Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

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1. Kapitel

Des Konsuls Erzählung

Seit dem Begräbnis meines armen Harry war eine Woche vergangen und ich ging eines Abends nachdenklich in meinem Zimmer auf und ab, als die Haustürglocke erklang. Ich schritt die wenigen Stufen herunter, öffnete selbst die Tür und herein kamen meine alten Freunde Sir Henry Curtis und John Good, Flottenkapitän a. D. Ihrer großbritannischen Majestät. Sie traten in die Vorhalle und ließen sich vor dem weiten Kamin nieder, in dem, wie ich mich erinnere, ein ganz besonders gutes Holzfeuer brannte.

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, mich zu besuchen,« sagte ich, um nur eine Bemerkung zu machen. »Es muß sich in dem Schnee aber schlecht gehen lassen.«

Sie erwiderten nichts, doch holte Sir Henry seine Pfeife hervor, stopfte sie langsam und zündete sie mit einer Kohle an.

Während er sich, hiermit beschäftigt, ein wenig vorbeugte, flackerte das Feuer, das ein stark harziges Scheit Fichtenholz ergriffen hatte, hell auf und warf einen eigentümlichen Schein über die ganze Szene. Welch herrlicher Mann! – so dachte ich bei mir. Das Gesicht ruhig und gebieterisch, die Züge klar 10 geschnitten, große graue Augen, gelber Bart und gelbes Haar – kurz, das Prachtexemplar eines vollkommenen Mannes. Seinem Gesicht entsprach seine Gestalt. Nie habe ich breitere Schultern oder eine kräftigere Brust gesehen. Sir Henrys Umfang ist in der Tat so groß, daß er, obwohl sechs Fuß zwei Zoll hoch, gar nicht besonders lang erscheint. Als ich ihn anblickte, konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, welch merkwürdigen Gegensatz doch meine eigene kleine eingetrocknete Wenigkeit zu seinem majestätischen Gesicht und seiner stolzen Gestalt darbot. Stellen Sie sich einen unbedeutenden zusammengeschrumpften Mann von dreiundsechzig Jahren vor, mit gelbem Gesicht, dünnen Händen, großen braunen Augen, kurzgeschorenem grauem, wie ein Stoppelfeld in die Höhe ragendem Haar – Gesamtgewicht in den Kleidern etwa hundertzwanzig Pfund – und Sie werden ein ziemlich annäherndes Bild von Allan Quatermain erhalten, der gewöhnlich Jäger Quatermain oder von den Eingeborenen »Macumazahn«, d. h. Jemand, der in der Nacht einen scharfen Lugaus hält, oder in der Volkssprache ein »heller Junge«, der sich nicht übertölpeln läßt, genannt wird.

Dann war noch Good da, der keinem von uns beiden gleicht, da er kurz, brünett und dick – sehr dick – ist. Er hat lebhaft funkelnde Augen und trägt auf dem einen ein Einglas, das nie seinen Platz verläßt. Wenn ich dick sage, so ist das jedoch nur eine milde Umschreibung, da Good, wie ich zu meinem Bedauern feststellen muß, sich in den letzten Jahren einen ganz schändlichen Fettansatz zugelegt hat. Es kommt, so sagt ihm Sir Henry, vom 11 Nichtstun und allzu vielem Essen, und Good, der die Tatsache nicht in Abrede stellen kann, ist ganz unglücklich darüber.

So saßen wir eine Weile schweigend da. Dann stand ich auf und zündete die Lampe auf dem Tische an, da das Halbdunkel, das von dem Feuer im Kamin ausging, mich trübe zu stimmen begann, wie es kaum anders sein kann, wenn man vor einer kurzen Woche alle seine Hoffnungen zu Grabe getragen hat. Mein nächster Schritt galt einem Wandschrank, dem ich eine Flasche Whisky, einige Gläser und einen Siphon mit Sodawasser entnahm. Ich besorge diese Handreichungen immer selbst, da es mich aufbringt, fortwährend jemanden um mich herum scharwenzeln zu sehen, wie wenn ich ein Achtzehnmonatskind wäre. Während dieser Vorkehrungen hatten Curtis und Good, deren zweiter Besuch nach dem Begräbnis es war, geschwiegen, da sie offenbar fühlten, daß sie mir mit Worten nicht zu helfen vermochten, und sich begnügten, mir den Trost ihrer Gegenwart und unausgesprochenen Teilnahme zu spenden. Und es ist, nebenbei bemerkt, Tatsache, daß in den dunklen Stunden unsers Kummers die Gegenwart anderer uns wirklichen Trost bringt, nicht aber ihr Gespräch, über das wir uns oft genug nur ärgern. Bei einem schlimmen Sturm schließt sich das Wild immer eng aneinander, stellt aber sein Rufen ein.

Still saßen sie da, rauchten und tranken Whisky mit Soda, während ich mit meiner Pfeife am Feuer stand und sie anblickte.

Endlich brach ich das Schweigen. »Alte Freunde,«sagte ich, »wie lange ist es her, daß wir aus Kukuanaland zurückgekommen sind?« 12

»Drei Jahre,« antwortete Good. »Warum fragen Sie?«

»Ich frage, weil ich der Ansicht bin, daß ich von der Zivilisation wieder genug habe. Ich gehe nach dem Veldt zurück.«

Sir Henry reckte sich in dem Armstuhl und ließ ein tiefes Lachen hören. »Wie außerordentlich seltsam,« sagte er, »nicht wahr, Good?«

Good lächelte mir geheimnisvoll durch sein Einglas zu und murmelte: »Ja, es ist seltsam – außerordentlich seltsam.«

»Ich verstehe nicht recht,« sagte ich und blickte fragend von dem einen zum andern, denn ich bin kein Freund von Geheimnissen.

»Wirklich nicht, alter Junge?« sagte Sir Henry. »Dann will ich es erklären. Good und ich hielten unterwegs ein Gespräch.«

»Wenn Good dabei war, zweifle ich nicht daran,« unterbrach ich ihn sarkastisch, da Good das Erzählen liebt. »Und um was hat sich die Unterhaltung gedreht, wenn ich fragen darf?«

»Was denken Sie?« meinte Sir Henry.

Ich schüttelte den Kopf. Es war nicht wahrscheinlich, daß ich erriet, auf welchen Gegenstand Good zu sprechen kam. Er spricht von so vielen Dingen.

»Nun, wir unterhielten uns von einem kleinen Plan, den ich mir vorgenommen habe – dem nämlich, unsere Koffer zu packen und eine neue Expedition nach Afrika zu unternehmen, vorausgesetzt, daß Sie mit von der Partie sein wollen.«

Fast sprang ich vor Freude in die Höhe. »Es ist Ihnen nicht Ernst!« sagte ich. 13

»Doch ja, mir sowohl wie Good, nicht wahr, Good?«

»Mein heiliger Ernst,« entgegnete dieser Herr.

»Hören Sie mir zu, alter Freund,« fuhr Sir Henry fort, dessen Wesen eine sonst an ihm nicht übliche Erregung verriet. »Auch ich habe es satt, herzlich satt, weiter nichts zu tun als den Gutsherrn in einem Lande zu spielen, das von Herren nichts mehr wissen will. Seit einem Jahr oder noch länger ist eine Unruhe über mich gekommen, wie über einen alten Elefanten, der Gefahr wittert. Ich bin es müde, Fasanen und Rebhühner zu schießen und möchte wieder großes Wild vor meinem Gewehr sehen. Das Jahr, das wir in Kukuanaland verbrachten, ist mir lieber als alle andern Jahre meines Lebens zusammengenommen. Vielen erscheine ich zweifellos als ein Tor, ich kann mir jedoch nicht helfen. Es zwingt mich, von hier fortzugehen, und ich werde gehen.« Er ließ eine kleine Pause eintreten und fuhr dann fort: »Und warum sollte ich nicht gehen? Ich habe weder Eltern noch Weib, weder Kind noch Kegel, die mich zurückhalten. Sollte mir etwas Menschliches zustoßen, so wird mein Titel und Besitz meinem Bruder Georg und seinem Jungen zufallen, wie es schließlich doch der Fall sein würde. Ich bin für niemanden auf der Welt von irgendwelchem Belang.«

»Ah!« sagte ich, »ich habe es mir stets gedacht, daß Sie früher oder später zu dieser Einsicht gelangen würden. Und nun, Good, welchen Grund haben Sie, um auf den ›Trek‹ zu gehen, haben Sie überhaupt einen?«

»Jawohl,« erwiderte Good feierlich. »Ich handle nie ohne 14 Grund. Es ist diesmal nicht eine Dame – zum mindesten sind es ihrer mehrere.«

Ich blickte ihn wiederum an. Good ist so sehr frivol. »Was also ist es?« fragte ich aufs neue.

»Nun, wenn Sie den wahren Grund durchaus wissen wollen, sollen Sie ihn auch hören, obwohl ich von einer so zarten und rein persönlichen Sache am liebsten nicht gesprochen hätte: Ich werde zu fett.«

»Genug davon, Good,« sagte Sir Henry. »Und nun, Quatermain, schlagen Sie uns vor, wohin wir reisen sollen.«

Ich zündete, ehe ich antwortete, wieder meine Pfeife an, die mittlerweile ausgegangen war.

»Haben Sie je von dem Berg Kenia gehört?« fragte ich.

»Hatte nie das Vergnügen,« sagte Good.

»Haben Sie je von der Insel Lamu gehört?« fragte ich weiter.

»Nein, doch halt! Ist es nicht ein Platz etwa dreihundert Meilen nördlich von Sansibar?«

»Ja. Hören Sie jetzt zu. Ich schlage vor, nach Lamu zu fahren, von dort etwa zweihundertundfünfzig Meilen weiter ins Innere, bis wir den Berg Kenia erreichen, von dem Berg Kenia wieder zweihundert Meilen weiter bis nach dem Berg Lekakisera, über den hinaus, so weit mir bekannt, noch kein Weißer gedrungen ist, und dann, wenn wir überhaupt so weit kommen, immer vorwärts hinein in das Unbekannte. Was sagen Sie dazu, meine Lieben?«

»Es ist ein gewagtes Unternehmen,« entgegnete Sir Henry nachdenklich. 15

»Sie haben recht,« versetzte ich. »Das ist es. Ich nehme aber an, daß wir alle drei uns nur in ein solches Unternehmen einlassen wollen. Es verlangt uns nach einem Wechsel unserer Umgebung und den werden wir voraussichtlich bekommen – einen gründlichen Wechsel. Mein ganzes Leben hindurch habe ich jenen Teil Afrikas zu besuchen gewünscht und ich will ihn besuchen, ehe ich sterbe. Meines armen Jungen Tod hat das letzte Glied zwischen mir und der Zivilisation zerschnitten und ich eile deshalb wieder in meine Wildnis zurück. Und noch eines will ich Ihnen sagen, daß ich nämlich seit Jahren und Jahren Gerüchte vernommen habe, nach denen ein großes weißes Volk in jenen Gegenden leben soll, und ich habe außerordentliche Lust, mich von der Wahrheit dieser Gerüchte zu überzeugen. Es soll mir recht und angenehm sein, wenn Sie mitkommen wollen. Wenn nicht, so gehe ich allein.«

»Ich bin Ihr Mann, wenngleich ich nicht an Ihr weißes Volk glaube,« sagte Sir Henry Curtis, indem er sich erhob und mir seinen Arm auf die Schulter legte.

»Dito,« bemerkte Good. »Ich werde sofort zu trainieren anfangen. Gehen wir auf alle Fälle nach dem Berg Kenia und dem andern Platz mit dem unaussprechlichen Namen und halten wir Umschau nach einem weißen Volk, das nicht existiert. Mir ist alles einerlei.«

»Und wann wollen wir aufbrechen?« fragte Sir Henry.

»Heute in einem Monat,« entgegnete ich, »mit dem Dampfer der British India Compagnie, der dann abgeht. Und seien Sie 16 nicht gar zu sicher, daß es gewisse Dinge nicht gäbe, weil Sie zufällig nicht von ihnen gehört haben.«

Etwa vierzehn Wochen waren seit dem Tage der vorstehend wiedergegebenen Unterhaltung vergangen.

Nach vielem Überlegen und Hin- und Herfragen kamen wir zu dem Schluß, daß wir den Berg Kenia am besten von der Nachbarschaft der Tana-Mündung erreichen würden. Zu dieser Ansicht gelangten wir auf Grund der Mitteilungen, die wir einem französischen Händler, der in Aden auf den Dampfer kam, verdankten. Es war, glaube ich, der schmutzigste Franzose, den ich je kennen lernte, dabei jedoch ein guter Kerl, der uns viele wertvolle Aufschlüsse gab. »Lamu,« sagte er, »Sie gehen nach Lamu?« Und sein fettes Gesicht glänzte vor Entzücken. »Einundeinhalbes Jahr habe ich dort gelebt, ohne auch nur ein einziges Mal mein Hemd zu wechseln!«

So kam es, daß wir uns, bei der Insel angekommen, mit Sack und Pack und aller unserer sonstigen Habe ausschifften und in Ermangelung jeder sonstigen Adresse, kühn nach dem Hause des Konsuls Ihrer großbritannischen Majestät marschierten, der uns auf das Gastlichste aufnahm.

Lamu ist ein höchst merkwürdiger Ort, doch nehmen von den vielen Merkwürdigkeiten sein unbeschreiblicher Schmutz und Gestank die erste Stelle in meiner Erinnerung ein. Der Gestank ist einfach furchtbar. Gerade unterhalb des Konsulats liegt der Strand, oder richtiger gesagt, eine Schlammbank, die den Namen Strand trägt. Zur Zeit der Ebbe ist sie ganz frei von Wasser 17 und dient dann als Ablagerstätte für den Schmutz, Unrat und Abfall der ganzen Stadt. Hierher kommen auch die Weiber und vergraben Kokosnüsse in den Schlamm, die sie erst, wenn die Außenseite ganz verfault ist, wieder hervorholen, um die Fasern zum Flechten von Matten wie zu verschiedenen andern Zwecken zu benutzen. Da dieses Verfahren seit Jahrhunderten üblich ist, läßt sich der Zustand der Küste besser denken als beschreiben.

»Nun, meine Herren, worauf steuern Sie denn zu?« fragte unser Freund, der gastfreie Konsul, als wir nach dem Mahl unsere Pfeife rauchten.

»Wir wollen nach dem Berg Kenia und von dort nach dem Berg Lekakisera,« antwortete Sir Henry. »Quatermain hat einmal fabeln hören, daß es in den unbekannten, darüber hinausliegenden Länderstrichen ein weißes Volk gebe.«

Der Konsul zeigte ein interessiertes Gesicht und entgegnete, daß auch er etwas Ähnliches vernommen habe.

»Was haben Sie gehört?« fragte ich.

»O, nicht viel. Ich weiß nur, daß ich vor etwa einem Jahr von dem schottischen Missionär Mackenzie, dessen Station, das ›Hochland‹, an dem höchsten schiffbaren Punkt des Tana liegt, einen Brief erhielt, worin er etwas darüber sagte.«

»Haben Sie den Brief noch?« fragte ich.

»Nein, ich vernichtete ihn, erinnere mich aber des Inhalts ziemlich genau. Ein Mann wäre, so hieß es darin, auf seiner Station angekommen und habe ihm erzählt, er hätte jenseits des Berges Lekakisera – den, soweit ich weiß, bisher noch kein Weißer 18 besucht hat – nach einer Reise von zwei Monaten einen See, namens Laga, gefunden. Dann habe er seinen Weg in nordöstlicher Richtung durch Wüsten, Dorngestrüppe und über große Gebirge noch einen vollen Monat fortgesetzt, bis er endlich in ein Land gekommen sei, in dem es weiße Menschen gäbe, die in Steinhäusern lebten. Dort sei er eine Zeitlang gastfreundlich aufgenommen worden, bis die Priester des Landes zuletzt das Gerücht ausgesprengt hätten, daß er ein Teufel wäre, worauf das Volk ihn vertrieben habe. Dann sei er acht Monate lang unterwegs gewesen und schließlich in sterbendem Zustand auf Mackenzies Station eingetroffen. Das ist alles, was ich weiß, und wenn Sie mich um meine Meinung fragen, so sage ich offen, daß ich es für eine Lüge halte. Wenn Sie aber mehr darüber erfahren wollen, so rate ich Ihnen, den Tana hinaufzufahren, bis Sie zu Mackenzie kommen, und ihn um weitere Aufschlüsse zu bitten.«

Sir Henry und ich blickten einander an. Hier bot sich uns etwas Greifbares.

»Ich denke, wir werden Herrn Mackenzie besuchen,« sagte ich.

»Das ist das beste, was Sie unter den Umständen tun können,« antwortete der Konsul, »ich mache Sie aber darauf aufmerksam, daß Sie aller Wahrscheinlichkeit nach eine gefährliche Reise vor sich haben, da die Massai auf dem Kriegspfade sind, mit denen nicht gut Kirschen essen ist, wie Sie wissen. Wenn ich Ihnen raten darf, so nehmen Sie sich einige sorgfältig ausgewählte Leute als persönliche Diener und Jäger mit und mieten die nötigen Träger von Dorf zu Dorf. Es wird zwar sehr 19 umständlich und beschwerlich sein, immerhin aber doch noch billiger und vorteilhafter, als wenn Sie eine ganze Karawane aufbieten.«

Zum Glück hielt sich um jene Zeit grade eine Gesellschaft von Wakwafi-Askari (Soldaten) in Lamu auf. Die Wakwafi, eine Kreuzung zwischen den Massai und den Wataweta, sind ein schönes männliches Geschlecht und besitzen viele der guten Eigenschaften der Sulu, vor welchen sie sich aber durch höhere Zivilisationsfähigkeit auszeichnen. Sie sind zudem große Jäger. Wie es der Zufall fügte, hatten diese Träger erst kürzlich einen Engländer Namens Jutson, der von dem etwa hundertundfünfzig Meilen unterhalb Lamu gelegenen Hafen Mombasa aufgebrochen war, auf einem Ausflug nach dem Kilimandscharo begleitet. Armer Teufel! Er war auf dem Rückweg, kaum noch einen Tag von Mombasa entfernt, am Fieber gestorben. Seine Träger begruben ihn und kamen dann in einer Dhau nach Lamu. Da unser Freund, der Konsul, uns riet, wenn irgend möglich, diese Leute anzuwerben, machten wir uns am folgenden Morgen in der Begleitung eines Dolmetschers auf den Weg, um die Gesellschaft in Augenschein zu nehmen.

Wir fanden sie in einer Lehmhütte an dem Außenrand der Stadt. Drei von den Männern, stattliche, selbstbewußt ausschauende Burschen, saßen vor der Hütte und trugen sämtlich mehr oder weniger ein zivilisiertes Aussehen zur Schau. Vorsichtig kamen wir auf den Zweck unseres Besuches zu sprechen, hatten anfänglich aber fast gar kein Glück damit. Sie dächten nicht an ein solches Unternehmen, erklärten sie uns, sie wären 20 von dem vielen Reisen schwach und müde und ihre Herzen trauerten über den Verlust ihres Herrn. Sie wollten lieber in ihre Heimat zurückkehren und sich eine Weile ausruhen. Dies klang nicht sehr verheißend, und um sie einstweilen von der Angelegenheit abzulenken, fragte ich, wo die übrigen wären. Ich hätte erfahren, daß sie sechs Mann stark seien und doch sähe ich nur drei. Da antwortete einer, daß sie in der Hütte schliefen und sich von ihrer Arbeit ausruhten. »Der Schlaf drückt ihre Augenlider nieder und die Sorge macht ihre Herzen schwer wie Blei. Es ist das beste, zu schlafen, denn im Schlaf kommt das Vergessen. Ich werde die Männer aber aufwecken.«

Gleich darauf traten sie gähnend zur Hütte heraus. Die beiden ersten gehörten offenbar zu demselben Stamm wie die drei, die wir zuerst gesehen hatten. Bei dem Anblick des dritten und letzten von ihnen aber wollte ich beinahe aus meiner Haut fahren. Es war ein sehr großer breitschultriger Mann, meiner Schätzung nach mindestens sechs Fuß drei Zoll hoch, aber hager und von stählernen Gliedmaßen. Mein erster Blick auf ihn sagte mir, daß er kein Wakwafi, sondern ein unverfälschter Sulu war. Da er die dünne aristokratisch aussehende Hand vor sein Gesicht hielt, um ein Gähnen zu verbergen, konnte ich nur sehen, daß er ein »Keschla« oder Mann mit einem Ring, also von Würde, war und daß seine Stirn ein großes dreieckiges Loch aufwies. In der nächsten Sekunde entfernte er seine Hand und enthüllte ein ausgeprägtes Sulugesicht mit einem humoristischen Mund, kurzem, wolligem Bart, der bereits Spuren von Grau zeigte, und einem 21 Paar brauner Augen, die scharf wie die eines Habichts blickten. Ich erkannte meinen Mann sofort wieder, obwohl ich ihn seit zwölf Jahren nicht gesehen hatte. »Wie geht es dir, Umslopogaas?« fragte ich ruhig in der Sulusprache.

Der große Mann (der unter seinem Volk als der »Baumhacker« und auch als der »Würger« bekannt war) fuhr zusammen und ließ vor Überraschung beinahe die Schlachtaxt mit dem langen Griff, die er in seiner Hand hielt, fallen. Im nächsten Augenblick hatte auch er mich erkannt und begrüßte mich in seiner sonoren Sprache mit einem Wortschwall, bei dem seine Begleiter, die Wakwafi, ganz verdutzte Gesichter machten.

»Koos (Häuptling),« begann er, »Koos – y – Pagate! Koos – y – umcool! (Häuptling aus der alten Zeit, mächtiger Häuptling!) Koos! Baba! (Vater!) Macumazahn, alter Jäger, der du die Elefanten erschlägst und die Löwen vertilgst. Kluger! Wachsamer! Tapferer! Rascher! dessen Geschoß nie fehlt, der den Nagel auf den Kopf trifft, der eine Hand ergreift und sie bis zum Tode festhält (d. h. der ein treuer Freund ist). Koos! Baba! Weise ist die Stimme unseres Volkes, die da sagt, ›Berg kommt nie mit Berg zusammen, aber beim Morgengrauen oder bei der Abenddämmerung sollen die Menschen einander wieder begegnen!‹ Siehe, ein Bote kam aus Natal, ›Macumazahn ist tot‹, so schrie er. Das ist schon viele Jahre her. Und nun, siehe, in diesem Stinkort finde ich meinen Freund Macumazahn. Ich kann es nicht bezweifeln. Die Haare des alten Schakals sind etwas ergraut, aber ist sein Auge nicht so gut und sind seine Zähne nicht 22 so scharf wie je? Ha! Ha! Denkst du daran, Macumazahn, wie du dem Büffel, der auf dich zustürmte, eine Kugel in das Auge sandtest – denkst du daran –«

Ich hatte ihn bisher nicht unterbrochen, weil ich sah, daß seine Begeisterung eine deutliche Wirkung auf die fünf Wakwafi ausübte, die seine Rede stellenweis zu verstehen schienen. Jetzt aber hielt ich es für angebracht, ihn zu unterbrechen, da ich nichts so sehr hasse wie jenes bei den Sulu übliche System überschwänglicher Lobeserhebungen – »Bongering« – wie sie es nennen. »Schweige!« sagte ich. »Hast du all dein Geschwätz aufgespart, seitdem ich dich zum letztenmal sah, daß es jetzt hervorbrechen und uns fortscheuchen soll? Was tust du hier bei diesen Männern – du, den ich als einen Häuptling im Sululande verließ? Wie geht es zu, daß du so weit von deiner Heimat entfernt und in der Gesellschaft von Fremden bist?«

Umslopogaas stützte sich auf den Knauf seiner langen Schlachtaxt (die weiter nichts als eine Spitzaxt mit einem schönen Griff aus Rhinozeroshorn war) und sein grimmiges Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an.

»Mein Vater,« antwortete er, »ich habe dir ein Wort zu erzählen, kann es aber nicht vor diesen niedrigen Leuten (umfagozana),« und er blickte auf die Wakwafi-Askari, »aussprechen, da es nur für deine Ohren ist. Dies aber will ich dir sagen, mein Vater,« und hier zog wiederum ein Schatten über sein Gesicht, »ein Weib hat mir nach dem Leben gestellt und meinen Namen mit Schimpf bedeckt – ach, die Verräterin war mein eigenes 23 Weib, ein Geschöpf mit rundem Gesicht. Ich rettete aber mein Leben, ja ich entsprang den Mördern, als sie mich schon in ihren Händen hatten. Ich schlug nur drei Schläge mit dieser meiner Axt Inkosi-Kaas – sicherlich erinnert sich mein Vater ihrer – einen zur Rechten, einen zur Linken und einen geradeaus, und dennoch ließ ich drei Tote zurück. Dann floh ich, und mein Vater weiß, daß meine Füße – selbst jetzt noch, wo ich alt bin – wie die Füße der Sassabieantilope sind und daß kein Mensch lebt, der, wenn ich einmal von seiner Seite fortgesprungen bin, mich im Laufen einzuholen vermöchte. Vorwärts stürmte ich, und hinter mir eilten die Todesboten, deren Stimme wie die Stimme der Jagdhunde klang. Aus meinem eigenen Kraal floh ich und kam dabei an der Verräterin vorüber, die grade am Brunnen Wasser schöpfte. Wie der Schatten des Todes flog ich an ihr vorüber und schlug im Laufen mit meiner Axt nach ihr – und siehe! ihr Haupt fiel nieder und rollte in das Wasserbecken. Dann floh ich nordwärts. Tag für Tag reiste ich, drei Monate lang, ohne zu ruhen oder anzuhalten, reiste, um das Geschehene zu vergessen, bis ich auf die Gesellschaft des weißen Jägers, der jetzt tot ist, stieß, und mit seinen Dienern hierherkam. Und nichts habe ich mitgebracht. Ich, der Hochgeborene, der aus dem Blute des großen Königs Tschaka stammt – ein Häuptling und ein Hauptmann des Regiments der Nkomabakosi – bin jetzt ein Wanderer, der in fremden Orten umherirrt, ein Mann ohne einen Kraal. Nichts habe ich mitgebracht, als diese meine Axt, die mir allein von meinem ganzen Besitz geblieben ist. Sie haben 24 sich in meine Herden geteilt, sie haben meine Weiber genommen und meine Kinder kennen mein Gesicht nicht mehr. Dennoch will ich mir mit dieser meiner Axt« – und er wirbelte die mächtige Waffe um sein Haupt, daß sie zischend durch die Luft fuhr – »einen neuen Weg zum Glück hauen. Ich habe gesprochen.«

Ich schüttelte mein Haupt. »Umslopogaas,« sagte ich, »ich kenne dich schon lange. Ich fürchte sehr, daß du, immer ehrgeizig, immer Pläne für deine Größe schmiedend, schließlich doch einmal zu weit gegangen bist. Aber was geschehen, ist geschehen. Wer kann den toten Baum wieder grünen lassen oder noch einmal auf das Licht des vergangenen Jahres blicken? Wer das gesprochene Wort zurückrufen oder den Geist der Gefallenen zurückbringen? Was die Zeit verschlungen hat, kehrt nicht wieder. Laß es vergessen sein!

Und nun, Umslopogaas, siehe, ich kenne dich als einen großen Krieger und tapferen Mann, der treu bis in den Tod ist. Selbst im Sululand, wo alle Männer tapfer sind, nannten sie dich den ›Würger‹ und erzählten, wenn sie des Nachts um das Feuer saßen, von deiner Stärke und deinen Taten. Höre mich jetzt an. Du siehst diesen großen Mann, meinen Freund,« – und ich deutete auf Sir Henry, »auch er ist ein Krieger, so berühmt wie du, und könnte dich, so stark du bist, über seine Schulter werfen. Incubu ist sein Name. Und du siehst auch jenen Mann mit dem runden Bauch, dem glänzenden Auge und dem freundlichen Gesicht. Er heißt Bugwan (Glasauge) und ist gleichfalls ein guter, treuer Mann. Er gehört zu einem sonderbaren Stamm, der sein 25 Leben auf dem Wasser verbringt und in schwimmenden Kraals wohnt.

Nun, wir drei, die du hier siehst, wollen eine Inlandreise antreten, an Dongo Egere, dem großen weißen Berg (Kenia) vorbei und weit darüber hinweg in das Unbekannte hinein. Wir wissen nicht, was wir dort finden werden. Wir ziehen aus, um zu jagen, Abenteuer zu erleben und neue Gegenden zu entdecken, da wir es müde sind, still zu sitzen und immer dieselben alten Dinge um uns herum zu sehen. Willst du mit uns kommen? Wir wollen dir Befehl über alle unsere Diener geben, doch weiß ich nicht, was dir bevorstehen mag. Schon einmal zuvor traten wir drei eine solche Reise auf der Suche nach Abenteuern an und nahmen einen Mann wie dich, einen gewissen Umbopa, mit. Und siehe, wir ließen ihn als den König eines großen Reiches mit zwanzig Impis (Regimentern), von denen jedes dreitausend Krieger zählt, zurück. Wie es dir ergehen wird, weiß ich nicht. Vielleicht erwartet dich und uns der Tod. Willst du also dein Glück versuchen und uns folgen, oder fürchtest du dich, Umslopogaas?«

Der große Mann lächelte. »Du hast nicht ganz das Richtige getroffen, Macumazahn,« sagte er. »Wohl habe ich in meinen Tagen Verschwörungen angezettelt, doch ist an meinem Falle nicht mein Ehrgeiz, sondern – Schande über mich, daß ich es gestehen muß – ein schönes Frauenantlitz schuld. Gehen wir darüber hinweg. Wir werden also wieder etwas wie die alten Zeiten sehen, Macumazahn, als wir im Sululand kämpften und jagten? Ja, ich will dir folgen. Möge das Leben, möge der Tod kommen, 26 was frage ich danach, so nur die Hiebe schnell fallen und das rote Blut fließt. Ich werde alt, ich werde alt und ich habe nicht genug gekämpft! Und doch bin ich ein Krieger unter den Kriegern! Siehe meine Narben« – und er deutete auf zahllose Narben auf seiner Brust, seinen Armen und Beinen. »Siehst du das Loch in meinem Kopf? Das Gehirn spritzte aus ihm heraus, dennoch tötete ich ihn, der es mir schlug, und lebe. Weißt du, wieviel Männer ich in ehrlichem Handgemenge erschlagen habe, Macumazahn? Siehe, hier ist mein Register« – und er deutete auf lange Reihen von Kerben, die in den aus Rhinozeroshorn bestehenden Griff seiner Streitaxt geschnitzt waren. »Zähle sie, Macumazahn – es sind einhundertunddrei – und doch habe ich nur die eigenhändig von mir aufgeschlitzten Feinde und keine andern verzeichnet.«

»Schweige,« sagte ich – denn ich sah, daß das Blutfieber über ihn kam. »Schweige. Mit Recht führest du deinen Namen ›der Würger‹! Wir wollen nicht von deinen Bluttaten hören. Erinnere dich auch, wenn du mit uns kommst, daß wir nur zu unserer Selbstverteidigung kämpfen. Höre nun, wir gebrauchen Diener. Diese Männer,« und ich deutete auf die Wakwafi, die sich während unseres »Indaba« (Gespräch) ein wenig zurückgezogen hatten, »wollen nicht mit uns kommen.«

»Wollen nicht!« schrie Umslopogaas. »Wo ist der Hund, der nicht will, wenn mein Vater ihm gebietet? Hier, du« – und mit einem einzigen Satz sprang er auf den Wakwafi, mit dem ich zuerst gesprochen hatte, ergriff ihn bei dem Arm und schleppte ihn 27 zu mir hin. »Du Hund!« sagte er und versetzte dem erschrockenen Mann einen derben Stoß, »sagtest du, daß du nicht mit meinem Vater gehen wollest? – Sage es noch einmal und ich erwürge dich,« – seine langen Finger umschlossen bei diesen Worten den Hals des Askari – »dich und alle, die bei dir sind. Hast du die Hilfe vergessen, die ich deinem Bruder geleistet habe?«

»Laß los, wir wollen dem weißen Mann ja folgen,« ächzte der Mann.

»Weißer Mann!« fuhr Umslopogaas in gut geheuchelter Wut fort, die die geringste Herausforderung hätte in Ernst verwandeln können, »von wem sprichst du, unverschämter Hund?«

»Nein, wir wollen dem großen Häuptling folgen.«

»So!« sagte Umslopogaas mit ruhiger Stimme, indem er plötzlich den Wakwafi losließ, so daß dieser auf den Rücken fiel. »Ich dachte es mir gleich, daß du ihm folgen würdest.«

»Dieser Mann Umslopogaas scheint ein merkwürdiges moralisches Übergewicht über seine Gefährten zu besitzen,« bemerkte darauf nachdenklich Good. 28

 


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