vor Schluchzen und Weinen keine Silbe hervor, endlich geht er zur Thüre hinaus, läßt jedoch seine Kappe auf der Bank liegen. Rosa steht jetzt auf, geht ihm nach und hält ihn fest:
»Wo willst jetzt hin?« fragt sie seufzend und schluchzend.
»Fort, so weit als die Welt offen steht, um Dir aus den Augen zu kommen!« schnauzt er und will sich trotzig losreißen; sie hält ihn aus Leibeskräften fest und weil er alle Fragen unbeantwortet läßt, will sie nur das Einzige wissen, was er denn Schlechtes von ihr gehört habe, er möge es ihr unverhehlt ins Gesicht sagen.
Er bleibt stumm, sie erinnert an das Leben im Heimathsdörflein, an Jugendzeit und Schuljahre, an die Zeit seines ersten Jahres bei den Soldaten, an die Kirchweihe und will Alles thun, um ihn von Neuem zu bessern, will ihm all ihr Geld freudig geben und zwar eine Summe, welche ihn mehr als gerettet hätte, doch er brummt: »Hab Deine paar Groschen nicht nöthig, behalte Du sie nur, Du wirst sie einmal nöthiger brauchen können!« reißt sich von seinem weinenden Schutzengel los und verschwindet in der finstern Nacht.
Weil sein Urlaubspaß noch gültig war, hinderten die Zollwächter seine Fahrt über den Rhein nicht, zumal im nächsten französischen Dorfe gerade die Kirchweihe gefeiert wurde, wobei badische Gäste selten fehlen.
Wir finden den Deserteur am andern Abend todesmüde vom Umherirren im »grünen Baum« zu »Wanzenau,« einem etwa zwei Stunden von Straßburg entfernten Dorfe.
Der Wirth, ein braver, als Elsässerfranzmann gegen »Deutschländer« pflichtgemäß ein bischen eingenommener Mann, hat nicht nur den Deserteur gern ins Haus aufgenommen, sondern sich von dem Schlaukopfe auch einen stattlichen Bären auf die Nase binden lassen.
Der Hobist behauptete, auf den Rath seiner Angehörigen desertirt zu sein, um dadurch 50 Rohrhieben und dem sichern Tode zu entgehen, was ihm Alles wegen eines zerbrochenen Säbels drohe. Er habe nämlich bei einer Kirchweihe in einem badischen Dorfe aufgespielt, sein Säbel hatte an der Wand gehangen, die Tänzer hätten vorigen Dienstag eine schwere Schlägerei angefangen, sich seines Säbels bemächtiget, Verwundungen damit angerichtet und zur guten Letzt die Waffe gar zerbrochen. Am Mittwoch hätten die verhafteten Bursche von keinem Säbel Etwas wissen wollen, der Wirth habe geradezu geläugnet, vom Benedict einen solchen zum Aufheben bekommen zu haben, somit bleibe die »ganze Schmier« an ihm hängen und seine einzige Rettung, in Frankreichs großmüthigen Armen Schutz zu suchen! ...
Den Wirth zum grünen Baum, zugleich Maire des wohlhabenden Ortes hat das Klarinettblasen des Duckmäusers dermaßen entzückt, daß dieser sein und gar rasch der Liebling der ganzen Dorfjugend geworden ist. Am Tage arbeitet er auf dem Felde, es kommt ihm sauer genug an, nachdem er so lange nur auf Kasernenbrettern herumrutschte, doch vergibt er dem deutschen Fleiß nichts gegenüber der französischen Landeskraft, Abends macht er in einem großen Saale, worin unter Tags die hübschen Elsässerinnen mit ihren hellen Aeuglein Welschkorn abschleizen, Musik und verdient schweres Geld.
Alles geht vortrefflich, er läßt sich gerne neckend »Schwob« oder »Gelbfüßler« nennen und denkt nicht ans Heimgehen, sondern an eine große Hochzeit, welche einer der reichsten Bursche des Departements (die Stadtherren freilich ausgenommen) hier feiert. Diese Hochzeit lockt sehr zahlreiche Gäste herbei, währt drei Tage, der klarinettblasende Ritter hätte sich in Wein und Bier ersäufen können, wenn er gewollt hätte, doch er will dies nicht und aus guten Gründen. Der »große Maier,« ein Schuster des Dorfes, der kürzlich von seinem Cuirassierobersten beurlaubt wurde, will dem armen Deserteur zeigen, daß er sich jetzt unter Franzosen befinde und veranstaltet eine Collecte, welche so bedeutend ausfällt, daß der Benedict ganz leicht ins Badische hätte zurückgehen und als ehrlicher Mann auftreten können, wenn er nur gescheidt gewesen wäre.
Doch sein Hochmuth läßt's ihm nicht zu; bereits vor der Hochzeit haben ihn der große Maier, der Allis, der Stegenklemens, der Rappenschorsch und Andere liebgewonnen und wenn das Schwitzen auf den Aeckern nicht wäre, würde er wohl beim Wirth zum grünen Baum sein Lebenlang bleiben können!
Während der Hochzeit wimmelt es im Wirthshause vom Dache bis zum Keller von Gästen, das ganze Rathhaus ebenso, die 5 Musikanten kommen gar nicht mehr zum Athmen, der lederne Instrumentenbeutel voll Franken und Fünffrankenthalern bleibt ihr einziger Trost, der Benedict aber macht der deutschen Musik unglaubliche Ehre.
Man muß französische Musik mit deutscher verglichen haben, um dies leicht zu begreifen, denn Musikanten und Sänger sind die Franzosen nicht, lieben jedoch Musik und Gesang enthusiastisch und – Elsässer wollen in Allem Franzosen sein.
Ein Friedensrichter wurde durch die »dütschen Walser« des Deserteurs dermaßen begeistert, daß er sofort mit dem Wirthe ausmacht, er soll den »Schwob« nach der Hochzeit zu ihm senden, er werde dann denselben nach Metz bringen und mit Hülfe seines Bruders, des Majors zu einem Hauptmusikanten des 35. Regimentes machen.
Doch Alles sollte anders kommen, der Duckmäuser in keine französische Uniform, sondern in einen germanischen Zuchthauskittel schlüpfen!
Am 4. Tage machten die Buben und Mädlen die üblichen Hochzeitspossen und Umzüge, die Musikanten mußten überall voranschreiten, die Lustigkeit währte tief in die Nacht und der dienstfertige Benedict suchte dieselbe auch auf andere Weise denn durch seine Klarinette zu erhöhen.
Er hatte in der Heimath einmal zugesehen, wie der Max in einer Scheune seiner rothen Schwitt eine katholische Messe las und unternahm jetzt dasselbe vor einem großen Haufen junger Leute. Still und lautlos sahen ihm Alle zu bis zur Communion, wo er bei Nachäffung des kelchtrinkenden Priesters beinahe erstickte. Jetzt erhob sich ein fürchterliches Toben, Lärmen und hundert Stimmen riefen: »Meinst, wir seien lutherisch, Du Schwob! – Schlagt den Schwob tod! – Nieder mit dem Ketzer!«
Der lange Maier streckt den Dorfhanswurst mit einer einzigen Ohrfeige der Länge nach auf den Boden, die Zunächststehenden fallen über ihn her, sie hindern sich gegenseitig durch ihre Anzahl im Zuschlagen und er würde sicher nicht lebendig davon gekommen sein, wenn nicht der alte Geistliche sammt dem hochgeachteten Notar des Ortes zu seiner Hülfe herbeigeeilt wären. Sie nahmen sich seiner barmherzig und kräftig an, die Fäuste ließen ihn los, die Bursche und Männer tobten und lärmten nur noch bunt durcheinander.
Zu dem bleichen, zitternden Deserteur sagt der Adjunkt von Killstett. »Wir wissen wohl, daß bei Euch drüben die Geistlichen nur Vormittags eine Stunde geistlich, die übrige Zeit des Tages aber weltlich sind und daß ihr Gelbfüßler alle lutherisch seid, doch bei uns kommt ihr mit solchen Späßen nicht an!«
Alle Freundlichkeit und Liebe gegen den Duckmäuser hat ein Ende, das Brautpaar läßt den Hochzeitgästen und Musikanten sagen, sie möchten den »gottlosen Schwob« ja nicht mehr ins Hochzeitshaus bringen, Gott könnte ihnen keinen Segen schenken, wenn sie einen solchen Menschen wissentlich unterhielten. Der große Maier macht bereits wieder Augen wie Pflugräder, die Gesichter Anderer verkündigen einen neuen Sturm, der ehrwürdige Pfarrer muß die Aergsten abermals beschwichtigen, Benedict sucht ängstlich Gelegenheit zum Fortkommen, findet solche und kommt mit einigen Tritten und Stößen glücklich ins Freie.
Doch eilt er nicht sofort aus Wanzenau weg; der volle Instrumentenbeutel hält ihn fest, er getraut sich nicht zurückzukehren und seinen Antheil zu fordern, weil er im Dunkeln oder beim Wiedererscheinen gar zu leicht den verdienten Lohn für sein Messelesen ernten könnte; die Theilung des Geldes unter den Musikanten sollte erst am Ende der Hochzeit vorgenommen werden, somit befindet er sich in einer recht mißlichen Lage und klettert zunächst auf einen Baum, wo er sicher vor Entdeckung und im Stande ist, seine Gedanken zu sammeln. Er wartet bis die meisten Leute wieder zum Rathhause zurückgekehrt sind, klettert alsdann vom Baume herab, paßt eine gute Gelegenheit ab, schleicht trotz einiger nachläßig gewordener und theilweise betrunkener Aufpasser ins Haus zurück, erobert in der Geschwindigkeit nicht blos seinen Lohn, sondern den ganzen schwergefüllten Instrumentenbeutel und macht sich dann eiligst aus dem Staube.
Jedoch noch nicht über die letzten Gärten und Häuser des Dorfes hinausgekommen, vernimmt er bereits Allarm, hört auf allen Seiten schreien und hinter sich einige Verfolger, darunter den großen Cuirassier, der ungeheure Sätze macht und seinen Sarras unter schrecklichen französischen und elsässischen Flüchen schwingt.
Hat ein Romanenheld jemals den Silberschein des Mondes in die unterste Hölle verflucht, so ist dieser der Benedict gewesen, während der nächtlichen Galoppfahrt aus Wanzenau. Gleich einem Riesen der fabelhaften Vorzeit schreitet der große Maier mit blitzendem Pallasch brüllend durch die Mondnacht, hinter ihm quicken die gewöhnlichen, diesmal außergewöhnlich erbosten Menschenkinder, jede Sekunde erhöht die Todesangst des galloppirenden Benedict, denn jede Secunde bringt die Feinde näher und vermehrt deren Zahl, schon hört er die schweren Athemzüge des keuchenden Riesen, schon schwingt dieser die furchtbare Waffe und gebietet dem »Spitzbuben« Halt auf Leben und Tod – im entscheidenden Augenblicke läßt Benedict den schweren Instrumentenbeutel klirrend fallen, der Riese bleibt stehen, der Verfolgte jedoch stürzt sich verzweifelnd in die Brisch, welche breit und tief genug ist, um mit Dampfschiffen befahren zu werden, die Todesangst verzehnfacht seine Kraft und glücklich erreicht er das jenseitige Ufer.
Drüben stehen die Verfolger, der große Maier ist im Besitze des Instrumentenbeutels, man findet es nicht mehr der Mühe werth, den Deserteur anders denn durch Schimpfnamen und Verwünschungen zu verfolgen, von denen dieser bald nichts mehr hört, weil er triefend doch wohlgemuther auf's Gerathewohl vom Flusse ins Land einwärts läuft.
Mit Tagesanbruch kommt er in ein Dörflein, sein Geldbeutel ist auch ohne den Instrumentenbeutel ordentlich gespickt, im Wirthshause legt er sich sofort ins Bett, schläft volle 36 Stunden; seine Kleider sind indessen getrocknet, Nöthiges schafft er an, wandert nach Straßburg »der wunderschönen Stadt,« meldet sich auf der Mairie nach Algier, wird von da auf die Praefektur, von hier zum Rekrutirungskapitain, von diesem mit einem Schreiben zu einem Komissaire beim Metzgerthor geschickt. Das Schreiben muß ein Uriasbrief gewesen sein, denn der Komissaire ließ den verwunderten Duckmäuser in den Neuthurm führen und hier volle 23 Tage Betrachtungen über die Artigkeit und Zuneigung französischer Behörden gegen deutsche Deserteurs anstellen.
Nach dieser Frist ward unserm Helden eröffnet, bis auf weitere Ordre werde Niemand nach Algier angeworben, somit müßte er die Reise nach Afrika aufgeben; verstehe er jedoch ein Handwerk, so erhalte er einen für ganz Frankreich gültigen Paß, widrigenfalls nur einen Paß in die Schweiz oder über die Kehlerbrücke.
Weil er kein Gewerbe erlernt hatte, begnügte er sich seufzend mit einem Passe nach der Schweiz, wurde freigelassen, ging in den rothen Löwen und setzte sich etwas tiefsinnig hinter ein »Kännle« Bier.
Hier zieht er seinen Paß hervor, studirt vergeblich an dem französischen Geschreibsel herum, möchte es ums Leben gern verdeutschen, flucht im besten Deutsch leise vor sich hin, bis ein Herr, der in der Nähe sitzt und sich nicht schämt, ein deutsches Wort zu sprechen, welche Schaam bei manchem Philister der guten alten Reichsstadt Straßburg gefunden wird, ihm endlich aus der Noth hilft. Dieser Herr setzt einen Nasenklemmer auf die nach altdeutscher Sitte riechende Kupfernase, steckt dieselbe tief und gründlich in den Paß und eröffnet dem erschreckenden Hobisten, daß er mit diesem Passe nicht weiter als bis Basel komme, von dort aber nach Deutschland ausgeliefert werde, weil in dem Passe bemerkt wäre, er sei ein Deserteur.
Solch' ächtwälsche Hinterlist empört den aufrichtigen Duckmäuser ganz gewaltig; er beschließt im Zorn, sich den Weg nach Basel zu ersparen und gleich über die Kehlerbrücke zu spazieren, wo ein Häuflein alter Waffengefährten stets zu finden, doch der Herr bemerkt, es sei noch nicht aller Tage Abend und etwa um 20 Fränkchen ließe sich wohl auch noch ein anderer Paß auftreiben.
Der Duckmäuser geht den Handel ein, zahlt die 20 Franken in der Freude seines Herzens, macht aus dem alten Uriasbrief Fidibus und dämpft ein halbes Dutzend kölnische Pfeifen, während er die Rückkehr des Herrn mit dem neuen Passe erwartet. Erst als Abends die Lichter im rothen Löwen angezündet werden, geht unserm Helden auch ein Licht auf, doch ein ziemlich düsteres; er stolpert durch die Stadt und Wälle bis zum Denkmal des wackern Generals Defaix und weiß nicht, ob er sich in den »freien, deutschen Rhein« stürzen und dadurch allen Verfolgungen und Gefahren des Erdenpilgerlebens entgehen oder über die Brücke wandern und gute Miene zum bösen Spiel machen soll.
Nachdenklich setzt er sich auf einen Stein, schaut nach dem fernen Schwarzwalde hinüber und träumt melancholisch von Itanien, bis ihn ein kleiner Mann anredet und seinem Geschicke eine neue Wendung gibt; leider schlägt dieselbe abermals zum Unheile und diesmal zum größten alles erdenkbaren Unheiles aus. –
Bis hieher mag unsere Erzahlung gehen, den weitern Verlauf mag der Held derselben selbst erzählen, weil wir jetzt doch wissen können, wen wir vor uns haben und in das Zuchthaus zurückkehren müssen.
Die Nacht hat ihren sternbesäeten Schleier über die wunderliebliche Landschaft ausgebreitet, durch welche das Auge manches kranken Gefangenen, der sich an einem der Fenster des Krankensaales der warmen Sonnenstrahlen freute, sehnsüchtig und träumerisch hinschweifte.
Im Krankensaale, worin heute der Duckmäuser einzelne Abschnitte seiner Geschichte mit vielen Verbesserungen und Verzierungen einigen Mitgefangenen zum Besten gegeben, brennt nunmehr eine Laterne und vertheilt Licht und Schatten ohne alle Rücksicht auf Kranke und Hausordnungen ziemlich unzweckmäßig.
Von der Außenwelt vernimmt das Ohr nur noch den regelmäßigen Schritt der Hofwachen, zuweilen ein fern vorüberfliehendes Rollen der Kutschen oder die muntern Lieder der Fidelen, welche in der nächsten Brauerei des Lebens Unverstand mit und ohne Wehmuth genießen und wacker Bier dazu kneipen.
Im Krankensaale dagegen hat die Nacht manche Unterbrechung der tiefen Stille zu verdoppeln. Das Murmelthier schnarcht seinen kellertiefen Grundbaß, der Seeräuber versucht von Zeit zu Zeit mit einem ohrenzerreißenden Tenor einzufallen, der Exfourier flucht zuweilen leise zuweilen laut über die Störenfriede, welche ihn nicht einmal an seine Braune denken, geschweige einschlafen lassen, der Wirthssohn beneidet die tiefen, schweren Athemzüge einiger genesenden Nachbarn und wälzt sich ruhelos im Bette hin und her, die Auszehrenden hüsteln und ächzen, ein Fieberkranker phantasirt von einem Amtmanne mit krummer Nase und scharfen Klauen, der Patrik vom Hotzenwald droht von Zeit zu Zeit am Husten zu ersticken, der glückselige Donatle lacht im Traume laut auf, der brave unermüdliche Krankenwärter spazirt auf Socken aus und ein, denn in der nächsten Stube liegt Einer, dessen Laufpaß in die ewige Heimath beinahe unterschrieben ist und zum Ganzen gibt der Pendel der Schwarzwälderuhr den schwerfälligen, melancholischen Takt.
Der Duckmäuser schläft auch noch nicht, denn er muß dem Zuckerhannes, welchem er Hoffnung auf Genesung und Befreiung eingeredet hat, seine Geschichte vollends erzählen.
Dieser glaubt nicht, den Todeskeim aufgeblüht in der leidenden Brust zu tragen, sondern an Genesung und Befreiung und für letztere mindestens scheint dem Unerfahrenen kein Strohhalm, sondern eine Schiffsladung von Hoffnung vorhanden zu sein.
Ist nicht am ersten Montage des laufenden Monats als am üblichen Besuchtage die Emmerenz vom Hegäu herabgekommen und wie ein rettender Engel vor dem Drathgitterfenster des Flechtwaarenmagazins gestanden und hat dem ehemaligen Schatz Trost und Muth eingeredet? Erzählte sie nicht voll Freuden, der Fesenbauer sei ins Dörflein und zu ihr gekommen und habe merken lassen, er bereue die Sünden, welche er gegen die Brigitte begangen und das Unglück, welches er über den Hannesle gebracht? Hat besagter Fesenbauer nicht geschworen, er gäbe gerne seinen kleinen Finger, wenn er damit dem Hannesle aus dem Zuchthause verhelfen könnte? Hat ein reicher Bauer kein Gewicht beim Amt, bei der Regierung, den Landständen und beim Großherzog und wird das einmal rege Gewissen des Michel wieder verstummen? Wird dieser nicht Alles thun, um eine neue Untersuchung einzuleiten und wird für seinen Sohn dieselbe nicht gewaltige Verminderung der Strafzeit, baldige Begnadigung oder gar sofortige Freilassung zur Folge haben?
Also sprach die Emmerenz am Besuchtage, ebenso heute morgen wieder der Duckmäuser, welcher aufrichtig an die Möglichkeit der Befreiung, zweifelhaft jedoch an das Wiederaufkommen seines Freundes glaubt und wie sehr haben die hoffnungsreichen Reden der Beiden das kranke Herz des kranken Zuckerhannes erquickt!
Hoffnung und Freude sind für Kranke oft die wirksamsten Arzneien, der Zuckerhannes hat's erfahren; er kann vor Aufregung nicht schlafen und hört dem Duckmäuser zu, welcher ihm den Rest seiner Geschichte in die Ohren flüstert, nämlich seiner auswendigen Geschichte, welche mit dem Eintritte ins Zuchthaus schließt, während die inwendige noch nicht in den rechten Gang gekommen ist und erst in der Zelle zu Bruchsal dazu kommen wird.
Jetzt erzählt er vom rothen Löwen zu Straßburg, vom Steine beim Denkmal des Generals Defaix, wir spitzen die Ohren und hören weiter Folgendes erzählen:
»Wie ich so verlassen ohne Paß dahocke und recht betrübt an die Itania denke, von der mich sichtbare und unsichtbare Berge trennen, kommt ein klein, klein Männle auf mich zu und fragt gar sanft, was ich denn da mache?« – »Ho Nichts!« – »Nichts? wenn der Mensch nichts macht so sündigt er!« – »Ja und wenn er Etwas macht, so kommt er in des Teufels Küche, wie ist da zu helfen?« – »Was haben Sie für eine Religion?« – »Ho, ich bin katholisch!« – »Katholisch? ... armer Mensch!« – »Ja, ein armer Teufel bin ich, doch nicht weil ich katholisch, sondern hier fremd bin!« – »Hier fremd und dort fremd, armer, armer Bruder!« –
Kurz, das Männlein fängt ein Gespräch mit mir an, ich merke, daß es sehr fromm ist, thue auch fromm, erfahre, er sei kein Straßburger, sondern habe blos einen kleinen Spazirgang gemacht, weil er vor lauter Liebe zum Lamme oft nicht mehr recht schnaufen könne, wohne mehrere Stunden oberhalb Straßburg, heiße Meister März und sei ein vom Herrn mit zeitlichen Gütern reichgesegneter Mann, der in diesen Zeiten babylonischer Verwirrung seinen Brüdern, welche die »Diener am Worte« und den Herrn Jesum Christum hoch hielten, gerne unter die Arme greife, aus zeitlichem Elend und dem ewigen Höllenpfuhl errette.
Natürlich stellte ich mich immer frömmer, Meister März entdeckte mir bald, er sei am 5. October 1831 Abends zwischen 5 und 6 Uhr in dem an zeitlichen Gütern und gottseligen Seelen so reichen Basel bei Mariot in den Stand der Gnade gekommen. So Etwas sollte mir passiren, ich könnte den Gnadenstand brauchen! meinte ich und wer mich beredete, nach Straßburg zurückzugehen, um zu übernachten und morgen mit ihm heimzufahren, der war mein Meister März.
Derselbe logirte bei einer gottseligen Wittwe in der Nähe des Kleberplatzes; ich übernachtete in einem Wirthshause... ich glaube, es hieß zum goldenen Apfel! ... und am andern Morgen holte mich Meister März ab und freute sich sehr, weil ich just in einer großen Bibel las, die der kleine Wicht mir schon am Abend nebst vielen abscheulich langweiligen Traktätlein verehrt hatte.
Er führte ein Wägelchen bei sich und ich sah auf den ersten Blick, daß er ein gutes Männlein sei gegen Gleichgesinnte und das Gute oder Schlimme an sich trug, alle Leute gleichgesinnt machen zu wollen. Die gottselige Wittwe hat ihm viele Bibeln und ganze Päcke erbaulicher Flugschriften mitgegeben, auf der Landstraße verschenkte er seine Bibeln an Handwerksbursche, Marktweiber, Bauern und Bettler und als ich beim Ausstreuen und Vertheilen der Traktätlein half, lächelte er gar lieblich... Stelle dir ein hellbraunes Männlein vor, mit zarten Löcklein vor jedem Ohre, das Köpfchen etwas zur Seite geneigt, die Augen den ganzen Tag voll Wasser und Freundlichkeit, mit bleichen Wangen, einer löschhornartigen Nase, fromm verzogenen und selig lächelndem Munde, im ganzen Gesichte kein Härlein außer etwa 10 bis 12, welche einen Backenbart vorstellen sollten, ganz einfache doch hübsche Kleider und du hast den Meister März, dessen feine zarte Händlein eher einem Schulmeisterlein, denn einem Schreiner anzugehören scheinen.
Er redete lauter gottselige Dinge von Zion, Babel, den Freuden des Lämmleins, von der Sündhaftigkeit des Menschengeschlechtes, vom Gnadenstand der Anhänger des »lieben, einfältigen Evangeliums,« vom »treuen Gottesmanne« Martinus Luther, vom Antichrist und von der babylonischen Hure und ehe ich mit ihm heimkam, wußte ich schon, die Offenbarung Johannis werde von uns fleischlichgesinnten Papisten seit 18 Jahrhunderten nicht verstanden, doch er, der Meister März und andere gottselige Leute, bei denen der heilige Geist täglich sein Absteigequatier nehme, wüßten, daß das tausendjährige Reich und die Zerstörung des römischen Babel in ganz naher Aussicht ständen und daß der Teufel jeden am Schopfe nehmen werde, welcher es zuließ, daß die katholische Abgötterei »die Geister gedämpft« habe.
Er beredete mich unterwegs einen falschen Namen anzunehmen und mich für einen von den »römischen Geistlichen schwer verfolgten Freund der Diener am Worte« auszugeben, welcher wegen Verbreitung von Schriften der Anhänger des lieben einfältigen Evangeliums um sein Brod gekommen sei. Zunächst versprach er dagegen, mich in seinem Hause aufzunehmen, das Schreinergewerbe, zu welchem ich stets Freude hatte, lernen zu lassen und mit allem auszurüsten, was zu einem behäbigen und wohlanständigen Leben in Gottseligkeit gehört, wenn ich etwa als einen »Praedestinirten« mich erwiese!
Kannst Dir leicht denken, daß mich Meister März arg langweilte, doch habe ich mich stets nach den Leuten gerichtet, diesmal befand ich mich in der höchsten Noth, er versprach mir Alles, was ich brauche und der Wein sammt dem Likör, welchen er neben seinen Bibeln in der Truhe des Wagensitzes hatte und gegen Abend so wacker genoß, daß ich an den Compagnieschneider Feucht dachte, setzten mich so ins Feuer, daß ich schon auf dem Wege ein geistliches Lied von ihm erlernte, welches er abwechselnd unter Weinen und Lachen sang und dessen Melodie ich auf der Klarinette nachspielte. Meine Geschicklichkeit entzückte ihn dermaßen, daß er laut weinte, mir die Zügel um den Arm band, auf die Knie sank und mit gefalteten Händen die ersten Strophen seines Lieblingsliedes sang.
Es war gut, daß es Nacht war und uns Niemand begegnete, ich blies so rührend als möglich und er sang unter Thränen:
Was ist ein Kreuz-Luft-Hühnelein?
Laßt's auch nur Kreuz-Luft-Putchen sein:
Ein Thierlein, das die Henne reucht,
Mit welcher sich das Lamm vergleicht
Dort bei Jerusalem! ...
... Auf dem Wege sprach Meister März in keinem Wirthshause ein, doch beinahe in jedem Dorfe saß eine gottselige »Schwester«, welche mit ihm in die Nebenkammer ging, um dem Lamme für die glückliche Ankunft des Bruders zu danken und uns dann besser bewirthete, als es der Grünbaumwirth in Wanzenau bei allem Reichthum hätte thun können.
Spät in der Nacht kamen wir im Wohnorte und Hause des Meisters März an; eine Schaar andächtiger Frauen und gottseliger Männer sammt zwei jungen, äußerst bleich und fromm aussehenden »Dienern am Worte« waren in einem Hintergebäude des Hauses noch in Gebet und Betrachtungen versunken, Meister März stellte mich denselben vor und ich sah, wie große Augen alle machten und zusammenschauderten, als sie hörten, ich sei ein »Papist aus Dütschland.«
Einige liebliche Mädlen und gottselige Wittwen versprachen, für mich, den in den Banden des Irrthums, der Ungnade und des Satans gefangenen Mitbruder inbrünstig zu bitten und ihre Liebe rührte mich dermaßen, daß ich helle Thränen vergoß!
Du weißt, Zuckerhannes, daß ich wohl der geschickteste Schreiner des Zuchthauses bin, ich habe als Gefangener dieses schöne Gewerbe in einer Reihe von Jahren vom Fundamente aus gelernt, doch den ersten Grund dazu legte ich bei Meister März.
Meister März arbeitete nicht selbst; er führte mit einem Gehülfen und Obergesellen das Geschäft und betete, machte Besuche und Reisen, hielt in der großen Werkstätte Versammlungen, gab mir Essen, Trinken, Kleider, ließ mich nicht als Lehrjungen, sondern als Bruder behandeln, betete stündlich um meinen Gnadenstand und suchte mich auf jede Weise zu überreden, der »römischen Abgötterei« zu entsagen.
Er hielt viel auf meinen gescheidten Kopf und meine frommen Gesinnungen und ich darf wohl behaupten, daß ich jetzt einer der reichsten Schreiner des Elsasses und leicht der Schwager meines Meisters wäre, wenn ich es nur über mich gebracht hätte, meinen Glauben abzuschwören!
Nach und nach erzählte ich ihm viele Streiche und Verirrungen meines Lebens, aber er ließ deßhalb nicht nach mit Zudringlichkeit und meinte, der Mensch sei unfähig ein gottgefälliges Werk zu vollbringen, die Werke des Menschen seien ohne Bedeutung und der Glaube allein mache selig, ich aber müsse noch zum Glauben und Gnadenstand gelangen, das habe ihm eine wunderbare Erscheinung schon in Straßburg angekündiget und er sei das Werkzeug, welches mich aus einem heidnischen Gefäße des Zornes zu einem christlichen Gefäße der Gnade mache.
Mein Meister hatte schon manche Seele für »das Wort« gewonnen, bei mir machte er sammt seiner arg verliebten Schwester große Versprechungen, kam doch nicht rasch genug zum Ziele und merkte, daß es mir nur darum zu thun sei, geschwind ein Schreiner zu werden und dann in die sündige Welt hinauszuwandern, in Paris statt in Zion Arbeit zu suchen! ... An der katholischen Religion liegt mir in der That wenig; man vergißt dergleichen Dinge in der Kaserne, wo Evangelische und Juden darüber spotten und im Zuchthause ist es ebenso, aber ich brachte es nicht über mich, meinen alten Glauben abzuschwören, wiewohl ich mit den Lutherischen in ihre Conventikel und Predigten ging, aus Klugheit und zur Unterhaltung die Schriften von Jung-Stilling und Anderen las, auch das alte Testament fast auswendig lernte und Mariotts wässerige Traktätlein fleißig vertheilte.
Daheim im Dörflein hat meine Mutter von den Lutheranern mir früh viel Arges erzählt; ich verabscheute dieselben beinahe, wie ich die Juden fürchtete, hielt sie für böse Geister, aus welchen einmal der Antichrist erzeugt werde und konnte mich von dem Aberglauben nicht losreißen, ein abgefallener Katholik sei ewig ein Kind der Hölle und des Teufels. Vieles, was ich im Hause meines Meisters sah und hörte, bestärkte mich im Aberglauben der Mutter; Hochmuth und Wollust spielen bei den Muckern eine wüste und unerträgliche Rolle und so oft ich auch versprach, meinen katholischen Glauben fahren zu lassen, wenn man mir noch ein wenig Frist lasse, ebenso oft trat ich zurück, wenn die Frist vorüber war.
Eines Abends, wo der Meister mich schon recht kühl und bissig behandelte, so daß ich gerne fortgelaufen wäre, wenn ich nur einen Paß und Geld gehabt hätte, spottete ich über die Frömmigkeit einer Betschwester, die ich bei einem Andern als ihrem Manne ertappte.
Am andern Morgen kommt der Mann der Betschwester, verflucht meine böse Zunge und babylonische Herzensverwirrung, der Meister März seufzt, verdreht die Augen und lispelt: »Benedict, du bist und bleibst ein abgöttischer Papist, entweder nimmst du noch heute meinen Glauben an oder gehst aus dem Hause, denn mein Gewissen duldet es nicht, mich mit einem Unmenschen deiner Art abzugeben, der eine fromme Schwester verläumdet!« Ich antworte patzig, das fromme Männlein wird ganz wüthend, verdammt mich in die unterste Hölle, ich gehe den Bündel zu schnüren und wenn Meister Märzens Schwester mir nicht gesagt hätte, mich augenblicklich aus dem Staube zu machen und ihrer angenehmen Nächstenliebe eingedenk zu bleiben, so würde mich der Gensdarm erwischt haben, denn dieser war keine zehn Schritte mehr vom Hause, als ich zur Hinterthüre hinausschlich.
Ohne Paß und Kleider, besaß ich nichts außer einem Fünflivre, den Mamsell März mir in der Eile zugesteckt hatte, lief gleich einem Feuerreiter Tag und Nacht und kam halbtodt wieder nach beinahe vierteljähriger Abwesenheit in Straßburg an.
Hier blieb ich über Nacht, spazirte bei Kehl über die Brücke und schlug den Weg nach meinem Heimathdörflein ein, um den Rest meines mütterlichen Vermögens oder doch einige Napoleons zu holen und mich damit in die Schweiz zu machen. Glaubst du es, mein lieber Zuckerhannes?
... Schläfst du? ... Nun, s'ist gleich aus; ich reiste zu meinem Vater auf ähnliche Weise, wie du, hungerte am Tage, lief bei Nacht und fand auch eine kühle, böse Aufnahme! Du weißt es! Alles im Dörflein ist todtenstill, wie ich hinkomme, nur einige Hofhunde bellten in die Nacht hinaus, zu Hause lag Alles wie der Vater im Schlafe; ich klopfe, er steht auf, schaut zum Fenster heraus, erkennt mich, rennt fort, um die Flinte zu holen und droht, mich elenden Spitzbuben über den Haufen zu schießen, wenn ich nicht augenblicklich fortgehe.
Die Verzweiflung macht mich rasend, der Teufel zeigt mir einen Bengel, der mitten im Hofe lag, ich packe denselben und schlage so wüthend auf die Thüre los, daß alle Geschwister und die Nachbarn wach werden und laut rufen.
Plötzlich öffnet der Vater die Thüre, drückt die Flinte auf mich ab, die Kugel streift aber blos die Achsel ... schau da, Zuckerhannes, dies Wundmal ist die ewige Erinnerung an jenen fürchterlichen Augenblick! ... ich haue in blinder, besinnungsloser Wuth mit dem langen, knorrigen Bengel in den dunkeln Hausgang hinein und ehe ich den dritten Schlag thue, packen mich des Liebhardts Knecht und der Hansjörg, der mit mir so lange auf dem Katzenbänklein gesessen, von hinten, der Hannesle stürzt mit dem Lichte und einem alten Säbel aus der Thüre und ... ich schaudere, wenn ich daran denke, du magst dir alles Andere selbst denken!« ... Schaudernd kehrt sich der Duckmäuser ab, schlüpft mit dem Kopfe unter den Teppich und es bleibt ungewiß, ob er weine oder schlafe.
Der altersgraue, finstere und allzuharte, doch sonst brave Jacob lag blutend damals in der Hausflur, der Kopf war ihm auf einer Seite ganz zerschmettert, er stöhnte und röchelte nur noch wenige Augenblicke und verschied, ehe irgend eine Hülfe kommen konnte.
Sein Sohn, der ehemalige Unterlehrer, Dorfhanswurst, Anführer der Altmodischen, Schweinehirt, Hobist und Schreiner ist ein Vatermörder geworden und sitzt als solcher jetzt schon lange Jahre im Zuchthause. Er ist gelassen, gleichmüthig, folgsam, arbeitsam, doch gebessert ist er nicht, schiebt die Schuld seines Unglückes nur auf Andere und wenn er auch zugibt, der Teufel habe ihn schlecht und verbrecherisch gemacht, so weiß er doch nicht, auf welche Weise er der Herrschaft des Teufels zu entrinnen vermöchte.