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Es gab daheim einen Meeresstrom, der hieß Glimma. Und es gab seinerzeit einen Zigeunerburschen, der hieß Alexander. Mit diesem Alexander hatte ich einmal eine Unterredung auf der Festung Akershus, wo er einer Gewalttat wegen eingesperrt saß. Jetzt lese ich in den Zeitungen, daß der gefährliche Verbrecher gestorben ist; die Zellenluft hat ihn getötet. Mir erzählte er, daß er einmal ein Mädchen umgebracht habe … Aber heute muß ich zuviel an seine Erzählung denken, und in meiner Unordnung beginne ich mitten drin. Ich will von vorne beginnen.
Es gibt große und es gibt kleine Fischer im Nordland. Und der Großfischer ist ein mächtiger Mann mit Heringswate und Speicher und gefüllter Speisekammer. Er trägt übertrieben weite und dicke Kleider, um wohlbeleibt zu erscheinen, zum Zeichen dafür, daß er sich einen guten Bissen leisten kann. Er ist nie im Rückstand mit der Bezahlung an Pfarrer oder Obrigkeit; zur Weihnachtszeit nimmt er einen ganzen Anker Branntwein ins Haus. Man kann es auf der Stelle sehen, wenn irgendwo ein Großfischer wohnt, denn er bekleidet seine Häuser mit Holzwerk und streicht sie rot an, die Fenster und Türen aber weiß. Und seine Söhne und Töchter erkennt man an vielen teuern Gegenständen beim Kirchgang.
An Großfischer Jens Olais Bootsplatz landete eines Tages ein großer Zigeunertrupp. Das geschah im Vorfrühling. Die Zigeuner kamen in ihrem eignen großen Familienboot und standen unter der Anführung des alten Alexander »Splint«, eines Riesen, der seine drei Ellen maß. Ein schöner Mann in den Zwanzigern kam vom Boot ans Land in Jens Olais Haus und wollte betteln. Der junge Alexander war's. Das geschah in meiner Kindheit. Wir Kinder erkannten Alexander wieder, er hatte mit uns gespielt, als er jünger gewesen war, hatte blanke Knöpfe und Metallstückchen mit uns getauscht.
Jens Olai, der stolze, stattliche Mann, der bei niemand in der Schuld stand, befahl den Zigeunern, wieder fortzusegeln, ohne daß sie etwas bekommen sollten – Alexander aber spielte den Frechen und Unerschrocknen, er ließ es drauf ankommen, blieb stehen, wo er stand, und wurde dreimal abgewiesen.
Du kannst Arbeit bekommen, sagte Jens Olai.
Was für Arbeit?
Du sollst Kessel und Töpfe flicken. Dazu meiner Frau und meiner Tochter an die Hand gehen, wenn wir Männer auf den Fischfang fahren.
Der junge Alexander drehte sich um, ging an den Strand hinunter, wo das Boot lag, und beratschlagte sich mit seinen Leuten. Als er auf den Hof zurückkam, meldete er sich beim großen Jens Olai: Ja, er wolle den Dienst annehmen. Er hatte wohl mit seinem Vater verabredet, den Großfischer ganz gehörig zu bestehlen.
Als einige Zeit vergangen war, zogen Jens Olai und seine Söhne auf den Fischfang, und nur seine Frau und seine Tochter blieben auf dem Hofe zurück, und die Tochter hieß Leonarda. Sie zählte nicht mehr als zwanzig Jahre.
Der junge Alexander schickte sich gut an. Er verstand sich auf die Krankheiten beim Vieh und kurierte sie, und er besaß wirklich Fingerfertigkeit im Ausbessern von Schüsseln und Geschirr. Die Frau des Großfischers bezeigte ihm bald Gefühle von besondrer Art, obwohl sie sich den Vierzigern näherte, aber der Zigeuner log und sagte, er habe seine eigne Liebste an Bord im väterlichen Boot und habe keine andre im Sinn als sie. Das bereitete der mächtigen Fischersfrau viel bittres Leid, und sie hütete ihre Tochter wohl vor dem Zigeuner. Ja, kaum war die Erde frostfrei geworden, da stellten sie den jungen Alexander auch schon zum Torfstechen an und hielt ihn so vom Hause fern. Aber da sang Alexander unverständliche Lieder im Torfmoor und verrichtete stets ein tüchtiges Tagwerk dazu. Ein großer, lustiger Heide war er. Leonarda sprach nicht oft mit ihm.
Nein, Leonarda sprach nicht oft mit ihm und tat auch nichts andres mit ihm, sie vergaß nicht, daß sie Jens Olais Tochter war. Aber der Frühling ist eine so gefährliche Zeit, und als die Wärme die Luft ernstlich erfüllte, da wurden Alexanders Augen wie Sterne, und er ging so manches Mal unnötig nahe an Leonarda heran, wenn er an ihr vorbei mußte. Auf ganz unerklärliche Weise war ihr ein Gegenstand nach dem andern aus ihrer Truhe abhanden gekommen, trotzdem das Schloß vollständig in Ordnung war. Es stellte sich heraus, daß der Boden der Truhe gelöst war, und Leonarda beschuldigte Alexander des Diebstahls.
Nein, ich habe nicht gestohlen, antwortete er. Aber ich werde dir die Sachen vielleicht wieder beschaffen können, falls du deine Bodentür heut abend offen läßt.
Sie sah ihn an und gab ihm stehenden Fußes zurück:
Willst du denn unbedingt noch morgen aus dem Hause?
Aber der Zigeuner versteht sich aufs Bitten und weiß Bescheid in allen süßen Künsten mit seinem roten Mund, seiner braunen Haut und seinen Augen. Und dazu ist er ein entsetzlicher Herr und Meister in der Liebe.
Leonarda saß am Tage darauf mit ihrem Strickzeug auf dem Hofe, da kam Alexander gegangen. Er sagte:
Laß mich nun dennoch hierbleiben und nimm vorlieb mit mir draußen im Torfmoor. Und nie wieder will ich dergleichen sagen.
Sie warf einen Blick zu ihm empor, seine wenigen Worte taten es ihr an. Und er hatte die Mütze dabei abgenommen, das Haar hing ihm so armselig in die Augen hinein, und sein roter Mund war schön ohnegleichen. Leonarda antwortete:
Ja, ja, wir wollen's versuchen.
Sie neigte sich über ihre Arbeit; sie war rot geworden. Aber der Zigeuner wußte wohl, was er tat, wenn er das junge Mädchen erhöhte und sie bat, mit ihm im Torfmoor vorlieb zu nehmen. Er wollte ihr schmeicheln, wenn er auch wohl wußte, daß nicht sie, sondern die Mutter alle Macht in den Händen hatte.
Die Tage verstrichen.
Des Tischlers Sohn Konrad war fort gewesen und war selbst Tischler geworden. Er hatte das Fach von städtischen Meistern gelernt und machte sich bald einen Namen. Er wohnte auf der andern Seite des Meeresstromes Glimma, und zu ihm fuhren die Leute, wenn sie eine feine Truhe gemacht haben wollten. Eines Tages fuhr auch Leonarda diesen Weg, und Alexander war es, der sie über den Strom setzte.
Sie blieb merkwürdig lange bei dem jungen Konrad und besprach mit ihm die Anfertigung einer neuen Truhe und noch vieles andre, denn die beiden kannten sich von Kind an. Als Alexander schon recht lange unten bei dem Boote gewartet hatte, ging er schließlich zum Haus des Tischlers hinauf und sah zum Fenster hinein. In demselben Augenblick wich er zurück und eilte ins Haus, erregt, in rasender Wut.
Alle drei starrten einander an. Aber der Zigeuner sah aus wie ein Renner mit hängender Mähne und bebenden Nüstern.
Ja, nun komme ich, sagte Leonarda, um ihn zu beruhigen.
Die zwei Männer maßen sich von Kopf bis zu Fuß, und beide waren sie jung. Alexanders Finger griffen tastend an die Hüfte nach dem Messer, aber er hatte keins, und seine Augen wurden wieder demütig. Der Zigeuner ist hilflos ohne Waffe, aber mit dem Messer in der Hand ist er kühn und toll bis zum Mord.
Das war die erste Begegnung.
Während der Woche kam der Tischler Konrad mit der Truhe ins Haus des Großfischers. Und die Truhe war mit dem größten Fleiß zusammengefügt und geleimt, und das Schloß war neu und kunstvoll gemacht. Aber als Leonarda ihre neue Truhe in Gebrauch nehmen wollte, stellte sich heraus, daß alle ihre verlornen Sachen an ihrem rechten Fleck lagen. So friedlich lagen sie in der alten Truhe, als wären sie niemals fort gewesen.
Das hast wieder du getan, sagte Leonarda zu dem Zigeuner.
Nein, ich hab' es nicht getan, antwortete er abermals und log wohl wieder, trotzdem es ihm nichts nützte.
Tischler Konrad verweilte lange im Hause bei Leonarda, und sie kochte Kaffee für ihn und bewirtete ihn. Aber vorher hatte der Zigeuner die Gelegenheit wahrgenommen, pfui zu sagen und in den Kessel zu spucken.
Er paßte auch dem Tischler auf, als er zurück wollte.
Wieder maßen die Männer einander, und Alexander hatte das Messer bei sich.
Es nützt dir nichts, Zigeuner, sagte Konrad. Heute hat sie mir ihr Wort gegeben.
Da loderte es in Alexander auf wie Feuer, und er zog das Messer. Aber der Tischler sprang in das Boot und stieß ab, und als er wohlbehalten ein paar Faden weit entfernt war, schrie er zum Lande hinüber, daß er den Herumstreicher der Behörde anzeigen wolle.
Die Tage verstrichen.
Der alte Alexander »Splint« kehrte mit seinem Boot zurück und wollte den Sohn wieder an Bord nehmen; aber der junge Alexander weigerte sich und verlangte, seine Zeit abdienen zu dürfen. Und er hatte dem Vater wohl vorgespiegelt, daß er auf dem Hofe noch viel zu stehlen gedenke, denn das Zigeunerboot fuhr ohne den Burschen wieder fort.
Der junge Alexander aber sagte zu Leonarda:
Die Schwalben sind da. Ist's nicht an der Zeit, daß du mit mir auf den Speicher hinuntergehst und mich anstellst, Tonnen und Zuber für den Sommerfischfang zu dichten?
Sie wußte wohl immer noch nicht, mit wem sie es zu tun hatte, und sie setzte ihre spöttischste Miene auf und antwortete:
Ich getrau' mich's wohl.
Aber die spöttische Miene, die war wohl nicht gar so ernst gemeint, und seine zweideutigen Worte mißfielen ihr nicht mehr so sehr wie vordem. Sie sah es, daß seine Liebe heißer wurde Tag für Tag.
Kaum waren sie einen Augenblick lang auf dem Speicher, als Alexander schon nach ihr griff und sie hielt und sie auf den Mund küßte, viele, viele Male.
Du bist ganz und gar von Sinnen, sagte sie und entzog sich seiner Umarmung, rot und atemlos.
Soll ich nun wieder morgen fort? fragte er.
Ganz zahm antwortete Leonarda diesmal:
Es kommt darauf an, wie du dich schickst.
Ich werde es nie wieder tun, sagte er.
Er hielt nicht Wort. Er log immerwährend und gab sie nicht frei vor Liebkosungen.
Und es sollte ein Tag kommen, an dem Leonardas Herz anfing, dem braunhäutigen Heiden zu Willen zu sein.
Besser war sie nicht und auch nicht stolzer. Er erreichte durchaus nichts bei ihr in den ersten Wochen; in der vierten Woche aber wurden ihre Augen matt und ihm geneigt. Und das war gerade in der Zeit des knospenden Laubes, in der Zeit der wahnwitzigen hellen Nächte über dem Nordland. Schließlich machte sie sich auf den Weg zum Moor hinaus und stieg mit dem Mittagessen zu ihm in die Torfgrube hinunter, obwohl sie es auf die Kante der Grube hätte setzen können, wie sie's früher getan hatte. Aber das tat sie, um ihm so nah wie nur möglich zu kommen.
Die Mutter war verloren vor Eifersucht und setzte alles daran, daß dem Tischler der Vorrang bliebe. Und Leonarda erwiderte, so solle es sein. Aber sie ging in einem einzigen, wundersamen Rausche umher und wußte für sich selbst etwas andres. Dieser Herumstreicher Alexander stand im Moor und stach Torf, und sie ging hinunter zu ihm und hatte seine Schönheit, seine Jugend mitten vor sich. Es gab Tage, an denen der Tischler Konrad ihr ganz aus dem Sinne kam, und ihre trübsten Tage waren das nicht.
Später im Frühling kamen der Großfischer und seine Söhne vom Fischfang nach Hause, die Saatzeit begann, und Alexander half bei der Arbeit. Aber zu Sankt Johanni sollte er fort. Es wurde jetzt immer schwieriger für ihn, Leonarda heimlich zu treffen, da auch ihre Brüder sie bewachten und der Tischler Konrad von allen begünstigt wurde. So launisch ist überdies die Liebe, daß es sie satt macht, wenn sie es allzu gut hat; der junge Zigeuner begann Leonarda zu langweilen. Sie rüstete sich zur Hochzeit mit Konrad.
Alexander sagte:
Das erstemal, wenn der Tischler seinen Fuß wieder in das Haus setzt, bringe ich ihn um.
Aber Leonarda war seiner überdrüssig und müde und antwortete wiederum spöttisch:
So, so. Und was tust du das zweitemal?
Am Sankt-Johannistage sollte im Hause des Tischlers Tanz sein, und Leonarda sollte hingehen und tanzen. Aber an demselben Abend sollte auch Alexander seinen Dienst auf dem Hof des Großfischers verlassen.
Leonarda sagte zu Alexander:
Setze mich über, bevor du reisest.
Wo willst du hin? fragte er.
Das geht dich nichts an, erwiderte sie.
Alexander machte sich bereit. Er packte seine Habseligkeiten in ein Bündel und sagte:
Ich bin bereit.
Sie gingen zum Strom hinunter und bestiegen das Boot. Und der Meeresstrom Glimma war stark angeschwollen, seit das Eis sich gelöst hatte, und war nur mit Gefahr zu überqueren.
Während Alexander ruderte, sagte er:
Dann willst du ihn wohl heiraten?
Ja, erwiderte sie.
Nicht ich habe deine Sachen gestohlen, sagte er weiter. Deine Mutter hat es getan.
Eine ganze Minute lang starrte sie ihn an, und dann rief sie:
Was sagst du?
Sie wollte Zwietracht zwischen uns säen. Aber ich habe mir's gedacht, wo sie all deine Sachen versteckt hatte, und stahl sie dir zurück.
Du lügst und lügst, antwortete Leonarda und glaubte ihm nicht.
Der Zigeuner ruderte immer fahrlässiger und sah nicht, wohin er ruderte.
Und ich habe dir nichts Böses angetan, sagte er zuletzt. Ich könnte ein ordentlicher Mensch werden, wenn du wolltest.
Was kümmert das mich? versetzte sie und hatte nichts im Sinn als Zank. Wie ruderst du denn? Wir werden auflaufen.
Er aber ließ das Boot treiben.
Dann schrie sie laut dieselben Worte.
Er holte heftig mit den Rudern aus, wie um ihr gehorsam zu sein, und zerbrach das eine Ruder.
Sie waren hilflos.
Du hast es mit Absicht getan, sagte sie da, zum erstenmal in Angst.
Er entgegnete:
Jawohl. Du kommst nicht lebend ans Land.
Einen Augenblick darauf erscholl ein kreischender Schrei, das Boot prallte gegen den Felsen, und die eine Seite wurde zerschmettert. In einem Nu rettete der Zigeuner sich auf den Felsen, von da sah er Leonarda ein paarmal herumrollen, dann wurde sie emporgehoben und herumgedreht, mit dem Kopf voran. Und wirbelte dann mit dem Wasser auf den Grund.
Vom Lande her hatte man sie bemerkt, und der Zigeuner wurde gerettet. –
Und niemand konnte dem jungen Alexander etwas anhaben. Sein Ruder war gebrochen, ihn selbst traf keine Schuld; das Unglück hatte seine Hand im Spiele gehabt.
Diese Geschichte erzählte Alexander mir selbst auf der Festung Akershus, wo er einer Gewalttat wegen gefangen saß.