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Das Postschiff hat einen ungeheuren Flügel ausgeladen, der Knecht Martin und fünf andere Knechte schieben und heben die schwere Kiste auf einen Schlitten, um sie auf der schon recht zusammengeschmolzenen Schlittenbahn fortzuschaffen. Der Flügel war für Jung-Willatz, den Herrn von Segelfoß, bestimmt; er selbst aber kam nicht, und es folgte auch kein Bescheid mit. Wo sollte der Flügel hingeschafft werden? Nach dem Herrenhaus oder in die beiden Stuben des Ziegelwerkes? Martin und die fünf anderen Knechte überlegten hin und her; sie schickten einen Boten zu Frau Rechtsanwalt Rasch und ließen bei ihr anfragen. Sie sagte, der Flügel müsse natürlich ins Herrenhaus, in Herrn Holmsens eigenes Zimmer, wohin denn sonst? Der Bote bedankte sich für den Bescheid und ging. Aber er war noch nicht weit gegangen, als Frau Rasch ihm nachrief, nein, sie sollten die Kiste doch nach dem Ziegelwerk schaffen, wer könne wissen, wohin sie solle. Aber dort könne der Flügel ja auch nicht stehen, nicht in beiden Zimmern zugleich nein, sie wisse es nicht, sie könne nicht entscheiden; Frau Rasch war ganz verstört und aufgeregt.
Der Bote erschien wieder am Landungsplatz, und Martin und die fünf Männer überlegten aufs neue.
Da trat Herr Holmengraa zu ihnen und sagte:
Stellt die Kiste in mein Lagerhaus, bis Jung-Willatz ankommt.
Damit war die Frage gelöst; einer der Männer nickte zuvorkommend und meinte: Das wäre vielleicht das beste! Ein anderer jedoch fügte hinzu: Dann geht die Schlittenbahn vollends zum Kuckuck, und wie wollt ihr dann das schwere Instrument weiterschaffen? Aber Martin kommandierte: So, schwatzt nun kein dummes Zeug, wenn Herr Holmengraa es doch gesagt hat!
Aber Herr Holmengraa hatte nicht immer den Knecht Martin zur Hand, und da konnten dieselben Männer seine Befehle ohne jegliche Zurückhaltung bekritteln. Herr Holmengraa fing an, seiner Tätigkeit, seiner Arbeit, seiner Stellung müde zu werden. Jetzt König auf Segelfoß? Das war fast schlimmer als wirklicher König sein dem einen oder andern Polarfahrer Audienz erteilen, und im übrigen das zu unterschreiben, was die Mehrzahl im Lande beschloß. Herr Holmengraa freute sich, daß wieder ein Willatz nach Segelfoß kam. Als er das erste Gerücht darüber hörte, erklang eine frohe Saite in ihm; das war so merkwürdig, eine Erinnerung an die früheren Holmsens und die vornehmen Zeiten, da es unfein war, eine dicke Goldkette auf der Weste baumeln zu lassen, Gott weiß, was es war, ein Gruß an einen Einsamen, eine Art Stütze, endlich wieder einen Menschen zu haben, mit dem man sich abgeben konnte.
Wen hatte er sonst? Niemand. Rechtsanwalt Rasch? Der war schäbig umhergegangen, bis er die Mittel hatte, sich Kleider zu kaufen, und nachdem er Kleider hatte, konnte er sich einen Schmerbauch und ein Doppelkinn anschaffen; dann bekam er Lust zu anderem als dem Geldverdienen. Der Distriktsarzt Muus? Ein Mann ohne besondere Fähigkeiten und von recht kühler Natur. Er hatte seine Bücher studiert und glaubte daran. Er war ein Mann, der nicht zuerst grüßte gut, Herr Holmengraa grüßte zuerst; er sprach sich über die Menschen und die Welt, über Leben und Tod aus gut, Herr Holmengraa schwieg. Aber fast das schlimmste war das Aussehen des Distriktsarztes, seine Degeneriertheit, der niedere Kopf mit den quer gekämmten Haarsträhnen, seine Kurzsichtigkeit, seine großen, mißgestalteten Ohren. Ein Wechselbalg hatte sich wohl einmal in sein Geschlecht hinein verirrt, war im vorigen Jahrhundert begraben worden, aber in dem Distriktsarzt wieder auferstanden.
Wenn die beiden in Herren Holmengraas Haus kamen der Doktor zuerst durch die Tür herein, weil er auf seinen Vorrang hielt, und der Rechtsanwalt zuletzt, weil ihm das doch nicht schaden konnte, wenn dann beide Herrn Holmengraa die Ehre antaten, ihn an einem Sonntag Abend zu besuchen, wurden sie immer gut empfangen und reichlich bewirtet, oft verließen sie das Haus erst spät in der Nacht wieder.
Herr Holmengraa selbst schien angeregt zu sein: Es ist sehr liebenswürdig von den Herren, sich an meine Wenigkeit zu erinnern, konnte er sagen. Seine Haushälterin, Frau Irgens, geborene Geelmuyden, ergriff dann die Gelegenheit, zu kochen und zu braten, ein wahres Gastmahl; Kalbfleisch und Geflügel und himmlische Tunken erschienen auf dem Tisch, Kuchen und süße eingemachte Früchte für den Doktor, wahre Herrlichkeiten von Backwerk und Gelee. Wenn Fräulein Mariane von einer ihrer Reisen nach Christiania oder ins Ausland zurück war, dann setzte sie sich auch an den Tisch und trank ihr Glas mit. Sie war so unverfälscht jung und lustig, dazu sehr eigenartig, eine Mestize von Mexiko, mit indianischen Gesichtszügen, gleitendem Gang, gut und böse zugleich, manchmal die reine Hexe. Doktor Muus hatte wahrhaftig im vorigen Jahr um dieses Kind gefreit, und es war unvergleichlich dabei zugegangen: Er sei auch nicht mehr als Fleisch und Blut, sagte er, und da er ihr glücklicherweise eine Stellung und einen geachteten Namen bieten könne, so wolle er es jetzt tun. Sie sah ihn höchst eigentümlich an und hatte indianische glänzende Augen dabei. Meinen Sie, wir sollen einander heiraten? fragte sie. Ja, das habe er gemeint. Wir, einander? fragte sie. Er könne die Unmöglichkeit nicht einsehen. Es sei allerdings ein ziemlicher Altersunterschied vorhanden, aber er habe eine Stellung und einen Familiennamen, das müsse als ein kleines Gegengewicht gerechnet werden. Er spielte sogar darauf an, daß sein Aussehen wohl nicht für abschreckend erklärt werden könne. Darauf schwiegen beide eine Weile. Aber wollen Sie mich wirklich haben? begann Mariane wieder, und nun war sie der Situation gewachsen. Ich habe es mir überlegt, antwortete er. Leider bin ich der Zustimmung meiner ganzen Familie noch nicht vollkommen sicher, aber schließlich kommt es ja doch nur auf mich an, und ich bin dazu entschlossen! Da bat sie um einige Jahre Bedenkzeit, damit sie sich daran gewöhnen könnten so fünf Jahre, meinte sie, damit auch nicht das Geringste dazwischen kommen könne; eigentlich müßten es acht Jahre sein, sagte sie. Aber zu diesen acht Jahren schüttelte er den Kopf und meinte, das wäre doch allzu lang. Acht Jahre, sagte er. Nein, wo denken Sie hin, das wäre wirklich übertrieben. Aber ich schätze es, daß Sie sich selbst und auch mir Zeit zur Überlegung lassen wollen. Die Sache ist etwas verwickelt, sagte Fräulein Mariane. Meine Mutter hatte indianisches Blut in den Adern, und ich weiß selbst nicht, ob ich von meinem Stamme in Mexiko ganz losgelöst bin. Ich bin vielleicht genötigt, meinem Stamme von Ihrem Antrag Mitteilung zu machen, aber er ist sicher auf irgendeiner Völkerwanderung, und es könnten wohl fünf Jahre vergehen, bis er gefunden wäre. Doktor Muus aber sagte, darauf pfeife er, und er sähe die Notwendigkeit, einen mexikanischen Volksstamm in diese Frage zu mischen, nicht ein; aber da erklärte ihm Fräulein Mariane mit düsteren, geheimnisvollen Worten: Der Stamm hat seine Gesetze, weh dem, der sie bricht! Der Stamm rächt sich, dazu hat er seine vergifteten Dolche! Wenn auch die Rache nicht bis hierher nach Segelfoß reicht, so habe ich ja meinen Bruder Felix in Mexiko, er ist Seemann und fährt die Küste entlang; er würde sicher getroffen werden. Nachdem der Doktor eine Weile über diese Worte nachgedacht hatte, sagte er entschlossen: Ja, Ihr Stamm und meine Familie können ja nichts miteinander zu tun haben. Da müssen Sie entschuldigen! Mariane neigte den Kopf. Aber deshalb können wir doch auch fernerhin gute Freunde bleiben, sagte Doktor Muus. Ich hoffe es, erwiderte das Fräulein und glitt hastig zur Tür hinaus, um sich von dem Schlag zu erholen.
Außer dem Rechtsanwalt und dem Doktor sah Herr Holmengraa ab und zu einmal auch den Lensmann von Ura bei sich. Der war ein liebenswürdiger alter Mann, der keine Aufregung mit sich brachte. Fräulein Mariane konnte sich stundenlang mit ihm unterhalten, ja selbst Herr Holmengraa lud ihn gerne ein, nicht um dessentwillen, was er sagte und tat, sondern mehr seiner Freundlichkeit und seiner schönen grauen Haare wegen. Er war ein Onkel Bräsig ohne dessen Geschwätz.
Kommen Sie doch recht bald wieder, konnte Fräulein Mariane sagen. Ja, gerne, lautete die ganze Antwort des Lensmannes; dabei stand er unbedeckten Hauptes im Flur und setzte den Hut nicht auf, bis das Fräulein gegangen war.
Der Pfarrer hatte allerlei Talente; er konnte drechseln, schreinern und schmieden, aber natürlich versuchte er nicht, seine Gemeinde in tiefen geistlichen Dingen so zu leiten, wie Lars Manuelsens großer Sohn L. Lassen es in seiner Vikarszeit getan hatte. Ach, der jetzige Pfarrer, wie weit war er doch vom richtigen Weg abgekommen! Er konnte alles mit seinen Händen tun, konnte Weidenkörbe flechten, ja er stellte sich einen eigenen Schlitten her. Hier zeigte er sich sogar als Erfinder; den ganzen Sitzkasten machte er aus alten Säcken, die er in Leim einweichte und dann formte, wie er wollte. Als die Form erstarrt war, ging er mit Gipsspat darüber, und als der Spat trocken war, rieb er ihn mit Bimstein ab, bis alles hübsch glatt war. Schließlich strich er den Kasten noch dreimal mit dicker Lackfarbe an, und dann war er fertig. Es war, als fahre man in einem leichten, wunderbaren Sitzkasten aus Glas. Wegen dieses Kunststücks wurde er zum Vorsitzenden der Gemeinde gewählt. Der Pastor hieß Landmarck, er war nun schon vier Jahre da, und er war auch der erste Pfarrer, seitdem Segelfoß ein eigenes Kirchspiel geworden war. Die Frau stammte aus einem Städtchen weiter südlich; alle Pfarrfrauen stammen aus den südlicheren Städtchen, sie sind die Töchter des Zollbeamten, des Kapitäns oder des Stadtkämmerers und bekommen ihren Mann, wenn er als Lehrer in dem Städtchen angestellt wird. So geht es allen, so war es auch Frau Landmarck gegangen. Sie war die Tochter des Polizeimeisters, aus einem kleinen Haushalt mit vielen Kindern, heiratete dann den Lehrer und bekam selbst Kinder; als es aber der Kinder mehr wurden, mußte der Lehrer weiter droben im Reich um eine Pfarrstelle einkommen, obgleich er nicht predigen konnte. So geht es allen Theologen, so war es auch Pastor Landmarck ergangen. Jetzt war er wahrhaftig fest als Seelsorger angestellt, obgleich er sich nicht darauf verstand ein dummer und langweiliger Beruf für einen Mann, der etwas mit den Händen konnte. Er richtete eine Schreinerei und eine Schmiedewerkstatt im Pfarrhofe ein und verlebte seine glücklichsten Stunden inmitten von Hobelspänen und Schmiedegeruch; es ging nicht ganz schlimm, hätte schlimmer gehen können. Pastor Landmarck hielt es aus. Aber die Frau Pastor, seine Frau, geborene Post, hatte sich freilich das Leben bei einem Beamten nie so ärmlich gedacht gehabt, das war ja nicht viel besser, als wenn sie einen Handwerker geheiratet hätte. Es kam vor, daß ihr Mann für einen Nachbarn ein Rad an einen Schubkarren machte oder einen Spieß schliff, und daß ihm Geld dafür geboten wurde, ja einmal hatte er sogar einen Kindersarg verfertigt. Es war schon recht, wenn man sich gegen die Leute, denen Hilfe nottat, hilfreich erzeigte, aber wo war hier die Grenze, und wie sollte man die Aufdringlichkeit in Schach halten? Die Frau Pastor sagte, was ganz wahr war, sie sei nicht dazu geboren, mit allen den Nachbarsfrauen zu verkehren, die sich mit allen möglichen Ansinnen in ihre Küche drängten, und sie wolle sie wirklich nicht da haben, nein, geht nur wieder heim, Oline, und geht wieder heim, Mattea und Lisbet! Das kam alles von ihres Mannes Handwerkerei, die war ein Kreuz für die Familie, und wieder sagte sie, was auch wahr war, jedenfalls sei es ein kostbares Vergnügen, wenn man sich in einem Pfarrhof, den man doch wieder verlasse, sobald die Jahre im Norden überstanden seien, eine Schmiede und eine Schreinerwerkstätte einrichte. Ob man ein Haus, eine Schmiede mitnehmen könne? Jetzt seien gottlob vier Jahre vorüber, in weiteren vier könnten sie sich fortmelden, sich südwärts melden gerne wieder in eine Kleinstadt, aber doch südlicher, und da müsse die Werkstatt dann zurückbleiben! Ein teuerer Spaß, mehrere hundert Kronen, die für niemand sonst von Nutzen sein konnten, als für den nächsten Pastor von Segelfoß.
Bei Herrn Holmengraa waren die Pfarrleute in diesen vier Jahren alles in allem zweimal gewesen, bei ihrem ersten Besuch und dann noch einmal. Und dieses zweite Mal war nicht besonders gut abgelaufen; Herr Holmengraa nahm den Pastor mit in die Mühle, um ihm die Maschinen und sonstigen Einrichtungen zu zeigen, und die Pfarrfrau blieb allein bei Frau Irgens, geborene Geelmuyden. Nein, es lief nicht besonders gut ab. Beide Damen taten sich dicke, und die eine sah nicht ein, warum sie der andern nachgeben sollte. Da waren zuerst die Blumen: Frau Landmarck war an ganz andere Blumen gewöhnt, drunten im Süden, in ihrem Elternheim; aber sie sagte es nicht einmal gerade heraus, sie deutete nur an, daß daheim in ihrem Elternhaus eine Aralia einmal zur Stube hinausgewachsen sei. Frau Irgens warf den Kopf zurück. Dann kamen die Fenster an die Reihe: Frau Landmarck ließ ihre Mägde die Fenster im Pfarrhaus jeden Morgen blitzblank reiben, aber die Flecken saßen im Glas, es war sehr schwer, hier im Norden schönes Fensterglas zu bekommen. Frau Irgens meinte nun, sie habe auch im Norden schöne blanke Scheiben gesehen. Aber da fragte Frau Landmarck unvorsichtig: Wo denn? Nun, ich meine, diese hier seien recht schön, antwortete Frau Irgens. Da lächelte Frau Landmarck und sagte: Nein, dann haben Sie die weiter im Süden drunten nicht gesehen, Frau Irgens. Darauf folgte ein erbittertes Schweigen. Ach, Sie werden mich doch nicht mißverstehen, begann Frau Landmarck wieder; es ist ja nicht Ihre Schuld, es sitzt eben im Glas. O nein, wenn den Scheiben hier etwas fehlt, dann ist es meine Schuld, versetzte Frau Irgens. Das Glas ist gut, Herr Holmengraa ist der Mann, der Spiegelglas in seinen Fenstern haben kann. Ist dies hier Spiegelglas? fragte die Pfarrfrau ungläubig. Weil es eine einzige große Scheibe ist, darum ist es doch noch kein Spiegelglas! Nein, aber weil es Spiegelglas ist! entgegnete Frau Irgens. Ha, ha, es hätte noch mehr Streit geben können, denn jetzt hatte Frau Irgens, geborene Geelmuyden einen roten Kopf; aber Frau Landmarck wollte als Pfarrfrau nachgeben und sich für besiegt erklären, d. h. sie gab durchaus nicht nach, sondern sprach von anderen Dingen, von Dienstmädchen, Silberzeug und großer Wäsche, aber sie vergaß die Fenster nicht. Sollte sie sich von so einer Nordlandsdame alles weismachen lassen? Sie blieb vor dem äußersten Fenster im Zimmer stehen und sagte: Aber nun sehen Sie mal, beste Frau Irgens, hat Spiegelglas solche Schrammen? Frau Irgens trat näher und sagte: Diese Schrammen, wissen Sie, was das ist? Das ist ein Namenszug, den jemand mit seinem Diamantring eingeritzt hat. Da sah Frau Landmarck Frau Irgens an, recht lange sah sie sie an. Würden die Aufschneidereien immer dicker kommen, und sollte sie sich darein finden? Diamantring, sagte Frau Landmarck, sind das nicht sehr seltene und teuere Dinge? Wissen Sie wohl genau, was Sie sagen, Frau Irgens? Nun war Frau Irgens ernstlich gekränkt, und sie machte Frau Landmarck darauf aufmerksam, daß sie Frau Irgens war; worauf Frau Landmarck einwarf, sie sei eine geborene Post, aber deshalb werfe sie doch nicht vor lauter Eingebildetheit mit Diamanten in ihrer Rede um sich. Ach, du lieber Gott, die ausländischen Kapitäne haben die Namen da geschrieben! schrie Frau Irgens. Als sie mit ihren Kornladungen kamen, da haben sie es geschrieben, sie zogen einen Ring vom Finger und schrieben es. Ich glaube, Sie wollen mich zur Lügnerin stempeln, Frau Landmarck! Frau Irgens standen Tränen in den Augen, und ihre Wangen waren ganz blaß geworden. Beste Frau Irgens, ich will alles tun, Sie zu beruhigen! rief die Pfarrfrau. Ja, das will ich wahrhaftig, und ich werde Ihnen nicht mehr widersprechen, da Sie es offenbar nicht ertragen können. Sie müssen mich entschuldigen, ich habe hier oben noch nichts von Diamantringen gehört, was wir im Süden haben, das ist etwas anderes. Aber wenn sie erklären, daß ausländische Kapitäne dies geschrieben haben, dann ist die Sache ja nicht unglaublich. Nein, liebe Frau Irgens, ich will Sie wirklich nicht der Lüge zeihen. Herr Holmengraa war sogar recht ärgerlich über dieses Gekritzel auf den Scheiben, als er es sah, fuhr Frau Irgens fort, sie ließ sich nicht so rasch versöhnen. Und er bat scherzend Fräulein Mariane, sie solle mit ihren Diamantringen nirgends etwas einritzen, das sei nicht schön, sagte er, und Fräulein Mariane antwortete lächelnd, sie habe auch wirklich gar nicht daran gedacht, etwas einzuritzen. Aber Fräulein Mariane hat drei bis vier kostbare Diamantringe, mit denen sie gut ritzen könnte. Soso, sagte Frau Landmarck, nur um Frau Irgens nicht zu widersprechen. Aber Frau Irgens war doch wieder gekränkt, denn sie wiederholte fragend dieses Soso? und fügte hinzu: Ich sage ja nicht, daß ich die Ringe habe, denn ich habe sie nicht. Obgleich, auch ich bin nicht ganz ohne Schmuck, denn Irgens hat mir einen sehr teuren Schmuck aus böhmischen Granaten geschenkt, Armband, Ringe und Ohrringe, ein Halsband und ein Diadem fürs Haar, ich glaube, er sagte, er habe viele hundert Kronen dafür ausgegeben. Daran zweifle ich nicht, meinte Frau Landmarck, und sie war auf ihre Art wieder nachgiebig. Nach unserem geringen Verständnis von böhmischen Granaten da unten, kosten sie vielleicht tausend Kronen. Warum dann einige hundert sagen, Frau Irgens? Aber es gibt Leute, die finden es großartiger, wenn sie sechzig Minuten statt einer Stunde sagen. Was mich betrifft, so habe ich so etwas nie begriffen.
Die Herren kamen von der Mühle zurück und beendeten das Alleinsein der Damen. Aber die Pfarrfrau erklärte auf dem Heimweg, sie setze nie wieder einen Fuß in Herrn Holmengraas Haus, das sei sie sich selbst schuldig.
Und bis jetzt hatte sie Wort gehalten.
Dann war nur noch der Telegraphist Baardsen übrig nein, der ging nirgends hin, und Herr Holmengraa traf ihn nur unterwegs und auf dem Telegraphenamt. Die beiden redeten immer kurz und höflich miteinander, nichts weiter, keinen außerdienstlichen Verkehr. Aber als Herr Holmengraa zehn Jahre in Segelfoß gewesen war und eine Art Jubiläum feierte, da zog der Telegraphenamtsvorsteher die staatliche Flagge auf. Was meinte er damit? Er flaggte sonst nie, außer von Amts wegen. Am Abend wurde er zu Herrn Holmengraa eingeladen; aber er entschuldigte sich mit Überstunden im Dienst. Gottfred aber, sein kleiner Amtsbruder, sagte, Baardsen habe keinen guten Anzug.
Alles in allem war also Herrn Holmengraas Leben in Segelfoß sehr einförmig und ungesellig geworden, niemand war da, an den er sich hätte anschließen und mit dem er hätte sprechen können. Auch der ganze Geschäftsbetrieb diente nicht zur Aufmunterung; die Arbeiter murrten, und die Mühlen mahlten oft mit recht geringem Gewinn. Zweimal hatte er die Preise erhöhen müssen; beim zweitenmal wurde er in der Segelfosser Zeitung angegriffen, die behauptete, er sauge die Bevölkerung aus.
Ach nein, es war oft nicht leicht für den Mühlenbesitzer! Ab und zu schlug auch eine Spekulation fehl; die Kornernte in Indien wurde besser, als berechnet worden war, und Herr Holmengraa hatte zu teuere Einkäufe gemacht. Als dies durchsickerte, schrieb die Segelfosser Zeitung, der Mühlenbesitzer habe einen tüchtigen Verlust erlitten, aber das geschehe ihm recht, man solle nicht mit Indiens Not spekulieren wollen. Nieder mit dem Kapital! Es wurde ein geradezu peinlicher Zustand; außer dem Verlust, den der Mühlenbesitzer erlitt, mußte er auch noch Erklärungen abgeben, mußte prahlen, er könne gottlob noch auf seinen Beinen stehen, er habe sein tägliches Auskommen, ha, ha! Und um dem Klatsch ein Ende zu machen, ließ er sich herab, bei seinem Jubiläum zur Errichtung einer Arbeiterunterstützungskasse fünftausend Kronen zu stiften.
Da schrieb die Segelfosser Zeitung: Endlich eine kleine Rückzahlung von dem Reichtum, den die Arbeiter im Schweiß ihres Angesichts für einen einzelnen Mann zusammengehäuft haben. Hört die Wahrheit, Arbeiter!
Und dann diese fünftausend Kronen was für eine traurige Komödie wurde daraus! Die Arbeiter eröffneten eine Bank damit, eine Arbeiterbank, »die Segelfosser Spar- und Leihkasse,« und der Rechtsanwalt und zwei andere Männer wurden zu Direktoren ernannt. Mehrere Wochen lang gaben sie Vorschüsse, alle Leute bekamen Vorschüsse, sie verpfändeten ihr Häuser, ihren Haushalt und ihr Vieh, alles miteinander. Wenn Jens Geld bekam, dann mußte Jakob auch welches bekommen. Wie eine Art Seuche kam es über die Leute, der eine schrieb für den andern gut. Theodor im Laden machte in diesen Tagen ein großes Geschäft in bar, er verkaufte Kleiderstoffe und Uhrketten und feinen Käse. Schließlich war kein Geld mehr in der Segelfosser Spar- und Leihkasse, und die Direktion scharrte den Rest auf dem Boden zusammen, um ihr Gehalt zu bekommen. Sie sahen einander an: Was nun? Sie waren zu Ende.
Doch nun kam Rechtsanwalt Rasch an die Reihe. Wenn Sie mir freie Hand lassen, werde ich die Bank retten, sagte er. Er bekam freie Hand und wurde alleiniger Direktor mit doppeltem Gehalt.
Nun kamen die Eintreibungen, und Rechtsanwalt Rasch verdiente gut dabei; er schickte den Leuten Vorladungen, pfändete sie und hielt Auktionen; Theodor im Laden kaufte mehrere Male großes Schlachtvieh, das er mit dem Postschiff südwärts sandte, und der Rechtsanwalt erstand ein paar Hütten, für die die Bewohner dann Miete zahlen mußten. Ach, das war eine Umwälzung, ein Erdbeben, lieber Himmel, niemand hätte wohl voraussehen können, welche große Folgen diese gute Gabe von fünftausend Kronen haben würde!
Und die Bank hielt sich. Es war ein Wunder, aber die Bank hielt sich tapfer in den Tagen der Not. Wie ging das zu? Niemand zweifelte daran, daß die Rettung Rechtsanwalt Rasch zu verdanken war. Hätte dieser eiserne Jurist nicht so blitzschnell und klug gehandelt, dann wäre alles verloren gewesen. Er schickte an ein und demselben Tag dreißig Vorladungen aus, er überflutete Segelfoß, schlug die Stadt mit Schrecken. Die Leute konnten ja gar nicht zu sich selbst kommen, um irgendeine Gaunerei ins Werk zu setzen, sich zum Beispiel einem Verwandten oder sonst in Frage Kommenden mit Haut und Haar zu verschreiben und die Bank zu prellen. Die Leute unterwarfen sich stöhnend, sie waren Kinder, sie waren Schlachtvieh. Aber Rechtsanwalt Rasch verdiente gut. Und die Arbeiter selbst? Die Mehrzahl war zufrieden. Über die Familienväter mit Haus und Heim und Vieh entlud sich das Wetter; sie hatten nicht allein selbst entlehnt, sondern waren auch für andere Bürgen geworden, für die Tagelöhner, die große Mehrzahl für diese Hausväter waren es ernste Schläge, aber die Mehrzahl behauptete, niemand sei mehr verpflichtet, den Schlag auszuhalten, als gerade diese »besitzende Klasse« im Arbeiterstand, die hätten die Kapitalisten nachgemacht und sich etwas zurückgelegt, die seien auf Abwegen. Es wurden einige aufgeregte Versammlungen gehalten, der Arbeiter Aslak hielt eine Rede, der Tagelöhner Konrad ebenfalls, die Segelfosser Zeitung forderte den Mühlenbesitzer auf, anwesend zu sein und die Reden mit anzuhören.
Herr Holmengraa ging in einem dicken Wams und mit mehlbestaubten Stiefeln umher und erschien nicht; aber von seiner Wohltätigkeit hatte er wenig Freude. Nein, er erschien nicht, aber war die Sache damit beigelegt? Man nahm sich sogar die Freiheit, ihm von der Versammlung aus einen Boten zu schicken, und da mußte er sagen lassen, er sei beschäftigt und könne nicht kommen. Es war eine Verhandlung wie zwischen Gleichgestellten.
War dies ein Leben für den Wundermann, für König Tobias aus dem Märchen- und Goldland! Nie kam es zu einer Katastrophe, nie zu einem Krach, aber es geschahen tausend Unerfreulichkeiten. Es lag nichts Eigentliches vor, was ihn hätte fällen können, aber es gab einen Überfluß von Kleinigkeiten, die ihn quälten und peinigten. Ach, wie ganz anders hatte es doch früher gelautet, als ihn die Sage zu dem Millionär aus den Cordilleren gemacht hatte!
Nein, Herr Holmengraa konnte sich nicht verhehlen, die Leute begannen betreffs seines Reichtums mißtrauisch zu werden, und wenn er nicht reich war, dann war er nichts. Warum in aller Welt sollte ein reicher Mann auf Segelfoß ein Mühlenwerk betreiben, wenn er nicht einmal fett davon wurde und in einem Pelzmantel ging? Seht, Rechtsanwalt Rasch war ordentlich reich geworden, und das sah man ihm an! Herr Holmengraa täte am besten, irgend etwas Neues zu unternehmen und sich nicht kleiner zu machen als er war. Könnte er nicht die herrlichen Tage wieder auferstehen lassen, wo er mit der unermeßlichen Pracht eines Sonnenaufgangs aus der Sage aufgetaucht war? Ach Gott, jene Tage! Er mußte wieder etwas Märchenhaftes tun, er war vielleicht eben damit beschäftigt; eine kleine Probe davon war seine Reise in die Stadt, von der er als Freimaurer zurückkam. Wenn das nur hilft! denkt er wohl. Und wenn ich nur die frühere Achtung wieder erlange! denkt er wohl.
Heute ist er zufrieden und heute ist er voller Hoffnung. Wenn Jung-Willatz kommt, wird er zum erstenmal seit vielen Jahren wieder einen Menschen zum Umgang haben; nun hatte er eine Freude in Aussicht, ein Gefühl überkam ihn, wie am Tage nach einem Glücksfall.
Herr Holmengraa geht nach dem Laden. Er kommt nur selten hin, eigentlich nie, und der kleine Theodor schlägt vor dem großen Mann die Tischklappe auf. Das kann er wohl tun, denn Herr Holmengraa hat den ganzen Laden auf seinem Grund und Boden errichten lassen und dem alten Per geholfen, P. Jensen zu werden. Der Mühlenbesitzer ist die Gutmütigkeit selbst gegen diese Leute im Laden und verlangt von ihnen keinen Bodenzins. Er ist mit Theodors Mutter weit, weit entfernt verwandt und hat nichts dagegen, daß Theodor ein flinker Bursche geworden ist, der zu seinem Lebensunterhalt einen kleinen Kramladen betreibt. Er selbst aber kauft nichts da, sondern läßt sich alles aus den großen Städten kommen.
Bitte, wollen Sie nicht hereinkommen? sagte Theodor.
Herr Holmengraa lächelt. Mit diesem »hinter den Ladentisch einladen« pflegte der Kaufmann einen Kunden zu ehren; das konnte für die Segelfosser ganz gut sein, aber bei einem König war es etwas anderes.
Liegt dein Vater immer noch zu Bett? fragt Herr Holmengraa. Dann mußt du es eben selbst mit ihm besprechen. Ich sehe, daß ihr wieder Fische ausladet und sie auf den Klippen ausbreitet, nun schon seit sechs Jahren.
Theodor wird verlegen und sagt:
Die Klippen gehören doch Willatz.
Du meinst, Herrn Holmsen? Ja, ganz richtig, es hätte weniger getan, wenn es meine gewesen wären; meiner Ansicht nach mußt du jetzt für alle diese Jahre eine Klippenmiete bezahlen.
Theodor ist ein flinker Bursche und erwidert:
Der Willatz Herr Holmsen ist einmal hier gewesen, nachdem wir schon angefangen hatten, die Fische auf seinen Felsen zu trocknen, aber er hat nie etwas von einer Miete gesagt.
Ganz richtig! nickte der König. Aber auch aus diesem Grunde meine ich, ihr solltet ihn nun bezahlen.
Ich will mit meinem Vater darüber reden.
Jawohl. Sag deinem Vater, ich wolle, daß ihr diese Klippenmiete bezahlt.
Theodor war wohl bisher im Zweifel, aber jetzt entschließt er sich doch, die Wahrheit zu sagen, er will vielleicht aus irgendeinem Grund einen möglichst großen Eindruck auf den Mühlenbesitzer, den König, machen, deshalb sagte er:
Im übrigen gehört die Fischladung und die Jacht mir und nicht unserer Firma.
Vielleicht wußte dies Herr Holmengraa bereits, und er wollte den jungen Burschen nur in seiner Größe etwas zügeln. Das ist nicht unmöglich. Denn er ist allen den Leuten im Laden gegenüber nur freundlich und väterlich.
So, die Fische gehören dir, Theodor? fragt er. Nun, dann weiß ja so ein tüchtiger Mann wie du, daß du Klippenmiete bezahlen mußt, und wir reden nicht mehr darüber.
Aber Theodor will gewiß noch weiter Eindruck machen und sagt:
Die Bäckerei, die an uns übergegangen ist, steht, so viel ich weiß, auf Ihrem Grund und Boden.
Ach, das ist einerlei!
Wir werden Ihnen Bodenmiete bezahlen.
Geht übrigens das Geschäft und alles miteinander gut? fragt Herr Holmengraa.
Ja, wir können nicht klagen.
Herr Holmengraa nickt und geht.
Es war ihm angenehm, wieder einmal ein wenig auftreten zu können, etwas zu sagen zu haben, auf etwas Hinweisen zu können. In den letzten Jahren war dies nicht allzuoft vorgekommen. Der Frühling munterte ihn wohl ein wenig auf; jedes Jahr im März fühlte er eine Veränderung in sich, er machte längere Schritte und sprach bestimmter. Der Frühling konnte ihm auch böse Streiche spielen, ein Kreuz wurde ihm auferlegt: Jugend. Er wurde von Jugend getroffen. Das hatte dumme und verdrießliche Folgen.
Er begegnet einem Fuhrmann auf dem Wege; der Mann grüßt und sagt, er sei der Vater von Marcilie.
So, sagt Herr Holmengraa.
Ja, der Vater von Marcilie, die wieder bei euch dient, sagt der Mann.
So. O ja.
Ja, und jetzt ist das Kind ein großer Junge, der schon Schneeschuh laufen kann.
So. Jawohl.
Aber er hat keine Schneeschuhe.
Herr Holmengraa zieht seine Brieftasche heraus und sucht nach einem Geldschein. So, da kauf ihm Schneeschuhe dafür. Aber was soll er denn jetzt, wo es bald Frühjahr wird, mit Schneeschuhen?
O, das habe ich ihm den ganzen Winter über geantwortet, aber er jammert doch um Schneeschuhe. Und im übrigen haben wir auf den Bergen Schnee bis Johanni.
Gut, kauf ihm Schneeschuhe! Marcilie ist ein tüchtiges Mädchen, ihr Junge soll Schneeschuhe bekommen.
Ich wußte es doch, sagt der Mann. Wenn ich es Euch nur sagen würde, dann würdet Ihr das Kind nicht länger jammern lassen. Und jetzt bedanke ich mich vielmals für das Geld in seinem Namen. Darf ich Euch nicht fahren, rief der Mann Herrn Holmengraa nach.
Mich fahren?
Ich meine umdrehen und Euch heimfahren. Das würde ich sehr gerne, wenn Ihr mit einem Holzschlitten vorliebnehmen wolltet.
Und der Mann wendet das Pferd.
Fahr deiner Wege! rief Herr Holmengraa zurück und läßt ihn stehen.
Ja, gewiß war man dummen Vorkommnissen ausgesetzt. Das war unvermeidlich. Was war dagegen zu tun? Hier bot ihm nun ein Mann an, ihn auf einem Holzschlitten zu fahren, als wäre er ein richtiger Segelfosser, zum Beispiel der Rechtsanwalt oder der Theodor im Laden. Nein, da mußte etwas getan werden, es war keine Achtung da, wo von Rechts wegen sogar Ehrfurcht sein sollte.
Aber dieser Schlauberger, der Vater von Marcilie und Großvater von Marcilies Kind, er hatte wohl seine Absicht dabei, wenn er den Mühlenbesitzer fahren wollte, wenn er mit ihm auf einem Schlitten sitzen wollte, damit ganz Segelfoß es sähe.
Plötzlich hört er jemand vor sich rufen, er schaut auf und sieht einen Mann mit den Armen fuchteln. Es ist Konrad, der Tagelöhner, der den Weg von der Mühle herunterkommt.
Herr Holmengraa muß denken, es handle sich um etwas Ernstliches, und er wartet kaum, bis Konrad auf Hörweite herangekommen ist, ehe er fragt:
Was ist denn los?
Nichts, antwortet Konrad. Ich habe nur dem Mann auf dem Schlitten zugerufen, daß ich mit ihm fahren möchte.
Herr Holmengraa scheint es nicht zu verstehen.
Wo willst du hin? fragt er.
Ach, ich will nur so schnell wie möglich in den Laden. Der Tabak ist uns hier oben ausgegangen.
Da lief ein Zucken über Herrn Holmengraas Gesicht; es war, als hätte ihn ein Peitschenhieb getroffen. Im nächsten Augenblick war es indes schon vorüber.
Sie könnten mir wohl kein Priemchen schenken? fragte Konrad.
In diesem Augenblick wünschte sich Herr Holmengraa vielleicht seine kräftige Matrosenjugend zurück. Es ist schlimm, ein alter Mann zu sein, Herr Holmengraa wußte sich nicht zu helfen. Er faßte sich indes so weit, um sagen zu können:
Heute nachmittag müssen die zweihundert Säcke gefüllt sein. Hast du mich verstanden?
Es kann wohl sein, daß Konrad es wirklich verstanden hatte, aber es machte keinen sichtlichen Eindruck auf ihn, und er kümmerte sich nicht darum. Er zog ein Taschentuch heraus und putzte sich die Nase, während er gleichgültig an seinem Herrn vorbeiging.
Herr Holmengraa meinte wohl, sich übereilt zu haben und fürchtete die Folgen; er war ein alter Mann und sagt in sanftem Ton: Du brauchst nicht anzufangen, ehe du zu Mittag gegessen hast. Hast du schon gegessen?
Ob ich gegessen habe? antwortete Konrad lächelnd. Ja, schon oft.
Ich meine heute. Heute zu Mittag gegessen?
Das hätten Sie gleich sagen sollen.
Herr Holmengraa ruft aus:
Nein, weiß Gott, das geht denn doch zu weit! Du bist nicht einen Tag länger auf der Mühle.
Aber dem Konrad ist früher auch schon aufgekündigt worden, das war keine große Strafe. Gott hatte ihm einen gesegneten Verstand verliehen, und er wußte, daß er und seine Kameraden die Macht hatten. Er wandte sich um und sagte:
Jetzt will ich Ihnen etwas sagen, Herr Holmengraa, ein alter Mann sollte nicht so hastig sein. Wir sind zwanzig gegen einen, und wir sind alle keine Sklaven.
Aber wie viele meinst du, daß wir sind? versetzte Herr Holmengraa, sich vergessend. Ich will euch zeigen euch lehren
Na, du meinst die Freimaurer? rief Konrad. Ach, an die glaubt kein Mensch hier!
Darauf ging Konrad. Er setzte sich zu dem Mann auf den Schlitten und fuhr nach dem Laden, Tabak zu holen.
Herr Holmengraa kommt heim und sagt zu seiner Haushälterin, Frau Irgens:
Ich reise heute abend mit dem nach Süden gehenden Postschiff ab, bitte, packen Sie meinen Koffer! Nur das Notwendigste, ein Hemd oder zwei, ich komme mit dem ersten nach Norden gehenden wieder zurück.
Frau Irgens war an solche Reisen gewöhnt. Herr Holmengraa nannte sie »Versammlung der Loge«; sie fragte, ob Fräulein Mariane mitreise. Herr Holmengraa verneinte es: es sei eine sehr wichtige Reise, da müsse er allein sein. Und indessen müssen Sie das Haus versorgen, Frau Irgens.
Das Haus versorgen! sagte Frau Irgens niedergeschlagen. Ich bin ganz unglücklich, der Schlüssel ist verloren gegangen und nicht mehr zu finden. Nachts im Bett muß ich immer daran denken.
Der Schlüssel?
Ja, der Schlüssel zum Vorratshaus, wie ich Ihnen gesagt habe. Wir suchen und suchen, finden ihn aber nicht.
Na, das ist wohl nicht so gefährlich, sagt Herr Holmengraa zerstreut.
Doch, doch; Frau Irgens war voller Sorge. Der kleine Schlüssel sei nicht mehr zu finden, er sei wie von der Erde verschlungen, seit man im Herbst geschlachtet habe, da sei ein so großer Umtrieb im Vorratshaus gewesen. Man habe drinnen und draußen gesucht, sich gegenseitig die Taschen umgedreht und alle Leute danach gefragt; jetzt schmelze der Schnee auf dem Hofplatz, aber der Schlüssel komme nicht zum Vorschein. Es sei aber auch kein großer, ordentlicher Vorratshausschlüssel mit einem kunstfertigen Bart, sondern ein elendes Ding, nur ein kleines glänzendes Nickelstückchen, flach wie Papier und kaum einen Zoll lang, wie der Schlüssel zu einem Hängeschloß, einem Yaleschloß. Man hätte ihn an der Uhrkette tragen können.
Und nun können Sie nicht ins Vorratshaus hinein? fragt Herr Holmengraa gleichgültig.
O doch, sagt Frau Irgens, und sie muß über so viel Unkenntnis lächeln. Wir sind natürlich den ganzen Winter hindurch in der Vorratskammer aus und eingegangen. Aber wir müssen durch den Mangelboden gehen, den Schlüssel zum Mangelboden haben wir gottlob.
Dann ist es ja nicht so gefährlich, sagte Herr Holmengraa und denkt dabei an andere Dinge.
O doch, es ist gefährlich; Frau Irgens fürchtet, es könnte jemand den Vorratshausschlüssel finden, die Tür öffnen und dann stehlen, was er nur wollte. Im Vorratshaus sei alles mögliche, Fleisch und Speck und Fische und Käse und Butter und Sülze und Brezeln und Zwieback, kurz, alles, was man sich nur denken könne. Sie bat Herrn Holmengraa, in der Stadt ein neues Schloß zu kaufen, und er versprach es. Dann werde ich künftig den Schlüssel Tag und Nacht bei mir tragen, sagte Frau Irgens.
Herr Holmengraa hatte mit seiner Haushälterin Glück gehabt, sie hatte ihm treu gedient und in all den Segelfosser Jahren immer seinen Vorteil im Auge gehabt; eine andere Frage aber war, ob man nun Jung-Willatz in ein reiches und vornehmes Haus einladen konnte. Ja, das war die Frage. Die Rollvorhänge an den Fenstern liefen schlecht auf und ab, da und dort hatte man es aufgegeben, sie ganz hinaufzurollen, sie blieben unverrückt gleich schief stehen. Im Eßzimmer auf der Schenke stand genug Silber und geschliffenes Glas, moderne Vasen, Jugendstil. Eine geschnitzte deutsche Wanduhr mit Schnüren und Gewichten ging ohne eine besondere Beschwerung des Gewichtes nicht mehr; da hatte Frau Irgens mit grüner Stickseide einen Stein darangebunden. Das sah nicht gut und nicht vornehm aus. Der Salon könnte durch ein paar sachkundige Veränderungen ganz behaglich gemacht werden. Gerade jetzt sah er allerdings etwas vernachlässigt aus; die gute Mariane hatte die schlechte Gewohnheit, immer eine Menge Bücher auf ihr Zimmer mitzunehmen, und dann vergaß sie, sie wieder herunterzubringen; der halbleere Bücherschrank sah wirklich schlecht aus.
Herr Holmengraa rief die Tochter herunter, schlug auf den Tisch und machte ihr Vorwürfe wegen der Bücher und wegen des Steins an der Uhr und wegen der schiefen Rollvorhänge. Aber Mariane lacht nur, weil der Vater immer so gut und spaßig ist, dann zupft sie ihn am Haar und sagt, so langes Haar habe gar keinen Sinn, und er müsse sich's nun auf der Reise schneiden lassen.
Ja, aber ich bin jetzt gar nicht zufrieden mit dir, sagt der Vater wieder verdrießlich. Ein Stein an der Uhr! Und habt ihr denn gar kein Augenmaß, du und Frau Irgens? Siehst du nicht, wie schief die Rollvorhänge sitzen? Und ich sage dir, geh jetzt und hole sofort die Bücher!
Und ich sage dir, ich bin deine Kinder, erwiderte Mariane, und wenn du ein netter Vater wärest, dann würdest du mir die Bücher heruntertragen helfen.
Ja, ich werde dir helfen! sagte er spöttisch. Du Ungeheuer, du Indianerin und sogenannte Mariane.
Aber dann ging er natürlich mit ihr und scherzte sogar noch mehr mit ihr, obgleich er ein alter Mann war. So lebten sie miteinander. Er versuchte es bisweilen, ernsthaft und böse zu sein und zu tun, als höre er nicht, was sie sagte, sondern sei ganz verhärtet. Aber es endigte doch immer damit, daß sie ihn glänzend überwand.
Herr Holmengraa hatte nur sie, nur Mariane. Der Sohn Felix war schon als junger Bursche nach Mexiko zurückgefahren. Er war nun Mexikaner und Seemann, führte auch schon ein Schiff. Es war ihm wohl ebenso ergangen, wie seinerzeit dem Vater: märchenhaft gut, weiß Gott! Aber als nun Mariane allein daheim war, war sie, wie sie sagte, ihres Vaters Kinder.
Sie war bei weitem keine Schönheit mit ihrer gelben Haut und dem schwarzen in die Stirn hereingewachsenen Haar. Die Nase hatte etwas Rohes, sie witterte, ja, sie war häßlich und groß. Aber es war in Mariane viel Gutes, Böses und Gutes wie in allen Menschen, doch in Mariane bisweilen listig, bisweilen rückhaltlos zärtlich. Trotz ihrer großen Jugend war sie schon ganz erwachsen, ja, sie hatte so viel von ihrer indianischen Mutter geerbt, den großen geschmeidigen Körper und den gleitenden Gang, daß sie ein anziehendes Menschenkind war. Seht nur ihre hellbraunen Augen sie waren auch nicht eigentlich schön, aber sie waren mandelförmig und sehr glänzend. Und seht die großen, goldenen Halbmonde, die sie in den Ohren hängen hatte sie waren geradezu unmöglich, aber Mariane war auch kein gewöhnliches Segelfosser Fräulein in Hut und Mantel. Konnte sich da ihr Vater nicht sehr über sie freuen? Er selbst war von Natur ein Spieler, ein Weltumsegler, das Schicksal allein hatte ihn zum Geschäftsmann gemacht. Er konnte seine Tochter nicht in die Künste der Haushaltung einführen, aber er konnte ihr ein lustiger Freund und zugleich ein Geheimnis sein.
Am Abend begleitete Mariane ihren Vater an den Landungsplatz und ging mit ihm an Bord. Viele Leute standen umher, einige grüßten und einige grüßten nicht; aber alle drehten neugierig die Köpfe, als die Herrschaft ankam.
Als Mariane wieder an Land ging, scherzte sie in Gegenwart aller der Menschen nicht mehr mit ihrem Vater, sondern winkte ihm nur noch zu; dann ging sie.
Hier liegt ein Zweikronenstück, wer hat es verloren? sagte sie im Vorbeigehen laut und deutete mit der Hand hin.
Theodor im Laden lief herzu, hob das Geldstück auf, hielt es in die Höhe und rief lachend:
Hu, das brennt, wer will sich melden?
Niemand meldete sich. Jeder einzelne griff in seine Taschen, meldete sich aber nicht als Eigentümer. Lars Manuelsen murmelte etwas und grub eifrig in seinen Taschen, als wäre das Geldstück möglicherweise seines.
Theodor sagte:
Kein Eigentümer meldet sich. Das Zweikronenstück gehört Ihnen, Fräulein Holmengraa.
Nein, antwortete Mariane und ging ruhig weiter.
Aber Sie haben es doch gefunden! rief Theodor ihr vergebens nach.
Wenn Theodor das Geldstück etwa selbst hatte fallen lassen, um mit ihr in ein Gespräch zu kommen, so war der Versuch mißglückt. Er tat sogar ein wenig verlegen, als er das Geldstück einsteckte, Lars Manuelsen meinte nun aber bestimmt, es gehöre ihm, und er sagte: Ich habe ein Zweikronenstück gehabt, und nun seht, es ist keines mehr in meinem Beutel. Aber Theodor war nicht der Mann, der nur so mir nichts dir nichts Geld hergab, er gehörte zu denen, die den Heller ehren.
Ich kann es ja einstweilen aufheben, sagte er.
Aber gehört es denn dir? fragte Lars Manuelsen.
Theodor schien zu überlegen, er fühlte sich offenbar in die Enge getrieben. Meinten am Ende die Leute, er habe durchaus mit Mariane ein Gespräch anknüpfen wollen?
Nein, das Geldstück gehört nicht mir, sagte er bestimmt. Aber ich hebe es auf.
Und Lars Manuelsen sagte beleidigt:
Ich habe keine Lust, mich mit dir um zwei Kronen zu streiten. Das hab ich nicht nötig.