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Zachäus

1.

Tiefster Friede ruht über der Prärie.

In meilenweitem Umkreis sind keine Bäume und Häuser zu sehen, nur Weizen und grünes Gras, so weit das Auge reicht. In weiter, weiter Ferne, daß sie so klein erscheinen wie Fliegen, sieht man Pferde und Leute bei der Arbeit, das sind die Mäher, die auf ihren Maschinen sitzen und das Gras schwadenweise abmähen. Der einzige Laut, den man hört, ist das Zirpen der Heuschrecken, und wenn der Wind herübersteht, schlägt ausnahmsweise auch wohl einmal ein anderer Laut ans Ohr – das klappernde Geräusch der Mähmaschinen unten am Horizont. Zuweilen hört man diesen Laut ganz merkwürdig nahe.

Es ist die Billybony-Farm. Sie liegt ganz allein im weiten Westen, ohne Nachbarn, ohne irgendeine Verbindung mit der Welt, und es sind mehrere Tagemärsche bis zum nächsten Präriestädtchen. Die Häuser der Farm sehen in der Entfernung aus wie winzig kleine Wippen, die aus dem unübersehbaren Weizenmeer aufragen.

Im Winter ist die Farm nicht bewohnt, aber vom Frühling bis zum späten Oktober sind dort einige siebzig Mann mit dem Weizen beschäftigt.

Drei Männer arbeiten in der Küche, der Koch und seine beiden Gehilfen, und im Stall stehen zwanzig Esel, außer den vielen Pferden; aber es befindet sich keine Frau, nicht eine einzige Frau auf der Billybony-Farm.

Die Sonne glüht mit 102 Grad Fahrenheit. Himmel und Erde zittern in dieser großen Hitze, und nicht der geringste Windhauch kühlt die Luft ab. Die Sonne sieht aus wie ein Morast aus Feuer.

Auch bei den Häusern ist alles still, nur von dem großen, schindelgedeckten Schuppen her, der als Küche und Speisesaal benutzt wird, hört man die Stimmen und Schritte des Kochs und seiner beiden Gesellen, die sich in größter Geschäftigkeit regen. Sie feuern die großen Herde mit Gras, und der Rauch, der aus dem Schornstein aufwirbelt, ist mit Funken und Flammen vermischt. Als das Essen fertig ist, wird es in Zinkbaljen hinausgetragen und auf Wagen gehoben. Dann werden die Esel vorgespannt, und die drei Männer fahren mit dem Essen auf die Prärie hinaus.

Der Koch ist ein großer, dicker Irländer, vierzig Jahre alt, grauhaarig, von militärischem Aussehen. Er ist halbnackt, sein Hemd steht offen, und sein Brustkasten gleicht einem Mühlstein. Er wird von aller Welt Polly genannt, weil er im Gesicht Ähnlichkeit mit einem Papagei hat.

Der Koch ist unten in einem der Forts in Süden Soldat gewesen, er ist literarisch veranlagt und kann lesen. Deswegen hat er auch ein Liederbuch mit auf die Farm genommen und außerdem eine alte Nummer von einer Zeitung. Diese Kleinodien zu berühren, erlaubt er keinem der Leute; er hat sie auf einem Bord in der Küche liegen, um sie in seinen freien Augenblicken zur Hand zu haben. Und er benutzt sie mit großem Fleiß.

Aber Zachäus, sein elender Landsmann, der beinahe blind ist und eine Brille trägt, hatte sich einmal der Zeitung bemächtigt, um darin zu lesen. Es nützte nichts, Zachäus ein gewöhnliches Buch anzubieten, die kleinen Buchstaben verschwammen wie im Nebel vor seinen Augen; dahingegen war es ihm ein großer Genuß, die Zeitung des Kochs in der Hand zu halten und bei der großen Schrift der Anzeigen zu verweilen. Aber der Koch vermißte augenblicklich seinen Schatz, suchte Zachäus in seinem Bett auf und riß die Zeitung an sich. Und nun entspann sich ein heftiger und lächerlicher Wortstreit zwischen diesen beiden Männern.

Der Koch nannte Zachäus einen schwarzhaarigen Räuber und Sohn einer Hündin. Er schnalzte dicht vor seiner Nase mit den Fingern und fragte, ob er jemals einen Soldaten gesehen habe, und ob er die Einrichtung eines Forts kenne. Nein, die kenne er nicht! Aber dann solle er sich nur lieber in acht nehmen, weiß Gott, er solle sich in acht nehmen! Und das Maul solle er halten! Was verdiene er im Monat? Habe er etwa Häuser in Washington, habe seine Kuh gestern gekalbt?

Zachäus antwortete nichts auf das alles; aber er beschuldigte den Koch, daß er rohes Essen koche und Brotpudding mit Fliegen darin anrichte. Scher' dich zum Teufel und nimm deine Zeitung mit. Er, Zachäus, sei ein rechtschaffener Mann, er würde die Zeitung wieder hingelegt haben, nachdem er sie studiert hätte. Steh nicht da und spuck' auf den Fußboden, du schmieriger Hund.

Und Zachäus' blinde Augen standen wie zwei harte Stahlkugeln in dem wütenden Gesicht.

Aber seit jenem Tage herrschte eine ewige Feindschaft zwischen den beiden Landsleuten …

Die Wagen mit dem Essen verteilen sich über die Prärie und speisen jeder seine fünfundzwanzig Mann. Die Leute kommen von allen Seiten herbeigelaufen, reißen etwas Essen an sich und werfen sich unter die Wagen und unter die Esel, um ein wenig Schatten während der Mahlzeit zu ergattern. Nach zehn Minuten ist das Essen verzehrt. Der Aufseher sitzt wieder im Sattel und kommandiert die Leute wieder an die Arbeit, und die Proviantwagen fahren wieder nach der Farm zurück.

Aber während die Gehilfen des Kochs jetzt die Schüsseln und Kummen nach der Mahlzeit abwaschen und reinigen, sitzt Polly selber draußen im Schatten hinter dem Hause und liest zum tausendsten Male seine Gesänge und Soldatenlieder aus dem teuren Buch, das er aus dem Fort im Süden mitgebracht hat. Und da ist Polly wieder Soldat.

2.

Am Abend, als es schon zu dämmern beginnt, rollen sieben Heuwagen mit der Arbeiterschar langsam aus der Prärie heim. Die meisten waschen ihre Hände draußen auf dem Hofe, ehe sie zum Abendbrot gehen, einige kämmen auch ihr Haar. Da sind alle Nationen und mehrere Rassen vertreten, da sind jüngere und ältere Personen, Einwanderer aus Europa und eingeborene amerikanische Landstreicher, alles mehr oder weniger Vagabunden und verunglückte Existenzen. Die wohlhabenderen der Bande tragen einen Revolver in der hinteren Hosentasche. Das Essen wird gewöhnlich in großer Hast eingenommen, ohne daß irgend jemand etwas sagt. Die vielen Menschen haben Respekt vor dem Aufseher, der selber an der Mahlzeit teilnimmt und über die Ordnung wacht. Und wenn die Mahlzeit beendet ist, begeben sich die Leute sofort zur Ruhe …

Heute aber wollte Zachäus sein Hemd waschen. Es war so hart von Schweiß geworden, es scheuerte ihn am Tage, wenn die Sonne auf seinen Rücken brannte.

Der Abend war dunkel, alle waren zur Ruhe gegangen, von dem großen Schlafschuppen her ertönte nur noch eine gedämpfte Unterhaltung in die Nacht hinaus.

Zachäus ging nach der Küchenwand hin, wo mehrere Behälter mit Regenwasser standen. Es war das Wasser des Kochs, das dieser sorgfältig während der Regentage sammelte, denn das Wasser zu Billybony war zu hart und zu kalkhaltig, um darin zu waschen.

Zachäus bemächtigte sich des einen Wasserbehälters, zog sein Hemd ab und fing an, es darin zu reiben. Der Abend war still und kalt, es fror ihn gehörig, aber das Hemd mußte gewaschen werden, und er pfiff sogar leise vor sich hin, um sich ein wenig zu ermuntern.

Da öffnete plötzlich der Koch die Küchentür. Er hielt eine Lampe in der Hand, und ein breiter Lichtstrahl fiel auf Zachäus.

Aha! sagte der Koch und kam heraus.

Er setzte die Lampe auf die Treppe, ging geradeswegs auf Zachäus zu und fragte: Wer hat dir das Wasser gegeben?

Ich nahm es, antwortete Zachäus.

Es ist mein Wasser! schrie Polly. Du Sklave hast es genommen, du Lügner, du Dieb, du Sohn einer Hündin!

Zachäus erwiderte nichts auf dieses alles, er fing nur von neuem an, seine Beschuldigung mit den Fliegen im Pudding zu wiederholen.

Der Lärm, den die beiden verursachten, lockte die Leute aus dem Schlafschuppen herbei, sie standen gruppenweise da und froren und lauschten mit größtem Interesse dem Wortwechsel.

Polly schrie ihnen entgegen: Ist es nicht großartig von diesem kleinen Ferkel? Mein eigenes Wasser!

Nimm du dein Wasser, sagte Zachäus und stürzte den Behälter um. Ich habe es benutzt!

Der Koch hielt ihm die Faust unter das Auge und fragte: Siehst du die?

Ja, antwortete Zachäus.

Ich will sie dich kosten lassen!

Wenn du es wagst!

Da ertönten plötzlich ein paar schnelle Schläge, die erteilt und im selben Augenblick zurückbezahlt wurden. Die Zuschauer stießen ein Geheul über das andere aus, das war der Ausdruck ihres Beifalls und Wohlbehagens.

Zachäus aber hielt nicht lange stand.

Der blinde, untersetzte Irländer war wütend wie eine Tigerkatze, seine Arme waren aber zu kurz, um etwas gegen den Koch ausrichten zu können. Schließlich taumelte er zur Seite, drei, vier Schritt über den Platz und fiel dann um.

Der Koch wandte sich an die Menge:

Ja, da liegt er nun! Laßt ihn liegen! Ein Soldat hat ihn gefällt!

Ich glaube, er ist tot! sagte eine Stimme.

Der Koch zuckte die Achseln.

Meinetwegen! erwidert er übermütig. Und er fühlt sich wie ein großer, unüberwindlicher Sieger vor dem Volke, er wirft den Kopf in den Nacken und will seinem Ansehen noch Nachdruck verleihen, er wird literarisch: Ich übergebe ihn dem Teufel, sagt er. Laßt ihn liegen! Ist er etwa der Amerikaner Daniel Webster? Geht her und will mich lehren, Pudding zu kochen, mich, der ich für Generale gekocht habe! Ist er Oberst der Prärie, frage ich?

Und alle bewunderten Pollys Rede.

Da erhob sich Zachäus wieder vom Boden und sagte genau so verbissen, genau so trotzig wie vorhin: Komm heran, du Hasenfuß!

Die Leute brüllten vor Entzücken, der Koch aber lächelte nur mitleidsvoll und sagte: Unsinn! Ich kann mich ja ebensogut mit dieser Lampe prügeln!

Damit nahm er die Lampe und ging langsam und würdevoll hinein.

Es wurde dunkel auf dem Platz, und die Leute begaben sich wieder in ihren Schlafschuppen zurück. Zachäus nahm sein Hemd auf, wand es sorgsam aus und zog es an. Dann schlenderte auch er hinter den andern drein, um seine Pritsche aufzusuchen und zur Ruhe zu kommen.

3.

Am folgenden Tage liegt Zachäus draußen auf der Prärie auf den Knien und schmiert seine Maschine mit Öl. Die Sonne ist heute ebenso scharf und seine Augen laufen ihm hinter den Brillengläsern voll Schweiß. Plötzlich rückt das Pferd ein paar Schritte vor, mag es vor irgend etwas gescheut haben oder ist es von einem Insekt gestochen. Zachäus stößt einen Schrei aus und springt vom Boden auf. Kurz darauf fängt er an, die linke Hand in der Luft hin und her zu schwingen und mit hastigen Schritten auf und nieder zu gehen.

Ein Mann, der in einiger Entfernung die Heuharke fährt, hält sein Pferd an und fragt: Was gibt's denn?

Zachäus antwortet: Komm einen Augenblick hierher und hilf mir.

Als der Mann kommt, zeigt ihm Zachäus eine blutige Hand und sagt: Mir ist ein Finger abgeschnitten, es geschah in diesem Augenblick. Suche mir den Finger, ich sehe so schlecht!

Der Mann sucht nach dem Finger und findet ihn im Grase. Es waren zwei Glieder des Fingers. Er fing schon an abzusterben und sah aus wie eine kleine Leiche.

Zachäus nimmt den Finger in die Hand, sieht ihn wiederkennend an und bemerkt: Ja, das ist er. Warte einen Augenblick, halt ihn einmal! Zachäus zieht sein Hemd heraus und reißt zwei Streifen davon ab; mit dem einen verbindet er seine Hand, in den andern wickelt er den abgeschnittenen Finger und steckt ihn in die Tasche. Dann dankt er dem Kameraden für die Hilfe und setzt sich wieder auf die Maschine. Er hielt fast bis zum Abend stand. Als der Aufseher von seinem Unfall hörte, schalt er ihn aus und sandte ihn nach der Farm zurück.

Das erste, was Zachäus tat, war, den abgeschnittenen Finger aufzubewahren. Spiritus hatte er nicht, deshalb goß er Maschinenöl in eine Flasche, steckte den Finger hinein und verkorkte den Hals fest. Die Flasche legte er unter den Strohsack in seiner Pritsche.

Eine ganze Woche blieb er zu Hause; er bekam heftige Schmerzen in der Hand und mußte sie Tag und Nacht ganz still halten, es schlug sich auf den Kopf, er bekam auch Fieber im ganzen Körper und lag da und litt und grämte sich über alle Maßen. Eine Untätigkeit wie diese hatte er noch nie durchzumachen gehabt, nicht einmal vor einigen Jahren, als die Mine explodierte und seine Augen beschädigte.

Um seine elende Lage noch unerträglicher zu machen, kam der Koch Polly selber mit dem Essen vor sein Bett und benutzte die Gelegenheit, um den Verwundeten zu necken. Die beiden Feinde lieferten manches Wortgefecht in dieser Zeit, und es geschah mehr als einmal, daß Zachäus sich nach der Wand umdrehen und die Zähne schweigend zusammenbeißen mußte, weil er dem Riesen gegenüber so ohnmächtig war.

Indessen kamen und gingen die schmerzvollen Tage und Nächte, kamen und gingen mit unerträglicher Langsamkeit. Sobald es ihm möglich war, fing Zachäus an, ein wenig aufrecht auf seiner Pritsche zu sitzen, und tagsüber, während der Hitze hielt er die Tür nach der Prärie und dem Himmel offen. Oft saß er mit offenem Munde da und lauschte dem Ton der Mähmaschinen in weiter, weiter Ferne, und dann sprach er laut mit seinen Pferden, als wenn er sie vor sich habe.

Aber der boshafte Polly, der schlaue Polly, konnte ihn auch jetzt nicht in Ruhe lassen. Er kam und warf ihm die Tür vor der Nase zu unter dem Vorwand, daß es ziehe, daß es fürchterlich ziehe, und dem Zug dürfe er sich nicht aussetzen. Dann taumelte Zachäus außer sich vor Wut aus der Pritsche heraus und sandte ihm einen Stiefel oder einen Holzschemel nach, und es war allemal sein brennender Wunsch, ihn auf Lebenszeit zum Krüppel zu machen. Aber Zachäus hatte kein Glück, er sah zu schlecht, um zu zielen, und er traf niemals.

Am siebenten Tage hatte er erklärt, daß er in der Küche zu Mittag essen wolle. Der Koch antwortete, er verbiete sich seinen Besuch ganz und gar. Dabei blieb es, Zachäus mußte auch heute sein Essen auf der Pritsche in Empfang nehmen. Er saß ganz verlassen da und krümmte sich vor Langeweile. Jetzt wußte er, daß die Küche leer war, der Koch und seine Gehilfen waren mit dem Mittagessen draußen in der Prärie, er hörte sie mit Gesang und Lärmen ausziehen, um sich über den Eingesperrten lustig zu machen.

Zachäus steigt von seiner Pritsche herab und schwankt hinüber nach der Küche. Er sieht sich um, das Buch und die Zeitung liegen an ihrem Platz, er ergreift die letztere und schwankt wieder zurück in den Schlafschuppen. Dann putzt er die Brille und fängt an, die lustigen großen Buchstaben in den Anzeigen zu lesen.

Es vergeht eine Stunde, es vergehen zweie – die Stunden vergingen jetzt so schnell! Endlich hörte Zachäus, daß der Proviantwagen zurückkehrte, und er vernahm die Stimme des Kochs, der den Gehilfen wie gewöhnlich befahl, die Schüsseln und die Kummen zu waschen.

Jetzt wußte Zachäus, daß die Zeitung vermißt werden würde, dies war gerade der Augenblick, wo sich der Koch nach seiner Bibliothek begab. Er besann sich eine Sekunde und steckte dann die Zeitung unter den Strohsack seiner Pritsche. Nach einer Weile holt er schnell die Zeitung wieder heraus und bringt sie auf seinem bloßen Leibe unter. Nie im Leben wollte er die Zeitung wieder ausliefern!

Es vergeht eine Minute.

Da nahen sich schwere Schritte dem Schlafschuppen, und Zachäus liegt da und starrt zum Dach empor.

Polly tritt ein.

Wie ist es, hast du meine Zeitung? fragt er und bleibt mitten in dem Raum stehen.

Nein! antwortet Zachäus.

Du hast sie! zischt der Koch und tritt näher an ihn heran.

Zachäus richtet sich auf.

Ich habe deine Zeitung nicht. Scher' dich zum Teufel! sagt er wütend.

Da aber wirft der Koch den kranken Mann auf die Erde und fängt an, die Pritsche zu durchsuchen. Er dreht den Strohsack um, ebenso die armselige Decke, ohne zu finden, was er suchte.

Du hast sie! dabei blieb er. Und noch, als er gehen mußte und schon ganz auf den Hof hinausgekommen war, wandte er sich von neuem um und wiederholte: Du hast sie genommen. Aber warte nur, mein Freund!

Da lachte Zachäus herzlich und boshaft über den andern und sagte: Freilich habe ich sie genommen. Ich hatte Verwendung dafür, du schmutziges Schwein!

Da aber wurde das Papageiengesicht des Kochs ganz blutrot und ein unheilverkündender Ausdruck kam in seinen Canaillenblick. Er sah sich nach Zachäus um und murmelte: Ja, warte nur!

4.

Am nächsten Tag war ein Gewitter, in gewaltsamen Strömen floß der Regen vom Himmel hernieder, peitschte wie Hagelschauer gegen die Häuser und füllte die Wasserbehälter des Kochs schon zu früher Morgenstunde. Die ganze Arbeitsmannschaft war zu Hause – einige flickten Kornsäcke für die Ernte, andere besserten zerbrochenes Werkzeug oder Arbeitergerätschaften aus und schliffen die Messer der Mähmaschinen.

Als der Mittagsruf ertönte, erhob sich Zachäus von der Pritsche, wo er saß, und wollte den anderen in den Speiseraum folgen. Er wurde indes vor der Türe von Polly in Empfang genommen, der ihm sein Essen brachte. Zachäus wandte ein, er habe beschlossen, von nun an mit den anderen zu essen, seine Hand sei besser, er habe kein Fieber mehr. Der Koch antwortete, wenn er das Essen nicht haben wolle, das er ihm bringe, so bekäme er gar nichts. Er warf die blecherne Schale auf Zachäus' Pritsche und fragte: Ist dir das vielleicht nicht gut genug?

Zachäus kehrte zu der Pritsche zurück und ergab sich in sein Schicksal. Es war das richtigste, daß er das Essen nahm, das man ihm gab.

Was für einen Schweinefraß hast du denn heute wieder gekocht? knurrte er nur und machte sich über die Schüssel her.

Kücken! antwortete der Roch. Und ein eigentümlicher Blitz schoß aus seinen Augen, als er sich umwandte und ging.

Kücken? murmelte Zachäus vor sich hin, und durchsuchte das Essen mit seinen blinden Augen. Den Teufel auch ist das Kücken, du Lügner. Aber es war Fleisch und Soße.

Und er aß von dem Fleisch.

Plötzlich bekam er ein Stück in den Mund, aus dem er nicht klug werden konnte. Es läßt sich nicht schneiden, es ist ein Knochen mit zähem Fleisch daran, und als er die eine Seite abgenagt hat, nimmt er das Stück aus dem Munde und betrachtet es. Der Hund kann seinen Knochen selber behalten! murmelte er und geht an die Türöffnung, um es genauer zu untersuchen. Er wendet und dreht es mehrere Male. Plötzlich eilt er zur Pritsche zurück und sieht nach der Flasche mit dem abgeschnittenen Finger – die Flasche ist da, aber der Finger ist verschwunden.

Zachäus schreitet hinüber nach dem Speiseraum. Leichenblaß, mit verzerrtem Gesicht bleibt er in der Tür stehen und sagt, so daß es alle hören, zu dem Koch: Sag' mal, Polly, ist dies nicht mein Finger?

Damit hält er einen Gegenstand in die Höhe.

Der Koch antwortet nicht, fängt aber an seinem Tische an zu kichern.

Zachäus hält einen anderen Gegenstand in die Höhe und sagt: Und, Polly, ist dies nicht mein Nagel, der an dem Finger saß? Sollte ich den nicht wiedererkennen?

Jetzt wurden alle Männer an den Tischen aufmerksam auf die wunderlichen Fragen des Zachäus und sahen ihn staunend an.

Was hast du eigentlich? fragte einer.

Ich fand meinen Finger, meinen abgeschnittenen Finger im Essen, erklärt Zachäus. Er hat ihn gekocht, er hat ihn mir mit meinem Essen gebracht, hier ist auch der Nagel.

Da brach plötzlich an allen Tischen ein brüllendes Gelächter los, und die Leute schrien durcheinander.

Hat er deinen eigenen Finger gekocht und ihn dir zu essen gegeben? Du hast ein wenig davon abgebissen, wie ich sehe, du hast die eine Seite abgenagt!

Ich sehe nicht gut, erwiderte Zachäus, ich wußte nicht … ich dachte nicht …

Dann aber plötzlich wendet er sich um und geht zur Tür hinaus.

Der Aufseher mußte Ruhe im Speiseraum schaffen. Er erhob sich, wandte sich an den Koch und sagte: Hast du den Finger mit dem anderen Fleisch zusammen gekocht, Polly?

Nein, erwiderte Polly. Großer Gott, wie könnte ich wohl! Wofür haltet ihr mich denn? Ich kochte ihn für sich, in einem ganz anderen Topf.

Aber die Geschichte mit dem gekochten Finger lieferte den ganzen Nachmittag Stoff zu unerschöpflicher Heiterkeit für die Bande, man stritt und lachte darüber wie die Verrückten, und der Koch feierte einen Triumph, wie nie zuvor im Leben.

Zachäus aber war verschwunden.

Zachäus war in die Prärie hinausgegangen. Das Unwetter hatte noch immer nicht nachgelassen, und es gab nirgends Schutz. Zachäus aber wanderte weiter und weiter über die Prärie hinaus. Er trug seine kranke Hand in der Binde und schützte sie, so gut er konnte, gegen den Regen; im übrigen war er von oben bis unten durchnäßt.

Er setzt seine Wanderung fort.

Als die Dämmerung hereinbricht, bleibt er stehen, sieht beim Schein eines Blitzes nach der Uhr und kehrt dann denselben Weg wieder zurück, den er gekommen ist. Mit schwerfälligen, bedächtigen Schritten geht er durch den Weizen, als habe er die Zeit und den Weg genau berechnet. Gegen acht Uhr langt er wieder bei der Farm an.

Es ist jetzt völlig dunkel. Er hört, daß die Leute im Speiseraum beim Abendbrot versammelt sind, und als er durch das Fenster guckt, meint er den Koch dort zu sehen und glaubt zu erkennen, daß er sehr guter Laune ist.

Er geht von dem Hause weg nach den Stallungen, wo er sich in den Schutz stellt und in die Finsternis hineinstarrt. Die Heuschrecken schweigen, alles ist still, nur der Regen fällt noch immer, und von Zeit zu Zeit schneidet ein schwefelfarbener Blitz den Himmel mitten durch und schlägt weit hinten in der Prärie nieder.

Endlich hört er, daß die Leute vom Abendessen kommen und in den Schlafschuppen hinübereilen, fluchend und im Sturmlauf, um nicht naß zu werden. Zachäus wartet noch eine Stunde, geduldig und eigensinnig, dann begibt er sich zur Küche.

Es ist noch Licht da drinnen, er sieht einen Mann am Herd, und er tritt ruhig ein.

Guten Abend, sagt er.

Der Koch sieht ihn erstaunt an und sagt schließlich:

Heute abend kannst du kein Essen mehr bekommen.

Zachäus entgegnet:

Gut! Aber dann gib mir ein wenig Seife, Polly. Mein Hemd ist gestern abend nicht rein geworden, ich muß es noch einmal waschen.

Nicht in meinem Wasser! sagte der Koch.

Ja, gerade. Ich habe es hier an der Ecke!

Ich rate dir davon ab.

Bekomme ich Seife? fragt Zachäus.

Ich will dir Seife geben! schreit der Koch. Hinaus mit dir!

Und Zachäus geht hinaus.

Er nimmt den einen der Wasserbehälter, trägt ihn an die Ecke, so recht mitten unter das Küchenfenster, und fängt an, laut in dem Wasser herumzuplätschern. Der Koch hört es und kommt heraus.

Er ist heute groß und überlegen wie nie zuvor, und er geht geradeswegs mit aufgekrempelten Ärmeln entschlossen und zornig auf Zachäus zu.

Was machst du hier? fragt er.

Zachäus antwortet: Nichts. Ich wasche mein Hemd.

In meinem Wasser?

Natürlich!

Der Koch kommt näher, beugt sich über den Wasserbehälter, um sich davon zu überzeugen, ob es der seine ist, und sucht in dem Wasser nach dem Hemd.

Da zieht Zachäus seinen Revolver aus der Binde der verwundeten Hand heraus, hält ihn dem Koch gerade ans Ohr und drückt ab.

Ein schwacher Knall hallte in die nasse Nacht hinaus.

5.

Als Zachäus zu später nächtlicher Stunde in den Schlafschuppen kam, um zur Ruhe zu gehen, erwachten ein paar von seinen Kameraden und fragten, was er so lange draußen gemacht habe.

Zachäus antwortete: Nichts. Ich habe übrigens Polly erschossen.

Die Kameraden richteten sich auf den Ellenbogen auf, um besser zu hören.

Du hast ihn erschossen?

Ja!

Das wäre doch des Satans! Wo trafst du ihn?

In den Kopf. Ich schoß ihn durchs Ohr, die Kugel ging nach oben.

Den Teufel auch! Wo hast du ihn begraben?

Westlich in der Prärie. Ich gab ihm die Zeitung in die Hände.

Hast du das getan?

Damit legten sich die Kameraden wieder hin, um weiter zu schlafen.

Nach einer Weile fragt noch einer von ihnen: Starb er gleich?

Ja, antwortete Zachäus, beinahe sofort. Die Kugel ging durch das Gehirn.

Ja, das ist der beste Schuß, sagt der Kamerad. Geht sie durchs Gehirn, so ist das der Tod.

Und dann wird es ruhig in dem Schuppen, und alle schlafen …

Der Aufseher mußte am nächsten Tag einen neuen Koch ernennen, einen der alten Gehilfen, der jetzt zum Chef aufstieg und herzlich glücklich über den Mord war.

Und alles ging seinen Gang bis zur Ernte. Es wurde nicht weiter über Pollys Heimgang geredet, der arme Teufel war tot, er lag irgendwo im Weizenfelde begraben, wo die Ähren ausgerissen waren; dabei war nichts mehr zu machen.

Als der Oktober kam, zogen die Arbeiter aus Billybony nach der nächsten Stadt, um einen gemeinsamen Abschiedstrunk zu trinken und sich dann zu trennen. Alle waren in diesem Augenblick bessere Freunde denn je zuvor, und sie umarmten und bewirteten einander aus gutem Herzen.

Wohin gehst du, Zachäus?

Ich gehe etwas weiter westlich, antwortet Zachäus. Vielleicht nach Wyoming. Aber zum Winter gehe ich wieder in den Wald zum Holzschlagen.

Dann treffen wir uns dort. Auf Wiedersehen, Zachäus! Glückliche Reise!

Und die Kameraden ziehen nach allen Richtungen hinaus in das große Yankeeland. Zachäus reist nach Wyoming.

Und die Prärie liegt da gleich einem endlosen Meer, über das die Oktobersonne ihre langen Strahlen wirft, die blitzenden Pfriemen gleichen.


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