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enn einen großen Mann das Vaterland ehrt, die Welt feiert, wenn auf allen seinen Pfaden ihm Verehrung, Liebe, Huldigung entgegentritt, so gibt es oft doch eine Stelle, wo seine Größe zusammenschrumpft, wo er sich klein empfindet, wo ihm kalte oder gar mißgünstige Augen begegnen.
Und diese Stelle ist sein eigner Herd, sein Haus, der Schoß seiner Familie, der Ausgangspunkt seines Wirkens. Auch Perikles fühlte sich fremd und frostig angeweht, als er, das Ohr noch umtönt von dem Jubelgeschrei, mit welchem das athenische Volk ihn empfing, nach der Abwesenheit eines Jahres wieder über die Schwelle seines Hauses trat. Wie den siegreich heimkehrenden Agamemnon, empfing auch ihn ein heimlich grollendes Weib an der Schwelle.
Die Kunde, daß Aspasia in des Perikles Gesellschaft zu Milet verweilt, daß sie auf der Heimfahrt an seiner Seite gewesen, war zu Elpinikes Ohren gedrungen, und aus dem Munde der Freundin hatte sie Telesippe geschöpft.
Das Weib des Perikles dachte nicht daran, sich an dem heimkehrenden Gatten zu rächen, wie Klytaimnestra an dem heimkehrenden Agamemnon, noch durch den Zauber eines Nessosgewandes ihn zu verderben, wie Dejaneira den treulosen Herakles. Sie dachte kleinlich, kleinlich war ihr Groll, kleinlich ihr Haß und kleinlich auch ihre Rache.
Daß Perikles vor Samos gesiegt, daß er das Schiff des feindlichen Feldherrn in den Grund gebohrt, was half es ihm der Erinnys gegenüber, die an seinem Herde saß? Während die Agora von seinem Ruhme widerhallte, mußte er im Innern seines Hauses das kleinlich keifende Wort, den kleinlich mißgünstigen Blick Telesippes ertragen. Und Elpinike? Sie sprach den Perikles, als sie zum erstenmal nach seiner Heimkehr ihm begegnete, mit den Worten an:
»Schäme dich, Perikles! mein Bruder Kimon hat über die Perser, über Barbaren gesiegt, du aber hast Hellenenblut vergossen und lässest dich feiern als Unterdrücker der eigenen Stammesgenossen!«
Ohne heftige Erwiderung, schweigsam, wie es seiner im Verkehre mit den Menschen zur Sanftheit neigenden Art entsprach, aber nicht ohne männliche Erwägungen und Entschlüsse bei sich selbst, ließ Perikles den Widerstreit, der mit der Erscheinung Aspasias in sein Leben getreten war, der Entscheidung sich entgegendrängen. Er hatte im Beginn sich vorgestellt, daß es leicht sein würde, die Rechte der Geliebten getrennt zu halten von den Rechten der Gattin. Und hatte nicht auch Telesippe dies geglaubt? Hatte sie nicht verachtend auf die milesische Hetäre herabgesehen, welche zwar das Herz ihres Gatten verwirren konnte, die Herrschaft am Herde des Hauses aber der rechtmäßigen Gattin überlassen mußte? Hatte sie nicht die Fremde hinweggewiesen über die Schwelle des Hauses, und hatte diese nicht weichen müssen?
Aber die Dinge waren fortgeschritten. Perikles selbst war nicht mehr derselbe. Das Gedankenbild eines Ehebundes neuer Art war nicht vergebens, wie ein glimmender Funke in seine Seele geworfen worden. –
Die Tage, an welchen das größte aller athenischen Feste gefeiert werden sollte, waren wiedergekehrt.
Die Bevölkerung der ländlichen Gaue strömte in die Stadt, denn das Fest war, was sein Name besagte, und was es sein sollte nach dem Gedanken seines Stifters Theseus, ein beständig sich erneuerndes Verbrüderungsfest des gesamten Volkes von Attika. Aber auch aus der Ferne, von den verbündeten Städten und Inseln, von den Kolonien, ja von ganz Hellas kamen immer die Gäste.
Noch niemals aber hatte Athen eine so große Menge einheimischen und ausländischen Volkes in seinen Mauern versammelt gesehen. Denn diesmal gesellte sich zu der Anziehung, welche die Feier der Panathenäen immer ausgeübt hatte, die Neugier, den Wunderbau des Parthenon zum erstenmal eröffnet, das von Gold und Elfenbein strahlende Standbild der Pallas Athene des Pheidias zum erstenmal enthüllt zu sehen.
Mehrere Tage lang gingen dem großen Festaufzuge die üblichen Wettkämpfe voran. In der Niederung am Ilissos kämpften die jungen Helden der athenischen Ringplätze um den Preis. Die erlesensten Knaben kämpften, dann die mutigsten Jünglinge, dann die bewährtesten Männer in allen Arten des hellenischen Ringkampfes. Im Wettstreite der Knaben siegte auch diesmal des Perikles Mündel und aller Athener Liebling Alkibiades, zur Freude des Perikles, aber zum Aerger Telesippes, welche den Knaben haßte, weil er ihre beiden unbegabten, wenig Gutes versprechenden Söhne, den Paralos und den Xanthippos, so gänzlich verdunkelte.
wie glühte der jugendliche Sieger, alle die übrigen Wettkämpfe mit anzusehen, an welchen er zu seinem Leidwesen sich nur erst als Zeuge, nicht als Mitbewerber um den Preis beteiligen durfte! Mit welchem Neide sah er im Geleite des Perikles selbst, außerhalb der Stadt auf der Ebene, welche westlich vom Piräus gelegen war, den aufwirbelnden Staub feucht werden vom dampfenden Odem der hineilenden Rosse, sah er auf den rossebespannten Gefährten die Wettkämpfer der hippischen Künste stehen, auf jedem wagen neben dem Lenker den mit Helm und Schild bewehrten Genossen, der, während das Gespann auf der Rennbahn hinstürmte, herabsprang und sicheren Fußes eine Strecke mit dem Gefährte wettlief, um dann mit ebenso sicherem Sprunge auf dasselbe zurückzukehren.
Und wie fühlte der Knabe erst von dem berühmten Waffentanze der Jünglinge sich hingerissen! wie glänzte sein Auge bei diesem mimisch kriegerischen Waffenspiel, als die Jünglinge nach dem Takte der Musik in allen Fechterstellungen sich gegen einander bewegten, alle Arten des Angriffs, der Verteidigung, des Ausweichens erschöpfend, in einer Art von Tanzschritt und im Einklänge mit dem Rhythmus rauschender Töne, wobei taktmäßig mit den Schwertern gegen die gehobenen Schilde geschlagen wurde, so daß das helle Erzgetöse, vereint mit den Klängen der Musik, zuweilen auch mit dem Gesänge kriegerischer Lieder, eine Art kampflustiger Begeisterung und Taumel auch in dem Zuschauer erweckte. Als nun gar der Knabe Alkibiades anfing, von diesem Taumel hingerissen, die Bewegungen der Schwerttänzer nachzuahmen und vor Begierde zu brennen schien, sich in ihren Reigen zu mischen, da mußte Perikles an die Erzählung des Artemidoros denken und an die Scene, wie der Milesier seinen Sohn Chrysanthes auf dem Tmolos plötzlich von der Raserei der Korybanten ergriffen erblickte. In der Tat hätte das Getöse des Waffentanzes an das des Korybantenreigens auf dem Tmolos erinnern können, wenn dort nicht alles wild und grausenhaft, hier nicht alles in feierlicher und edler Gemessenheit dem Auge sich dargestellt hätte.
Aber auch die Nacht hatte ihr Fest: den großen Fackelwettlauf, mit welchem die Athener ihre Lichtgötter, den Hephaistos, den Prometheus, die Pallas Athene, zu ehren pflegten. Nur die schönsten und gewandtesten Jünglinge Athens wurden zu dem Wettlaufe zugelassen. Es galt, die Lichter brennend ans Ziel zu bringen: wessen Fackel während des Laufs erlosch, der mußte austreten aus dem Reigen des Wettlaufs. Wer langsam lief, um die Flamme zu schonen, der sah von lebhaften spöttischen Zurufen des Volkes sich gespornt.
Die athenischen Stämme wählten aus ihrer Mitte die schönsten Greise, die stattlichsten Männer, um den großen Festzug zu verherrlichen, und sie kämpften mit ihrer Auswahl um den Preis. Auserlesen waren auch die am Festzuge teilnehmenden Jünglinge und Jungfrauen; nur bedurfte es bei blühender Jugend nicht so strenger Auswahl, wie bei dem reifen und dem Greisenalter, um dem Auge nur Wohlgefälliges, Schönes und Edles zu bieten.
Den Wettkämpfen schlossen auch musische sich an.
Perikles war es gewesen, der, jede Art von Tüchtigkeit mit gleicher Wärme umfassend und fördernd, auch Saiten- und Flötenspiel und Tanzchöre in den Kreis der Wettkämpfe der Panathenäen zog. Denn unter den Aemtern und Würden, welche er bekleidete, war auch die eines Ordners der öffentlichen Spiele und Feste zu Athen.
Als nun der Tag des eigentlichen Hochfestes anbrach, an welchem der sogenannte Peplos nach altem Brauch der Stadtschirmerin Athene im Erechtheion überbracht und die Sieger in den panathenäischen Wettkämpfen im neuen Parthenon gekrönt werden sollten, ordnete sich der Festzug im Stadtbezirke des Kerameikos. Der ganze weite Bezirk wimmelte von Einzelzügen, welche alle nach dem Orte der Vereinigung sich hinbewegten. Dieser Ort der Vereinigung aber bot dem Auge noch den Anblick einer lebensvollen, bunten und glänzenden Verwirrung. Hier stand das zum Opfer bestimmte, schöngehörnte Rind in seiner Wucht, dort entlud die starke, spannkräftige, ehern-stramme Natur der mutigen Rosse sich gleichsam elektrisch in funkensprühendem Hufschlag. Neben den ungeduldig sich bäumenden Rossen standen Jünglinge, welche sie mit kräftigen Händen an den blinkenden Zäumen hielten, oder beschäftigt waren, sie aufzuzäumen, oder auch, sie in kunstvollen Wendungen prüfend zu tummeln. Und so erfreute schon jetzt sich das Auge an lebendigen Gruppen, an Bildern der Kraft und Wohlgestalt.
Aber der bunte Knäuel entwirrte sich. Der Festzug begann sich zu ordnen. Und nachdem dies geschehen, setzte er sich unter den Klängen von Trompeten, Flöten und Saiten-Instrumenten in Bewegung. Den Anfang machte die Hekatombe der Opfertiere, hundert auserlesene glänzende Rinder, bestimmt, auf der Akropolis der Göttin geschlachtet zu werden, dann aber dem Volke zum Festschmause zu dienen: prächtige Tiere, fleischig und stark der Nacken, tief herabhängend die Wammen, die Hörner in der Art der beiden Schenkel einer Lyra schön gekrümmt, mit Blumenkränzen behängt und an den Spitzen zum Teil vergoldet. Geführt waren sie von kräftigen Jünglingen, welche mit fester Hand die ungeduldig sich Sträubenden bändigten. Widder folgten den Rindern, nicht minder schön und stark, schön gehörnt und schön bevliest. Hinter diesen Tieren samt ihren Treibern, Opferdienern und Opferpriestern kamen die Träger anderer Spenden mannigfacher Art: sie trugen auf flachen Schüsseln Opferkuchen, Flüssiges, teils in Schläuchen, teils in großen, edelgeformten Gefäßen.
Nun folgte ein glänzender Zug athenischer Frauen und Jungfrauen in reichen Festgewanden, goldene und silberne Opfergeräte tragend, prächtige Schaugefäße, das Jahr über an einem dazu bestimmten Orte aufbewahrt und nur bei solcher festlichen Gelegenheit zur Schau getragen. Zierliche Körbe, gefüllt mit Blumen, Früchten, Räucherwerk, trug ein Teil der lieblichen, in Goldschmuck prangenden Jungfrauen über den Häuptern. Aus den blühendsten Töchtern Athens gewählt, zart und stattlich, reizend und würdevoll zugleich, entzückten diese Korbträgerinnen jedes Auge durch die sittige Anmut ihrer Mienen, ihrer Haltung, ihrer Bewegungen. Es waren Mädchenknospen, keusch in sich verschlossen, aber funkelnd vom Tau der Jugendfrische. Das Jahr über verborgen, gleich jenen goldenen Schaugeräten, und dem Auge der Welt entrückt im Schoße der Frauengemächer, waren auch sie jetzt gleichsam hervorgezogen, um zu glänzen im Lichte des festlichen Tages. Das Hochfest enthüllte, was sonst den Blicken sich verbarg; es enthüllte, entfesselte alles, was schön und glänzend war. Heute warf der Liebesgott seine Pfeile, heute begegneten sich die Blicke holder Jungfrauen und liebewerbender Jünglinge. Jungfräulicher Befangenheit hielt der angeborne, seine Strahlen frei und heiter um sich her ausgießende Reiz das Gleichgewicht.
Nach den prunkenden Opfergeräten wurden die noch herrlicheren Weihegeschenke einhergetragen, deren Zahl niemals größer gewesen als diesmal: Prachtgefäße, funkelnde Gold- und Silberschilde, Dreifüße von anmutigster Gestalt mit reicher Verzierung, auch Bildwerke aus den Händen trefflicher Meister. Das alles, offen getragen, schimmerte augenblendend in den Strahlen der Sonne.
An den Zug der Jungfrauen schlössen sich die lieblich zarten, noch kindlichen Mädchengestalten der Arrephoren in dem Festschmuck, welchen sie bei ihren heiligen Verrichtungen auf der Akropolis getragen, unter ihnen die holde, kindlich-fromme, mutige Hipparete.
Nun folgten die Träger und Geleitsleute jener Geschenke und Opfer, welche der Göttin von den athenischen Kolonien oder von den mit Athen verbündeten Städten und Inseln dargebracht wurden.
Jetzt aber kam von allen Weihegeschenken erst das bedeutungsvollste, des ganzen Festzuges glänzender Mittelpunkt, das große, reiche Prachtgewebe des Peplos. Nicht von Menschenhänden wurde es getragen: segelartig war es über eine Art von Prachtschiff ausgespannt, das im Festzuge auf Rädern sich weiter bewegte. Dies schiffartige Gefährt, ein Werk von außerordentlicher Größe und Schönheit, mußte es im Reigen der Schaustellung athenischer Volksherrlichkeit nicht an die Seegewalt der Athener erinnern und an den Meergott zugleich, dessen Kult in uralter Verbindung war mit dem des Erechtheus und der Pallas auf der Burg? Und daß der Peplos statt des Prachtfahrzeuges zur Hauptsache geworden im Panathenäerzuge, erinnerte es nicht an den Sieg der lichten Göttin Pallas Athene im Wettstreit mit dem finsteren Dreizackschwinger? Der lichten Göttin Anteil an dem Götterkampfe wider die Giganten war dargestellt in den schimmernden Goldstickereien, kunstvoll aufgetragen auf den purpurnen oder krokusfarbenen Grund des Gewebes. Über dem Mast des Frachtschiffes ausgespannt sah man dies goldgewobene Bild jenes Kampfes der Lichtgötter wider die rohen Urgewalten erhöht in den Lüften, dem Volke weithin sichtbar leuchten im Glanze der Sonne.
Hinter dem Prachtfahrzeug mit dem Peplos schritten die Sieger in den panathenäischen Wettkämpfen stolz einher: die Saitenspieler und Flötenbläser mit ihren Tonwerkzeugen, der Sieger im Fackellaufe, in der Hand seine brennende Fackel, mit welcher nach altem Brauch das Feuer für das große Festopfer der Göttin auf der Akropolis angezündet wurde, die Sieger in dem Wettrennen der Rosse und Wagen mit ihren prächtigen Viergespannen, auf jedem der Lenker und sein Genoß mit Helm und Schild; ferner, mit Ölzweigen in den Händen, jener Zug von schönen und würdevollen Greisen, welcher im Wettkampfe betagter Wohlgestalt den Sieg davon getragen hatte. Wie auf edle Vorbilder blickte die athenische Jugend auf diese Männer im Silberhaar, welche sich würdevolle Schönheit und Frische des Leibes und der Seele bis ins späte Alter bewahrten. Ihnen folgte beritten der Ephebenzug, Athens männliche Jugend, schlanke Gestalten, dunkelgelockt, feueräugig, auf den edlen Rossen als wohlgeübte Reiter sich wiegend. Von den Strategen und Taxiarchen geführt, zog hinter den Epheben die waffenfähige Mannschaft Athens: die Schwerbewaffneten und die Reiterei der Edelgebornen in glänzender Rüstung auf den schönsten und feurigsten Rossen – denn zu Roß erschien der reiche und vornehme Athener im friedlichen Festaufzug wie im Felde –, dann in endlosem Zuge die Bürgerschaft, an ihrer Spitze die Würdenträger: die Archonten, die Männer des Rates, die Oberpriester; das Volk nach den Gauen geordnet, Männer und Frauen in Festgewändern, Myrtenzweige in der Hand, hinter den Bürgern aber die Beisassen, die Frauen derselben mit Eichenzweigen, als Schutzbefohlene des Zeus Xeinios, des Gottes der Gastfreundschaft. Andere Frauen und Töchter der Beisassen gingen hinter den athenischen Bürgerinnen einher, deren Schutz sie genossen, und trugen Sonnenschirme in den Händen, um sie, wenn der Zug in der brennenden Sonne anhielt, über den Häuptern jener zu halten, oder lehnenlose Sessel von kleiner, zierlicher Gestalt, auf welche die Schutzherrinnen, wo der Zug stillstand, sich niederlassen konnten.
Dieser Festzug nun bewegte sich vom äußern Kerameikos aus durch die schönsten Straßen der Stadt, bis auf die Agora, welche bestreut war mit Eichenlaub und sonst auch festlich ausgeschmückt: die Verrichtung der Sklaven an diesem Tage. Hier machte also der Zug zum ersten Male Halt, und das Reitergeschwader der vornehmen Athener in seinen glänzenden Rüstungen führte auf weitgedehntem Platze Bewegungen und Uebungen aus, welche schier den prächtigsten Teil der ganzen Festschau bildeten.
Während der Zug auf der Agora verweilte, hatte von ihm ein Teil des Geleites der Opfertiere mit einem Teil der Tiere selbst sich abgezweigt, um vorausgehend die beiden üblichen Voropfer, das eine auf dem Hügel des Areopag, das andere beim Altar der Athene Hygieia darzubringen.
Nach Vollendung dieser Voropfer setzte der Festzug mit der Hekatombe und dem Peplosschiff sich wieder in Bewegung. Er nahm seinen Weg auch weiterhin durch die vornehmsten Straßen und kam an den berühmtesten Heiligtümern vorüber, an welchen man ein wenig verweilte, den Gott durch Opfer ehrend oder durch den Gesang eines Päans.
Als man an der Stelle angelangt war, wo der Weg auf den Hügel der Akropolis hinaufführte, wurde von den Rossen und Wagen zurückgelassen, was auf dem breiten aber steilen Wege dem Zuge nicht folgen konnte, oder was auf des Burgberges Hochfläche nicht genug Raum gefunden hätte. Aber es fehlte nicht an kühnen Reitern, noch selbst an Wagenlenkern, welche mit ihren mutigen Rossen dennoch im Geleite des Zuges blieben, auf des breiten Weges Mittelfläche sich haltend: denn durch gerilltes Pflaster wurde hier die Gefahr des Ausgleitens der Pferdehufe sowohl als Räder gemindert.
Angelangt auf der Akropolis, machte der Zug Halt zwischen dem Erechtheion und dem neu vollendeten Festhause der Pallas Athene. Der Peplos wurde in das Erechtheion gebracht, und das große Opfer der Hekatombe begann unter Absingung eines Päans vor einem im Freien stehenden Altare an der östlichen Seite des Parthenon.
Aber kein Blick der Menge fiel in die dämmernde Halle des Erechtheions, wo das uralt-heilige Holzbild der Athene, auf einem blumenumhangenen Throne stehend, seinen altgewohnten Tribut, den Peplos, in Empfang nahm; unbeachtet blieb auch des Opfers heilige Verrichtung: jedes Auge wandte sich der leuchtenden Marmorpracht jenes Tempels zu, dessen Pforten sich heute zum erstenmal den Blicken des Athenervolkes erschließen sollten.
Des neuen Festhauses erster Eindruck war der einer glänzenden Lichterscheinung. Leuchtender Marmor war alles an ihm, von den Quadern des Unterbaues bis hinauf zum letzten der zierlich gemeißelten Ziegel seiner Bedachung. Und was nicht Marmor war, glänzend in der Reinheit seiner jungfräulichen Weiße, das war Goldschmuck oder heller Farbenzauber.
Von der Seite des Sonnenunterganges gegen jene des Aufgangs, in länglichem, säulenumgebenem Viereck sich erstreckend, stand hoch und stolz und frei der Wunderbau, vom Sonnenlicht umflossen, auf seiner Höhe. Edel, klar, maßvoll in seinen Verhältnissen, schien er dennoch von seinem gewaltigen Unterbau mit wunderbarem Schwunge fast riesig empor zu streben. Schon dieser Unterbau mit den emporführenden Marmorstufen ragte hinaus über das Haupt des Beschauers. Der Tempel selbst aber mit seinem Marmorsäulenwald, mit dem Bildschmuck seiner ringsumlaufenden Friese, mit den lebensvollen, kolossalen Marmorgruppen, welche die breiten Giebelfelder wie mit einem Schwarme wunderbarer Gestalten bevölkerten, mit dem leuchtenden Gold- und Farbenschmuck, der hie und da den Glanz des weißen pentelischen Marmors überfunkelt, schier von der lichtumflossenen Hochfläche gleichsam der jungfräulichen Göttin entgegengehoben in ihr heimisches Lichtreich, in den ihr heiligen Aether.
Nichts aber fesselte in diesen ersten Augenblicken der Betrachtung das Auge des Atheners so sehr, als die großen, in den gewaltigen Marmorgruppen sich darstellenden Scenen, welche die breiten Felder der beiden Giebel füllten. Dieser Anblick war überwältigend. Denn die herrlichen Gestalten, wie sie da ruhend, stehend, schreitend, nicht etwa nur in halberhobener Arbeit, sondern in Standbildern, losgelöst von ihrem Hintergrunde, in sein angedeutetem Bezuge zu einander sich darstellten, sie schienen aus ihrer Umrahmung hervortreten und heruntersteigen zu wollen zum Volke der gottgeliebten Athener. Maßvoll erschienen sie in Haltung und Bewegung, aber voll gesunden, herrlich blühenden Lebens in sinnvoller Gestaltung.
Den Augenblick nach der Göttin Geburt aus dem Haupte des Zeus schaute der Athener dargestellt auf dem Giebelfelde der Seite des Sonnenaufgangs: in der Mitte den Gott, die Göttin und den Titan Prometheus, welcher des Gottes Haupt gespalten, um der Lichtgöttin zur Geburt zu verhelfen: von da nach beiden Seiten hin mit der frohen Botschaft hinwegeilend Nike und Iris, ihnen entgegen Göttinnen und Heroen, die Botschaft freudig vernehmend; in des Giebelfeldes Ecke zur Linken Helios mit seinen Flammenrossen emporstrebend, zur Rechten die Nachtgöttin mit ihrem Gespanne hinabtauchend in die Fluten des Okeanos. Den Streit Poseidons aber mit Pallas Athene um den Besitz und die Schutzherrschaft des attischen Landes enthielt die Giebelseite des Westens: in der Mitte die beiden streitenden Gottheiten: der ungestüme Poseidon, der soeben mit dem Dreizack den heiligen Quell aus dem Felsen geschlagen, ihm gegenüber Pallas Athene und der auf ihr Gebot emporgesproßte heilige Oelbaum; neben ihr das hoch sich bäumende Gespann für den Siegeszug; Gottheiten und Heroen des attischen Landes der Göttin sich anschließend, dem Poseidon das Gefolge seiner Meergottheiten. Von diesen Gestalten, alle über Menschengröße in Marmor gebildet, schweifte das Auge zu den kleineren Bildwerken des Frieses über den Säulen, wo in den langen Reihen der Metopenfelder Kämpfe hellenischer Streiter mit wilden Kentauren gebildet waren; von da durch die Säulen, welche rings um den Tempel liefen, hinein zu dem Gebilde jenes inneren Frieses, welcher die äußere Marmorwand des Tempelgemachs umkreiste. Und mit dem Blicke auf diesen begann das Auge des Atheners noch heller zu glänzen: denn hier erblickte der lebendige Festzug sein eigenes Spiegelbild in Marmor gemeißelt: Scenen aus dem Zuge der Panathenäen und aus den Vorbereitungen zu diesen: Züge von schönen, sittigen Jungfrauen, von Jünglingen auf sich bäumenden Rossen, stolz dahinbrausende Gespanne und Kampfscenen hippischer Agonen, die Ueberreichung des Peplos, und inmitten all' des menschlich Schönen olympische Götter, aus ihrer Unsichtbarkeit und Unnahbarkeit herausgetreten als Zeugen des herrlichsten Festes. So einfach, so prunklos-edel erschien hier bei aller Schönheit jede Gestaltung, daß sie aus dem Marmor zu dem Athenervolke für alle Folgezeit zu sprechen schien: »Haltet ein das schöne Maß und lasset euer Leben immerdar in solch' edler Einfalt, in solcher Schöne und Reinheit blühen, wie es euch hier begegnet in den Marmorgebilden aus der Werkstätte des sinnigen Pheidias!« –
Angesichts des harrenden Volkes schritten jetzt, als das Opfer der Hekatombe dargebracht war, in feierlichem Zuge die ersten Würdenträger Athens über die Stufen des Tempels zur Pforte hinauf. Sie ordneten dort sich zu beiden Seiten der Pforte. In ihrer Mitte stand Perikles und der Archon Basileus.
Jetzt öffneten sich die breiten schmuckreichen Erztüren des Tempels. Das Innere desselben erschien mit seinen schimmernden Säulen, und das neue hehre Bild der Pallas Athene des Pheidias leuchtete hochragend zum erstenmal aus der heiligen Dämmerung hervor dem Volke der Athener.
Da begannen die Teilnehmer des Festzuges einen Preisgesang auf die Göttin anzustimmen. Als dieser verklungen war, trat Perikles hervor und sprach von den Stufen des Tempels herab zum versammelten Volke der Athener.
In Urzeiten, sagte er, habe Pallas Athene die Fülle leiblicher Segnungen ausgegossen über die Wiege des Athenervolkes, und als die Spenderin des nährenden Oelbaums, als die Geberin der ersten Güter, als die Begründerin und Förderin der Wohlfahrt des attischen Landes verehre man sie in jenem ehrwürdigen, aber formlosen Holzbilde des Erechtheions. Dann aber sei die Zeit gekommen, in welcher Athen sich mit dem Schwerte umgürtete, an der Spitze von Hellas die Barbaren bekämpfte und in Siegen gekräftigt zur Blüte seiner Macht sich emporschwang. Als Wahrzeichen dieser Zeit rage auf der Burg das über Land und Meer hin sichtbare Riesenbild der Vorkämpferin. Jetzt aber sei angebrochen die Zeit, in welcher der Göttin innerstes und tiefstes Wesen und mit ihm der schönste Teil ihrer Segnungen für das attische Land und Volk sich entfalte. Offenbaren wolle sie sich nun wirklich als die Göttin des lichtspendenden Aethers, in dessen Glanz die Nacht zerrinnt, als die Nachdenkliche, Sinnige, um deren Stirn der freie Gedanke in schöner Klarheit schwebt, als die Förderin aller schönen Fertigkeiten und Künste und jedes aus dem Geiste stammenden Segens. Als solche habe Pheidias jetzt sie hingestellt, eine Pallas Athene des Friedens. Und über diese neue Gestalt der Göttin habe man das neue, ihrer würdige Tempelhaus gewölbt, kein priesterliches Opferhaus, sondern ein panathenäisches Festhaus der Göttin, in welchem sie ihres Wesens echtes Licht und echte Macht, losgelöst von priestertümlichen Schranken, offenbar zu machen vermöge. Sinnvoll umhege dieses Tempelhaus die Göttin, ergänzend die Offenbarung ihres Wesens selbst und zugleich des Volkes, das sie schirmt. Denn in eins verschmolzen sei nun bald das Wesen der Göttin und ihres Volkes. Und so wolle man auch fernerhin den Peplos darbringen dem altehrwürdigen Holzbilde der Stadtschirmerin, uraltheilige Sitte der Väter ehrend, aber Ziel und Mittelpunkt des Festes der Panathenäen sei fortan der Parthenon. Hier sollen von jetzt an die Sieger in den Agonen ihre Preise aus der Hand der zu der Göttin Füßen sitzenden Richter empfangen, und zu den Bildwerken des glänzenden Festhauses werde das Volk sich wenden, um jene Ausstrahlung des innersten Wesens der Göttin in sich aufzunehmen, das Gemüt zu erfüllen mit dem Großen und Bedeutungsvollen, das hier von Wänden und Giebeln und Friesen herab mit marmornen Zungen rede. In diesen Gebilden lese der Athener die Geschichte seines eigenen Selbst, lese das in Stein gehauene Heldenlied der Siege des Lichtes und des Geistes über alles Dunkle und Rohe. Seiner Kraft inne werdend, entbrenne der Hellenen Geist von edler Begier, würdig zu bleiben des Denkmals, das er hier für alle Zeit sich selber gesetzt hat.
Nach diesen Worten des Perikles erneuerte das Volk begeistert den tausendstimmigen Päan auf die jungfräuliche Göttin, und unter diesem Gesänge sowie unter dem Schall der Flöten und Saitenspiele, welche den Festzug begleiteten, schritt auf den Wink des Archon Basileus und geführt von ihm, über die Stufen zuerst der Zug der Jungfrauen empor und wandelte durch die geöffneten Pforten des Parthenon, von jungfräulichem Fuße sollte der jungfräulichen Göttin neues Heiligtum zuerst betreten werden. Den Jungfrauen folgten die Jünglinge, und während jene im Innern des Tempels zur Rechten, diese zur Linken des Bildes der Göttin sich reihten, unter dem fortgesetzten Gesänge des Päans, betraten diejenigen, welche die Weihegeschenke im Festaufzuge trugen, das Festhaus und stellten die Geschenke zu den Füßen der Göttin nieder. Andere Weihegaben, insonderheit gold- und silberglänzende Schilde, wurden aufgehangen über den Architraven der Säulen des Tempels. Nun wurden die Sieger in den panathenäischen Wettkämpfen über die Schwelle geführt, mit ihnen die Preisrichter und die Träger der ersten Würden in Athen.
Heller erklang Flöten- und Saitenschall, begeisterter rauschte der Päan durch die marmorprangende Halle hin, als nun das strahlende Bild der Göttin den in den Tempelraum Geführten und dem nachströmenden Volke der Athener unmittelbar vor Augen stand. Alle Blicke waren auf dasselbe gerichtet.
Augenblendend wie der Tempel, leuchtete auch die kolossale Göttergestalt: von Elfenbein waren ihre unbekleideten Teile gebildet, von Gold alles übrige; tiefsinnig vor sich hin blickte das ernstschöne Haupt, bedeckt vom wuchtigen Goldhelm, unter welchem das reiche Gelock hervorquoll. Nachdenklich waren die Züge des Antlitzes, aber das Sinnende schien sich in eine milde Klarheit aufzulösen. Zur Linken der Göttin ruhte der Schild, friedlich gesenkt, nicht mehr kriegerisch erhoben. Lässig ruhte auch die Lanze in ihrer Hand. Nicht als Kämpferin erschien sie mehr, wohl aber als Siegerin: wie man eine Taube oder einen Falken trägt. Die geflügelte Siegesgöttin hielt ihr einen goldfunkelnden Kranz entgegen. Unter des Schildes Hut geborgen ringelte sich die heilige Burgschlange, Sinnbild der edelgebornen, götterbehüteten Urkraft des attischen Landes und Volkes. Auf der Göttin Brust verbreitete sich der Aegispanzer mit dem strahlenden Gorgonenhaupte. Unter der Wölbung des hochragenden Zierats ihres Helmes war eine Sphinx sitzend gebildet, ihr zur Rechten und Linken Greise, als des Tiefsinns Bilder, des Scharfblicks und der Wachsamkeit. Auch sonst noch strebte vielfach bedeutungsvoller Zierat der Göttin Wesen völlig auszudeuten: auf des Schildes äußerer Seite Kampf gegen die wilden Amazonen, auf der Innenseite die trotzigen Giganten, auf dem Rande der Sandalen die wilden Kentauren; und so überall Kampf mit wilden dunklen Gewalten.
Würdig wölbte um die glanzvolle Erscheinung der Göttin sich ihr prächtiges Haus. In doppelter Reihe liefen die schimmernden Säulen, mit Blumenkränzen festlich umwunden, durch die Tempelhalle, in drei Schiffe sich teilend. Bei den Seitenschiffen aber bildete eine zweite Säulenstellung über der ersten ein Obergeschoß, einen offenen Rundgang. In weitem Viereck durchbrochen war die Mitte der auf jener oberen Säulenstellung aufruhenden flachen Bedachung, so daß das Licht in den sonst fensterlosen Tempelraum und auf das Götterbild von oben herabfiel. Wundersam angemessen war diese von oben hereinströmende Helle des Aethers der Würde und göttlich durchschauerten Stille des Tempels: entlastet ward durch den Ausblick zu dieser lichtumströmten Oeffnung und dem blauen Himmel darüber das Gemüt von dem überwältigenden Eindrucke des glanz- und machtvollen Bildwerks. Die Falken und die Adler, das Flammengespann des Helios und die Wetterwolken des Zeus zogen darüber hin, und im wechselnden Spiele der Lichter und Schatten, bald von goldig-warmem Glanze, bald von weißem, kühlem Silberlicht umflossen, bald in halbe Dämmerung getaucht, schien das Antlitz der Göttin wie mit veränderten Zügen, wie mit wechselnden Mienen ernster oder milder herabzublicken von seiner Höhe. In der edlen Herrlichkeit des Tempelraumes war nichts, was das Auge von der Göttin abgelenkt hätte; alles leitete zu ihr hin, selbst die Reihe der schön geformten, glänzenden Weihegeschenke zwischen den Säulen. Nichts war da vorhanden von jener zerstreuten und zerstreuenden Pracht, mit welcher andere Zeiten, andere Völker die Häuser ihrer Götter zu schmücken trachteten. Einsam stand in der glanzumfloßnen, geheimnisvoll-stillen Marmorhalle das riesige, erhaben-schöne Götterbild. –
Nachdem so das neue Festhaus der Athene von dem Volke der Athener mit begeisterungsvollen Gesängen, begleitet von Flöten- und Saitenschall, der Göttin dargeboten und geweiht, und die reichen Weihegeschenke zu ihren Füßen niedergelegt waren, begann die Verteilung der Preise an die Sieger in den panathenäischen Kampfspielen. Aufgerufen wurden von den Preisrichtern die Sieger, und da zuerst den siegreichen Knaben, dann den Jünglingen, zuletzt den Männern die Preise zugeteilt und übergeben wurden, so fügte es sich, daß der vierzehnjährige Sohn des Kleinias, Alkibiades, als Sieger unter den Knaben der erste war, der in dem neueröffneten panathenäischen Festhause aufgerufen wurde und den Preis empfing aus den Händen der Richter. Der stolz und fröhlich blickende Knabe empfing eine prächtig geformte Amphora, in leuchtenden Farben geschmückt mit einer Darstellung des jungen, schlangenerwürgenden Herakles. Gefüllt aber war das herrliche Gefäß mit Oel von den heiligen Oelbäumen der Pallas Athene im Garten der Akademie. Aehnliche Ehrengaben empfingen die Sieger in den übrigen Agonen; denjenigen aber, welche aus den musischen Wettkämpfen als Sieger hervorgegangen, wurden goldene Kränze zuerkannt.
Als so die Verteilung der Preise vollzogen war, ging unter den Augen des Volkes noch die Uebertragung des athenischen Schatzes in das Hinterhaus des Parthenon vor sich. Dies Hinterhaus, welches, von den Säulen des Parthenon mitumschlossen, an das Tempelgemach in der Richtung gegen Westen sich anschloß, war ein ringsum wohlverwahrter, fensterloser Raum, der nur durch eine Lampe erleuchtet werden konnte, und in dessen geheimnisvollem Dämmerlichte der gemünzte und ungemünzte Schatz Athens, daneben noch Kleinode mancher Art, kostbares Schau- und Prunkgerät, auch Urkunden des Staates von besonderer Wichtigkeit fortan hinterlegt blieben unter der Aufsicht der Schatzmeister des athenischen Volkes.
Unter den Scharen der über die Höhe der Akropolis Hinschwärmenden, welche die neu enthüllten Herrlichkeiten des Parthenon bestaunten, befanden sich auch viele, welche aus der Fremde gekommen.
Darunter ein Mann aus Sparta.
Als dieser sich anschickte, die neue Tempelhalle zu betreten, wurde er von einem athenischen Jüngling, der ihn schon einige Zeit mit Blicken und Schritten verfolgt hatte, bei der Schulter gefaßt und mit den Worten angesprochen:
»Hinweg von dieser Schwelle! Doriern ist es versagt, hier einzutreten!«
In der Tat verbot ein alter Wahrspruch Männern dorischen Stammes den Eintritt in die Heiligtümer der Burg zu Athen. Und wenigstens den ausgesprochenen Gegnern Athens gegenüber erinnerte man zuweilen sich dieses Wahrspruchs. Als nun eine große Menge Volkes sich um den Sparter versammelt hatte, und der Jüngling Aeußerungen der Mißgunst wiederholte, welche er aus dem Munde desselben zuvor vernommen, so ergriff alles Partei gegen den Fremden, und er wurde gezwungen, die Burg zu verlassen.
So loderte, wenn auch nur blitzartig, für einen flüchtigen Moment, selbst bei dem friedlichen Feste die Gegnerschaft, welche die beiden großen Hellenenstämme uralt entzweite, bedeutungsvoll empor ...
Aber es gab auch einen Athener auf der Akropolis, welcher in das Festgedränge, das den neuen Parthenon umwogte, mit Blicken des Grolles und der Mißgunst sah. Dieser Athener war der Erechtheuspriester Diopeithes.
Zwar war nach altem, unumstößlichem Brauche der Peplos ins Erechtheion getragen, dem Holzbilde der Athene Polias dargebracht worden. Aber flüchtig und kühl war dies geschehen, und dem neuerbauten Tempel, dem priesterlosen Festhause der Pallas Athene, hatte das gesamte Athenervolk sich zugewendet. Nicht dem aus Himmelshöhen herabgesendeten Palladion der Stadt Athen, nicht der Göttin seines Heiligtums, sondern dem eitlen Prunkbilde des Pheidias hatten die Athener gehuldigt. Zu den Füßen dieser neuen Athene, nicht in seinem Tempel waren die kostbaren Weihegeschenke niedergelegt worden. Die Götter des Erechtheions zürnten, und ihre Priester mit ihnen ...
Wie an jenem Tage, da Perikles und die verkleidete Aspasia im Geleite des Sophokles auf der Höhe der Akropolis wandelten und den Grund legen sahen von dem, was jetzt vollendet ragte, stand auch nun Diopeithes im Gespräche mit einem seiner Vertrauten an der Pforte des Erechtheions. Und siehe, wie damals, als er mit Lampon in grollenden Worten von der Verderbnis der Zeiten sprach, sah er auch jetzt plötzlich den ihm verhaßten Mann mit eben jener Aspasia über die Höhe des Berges hinwandeln, im Geleite des Pheidias, des Iktinos, des Kallikrates, des Sophokles, des Sokrates und anderer jener erlesenen athenischen Männer, welche mit Pheidias den homerischen Spruch: »Nie läßt mich zittern Pallas Athene!« auf ihre Fahne geschrieben.
Als nämlich die Stunde des großen Festschmauses herangekommen war, bei welchem das Fleisch von hundert Rindern der Hekatombe und die Fleischreste der Voropfer dem Volke zum gemeinsamen Mahle dargeboten wurden, beträuft von reichlicher Spende des Dionysos, wandelte jene erlesene Schar auf der stiller gewordenen Akropolis umher, ungestört das Neuvollendete zu betrachten.
Das Antlitz des Pheidias war heute nicht ernst in sich versenkt wie sonst, ein heiterer Glanz umschwebte seine Stirn.
Hoch erfreut sprach Perikles davon, wie er, nachdem er den Beginn und das allmähliche Wachsen aller dieser Werke verfolgt, nun doch nach einjähriger Abwesenheit von Athen die volle Ueberraschung durch ein Fertiges habe, dessen vollendete Herrlichkeit er nicht vorausgeahnt. Und wieder rühmte er, wie so Vieles und Herrliches in einer kurzen Reihe von Jahren vollendet worden, hervorgegangen gleichsam aus einem einzigen Haupte.
Pheidias aber sagte, nicht durch das eine Haupt, sondern durch die tausend kunstfertigen Hände, welche jenem Haupte dienten, sei das Wunder geschehen. Aber nicht sowohl einem einzigen Haupte hätten sie gedient, als einem Geiste, der in schönstem Einklang alle beseelte.
Während so die Männer in freudig gehobener Stimmung den Reiz des Neugeschaffenen wie mit trunkenen Augen in sich sogen und ihrem Empfinden Worte liehen, sah man Aspasia zwar aufmerksam, leuchtenden Auges, ja mit geröteten Wangen, aber schweigend die Werke des Pheidias, des Iktinos und ihrer Helfer betrachten.
Ihr Schweigen befremdete selbst den Pheidias, den schweigsamsten unter den Männern, und er sprach zuletzt mit jener Art von ernstem Lächeln, die ihm eigen war, sich zu Aspasia wendend:
»Wenn die Erinnerung mich nicht täuscht, so ist es seit langer Zeit die schöne Milesierin, welche zu Athen von vielen als die höchste Richterin betrachtet wird in allen die Künste betreffenden Dingen. Auch hat sie, so viel ich mich erinnere, niemals sich zurückhaltend gezeigt mit ihren Urteilssprüchen. Wie kommt es, daß sie, ein Weib, uns Männer heute durch Schweigsamkeit beschämt?«
Alle blickten gespannt auf Aspasia und machten sich stillschweigend zu Teilnehmern der Frage des Pheidias.
»Mit Recht«, sagte Aspasia, »erinnerst du daran, daß ich ein Weib bin, o Pheidias! Als ein solches bin ich nicht immer so rasch gefaßt wie ihr Männer, und in meinen Gedanken ist weniger strenge Folge und Ordnung als in den eurigen. Beweglich ist des Weibes Gemüt, und ihr möget zusehen, ob ihr nicht zu viel gewagt, daß ihr mir, als einem Weibe, der einzigen meines Geschlechtes, wie es scheint, das Recht, frei zu denken, frei zu reden, eingeräumt. Hier steht der neue Wunderbau, groß wie ein Berg und schön wie eine Blume, und welche Fülle des Vollendeten ist mit ihm zugleich vor unseren Blicken ausgebreitet und enthüllt! Das alles ist so anmutig in seiner Würde, so mannigfaltig in seiner edlen Einfachheit, so bewegt in seiner Ruhe, so gereift in seiner Jugendfrische, so tiefsinnig in seiner Natürlichkeit, so heiter in seinem Ernst, so menschlich in seiner Göttlichkeit, daß jedes männliche Gemüt nur in einen Zustand höchster Befriedigung und völliger Wunschlosigkeit dadurch versetzt werden kann. Der Weiber Art aber ist es, wie der Kinder, daß, wenn sie mit einer Hand Erwünschtes in Empfang nehmen, sie die andere schon nach anderem ausstrecken, und ein drittes vielleicht mit den Augen verfolgen. Wär' ich ein Mann, so würde ich in diesem Augenblicke mich begnügen, den Pheidias begeistert als den ersten, als den größten aller Hellenen zu preisen. Als Weib aber habe ich einen Wunsch übrig, ja sogar eine Anklage wider ihn auszusprechen. Fürchtest du nicht den Zorn der goldenen Aphrodite, o Pheidias? Du scheinst mir immer nur das Hohe, das Reine, das Göttliche zu suchen, um es in der Menschengestalt zu verkörpern; und wäre das Göttliche nicht zufällig immer auch schön, so würdest du, glaube ich, dich um das Schöne nicht kümmern. Denn niemals suchst du es, und was die Sinne reizt, das Herz entflammt, in deiner Seele hat es keinen Widerhall. Den Reiz der Weiblichkeit um seiner selbst willen darzustellen, wie Dichter es begeistert tun, wenn sie von der Aphrodite singen, verschmähst du. In einen heiligen Ernst ist stets dein Sinn getaucht, und deine Seele schwebt, Adlern gleich, nur über den Gipfeln. O Eros, hast du keinen Pfeil für diesen? Warum, o kyprische Göttin, schlägst du diesen nicht in deine goldenen Fesseln, damit er deinem Reiz seinen Meißel weihe, und damit durch ihn endlich auch dein innerstes Wesen so offenbar werde, wie durch ihn seiner Göttin Pallas Athene tiefstes Wesen offenbar geworden ist in diesen Gebilden?«
»In der Tat«, sagte Pheidias, »ich habe bisher gegen des Eros Pfeile und der Aphrodite Fesseln Schutz gefunden unter dem Schilde der Pallas Athene, und ihr verdanke ich's wohl, daß meine Kunst nicht weibisch geworden. Klage übrigens die Lemnier an, o Aspasia, wenn ich auch jetzt, nachdem ich eben das Bild der jungfräulichen Göttin für den Parthenon vollendet, meine Kunst nicht der goldenen Aphrodite zuwende. Denn nicht eine Aphrodite ist's, was die Lemnier von mir verlangen, sondern ein Erzbild eben wieder jener Pallas Athene für sie zu fertigen, dringen sie seit langer Zeit in mich.«
»Was du da sagst«, versetzte Aspasia nach einer kleinen nachdenklichen Pause, »erfüllt mich mit größeren Hoffnungen als du denkst! Ich vernahm heute, wie Perikles zum Volke sprach, darauf hindeutend, daß man vom unscheinbaren, formlosen Holzbilde fortgeschritten zur gewaltigen Vorkämpferin, von dieser zur Jungfrau des Parthenon. Wer möchte nun nicht glauben, daß auch die Pallas der Lemnier wieder hinausschreiten werde über die Jungfrau des Parthenon? Wer möchte zweifeln, o Pheidias, daß, je mehr du schaffst, um so wärmer, um so leuchtender unter deinem Zauberstab die Feuerwelle des Lebens und der Schönheit aus dem Marmor oder dem Erze hervorbrechen werde? Nachdem du das vorkämpfende Mannweib gebildet und die tiefsinnige Jungfrau, was bleibt dir übrig als das Weib?«
»Ob ich vorwärts schreite«, sagte Pheidias, »ob ich seitab schweife, wenn ich auf die Einflüsterungen eines schönen Weibes höre, ich weiß es nicht. Aber was du verlangst, scheint auf meinem Wege zu liegen.«
»Du, dessen Auge kein Hellenenweib seinen Reiz versagen würde«, fuhr jetzt Aspasia fort, »stelle das Weib dar und seinen Reiz, und verkünde als Höchstes und Letztes dem Griechenvolke: Nur im Gewande der Schönheit wird die Weisheit alle Herzen erobern!«
So unterredete sich Aspasia mit Pheidias. Perikles aber begann jetzt mit Iktinos und Pheidias den Plan der großartigen Vorhallen zu erörtern, welche die Krönung des Burgberges auf seiner abendlichen Seite vollenden sollten, und welche nach den Gedanken dieser Männer nicht minder erhaben und prächtig werden sollten, als der Parthenon selber. Immer von neuem aber kehrte man betrachtend und freudig genießend zurück zu dem Fertigen, zu den Bildwerken, zu den herrlichen Weihegeschenken. Hervorgehoben wurden in den Giebelfeldern und Friesen die Werke des einen oder des andern der Schüler des Pheidias: hier wurde Alkamenes gepriesen, dort Agorakritos, und so jeder von den unzähligen Bildnern, welche mit feurigem Eifer hier ihre Kräfte vereinigt hatten.
Jetzt aber geleitete Pheidias den Perikles und alle, welche um ihn waren, zu dem Werke des grübelnden Sohnes des Sophroniskos, zu der Gruppe der Charitinnen, welche der Wahrheitsucher als Weihegeschenk für die Akropolis zu fertigen unternommen.
In Marmor gebildet erblickten sie die drei Jungfrauen sich umschlingend, ähnlich einander und doch wieder von verschiedenem Wesen. Reizend war die eine, edel und streng die andere, sinnend die dritte gebildet.
Als die Betrachter über diese Verschiedenheit sich verwunderten, sagte der Bildner des Werkes mit einem Ausdrucke leiser Betrübnis in seinem Angesicht:
»Ich glaubte, daß ihr diese Verschiedenheit nicht anstaunen, sondern völlig natürlich finden würdet. Warum sollte man eine Dreizahl der Charitinnen annehmen, wenn sie alle drei nur ganz dasselbe sind und bedeuten? Ich machte mich daran, dem tiefen Sinn dieser Dreizahl nachzuspüren, und ich zweifelte nicht, daß drei verschiedene Eigenschaften sich in dem Wesen der Charis vereinigen müßten. Aber es gelang mir nicht, zu erfahren, welches die drei verschiedenen Bestandteile der Charis wären, bis Alkamenes uns zur schönen Theodota führte. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen, als die Korintherin nach einander die Aphrodite, die Hera und die Pallas tanzte. Was ist das Wesen der Aphrodite anders als das leiblich Schöne? was das Wesen der Hera anders als das seelisch Schöne, oder das Gute, das Sittliche? und was das Wesen der Pallas anders als das geistig Schöne, oder das Wahre? und so erfuhr ich denn, daß Leib und Seele und Geist zusammenwirken müssen zum vollendeten Wesen der Charis ...
Das war es, was ich damals von Theodota erfahren, und was ich verschwieg, als ihr danach fragtet, denn es drängte mich, nicht in Worten, sondern im Bilde, wie Pheidias, das geistig erfaßte lebendig auszudrücken. Aber es ist mir nicht gelungen. Denn wäre es mir gelungen, so hätte es dieser meiner Worte nicht bedurft. Ich habe mich mit dem Marmor bemüht und mußte nun doch zu den Worten greifen. Du aber, o Aspasia, bedarfst der Worte nicht, um mir dein Urteil auszudrücken; denn ich lese es in deinen Mienen!«
»Und was liesest du da?« fragte Aspasia.
»Du sagst mir: kehre zurück, du Grübler, von den Bildern und lebendigen Formen zu den Gedanken und Begriffen und Worten! – Ich will es tun! Ich will von diesem Tage an den Meißel aus der Hand legen, oder vielmehr ihn selbst, statt eines Werkes von meiner Hand, der weisen Göttin darbringen als Weihegeschenk. Und dies Gebilde meiner schlechten Kunst will ich zerschlagen, zufrieden, wenn der Gedanke lebt, der es geschaffen, und wenn er, statt in totem Marmor, verkörpert wird im Geist und Sinn und Leben der Athener!« –
»Bringe du immerhin, o Sokrates«, sagte Perikles, »deinen Meißel der Göttin dar als Weihegeschenk, um künftig das allein zu betreiben, was deine wahre Sendung ist, und was kein anderer so vermag wie du. Aber dies Weihegeschenk soll unzertrümmert bleiben; denn wenn auch weniger mit Künstlerhänden, als mit dem Geiste des Weisen gebildet, stellt diese Gruppe des Hellenengeistes schönste Bestimmung vor Augen: Leib, Gemüt und Geist vereinigt und verklärt zur schönsten Blüte der Charis! Eindringlicher kann unser aller bisheriges treues Bestreben nicht ausgesprochen, würdiger nicht angespornt werden zu neuem Schwunge des Schaffens und der Tatkraft! Hier vor diesem Bildwerk ist der Ort, uns die Hand zu reichen zur Erneuerung des Bundes, der uns alle vereinigt hat. Hier auch ist, wie mich dünkt, der Ort, hier vor dem Bilde der Charitinnen, unserer edlen Aspasia zu danken für das, was sie im Vereine mit uns gefördert, nicht sowohl mit Worten spornend, als durch ihres Wesens Ausstrahlung unmittelbar befeuernd. – Denn ihr Wesen fällt, ihr wißt es alle wohl, in die Gemüter wie ein Lichtstrahl und entzündet immer Neues und Schönes. Gestalte nach ihrem Bilde deine neueste Pallas, o Pheidias! denn sie sagt es dir nicht bloß, sie hat es an dir und an uns allen mit der Tat erprobt, daß die Weisheit unüberwindlich ist im Gewande der Schönheit!« –
»Flüchtig ist sonst«, fuhr Perikles fort, »die Spur des Schönen: es kommt und geht, wie der Strahl des Gestirns, wie die befruchtende Regenwolke. Aber die schöne Huld, welche Aspasias Wesen von sich ausstrahlt, wird uns wie ein wohlverwahrter Schatz erhalten bleiben. Nicht mehr eine Fremde seht ihr vor euch, nach welcher man ungestraft zielen darf mit gehässigen Pfeilen, oder die man beschimpfen darf mit entehrenden Namen. Sie ist von diesem Tage an meine angetraute Gemahlin. Friedlich gelöst ist der Ehebund, der mich mit Telesippe vereinte. An ihrer Statt waltet fortan Aspasia als Herrin an meines Hauses Herd. Ich weiß, daß der Athener mit scheelen Augen den Mitbürger betrachtet, der ein ausländisch Weib als angetraute Gattin einführt in sein Haus. Ich weiß, daß unser heimisches Gesetz den Sprossen aus solcher Ehe sogar das athenische Bürgerrecht verweigert. Dennoch habe ich Aspasia zum Weibe genommen. Aber ein Bund von neuer Art ist's, den ich mit ihr schließe, eine neue Gestalt der Ehe schwebt uns beiden vor, wie sie bisher, ich weiß nicht ob durch die Schuld der Männer oder der Frauen, niemals noch verwirklicht worden. Vielen Wandel hat unser Gemeinwesen in neuer Zeit erfahren: wenn aber das allgemeine Leben sich erneuert, warum sollte nicht auch das bürgerliche, das häusliche trachten dürfen nach einer Wiedergeburt? Mir und diesem Weibe wird der heutige Tag, der das athenische Leben auf einem glänzenden Gipfel zeigt, zugleich zu einem Wendepunkt und Hochfeste unseres persönlichen Schicksals. Athen und ganz Hellas strebt unter neuen Sternen neuen Zielen entgegen: wir beide tun das gleiche im enggeschlossenen Kreise des inneren Lebens. Hier wie dort ist der treibende Geist und Sinn und Gedanke derselbe. Und hier wie dort, meine ich, wird das Gleiche sich in gleicher Weise bewähren!«
Bevor von den Freunden einer der Bewegung, welche diese Worte des Perikles in allen hervorriefen, Ausdruck geben konnte, ergriff Aspasia die Hand des neuen Gemahls und sprach:
»Es verhält sich, wie du sagst, o Perikles, daß ich mir keine Gewalt des Wortes, noch der bewußten Weisheit anmaße. Wenn ich im Bunde mit euch etwas gefördert, so war die Wirkung, die von mir ausging, die der Weiblichkeit allein, welcher es zum erstenmal vergönnt war, sich ohne die Fesseln des Geschlechtes frei und rückhaltlos wirkend zu äußern. Bin ich eine Sendbotin, so bin ich die der Weiblichkeit. Vielleicht muß aus der Weiblichkeit die Welt, die bisher in die Bande der rauhen Männlichkeit geschlagen war, wiedergeboren werden, um jeden Rest von Barbarei der Urzeit abzustreifen. Und als ein Weib ionischen Stammes bin ich, wollend oder nicht, des ionischen Wesens Vorkämpferin gegen den ernsten, strengen Geist des Dorer-Stammes, der die schönste Blüte des hellenischen Lebens ersticken würde, wenn er zum Siege gelangte. Wehe den schönen Göttern von Hellas, wenn er jemals in der Welt die Oberhand erhält! – Bin ich in der Tat berufen und vermögend, für eine Sache zu wirken und zu kämpfen, und habe ich mich, wie ihr von mir sagt, als Fürsprecherin des Schönen und des Weiblichen erwiesen bei den Meistern der Bildkunst, so möchte ich fortan, auch nach anderen Seiten des Lebens mich erprobend, offenen Krieg erklären jedem Vorurteil, jedem sinnlos gewordenen Herkommen, jeder beschränkten oder verdüsterten Anschauung, jeder menschen-unwürdigen Denkart. Ich werde mich, nach Bundesgenossen strebend, an die Genossinnen meines Geschlechtes wenden. Sie werden mich anhören, denn ich bin die Gattin des Perikles!« –
So sprach Aspasia. Die Freunde vernahmen ihre Worte gedankenvoll und mit herzlichem Anteil.
Auch der Erechtheuspriester Diopeithes vernahm sie, im Halbdunkel hinter den Säulen verborgen. Seine Lippen zuckten höhnisch. Ein feuriger Blick des Hasses traf die Milesierin.
In begeisterten Worten begannen nun die Freunde ihren freudigen Anteil auszusprechen und das Vorhaben des edlen Paares zu preisen.
Nur Sokrates schwieg noch, wie er es oft aus Bescheidenheit tat, wenn er in einem Kreise ausgezeichneter Männer sich befand.
Da fragte Perikles den Nachdenklichen freundlich lächelnd:
»Was denkt unser Weisheitsfreund von dem Bunde, der hier angesichts seiner Charitinnen geschlossen wurde?«
»Mir ist nur dies eine klar«, erwiderte der Sohn des Sophroniskos, »daß unser Athen die gepriesenste sein wird unter den Städten der menschenbewohnten Erde. Alles andere ist mir unbekannt und in Dunkel gehüllt. Aber wir wollen das beste in allem hoffen von der Gunst des waltenden Vaters Zeus und seiner herrlichen Tochter Pallas Athene.«