Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Kapitel

Die Missionsstation

Wir knüpften den Rest unseres Ankertaues an das andere Kanu an und beglückwünschten uns zu unserem wunderbaren Entrinnen, das wir anscheinend mehr einer besonderen Gunst des Schicksals als unserer eigenen Wachsamkeit oder Tapferkeit zu verdanken hatten. Endlich graute die Dämmerung, und ich gestehe offen, daß ich das Licht des Tages selten dankbarer begrüßt habe, obwohl es in meinem Kanu einen grausigen Anblick enthüllte. Dort auf dem Boden des kleinen Bootes lag der unglückliche Askari mit dem Schwert in der Brust, dessen Griff die abgeschlagene Hand noch krampfhaft umklammert hielt. Ich konnte den Anblick nicht ertragen. Wir zogen deshalb den Stein, der dem andern Boot als Anker gedient hatte, herauf, banden ihn dem Ermordeten um und senkten den Leichnam dann ins Wasser, wo er bis auf den Grund niedersank und nichts als ein Gefolge von Blasen hinter sich zurückließ. Die Hand seines Mörders warfen wir in den Strom, wo sie langsam untersank. Das Schwert, dessen Griff aus goldeingelegtem Elfenbein – es war offenbar arabische Arbeit – bestand, behielt ich und benutzte es als Jagdmesser, in welcher Eigenschaft ich es gut verwenden konnte. 42

Nachdem ich an Stelle des Ermordeten einen andern Wakwafi-Ruderer in mein Boot genommen hatte, brachen wir wiederum auf, diesmal jedoch in sehr gedrückter Stimmung und nicht ohne Besorgnisse wegen der Zukunft, wenngleich wir bis Einbruch der Nacht bei der Hochlandstation anzulangen hofften. Um unsere Lage noch zu verschlimmern, fing es eine Stunde nach Sonnenaufgang an in Strömen zu regnen, so daß wir bis auf die Haut durchnäßt wurden und gelegentlich sogar das Wasser aus dem Kanu schöpfen mußten. Und da der Regen außerdem ein Nachlassen des Windes zur Folge hatte, konnten wir auch die Segel nicht mehr benutzen, sondern sahen uns gezwungen, wieder zu den Rudern zu greifen.

So sehr wir uns aber auch anstrengten, legten wir in der Stunde doch nicht mehr als eine Meile zurück und befanden uns am Nachmittag um fünf Uhr, als wir vor Erschöpfung nicht mehr weiter konnten, unserer Berechnung nach mindestens noch volle zehn Meilen unterhalb der Station. Wir mußten deshalb daran denken, unsere Vorkehrungen für die Nacht zu treffen. Nach unserer Erfahrung vom letzten Abend fehlte uns jedoch jede Lust, ans Land zu gehen, um so mehr, als die Ufer des Tana hier von dichtem Gebüsch bewachsen waren, in dem sich fünftausend Massai hätten verbergen können. Ich glaubte daher bereits, daß wir eine zweite Schreckensnacht in unsern Kanus verbringen würden. Zum Glück erspähten wir aber eine kleine, nicht mehr als fünfzehn Fuß breite Felseninsel, die ungefähr in der Mitte des Flusses lag. Auf sie ruderten wir zu, machten unsere 43 Kanus fest, landeten und richteten uns so behaglich, wie es die Umstände gestatteten, d. h. höchst unbehaglich, ein. Was das Wetter anbetraf, so blieb es einfach abscheulich, der Regen fiel förmlich in Wolkenbrüchen nieder und durchnäßte uns bis auf die Knochen, so daß wir gar nicht daran denken konnten, ein Feuer anzuzünden. Eine Erwägung versöhnte uns aber beinahe mit dem Regen, die nämlich, daß die Massai – so erklärten uns unsere Askari – so lange er anhielt, keinen Angriff unternehmen würden, da ihnen nichts so unangenehm wäre, wie Nässe, vielleicht weil sie sich nicht waschen mögen, wie Good meinte.

Endlich kam die Morgendämmerung, die unheimliche Nebelbildungen mit sich brachte. Mit dem Tageslicht hörte der Regen auf und dann erschien die Sonne in ihrer ganzen Pracht am Himmel, die Nebel vor sich her treibend und die kalte Luft erwärmend. Erstarrt und ganz erschöpft richteten wir uns mühsam auf, ließen uns von den warmen Strahlen bescheinen und waren dankbar dafür.

Mit Hilfe eines guten Windes waren wir in einer halben Stunde wiederum unterwegs und kamen flott vorwärts. Mit dem Sonnenschein kehrte auch unsere gute Laune zurück, so daß wir über die Schwierigkeiten und Gefahren, unter denen wir am Tage zuvor fast erliegen wollten, lachten und scherzten.

So ging es fort bis gegen elf Uhr. Gerade als wir wie gewöhnlich Halt machen wollten, um uns auszuruhen und ein eßbares Wild zu schießen, erblickten wir nach einer plötzlichen 44 Biegung des Flusses ein stattliches europäisches, von einer Veranda umgebenes Haus, das prächtig auf einem Hügel gelegen und von einer hohen Steinmauer wie einem breiten Graben auf der Außenseite umschlossen war. Unmittelbar bei dem Hause, auf das er seinen Schatten warf, stand ein ungeheurer Baum, dessen Spitze wir schon die letzten zwei Tage durch unser Fernrohr bemerkt hatten, natürlich ohne zu wissen, daß er den Platz der Missionsstation angab. Ich sah das Haus zuerst und stimmte ein lautes Jubelgeschrei an, in das die andern, die Eingeborenen nicht ausgenommen, kräftig einstimmten. Natürlich dachten wir jetzt an kein Halten mehr, sondern ruderten, da das Haus, obwohl es ganz nahe zu sein schien, auf dem Wasserwege leider noch ein gutes Stück entfernt war, unverdrossen weiter, bis wir endlich um ein Uhr an dem Fuße des Abhangs, auf dem sich das Haus erhob, eintrafen. Einen Augenblick darauf waren wir schon gelandet und zogen grade die Kanus ans Ufer, als wir durch einen Hain von Bäumen drei europäisch gekleidete Personen auf uns zueilen sahen.

»Ein Herr, eine Dame und ein kleines Mädchen,« rief Good aus, nachdem er sie durch sein Glas in Augenschein genommen hatte, »alle drei zivilisiert und dazu ein zivilisierter Garten. Ich lasse mich hängen, wenn das nicht das sonderbarste Zusammentreffen ist, das wir bisher noch erlebt haben!«

Good hatte recht. Es schien wirklich sonderbar und nicht am Platze – mehr wie ein Bild aus einem Traum oder einer italienischen Oper als eine wirklich greifbare Tatsache. Dieses Gefühl 45 entschwand selbst dann nicht, als wir uns in gutem breitem Schottisch angeredet hörten:

»Wie geht es Ihnen, meine Herren?« sagte Herr Mackenzie, ein grauhaariger, vierschrötiger Mann mit freundlichem Gesicht und roten Wangen, »ich hoffe, Sie befinden sich alle wohl. Vor einer Stunde sagten mir meine Eingeborenen, daß sie zwei Kanus mit Weißen den Fluß hätten hinauffahren sehen, und wir sind deshalb sofort zu Ihrer Begrüßung aufgebrochen.«

»Und wir freuen uns wirklich sehr, wieder ein weißes Gesicht zu sehen, das versichere ich Sie,« bemerkte seine Begleiterin, eine reizende, elegant gekleidete Dame.

Wir nahmen höflich unsere Hüte ab und stellten uns vor.

»Und nun,« sagte Herr Mackenzie, »kommen Sie, meine Herren, kommen Sie. Wir freuen uns sehr, Sie bei uns zu sehen. Der letzte Weiße, der uns besuchte, war Alfons – Sie werden Alfons gleich sehen – und das ist schon über ein Jahr her. Kommen Sie, meine Herren, Sie müssen hungrig und müde sein.«

Mittlerweile waren wir den Abhang des Hügels hinaufgeschritten, dessen niedrigerer Teil durch Quittenhecken und manchmal auch durch rohe Steinmauern in Kaffirgärten abgeteilt war, in denen gerade jetzt der Mais, die Kürbisse und Kartoffeln reiften. In den Ecken dieser Gärten standen Gruppen netter pilzförmiger Hütten, in denen Herrn Mackenzies bekehrte Neger wohnten, deren Frauen und Kinder uns lärmend entgegenströmten. Der Weg, auf dem wir gingen, führte uns 46 mitten durch die Gärten. Er war auf jeder Seite von einer Reihe Orangenbäume eingefaßt, die, obgleich erst vor zehn Jahren gepflanzt, in dem herrlichen Klima des unterhalb des Berges Kenia gelegenen Hochlandes sich bereits zu stattlicher Größe entwickelt hatten und sich unter der Zahl der goldenen Früchte förmlich beugten. Nach einem mühsamen Aufstieg von etwa einer Viertelmeile – der Hügel fiel sehr steil ab – kamen wir an eine schöne Quittenhecke, die, wie Herr Mackenzie uns mitteilte, ein etwa vier Morgen großes Terrain einfriedigte, auf dem sich sein Privatgarten und sein Haus, die Kirche und die Nebengebäude befanden. Und was das für ein Garten war! Von jeher Freund eines hübschen Gartens, hätte ich den ersten besten Schwarzen vor Freude umarmen können, als ich Herrn Mackenzies Garten sah. Zuerst kam eine Reihe der beliebtesten europäischen Obstbäume nach der andern, denn das Klima auf dem Gipfel dieses Hügels ist so gemäßigt, daß fast alle europäischen Gemüse, Bäume und Früchte, ja sogar einige Arten Apfelbäume, die sonst in warmen Himmelsstrichen keine, oder nur eine holzartige Frucht tragen, daselbst üppig gedeihen. Dann gab es noch Stachelbeeren und Tomaten (und was für Tomaten!), Melonen und Gurken, ja jedes Gemüse und jede Frucht, die man sonst nur in Europa antrifft.

»Der Garten kann sich sehen lassen!« rief ich voll Bewunderung, der ein wenig Neid beigemengt war, aus.

»Ja,« antwortete der Missionar, »es ist ein sehr guter Garten, der reichlich die Mühe, die ich auf ihn verwandte, bezahlt 47 gemacht hat. Den eigentlichen Dank dafür schulden wir aber dem Klima. Stecken Sie einen Pfirsichstein in den Boden, so wird er im vierten Jahr Frucht tragen, ein Rosensprößling blüht bereits nach einem Jahr. Es ist ein herrliches Klima.«

In diesem Augenblick kamen wir an einen etwa zehn Fuß breiten mit Wasser gefüllten Graben, auf dessen anderer Seite sich eine mit Schießscharten versehene, und an der Spitze mit scharfen Nägeln und Glasscherben dicht bepflanzte Steinmauer erhob.

»Dort,« sagte Herr Mackenzie, und wies auf Graben und Mauer, »dort erblicken Sie mein magnum opus, wenn Sie noch die Kirche, die auf der andern Seite des Hauses steht, dazu rechnen wollen. Zwanzig Eingeborene hatten zwei volle Jahre an dem Graben und der Mauer zu tun, und völlig sicher fühlte ich mich erst, als sie mit ihrer Arbeit fertig waren. Jetzt aber kann ich allen afrikanischen Wilden Trotz bieten. Die Quelle, die den Graben speist, entspringt nämlich jenseits der Mauer und plätschert im Winter wie im Sommer den Hügel hinab. Außerdem habe ich immer für vier Monate Lebensmittel im Haus.«

Über eine Planke und durch eine sehr enge Öffnung in der Mauer schreitend, gelangten wir in das Reich der Frau Mackenzie, wie sie den Blumengarten nannte. Mir fehlen wirklich die Worte, um seine Schönheit zu beschreiben. Nie zuvor hatte ich solche Rosen, Gardenien oder Kamelien (die alle aus englischen Samen großgezogen waren) gesehen. In der Mitte dieses Gartens und der Veranda gerade gegenüber sprudelte eine schöne 48 Quelle aus dem Boden hervor und floß in ein gemauertes Becken, das durch eine Röhre mit dem Außengraben in Verbindung stand. In demselben gab es Wasser genug, um sogar zu Zeiten der Dürre die tiefer liegenden Gärten zu bewässern. Das Haus selbst, ein massives einstöckiges Gebäude, war mit Steinplatten gedeckt und wies an der Vorderseite eine hübsche Veranda auf. Es war im Viereck aufgeführt und zwar derart, daß die Küche die vierte, von dem eigentlichen Hause ein wenig abgesonderte Seite einnahm – in heißen Ländern eine recht praktische Einrichtung. In der Mitte des freien Platzes innerhalb des Vierecks sahen wir den bemerkenswertesten Gegenstand, der uns bisher an diesem reizenden Orte aufgefallen war: eine einzelne Schirmakazie, die es übrigens auf dem Hochlande in diesem Teile Afrikas in verschiedenen Arten gibt. Der schöne Baum, der, wie Herr Mackenzie uns mitteilte und wie wir aus eigener Anschauung bestätigen konnten, auf fünfzig Meilen in der Runde zu sehen war, besaß eine Höhe von nahezu dreihundert Fuß, und einen Fuß über der Erde einen Durchmesser von etwa sechzehn Fuß. Wie eine schlanke braune Säule stieg der Stamm etwa siebzig Fuß ohne einen einzigen Ast empor, in jener Höhe aber gingen prächtige dunkelgrüne Zweige, die von unten gesehen, wie gigantische Farrenblätter erschienen, horizontal von ihm aus und breiteten sich direkt über das Haus und den Blumengarten, denen sie angenehmen Schatten spendeten, ohne im mindesten Luft und Licht von ihnen abzusperren.

»Welch schöner Baum!« rief Sir Henry aus. 49

»Ja, Sie haben recht, es ist ein schöner Baum. Es gibt, soviel ich weiß, nicht einen zweiten solchen in dem ganzen Lande ringsumher,« antwortete Herr Mackenzie. »Ich nenne ihn meine Warte. Wie Sie sehen, habe ich an dem niedrigsten Zweig eine Strickleiter angebracht, auf die ich nur einen Mann mit einem Fernrohr zu senden brauche, wenn ich wissen will, was in dem Umkreis der nächsten fünfzehn (englischen) Meilen vorgeht. Sie sind aber hungrig und das Mahl wartet gewiß schon auf uns. Treten Sie ein, meine Freunde, es ist zwar nur ein rauher Platz, für diese Wildnis aber doch gut genug und außerdem haben wir – einen französischen Koch.« Und er schritt uns nach der Veranda voran.

Als ich ihm folgte und mich noch wunderte, was er nur mit diesen Worten sagen wolle, ging plötzlich die aus dem Hause in die Veranda führende Tür auf und in der Öffnung erschien ein netter, kleiner Mann, der einen Anzug aus blauem Baumwollenstoff und Schuhe von lohbraunem Leder trug und sich durch seine Wichtigtuerei, noch mehr aber durch seinen ungeheueren schwarzen Schnurrbart auszeichnete. Kühn nach oben gedreht, lief dieser in eine solche Spitze aus, daß er mir den Vergleich mit einem Paar Büffelhörner sehr nahe legte.

»Madame bittet mich, zu sagen, daß das Diner aufgetragen ist. Messieurs, mes compliments.« Da erblickte er plötzlich Umslopogaas, der mit seiner Streitaxt spielend, hinter uns herschlenderte und streckte bestürzt beide Arme aus. »Ah mais quel homme!« rief er aus, »quel sauvage affreux! Schau 50 einer nur sein ungeheures Hackbeil und das Loch in seinem Schädel an.«

»Stille,« sagte Herr Mackenzie, »was redest du da zusammen, Alfons?«

»Was ich rede!« erwiderte der kleine Franzose, die Augen noch immer auf Umslopogaas gerichtet, dessen Aussehen eine Art Bann auf ihn auszuüben schien, »nun ich rede von ihm« – und er wies in roher Weise auf den Schwarzen – »von diesem monsieur noir.«

Bei diesen Worten brachen wir alle in ein herzliches Gelächter aus, nur Umslopogaas, dem es nicht entging, daß er der Gegenstand der allgemeinen Heiterkeit war, zeigte ein drohendes Gesicht; denn es war ihm nichts mehr verhaßt, als wenn sich jemand persönliche Freiheiten mit ihm herauszunehmen erdreistete.

»Parbleu!« sagte Alfons, »er ist ärgerlich, er macht ein Gesicht. Er gefällt mir nicht. Ich verschwinde.« Und er verschwand mit erstaunlicher Geschwindigkeit.

Herr Mackenzie nahm an der allgemeinen Heiterkeit teil, mit der wir des Franzosen Abzug begrüßten. »Alfons ist ein komischer Kauz,« sagte er. »Bei Gelegenheit will ich Ihnen seine Geschichte erzählen, einstweilen aber wollen wir seine Kochkunst versuchen.«

»Darf ich fragen,« sagte Sir Henry, nachdem wir ein ausgezeichnetes Mahl zu uns genommen hatten, »darf ich fragen, wie Sie in dieser Wildnis zu einem französischen Koch gekommen sind?« 51

»Oh,« antwortete Frau Mackenzie, »er kam etwa vor einem Jahr aus freiem Willen mit der Bitte hierher, ihn in unsern Dienst zu nehmen. Er hat sich in Frankreich wohl irgendein Vergehen zuschulden kommen lassen und floh nach Sansibar, wo aber die französische Regierung seine Auslieferung verlangte. Er entfloh wiederum, diesmal ins Innere, und stieß, nahezu verhungert, auf die Karawane, die uns unsern alljährlichen Bedarf an Gebrauchsgegenständen für die Station brachte. Veranlassen Sie ihn doch, Ihnen seine Geschichte zu erzählen.«

Als das Mahl vorüber war, zündeten wir unsere Pfeifen an, und Sir Henry gab unserem Wirt eine ausführliche Beschreibung des bisherigen Verlaufes unserer Reise, die ihn anscheinend sehr ernst stimmte.

»Es unterliegt keinem Zweifel,« sagte er, »daß diese schurkischen Massai Ihnen folgen, und ich danke Gott, daß Sie mein Haus, wo kaum ein Angriff zu befürchten ist, in Sicherheit erreicht haben. Schade, sehr schade, daß fast alle meine Leute mit Elfenbein und andern Waren auf dem Wege nach der Küste sind. Die Karawane umfaßt zweihundert Männer, so daß ich den Massai für den Fall eines Angriffes kaum zwanzig entgegenzusetzen habe. Doch will ich ihnen immerhin einige Weisungen erteilen.« Mit diesen Worten rief er einen Neger, der draußen in dem Garten umherschlenderte, zu sich und redete in der Suahili-Sprache mit ihm. Der Mann lauschte aufmerksam, grüßte und eilte davon.

»Ich will ernstlich hoffen, daß durch uns kein solches 52 Mißgeschick für Sie entstehen wird,« sagte ich besorgt, als er seinen Sitz wieder eingenommen hatte. »Lieber wollen wir weiterziehen und uns wie zuvor auf uns selbst verlassen, als Sie der Wut dieser blutgierigen Tiger preisgeben.«

»Das werden Sie nicht tun. Wenn die Massai kommen, so kommen sie, das ist alles; und ich denke, wir können ihnen einen ziemlich warmen Empfang bereiten. Ich würde einem Weißen nicht die Tür weisen und wenn es auch alle Massai der Welt verlangten.«

»Das erinnert mich,« sagte ich, »an eine Unterredung mit dem Konsul in Lamu, der mir von einem Briefe sprach, den er von Ihnen empfangen hätte, und worin Sie ihm schrieben, es sei ein Mann bei Ihnen eingetroffen, der im Innern ein weißes Volk entdeckt haben wollte. Glauben Sie, daß etwas Wahres an dieser Geschichte war? Ich frage nur, weil ich in meinem Leben ein- oder zweimal von weit aus dem Norden gekommenen Eingeborenen ähnliche Gerüchte von dem Vorhandensein eines solchen Volkes vernommen habe.«

Statt jeder Antwort entfernte sich Herr Mackenzie, kehrte aber gleich darauf mit einem höchst merkwürdigen Schwert in der Hand wieder zurück. Es war lang und die ganze dicke schwere Klinge bis auf einen Viertelzoll von der Schneide nach einem Muster, genau so wie bei einer Laubsägearbeit, ausgeschnitten, jedoch derart, daß die Stärke des Schwertes in keiner Weise darunter litt. War dieser Umstand schon an und für sich höchst sonderbar, so war er es noch weit mehr dadurch, daß alle diese 53 durch die Klinge gebohrten Höhlungen am Rande mittels eines mir unbekannten Verfahrens wunderschön mit Gold eingelegt waren.

»Hier, meine Herren,« sagte Herr Mackenzie, »haben Sie je ein solches Schwert gesehen?«

Wir untersuchten es und alle schüttelten die Köpfe.

»Nun, ich habe es Ihnen gezeigt, weil es der angebliche Entdecker des weißen Volkes mit sich brachte und weil es seiner Erzählung, die ich sonst unbedingt für eine Lüge erklären würde, mehr oder minder einen Anstrich von Wahrheit verleiht. Wenn Sir mir zuhören wollen, werde ich Ihnen alles, was ich von der Sache weiß – und es ist nicht viel – erzählen. Also ich saß eines Nachmittags gerade vor Sonnenuntergang auf der Veranda, als ein armer, elender, verhungert aussehender Mann zu mir heraufhumpelte und sich zu meinen Füßen niederwarf. Ich fragte ihn, woher er käme und was er wolle, worauf er eine lange verworrene Erzählung begann. Er habe zu einem Stamm weit im Norden gehört, der von einem feindlichen Volk vernichtet worden wäre. Mit einigen am Leben gebliebenen Stammesangehörigen sei er dann noch weiter nördlich vorgedrungen, an einem See namens Laga vorüber. Von dort aus wären sie an einen zweiten See, hoch in den Bergen, gekommen, an einen See ohne Grund, wie er ihn nannte, wo ihm Weib und Bruder an einer ansteckenden Krankheit – wahrscheinlich den Blattern – gestorben seien. Darauf wieder aus den Dörfern in die Wildnis getrieben, sei er zehn Tage lang elend im Gebirge umhergeirrt 54 und zuletzt in ein großes Dornendickicht gekommen. Dort hätten ihn eines Tages weiße Männer gefunden und mit sich an einen Ort genommen, wo es nur weiße Menschen gab, die alle in Steinhäusern lebten. Hier sei er eine Woche lang in einem Hause eingeschlossen geblieben, bis eines Nachts ein Mann mit einem weißen Bart, ein Medizinmann, wie er glaubte, gekommen sei und ihn in Augenschein genommen hätte. Dann habe man ihn aus dem Hause herausgeführt und durch das Dornendickicht bis an die Grenze der Wildnis begleitet, wo man ihm Nahrungsmittel und dieses Schwert (so wenigstens sagte er) gegeben und ihn dann verlassen hätte.«

»Und dann,« sagte Sir Henry, der dem Erzähler mit atemlosem Interesse gelauscht hatte, »was fing er dann an?«

»Oh! Nach seinem Bericht scheint er zahlreiche Leiden und Beschwerden ausgestanden und sich wochenlang von Wurzeln, Beeren und Tieren, die sich von ihm greifen und töten ließen, ernährt zu haben. Er blieb jedoch am Leben und wanderte in südlicher Richtung weiter, bis er diesen Platz erreichte. Nähere Einzelheiten über seine Reise habe ich nicht erfahren, da ich ihn für die Nacht der Sorge eines meiner Vormänner anvertraute. Der arme Teufel war aber dermaßen mit Juckausschlag behaftet, daß ihn die Frau des Vormannes aus Angst vor Ansteckung nicht in ihrer Hütte dulden wollte, sondern ihm eine Decke gab, um im Freien zu schlafen. Zufällig hielt sich gerade ein Löwe in unserer Nachbarschaft auf und da er höchst bedauerlicherweise diesen armen Reisenden witterte, sprang er auf ihn zu und hatte 55 ihm seinen Kopf abgebissen, ehe noch die Leute in der Hütte eine Ahnung davon hatten. So fand er sein Ende und mit ihm die Geschichte jenes weißen Volkes. Ob seine Erzählung aber auf Wahrheit beruht oder nicht, ist mehr als ich zu sagen vermag. Was denken Sie davon, Herr Quatermain?«

Ich schüttelte den Kopf und antwortete: »Ich weiß es nicht. In dem Herzen dieses großen Weltteils sind so viele sonderbare Geheimnisse verborgen, daß es anmaßend erschiene, wollte ich die Erzählung ohne weiteres für unwahr erklären. Auf jeden Fall wollen wir den Sachverhalt zu ergründen versuchen. Wir werden von hier nach dem Lekakisera aufbrechen, und von dort, das heißt wenn wir so lange am Leben bleiben, nach jenem Laga-See gehen. Und sollte es jenseits desselben ein weißes Volk geben, so werden wir unser Bestes tun, es zu entdecken.«

»Sie sind sehr abenteuerlustige Leute,« sagte Herr Mackenzie lächelnd, worauf wir den Gegenstand fallen ließen. 56

 


 << zurück weiter >>