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ein Schaffender und Wirkender geht so völlig wie der Bildkünstler in seiner Arbeit auf. Der Weg des Pheidias ging nur zwischen der Akropolis und seiner Werkstätte hin und her. Er sah selbst in den nächtlichen Träumen nichts anderes als seine Götterbilder, seine Gruppen, seine Friese, und nicht selten fand er, weil sein rastloser Geist geheim im Schlummer ebensowohl als im Wachen tätig war, nicht ohne Verwunderung beim Erwachen in seinen Entwürfen sich weiter gefördert und gereift. Manches seiner Gebilde war ursprünglich ein Traumgesicht, und er konnte sagen, daß ihm die Götter im Traume erschienen, wie den Helden Homers. Die gesamte Welt hatte nur Wert für ihn, insofern sie Beziehung hatte auf sein Kunstbestreben. Er verzichtete auf die Genüsse des Lebens, er war einsam, unvermählt. Seine Seele war erfüllt von den Urbildern aller Dinge, und sein klares Auge spiegelte in reinen Umrissen alles Gewordene.
Es war ein buntes Gewirr von Menschen und von Dingen in den Hallen und Höfen der Werkstätte des Pheidias. Immer gab es da Entwürfe zu ersinnen, zu prüfen, zu verwerfen, immer neu in Ton zu modellieren, Maßstab und Verhältnisse zu erwägen. Neben den Vorarbeiten in Ton ward auch schon manches Bildwerk nach dem Modell erst noch von den Steinmetzen aus den Blöcken gehauen, um später der feineren Künstlerhand zur völligen Ausgestaltung überliefert zu werden. Eine Trümmerstätte war des Pheidias Werkstätte zu nennen, aber eine Trümmerstätte der Entstehung, nicht der Zerstörung. Es war das Chaos, aber nicht das Chaos nach dem Untergange, sondern das Chaos, aus welchem die Schöpfung hervorgeht. Bruchstücke lagen überall umhergestreut, welche zum Ganzen vereinigt zu sehen das kunstliebende Auge kaum erwarten konnte.
Und über diesem Chaos schwebte der Geist des Pheidias. Dieser Geist lenkte alles, hielt den feurigen Alkamenes und den strengen Agorakritos zu einheitlichem wirken zusammen.
Seine beiden gewaltigsten Arme waren dieses Paar. Jener überdies seine beredteste Zunge, was Pheidias einmal gesagt, in einsilbigen, vielleicht rätselhaften Worten hingeworfen, das deutete Alkamenes, wiederholte es, schärfte es ein, überwachte den Vollzug.
Soeben wieder hielt er Umschau bei denjenigen Jüngern und Helfern, deren Arbeiten seiner besonderen Obsorge anvertraut waren. Ueberall tadelte, mahnte, spornte er mit dem Ungestüm, der ihm eigen, indem er werdende Bestandteile der Giebelfelder, Friese, Metopenbilder musterte.
»Was machst du, Drakyllos? Zu flach gewölbt ist für die Wirkung aus der Ferne hier das Doppelblatt der Brust, das Feld des Unterleibes zu wenig gegliedert, zu wenig von den Weichen sichtlich abgegrenzt! Die Hauptmuskeln zu wenig, die Nebenmuskeln zu viel hervorgehoben! – Charikles, du spannst die Haut hier zu straff, dort zu weich über den Muskeln! Zu wenig locker ist sie hier, zu wenig verschiebbar! Es muß scheinen, als ob man selbst am starren Erz- oder Marmorbilde die Haut mit zwei Fingerspitzen erfassen und ein wenig emporziehen könnte! – Dein Gott, Lykios, ist zu wenig erkennbar aus den Falten seines Gewandes! Gehörst auch du zu den Bildnern, deren Herakles nur an der Keule kenntlich ist? – Auch deine Quellnymphe, Arinagoras, scheint sich auf das Kennzeichen ihrer Urne verlassen zu wollen, statt in den weichen, gleichsam flüssigen, hingegossenen Gliedern das Innerste ihres Wesens erscheinen zu lassen!« –
Jetzt kam er an eine Gruppe des Parthenonfrieses: Jünglinge, welche Rosse, die sich bäumten, zügelten. »Bei welcher Mähre, Lykios, hast du dies breite Haupt, diese stumpfen Ohren gesehen? Auch das Ganze ist zu starr, zu wenig losgelöst, zu altmodisch! Bist du bei den Aegineten in die Schule gegangen? Solch' altväterisch' Stümperwerk hätte schon Argeladas nicht mehr gebilligt!« – So rief Alkamenes, tadelte noch dies und jenes im besonderen und schien, sich ereifernd, nicht übel geneigt, das Gebild des Jüngers zu zertrümmern, denn solches war er fähig zu tun, wenn die Leidenschaft ihn überkam.
Agorakritos trat hinzu und nahm, wie öfter, des arg Geschmähten gegen den Heißsporn Alkamenes sich an. Diesem schoß das Blut ins Gesicht, und er gab ein lebhaft Wort zurück.
In diesem Augenblicke aber näherte sich Pheidias, und in seinem Geleite ein paar, das nicht ganz fremd war in der Werkstätte des Pheidias.
Wie hätten Perikles und Aspasia sich versagen sollen, zuweilen einen Blick zu tun auf das stille Werden und Reifen dieser großen Entwürfe?
Sie kamen und fanden den Meister mitten im Schwarme seiner Jünger und Helfer, unter den Tonmodellen, halb behauenen Werkstücken und Marmorblöcken; sie fanden ihn einsilbiger, strenger, nachdenklicher, vertiefter in seinem ganzen Wesen als je zuvor.
Als Alkamenes die Milesierin erblickte, war er bestrebt, gleichgültig-heiter zu erscheinen und jenen noch immer nicht ganz erstickten Unmut zu verbergen, welchem er bei der flüchtigen Begegnung auf der Agora Ausdruck zu geben sich hatte hinreißen lassen. Der düstere Agorakritos aber gab sich keine Mühe, den Groll zu verheimlichen, den er gegen Aspasia noch immer im Herzen trug. Er ging beiseite und verlor kein Wort an die edlen Besucher.
Da diese eintretend noch einiges vom Wortwechsel des Alkamenes und des Agorakritos vernommen hatten, so spann sich über denselben Gegenstand bald die Rede weiter fort, und die lebhafte Aspasia verhehlte nicht, daß sie mit Alkamenes völlig übereinstimme, wenn er die letzten Spuren des Altüberlieferten, des Altertümlichen getilgt sehen wolle aus der Kunstausübung. Bei der Betrachtung der Entwürfe und Tonmodelle für die kolossalen Giebelgruppen, für die Friese und Metopenbilder fand sie manches Schönste noch ein wenig hart und streng, und selbst das edelste Blütenalter der Künste schien ihr noch zu langsam fortzuschreiten. Ohne Rückhalt sprach sie aus, was sie dachte.
»Die schöne Aspasia«, sagte Pheidias mit ernstem Lächeln, »sie möchte, daß alles, was wir bilden, so zierlich und so üppig und so reizend wäre, wie sie selbst. Aber vergiß nicht, Aspasia, daß uns Bildnern hier in diesen Aufgaben kein einfach Menschliches, kein alltäglich wohlgefälliges, sondern ein meist Übermenschliches darzustellen und zu gestalten vorgesetzt ist.«
»Pheidias hat vielleicht recht«, sagte Perikles, »wenn er sich das, was Aspasia das Herbe, Strenge, das Altertümliche nennt, nicht völlig rauben lassen will. Wer weiß, ob des bildnerischen Schönen höchstes Ideal nicht auf der schmalen Grenze wohnt, welche die keusche, jungfräuliche Schönheit von der üppigen, vollentwickelten scheidet? Der Entwicklung höchste und letzte Stufe ist ja auch schon die erste des Niedergangs; ein wenig diesseits dieser Spitze also, und nicht auf ihr selbst, dürfte dasjenige liegen, was das Gemüt mit dem reinsten, edelsten Zauber erfrischt und beseligt.«
»Wenn ich dich, o Pheidias«, sagte Aspasia, ,»auch noch so sehr zum Reizenden, zum Zierlichen und Ueppigen spornen wollte, und du hinwiederum die Deinen zu eben diesem Bestreben aufs äußerste aneifertest, so glaube ich, daß die rechte Grenze doch noch lange nicht überschritten würde. Denn so weit scheinen mir die Deinigen vom allzu Zierlichen und Weichlichen noch entfernt, daß, wenn sie auch mit allen Kräften darauf ausgingen, sie es doch schwerlich erreichten. Ich sage nicht, daß ihr langsam seid, aber der Weg ist weit.«
»Wenn ich auf die Gebilde des Pheidias blicke«, sagte jetzt Perikles ablenkend, als fürchte er, daß Pheidias verletzt werden könnte – »oder die Gesänge des Homeros höre, so finde ich, daß sie erhaben sind in ihrem Reiz und reizvoll in ihrer Erhabenheit. Sie sind erhaben, wie jeder weiß, und sie sind reizvoll, wie keiner leugnet, und schön nennen wir sie vielleicht eben, weil sie beides zugleich sind.«
»Dies lasse ich mir gefallen!« sagte, von seiner Arbeit aufsehend, der Steinmetz Sokrates, welcher bisher beschäftigt gewesen war, einen Marmorblock nach der Vorschrift aus dem Groben zuzuhauen. »Lange habe ich bei mir nachgesonnen, was denn die Schönheit sei; nun sind mir des Perikles Worte wie ein Strahl in die Seele gefallen. – Als einen mit Erhabenheit gemischten Reiz, als eine anmutige Erhabenheit und eine erhabene Anmut wäre also das Schöne bezeichnet. Und wenn Aspasia und Perikles wiederum mit einander die rechte Grenze der Fortentwicklung in den Künsten erörtern, so werden sie es leicht haben, zu sagen, das Schöne müsse, um das Schöne zu bleiben, niemals bloß reizend und niemals bloß erhaben, sondern immer beides zugleich sein. Gewährten mir nur die Götter, bei jedem Schlage des Meißels, den ich hier in der Werkstätte des Pheidias führe, dieser Lehre eingedenk zu sein, insonderheit wenn ich Hand anlege an die Ausführung des Weihegeschenks, das ich der Göttin des Pheidias für den Tag der Eröffnung ihres Prachthauses auf der Akropolis bestimme.«
»Wie?« rief Aspasia, »der nachdenkliche Steinmetz will sich nun auch als freischaffender Bildner versuchen?«
»Allerdings!« erwiderte Sokrates. »Zwar haben Pheidias und Alkamenes mir nichts von den Bildarbeiten des neuen Parthenon zu selbständiger Ausführung und Vollendung zugewiesen, und als ich bat, mich an solcher größeren Aufgabe versuchen zu dürfen, so bin ich von Alkamenes mit jenem lächelnden Spotte abgetrumpft worden, dessen er Meister. Beim Zeus! ich habe so gut als einer von Pheidias gelernt, die vollendete Eiform des Antlitzes zu umschreiben, das Haupt klein, aber fein und schön gegliedert zu formen, Stirn und Nase in fast gleicher Linie zu senken, die Augenknochen in scharfer Ausladung hervorzuheben, die Brauen in feinem Bogen zu schwingen, das Auge groß und rund und tief zu höhlen, des Nasenrückens Seiten in sanfter Kante abzudachen, das Kinn markig zu runden, Haar und Bart in gefälligen Einzelmassen zu sammeln. Nicht immer will ich Marmorblöcke aus dem Groben zuhauen und fremde Gedanken als ein willenloser Handwerker verkörpern helfen. Ich will ein Weihegeschenk auf eigene Faust fertigen und es versuchen, mit den kunstgeübten Händen einen selbsterfaßten, klaren, reinen Begriff im Gestein bildsam darzustellen.« »Welcher selbsterfaßte, reine Begriff aber ist es, den du, wie du sagst, im Gesteine verkörpern willst?« fragte Aspasia.
»Ihr werdet davon hören«, erwiderte Sokrates; »es ziemt sich doch nicht, von dem Bestreben eines Schülers hier zu reden, bevor ihr nicht von dem Werke des Meisters, von der göttlichen Pallas Athene, so viel gesehen, als jetzt von ihr zu sehen ist.«
Perikles und Aspasia verlangten dringend, vom Werk des Pheidias das, was bisher geschaffen worden, zu sehen. Pheidias aber erwiderte: »Ihr werdet in diesem Augenblicke nur Bruchstücke davon sehen, denn in Bruchstücke wurde soeben das Tonmodell zersägt, wie es die Kunstarbeit in Gold und Elfenbein erfordert.« Auch mit dem Anblicke dieser Bruchstücke wollten Perikles und Aspasia für jetzt sich begnügen, und auf ihren Wunsch führte sie Pheidias, im Geleite des Sokrates und des Alkamenes, in einen der geräumigen Höfe. Dort wies er ihnen ein Holzgerüst, um welches die Außenfläche der Gestalt aus Gold und Elfenbein wie Haut und Fleisch um das Knochengerüst gefügt werden mußte. Neben den Arbeitern, welche beschäftigt waren, das Tonmodell des großartigen Werkes in Stücke zu zersägen, sah man andere bemüht, Elefantenzähne, wie sie der Grieche in ausgezeichneter Größe und Schönheit aus Indien bezog, in dünne Platten mit der Säge zuzuschneiden, deren jede bestimmt war, einem der Bruchstücke jener zersägten Tonhülle des Holzskeletts auf das genaueste nachgebildet zu werden. Perikles und Aspasia musterten die gewaltigen Einzelstücke des zersägten Kolosses. Auch diese Einzelstücke gaben zu denken, und glücklicherweise war gerade das Haupt der Göttin noch unzerstückt und unversehrt. Dies also konnten sie nach Herzenslust betrachten und sich hinreißen lassen von dem hohen Gedankenfluge des Meisters, der sich verriet in den hehren, tiefsinnigen Zügen dieser neuen Pallas Athene des Friedens ...
Was in denselben sich spiegelte, es war die geistige Macht, es war das Licht der reinen Intelligenz, welches aufgeht über den Tiefen.
»So schön und so tiefsinnig, wie das Antlitz der Göttin da vor uns leuchtet«, sagte Perikles, »erscheint sie in der Tat als die nicht vom Weibe geborene, sondern aus dem Haupte des Vaters entsprungene Tochter des Zeus!«
»Im Haupte aber«, fiel der nach den Begriffen jagende Sokrates ein, begierig die hingeworfene Bemerkung erfassend, »im Haupte wohnen, wie bekannt, die Gedanken, was ist also die aus des Vaters Haupt hervorspringende Pallas anders, als der lebendig gewordene, verkörperte Gedanke des Zeus? O beglückter, von den Göttern gesegneter Pheidias, der du berufen warst, das höchste darzustellen, was es gibt: den Gedanken! – Ich armer Stümper trachte mein Leben lang ihm nach, dem reinen Gedanken, und möchte ihn grübelnd gerne herüberleiten aus dem Haupte des Zeus in das meinige, wie einen springenden Funken, und kann ihn doch niemals erhaschen! Und dieser Pheidias hier nimmt nur ein bißchen Lehm, ein bißchen Tonerde und knetet sie, und unter seinen Händen wird aus dem Lehm ein Gebilde, das mir die Augen blendet, wenn ich es anschaue, und mich zwingt, davor auszurufen: »Das ist der Gedanke – der Gedanke des Zeus!« – Daß aber Pheidias recht hat, wenn er den Gedanken, wie er ihn da vor uns hingestellt, Pallas Athene benennt, des Hellenentums leuchtende Schutzgöttin, ergibt sich deutlich, wenn man vergleicht, was die Weisen von dem Gedanken, und die Dichter von der Pallas Athene behaupten. Abgesehen von dem vielerwähnten Ursprünge aus dem Haupte des Zeus, versichern die Dichter von der Pallas Athene, daß sie jungfräulich, ferner auch, daß sie von männlicher und weiblicher Natur zugleich sei, ganz im Gegensatz zur Liebesgöttin, welche nichts zu tun hat mit dem Gedanken, sondern ganz aufgeht in den schönen Empfindungen und in den unbewußt zeugenden Werken der Liebe. Wer wird aber leugnen, daß auch der Gedanke jungfräulich und männlich und weiblich zugleich ist? Der Gedanke ist kühl, wie Sternlicht, und bleibt selbstgenügsam in seiner reinen, heiteren Höhe; nur sein Widerspiel, das Empfinden, ist eitel Glut und zeugt und gebiert und geht auf in den Werken der Liebe. Und das entsetzenerregende Gorgonenhaupt, welches die Dichter und die Bildner in den Schild der Göttin Pallas Athene setzen, was ist es denn anders, als das Grausen der überwundenen Nacht, welches der siegreiche Gedanke als Trophäe im Schilde führt? So leidet es denn keinen Zweifel, daß Pheidias hier den Gedanken hat darstellen wollen, daß wir aber immerhin auch sagen dürfen, wenn es uns beliebt, das Haupt da vor uns sei das Haupt der Göttin Pallas Athene.«
Der ernste Pheidias lächelte ein wenig, Alkamenes aber klopfte unterbrechend dem Sokrates, wiewohl ebenfalls lächelnd, auf die Schulter und lobt seine Rede, Aspasia sagte: »wenn Pheidias hier, wie du behauptest, o Sokrates, des lichten Gedankens Macht leiblich gestalten wollte, so dürfte er schaffend kaum gedacht haben an diesen Gedanken« ...
»Es ergeht wohl auch andern Vätern so!« erwiderte Sokrates.
»Dir ergeht es gewiß nicht so!« rief Alkamenes mit schelmischem Lächeln.
»Nein!« versetzte Sokrates; »aber warum spottest du meiner deshalb? Denken ist besser als nicht denken. Mögen die Götter ihren Lieblingen das Beste im Traume bescheren, wir andern müssen uns mit wachen Sinnen zu helfen suchen. Du hast dich ohne Zweifel gewundert, Aspasia, daß ich dich so oft nach dem Begriff und dem Wesen der Liebe fragte. Und doch konnte ich nicht anders. So wie Pheidias hier das sieghafte Licht des Gedankens in dem Bilde der Göttin Pallas Athene, so möchte ich in einem Bilde des Eros die Liebe verkörpern. Ihr werdet gewiß nicht behaupten, daß Eros ein verächtlicher Gott ist; nennen ihn etliche Weise doch sogar den ältesten und ersten von allen, und wenn die Liebe, wie es scheint, vor allem ein Streben, ein Trachten und ein Verlangen ist, so kann ich doch wohl sagen, daß jener Gott so recht eigentlich der meinige sei. Um aber über ihn noch genaueres zu erfahren, bin ich, wie ihr wißt, fragend viel bei den Menschen umhergegangen« ...
»Das ist wahr«, fiel Alkamenes lächelnd ein, »du bist mehr auf der Agora und in den Hallen und sonst an öffentlichen Orten zu sehen gewesen als hier in der Werkstätte des Pheidias. Von einer besonderen Unruhe scheint dieser Mensch in der Tat umhergetrieben. Erst schlägt er einen halben Tag wie toll auf seine Marmorblöcke los, dann läßt er plötzlich sein Werkzeug fallen und starrt nachdenklich eine Stunde vor sich hin. Dann springt er gar empor und läuft hinweg und kommt einen halben Tag lang nicht zurück. Du willst einen Eros meißeln? Ei, sage doch, wann? weißt du, o Bester, daß Meister Pheidias dich den fahrlässigsten von seinen Schülern nennt?«
»Ich weiß es«, erwiderte Sokrates; »aber erinnere dich, daß auch du selbst den Meißel hinwirfst und fortstürmst, mit oder ohne einen Vorwand, und gleich mir der Liebe nachgehst, wie man erzählt, aber freilich ohne viel nach ihrem Begriff und ihrem Wesen zu fragen.«
»Du hast recht!« rief Alkamenes lachend, »ich frage nichts nach ihrem Begriff. Aber wer sagt dir, daß ich immer der Liebe nachgehe, wenn ich mich aus der Werkstätte entferne?«
»Nicht immer entfernst du dich selbst«, versetzte Sokrates; »zuweilen sendest du nur einen Handlanger oder gar den tollen Menon, wenn er eben hier umherlungert, mit Brieflein zur schönen Korintherin Theodota.«
Wieder lächelte Alkamenes und Sokrates fuhr fort:
»Mein Freund Anaxagoras hat die Liebesleidenschaft eine Krankheit genannt: ich weiß nur nicht, ob sie eine gewöhnliche Krankheit und mit Arzeneien zu behandeln ist, oder eine göttliche, etwa wie die Begeisterung der Dichter oder die Raserei der delphischen Priesterin. Daß der Liebesgott Flügel haben muß und eine Knabengestalt, weiß ich: wie ich ihn aber sonst darstellen soll, ob ernst oder fröhlich, ob nach oben oder nach unten gewendet – wahrhaftig, ich möchte wissen, Aspasia, wie du es anstellen würdest, die Liebe darzustellen, wenn du einer der Unseren wärst hier in der Werkstätte des Pheidias!«
»Ich würde es gar nicht versuchen, sie darzustellen!« sagte Aspasia. »Die Liebe ist eine Empfindung, eine Empfindung aber ist gestaltlos, warum willst du darstellen, was keine Gestalt hat? Stelle anstatt der Liebe dasjenige dar, was Liebe erweckt, das liebenswerte, das Schöne. Denn dies hat eine Gestalt und ist leiblich sichtbar und greifbar und mit allen Sinnen erfaßbar. Und du brauchst nicht erst viel darüber nachzusinnen und Umfrage bei den Leuten zu halten, sondern nur einfach nachzubilden, was deinem Auge an Schönem und Anmutreichem begegnet.«
Sokrates dachte einige Augenblicke schweigend nach, dann sagte er: »Nichts ist richtiger, als was du da sagst, Aspasia. Ich werde den Eros fahren lassen und die Charitinnen zu meißeln versuchen. Denn diese sind es doch wohl, auf welche du mich auch jetzt wieder, wie schon öfter, als auf die eigentlichen Göttinnen der Schönheit und Anmut verweisest. Aphrodite ist zwar schön, aber sie ist nicht die Göttin der Schönheit allein, sondern mehr noch der Liebe: in ihrem Wesen ist die Schönheit schon gemischt mit der Liebe; in den Charitinnen aber ist sie noch rein und frei für sich, und in sich selber sozusagen göttlich befriedigt. Ich werde also die Charitinnen meißeln und als Weihegeschenk der Göttin des Pheidias auf der Burg darbringen. Aber wie früher der Liebe, muß ich jetzt der Schönheit nachgehen auf allen möglichen wegen, wo finde ich nur gleich das Schönste und Anmutigste, um es »einfach nachzubilden«, wie Aspasia vorhin sagte?«
»Wenn du das Anmutigste sehen willst, das man nur sehen kann, mein lieber Sokrates«, sagte Alkamenes lächelnd, »so kann ich dir einen Rat geben. Bemühe dich, die schöne Korintherin, die du vorhin erwähntest, tanzen zu sehen!«
»Die Korintherin Theodota?« fragte Sokrates; »ich habe die Anmut ihres Tanzes schon mehrmals rühmen hören. Aber wer soll uns das Vergnügen, die korinthische Tänzerin zu schauen und zu bewundern, verschaffen, wenn nicht du selbst, Alkamenes, ihr bester Lobredner und Freund und Gespiele?«
»Warum nicht?« erwiderte Alkamenes mit heiterem Uebermut. »Wer des höchsten Reizes froh zu werden verlangt, den des Weibes Gestalt in ausdrucksvollem Tanze zu entfalten fähig ist, der schaue Theodota, und ich will zu diesem Genusse jedem, der es wünscht, neidlos als Wegweiser dienen!«
Diese Worte des Alkamenes waren nicht ohne geheime Tücke gegen Aspasia. Mit Bedacht rühmte er in Gegenwart der Freundin des Perikles und des Perikles selbst die Anmut und den Reiz eines anderen Weibes. Die schöne Tänzerin und Hetäre war durch Alkamenes veranlaßt worden, von Korinth nach Athen herüber zu kommen. Diese Veranlassung war von sehr eigentümlicher Art gewesen. Als nämlich Alkamenes gemerkt hatte, daß er auf den Besitz Aspasias, dessen er vorher schon sicher zu sein glaubte, verzichten müsse, war er von einem geheimen Unmut und Aerger gegen die spröde Milesierin ergriffen worden. Aber er war zu jung, zu heiter, zu leichtlebigen Wesens, als daß um dieses Verlustes willen der Harm das Herz ihm hätte benagen sollen; sein Trachten ging nur darauf, ein wirkliches Glück, einen wirklichen Liebesgenuß für den erträumten, um welchen er betrogen war, zu erhaschen.
Ein sehr reicher Korinther hatte von ihm ein kleines Bildwerk in Marmor ausführen lassen. Alkamenes hatte sich des Auftrages entledigt und das fertige Werk nach Korinth gesendet. Der Besteller war entzückt über den Reiz und die seltene Vollendung der Arbeit und schrieb dem Alkamenes, er möge für dies kleine Meisterstück jeden beliebigen Lohn und Dank verlangen; was immer sein Begehren sein würde, es solle gewährt werden.
Hierauf schrieb der junge Bildner mit seinem gewohnten Uebermut an den Korinther folgendes zurück:
»Es ist bekannt, daß ihr in eurem reichen und üppigen Korinth seit langer Zeit die schönsten »Freundinnen« besitzet, welche in Hellas zu finden sind. Da du mir freistellst, für mein kleines Marmorwerk jeden Dank zu verlangen, der mir beliebt, so bitte ich dich, mir diejenige Schöne, welche gegenwärtig bei euch in Korinth den größten Ruf besitzt, auf deine Kosten für einen Monat nach Athen herüberzuschicken und sie anzuweisen, daß sie sich für diesen Monat ausschließlich als Modell zu meinem Dienste verpflichte.« Der reiche Korinther lachte, als er diese Zeilen las, und wenige Tage später fand die schönste Hetäre von Korinth, die Tänzerin Theodota, zu Athen bei Alkamenes sich ein.
Alkamenes war zufrieden und freute sich einen Monat lang des Besitzes der gepriesenen Schönheit auf des reichen Korinthers Kosten.
Als der bedungene Mond verstrichen und die Verpflichtung der schönen Theodota erloschen war, empfand sie wenig Lust, nach Korinth zurückzukehren: sie hatte Athen lieb gewonnen und entschloß sich, zu bleiben.
Alkamenes war ihr in beständiger Freundschaft zugetan und pries sie allen, die ihn hören wollten, als das schönste Weib in Hellas. Er versäumte niemals, hinzuzufügen, daß sie reizender sei, als die vielgerühmte Milesierin Aspasia, welche noch mehr durch Schlauheit als durch Schönheit den Perikles gefangen habe.
Als nun Alkamenes ähnliches zum Preise Theodotas dem Sokrates gegenüber in Gegenwart Aspasias vorbrachte, erkannte diese sogleich die Gesinnung und Absicht des von ihr beleidigten Jünglings. Sie merkte, daß er ihr geheimen Aerger bereiten wollte durch jenes Lob, welches er in ihrem und des Perikles Beisein einer andern Schönen spendete. Mit der Beweglichkeit und Raschheit des weiblichen Geistes hatte sie im Augenblicke ihre Gedanken geordnet, ihre Entschlüsse gefaßt.
Unter den blitzschnellen Erwägungen ihrer Seele war auch diese gewesen, welchen Eindruck etwa die zum Preise Theodotas gesprochenen Worte des Alkamenes auf den empfänglichen Geist des Perikles gemacht haben möchten. Sie bedachte, daß Perikles auf den Einfall kommen könnte, die schöne Korintherin zu sehen und dies Gelüst anders als im Geleit seiner Freundin zu befriedigen. Daß Perikles ohne ihr Beisein mit Theodota zusammentreffe, war ihr unerwünscht; wenig aber fürchtete sie, wenn bei solcher Begegnung sie selbst zugegen war. Sie wußte, was sie allen anderen Weibern gegenüber in die Wagschale zu werfen hatte, was den Alkamenes betrifft, so glaubte sie seine geheime Bosheit nicht besser strafen zu können, als indem sie ihm zeigte, wie wenig sie sich aus Neckereien dieser Art mache. Zu diesen bestimmenden Gründen ihrer Entschlüsse kam als letzter: sie selbst war nicht ohne neugieriges Verlangen, die von Alkamenes gepriesene korinthische Schönheit zu sehen. Und so war es denn sie selbst, die das Anerbieten des jungen Bildners, jeden, der es wünsche, zu Theodota zu führen, zur nicht geringen Verblüffung des Alkamenes aufgriff. Mit heiterer Unbefangenheit sprach sie: »Wenn du, o Alkamenes, im stande bist, uns den Weg zu dem Schönsten und Anmutigsten, was du kennst, zur Schau der tanzenden Theodota, zu zeigen, so wäre es Torheit von Perikles und Sokrates und mir selbst und jedem, der dich hört, nicht sogleich dich beim Worte zu nehmen und dich zu nötigen, ein so lockendes Versprechen ohne Zögerung wahr zu machen.«
»Ich nehme an«, sagte Alkamenes, rasch gefaßt, »daß du, schöne Aspasia, sowohl in deinem eigenen, als im Namen dieser beiden, des Perikles und des Sokrates, gesprochen.«
Perikles besann sich einen Augenblick, erklärte aber dann, er wolle dem Willen der schönen Aspasia nicht widersprechen, »Wir gehen«, sagte er, »diesen Weg alle nur im Gefolge des Sokrates und um seinetwillen: einem Weisen aber zu folgen, kann niemals einem Manne zur Schande gereichen.«
»Unser feuriger Alkamenes«, sagte Sokrates, »ist ein Freund aller raschen und kühnen Gedanken. Seht, wie er sich schon fröhlich die Hände reibt und nach seinem Thessalerhute greift. Ich wette, daß er uns nun keine Ruhe mehr läßt, sondern schon fest entschlossen ist, uns augenblicklich und geradeswegs, wie wir da sind, aus der Werkstätte des Pheidias hinweg in die Behausung der schönen Theodota zu entführen.«
»So ist's«, rief Alkamenes lebhaft. »Meister Pheidias hat sich bei unseren letzten Reden schon hinweggeschlichen. Ich rate euch, ihn nicht durch Abschiednehmen zu stören. Ein Ausgang ist hier ganz in der Nähe, die Tür ist offen, die Straße frei, die Behausung Theodotas nicht ferne – gehen wir!«
Das Haus Theodotas war bald erreicht.
Man durfte nicht fürchten, die Schöne zu belästigen. Alkamenes ging zuerst zu ihr hinein, um seine Begleiter bei ihr anzumelden. Er kam sogleich wieder zurück und bat die Gefährten, ihm zu folgen. Er führte sie in die innersten Gemächer Theodotas. Diese Gemächer waren mit verschwenderischer Weichlichkeit ausgestattet. Ueberall gab es da sanfte Pfühle und Purpurkissen, der Boden war bedeckt mit schwellenden Teppichen, Wohlgerüche dampften aus zierlich gestalteten Schalen. Ein purpurverhangenes Lager war von anmutigen Liebesgöttern getragen und emporgehoben; Schmuck und Gewand waren in malerischer Unordnung umhergestreut, weiche Sandalen, Haarbänder, kostbare Gürtel, Schminktöpfe, Salbenbüchsen, kreisrunde Spiegel aus blankpoliertem Erz mit reicher Plastik des Griffes, reizend geformte Sonnenschirme und buntbemalte, blattförmige Fächer, Kyprias sämtliches Gerät: dazwischen kleine Kunstwerke aus Erz und Marmor, zum Teil Geschenke des Alkamenes, Tonwerkzeuge mit eingelegtem Gold und Elfenbein, welke und frische Kränze aller Art: das alles machte in seiner bunten Unordnung im ersten Augenblick einen sinnverwirrenden Eindruck auf die Eintretenden, einen Eindruck, den die Wohlgerüche des Gemachs verstärkten, während von einem der weichen Pfühle sich die schön geschmückte Hetäre selbst erhob, um die Gäste zu begrüßen.
Theodota war schön. Ihr Haar war rabenschwarz, ihr Auge dunkel-feurig. Ihre Züge waren fein. Sie war stark geschminkt, ihre Augenbrauen künstlich gerundet und zugespitzt, ihre Lippen rosiger als jede Wirklichkeit. Sie trug ein blumig-gesticktes Gewand und war mit reichem Schmucke behangen. In der Mitte des Leibes war ihre Gewandung zusammengehalten durch einen Gürtel aus Goldblech, dessen Verschluß reich verziert war, und von welchem nicht minder geschmackvoll und zierlich geformte Anhängsel verschiedener Art herabhingen. Ihr Hals, ihr Busen, ihre Arme und selbst ihre Füße über den Knöcheln waren von schlangenförmig gestalteten, granaten- oder bernstein-besetztem Geschmeide umringelt. Auch das kleine und wohlgestaltete Ohr war durch baumelnde Gehänge von reizender Bildung ausgezeichnet. Auf dem Haupte trug sie eine mit perlen geschmückte Erzstirnbinde.
»Ich habe«, sagte Alkamenes zu seinen Begleitern, »Theodota bereits unterrichtet, weshalb ihr hieher gekommen und was euer Verlangen an sie ist.«
»Alkamenes ist tollkühn«, sagte Theodota lächelnd, »daß er ganz plötzlich so hochansehnliche und unerwartete Gäste mir zuführt und nicht die geringste Vorbereitung mir gönnt, sie würdig zu empfangen.«
»Keiner Vorbereitung bedarf es«, sagte Alkamenes; »denn du bist immer du selbst, und nicht deinem Hause gilt unser Besuch, sondern dir und deinem Reiz und deiner Kunst.« – »Einen weisen und ernsten Mann siehst du hier vor Augen«, fuhr er fort, auf Sokrates deutend, »und dieser glüht vor Verlangen, dich zu sehen und deinen Tanz zu bewundern. Und mehr noch von diesem weisen Manne als meinen begeisterten Worten verdankst du es, Theodota, daß heute selbst der große Perikles und die gefeierte, kunstverständige Aspasia aus Milet über deine Schwelle kommen, um von deiner gepriesenen Kunst sich mit eigenen Augen zu überzeugen.«
»Wie?« rief Theodota, »vor einem Weisen, vor einem großen und würdevollen Staatsmanne und vor einer Auserwählten meines Geschlechtes, die, wie es scheint, alle anderen Frauen dieser Zeit an herrlichen Erfolgen übertrifft, soll ich es wagen, mich zu zeigen, und das Geringe, was ich vermag, der Prüfung solcher Richter aussetzen?«
»Fürchte nichts, Theodota!« sagte Perikles; »Alkamenes hat dich uns gepriesen, und Alkamenes weiß alles Schönste aufzufinden.«
»In der Tat«, fügte Sokrates mit seinem Lächeln und einem Blicke auf Aspasia hinzu, »ihm begegnet das Schönste immer zuerst.«
»So mag er es denn verantworten!« sagte Theodota. »Prüde zu sein vor irgend jemand in der Welt und mich dessen, was meine Kunst ist, zu weigern, darf mir nicht in den Sinn kommen. Ihr wollt mich tanzen sehen, wie hunderte von euch, und ich gehorche. Betrachtet euch als meine Gebieter, was verlangt ihr, daß ich tanze und vor euch darstelle? Welche Göttin? Welche Heroine? Welche Mythe oder Geschichte?« Sie wandte sich mit dieser Frage vornehmlich an Perikles. Dieser aber sagte: »Frage den Weisen hier, denn dieser ist mit Absichten hieher gekommen, welche es ihm gewiß erwünscht machen, den Gegenstand deines Tanzes bestimmen zu dürfen. Erkläre dich nur ohne weiteres, Sokrates; was wünschest du, daß Theodota tanze?«
»Wenn ihr und Theodota selbst«, erwiderte Sokrates nach einigem Nachdenken, »mir diese Entscheidung überlassen wollt, so wüßte ich nichts Besseres, als Theodota aufzufordern, uns die Werbung der drei Göttinnen um den Preis der Schönheit auf dem Ida zu tanzen. Welche Aufgabe für sie, uns jetzt als Aphrodite, dann als Hera, dann als Pallas zu erscheinen, und uns zu zeigen, wie jede von diesen mit denselben und doch nach ihrer Wesenheit fein veränderten Mitteln den Hirten vom Ida zu bezaubern und den Siegespreis aus seiner Hand an sich zu reißen bemüht ist. Alkamenes hat versprochen, mich hier erfahren zu lassen, was die Anmut sei, und so wollen wir Theodota zwingen, so anmutig und reizend zu sein als möglich, und es in so verschiedenen Arten, als sich nur denken läßt, zu sein.« –
Nachdem Theodota sich aus dem Gemache entfernt hatte, um an ihrer Gewandung und ihrem Aeußeren jene Veränderung vorzunehmen, welche die gestellte Aufgabe erheischte, sagte Sokrates:
»Wir werden unsern Zweck erreichen: denn Theodota ist nicht wie andere Schönen, welche nur zurückhaltend und tropfenweise zumessen, was sie geben wollen, sondern sie wird uns, was sie zu bieten hat, ehrlich bieten und alles auf einmal wie aus dem Füllhorn der Amaltheia über uns ausschütten. Die Sache ist dann abgetan, und wir können nach Hause gehen. Ich sehe schon, sie ist willfährig und sanft, diese Theodota, aber nicht klug. Wie würde Aspasia tanzen, wenn sie wollte! Aber wer von uns, den Olympier Perikles etwa ausgenommen, hat sie tanzen gesehen?«
Nun kam Theodota zurück, leichter geschürzt und in einer Gewandung, welche den freiesten Bewegungen nicht hinderlich war. In ihrem Geleite kam ein Knabe mit der Laute und eine Flötenbläserin. Die Flötenbläserin begann zu spielen, und der Knabe stimmte mit Saitenklängen ein. In die Klänge der beiden aber begannen sich sacht die Bewegungen Theodotas gleichsam zu mischen, und es war unmöglich zu sagen, in welchem Augenblicke sie begonnen hatte zu tanzen.
Sie tanzte, wie ihr aufgetragen war, zuerst die Werbung der Aphrodite um den Apfel, den Siegespreis in den Händen des Paris; dann die der Hera, dann die der Pallas. Es war derselbe Tanz, dreimal wiederholt und doch immer mit ganz verschiedenem, dem Wesen der Göttin entsprechendem Ausdrucke. Sie schien dreimal völlig verwandelt, wunderbar war es zu sehen, welche Abwechslung sie mit lebensvollen Bewegungen, sprechenden Blicken, bezeichnenden Gebärden in die Mimik des Werbens zu bringen wußte. Bald erschien dies Werben als ein holdes Flehen, ein süßes Schmeicheln, ein reizendes Getändel, ein verführerisches Umschwirren, eine Verheißung des süßesten Dankes, dann wieder als ein stolzes, siegbewußtes Heischen, ein mehr gebieterisches Verlangen, dann als ein neckendes oder verwegenes Haschen, dann als ein Ueberlisten, oder ein Versuch, mit anmutiger Gewaltsamkeit der Hand des Richters den Siegespreis zu entringen. Dabei war es möglich, jeden Reiz der Leiblichkeit in Stellungen, Bewegungen, Gebärden zu entfalten. Und da jeder fein ersonnene, ausdrucksvolle Zug dreifach wiederkehrte, immer angepaßt dem Wesen der Göttin, so wußte man nicht, sollte man mehr den Reichtum der Erfindung und die Mannigfaltigkeit des Ganzen, oder den Reiz und die Vollendung in der Ausführung der einzelnen Züge bewundern.
Es darf nicht unerwähnt gelassen werden, daß Theodota während des Tanzes ihre feurigen Augen voll jenes wechselnden, aber immer werbenden Ausdrucks fast unablässig auf Perikles gerichtet hielt. Ihn machte sie zum unfreiwilligen Widerpart ihres mimischen Spiels, in ihm schien sie den Paris zu erblicken und aus seinen Händen den Siegespreis des Apfels heischen zu wollen.
Als Theodota geendet hatte, erteilte ihr Perikles Lobsprüche über die Anmut und die ausdrucksvolle Kunst, mit welcher sie ihre Aufgabe gelöst hatte.
»Die Aufgabe, welche ihr der schönen Theodota gestellt habt, war keine allzu schwierige«, sagte Alkamenes; »sie würde andere und größere Aufgaben zu eurem noch viel größeren Erstaunen gelöst haben. Sie ist im stande, nicht bloß der Taube Zärtlichkeit und des Löwen Wildheit, sondern, wenn es sein soll, auch des Wassers weiches wallen oder des Feuers Lohe, oder des Baumes säuselndes Erzittern nachzuahmen.«
»Ich zweifle nicht«, sagte Perikles, »daß sie es auch versteht, gleich jenem Tänzer, den ich kürzlich gesehen, sogar des Alphabetes Buchstaben, einen nach dem andern durch die Mimik ihres wunderbar gelenken und geschmeidigen Leibes auszudrücken.«
»Und was hast du uns über Theodota zu sagen?« rief Alkamenes und berührte die Schulter des Sokrates, welcher von der Tänzerin während des Tanzes keinen Blick seiner Augen abgewendet hatte und jetzt dastand, wie es schien, in tiefe Gedanken versunken.
»Ich werde tanzen lernen!« erwiderte er ernst. »Ich kannte bisher nur eine Weisheit des Hauptes und der Gedanken; nun weiß ich, daß es auch eine Weisheit der Hände und der Füße gibt.«
Die Hörer lächelten und meinten, der Nachdenkliche spreche mit seiner gewohnten Ironie. Aber Sokrates fuhr fort:
»Der Rhythmus ist Maß, und das Maß ist Sittlichkeit. Ein so schöner Rhythmus des Leibes, wie ihn uns Theodota gezeigt, muß notwendig des Menschen ganzes Wesen mit Sinn und Liebe für schönes Maß erfüllen. Man muß, wenn man dies einmal gesehen, notwendig alles plumpe, Rohe, Gemeine, Ungeschlachte verachten. Ich beneide dich, Theodota, um den schönen Rhythmus, den du im Leibe und in der Seele hast!«
»Ich freue mich dieses schönen Rhythmus«, versetzte Theodota lächelnd, »wenn ich ihn besitze, und wenn andere sich daran ergötzen. Die Kunst zu gefallen und zu ergötzen aber scheint bei uns in Hellas mit jedem Tage schwieriger zu werden. Für euer kunstverwöhntes Aug', ihr Männer, ist die schöne Natur im Weibe nicht genug. Ihr verlangt, daß wir uns schmücken mit jedem Reize der Kunst, wenn wir euch anzuziehen oder gar zu fesseln verlangen. – Indessen«, fügte Theodota mit einem anmutigen Lächeln hinzu, »so schwer ihr uns Frauen den Beruf zu gefallen und zu ergötzen auch machen möget, ich werde nicht aufhören, diesen Beruf als den schönsten und, wenn ihr es erlaubt, auch als den meinigen zu betrachten!«
»Offenbar«, sagte Sokrates, »gehörst du nicht zu denjenigen Frauen, welche außer sich selbst nur einem einzigen Manne gefallen wollen, und welche man gewöhnlich Verliebte oder Liebende zu nennen pflegt.«
»Nein, bei den Göttern!« fiel Alkamenes ein; »zu diesen zählt sie nicht. Sie ist der Schrecken aller schwärmerischen Jünglinge, welche von Liebe faseln. Erst gestern klagte mir der junge Damötas, daß du ihn zur Türe hinausjagtest, Theodota, weil er zu schwermütig geworden!«
»In der Tat«, nahm Theodota das Wort, »ich spotte der Fesseln nicht bloß Hymens, sondern auch des Eros. Ich bin keine Priesterin der Liebe, sondern eine Tochter der Freude!«
»Ich bewundere dich, Theodota!« sagte Sokrates. »Denn du scheinst mir nicht bloß den schönsten, sondern auch den menschenfreundlichsten aller Berufe gewählt zu haben, welche Selbstverleugnung übst du, o Theodota, welche Selbstaufopferung! Du verschmähst es, der Labetrunk in eines einzelnen Mannes Krug zu sein, ehrenvoll gestellt in den Schatten des häuslichen Herdes, du ziehst es vor, empor zu steigen wie ein leichtes Wölkchen in die Luft, und dahin zu ziehen über die Länder, und dich in einen Blumenregen der Freude auf den Häuptern der Menschen aufzulösen. Du verzichtest auf des Hauses Frieden, auf der Gattin Ehre, auf der Mutter Glück und auf des Alters Trost, nur um dem verstärkten Bedürfnisse nach Schönheit und Genuß im Busen der Männer von Hellas abzuhelfen. Und nicht bloß Hymens Ketten verachtest du – du forderst sogar mit keckem Mute und sozusagen mit prometheischem Trotze den Zorn des Eros, des rachesüchtigsten aller Götter, heraus. Und nicht unbekannt ist dir, wie kurz die Blüte der Schönheit und der Jugend währt. Dennoch stehst du da, entsagungsvoll und aufopfernd, wie ein blühender Baum im Märzmond, und sagst: »Pflücket sie nur alle und schüttelt sie herab, die Blüten meines flüchtigen Lenzes, und binde sich wer will einen Strauß daraus für wenige Tage! Ich will kein Fruchtbaum sein, ich bin ein Blütenbaum!« – welche Aufopferung, o Theodota, welche Selbstverleugnung! Mögen dich die Götter und Menschen dafür segnen und die Charitinnen dereinst deinen Leib unter Rosen bestatten!« –
So sprach Sokrates.
Theodota dankte mit einem Lächeln. Allzuwohl vertraut war sie mit den Eigentümlichkeiten der verschiedenen Menschen, als daß die Rede des Sonderlings sie hätte befremden können.
»Du übertreibst meine Verdienste!« sagte sie.
»Ich habe noch lange nicht alles gesagt!« versetzte Sokrates.
»Das sei dir ein Grund, wiederzukommen!« entgegnete Theodota.
So gingen zwischen den beiden die wechselnden Reden noch eine Weile hin und her. Durch die Teilnahme der übrigen wurde das Gespräch bald lebhafter, und Theodota fand Gelegenheit, noch manchen feurigen Blick, manches bedeutungsvolle Wort an Perikles zu richten, Perikles erwiderte dies in der mild-freundlichen Art, welche ihm den Frauen gegenüber eigen war.
Aspasia beobachtete die Annäherung der beiden, aber ohne die leidenschaftliche Verblendung anderer Weiber. Sie selbst verkündete ja die Botschaft der freien, heiteren Liebe und erklärte sich offen gegen das Sklaventum nicht bloß in der Ehe, sondern auch in der Liebe. Ueberdies wußte sie, daß ein Weib, das Eifersucht verrät, verloren ist. Auch des Abstandes blieb sie sich bewußt, der Theodota von ihr trennte. Theodota erfüllte, sorglos hinlebend, ihre Nymphenbestimmung. Aspasia hätte niemals in einem solchen Berufe aufgehen können. Unendlich weit war sie entfernt von jener Selbstaufopferung, welche der Sonderling Sokrates in so wunderlichen Worten an Theodota gepriesen. Sie opferte die Blüten ihres Lenzes nicht dem plumpen Freudenbedürfnis der Menge, sie hatte ein glänzenderes Ziel gesucht und gefunden; sie wurde geliebt, und liebte – freilich nur mit jener heiteren, freien, geisterhellten Liebe, die sie predigte. Und was die Mittel anlangt, zu bezaubern, zu fesseln: Theodota gab, was sie hatte, harmlos hin und hatte bald nichts mehr zu geben. Aspasiens reiches, tiefes Wesen war unerschöpflich. Dennoch verschmähte es diese nicht, darauf bedacht zu sein, wie sie der Nebenbuhlerin die Gelegenheit auch eines flüchtigen und vorübergehenden Sieges entziehen könne. Schnell war ein kleiner Anschlag in ihrer Seele gereift, und nicht ohne Folgen blieb der Besuch bei der korinthischen Schönen.
Als Perikles, Aspasia, Alkamenes und Sokrates das Haus Theodotas verlassen hatten, fragte der Bildhauer seinen Genossen:
»Wohlan, Freund Sokrates, was hast du gelernt für deine Gruppe der Charitinnen beim dreifachen Tanze der anmutigen Theodota?«
»Vieles und Wunderbares!« erwiderte jener. »Ich weiß nunmehr, was die Dreizahl der Charitinnen besagen will, was jede für sich, und was alle zusammen bedeuten. Aber es soll für jetzt mein Geheimnis bleiben; denn es ist Zeit, den Meißel in die Hand zu nehmen, und den Marmor reden zu lassen. Ihr werdet erfahren, was ich heute bei Theodota gelernt, wenn die Gruppe meiner Charitinnen auf der Akropolis vollendet steht. Für heute habet Dank, daß ihr mir freundlich das Geleit gegeben auf dem Wege, den ich getan um jener Schönen und Weisen willen, die mir geboten hat, den Charitinnen zu opfern.«