Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
enn man im Frühlingsmond Elaphebolion des vierten Jahres der vierundachtzigsten Olympiade am Hause des reichen Hipponikos zu Athen vorüberging, so hörte man Flötengetön und im Chore sich übende Männerstimmen, welche aus dem Innern des Hauses bis auf die Straße herausdrangen.
Aehnliches Flötengetön mit eifrig sich einübenden Chören hörte man, wenn man am Hause des reichen Pyrilampes, und am Hause des reichen Midias, und am Hause des reichen Aristokles, und an den Häusern anderer reicher Athener vorüberging. Es schien fast, als sollte der Schlag des Meißels zu Athen wieder einmal übertönt werden vom Klange der Flöten und der Saiten und den Stimmen kunstbegabter, mit Dichterworten befeuerter Kehlen. Denn das Fest der Dionysien war wiedergekehrt, und mit ihm die Zeit, in welcher das öffentliche Interesse zu Athen sich um die bei dieser Gelegenheit statthabenden dramatischen Aufführungen im Theater des Dionysos drehte.
Die Stücke waren, dem Brauche gemäß, bei dem zweiten Archonten von den Dichtern eingereicht worden. Dieser hatte nach dem Urteil kunstverständiger Männer diejenigen ausgewählt, welche zur Aufführung gelangen sollten; die Schauspieler, welche in diesen Stücken auftreten sollten, waren auf öffentliche Kosten angeworben worden, und jene reichen athenischen Bürger, welche diesmal die Reihe traf, die Staatsleistung der ›Choregie‹ zu bestreiten, das ist, die Chöre für die aufzuführenden Stücke anzuwerben, zu beköstigen und einüben zu lassen, waren angewiesen worden, ihres Amtes zu walten. Der reiche Hipponikos hatte den Chor zu stellen für die Antigone des Sophokles, der reiche Pyrilampes für eine Tragödie des Euripides, der reiche Midias für eine Tragödie des Ion, der reiche Aristokles für eine Komödie des Matinos, und so andere für anderes, wie es herkömmlich geworden war zu Athen, hatte sich fast ein leidenschaftlicher Wetteifer zwischen den verschiedenen Choregen entsponnen, und sie suchten mit dem ganzen Ehrgeiz, der dem Athener eigen war, sich in sorgsamer, kunstsinniger und prächtiger Ausstattung der von ihnen übernommenen Chore zu überbieten, winkte dem Sieger doch ein Kranz, kaum weniger beneidet als die Kränze von Olympia und Pytho.
Stimmenschall und Flötengetön drang eben wieder kräftig aus dem Hause des Hipponikos, als ein Mann von sehr geschmeidiger Gestalt leicht beweglichen Schrittes die Straße herunterkam. Er schien ein Fremder zu sein, denn er hatte einen Maultiertreiber hinter sich, dessen Tier mit einem Reisebündel belastet war. Er ließ seine Blicke in der Gasse umherschweifen, wie einer, der nach einem bestimmten Hause späht. Plötzlich klangen jene Stimmen und jenes Getön aus dem Hause des Hipponikos an sein Ohr. Er horchte ein wenig, lächelte dann zufrieden und sagte zu dem Sklaven:
»Wir brauchen niemand zu fragen. Dies hier, und kein anderes, ist das Haus des Hipponikos.«
Mit raschen Schritten näherte er sich dem Hause und machte Miene, an die Türe zu klopfen.
In diesem Augenblick aber kam ein Mann von der entgegengesetzten Richtung die Straße herauf, und gerade vor dem Hause des Hipponikos stieß er mit dem Fremden zusammen.
Bei dem Anblicke dieses Mannes zeigte sich der Fremde aufs angenehmste überrascht, und während jener lächelnd auf ihn zuschritt, bog er das Haupt etwas zurück, legte seine linke Hand auf die Brust, erhob die rechte und sprach in getragenem Tone, als ob sein Fuß im Kothurn steckte, mit klangvoller Stimme die Worte:
»Wenn nicht irret mein Geist,
Ahnend zu sehn, und wenn nicht
Helle Vernunft mir fehlt« ...
so geben ein heilverkündendes Zeichen die Götter, indem sie mich gerade hier an des Hipponikos Schwelle zusammenführen mit meinem edlen Freunde, dem tragischen Meister Sophokles«...
Damit reichte er die Hand dem Dichter, der sie faßte und herzlich drückte.
»Willkommen, trefflicher Polos!« rief er. »Willkommen zu Athen! Hast inzwischen weitum in den Städten von Hellas die Menschen bezaubert mit deiner Stimme Klang auf dem hohen Kothurnos, hast neuen Ruhm geerntet und klingenden Lohn dazu!« »Es ist so«, versetzte Polos. »Man hat Ehre mir erwiesen hier und dort, wo man meiner eben bedurfte bei den Festen in den Städten von Hellas. Aber immer klang es doch in meinem Geiste nach:
»Hin möcht' ich,
Wo dichtwaldig das Vorgebirg
Anragt in die Brandung, hin
Zur Hocheb'ne von Sunion,
Daß ich Athenes heilige Stadt
Könnte begrüßen« –
und als mich nun zu Halikarnassos die Botschaft eures Archonten traf, die mich für die Lenäen wieder nach Athen berief, und jeden Lohn versprach, den ich verlangen würde, und als ich überdies vernahm, daß auf deinen Wunsch die erste Rolle in deinem neuen tragischen Werke mir zugedacht sei, da trug es mich wie mit Flügeln über das Inselmeer, denn nirgend schnüre ich den Kothurn doch lieber an meine Füße als zu Athen, und keinem Poeten diene ich lieber mit meiner Kunst, als dem herrlichen Freunde und Meister Sophokles!«
Wieder drückte der Dichter dem Schauspieler herzlich die Hand.
»So bist auch mir du stets der Erwünschteste!« sagte er.
»Drinnen im Hause des Hipponikos«, fuhr er fort, »triffst du die Choreuten und den Chormeister und vielleicht auch schon deine beiden Mitschauspieler, den Demetrios und den Kallipides, beisammen. Hipponikos lud dich für diese Stunde in sein Haus, damit wir uns alle da zusammenfinden, die Rollen verteilen und alles vorbereiten, was nötig, um unserer Tragödie den Sieg zu verschaffen. So laß uns denn hineingehen; Hipponikos erwartet dich mit Ungeduld.«
Die beiden Männer klopften an die Pforte und wurden eingelassen. Hipponikos empfing den Polos mit großer Freude und lud ihn sogleich ein, für die Zeit, während welcher er zu Athen weilen würde, seines Hauses Gast zu sein.
»Willst du«, erwiderte Polos, »zu allen anderen Mühen und Lasten, die du in diesem Augenblicke hast, dich auch noch mit dieser beladen?«
»Diese neue Belastung«, sagte Hipponikos, »wenn es eine solche wäre, würde ich der Rede nicht wert achten. Aber du hattest nicht unrecht, wenn du sagtest, daß ich der Mühen und Lasten nicht wenig zu tragen habe, seit ich die Choregie der »Antigone« vom Archonten zugeteilt bekam. Da waren die nötigen Sänger und Musiker anzuwerben, und nun habe ich sie alle im Hause, und diese Leute wollen bezahlt und beköstigt sein, und wie beköstigt! mit Milch und Honigseim und allem Süßen, damit ihre Kehlen nicht rauh werden! Nachtigallen im Bauer könnte man nicht sorgsamer füttern und pflegen, als ich diese Bursche füttere und pflege. Dann sind noch die Prachtgewande beizustellen und der Schmuck für eben diese Choreuten, und ihr wißt, was heutigentags in diesem Punkte die Athener verlangen. Sehen sie nicht vergoldete Kränze und jede Art dionysischen Prunkes aufgewendet, so ist an einen Sieg nicht zu denken. Ich weiß nicht, ob ich diesmal unter einem Aufwande von fünftausend Drachmen davonkomme. Aber ich würde auch das Doppelte aufwenden, wenn es sein müßte, um den Pfauenzüchter Pyrilampes auszustechen, der mit einer Tragödie des Weiberhassers Euripides sich um den Preis bewirbt. Sophokles weiß es bereits, du aber noch nicht, mein lieber Polos, was dieser Mensch bis heute schon getan, um mir den Sieg aus den Händen zu winden. Gleich anfangs suchte er den Archonten zu bestechen, dann war er bestrebt, mir die besten Choreuten abspenstig zu machen. Zuletzt bot er sogar dem Chormeister heimlich Geld an, damit er die Einübung des Chores lässig betreibe. Das alles genügte ihm noch nicht. Als mein Schmuck und die prächtigen Kostüme für den Chor schon angefertigt waren und im Laden des Verfertigers bereit lagen, von einer Pracht, die nicht zu überbieten ist, ging dieser Mensch hin und wollte den, der dieselben angefertigt hatte, zwingen, sie ihm zu verkaufen. Als dieser nicht wollte, ließ er ihn von seinen Sklaven durchprügeln und drohte, ihm nächtlicherweile das Haus mit allem, was darin, über dem Kopfe in Brand zu stecken. So treibt es dieser Wicht Pyrilampes!« –
»Getrost, getrost, du Teurer!«
hub Polos mit Pathos an,
»Noch ist im Himmel Zeus
Und siehet alles und herrscht gewaltig.
Ihm stell' es anheim, dein bitt'res Grollen,
Und nicht hasse zu sehr, noch vergiß du sie,
denen du zürnest!« –
»Im übrigen«, fuhr Polos in weniger hochgestimmtem Tone fort, »kenne ich diesen Mann und seine Ränke selbst, o Hipponikos! Du meinst, mich über ihn belehren zu können; aber ich selbst kann dir erzählen, was du nicht weißt, welche Mittel er ins Werk setzte, um mich der Tragödie des Sophokles abspenstig zu machen. Aus dem eigenen Säckel versprach er eine große Summe dem öffentlichen Ehrensolde beizulegen, wenn ich in der Tragödie des Euripides auftreten wollte. Ich aber – wie Philoktetes stand ich da, als der schlaue Odysseus ihn und seinen siegreichen Bogen nach Ilion entführen wollte:
»Nimmer und nimmer, o wisset es sicherlich,
Nicht, wenn mich der glühende Donnerkeil
Flammensprühend wollte verbrennen!« –
»Ich danke den Göttern, Polos«, sagte Hipponikos, »daß ein Mann wie du so treu zu uns hält; denn ein Chor mag noch so trefflich sein, wenn die vom Staate beigegebenen Schauspieler nichts taugen, so pfeifen und zischen die Athener.«
»Und ich danke den Göttern«, sagte Polos, »daß du es bist, Hipponikos, welcher den Chor des Sophokles ausstattet; denn wenn auch die Schauspieler trefflich sind, der Chor aber nicht über die Maßen glänzend, so trommeln die Athener mit den Händen und mit den Füßen!« –
Nun traten ein paar neue Ankömmlinge ins Haus. Es waren die Schauspieler Demetrios und Kallipides. Sie wurden von Hipponikos freundlich empfangen und wechselten auch Begrüßungen mit Polos, mit welchem sie sich schon so manches Mal auf der Bühne, namentlich in den Tragödien des Sophokles, zusammengefunden.
»Ich sehe nun alles«, sagte Hipponikos, »was für den Sieg der »Antigone« zusammenwirken soll, in meinem Hause versammelt.«
»Die Einübung der Chöre«, sagte Sophokles zu den Schauspielern, »hat längst begonnen; wir harrten eurer mit Ungeduld. Nun seid ihr da, und wir wollen nicht säumen. Zur Verteilung der Rollen zu schreiten. Da ist vor allem Antigone selbst: sie fällt dem Inhaber der ersten Rolle zu.« Dabei wendete er sich gegen Polos, den »Protagonisten«. Dieser, so wie seine Genossen, nahm die Sache schweigend hin, als etwas, das sich von selbst verstehe.
Sophokles aber unterbrach sich selbst mit der Frage an Polos: »Hast du von der schönen Milesierin Aspasia gehört?«
Und als dieser bejahte, fuhr er fort: »Wenn wir auf diese Milesierin hören wollten, lieber Polos, so müßte ich den Archonten bitten, mir ein Weib für die Rolle der Antigone zuzuweisen. Ich hatte mit ihr ein hitziges Wortgefecht zu bestehen, in welchem sie unsern Brauch, die Frauenrollen von Männern spielen zu lassen, tadelte und sagte, man müsse den Frauen erlauben, die Bühne Zu betreten. Vergebens berief ich mich auf die Masken, welche das Antlitz verdecken, und auf den ungeheuren Raum des Theaters.«
Polos lachte verachtungsvoll. »Wie?« rief er dann mit Entrüstung, wenn ich als Elektra hervortrat und anhub:
»O heiliges Licht,
Und du erdumwogender Aether« –
vermißte da irgendwer das Weib in mir, in meiner Haltung, in meiner Stimme, die aus den Lippen der trauervollen Maske hervorquoll?«
»Niemand! niemand!« riefen alle.
»Und wenn ich die Urne mit der vermeintlichen Asche des Bruders leidvoll umfaßte«, fuhr der erregte Polos fort:
»Denkmal des teuersten der Menschen, übrig mir
Du von Orestes' Leben« –
»Das ganze Theater war gerührt, erschüttert, in Trauer aufgelöst!« rief Sophokles, und die übrigen stimmten bei.
»Man hörte niemals auf der Bühne«, fuhr Sophokles fort, »eine Stimme, die rührender, nie eine, die weiblicher klang als die deine!«
»Hoffentlich willst du damit nicht behaupten«, erwiderte Polos, »daß meine Stimme überhaupt einen weiblichen Charakter habe? Ich denke, du erinnerst dich noch meines Ajas:
»Ha, wehe mir, daß ich sie ließ,
Die Bösewichte, aus der Hand,
Und dafür die gehörnten Stiere
Und die laute Geißherde befiel.
Das schwarze Blut vergießend« –
Die Stimme des Polos erschien beim Vortrag dieser Worte völlig verändert. »Das ist die tiefste, gewaltigste aller Heldenstimmen!« riefen die Hörer begeistert.
»Wie? und mein Philoktetes?« fuhr Polos fort; »mein Schmerzensausruf, wenn das alte Schlangengift in mir aufkochte – mein »Ai! ai! ai! ai! weh mir, es kommt – es kommt« –
Und wieder riefen alle: »Welche Leidensstimme! Welcher Naturlaut des Gramvollen, Siechen, Gebrochenen!«
»Nun wohl!« rief Polos; »wenn ich aber dann am Schlusse der Tragödie anhub:
»Wohlan, nun scheid' ich und grüße das Land!
Ihr Quellen und du, süßlabender Trank« –
»Es war ein herrlicher Augenblick«, sagte Hipponikos zustimmend; »aber das schönste, was ich von dir gesehen und gehört, war doch, wie du als Ajas auf der Bühne standest und jenes wundervolle Selbstgespräch hieltest« ...
»Du meinst«, sagte Polos »wie ich in der einsamen Schlucht vor dem sühnenden Selbstmorde das Schwert mit der Spitze aufwärts in den Boden steckte« ...
»Da steht der Würger, wie er wohl am besten wen
Durchbohrte, wenn zu klügeln wer die Muße hat« –
»Das ist's!« rief Hipponikos, »und wie du dann zuerst den Zeus anriefst, und dann die Erinnyen-Jungfrauen, und dann den Helios« ...
»O Helios«, fiel Polos ein –
»O Helios, wenn mein heimatliches Land du siehst,
So halte du den goldgeschmückten Zügel an,
Und tue mein Verderben kund und meinen Tod« –
»Und wie du so«, fuhr Hipponikos in begeisterter Erinnerung fort, »zu allerletzt noch der Heimaterde gedachtest und des väterlichen Hauses Herd anriefst, und Salamis, und die Stadt des Ruhmes, Athen, und dein verwandtes Athenervolk – da zuckte es flammend auf in den Herzen von zwanzigtausend Athenern! Stolz wogte die Brust eines jeden im Vaterlandsgefühl, und jeder einzelne fühlte sich mitangesprochen vom Scheidegruß des sterbenden Helden! Bis dahin waren sie gerührt gewesen und im stillen erschüttert – jetzt brachen sie los in einen Beifallssturm, der dir galt, und dem Sophokles und dem vaterländischen salaminischen Helden!«
»Mit Recht, o Hipponikos«, sagte jetzt Sophokles, »rühmst du den Polos, aber vergiß nicht, auch die Verdienste des Demetrios und des Kallipides anzuerkennen. Auch sie sind gesucht und geehrt in den Hellenenstädten: auch sie haben mancher meiner Tragödien zum Siege verholfen.« – »Dir, Demetrios«, fuhr er fort, »überlasse ich diesmal den würdigen König Kreon; dem jungen Kallipides die Ismene. Ein paar Nebenpersonen gibt es noch, die zwar nur für einige Augenblicke auf der Bühne erscheinen, die ich aber doch nicht den nächsten besten zur Aushilfe herbeigeholten Stümpern anvertrauen möchte.«
»Her damit!« riefen die Schauspieler; »jeder von uns ist bereit, so viele Personen als man will, wenn sie nicht zu gleicher Zeit auf der Bühne stehen, zu übernehmen. Unter der Maske läßt sich alles spielen.«
»Da ist zunächst der liebende Haimon«, sagte Sophokles; »er tritt erst auf, nachdem Antigone schon zum Tode geführt worden.«
»Dann gib mir den liebenden Haimon!« rief Polos.
»Des blinden Sehers Teiresias muß sich Kallipides annehmen«, fuhr Sophokles fort. »Dann ist da noch ein Wächter und ein Bote. Diese beiden haben lange Erzählungen vorzutragen, Erzählungen aber sollen auf der Bühne immer so trefflich als möglich vorgetragen werden. Nichts ist unangenehmer, als wenn sie durch einen Menschen, der kaum zu reden versteht, herausgestottert werden. Ich habe mich entschlossen, diese beiden kleinen Rollen selbst zu spielen. Habe ich doch auch bei meinen früheren Stücken manches Mal in dieser Weise mit eingegriffen.«
Die Schauspieler klatschten dem Dichter Beifall zu, wie geehrt durch diese Genossenschaft. Hipponikos stimmte ein.
»Zuletzt ist da noch Eurydike, die Gemahlin des Kreon«, sagte Sophokles; »sie erscheint mit wenigen Worten gegen den Schluß der Tragödie.«
»Her da mit der Eurydike!« rief Polos.
»Sie ist weggegeben!« erwiderte Sophokles. »Einer, der noch nie die Bühne betreten, und der ungenannt sein will, wünscht diese Eurydike zu spielen.«
Die Neugierde des Hipponikos und der Schauspieler wurde durch die geheimnisvolle Miene des Dichters nicht wenig aufgestachelt. Dieser aber verweigerte jede weitere Auskunft.
Er händigte sodann den Schauspielern Abschriften der Tragödie ein, gab ihnen noch Winke über die Auffassung und Darstellung ihrer Rollen und ordnete die Gewandung an, in welcher sie erscheinen sollten.
Hierauf stellte ihnen Hipponikos die fünfzehn Choreuten vor, samt dem Chormeister, und lud sie ein, den heutigen Uebungen des Chores beizuwohnen.
Unter Flötenschall begann dieser mit feierlichen Sangweisen und jenem feierlichen Tanzschritt, der dem Gotte galt, weil ja der ausdrucksvolle Tanz um des Gottes Altar des dramatischen Spieles erster Beginn gewesen, jetzt zur Rechten, jetzt zur Linken schreitend, jetzt stillestehend, jetzt auseinandertretend, jetzt sich wieder vereinigend, jetzt rascher, jetzt langsamer sich bewegend, die zahlreichen und herrlichen Hymnen der »Antigone« vorzutragen. Feurigen Mutes gab der Didaskale oder Meister und Lehrer des Chors den Takt mit den Händen, mit den Füßen sogar, und manches Mal, wenn der Eifer ihn überwältigte, mit dem gesamten Leibe. Der Dichter selbst trat häufig hinzu. Seine Sache war es ja gewesen, auch die Sangweisen der Chorlieder zu ersinnen, die tanzartigen Bewegungen des Chores festzustellen. Zuweilen ließ er den Flötenspieler beiseite treten, ergriff ein Saitenspiel und begleitete mit diesem den Chor, um besser den Gesang, sowie die feierlichen Bewegungen desselben leiten zu können.
Wie Sophokles im Hause des Hipponikos, so bemühte sich Euripides im Hause des Pyrilampes, Ion im Hause des Midias, Kratinos im Hause des Aristokles, und andere Dichter in den Häusern anderer Choregen, gleich Feldherren unter den Ihrigen wandelnd, unterweisend, spornend, alle nach dem dionysischen Siegespreise begierig.
Die Häuser der Choregen waren ebenso viele Herde, von welchen aus eine erwartungsvolle Aufregung und eine lebhafte Parteinahme zum voraus über die ganze Stadt sich verbreitete. War am Siege des Choregen doch die engere Stammgenossenschaft, welcher er angehörte, mitbeteiligt und wurde mit ihm als Siegerin ausgerufen. Die in solcher Zeit gewöhnliche Spannung des Athenervolks war diesmal auf einen um so höheren Grad gesteigert worden, da Hipponikos und Pyrilampes die unerhörtesten Anstrengungen machten, sich des Triumphes zu versichern, und da die Feindseligkeiten, welche die beiden Wettkämpfer gegen einander ausübten, und welche jeden Tag in Tätlichkeiten auszuarten drohten, unausgesetzt die Beweglichkeit athenischer Zungen in Anspruch nahmen. Die Angelegenheiten des Staates, die Nachrichten aus den Kolonien, die Geschäfte des Piräus, alles war beiseite gesetzt; und wäre eben irgendwo eine Athenerflotte gegen einen Feind in See gewesen, man würde in diesen Tagen doch weniger von ihr gesprochen haben als von Hipponikos und Pyrilampes.
Aber siehe da, auf der Agora begegnen sich soeben zwei Männer, welche in vertraulichem Tone von ganz anderen Dingen mit einander sprechen, als von Hipponikos und Pyrilampes. Die beiden Männer sind Perikles und Anaxagoras.
»Du bist nachdenklich«, sprach der Weise den Freund an; »trägst du dich mit einem neuen Gedanken, das Staatswesen betreffend, oder liegt ein schönes Weib dir im Sinne?« »Vielleicht beides!« versetzte Perikles. »Wie schön, wenn man das eine davon, die Weiber, entbehren, sich ungeteilt den Staatsgeschäften, oder der Weisheit, oder sonst einer großen, ernsten Sache hinzugeben vermöchte!«
»Man kann die Weiber entbehren – man kann alles entbehren!« sagte mit Nachdruck Anaxagoras und verlor sich in eine Erörterung, um wie viel besser es sei, da man ja doch nichts so eigentlich und wahrhaft und unverlierbar besitzt, auf alles und jedes von vornherein zu verzichten. Perikles hörte den Weisen mild und ruhig an, hatte aber dabei doch nicht das Ansehen eines Mannes, der eines Besseren belehrt und überzeugt worden ist.
»Und wenn du nun einmal«, schloß Anaxagoras seine Rede, »das Weib nicht missen magst, so ist, verstandesmäßig betrachtet, das deine, ich meine Frau Telesippe, so gut wie jedes andere. Sie gebiert dir Kinder, was willst du mehr von ihr?«
»Du kennst sie ja«, versetzte Perikles. »Du weißt, wie sie abergläubisch ist und beschränkten Sinnes und keiner Muse Freundin. Vielleicht ließe sich das ertragen, wenn sie nur auch soviel Sanftmut besäße, als man ihr erweist. Aber dies Weib ist immer voll des Widerspruchs und voll der Vorurteile, und immer verkehrt sie meine wohlmeinendsten Absichten zur Beleidigung. Wenn ich mir früher noch manches Mal herausnahm, ihr ein zierliches Untergewand zum Geschenk zu machen oder sonst etwas Reizendes, was im Hause oder im ehelichen Gemach für mein Auge sie schmücken sollte, so nahm sie dies sehr übel auf und fragte: »Bin ich dir etwa nicht mehr schön genug, daß du solche Dinge bei mir für nötig hältst? Wenn ich dir nicht gefalle, wie ich bin, so will ich dir auch geschmückt nicht gefallen!« Kann man törichter und unweiblicher sprechen? Schmückt nicht selbst das jüngste, schönste Weib sich gerne für den Geliebten, und ist es nicht der natürliche Drang des Liebenden oder des Gatten, das Weib seiner Wahl zu schmücken? In allen Dingen überhaupt, welche den Verkehr der Liebe betreffen, hat sie immer jenen blöden Eigensinn besessen, welcher das blühendste Weib unleidlich macht. Du weißt ferner, daß es mir eigen, die Reinlichkeit bis zur Leidenschaft zu lieben, wieviel der bitteren Worte sind schon zwischen mir und ihr gefallen wegen des Ferkel- und Geflügelpferchs, der nach alter Unsitte unmittelbar neben dem Herde des Hauses steht, und der mir ein Greuel, ihr aber ans Herz gewachsen ist. Das Gefühl des Ekels kennt sie nicht. Bietet sie mir nicht zum Kusse die Lippe dar, besudelt mit dem Schmutze oder dem Geifer, den sie soeben vom Antlitz ihrer Rinder weggeküßt? Denn im Schmutze, ja selbst im Aussatz der Rinder, wenn sie etwa erkrankt sind, mit Fingern und Lippen ohne Not gleichsam zu wühlen, scheint ihr ein natürlicher und notwendiger Erguß der Mutterliebe. Aber soll die Mutter nicht auch Gattin sein? Soll ein richtig denkend und empfindend Weib nicht beide Liebespflichten zu vereinigen und auszugleichen verstehen? Und was frommt die Mutterzärtlichkeit, der angeborne Trieb, den sie mit jedem Affenweibchen teilt, wenn er in der dunklen Naturtiefe beschlossen bleibt, wenn er nicht gepaart ist mit der richtigen Einsicht, mit der Einsicht dessen, was den Erzeugten wahrhaft ersprießlich und was nicht? Hast du nicht selbst schon oft gefragt: was nützt der Trieb ohne die Erkenntnis und ohne die sittliche Weihe, die ihn aus dem Tierischen erhebt ins Menschliche?«
»In diesem letzten Punkte sagst du Schönes und Richtiges!« bemerkte Anaxagoras. »Aber was die schönbefransten, safranfarbigen Röckchen und dergleichen Dinge betrifft, welche Telesippe nicht nehmen will oder wollte, so ist dies, nach der Vernunft betrachtet, Torheit und verderbliche Lüsternheit. Solche Schönseligkeit ist vom Uebel. Weib ist Weib, sage ich dir. Im Namen der Weisheit: Laß ab von der Schwärmerei für die schöne Milesierin Aspasia!«
»Ist es meine Schuld«, fragte lächelnd Perikles, »wenn die Schönheit auf Erden von den Göttern mit größerer Macht ausgerüstet worden ist als die Weisheit?« –
Am Tage dieses Zwiegespräches ereignete sich etwas, das, wenn Perikles es zufällig mit Augen gesehen, ihn stutzig und bedenklich gemacht, vielleicht seinen Glauben an die Trefflichkeit der Milesierin erschüttert, die helle Glut seiner Begeisterung für sie, wie einen Brand des Herdes durch zugegossenes Wasser, mit plötzlichem Rauch und Qualm getrübt haben würde.
Von Aspasia zu dem Dichter Sophokles, von diesem zur Milesierin waren schon zu wiederholten Malen heimliche Boten gegangen. Ja, einmal hatte man den Dichter selbst in dämmernder Abendstunde verstohlen das Haus der schönen Freundin des Perikles betreten gesehen.
Diesmal aber ereignete es sich, daß Aspasia, in ihr Haus zurückkehrend, begleitet war von einem Manne, welchen spähende Nachbarn in der Abenddämmerung für den Perikles hielten.
Aber es war Sophokles. Vor der Tür des Hauses angelangt, standen die beiden einen Augenblick stille. Erwogen sie etwa, ob der Begleiter die Schwelle überschreiten oder vor derselben umkehren solle? Zuletzt tat dieser in seiner sanften Art an die Schöne die Frage:
»Was ist heiliger: die Freundschaft oder die Liebe?« –
»Heiliger ist doch wohl in jedem einzelnen Falle diejenige von beiden, welche älter ist« – sagte lächelnd Aspasia, die rätselhafte Frage ebenso rätselhaft erwidernd. –
Nachdem diese Worte gewechselt waren, verabschiedete sich Sophokles und ging zurück, während Aspasia in ihr Haus trat. –
Am Morgen nach diesem kleinen Begebnis verfügte der Seher Lampon sich in das Haus der ihm wohlwollenden Schwester des Kimon. Er kam von der Akropolis herunter, von Diopeithes, mit welchem er wieder lange geflüstert.
Kaum war die priesterliche Verrichtung, um derentwillen Elpinike den Seher gerufen hatte, beendet, so brachte dieser mit einer geheimnisvollen und vielverheißenden Miene das Gespräch auf Perikles und Aspasia.
Das Mannweib und der Seher pflegten häufig und gerne die im weiten Kreise erkundeten Neuigkeiten unter einander auszutauschen.
»Den stolzen Perikles scheinen die Götter strafen zu wollen«, hub Lampon an. »was ist geschehen?« frug Elpinike gespannt.
»Vorläufig dies«, versetzte jener, »daß zu des Olympiers schöner Freundin Aspasia im Dämmerlichte des Abends heimlich auch ein anderer schleicht« ...
»Warum nicht?« rief Elpinike. »Ist sie doch eine Hetäre. Aber wer ist dieser andere?«
»Des Perikles bester Freund, der »göttergeliebte«, wie er sich gern nennen läßt, der mildlächelnde Tragiker aus dem Gau von Kolonos.« –
»Ein Weiberjäger«, rief Elpinike, »ein Weiberjäger und Liebesfeinschmecker wie Perikles selber! – Aber schier alte Kunde ist es, Freund Lampon, die du bringst. Es ist lange her, daß man jenen Poeten zum erstenmal in des Perikles und der Aspasia Gesellschaft gesehen. Es ist allbekannt, daß er nicht weniger als sein Freund entbrannt ist in die Buhlerin. Es war zu vermuten, daß er zu ihr sich schleicht. Aber wer hat ihn gesehen? Wer kann es verläßlich bezeugen?«
»Ich selbst!« versetzte Lampon; »ich selbst sah ihn, vernahm sogar im Vorübergehen ein kleines Zwiegespräch der beiden an ihres Hauses Tür. Und einen zweiten Zeugen, wenn ein solcher nötig, stellt Diopeithes.«
»Es ist gut!« rief Elpinike mit herzlichem Behagen. »Diese Kunde, dem Perikles hinterbracht, versetzt seinem Liebesbunde mit der Milesierin den Todesstoß. Mittelpunkt und Hort aller Gottlosigkeit zu Athen ist dieser Liebesbund, und das ionische Weib ist die große Verderberin. Sie muß verdrängt, sie muß vertrieben, sie muß zu Grunde gerichtet werden, wer aber übernimmt das Botenamt an Perikles?« –
»Am besten Theodota«, meinte Diopeithes. »Dieses Weib hat schon seit einiger Zeit, nicht ganz ohne Erfolg, wie es scheint, ihre Netze nach dem Liebhaber der Aspasia ausgeworfen. Und wenn sie es nun ist, die ihm den Beweis von der Treulosigkeit der Milesierin liefert, so kann sie diese am sichersten dadurch verdrängen, daß sie an ihre Stelle tritt.«
»Arme Telesippe!« rief die Schwester des Kimon. »Das beste war' es freilich, du hättest gar keine Nebenbuhlerin; aber für den Augenblick ist schon viel, ist alles gewonnen, wenn nur die Milesierin vor die Tür gesetzt wird.« »So ist's!« versetzte Lampon. »Aus dem Herzen eines Mannes wie dieser Perikles kann ein schönes und schlaues Weib nur wieder durch ein schönes und schlaues Weib vertrieben werden. Theodota ist weit weniger gefährlich als Aspasia. Im Gegenteil, diese käufliche Korintherin ist Wachs in unseren Händen. Sie muß nun den Perikles unter dem Versprechen wichtiger und ausführlicher Mitteilungen über die treulose Aspasia in ihr Haus locken. Dann macht die Sache sich von selbst.«
»Der Erfolg ist sicher!« rief Elpinike. »Perikles hat schon ein Auge auf sie geworfen. Ich weiß es. Er ist schon einmal in ihrem Hause gewesen, wenn auch im Geleite der Milesierin, die frech genug war, ihn dahin zu führen« ...
»Auf Anstiften des Alkamenes!« sagte Lampon. »Dieser hat uns vorgearbeitet. Auch er zählt zu denjenigen, welche die Milesierin hassen und einen Vorteil davon haben, wenn sie beschämt, gedemütigt, von Perikles verstoßen wird. Er will sich rächen an dem Weibe, das ihn um des Perikles willen verlassen. Lange vor uns hat er den Plan gefaßt, die Milesierin aus der Gunst des gefeierten Mannes durch Theodota verdrängen zu lassen. Ihm fehlen die rechten Waffen gegen Aspasia. Wir wollen sie ihm liefern. Wer aber soll nun den Alkamenes unterrichten, damit dieser mit der Korintherin sich verständige?« –
Elpinike dachte einen Augenblick nach, dann sagte sie: »Ueberlaß die Sorge mir. Ich kenne die Mittelwege, welche diese Botschaft einschlagen muß, um genau in der Gestalt, wie wir es wünschen, zum Ohre der Korintherin zu gelangen!« –
Von dieser Stunde an hatte Aspasia nicht bloß gegen Telesippe, sondern auch gegen Theodota sich zu ernster Fehde zu rüsten.
Elpinike wandte sich an ihren Freund Polygnotos; dieser war mit Agorakritos, Aspasias erbittertem Gegner, befreundet; Agorakritos überlieferte die Botschaft des Lampon und der Elpinike seinem Gefährten in der Werkstätte des Pheidias, und dieser Heißblütige fand die Gelegenheit zur Rache an der stolzen Schönen allzu verlockend; er vermittelte seiner munteren Freundin rasch und leicht die Verständigung.
In diesem Zickzack also bewegte der Blitzstrahl sich, der geschleudert wurde gegen den Liebesbund des besten Mannes und des schönsten Weibes in Hellas, und der an erster Stelle heimlich geschmiedet war in der Esse des grollenden alten Gottes Erechtheus auf der Burg. – –
Die Feier der Dionysien war freudenvoll und lärmvoll angegangen. Die letzten Tage des Festes waren den Wettkämpfen der tragischen Muse gewidmet.
Ein leichtes Regengewölk flog, während die tolle Komödie des Kratinos unter ausgelassenem Jubel der Zuschauer in Scene ging, vom Hymettos her über das Dionysostheater, und dem Oberpriester des Dionysos, der da saß vor allem Volk in seinem herrlichen, mit Bildwerken reich geschmückten, in die Orchestra vorspringenden Marmorlehnstuhl, ward die Nase von einem fallenden Tropfen in dem Augenblicke benetzt, als der übermütige Kratinos gerade gegen die Person dieses selben Oberpriesters Agasthenes, unter hellem Gelächter der sämtlichen Athener, einen gefiederten Pfeil seines attischen Witzes abschoß.
»Es beginnt zu träufeln«, sagte der Oberpriester zu seinem Nachbar Perikles, »ich denke, wir lassen das Schauspiel unterbrechen!«
»Es geht vorüber!« erwiderte lächelnd der Nachbar.
Doch siehe da, ein neuer Pfeil schwirrte. Und dieser Pfeil traf den Nachbar selbst. Die sämtlichen Athener lachten und sahen auf Perikles, und Perikles lächelte mit.
Aber noch ein Pfeil schwirrte – von der neuen Hera klang's und dem neuen Olympier Zeus, von Omphale und Herakles ...
Wieder blickten alle Athener auf Perikles. Aber Perikles lächelte nicht mehr. Ein Wölkchen flog über die Stirn des Olympiers. Der schwirrende Pfeil hatte Aspasia getroffen ...
Andere Schauspiele folgten, und so ging den Athenern des ersten Tages größerer Teil dahin. Manche entfernten sich, um wiederzukehren, viele hielten aus bis zu Ende. Die Begüterten ließen sich Wein, Obst, Kuchen zur Labung von ihren Sklaven reichen.
Den nächsten Tag begann das alles von neuem. Wieder saßen dreißigtausend Athener auf den Steinbänken des Dionysostheaters, die bekränzten Würdenträger auf besonderen, schön verzierten Marmorstühlen in den vordersten Reihen, die Reichen auf mitgebrachten Purpurkissen, bedient von ihren Sklaven, die Armen mit einigen Feigen oder Zwiebelfrüchten im Quersack für den ganzen Tag. Und diese wie jene fühlten sich als Männer von Athen, berufen, das Schönste zu schauen, und schwatzten von Sophokles und Ion und Euripides, oder sandten einen spähenden Blick nach den Wölkchen des Himmels, ob nicht etwa eines derselben die Festschau des Tages trüben oder unterbrechen werde.
Wieder hatten die ersten Tausende des andrängenden Volkes in den Räumen des ungeheuren Amphitheaters sich wie Pygmäen verloren. Jetzt aber war das ganze Theatron von den obersten Sitzreihen bis zu den untersten vollgedrängt, ein riesiger, gärender und brausender Menschenkrater. Fast schauerlich, schwindelerregend war es, von den obersten Sitzreihen hinunterzublicken auf dies wogende Meer von Menschenhäuptern.
In dem wirren Gebrause, welches daraus empordrang, machte mehr und mehr ein bedrohlicher Tumult sich vernehmlich. Sollte doch heute der wildentbrannte Wettstreit zwischen Hipponikos und Pyrilampes zur Entscheidung gelangen. Die Parteien der beiden Choregen schienen auf einander platzen zu wollen. Wenn einer derselben sich zeigte inmitten der Zuschauer, so erscholl Lärm von Freunden und von Gegnern, Zurufe des Beifalls und höhnendes Gezisch.
Unablässig hatten die Agonotheten und Mastigophoren von der Orchestra aus, ihrem Standort, des Amtes zu walten, die Treppen, welche die Sitzreihen quer durchschnitten, emporzueilen, um hier einen Zank zu schlichten, dort einen Ungebärdigen zur Ruhe zu verweisen.
Der Ruhigste unter so vielen Aufgeregten war Sokrates, der Grübler aus der Werkstätte des Pheidias. Dieser war auch gekommen, aber nicht sowohl um die Schauspiele, als um die Zuschauer zu sehen und über ihr Treiben seinen Gedanken nachzuhängen.
»Da sitzen dreißigtausend Athener mit gespannten Mienen«, sagte er zu sich selbst, »alle darauf erpicht, eine erdichtete Geschichte mitanzuhören, sich an falschen Tränen und geheucheltem Leid zu ergötzen. Sie sind wie die Kinder, die sich offenen Mundes Märchen erzählen lassen, nur daß diese nicht wissen, daß dieselben erdichtet sind, jene aber es wissen. Woher kommt doch nur diese seltsame Lust der Menschen am Nachgeahmten, Erdichteten?« –
Die schöne Theodota war unter den Zuschauern. Sie war aufs reizendste geschmückt. Ihr Blick war beständig nach dem Strategenstuhle gerichtet, welchen Perikles einnahm. Perikles versagte sich's nicht, zuweilen den Feuerblick der Dunkeläugigen zu erwidern. Endlich erklang in das Brausen der Menge hinein die hell tönende Stimme des ruhegebietenden Herolds. Nun wurde ein Trankopfer gebracht beim Altare des Dionysos. Dann erscholl aufs neue die Stimme des Herolds:
»Der Chor des Ion trete hervor!« –
Die Tragödie des Ion wurde von dem Athenervolke angehört, beklatscht, gewürdigt mit dem angeborenen Feingefühl. Ein tragisches Werk des Philokles folgte. Der Protagonist des Stückes genügte nicht ganz dem feinen attischen Ohre mit seiner Aussprache. Ein Zorngewitter entlud sich über ihn mit Gelächter, Gemurre, grellen Pfiffen, mit spöttisch schnalzenden Zungen und stampfenden Füßen. Eine Komödie kam an die Reihe. Nun war der Spötter Herr der Welt, erhaben über Zeus sogar und alle olympischen Götter. Der zügelloseste Witz machte sich Luft in den gediegensten Rhythmen.
Dann trat der Chor des Euripides hervor.
Das Werk dieses Dichters rührte die Herzen. Die Frauen waren bewegt von dem, was zum Gemüte sprach, die Männer hingerissen von den glänzenden Gedanken, mit welchen das ganze Dichtwerk gleichsam durchwoben und durchwirkt war, wie ein Purpurgewebe mit goldenen Fäden. Mit Ausrufen der Ueberraschung und Bewunderung wurde die glänzende Pracht des Chores aufgenommen. Man hatte dergleichen kaum jemals gesehen. Lärmender Beifall erscholl, als das Stück zu Ende ging. Pyrilampes nebst seinen Freunden und Anhängern schwelgten im Vorgefühl des gewissen Triumphes.
In der kurzen Zeit, welche man zwischen der Darstellung dieser Tragödie und dem Beginne der nächsten verstreichen ließ, näherte sich plötzlich ein Sklave dem Stuhle des Perikles und überreichte ihm ein zusammengefaltetes Papyrosblatt. Perikles entfaltete es und las die Worte:
»Sophokles schleicht im Abenddunkel in das Haus Aspasias.«
Perikles war betroffen, wer hatte diese Zeilen geschrieben? – von Theodota kamen sie. Als Perikles nach dem Ueberbringer der kurzen und seltsamen Kunde sich umsah, war derselbe verschwunden.
Aus ernstem Sinnen weckte den Strategen die neuerdings hellaustönende Stimme des Herolds:
»Der Chor des Sophokles trete hervor!« –
Und nun ging eine Tragödie der Liebe vorüber an des Hellenen Aug' und Ohr, eine Tragödie der Liebe in jenen drei Gestalten, in welchen sie nacheinander das Menschenherz besucht auf seinem Lebensgange: der Geschwisterliebe, der bräutlichen Liebe, der Kindesliebe. Um des geliebten Bruders willen stirbt Antigone, um der geliebten Braut willen stirbt Haimon, um des geliebten Sohnes willen stirbt Eurydike. –
Langes, dunkles Trauergewand umwallt die hohen Gestalten der Oedipustöchter. Die Masken zeigen ernste, edle Mädchengesichter, weich und rührend tönen ihre Stimmen – den Bruder zu bestatten schwört Antigone, den geliebten Bruder, welchen König Kreon zum Fraß den Hunden und den Vögeln vorgeworfen; eingepflanzte göttliche Pflicht erfüllen will sie zum Trotze menschlicher Satzung. Der Chor der edlen thebanischen Greise tritt hervor, seinen ernsten Reigen entfaltend, in Purpurgewanden voll dionysischen Festprunks, die Häupter golden bekränzt, es erklingt der herrliche, stürmisch bewegte, im Wechsel seiner Rhythmen hinreißende Hymnus:
»Strahl von Helios' Glanz, du Licht« –
König Kreon betritt die Scene in goldgesticktem Purpurgewand, die Stirn mit einem Diadem geschmückt, auf ein Scepter gestützt, dessen Spitze einen Adler trägt. Ueber das menschliche Maß hinaus erhöht der Kothurn seine Gestalt, gebietende Würde verleiht ihm die Maske, gewaltig steht er da, selbst für das Auge des fernsten Beschauers im ungeheuren Raume. Des gebietenden Herrschers Recht macht er geltend der edlen Mädchengestalt gegenüber – sie aber kennt nur eine höchste Pflicht, ihr ins Herz geschrieben: die Liebe – und dem König, welcher die Grausamkeit gegen den Bruder mit dem gerechten Hasse der Bürger von Theben gegen den Toten begründet, hat sie nur das eine unsterbliche Wort zu erwidern:
»Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da!« –
Und sie geht hin, zu tun, was sie gelobt, und das Recht der Lebendigen für das Recht der Toten zu opfern. In ernster, erhabener Psalmodie erwägt der Chor des Menschen wagenden Sinn und himmelstürmenden Entschluß – und wieder betrauert er das fortzeugende, forterbende Leid der Labdakiden – Haimon kommt, des Kreon eigner Sohn, und fleht um das Leben der Antigone, um das Leben seiner Braut – aber starr an seiner Satzung hält der Fürst – es gibt der Bräute noch genug, und »pflügbar ist auch anderes Ackerland« – hin geht, verzweifelnd, mit unheilschwangerem Wort der Bräutigam – und nun ertönt im Chor der edlen Thebanergreise jenes Lied, das gedichtet ward an dem glutenreichen Tage, da Perikles und Aspasia weilten in des Dichters Rosengehegen am Kephissosufer:
»Eros, du Allsieger im Kampf« –
Jetzt aber beginnt im hymnischen Wechselgespräch mit dem Chore die rührende Totenklage der Oedipustochter, welche lebendig hinabzusteigen verdammt ist in die Steingruft – herzergreifend erklingt die lange Threnodie, und von erhab'ner Rührung feuchtet auf diesem Höhepunkte des Trauergeschicks sich jedes Aug' im weiten Kreise der lauschenden Athener – an Danae erinnert, der Jungfrau nachblickend auf ihrem Todesweg, der Greise Chor, an sie, die, wie nun Antigone, »des Tages Glanz verlor in dem erzdichten Gebäu« – Teiresias kommt, der unfehlbare Sehergreis, und spricht mit ernster Mahnung tief ins Gemüt des Unversöhnlichen, und endlich wenden seinen starren Sinn die Himmlischen – ab läßt er, von grauser Ahnung plötzlich erfaßt, von seinem Herrschertrotz – schon jubelt der Chor auf in einem freudigen Hymnus, herbeirufend den Freudengott Dionysos – wunderbar erklingt der Jubelchor nach dem düsteren Grabgesang – aber er verhallt und macht aufs neue Platz dem Grabgesang – schon hat Antigone in der steinernen Gruft sich selbst getötet, und ihren Leib umfassend ist Haimon mit ihr hinabgegangen, verblutend am eignen Stahl, in des Hades Nacht –
Und nun erscheint des jammernden Königs Kreon Gemahlin Eurydike. Aus des Boten Munde vernimmt sie die Botschaft der vereinten Todeslose in der Steingruft der Oedipustochter. Sie vernimmt des Sohnes Tod, und diese Kunde bricht der Mutter eignes Herz.
Wunderbar ergriff die Gemüter jener Todesbericht aus dem Munde des Boten. Wunderbar noch erklangen die wenigen Worte aus dem Munde der todgeweihten Königin.
Atemlos lauschte die Menge dem Ausklingen des hehren Trauerspiels: in einer die Besonnenheit preisenden Strophe verhallte wie mit großartigem Schlußakkorde die Dichtung.
Groß und tief war der Eindruck, welchen die Tragödie des Sophokles, drei Liebesbünde und drei Todeslose in einander schlingend, auf die Gemüter der lauschenden Hellenen hervorbrachte. So schön war der strenge, finstere Ernst der tragischen Kunst noch nie gemildert worden – so menschlich war das Erhabene, so erhaben das Menschliche niemals ausgesprochen worden.
Aber auch niemals hatte in einem tragischen Werk die Fülle herrlicher Gesänge so reich und sinnvoll über die Zuhörer sich ergossen; so harmonisch vollendet bis ins kleinste hatte die attische Bühne keine Darstellung gesehen, und so kunst- und glanzvoll war niemals ein Chor vor die versammelten Athener getreten.
Als dieser Chor des Hipponikos abgegangen war, und der dramatische Wettstreit des Jahres zu Ende gekommen, erhob das gesamte Volk mit lautem Rufe sich so ungestüm zu Gunsten des Hipponikos, daß die Preisrichter ohne Beratung unverweilt den Dichter der Antigone und seinen Choregen den noch versammelten, auf den Urteilsspruch mit Spannung lauschenden Athenern als Sieger im Vereiche der Tragödie verkündigten, Sophokles und Hipponikos erschienen dem Brauche gemäß auf der Scene, um noch vor den Augen des Volkes jeder für sich einen Siegeskranz aus den Händen der Preisrichter in Empfang zu nehmen.
Unmöglich ist es, die Freude und den Stolz des Hipponikos zu schildern, unmöglich auch die grollende Erbitterung des Pyrilampes und seiner Anhänger.
Als Perikles durch die Pforte des Ausgangs, umdrängt von dem übrigen Volke, des Theaters Raum verließ, sah er im Gedränge plötzlich Theodota neben sich. Ihr schönes Antlitz war ihm einen Moment mit den ausdrucksvollsten Blicken, mit dem bedeutungsvollsten lächeln des Mundes verlockend zugewandt. Ungesehen drückte sie nun selbst ein beschriebenes Blatt in seine Hand.
Perikles las auch dies. Sein Inhalt lautete:
»Verlangst du Kunde von Sophokles und Aspasia, so komm zu Theodota! Ein Sklave erwartet dich unter den Säulen des Tholos und wird auf verborgenem Wege durch eine Hinterpforte in mein Haus dich geleiten.« –
Bevor Perikles sich besinnen konnte, ob er dieser Aufforderung folgen solle, geriet er weiterschreitend in den Schwarm der Freunde des Sophokles, welche diesen beglückwünschend umdrängten.
Als der Dichter ihn erblickte, entzog er sich den Freunden und eilte ihm entgegen.
Perikles, obwohl verstimmt und nachdenklich, beglückwünschte auch seinerseits den Sieger.
»Ich danke dir«, sagte Sophokles, »aber sprich nicht als Freund zu mir, sondern als Kunstrichter.«
Mit Mühe das, was in diesem Augenblicke ihn mehr als alles innerlich beschäftigte, zurückdrängend, sagte Perikles:
»Weißt du, was mich nachdenklich gemacht hat in deinem Trauerspiel? Es hat mich gleich vielen anderen deiner Hörer fast befremdet, neben den Banden des Blutes, welche dem Hellenen von uralter Zeit her immer hochheilig gewesen, nun auch die Bande der bräutlichen Liebe mit gleichem Recht, mit gleicher Macht, mit gleichem Todesernst in der Tragödie zur Geltung gebracht zu sehen, lebhaft beschäftigt diese Neuerung meinen Geist, und noch weiß ich nicht zu sagen, ob du völlig recht getan.«
Abspringend von dem Gegenstände fuhr Perikles fort: »warst du es nicht selbst, der unter der Maske des Boten jene ergreifende Erzählung vom Tode des Haimon weihevoll gesprochen? Ich glaubte deine Stimme zu erkennen, wer aber sprach die Worte der Eurydike? welcher Schauspieler steckte unter der Maske dieser Königin? ich weiß nicht, welcher eigentümliche, auf das Gemüt geheim wirkende Zauber die Scene umschwebte, in welcher ihr beide, du als Bote und jene Königin, einander gegenüber standet. Ich habe niemals auf der Bühne so sprechen gehört, wie diese Königin gesprochen, welcher Mann, wenn nicht Polos, vermochte den wunderbaren Reiz dieser Stimme zu erkünsteln?«
»Auch Polos nicht!« erwiderte Sophokles lächelnd. »Du hast von Neuerungen in meiner Tragödie gesprochen; wisse, daß bei dieser Darstellung heut' auch eine Neuerung sich vollzog, von welcher bis jetzt keine Menschenseele Kenntnis hat, als ich selbst und der ehrliche Hipponikos. Zum ersten Male seit der Zeit, als Thespis seinen Karren in Bewegung setzte, hat am heutigen Tage auf unserer Bühne sich unter der Maske ein wirkliches Weib verborgen. Sei du der dritte Mitwisser dieses Geheimnisses und laß es zwischen uns dreien begraben sein für alle Folgezeit.«
»Und wer war das Weib«, fragte Perikles, »das es gewagt hat, wenn auch unerkannt, die Bühne zu betreten, und dem alten Brauche, der alten guten Sitte zu trotzen?«
»Du sollst sie sehen!« erwiderte Sophokles, verschwand für einen Augenblick, und kehrte zurück mit einer bis zur Unkenntlichkeit vermummten und verkleideten Frauengestalt. Als Sophokles in Begleitung dieser Frauengestalt den Perikles etwas weiter abseits geführt hatte, bis sie völlig sicher waren vor den neugierigen Blicken der Menge, sagte er:
»Bedarf es noch der Entschleierung, Perikles, um das Weib zu erkennen, welches nicht bloß das schönste, sondern auch das kühnste seines Geschlechtes ist?«
Perikles war betroffen. »Es bedarf der Entschleierung!« sagte er in kühlem und ernstem Tone. Mit entschiedener Handbewegung zog die Frauengestalt den Schleier vom Gesicht, und Perikles stand Aspasia gegenüber.
Er blieb stumm. Der Inhalt jener Zeilen Theodotas schien nun bestätigt. Aspasia hatte, wie es jetzt offenbar wurde, ohne sein Wissen mit dem Dichter geheim sich verschworen, hatte den verwegenen Plan im Vereine mit diesem ausgeführt. Allerdings kannte er die Freundestreue des edlen Sophokles; aber Aspasia hatte einen neuen Beweis gegeben, daß ihr Geist in heiterer Freiheit aller Fesseln spotte. Alles, was der ihr stumm ins Antlitz blickende Perikles dachte, las Aspasia klar auf seiner Stirne, in seinen Brauen, im Blicke seiner Augen. Und dies beredte Schweigen mit beredtem Wort erwidernd hub sie an:
»Runzle nicht die Stirne, o Perikles, und vor allem zürne nicht deinem Freunde Sophokles, von mir gezwungen tat er, was er tat« ...
»Zürne aber auch Aspasia nicht«, fiel der Dichter ein, zu Perikles gewendet, »und wisse vor allem, daß sie es war, die mir zu bedenken gab, heiliger als die Liebe sei die Freundschaft, wenn sie älter ist als die Liebe« ...
»Kampf gegen das Herkommen ist meine Sendung!« fuhr Aspasia fort. »Und warum zürnest du mir, daß ich an des Dichters Gebilden nicht geringeren Anteil nehme, als an den Marmorbildern in der Werkstätte des Pheidias? Um die Schönheit und die Freiheit zu finden, ging ich nach Hellas. Hätte ich Sklaverei gesucht, so wäre ich am Perserhofe geblieben und hätte hingelebt unter dem schläfrigen Liebeswink aus den müden Augen des großen Königs. Was dich in diesem Augenblicke beherrscht, Freund, das ist ein Wahn, ein Vorurteil, ein grämliches Empfinden, unwürdig eines Hellenen. Hinweg damit, o Perikles!«
In diesem Augenblicke trat Hipponikos hinzu und lud den Perikles und mit ihm Aspasia ein, an dem Festmahle teil zu nehmen, mit welchem er an einem der folgenden Tage seinen und des Sophokles Sieg in würdiger Weise zu feiern gedachte.
Es begann bereits abendlich zu dämmern, als Perikles sich von Hipponikos, Sophokles und Aspasia trennte. Sinnend schritt er heimwärts. Er dachte an Aspasia. Er erwog in seinem Herzen, was sie soeben zu ihm gesprochen. Er gab ihr völlig recht. Keine Fessel durfte die Liebe sein, kein Sklavenjoch für Aspasia.
Aber auch für ihn selbst nicht! – »Du kannst Theodota besuchen!« sagte er zu sich; »es ist vielleicht nicht gut, in erstarrender Gewöhnung lange Zeit einem einzigen Weibe zu frönen.« – Die Forderungen der stolzen und freien Aspasia klangen jetzt harmonisch in seinem Gemüte zusammen mit den Mahnworten des Anaxagoras. Er erinnerte sich nun wieder des Briefleins der Korintherin, und des Sklaven, der ihn unter den Säulen des Tholos erwartete. Die Kunde, welche ihm Theodota gegeben, war ihm freilich inzwischen durch Sophokles besser enträtselt worden, als Theodota es zu tun vermocht hätte. Aber konnte sie nicht doch noch etwas zu sagen haben? –
Er kam zu den Säulen des Tholos. Der Sklave trat auf ihn zu und führte ihn durch menschenleere Gäßchen, bis zu einem Gartengehege, wo er eine kleine Pforte zu öffnen sich anschickte. Perikles stand an Theodotas Schwelle. Er konnte eintreten. Niemand sah ihn. Die Nachtigallen trillerten in den Büschen des Gartens.
Plötzlich aber stockte der Fuß des Perikles. Er besann sich nun erst, daß jetzt, ja eben jetzt die Lust zu einem Gespräche mit Theodota ihm gänzlich fehle ... Er erstaunte über sich selbst. Er sagte dem Sklaven, er müsse es auf ein andermal verschieben, durch dieses Pförtchen einzutreten. Verblüfft sah ihm der Sendling ins Gesicht. Er aber entfernte sich mit langsamen Schritten und verfolgte seinen Weg. –
Der Mond war aufgegangen. In seinem Widerschein erglänzte das Meer und silbern schimmerten die Gipfel der Berge von Attika. Die Luft war lind und labend. Da schlugen plötzlich noch einmal, von den abendlichen Lüften getragen, aus der Ferne Bruchstücke des Chorgesanges »Eros, du Allsieger im Kampf« ans Ohr des Perikles. Die aus dem Theater heimziehenden Jünglinge sangen die Bruchstücke jenes Eosliedes, das sie begeistert hatte, fröhlich hinaus in die laue Frühlingsnacht ...
Eine Unruhe anderer Art gesellte sich zu der inneren Erregung des Perikles und zu seinen Gedanken an Aspasia. Er beneidete den Sophokles und den Hipponikos um die Lorbeern des Tages. Es war ihm, als sollte er sich umgürten mit dem Schwerts, und ein Heer oder eine Flotte versammeln, und fortstürmen zu glänzenden Siegen. Der lange Friede begann ihm glanzlos zu erscheinen.
Ein drückendes Gefühl beschlich ihn, von welchem er im sinnenden Weiterschreiten zuletzt nur wieder loskam durch den Anblick der vor ihm aufglänzenden Akropolis und durch den Nachklang des Antigone-Tages in seiner Seele. Er war nämlich inzwischen an der Stelle des ansteigenden Weges angelangt, wo von einer Seite die gewaltige Granit- und Marmormasse des Dionysostheaters ihren weiten Schlund in der Tiefe auftat, darüber aber von der anderen Seite die Felsen des Burgberges mondbeglänzt emporragten. Grabstill war es geworden in den ungeheuren Räumen des Theaters, wo den Tag über ein so buntes, bewegtes Leben sich geregt hatte, wo die höchsten Gebilde hellenischer Dichtung weihevoll erklungen waren. Perikles blickte hinunter in diesen marmornen Abgrund und dann wieder empor zu der monderhellten Höhe der Akropolis, wo das sich formende Gestein des werdenden Tempels erglänzte. Sein persönliches Ich, sein Einzelgeschicksal zerrannen ihm in einer größeren Strömung, das Wölkchen auf seiner Stirn zerstreute sich, seine Brust hob sich, und von dieser Tiefe herauf, wie von jener Höhe herab, fühlte er ahnungsvoll sich angeweht von einem Hauch unsterblichen Lebens.