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Der Winter mit seinen Freuden der Geselligkeit hatte den Grafen wieder nach Frankfurt geführt. Diesmal sollte auch Corona in der Welt erscheinen. Die schauerliche Katastrophe, durch die vor vier Jahren der Fasching unterbrochen wurde, war so ziemlich seinem Gedächtnis entschwunden: ein übergrastes Grab, wie es deren so zahllose und mannigfache hienieden gibt. Die Welt mit ihrem unverbesserlichen Leichtsinn und Heißhunger nach berauschenden und blendenden Genüssen und materiellem Wohlbehagen machte es genau, wie Graf Windeck, ließ sich durch keine warnende Vergangenheit und durch keine schwankende Zukunft aus ihrem Opiumtraum von allgemeinem Frieden und Fortschritt aufwecken und versenkte sich immer tiefer in die öden Freuden eines krankhaft gesteigerten Luxus und in die schwindelnden Reigen einer Civilisation, die auf Dampfmaschinen beruht. Damit der allmächtige Faktor der Zeit, Dampf – in seiner Tätigkeit und Wirksamkeit nur beileibe nicht gestört werde, schrie die Welt nach Frieden und überredete sich, daß das Brodeln der Dampfkessel und das Schwirren der Maschinen Grundlage und Unterpfand eines Friedens wären, dessen Dauer die hohe und allgemeine Bildung der Menschheit verbürge. Und so hatte denn die Welt ihre Art von Frieden, d.h. es gab keinen Krieg.
Mit großer Selbstgefälligkeit führte der Graf seine beiden schönen Töchter in die Gesellschaft ein. Regina's erstes flüchtiges Auftreten war im Laufe der Jahre und der Ereignisse vergessen. Sie war eine ebenso neue Erscheinung als Corona, ja neuer, insofern ihre Eigentümlichkeit entschiedener und nicht salonmäßig war. Sie ging und stand und sprach und tanzte zwar mit allen übrigen, aber sie tat es nicht wie sie. Sie trug zwar die Farbe der Welt, aber in einer besonderen Nüance. Man hielt sie allgemein für Uriels Braut und man zerbrach sich den Kopf, weshalb wohl noch immer nicht die Dispense aus Rom gekommen sei, welche die Verehelichung gestatte. Corona aber wurde die gefeierte Schönheit des Tages. Sie war auch schön wie der Tag, mit ihren bezaubernden goldbraunen Augen, die schwärmerisch und schalkhaft zugleich, halbverschleiert hinter schwarzen Wimpern lagen – und mit ihrer seinen nymphenhaften Gestalt, die sich so edel bewegte und so graziös das liebliche, braungelockte Haupt trug. Sie unterhielt sich vortrefflich; alles machte ihr Vergnügen: der Tanz, die Musik, die verbindlichen Menschen, die geschmackvollen Kleider, die glänzenden Feste; auch die Huldigungen, deren Gegenstand sie war; auch die dadurch erhöhte Zärtlichkeit ihres Vaters, bei dem die Wertschätzung seiner Töchter in dem Maße stieg, als die Welt ihnen huldigte. Wie ein Blumengarten lag das Leben vor Corona und sie wähnte, sie brauche nur die Hand auszustrecken, um sich tausend duftende Blüten zum Strauß zusammenzubinden. Zu anderer Zeit würde Regina sorgenvoll Corona's Richtung beobachtet haben; allein Regina's innerstes Wesen stand selbst in der. Flammen eines Scheiterhaufens, und sie wußte nicht, ob ihr Herz darin zu Asche verbrennen oder zu jenem Gold von vierundzwanzig Karat aufglühen werde, über welches keine Flamme mehr Gewalt hat. Sie litt und schwieg – und kämpfte ihren Kampf nach ihrer Art, still vor Gott, ohne zu klagen und zu fragen. Aber sie litt so sehr, daß die frische Blüte ihrer Gesundheit davon angehaucht wurde. Sie suchte es zu verbergen; je bleicher sie wurde, um desto freundlicher lächelte sie, und daß sie sichtlich abmagere, schob sie den durchtanzten Nächten zu. Aber Corona hörte sie zuweilen in stillen Nächten beten und weinen und sagte es der Tante Isabelle mit dem Zusatz:
»Sie vergeht vor Sehnsucht nach dem Kloster.«
Und die Tante sagte es dem Grafen und bat ihn, einen Arzt zu Rat zu ziehen, ob der Gram nicht wirklich Regina's Gesundheit zernage. Der Graf hatte seinerseits nicht ohne Sorgen Regina's Zustand wahrgenommen, aber sich, nach Art der Egoisten, darüber zu täuschen versucht, indem er alles für bare Münze nehmen wollte, was sie von den Anstrengungen des Faschings vorschob. Nun aber brach er gegen die Baronin aus:
»Beste Isabelle! bin ich nicht ein beklagenswerter Vater! Alles tue ich für meine Kinder – alles! In die schottische Romantik begebe ich mich mit ihnen und in die Faschingslustbarkeiten – und was ist mein Lohn? Regina vergrämt sich in wahrhaft stupider Sehnsucht nach dumpfen Klostermauern, und Uriel – statt herzukommen und frischweg Corona zu heiraten, sitzt auf Stamberg und bebrütet Gott weiß was für Pläne. Ehe er sich aber nicht entschieden hat, kann ich doch unmöglich Regina ziehen lassen. Das wäre zu früh, da ich ihr eine zehnjährige Frist gestellt habe. Das hieße meinem Ansehen als Vater etwas vergeben. Ließe ich mir meine Einwilligung von ihr abtrotzen – wer weiß, was der Kleinen einfiele.«
»Davon reden wir ja nicht,« entgegnete die Baronin, ängstlich wie immer. »Lassen Sie nur einen Arzt für Regina rufen. Es wäre doch besser, sie ihrem Klosterberuf folgen – als sie sterben zu sehen.«
»Sterben! meine prächtige Regina sterben!« rief der Graf aufgeregt; »das darf nicht sein. Es soll auf der Stelle ein Arzt gerufen werden.«
Er ging in das Zimmer seiner Töchter. Beide saßen am Flügel und spielten vierhändig Beethovens Symphonie aus C moll. Sie wollten ihr Spiel unterbrechen, als er eintrat; aber er hieß sie fortfahren und setzte sich ihnen gegenüber, um sie zu beobachten und zu vergleichen, Corona's Gesichtchen glühte von Eifer und Aufmerksamkeit; sie spielte die erste Partie, und ihre hellrosigen Wangen, ihre leicht geöffneten Lippen, der feste Blick, womit sie auf ihre Noten sah, verrieten, wie vertieft sie in ihrer Aufgabe war. Regina spielte mit viel größerer Leichtigkeit, gab gewandt hie und da der Schwester nach, schlug die Notenblätter um, verriet gar keine Anstrengung; warum brannte denn aber ein so scharfes abgezirkeltes Rot auf ihren Wangen? und warum hatten ihre Augen solchen auffallenden Glanz? Sie wird doch nicht hektisch sein! murmelte der Graf beängstigt. Nach dem Schlußakkord rief er:
»Bravo, Kinder! Corona muß sich noch tüchtig üben, Du aber, Regina, solltest Dich nicht anstrengen; Du siehst leidend aus – und zwar so sehr und so lange schon, daß wir denn doch einen Doktor konsultieren wollen.«
»Du bist so gut, lieber Vater; aber weshalb der Doktor?« sagte Regina und küßte zärtlich des Vaters Hand.
»Weshalb? wunderliche Frage! weil ich nicht will, daß Du dahinsiechen und sterben sollst.«
»O mein lieber Vater, sei ganz ruhig! ich glaube nicht, daß mich jetzt schon der liebe Gott in die Ewigkeit ruft,« sagte Regina mit sanfter Wehmut.
»Du wärst im Stande, das zu bedauern!« rief der Graf fast zornig, weil er sich von ihrer Sanftmut gerührt fühlte. »Aber daraus wird nichts – das sage ich Dir! lieber lasse ich Dich in's Kloster gehen. Gestehe mir aufrichtig: bist Du krank vor Sehnsucht nach Deinen Karmelitessen?«
Regina legte die Hand flüchtig über ihre Augen; dann sah sie ihren Vater mit zärtlichster Dankbarkeit an und sagte fest:
»Nein, mein lieber Vater.«
»Nein? – Du sagst Nein, Regina! Hättest Du Ja gesagt, so würde ich Dir antworten: Geh in's Kloster.«
»Ich kann keine Unwahrheit sagen, lieber Vater.«
»Aber Du bist doch leidend, Regina?«
»Ich leide wohl etwas! nur kann kein Arzt mir helfen.«
»Das wollen wir erst erleben!« sagte der Graf.
Der Arzt kam, fragte, fühlte den Puls, tat, was seines Amtes ist, sprach von Aufregung der Nerven und erklärte endlich, er müsse die Gräfin mindestens acht Tage beobachten, bevor er sich aussprechen könne. Man fand das ganz in der Ordnung. Er kam täglich, bald zu der einen Stunde, bald zu der anderen. Er beobachtete Regina und unterhielt sich mit ihr. Er ließ sich von der Baronin und von Corona deren Bemerkungen unter vier Augen mitteilen. Endlich erschien er bei dem Grafen und sagte nicht ohne Verlegenheit, er sei etwas betroffen über seine Entdeckung und der Graf möge es nicht übel nehmen, wenn eine unangenehme Sache zur Sprache komme; aber nach Pflicht und Gewissen könne er nicht anders. Der Graf starrte verblüfft den Doktor an und rief endlich ungeduldig:
»Nur heraus mit der Sprache! ist sie hektisch?«
»Nicht im geringsten!« erwiderte mitleidig lächelnd der Doktor. »Es ist allerdings eine gewisse Spannung des Nerven- und Erregung des Blutsystems bei Ihrer Gräfin Tochter wahrzunehmen, allein dies ist nicht mit anderen Krankheitssymptomen verbunden, sondern steht vereinzelt da. Deshalb muß ich schließen, daß es Folgen von Gemütsleiden sind, und ich glaube mit allem Recht behaupten zu dürfen, daß die Gräfin eine unglückliche Liebe im Herzen trägt – vielleicht für jemand, der unter ihrem Stande ist. Ich bin noch nicht ganz darüber im Klaren. Auch Sie scheinen es nicht zu sein – fuhr er fort, als ihn der Graf sprachlos vor Erstaunen ansah – und es tut mir wahrhaftig herzlich leid, eine wunde Stelle zu berühren. Aber ich habe allen Grund, bei der Diagnose stehen zu bleiben und die heißt – unglückliche Liebe.«
»Welchen Grund haben Sie denn aber eigentlich dafür?« fragte der Graf, der sich von diesem Ausgang nichts hatte träumen lassen.
»Einen solchen, der Ihnen einleuchten wird, Herr Graf! denn er ist schwarz auf weiß,« erwiderte der Arzt und zog triumphierend ein Billet hervor. Sehen Sie hier .... einen poetischen Liebesbrief.«
»Einen Liebesbrief von Regina! Herr Doktor, Sie faseln!« rief der Graf lachend, indem er das Blatt ergriff. Überdas ist das nicht Reginas, sondern Coronas Handschrift. Was? Verse!«
»Nun, das versteht sich, Herr Graf! eine so Zarte und noble Dame, wie Gräfin Regina, drückt ihre Herzensempfindung auch zart aus.«
Kopfschüttelnd las der Graf:
O wohl sind sie dunkel die Nächte,
Die schwarz um den Pfad sich geballt,
Wenn Irrwisch und trügende Mächte
Verlocken in Gauckelgestalt;
Wenn immer ein Stern zu erspähen,
Wenn strauchelt der Fuß – ach, wie oft!
Doch Du wachst auf seligen Höhen:
Ich weiß, in Wen ich gehofft.
O wohl sind sie dunkel die Nächte,
So Innen die Seele umziehen,
So schwarz, daß das Wahre, das Rechte,
Nicht kräftig und frisch kann erblüh'n.
Doch sind auch die spärlichen Saaten
Der segnenden Sonne beraubt,
Du wachst und sie können geraten:
Ich weiß, an Wem ich geglaubt.
O wohl sind sie dunkel die Nächte,
Worinnen das Herz versinkt,
Wenn dürstend nach Liebe, die ächte,
Ach fern, ach verloren ihm dünkt,
Wenn zitternd im schmachtenden Bangen
Nicht Labsal noch Tröstung ihm gibt;
Doch Du wachst und stillst sein Verlangen:
Ich weiß, Wer mich ewig geliebt.
O wohl sind sie Dunkel die Nächte,
Die Erde, durch Leid und durch Lust!
Das Leben, ein Dornengeflechte,
Zerreißt und verödet die Brust,
Es birgt auch in Rosen nur Herbe,
Weil Dauer überall fehlt,
Doch Du bist mein ewiges Erbe:
Ich weiß, Wen ich mir erwählt.
Der Graf hatte laut gelesen und der Doktor, ganz versunken in seine vorgefaßte Meinung, hatte aufmerksam zugehört.
»Was sagen Sie nun, Herr Graf?« rief er selbstzufrieden; »ist das nicht klar genug? Dies ewig wache, angebetete Wesen, das in einer anderen Sphäre weilt, ist eben der Geliebte, der unerreichbare – nur etwas mystisch ausgedrückt.«
»Sehr mystisch,« antwortete der Graf lakonisch.
»Lesen Sie nur gefälligst weiter; es wird deutlicher im zweiten Gedicht.«
»O Gott!« seufzte der Graf, »jetzt lese ich sogar Gedichte, meine Horreur! .... Alles für meine Kinder! Ich bin wirklich ein halber Martyrer.« Er las:
Der Abend sinkt, zur Ruhe geht die Erde,
Es bricht die Nacht mit kaltem Schauer an,
In Asche stirbt die Flamme auf dem Herde,
Zur Heimatshütte eilt der Wandersmann.
Unheimlich starrt das Reich der Finsternisse,
Wo weilt die Sonne? wo das gold'ne Licht? – –
»O frag' nicht mich, ob ich das Licht vermisse,
»Ich habe Ihn – ich brauch' die Sonne nicht!«
Das Leben sinkt! es fliehen Tag' und Jahre
Die Wolkenzüge über Himmels Blau.
Wo Jugend blühte – steht die Totenbahre,
Wo Rosenflor – ein fahles kahles Grau.
Ist das noch Leben, wenn der Tod es endet?
Ist's Tag noch, wenn er stirbt im Abendrot?
»O frag' nicht mich! mir hat sie nichts gewendet,
»Ich habe Ihn – ich weiß von keinem Tod!«
Das Herze sinkt! – es hat sich matt gerungen,
Im blut'gen Kampf nach dem geträumten Glück.
War's je zum heißersehnten Ziel gedrungen –
O weh! es fiel in Sehnsucht heiß zurück.
Ist Liebe nicht ein Schattenspiel für Toren?
Ein kläglich Blendwerk mit des Glückes Schein? –
»O frag' nicht mich! ich habe nichts verloren!
»Ich habe Ihn – die ew'ge Lieb ist mein.«
»Ist das nicht sehr rührend, Herr Graf?« fragte der Doktor. »Ich an Ihrer Stelle würde dieser tiefen innigen Liebe alle Standesvorurteile zum Opfer bringen.«
»Auch dann, Herr Doktor,« fragte der Graf mit leichtem Spott, »wenn der Geliebte niemand anders wäre – als der liebe Gott?«
»Wieso?« entgegnete der Doktor höchst verblüfft.
»Ja, meine Tochter will ins Kloster und deshalb verschmäht sie jede irdische Liebe.«
»Ah,« sagte der Doktor gedehnt, »mit dieser Sorte von Sentimentalität bin ich freilich weder bekannt noch einverstanden, da ich gottlob! Protestant bin. Indessen versteht es sich wohl von selbst, daß ein guter Vater einer solchen Grille seine Zustimmung versagt.«
»Die Mesalliance mit dem lieben Gott wäre allzu schreiend, nicht wahr?« fragte der Graf spitz.
»Solche Zustände liegen außerhalb des Horizonts meiner Wissenschaft und meiner Erfahrung,« antwortete der Doktor und empfahl sich. –
Der Graf ging zu seinen Töchtern. Corona knüpfte rosenfarbene Bandschleifen, die sie am Abend tragen wollte; Regina saß am Schreibtisch, als er eintrat.
»Schreibst Du Verse, Regina?« fragte er.
»Ich bringe nur ein paar Reime zusammen,« entgegnete sie leicht errötend.
»O Papa! sie ist eine Minnesängerin – aber der himmlischen Liebe!« rief Corona über ihre rosenfarbenen Bänder hinweg.
»Darf ich lesen?« fragte der Graf und blickte über Regina's Schulter.
Sie reichte ihm willig, aber verlegen, das Blatt und sagte entschuldigend:
»Verzeih, lieber Vater! es wird Dir wohl nicht gefallen und ist ja auch nur ganz armselig. Aber Du weißt: Solo Dios basta! darauf bezieht sich alles bei mir.«
Der Graf las:
Das ewige Licht
Ist die Flamme, die aus dem Herzen bricht.
Das ewige Licht
Ist die Stimme, die still zum Geliebten spricht.
Das ewige Licht
Ist die Rose, die ihn bräutlich umflicht,
Das ewige Licht
Ist ein bezauberndes Liebesgedicht.
Das ewige Licht
Macht alle Lichter der Welt zunicht.
Das ewige Licht
Ist die Seele betend vor Gottes Angesicht.
O ewiges Licht
Mir leuchte Dein Glanz, wenn mein Auge bricht.
»Wie monoton!« rief der Graf.
»Nicht wahr?« sagte sie freundlich.
»Regina,« fuhr er fort, »hier sind ein paar Deiner Reimereien, die Corona, weil sie Dich für eine Minnesängerin hält, abgeschrieben und dem Doktor gegeben hat. Dieser stellte sie mir so eben zurück und bemerkte dabei, er könne Dich nicht eigentlich krank finden! nur müßtest Du Dich schonen.«
»Das fühle ich auch, lieber Vater,« entgegnete sie, »und deshalb erlaube mir, nach Windeck zu Onkel Levin zu gehen. Wenn Du dann in einigen Wochen kommst, werd' ich mich gewiß ganz erholt haben und Dir keine Sorge mehr machen.«
Was war zu tun? der Graf ließ sie reisen.
»Wir müssen uns daraus vorbereiten, sie in's Kloster gehen zu lassen,« sagte er zur Baronin und zu Corona. »Diese Trennung ist eine kleine Vorübung.«
»Willst Du es wirklich erlauben, Papa!« rief Corona.
»Sie zwingt mich ja,« sagte er unmutig. »Der Doktor, obzwar er auf ganz falscher Fährte war, riet mir doch, den Widerstand nicht auf's Äußerste zu treiben. Von Dir, Corona, hoffe ich auf Ersatz für alle Sorgen, die ich um Deine Schwester habe.«
»Und sie ist doch tausend Mal besser als ich!« rief Corona, zärtlich an ihren Vater sich schmiegend.
Mit froher Überraschung, doch nicht ganz ohne Besorgnis, empfing Onkel Levin die Tochter seiner Seele, seine geliebte Regina. Seit ihrer Rückkehr aus England hatte er eine leise Verstörung in dem Gleichmut ihres inneren Lebens wahrgenommen. Er kannte aber ihre schweigende Art und mochte nicht fragen, bevor sie nicht Veranlassung dazu gab. Wie der Pflanzenkeim seine Zeit braucht, ehe er das Erdreich durchbricht, so will auch das Wort seine Zeit haben, bis es sich vertrauend ausspricht. Als Regina den lieben Onkel Levin wiedersah, und wieder in der trauten Kapelle vor dem Allerheiligsten auf den Knien lag, und wieder ihr stilles Zimmer betrat, das in schlichter Einfachheit einer Zelle glich und eher einem Kloster als einem gräflichen Schloß zu gehören schien – da drängte sich all' ihr Weh über ihr Herz hinaus, und sie ging raschen Schrittes zum Onkel, nachdem sie am ersten Morgen seiner Messe beigewohnt hatte.
»Ich erwartete Dich,« sagte er liebreich zuvorkommend, »denn Du sahst verweint aus. Was betrübt Dich, Kind? Sprich'! der liebe Gott wandelt auch unsere bittersten Tränen in Gnadentau um.«
Er blickte sie an mit seinen seelenvollen verklärten Augen, die über seinem edeln, blassen, vielfach durchschmerzten und tief gefriedetem Antlitz strahlten, wie stille Sterne über einer Winterlandschaft. In einem Strahl der Morgensonne ruhte sein Haupt mit den Silberlocken. Er sah aus wie jemand, der heimisch ist in einer besseren Welt. Regina sank zu seinen Füßen nieder und bedeckte seine Hände mit Tränen und Küssen. Er ließ sie gewähren und betete still für sie. Endlich erhob sie sich und sagte mühsam gefaßt:
»Ich bin abgefallen von meiner ersten Liebe.«
»Das glaub' ich nicht!« erwiderte Levin freundlich.
»Ich bin es! mein Herz geht nicht mehr geradesweges zu Gott; meine Gedanken wenden sich nicht mehr ungeteilt dem höchsten Gut zu; meine Liebe strebt nicht mehr einzig und allein zur ewigen Liebe. Ein Mensch ist mir in den Weg getreten und sucht mein Herz an sich zu reißen; und dies törichte Herz neigt sich ihm zu – und nur mit meinem Willen hefte ich es an das Kreuz meines Gottes. So steht es mit mir.«
»Nun, bestes Kind, dann steht es ja sehr gut mit Dir. Deine Liebe ist aus der Region des Gefühls in die des Willens übergegangen. Die bloße Neigung hört auf und die Tugend beginnt. Aus der natürlichen Ordnung wandert Deine Liebe aus und strebt heimisch zu werden in der Ordnung der Gnade. Und Du weinst? und Du zitterst? O falle auf Deine Knie und danke Gott, daß endlich die Stunde des Kampfes für Dich geschlagen hat.«
»Er reibt mich auf, dieser Kampf! ich kann nicht leben unter der Last meiner Treulosigkeit!«
»Ja Kind, wenn Du stolz bist, dann kann es leicht Von Dir heißen: Wie bist Du vom Himmel gefallen, schöner Morgenstern! – Nimm in Demut Dein Kreuz auf Dich – das schwerste Kreuz: Deine Armseligkeit – und wandele damit weiter; dann findest Du Gott, denn der kreuztragende Heiland und Millionen von heiligen Liebhabern des Kreuzes geleiten Dich. Bist Du aber stolz, so sagst Du Dich von ihnen los.«
»Lieber Onkel! Du weißt, welch' ein Entschluß mir aus der Kindheit in die Jugend gefolgt ist und wie ich deshalb die Wünsche meines Vaters nicht erfüllen konnte. Von meiner Familie, von Uriel, von der ganzen Welt mich zu trennen, war mir kein Opfer; denn ich lebte in einer überirdischen Freudenwelt, und es wäre mir wie ein Gottesraub erschienen, hätte ich mich mit vergänglichem Glück beschäftigen wollen. Seit dem vorigen Herbst ist es anders geworden – anders, seitdem ich in Stamberg auf immer von Uriel Abschied nahm. Warum? das weiß ich nicht! – aber seitdem erscheint mir Uriel sehr liebenswürdig und das Leben mit ihm auf Stamberg sehr glücklich; und eine Stimme sagt mir, es wäre Gott sehr wohlgefällig, wenn ich meinem Vater gehorchte und meine liebe selige Mutter würde im Himmel meine Verbindung mit Uriel segnen. Und das alles spricht so mächtig zu meinem Herzen und lähmt dermaßen meine Verteidigungswaffen, nämlich mein Gebet und die Hingebung meines Willens an Gott, an Gott allein – daß ich nicht weiß, auf welche Seite der Sieg sich neigen wird und nicht weiß, ob ich nicht tausend Tränen weinen werde, wenn er sich auf die Seite Gottes neigt.«
»Wohlan, Regina, Dein Gelübde ewiger Jungfräulichkeit kann gelöst werden. Es ist gültig, aber nicht unauflöslich. Hast Du alles wohl erwogen, viel gebetet, viel um die Erleuchtung des heiligen Geistes gefleht« ... – –
»Das habe ich getan, lieber Onkel; doch in der Absicht nie, o nie! ich will nicht die Lösung meines teuern Gelübdes! ich will nicht mit Gott angefangen haben, um kläglich mit einem Menschen zu enden! ich will nicht mein Herz in zwei Lieben und zwei Treuen zerspalten und verkleinern! sondern ich will dies: mein Herz unberührt von jeglichem Anhauch aus den Niederungen des Lebens zu Füßen des Gekreuzigten hinlegen. Das möchte ich erbitten und erstehen. Deshalb durchwache ich halbe Nächte in Tränen und Klagen. Aber Gott erhört mich nicht – denn wieder und immer wieder werden betörende Stimmen laut, nach denen ein Etwas in meinem Herzen hinhorcht, weil sie süß und schmeichelnd klingen, obschon sie wehe tun.«
»Ah, nun verstehe ich!« nahm Levin mit unaussprechlicher Milde das Wort; »Du möchtest dem lieben Gott vorschreiben, auf welche Weise er Dich in's Himmelreich führen soll. Durch ein Triumphtor möchtest Du einziehen, nicht wahr? das frohe Selbstbewußtsein Deiner Stärke sollte Dir eine goldene Rüstung anlegen, von der jeder friedliche Pfeil abprallte, nicht wahr? in stolzer Zuversicht unverwundbar, möchtest Du über Schlangen und Nattern schreiten und lächelnd den Drachen besiegen, nicht wahr? O weh, meine arme Regina! das ist die Art des Erzengels, aber nicht des Menschenkindes! Als der heilige Apostel Paulus sich zu Gott bekehrte, sprach eine Stimme: »Ich will ihm zeigen, wie viel er um Meines Namens willen leiden soll.« Sieh', das ist Menschenart! Gekreuzigt dem Leibe und der Seele nach – mit Wundmalen am Körper und am Herzen – zermalmt von innerem Leid über seine Schwachheit – gequält von allen Versuchungen, denen der Sohn des Staubes durch seinen Zusammenhang mit der Irdischkeit ausgesetzt ist – wandelte dieser gewaltige Kreuzträger, zum tröstlichen Vorbild für uns alle, immer gedemütigt und immer tapfer, durch die furchtbare Schlacht des Lebens. Und wie er sich hindurch gekämpft hatte, so kämpften ihm nach die großen Heiligen aller Jahrhunderte, ein Basilius, ein Augustinus, ein Bernardus, ein Franziskus, ein Alphonsus – diese Wundermenschen an Glauben, an Liebe, an Genie und an Demut. Sie alle bauten sich keine Triumphbogen und schwangen nicht zuversichtlich ihre Siegesbanner. Sie alle sprachen mit Paulus: »Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark« – um anzudeuten, daß sie im Gefühl ihrer Schwäche sich zu Gott wendeten und von ihm Stärke empfingen. Sie alle gingen vorsichtig, gebeugt und wachsam auf »dem schmalen Wege und durch die enge Pforte,« die zum Himmel führen. Nicht auf ihren herrischen natürlichen Gaben, und nicht auf ihrer frischen, ungebrochenen, menschlichen Kraft ruhte das Gebäude ihrer Vollkommenheit, sondern auf ihrer unüberwindlichen Demut. Sie suchten auch nicht den selbstgefälligen Genuß ihrer eigenen Vollkommenheit in ihrer Hingebung an Gott. Sie baten ihn nicht, ihr Herz auf einem Höhepunkt zu erhalten, der über dem Niveau alles Menschlichen ist; sie baten ihn nur, ihr armes, elendes Herz nicht zu verschmähen; es zu verbinden, wenn es wund; es zu reinigen, wenn es befleckt wurde; es in Gnaden anzunehmen mit seinen Krankheiten und seinen Narben. Und wie die großen Heiligen, so machen es Millionen von guten schlichten Kindern Gottes. Willst Du es anders haben und anders machen, Regina? o, dann liefest Du Gefahr, eine Tochter Lucifers zu werden.«
Regina's Tränen waren versiegt und ihre schmerzliche Aufregung hatte sich gestillt. Mit geschlossenen Augen saß sie ruhig da; sie blickte nach Innen. Levin schaute mitleidig auf ihr schönes bleiches Antlitz, das noch von einem Anhauch von Schmerz überschattet war und fragte liebreich:
»Tue ich Dir weh, bestes Kind? soll ich schweigen?«
»O sprich, lieber Onkel, sprich noch mehr zu mir!« sagte sie sanft und ohne ihre Stellung zu verändern. »Deine Stimme klingt mir wie die, welche einst sagte: Ich will ihm zeigen, was er um Meines Namens willen leiden soll.«
»So heißt es auch in der Tat für jeden, der sich aus ganzem Herzen zu Gott bekehrt; denn Welt und Fleisch und Blut, die ihm wahrlich seine Bekehrung nicht eingegeben haben, fühlen, daß sie durch dieselbe zu kurz kommen, setzen sich zur Wehr, verbinden sich mit der überall geschäftigen alten Schlange und rücken mit einem Heer von Versuchungen in's Feld. In dem Maße, als diese bekämpft und überwunden werden, vermehren sich die Siege, und je größer der Sieger, desto glänzender seine Kronen. Willst Du keine Versuchungen haben, so verzichtest Du aus Feigheit auf den Siegespreis. – Sieh'! als Du auf Stamberg von Uriel Abschied nahmst und Dich vielleicht recht stark wähntest mit Deiner Entsagung, und recht sicher gegen jeden Angriff von Seiten der menschlichen Schwäche, da trat der Versucher zu Dir, wie einst zu dem Herrn – und zeigte Dir von der Höhe herab die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit. Und Du blicktest aus sie, wie jemand, der sich gewaffnet wähnt gegen einen feindlichen Überfall, aber die Schlange vergißt, die ihn in die Ferse sticht. Die böse Natur hast Du stets zu überwinden gesucht – dies Zeugnis geb' ich Dir gern. Aber Regina, das genügt nicht dem Menschen, der sich ausschließlich der Liebe und dem Dienste des Herrn widmen will. Der muß auch seine edle und gute Natur abtöten, um ganz in der Gnade, durch sie und für sie, zu leben; denn die Natur ist nun einmal betrügerisch! Mit tausend Faden hängt sie zusammen mit der Welt, mit dem Nächsten, mit unseren guten und schlimmen Eigenschaften, mit unseren Vorzügen und Talenten – und beständig sucht sie diesen Zusammenhang zu ihren Gunsten auszubeuten und der schönsten Seelenblüte, der reinen Absicht auf Gott, die Spitze umzubiegen und sie in die Richtung der Selbstsucht zu bringen. Die groben und dicken Faden lösen wir wohl allenfalls ab; aber es bleiben Millionen seine Fädchen übrig, die zuweilen weich wie Seide und schimmernd wie Gold sind und die, wenn wir sie nicht recht vorsichtig ablösen, abstauben und, in Gnade getaucht, an ihren Platz zurückbringen – ein Netz von seiner Selbstgefälligkeit knüpfen, welches den Fortschritt der Seele kläglich hemmt. Wohlan, Regina, betrübe Dich nicht, daß Deine Natur um kein Haar anders ist, als die von uns anderen armen Sündern; aber liebe und lobe Gott, der Dir den Willen und die Gnade gibt, sie in ihren letzten Verschanzungen abzutöten und der für die durchwundetsten Herzen auch wundervolle Tröstungen hat.«
»Welch' ein wunderbarer Tausch das ist: Gottes Trost für vergängliches Leid,« sagte Regina mit einem seligen Lächeln.
»O Kind, irre nicht wieder ab vom geraden Wege,« sagte Levin sanft und schwermütig und durch seine Stimme, seinen Blick, sein Lächeln schimmerte eine Welt voll namenloser heiliger Schmerzen. »Gottes Trost findet der, der mit dem heiligen Apostel Paulus gestorben ist, um in Gott Zu leben.« Was war denn Gottes Trost für den hinsterbenden Gottessohn? Essig, Myrrhen, Verhöhnung, Desolation. Der Wille Gottes muß Dir so süß und lieblich werden, daß er allein Dein Trost ist, und wenn dieser Wille auch darin bestände, daß Du die mystische Todesnot am Ölberg und die innere und äußere Verlassenheit am Kreuze Zeit Deines Lebens zu erdulden hättest. Willst Du Meisterin werden in der vollkommenen Liebe, so fange damit an, Schülerin zu werden im vollkommenen Leiden – im unausgesetzten mühseligen Kampf gegen die Welt in und außer Dir, gegen Deine sündhafte Natur, gegen Hölle und Teufel. Diese alle werden Wider Dich streiten, werden ganze Heere von Versuchungen – immer andere, immer neue, immer überraschende – wider Dich in die geistige Schlacht führen. Und Du wirst sie nicht bloß zu jeder Stunde und unter allen Umständen schlag- und ringfertig bekämpfen müssen, sondern auch die beklemmende Angst zu ertragen haben, nicht zu wissen, ob Du deinen Kampf in gottgefälliger Weise führst – nicht zu wissen, ob Du, wie die heilige Schrift es nennt, »des Hasses oder der Liebe würdig« bist. Sieh'! einen Tropfen aus diesem Kelch mystischer Prüfung ist Dir jetzt zu Teil geworden – und schon warst Du dem Verzagen nahe, und schon schmachtest Du nach Gottes Trost, wie ihn die weichliche Natur versteht! O Kind, besinne Dich! das Leben nach den evangelischen Räten ist ein beständiges und allseitiges Opferleben, das nur die reinste Christusliebe antreten und durchführen kann. Wo bleibt aber die Liebe zum gekreuzigten Christus, wenn Du Lohn für sie, in Trost ausgezahlt, erwartest? Mit einer Hand bist Du an's Kreuz genagelt und begehrst schon sie abzulösen? O reiche auch die andere hin und laß sie annageln, und hänge nackt und bloß und schmerzzerrissen geduldig an den drei Nägeln; denn das und nichts anderes sind die drei Gelübde – und vermagst Du jenes nicht, wenigstens dem Willen nach, auszuhalten: so darfst Du diese nicht ablegen.«
»Welch' eine Welt eröffnest Du mir, teurer Onkel,« sagte Regina sinnend und trocknete ihre Tränen.
»Die Welt des mystischen Leidens, des Leidens aus Liebe zu Gott,« entgegnete er, »die sich früher oder später allen erschließt, welche sich wahrhaft, aus innerstem Herzen und aus ganzem Gemüt zu Gott bekehren. Es versteht sich, daß es tausend Stufen in ihr gibt. Zu der niedrigsten sind wir alle berufen; zu der höchsten sind es die größten und heiligsten Seelen, die in Wahrheit mit den: Apostel ausrufen: mortuus sum, ut Deo vivam!«
»Also die Lieblinge Gottes müssen am meisten leiden und ihr Trost wird erst in der Ewigkeit beginnen?« fragte Regina.
»Nichts anders, Kind! der Herr selbst preist selig in Ewigkeit die Armen, die Leidtragenden, die Verfolgten, die Weinenden. Leiden um Jesu willen macht den Menschen liebenswürdig vor Gott, denn der leidende Mensch ist Jesu ähnlich. Im vierzehnten Jahrhundert lebte in Schwaben ein ganz wundersamer Liebling Gottes, der in der Welt Heinrich Suso – im Kloster Bruder Amandus hieß. Er war ein Sprößling jenes übernatürlichen Baumes, den St. Dominicus in der heiligen Kirche gepflanzt hat – ein Baum, durch dessen Gezweig das süßeste Gebet säuselt, welches Menschenlippen je gesprochen haben und welches St. Dominicus zusammengestellt hat: der Rosenkranz. Als lebendige Blüten dieses Rosenkranzes glänzen, duften und schimmern Seelen von unübertrefflicher Schönheit im Dominikanerorden: ein Thomas von Aquin, genannt der Engel der Schule, der die Theologie bezaubernd macht. Eine Katharina von Siena, die mit himmlischer Beredsamkeit das Schisma von Avignon zu Ende – und Papst Gregor XI. nach Rom zurückführt. Eine Rosa von Lima, die sich zärtlich in die Leiden des göttlichen Vielgeliebten mitleidend versenkt und extatisch aus ihnen hervorgeht. Ein Angelico von Fiesole, der stille Maler, den sogar die stumpfe Welt »Beato«, den Seligen nannte, weil seine Bilder, die er auf den Knieen malte, ein Abglanz himmlischer Herrlichkeit, geschöpft aus seliger Anschauung Gottes, zu sein schienen. Ein Seelenbruder dieser Auserwählten war diesseits der Alpen Heinrich Suso, ein in die Wunden Jesu ganz verliebter und ganz versunkener Ordensmann, der mit so lieblichen, herzzerschmelzenden Worten, als ob sie vom Kreuz herab tönten, von den Leiden heiliger Liebe in seelendurchwundeter Erfahrung schreibt. Dieser sagt einmal – und ich s age es Dir als Antwort auf Deine Frage: »Es gibt nichts Peinlicheres, als »Leiden; aber nichts Erfreulicheres, als aus Liebe »zu Gott gelitten zu haben. Leiden tut dem Menschen hier wehe, droben Wohl. Wären aller Menschen Herzen nur ein Herz, so könnte es auf Erden doch nicht den kleinsten Lohn ertragen, den der Herr in der Ewigkeit für das geringste Leiden geben wird, das aus Liebe zu ihm gelitten ist. Leiden – ist der sicherste und kürzeste Weg zum Himmel; ist die Rute der Liebe für Gottes Auserwählte; mindert die Freuden, aber vermehrt die Gnaden. Alle Heiligen im Himmel sind Freunde und Beschützer eines leidenden Menschen, denn sie haben es selbst empfunden, wie bitter und doch wie heilsam der Trank der Leiden ist. Geduld in Leiden ist größer, als Tote erwecken oder andere Zeichen tun; es ist ein lebendiges Opfer, ein edler Balsamduft, der mächtig, zu Gottes Angesicht dringt. Es macht zu Genossen der Märtyrer und führt mit sich den Sieg wider alle Feinde. Wer nicht gelitten hat, was weiß der! Im Himmel singt die leidende Seele ein neues Lied, das alle Engelscharen nie singen konnten, weil sie nie gelitten haben.« – Sieh', Regina, etwas so Königliches im Reiche Gottes ist das Leiden. Es ist ein Purpurmantel, den unser Herzblut webt.«
»Lieber Onkel,« sagte sie, und ihr gewohnter heiterer Friede lächelte wieder aus ihrem schönen Antlitz; »ich hatte dennoch Recht zu sagen: O wunderbarer Tausch! Gottes Trost für vergängliches Leid! – nur darf ich diesen Trost nicht in dem vergänglichen Leben hienieden erwarten. Nun wohlan! um desto sicherer ist er mir in der Ewigkeit aufbewahrt! Meine Glücksbegriffe sind ja noch sehr eng und niedrig, denn ich bin ungeübt und unerfahren. Gehört aber die ganze Summe von menschlichen Elendserfahrungen dazu, um standhaft in der vollkommenen Hingebung an Gott zu werben: so will ich sie in gelassener Unterwerfung annehmen und mit dem heil. Augustinus beten: Gib mir Kraft, o Herr, zu tun, was du gebietest, und dann gebiete, was du willst.«
»Ja, Kind! halte Dich möglichst in heiliger Gelassenheit. Kommen Dir Ruhezeiten und Tröstungen, so preise die Barmherzigkeit Gottes; bleiben sie aus, so preise seine Gerechtigkeit. Begehre nie, einen Genuß in Deinem geistlichen Leben zu finden, denn ein solcher ist leicht mit Selbstgefälligkeit gemischt; sondern sprich mit dem heil. Bonaventura: Gibst du mir Freuden, so verwunde mein Herz; und gibst du mir Leiden, so verwunde mein Herz – damit es deinem Herzen, mein Heiland, ähnlich werde!« – Und nun genug, geliebtes Kind! tritt ein in die Schule des Kreuzes mit vieler Demut und vieler Großmut, sieh gänzlich ab von Dir und schaue einzig und allein auf den Gekreuzigten, dem Du nachfolgen willst. Nur das ist der Weg, auf dem Du die Welt überwinden kannst. – Ich habe jetzt einen Krankenbesuch zu machen,« fuhr er in verändertem Tone fort. »Wendel ist vor ein paar Tagen aus Amerika zurückgekommen, schwer krank, ohne Frau und Töchter, mit seinen drei Buben. Ich ließ ihm sagen, ich würde ihn besuchen.«
»Der Wendel ist wieder da?« rief Regina erstaunt; »ist er vom Republikanismus geheilt?«
»Nimm Hut und Shawl und begleite mich. Unterwegs erzähle ich Dir, was ich weiß. Er wohnt jetzt bei seiner braven Schwester.«