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Nachwort

Ein Land, das sich vom 58. bis zum 71. Breitengrad erstreckt, ein einziger Urgesteinsblock, zermürbt und zerklüftet von Eis und Wasser, ein armes Land, das seine zwei Millionen Einwohner nur karg ernährt. So weit nördlich wie hier ist nirgends der Mensch seßhaft geworden, dicht an der Grenze des ewigen Eises ringt er dem Boden noch seine Nahrung ab. Mächtige Gletscher sind hier die Überreste der Eiszeit, die einst ganz Europa bis zu den Alpen beherrschte. Überall aber, wo ein Fjord ins Land schnitt, wo ein Tal, ein Elv Lebensmöglichkeiten bot, hat sich der Mensch eingenistet und hält zäh an seiner Scholle fest, vor zwei Jahrtausenden kamen die hochgewachsenen weißhäutigen Männer mit den seltsam flimmernden Augen und den blonden Haaren ins Land und bauten sich, weit verstreut, ihre Höfe, auf denen sie als kleine Könige herrschten, von hier aus zogen sie dann mit ihren Drachenschiffen in die Welt, eroberten halb Frankreich und wurden die Herren Englands, kamen – lange vor Kolumbus – nach Amerika, nach Grönland, besiedelten Island.

Und Wesen und Art dieser Menschen haben sich seitdem nicht sehr geändert: Herrschernaturen sind sie, der Bauer ist heute noch König auf seiner Scholle, und der Wandertrieb steckt ihnen heute noch wie vor tausend Jahren im Blute.

Knut Hamsun ist ein echter Sohn seines Volkes. Hartnäckig, eigenwillig, verschlossen, selbstbewußt, eigenbrötlerisch, treu gegen sich und seine Freunde, ein Mann aus einem Guß und eng verwachsen mit seiner herben Heimat.

Die engen Verhältnisse, in denen er aufgewachsen, bedrücken ihn, er will weiter, hinauf, das Wikingerblut in ihm macht sich geltend, als Kohlentrimmer fährt er nach Amerika, und drüben hungert er sich durch, arbeitet in jedem Beruf, der sich ihm bietet, ist Holzfäller, Straßenbahnschaffner, Gelegenheitsarbeiter.

Aber es drängt ihn mächtig nach der Heimat zurück, und nach seiner Heimkehr findet er seinen eigentlichen Beruf. Er greift zur Feder, und als erstes erscheint (1889) seine Schrift »Über das geistige Leben des modernen Amerika«. Schon im nächsten Jahre folgt das Buch, das den Namen Knut Hamsun in die vorderste Reihe des heutigen Schrifttums rücken sollte: »Hunger«.

Leicht wurde der Erfolg ihm allerdings nicht gemacht, und als das Buch in Deutschland – das seit jeher das Sprungbrett für skandinavische Literatur in die Welt ist – erschien, wurden zunächst mit Mühe und Not 1500 Exemplare abgesetzt. »Mysterien« und »Redakteur Lynge« fanden anfangs noch keinen starken Widerhall, und erst mit »Pan« gelang dem Dichter der endgültige Durchbruch. Es folgte eine Reihe von Romanen, darunter »Victoria«, »Benoni« und »Segen der Erde«, es folgen Bühnenwerke wie »Königin Tamara«, das sich auch auf deutschen Bühnen Heimatsrecht erworben hat, es folgen Novellen und Gedichte. In den späteren Jahren wurde die Produktion Knut Hamsuns seltener. Als »Die Weiber am Brunnen« 1920 erschienen war, vergingen mehrere Jahre, in denen schon die Meinung Fuß faßte, Knut Hamsun habe sein Werk abgeschlossen. Da überraschte er im Jahre 1923 die Welt mit dem großen Roman »Das letzte Kapitel«, einer der reifsten und größten seiner Schöpfungen. Und dann kam 1927 der Roman »Landstreicher«, der wieder seinen Siegeszug durch die Welt angetreten hat.

Daß Knut Hamsun in die Welt hinauswanderte, führte ihn auch geistig aus der Enge der heimatlichen Täler auf die Weite der weltumspannenden Meere, gab seinem Schaffen eine Basis von ungeheurer Breite; daß er den Weg zurück in die Heimat fand, schenkte ihm die Reife erfüllter Sehnsüchte und ließ seine Erkenntnis tiefste Wurzeln schlagen.

Das meiste dessen, was Knut Hamsun geschrieben hat, trägt den Stempel der Ewigkeit an der Stirn. Es ist müßig, heute zu erörtern, ob er oder ein anderer der »größte« Dichter unserer Generation ist. Solche Urteile sind billig und oft schief. Ibsens Werk sagt uns heute – bis auf weniges, was bleiben wird – nichts mehr, weil uns seine Probleme keine Probleme mehr sind. Das aber läßt sich heute schon sagen, daß Knut Hamsun nicht in diesem Sinne an die Zeit gebunden ist. Er steht hoch über dem Menschenhaufen, den er dirigiert wie der Meister sein Puppenspiel. Er verachtet diese Menschen, aber irgendwo in einer Ecke seines Herzens lebt doch eine tiefe Liebe zu ihnen. Oder ist es nur die Liebe zum Objekt? Nein, dann wäre Knut Hamsun ein großer Artist, aber nie der große Dichter, der er in Wirklichkeit ist. Dabei ist das Artistische in ihm stark ausgeprägt, aber immer eng mit dem geistigen Kern verbunden. In seiner Sprache ist Knut Hamsun kaum ein Neuschöpfer zu nennen, er ist eher konservativ in dem jetzigen Kampf um die norwegische Literatursprache. Aber er hat auch in seiner Prosa einen lebendigen Rhythmus, der in seinem Auf und Nieder einen mächtigen Klang hat, der natürlich nur im Norwegischen, mit dessen Sprechton er eng zusammenhängt, zur Wirkung gelangt. Dieser Klang ist schon in dem von ihm gewählten Namen »Knut Hamsun«, ein Klang wie von einer tiefen Glocke. Getauft ist der Dichter auf einen anderen Namen. Dem Rhythmus und dem Klang opfert er zuweilen manches, was uns als Gesetz der Sprache erscheint. Die Zeiten wechseln oft unvermittelt im Satze, die Sprache brodelt und rauscht, bricht Dämme, sprengt Schranken und wird doch immer gebändigt von ihrem wundervollen Rhythmus. Wie groß Knut Hamsun als Künstler ist, zeigt sich deutlich, wenn er einen Aussätzigen mit allen Einzelheiten der furchtbaren Krankheit schildert, ohne daß es auf den Leser abstoßend wirkt.

Oft finden wir bei Knut Hamsun einen Humor, der bitter und scharf und zuweilen grausig ist. Die Erzählung »Frauensieg« gibt ein treffendes Beispiel hierfür, wie denn die vorliegende Novellensammlung überhaupt ein vorzügliches Bild von der vielseitigen Produktion der Dichters bietet. So ist »Sommerwonne« ein kleines Seitenstück zu dem großen Roman »Das letzte Kapitel«, und hier wie dort sehen wir, daß der Hamsunsche Humor auch freundlichere Formen annehmen kann, wenn er auch immer bissig bleibt, namentlich wenn er über die Frau ausgelassen wird.

Knut Hamsun ist heute eine Marke, ein Maßstab, nach dem ein großer Teil aller in der Welt erscheinenden Literatur abgeschätzt wird. Ein abschließendes Werturteil über ihn zu fällen, muß einer späteren Generation vorbehalten bleiben. Wir freuen uns, daß wir ihn zum Zeitgenossen haben, und daß er uns Spiegelbilder von unseren Nächsten schenkt, in denen wir alle menschlichen Schwächen unerbittlich gezeichnet finden, und an denen wir deshalb unsere Lust haben, ohne daran zu denken, daß wir selber mit unseren Schwächen vielleicht auch ein gutes Objekt für die Feder Knut Hamsuns abgeben würden.

Der Dichter aber sitzt, unbekümmert um alles das, wie seine Vorfahren, die Wikinger, auf seinem Hofe in Grimstad im südlichen Norwegen, ein kleiner König auf seiner Burg, wie die Dichter in Norwegen leben, wenn sie es soweit bringen. Björnsons Hof Aulestad steht auf der Höhe über dem lieblichen Gulbrandstal, das Haus Knut Hamsuns mit den strengen, einfachen Linien steht nicht weit vom Meere, dessen Rauschen im Sturm der Dichter im Ohre haben mag, wenn er den tönenden Rhythmus seiner Sprache schmiedet.

Lillehammer, Norwegen, im Sommer 1928.

Erwin Magnus.


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