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Was, hat sich das Hotel Larsen eine Flagge angeschafft? Sie ist allerdings nicht ganz nagelneu, aber sie entfaltete sich prächtig, es ist eine von Theodors Flaggen, und Lars Manuelsen hat sie sich geborgt. Jetzt weht sie zu Ehren von Lassen, seinem Sohn. Ein großer Tag!
Nein, gegen Lars Manuelsen war wegen seines Diebstahls im Herbst nicht eingeschritten worden; aber die Elster verfolgte ihn auf Schritt und Tritt und schrie, und die Leute waren kaum viel anders und hätten beinahe auch geschrien. Das Schlimmste aber war vielleicht doch der Artikel in der Segelfosser Zeitung; der kam sogar Pastor Lassen vor Augen, und da zeigte sich plötzlich wieder der ursprüngliche Bauernausdruck in diesen Augen: Furcht und Feigheit. In dem Artikel war sein Vater so deutlich bezeichnet, daß ein Irrtum unmöglich war. Das war ja nett, ein solcher Vater war imstande, seinen Wundersohn in der Laufbahn aufzuhalten! Der Pastor mußte den weiten Weg von der Hauptstadt nach Norden zurücklegen und versuchen, die Sache in Ordnung zu bringen.
Er kam. Er war groß und knochig, mit langem Haar, bartlos und ernsthaft. Auch war er warm gekleidet. Er geht an Land, trifft seinen Vater, begrüßt ihn, spricht von seinem Gepäck, entdeckt Julius, begrüßt auch ihn und spricht wieder von seinem Gepäck, daß es da und da stehe. Dann geht er mit seinem Vater ins Hotel, und Julius folgt ihnen auf den Fersen nach. Der Pastor plagt sich mit einer seiner Galoschen, die am Absatz durchaus nicht festhalten will, aber die andere folgt ihm wie ein treuer Hund.
Er kommt hinein und begrüßt seine Mutter: Guten Tag, Mutter! Der Friede Gottes sei mit diesem Hause! Die Mutter kann vor Bewegung kein Wort hervorbringen, sie vergießt nur Freudentränen. Ach, die alte, auf ihre Weise gute Frau hatte ein elendes Leben geführt mit einem Lumpen von Mann und mit schlechten Kindern, jetzt ist der berühmte Sohn nach Hause gekommen! Eine große Stunde, Anbetung im Herzen, Kindheit in ihrem alten Blick es war genau so, wie vor zwei Menschenaltern, wenn sie einen Messingknopf geschenkt bekam.
Ja, hier kannst du sehen, wie es einem einfachen Mann geht, sagt Julius.
Und er hat wohl erwartet, der Bruder werde eine andere Antwort geben, als er tut, denn er nickt nur. Sieh, der Bruder war wohl nicht ganz zufrieden, nicht so recht gnädig gesinnt, er sagte, noch ehe die Mutter mit dem Kaffee kommen konnte: Was muß ich von euch hören? Ich habe die Segelfosser Zeitung gelesen. Du, Julius, hättest es wenigstens besser wissen können.
Was denn? fragt Julius.
Offenkundig den Reisenden gestohlene Eßwaren vorzusetzen! sagte der gelehrte Bruder, der kein Blatt vor den Mund nahm.
Was das betrifft, so ist dafür der Vater verantwortlich, sagte Julius ohne weiteres.
Der Vater es ist ja recht hübsch, seinen Vater zu beschuldigen!
Der Lump erwachte wohl in Julius, es war immer etwas Reelles in seiner Frechheit, und er ließ seinem ungewaschenen Mund ohne kleinliche Zurückhaltung freien Lauf: Ich habe es dem Vater ja gleich gesagt: Das hättest du nicht tun sollen, da du einen Sohn wie L. Lassen hast, habe ich gesagt, frag Vater, ob es nicht wahr ist.
Ach, ich bin jetzt alt, antwortete Lars Manuelsen seinen Kindern. Laßt es die andern ausmachen, die es weiter gebracht haben, das ist mein einziger Gedanke. Hast du für Lassen keinen Kaffee bereit, Mutter?
Die alte Mutter erwachte aus ihrer Anbetung und ging in großer Verwirrung hinaus.
Es ist in jeder Beziehung eine widerwärtige Geschichte für mich, sagte L. Lassen. Und nun habe ich meine Studien und meine Arbeit verlassen und den langen Weg hier herauf reisen müssen. Es hat gar keinen Sinn.
Ist es wahr, daß du Doktor geworden bist? fragte Julius, um von der unangenehmen Sache wegzukommen.
Wie steht's mit meinem Gepäck? versetzte der Bruder. Bringt es jemand hierher?
Ich werde es sofort holen, sagte der Vater und eilt mit einer gewissen Freude zur Tür hinaus.
Der Pastor richtet seine Brillengläser auf den Bruder und fragt:
Läßt du einen alten Vater das Gepäck hierherschleppen?
Julius fing an zu lachen, aber es war kein fröhliches Lachen. Manchmal bist du ein bißchen albern, sagte er.
Ich?
Ja, du! Du hast Verstand für einen Heller und Dummheit für einen Taler, das behaupte ich steif und fest.
Die Mutter brachte den Kaffee. Nun fragt es sich, ob dir unser Kaffee schmeckt, sagte sie.
Jawohl, Mutter, und ich danke dir. Und natürlich hast du nichts mit dieser sündigen Diebsgeschichte zu tun, Mutter, sagt der Sohn. Aber du, Julius, bist durchaus nicht zu entschuldigen.
Die Elster ist schuld daran, sagte die gute Mutter beschwichtigend. Ich habe immer zu Lars gesagt, du sollst die Elster in Ruhe lassen, sonst rächt sie sich an uns allen, habe ich gesagt. Aber der Vater hat das Nest heruntergerissen und hat den Vorratshausschlüssel darin gefunden, daher kam dann das ganze Unglück.
Zieht ihr jeden Tag die Flagge auf? fragte der Pastor.
Die Flagge? Ich besitze nicht einmal eine Flagge, antwortete Julius.
Der Vater flaggt für dich, sagte die Mutter. Er ist in den Laden hinüber gegangen und hat die Flagge dort entlehnt.
Das wäre nicht notwendig gewesen, sagte der Pastor.
Er trank jetzt den Kaffee, und inzwischen kam der Vater mit dem Gepäck. Julius sagte: Wenn du dich so waschen willst wie die andern Reisenden, dann komm mit mir!
Der Pastor ging mit ihm. Es ging einige hohe Stufen hinauf, und der Pastor sagte: Das sind ja furchtbar hohe Stufen! Das Zimmer war auch nicht in Ordnung; ein Schwein von einem Geschäftsreisenden hatte in dem Bett geschlafen und von da aus an die Wand gespuckt. Das hat der Enersen getan, sagte Julius, er war an einem Morgen betrunken. Der Vater ging mit einem Koffer in jeder Hand hinter den beiden drein und sagte: Mutter wird die Wand abwaschen. Ei, Vater, kommst du mit dem Gepäck daher, und du, Julius, gehst mit leeren Händen daneben! sagte der Pastor.
Aber Julius war nicht mehr sanft gestimmt, o weit entfernt! Pauline auf dem Gut hatte ihn am vorhergehenden Abend endgültig abgewiesen, und nun kam dieser eingebildete Bruder daher, der vielleicht gar nicht daran dachte, ihm seine Zeche zu bezahlen Warum hast du denn deine Siebensachen nicht selbst getragen? versetzte er. Julius, Julius! rief der Vater warnend. Was hat denn dir der Lars je geschickt? fragte Julius zornig. Eine Perücke und eine Postille! Der Pastor war so viel Ungebildetheit gegenüber nachsichtig und sagte: Ich habe alles, was ich verdient habe, zu meiner Ausbildung gebraucht. Jetzt bin ich der Mann, der ich bin. Ist es denn wahr, daß du Doktor geworden bist? fragte Julius wieder. Das ist doch wohl nur so ein Geschwätz? Der Bruder erwiderte: Das ist etwas, was du nicht verstehst. Ich bin allerdings Doktor, aber kein Arzt. Ich habe den Doktorgrad in meiner Wissenschaft erworben. Hör, kann ich nicht frisches Wasser in die Flasche hier bekommen? Sie ist ja halbvoll mit abgestandenem Wasser. Und zugleich sag mir auch, hat das Bett eine Springfedermatratze?
Jawohl, antwortete Julius. Und plötzlich spuckt er weit hinaus bis auf die Ofenplatte und sagt: Im übrigen kannst du dich in das Bett legen oder nicht, mir ist es einerlei; aber das kann ich dir sagen, daß hier schon feinere Leute gewohnt haben als du, und die auch ein bißchen mehr Geld in der Tasche gehabt haben als du. Und der Theodor im Laden hat hier sehr lange seine Mahlzeiten eingenommen, ich sollte meinen, der wäre fein genug und hätte mehr Geld als du und ich zusammen.
Der Pastor überhörte auch diese groben ungebildeten Reden und begann, sich zu waschen; er wusch sich die Hände und das Gesicht, aber nicht Hals und Ohren, dann zog er eine Bürste heraus und bürstete sich die Haare, wechselte alsdann Kragen und Manschetten und bekam ein reinliches Aussehen. Er dachte darüber nach, wie wunderlich sich sein Schicksal doch gestaltet hatte: ein Fischer von der Ruderbank, Pfarrer, Gelehrter, Ritter des Olafsordens, Dr. phil., Bischofsanwärter, auf der Liste für den Hofprediger, wenn man einen brauchte, ja auf der Liste für den Staatsrat, wenn ein Platz frei wurde in Wahrheit, Gottes Wege waren unerforschlich! Und jetzt hier, um einen diebischen Vater zu retten, der ihm geschrieben, ihn um Hilfe angefleht hatte! Natürlich konnte der Pfarrer nicht viel anderes tun, als sich zeigen und ihn mit seinem Ansehen stützen. Heute nicht, aber morgen wird er zu Herrn Holmengraa und auf die Zeitungsredaktion gehen. Heute wollte er essen und ausruhen. Er nimmt seinen Kirchenrock aus dem Koffer und hängt ihn auf. Am Kirchenrock ist der Olafsorden, für den Fall, daß der Rock benützt wird.
Lars, der einstige Fischerbube; einen tüchtigen Willen und eiserne Beharrlichkeit, diese großen Eigenschaften hat er.
Hände hat er, aber was soll er mit denen? Sie sind zur Arbeit gebaut, zu schwerer Arbeit, ganz ungewöhnlich große Knochen haben sie, die reine Übertreibung, aber sie sind blaß und kränklich von Untätigkeit, es sind außerordentlich unlogische Hände, in seinem Leben sind sie ihm nicht von Nutzen. Sein Ehrgeiz ist nicht höher geflogen, er war mit dem Amt zufriedengestellt, er wollte in die Administration, in die Verwaltung dessen, was andere geschaffen hatten. Das Ziel ist erreicht, und er ist nicht im Zweifel darüber, daß es seines ganzen Strebens würdig ist. Er hat in seinem Kopf Schulkenntnisse aufgestapelt, wie seine Vorfahren einstmals die Kupfergroschen tief in ihrer Truhe verwahrt hatten, und jetzt weiß er viel, er ist gelehrt. Er hat nicht Geist genug gehabt, sich in dieser Elendigkeit zu langweilen, er wollte immer mehr Büchergelehrsamkeit erwerben, immer noch ein wenig mehr, dann war sein Spiel gewonnen. Das war sein Zweck auf der Welt. Jetzt sitzt er hier mit schlaffen Muskeln und mit einem Gehirn, das von dem eifrigen Schulstudium während der Jugend und der ersten Mannesjahre mitgenommen ist; aber er ist ein angesehener Mann, man kann ihn nach allem möglichen fragen und bekommt eine Antwort, er hat es gelesen und weiß, wo es steht, er hat ein papageiartiges Wissen. Seine Doktorarbeit handelte von einigen norwegischen Geistlichen im sechzehnten Jahrhundert; sie war zusammengeschrieben aus dem dänischen Magazin, der norwegischen Reichsregistratur und dem Diplom matarium Norvegicum und dem norwegischen Magazin, würde er selbst hinzugefügt haben, wenn ihm diese Aufzählung vor Augen gekommen wäre, denn er nahm es als Forscher sehr genau. Sein liebstes Werk war eine Abhandlung über den großen Nomen Nescio, mit vielen wichtigen wissenschaftlichen Funden, unter anderem den, daß der Held nicht im Jahre 1512, sondern 1513 ausgewandert war, um das bessere Jenseits zu erlangen; ferner, daß er zwei Jahre, ehe er zu dem genannten Zweck ausgewandert war, einen von den Forschern bisher unentdeckten Rechtsstreit mit einem Mitglied des Hamburger Rats geführt hatte das war der vierzehnte seiner Prozesse. In diesem Werk triumphierte der Bursche Lars vollständig, und da er schon lange Mitglied der wissenschaftlichen Gesellschaft war, hatte er nun Ritter des Olafsordens werden müssen nun war er etwas. Ach, wenn er daran dachte, daß er als Student mit einer großen silbernen Kette an der Uhr Staat gemacht hatte, dann mußte er lächeln, jetzt hatte er den Olafsorden auf der Brust hängen, wer war ihm gleich? Sollte ein solcher Mann Pfarrer im Norden des Reichs werden, sollte er überhaupt noch daran denken, daß er aus diesem Teile des Reichs stammte? Sein Gesichtskreis wurde immer größer, seine Augen wurden immer gieriger und richteten sich auf immer mehr Ehre, immer größere Stellungen, er fing an, sich leise über Zurücksetzung, Übervorteilung zu beklagen, die Zeitungen nannten ihn nicht oft genug, der Staat tat nicht, was er eigentlich hätte tun sollen. So gingen ein paar Jahre hin.
Dann plötzlich es geht doch merkwürdig unberechenbar zu plötzlich wurde ihm die Anerkennung zuteil, die in einem richtigen Verhältnis zu seinen Verdiensten stand, er wurde für einen Bischofsitz genannt, er wurde von Einsendern in die Zeitungen als der kommende Kultminister bezeichnet. Wer war ihm nun gleich?
Ja, die Zeit würde nun schon für ihn sorgen, sie ganz allein, er brauchte nur zu warten. Der Bursche Lars wurde mutiger, die Luft überkam ihn, sich freisinnig zu zeigen, er nahm den völkischen Grundgedanken aus den siebziger Jahren auf, pflegte Umgang mit den Männern der norwegischen Sprachbewegung und war da außerordentlich liebenswürdig. Das konnte er sich leisten, er; der berühmte Mann, das lag ihm auch persönlich, dem Fischer von der Ruderbank. Er war im Kehricht geboren, er arbeitete im Staub. Kein Gelehrter kümmerte sich um Körperpflege und feine Kleider, Herakleitos war auch nicht fein gewesen.
So fügte sich also alles gut für den Burschen Lars. Er konnte einigermaßen mit Hoffnung dem nächsten Todesfall unter den Bischöfen entgegensehen, und indessen studierte er weiter und wurde immer gelehrter in Büchern, in Urkunden und in Pergamenten; die Zeit verging, seine völkische Gesinnung wurde zum geflügelten Wort, er hörte, daß man Altertümer sammeln konnte, und so wurde er Spezialist in Kircheninventaren, in Holzschnitzereien, in Zinngefäßen, in silbernen Kannen. Nun hatte er sich eine umfassende Kultur zu eigen gemacht, die völkische und die wissenschaftliche.
Da kam die Geschichte mit dem Vater! Sollte sie wirklich einschneidender Art sein?
Als die Mutter ihn zum Essen rief, stand er auf mit einem Gesicht, als ob Essen ja natürlich, aber das war nicht das eine, was not tat. Der Schlauberger, er hatte sich vorher, ehe er an Land ging, an Bord noch ein Lendenstück geben lassen, also war er nicht hungrig. Und im Eßzimmer benahm er sich ebenso überirdisch und sagte: Ja, ja, das Essen ist schon recht, Mutter, gib mir noch einen Teller Suppe. Als er gegessen und sein Dankgebet gesprochen hatte ach Gott, es war ein Bild: eine ungeheure Ulmer Dogge, die dazu abgerichtet war, auf den Hinterbeinen zu sitzen und die Vorderpfoten zusammenzulegen als er mit seinem Gebet zu Ende war, befahl er, den Vater und Julius hereinzurufen.
Sie kamen.
Kann ich auch ganz sicher sein, daß mir nicht etwa gestohlenes Essen vorgesetzt worden ist? fragte der Pastor.
Vater und Mutter schwiegen überrumpelt. Julius antwortete: Wenn du nicht sicher warst, hättest du es nicht essen sollen.
Aber der Pfarrer hatte wohl keineswegs im Sinn, die beiden Sünder mit diesem milden Anfang durchschlüpfen zu lassen; es waren seine nächsten Angehörigen, aber es waren der Stehler und der Hehler, der Gerechtigkeit mußte Genüge geschehen.
Mit dir, Julius, verhandle ich nicht, sagte der Pfarrer, aber ich tue dir zu wissen, daß du, ob du dich auch der irdischen Strafe entziehen kannst, doch der himmlischen nicht entgehen wirst.
Die alte Mutter legte den Kopf auf die Seite und faltete die Hände; aber Julius war respektlos, er fragte, warum er hereingerufen worden sei.
Aber du, Vater, sollst in dich gehen, sagte der Pfarrer. Gott läßt seiner nicht spotten, sagte er, bald kann es zur Umkehr zu spät sein, niemand weiß den Tag und die Stunde
Doch da verdarb Julius alles miteinander, indem er sagte: Wie ist's denn, die Leute fragen, ob du in der Kirche predigen werdest?
Der große Bruder hielt inne, Julius hätte nichts Besseres sagen können, um ihn zum Schweigen zu bringen. Er wartete und hoffte auf eine Aufforderung zu predigen, deshalb hatte er Ornat und Orden mitgenommen. Ach, der landauf landab bekannte Prediger auf der Kanzel, das war ja das Hauptmittel, das er gegen das böse Gerücht anwenden wollte!
Wer fragt, ob ich predigen werde?
Die Leute. Mehrere haben davon gesprochen.
Darauf kommen wir später zu sprechen, sagte der Pfarrer. Vorläufig spreche ich von dem sündigen und unanständigen Betragen, dessentwegen ihr angeklagt seid und von dem sogar in den Zeitungen zu lesen war.
Das ist die Rache der Elster, flüsterte die Mutter, während sie die Anwesenden der Reihe nach eifrig ansah und ihnen zunickte.
Der Vater ergriff das Wort und sagte zu seinem Sohn: Ich bin ein alter, unwissender Mann in allem, was Gelehrsamkeit und dergleichen angeht, aber jetzt möchte ich gerne wissen, ob du es für gut findest, wenn Elsternnester auf einem Hofe sind, oder ob es ein gemeines mißliches Ding ist? Schweigt jetzt, dann werdet ihr es hören, sagte er zu den andern.
Tu der Elster nichts! Komm der Elster nicht zu nahe! warnte die alte Mutter.
Und wenn du wirklich predigen willst, warf Julius ein, dann brauche ich es nur Ole Johan zu sagen, der trägt es gleich überall herum.
Die Strafpredigt war vollständig gestört. Aber der Pfarrer war ja gut und zäh und beharrlich, er sagte: Jedenfalls hat mich der Artikel in der Zeitung von meiner Arbeit und meiner Wissenschaft aufgejagt und mich so weit herauf in den Norden geführt.
Du hättest dich nicht darum kümmern sollen, sagte Julius. Hier ist nicht ein Maul, das noch ein Wort über die Sache verliert.
Dann hättest du mir keinen solchen Notschrei schicken sollen, Vater. Das ist unverantwortlich, sagte der Pfarrer. Aber er fühlte sich unaussprechlich erleichtert, als er hörte, daß der Artikel im Blatt vergessen war.
Der Vater entschuldigte sich damit, daß Daverdana so unberufen geschrieben habe. Nein, es sei genau so, wie Julius sage, niemand denke mehr an jenen Artikel. Aber die Elster schreit hinter mir her, sagte Lars Manuelsen, und wenn du dagegen etwas tun könntest, ja, wenn du die Elster von hier wegbannen könntest
Der Pfarrer schüttelte den Kopf.
Na, also nicht, fuhr Lars fort. Aber ich wollte nach etwas anderem fragen: Die Freimaurer haben einen Ring, wie es unter den Menschen keinen zweiten gibt, und nun geht das Gerücht, Holmengraa habe diesen Ring bekommen
Der Pfarrer kannte seinen Vater, er wußte, daß der Sünder jetzt nur darauf lauerte, sich durch allerlei Gefasel aus der Klemme zu ziehen. Es war nichts mit ihm anzufangen, jetzt schwenkte er wahrhaftig hinüber zu den gotteslästerlichen Zeichen am Himmel, die der Theodor im Laden aufbrachte.
Der Pfarrer wendete sich an seinen Bruder und sagte: Ich habe nicht gerade ernstlich daran gedacht, hier zu predigen, nein, daran habe ich nicht gedacht. Aber wenn die Leute mich durchaus hören möchten, dann ist es meine Pflicht, eine Predigt zu halten. Die Aufforderung dazu muß aber in diesem Fall vom Pfarrer und den Pfarrgehilfen ausgehen. Ich selbst bitte nicht darum.
Ach nein! lächelte die Mutter. Das fehlte gerade noch!
Am nächsten Tag machte Pfarrer Lassen bei Holmengraas Besuch. Er hatte mehr als eine Absicht dabei; in einer müßigen Stunde hatte er Fräulein Mariane einmal ein Briefchen gesandt Liebes Fräulein Mariane, meine frühere Schülerin! und jetzt wollte er sich Antwort darauf holen. Jetzt war er ein anderer Mann als damals, als er ihr Unterricht gegeben hatte; sie war zwar nicht gerade eine besonders feine Dame, und sie war auch weder hervorragend gebildet noch besonders belesen, aber es konnte ihr doch wohl nicht verborgen geblieben sein, was für ein Mann Lassen geworden war. Jetzt kam er selbst zu ihr. Aber merkwürdig, für Fräulein Mariane selbst fürchtete er nicht so sehr, aber die Frage war, ob Fräulein Marianes Vater, der steinreiche Herr Holmengraa, mit ihm zufrieden sein werde, der Mühlenbesitzer war ja auch kein richtig gebildeter und studierter Mann, der sich auf Gelehrsamkeit verstand. Aber Mariane, die einstige Schülerin entschuldigen Sie, ihr wollte er ein wenig als Führer dienen, in etwas väterlicher Weise; er wollte von Büchern und Altertümern reden, von dem ausgegrabenen Taufstein, den er sich in Säterdalen eingetauscht hatte. Das würde schon gehen; er hatte in den Pensionen mehr als eine unverheiratete Dame zu interessieren gewußt, jetzt kam er zu seiner einstigen Schülerin. Ja, und dann wollte er damit herausrücken, wollte andeuten die Lage sei so, daß er in seinem Leben viel erreicht habe, aber er sei allein. Bücher allein genügen nicht, Mariane Besuchen Sie mich und sehen Sie meine Bibliothek an, wenn Sie wieder in die Hauptstadt kommen; ich habe schon einige tausend Bände, und sie wächst, sie wächst. Aber, wie gesagt, es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei und welche Antwort geben Sie mir auf meinen ehrerbietigen Brief?
Heute kam er eigentlich nur, um sich Marianes persönliche Begeisterung zu sichern, morgen wollte er dann mit ihrem mächtigen Vater reden.
Aber Mariane war nicht da, sie war verreist. So war das also nicht ihr unschuldiges Flüstern und ihr leises Lachen, was er im Arbeitszimmer hörte Nein, sagte Frau Irgens, Fräulein Mariane ist verreist.
Herr Holmengraa kam, er ließ Lassen einen Augenblick stehen, und sie sahen einander an. Dann stellte sich Lassen plötzlich lächelnd vor; ja, als sei das eine ausgezeichnete Idee, sagte er: Ich kann gut verstehen, daß Sie mich nicht wieder kennen. Lassen, Ihr einstiger Hauslehrer, sagte er. Ei, ist ein so berühmter, gelehrter Mann auf Reisen? versetzte Herr Holmengraa. Ja, ich bin auf einer Reise in den Norden unterwegs und wollte mir dabei die alten Plätze wieder ansehen. Geht die Reise weiter nach Norden? fragte Herr Holmengraa. Ja, nach Finnmarken. Es ist eine Forschungsreise, sie gilt dem Lästadianismus.
Wollen Sie sich nicht setzen? sagte endlich Herr Holmengraa und deutete auf einen Stuhl.
Ich komme in einer sehr bedauerlichen Angelegenheit, sagte der Pfarrer. Das war nun allerdings ungeschickt gesagt, und er hörte es selbst, daß er nicht zu seinem Vorteil sprach, aber es erklärte doch einigermaßen, was er wollte, und er war höchst überrascht, daß Herr Holmengraa nichts von dem Diebstahl wußte; nein, keine Spur, er habe nie etwas davon gehört und kümmere sich nicht um Klatschereien. Aber es hat in der Segelfosser Zeitung gestanden, sagte der Pfarrer. So? entgegnete Herr Holmengraa nur. Aber ich lese diese Zeitung nicht.
Es ging großartig, ging überwältigend gut! Als L. Lassen auf die Redaktion der Segelfosser Zeitung kam, schien der Redakteur und Setzer Kopperud auch nichts von dem Diebstahl zu wissen. Nein, das muß ein Irrtum sein, sagte er; wenn wir einmal eine kleine Notiz darüber gebracht haben, ist sie jedenfalls nicht von mir geschrieben gewesen.
Es ging himmlisch!
Dagegen werden wir in unserer nächsten Nummer einen kleineren Artikel über Sie bringen, Herr Pfarrer, sagte der Redakteur. Hier ist der Abzug, vielleicht möchten Sie ihn durchsehen.
Der Pfarrer las. So, auch hier in Segelfoß hatte man ihn als künftigen Staatsrat nennen hören! Wer hat das geschrieben? fragte er. Der Redakteur erwiderte: Das sollte ich eigentlich nicht sagen, aber einem Herrn wie Ihnen gegenüber es ist der Rechtsanwalt Rasch.
Dieser herrliche Einfall, Pfarrer Lassen zum zukünftigen Staatsrat zu machen, hatte eine größere Wirkung gehabt, als alles Bisherige, und bis hier herauf nach Segelfoß, bis auf den Streber Rechtsanwalt Rasch hatte es gewirkt. Der Pfarrer tat, als sei ihm dieses merkwürdig kriecherische Stück Korrektur, das er in der Hand hielt, ganz gleichgültig, aber in seinem Herzen war er froh darüber: der berühmte Geistliche sei nach Segelfoß gekommen, stand da sei im Hotel Larsen abgestiegen.
Sie können hinzufügen, daß ich mich auf einer wissenschaftlichen Reise nach Finnmarken befinde, sagte er zu dem Redakteur. Und meine Bibliothek wird auf ein- bis zweitausend Bände geschätzt in Wirklichkeit ist sie näher an dreitausend, und sie nimmt beständig zu. Bitte, berichtigen Sie das!
Jawohl, es war himmlisch gut gegangen. Jetzt ist nur noch die Elster übrig! dachte er mit einem leichten Lächeln. Er hatte nicht mehr das Herz, seinen Angehörigen eine Strafpredigt zu halten, er kehrte zurück ins Hotel und war gut gegen alle. Der Vater fragte: Nun, was hat Holmengraa gesagt? Was er gesagt hat? Er war natürlich gegen mich nicht unfreundlich. Nein, das hätte er nur probieren sollen! drohte Lars Manuelsen. Denn dann hätte ich ihn gefragt, was er bei Daverdana wolle.
Der Sohn hörte das nicht oder wollte es nicht hören, er war ruhig und freundlich. Vor dem Hause standen ein paar Segelfosser Kinder und drückten ihre Nasen gegen die Fensterscheiben; Lars Manuelsen wollte sie fortjagen.
Laß sie nur! sagte der Pfarrer. Diese Kleinen werden sich vielleicht in ihrem späteren Leben daran erinnern, daß sie mich mit eigenen Augen gesehen haben.
O ja! sagte die Mutter und schüttelte ganz überwältigt den Kopf dazu.
In den nächsten Tagen bekam L. Lassen vom Pfarrer des Kirchspiels die Aufforderung, in Segelfoß zu predigen es wäre ja anständiger gewesen, wenn Pastor Landmarck selbst gekommen wäre, anstatt seinen Gehilfen zu schicken, dachte L. Lassen und zugleich auch die Aufforderung, dem alten Per im Laden einen Krankenbesuch zu machen. Per im Laden, dachte er wohl, auf den Mann habe ich schon früher einmal ohne Erfolg einzuwirken versucht, aber ich möchte mich deshalb doch nicht heute der Sache entziehen.
Der alte Per war jetzt gewiß fertig. Er war nicht mehr ein Siecher, sondern im Ernst ein Sterbender. Aber der Tod war unwillkommen, Per wollte nichts von ihm wissen, o, er hatte einen tief eingewurzelten Abscheu gegen das Sterben. Noch immer lag er mit der Weste zu Bett, obgleich sie einen zehn Jahre alten Geruch ausströmte, noch konnte er überlaut suchen, aber seine Augen taten nicht mehr mit, sie waren nicht mehr stark genug und nicht mehr voll tödlichen Giftes, sondern gläsern und leer. Aber sterben? Es war so weit mit ihm gekommen, daß er schon den Erdgeschmack des Wassers empfand, obgleich der Winter erst angefangen hatte da zuckte geradezu ein Hoffnungsstrahl durch seinen Körper, nun mußte es bald Frühling werden, daß er aufstehen konnte und wieder ordentlich etwas anfangen. O, aber der Tod brachte ihn tapfer herunter und zehrte an seiner guten Gesundheit, um die Augen hatte er schwarze Ringe, sonst war das Gesicht aschgrau.
Willst du nicht den Pfarrer kommen lassen, ehe du stirbst? fragte die Frau.
Dumme Kuh! versetzte er.
Dieses »ehe du stirbst« war naseweis und rücksichtslos einem kranken Mann gegenüber, und den Pfarrer wies der alte Per zurück, obgleich er ihn eigentlich recht gern einmal gesehen hätte. Nun war es allerdings Tatsache, wenn jemand den alten Per recht widerspenstig und unverträglich machen konnte, dann war es sicherlich seine Frau, sie hatte eine eigene zähe Art, ihn in Wut zu versetzen, und doch zu tun, als habe sie gar nichts Ungeschicktes gemacht. Auf der anderen Seite hätte freilich der Mann dankbar sein sollen, daß sie ab und zu nach ihm sah und ihm gleich die Nase wischte, wenn er geweint hatte; denn er selbst war wie ein Kind und konnte sich mit den Händen nichts selber tun, ausgenommen, wenn er ganz desperat war. Und wahrlich, er hätte es ja anerkennen sollen, daß sie sich überhaupt zu ihm hineinwagte, denn schon das war nicht ganz ohne Gefahr. Dumme Kuh! war eine derbe Sprache in so einem Augenblick.
Und wer soll deine Alltagskleider haben? fragte sie weiter. Du hast einen guten Friesanzug und eine Düffeljacke, wer soll sie bekommen?
Du! schnaubte Per rasend. Trag sie in Gesundheit auf!
Er war durchaus nicht ohne Leben, und da er ja eigentlich zu unrecht sterben mußte, tat er das seinige dazu, den Augenblick hinauszuschieben. Mit einem grotesken Gesicht, ja, in wahrhaft prähistorischer Häßlichkeit lag er da, zusammengedrückt, wie wenn er gerade aus einem großen Ei herausgekommen wäre, da lag er und überlegte, ob er nicht aufstehen könnte. Seit Doktor Muus das letztemal bei ihm gewesen war, hatte er sich eifrig mit der Frage beschäftigt, ob ihm frische Luft wohl schaden könnte. Während er sich immer mehr zum Tier zurückentwickelte, hatte er gelernt, Gestank mit Wollust einzuatmen, aber von jetzt an wollte er die Tür öffnen und sie eine Weile offen stehen lassen. Mit ungeheurer Mühe gelang es ihm, die Tür mit dem Stock aufzustoßen. Dann atmete er die frische Luft wohl eine Stunde lang ein, wurde aber nicht kräftiger davon. Wie, wenn er noch mehr in dieser Richtung täte? Er wurde ein Leckermaul, seine Genußsucht nahm so ausschweifende Formen an, daß er, um Zug hervorzubringen, das Fenster, ja sogar die Ofentür öffnen wollte. Er stand auf, aber natürlich fiel er um. Jawohl, denkt er, es ist unvorsichtig, auf zwei Beinen stehen zu wollen, wenn das eine tot ist! Es gelingt ihm, wieder in sein Bett zu kommen, indem er sich sitzend bald auf der einen, bald auf der anderen Seite weiterarbeitet; er war wie ein Stein, der sich selbst weiterschafft. Als er glücklich wieder im Bett liegt, zieht er die lahmen Glieder nach sich und läßt sie durcheinander liegen, ohne sie in ihre natürliche Lage zu bringen.
Und jetzt sollte also der alte Per nachgeben aber nein, er geht keine Spur würdig aus dem Leben fort, sondern zieht sich rückwärts, noch immer kämpfend aus ihm hinaus. Aufmerksam und eigensinnig studiert er, wie er sich selbst noch ordentlich anfassen könnte; etwas muß geschehen, er kann nicht stilliegen und sich darein finden. Es wird ein Kampf mit dem Unmöglichen, mit den Mächten, jawohl und wenn auch? Mit angestrengter Arbeit ringt er da in seinem Bett mit dem Tode, will ihn übermannen und die Oberhand bekommen. Er kämpfte, er ergriff die tote Hand mit der lebenden, schüttelte sie und schrie, er wolle sie lehren! Er packte sein lahmes Bein, gab ihm derbe Schläge und warf es zum Bett hinaus. Aber der Tod ist als Umgang ein anstrengender Geselle, er schwächt die Menschen, der alte Per konnte nicht mehr, und er mußte seine Glieder wieder zusammenlesen. Wo seid ihr gewesen? fragte er, vor Jammer und Reue heulend. Aber ehe er ihnen ihre Abwesenheit verzieh, verlangte er zähneknirschend, daß sie leben sollten. Dann würde er sie bei sich behalten, sagte er.
Es war die Hysterie eines Steins.
Jetzt hatte er den Pfarrer abgewiesen, und zwar aus Querköpfigkeit gegen seine Frau. Als er jedoch hörte, daß Lassen angekommen war, der Lars von der Hütte drüben, dieser Sohn von Lars Manuelsen, daß der eingetroffen war, da kam ihm der Gedanke, ihn um Hilfe zu bitten. Das war geradezu ein Streich, er bekam einen Pfarrer, ohne den Pfarrer seiner Frau zu nehmen, er prellte sie, die dumme Kuh! Und als Lassen kam, zeigte sich der alte Per eine gute Weile freundlich und demütig und sagte, er wolle das heilige Abendmahl nehmen. Der Pfarrer sprach ebenfalls freundlich, ja, um sich dieser tief notleidenden Seele vollkommen verständlich zu machen, griff er zur Bauernsprache und drückte sich in dieser so gut aus, als er es gelernt hatte. Es ging ausgezeichnet. Per wurde lebhafter, er lachte zuvorkommend, es sei vergnüglich, solche komische Worte zu hören, sagte er. Im übrigen müßten sie jetzt ernst werden, denn er wolle sich auf den Tod vorbereiten und das heilige Abendmahl nehmen, sagte er.
Der Gedanke, das heilige Abendmahl zu nehmen, hatte sich bei ihm festgesetzt, er verband sicherlich Besserung damit. Wein und Brot war ja eine Wunderspeisung, vielleicht würde es dadurch wieder gut mit ihm. Und als er hörte, daß der Pfarrer ihm bei diesem Besuch Wein und Brot nicht geben konnte, weil er auf einer Forschungsreise nach Finnmarken sei, war der alte Per sehr enttäuscht. Aber ich kann mit dir reden und dich auf das Abendmahl vorbereiten, sagte Lassen, dann wird dir der Gemeindepfarrer zum Tisch des Herrn decken! Es war leicht zu sehen, daß dies dem alten Per mißfiel, denn dann bekam er ja seiner Frau gegenüber nicht die Oberhand; aber Pfarrer Lassen konnte es ja nicht mißfallen, wenn er vorgezogen wurde, und deshalb wollte er sich dieser Seele mit allem Fleiß annehmen.
Hast du etwas Besonderes auf dem Herzen, mein Freund? fragte Lassen.
Nein, ich habe ein wenig im Gesangbuch gelesen. Ich will nicht, daß es die andern sehen, ich habe das Buch hier im Bett. Und außerdem habe ich auch öfters an Gott gedacht, aber ich bete nicht.
So, du betest nicht?
Nein, noch nicht. Ist das unrecht?
Der Ladenper wußte also nicht, ob er Gott vorsichtig genug behandelt hatte. Er hatte Fensterscheiben, Trinkgläser, Kaffeetassen verkauft, aber Gott war vielleicht noch zerbrechlicher.
Wenn ich jetzt nur meine Bücher in Christiania erreichen könnte, dann würde ich dir ein Buch leihen zur Anleitung zum Gebet, sagte Pfarrer Lassen.
Ja, Ihr habt wohl viele Bücher?
Ach, Tausende; eine ganze Bibliothek vom Boden bis zur Decke hinauf. Ja, dann hätte ich dir eins geliehen.
Der alte Per fuhr fort, das bißchen Gute, was er getan hatte, aufzuzählen: er habe den Tanzsaal abschaffen wollen, er habe ihn mit Zündhölzern füllen wollen. Dann wäre es der Fleischeslust heiß genug geworden.
Der Pfarrer lächelte.
War das auch unrecht?
Das war, was ich einen Einfall oder einen naiven Vorwand nennen würde, mein guter Per. Es war weder gut noch schlecht.
So, nicht? Nun fielen dem Ladenper die Schwäne ein: sie schrien so wild und ängstigten ihn, es seien gräßliche Vögel, aber er habe sie nie verflucht.
Der Pfarrer fing an zu überlegen, ob er nicht einen verständigen Gebrauch von dem Schrecken des Kranken machen sollte, gab es aber wieder auf. Die Schwäne, diese weißen Gottesgeschöpfe! sagte er. Brorson hat seine herrlichen Schwanengesänge über sie geschrieben. Im übrigen kam ja bei all diesem nichts heraus, keine Beichte, kein Bekenntnis, keine Reue. Ein Sterbender, der es sich zum Verdienst anrechnet, daß er Schwäne nicht verflucht hatte! Pfarrer Lassen sah auf seine Uhr und sagte: Was hast du nun eigentlich auf dem Herzen, Per, da du nach mir geschickt hast?
Ich will gesund werden.
Der Pfarrer schüttelte den Kopf. Dich ordentlich auf das heilige Abendmahl vorbereiten, kann ich jetzt nicht, das sehe ich. Nicht in deinem jetzigen Gemütszustand. Du mußt zuerst deine großen Sünden bereuen.
Na, gerade so große Sünden erwiderte Per bescheiden.
Du betrübst mich, du ängstigst mich, sagte der Pfarrer, ich habe aufrichtig Angst für dich. Was meinst du, wohin du kommen wirst, wenn du jetzt stirbst? Was willst du da tun?
Ja, sagte Per vor sich hin. Aber da lag er nun in seinem Bett und hatte sich wohl nicht ausgedacht, wie er sich bei gefährlichen Gelegenheiten benehmen müßte. Nein, sagte er darauf.
Da siehst du, sagte Lassen. Du bist wankelmütig und ratlos, ja du bist nicht einmal mit dir selbst darüber einig, ob du ein großer Sünder bist.
Na, nun mag die Mine platzen! dachte wohl der Ladenper. Was er Besonderes auf dem Herzen habe? Damit habe er bis jetzt geschwiegen: gesund wolle er wieder werden, um aufstehen und dem Theodor den Laden wie der wegnehmen zu können. Sonst wolle er nichts. Der Laden gehöre ihm.
Ich glaubte, Ihr wolltet Euch über mich erbarmen und mir das Abendmahl geben. Denn vielleicht könnte das etwas helfen, sagte er. Hier liege ich in Schmerzen Jahr um Jahr, und es wird immer schlimmer mit meinen Händen und Füßen, und Gott straft mich nicht mit Maßen mit seinem schweren Kreuz, er will mich eher ganz zugrunde richten, als mich wieder gesund machen.
Halt! Das ist gotteslästerlich geredet, Per! Gott straft dich nicht mehr, als du gesündigt hast, dessen kannst du sicher sein.
Na, sagte der alte Per. Aber Ihr wißt ja gar nicht, was sich hier zugetragen hat, sagte er. Ich bin heimatlos, ich habe in meinem eigenen Haus kein Dach mehr über dem Kopf, Theodor hat es mir genommen. Das ist besonders schön ausgedacht, Vater und Mutter hinausgeworfen, kann ich gerne sagen, ich aber kann nicht wieder gesund werden und kann nicht aufstehen, um es wieder in Ordnung zu bringen! Per ist plötzlich beredt geworden, ho, und seine Augen haben etwas von ihrer früheren Härte: Und könnt Ihr nicht wenigstens in den Laden hinuntergehen und ihn hinausjagen? fragte er.
Nein. Das ist eine Sache für die weltliche Obrigkeit. Nein, nein, sprich von so etwas nicht mit mir! wehrte Pfarrer Lassen ab.
Ich sage das um seiner selbst willen, denn er ist mein Sohn und mein Kind. Und wenn Ihr ihn zur Tür hinaus brächtet, so würde er vielleicht dadurch zum Nachdenken kommen, der verhärtete Gelbschnabel.
Der Pfarrer schwieg. Er erkannte plötzlich den Bauern und den Ladenper und die Rasse, der er selbst angehörte, wieder. Deshalb also hatte ein Sterbender nach ihm geschickt! Er schwieg. Vor ein paar kurzen Jahren noch wäre es ihm ja selbst nicht fremd gewesen, so zu denken, wie der Ladenper jetzt dachte. Gott sei Dank, er war ein anderer geworden!
Und nicht genug damit, daß er uns, seine Eltern, in Not und Elend bringt, nein, er reißt auch den Teil seiner Schwestern an sich und macht sie nackt und bloß auf der Welt, fuhr Per fort. Nun hat er das Weinrecht an die Gemeinde abgegeben; alles geht zugrund, und seine Mutter ist eine dumme Kuh und sieht nicht nach der Paraffintonne und nicht nach dem Sirupfaß im Keller. Wohin soll ich mich wenden? Der Theodor hat sich einen neuen Kramladen dicht neben dem meinen gebaut, und jetzt hat er überdies die Zwischenwand herausgesägt und aus allem zusammen einen einzigen großen Laden gemacht. Da hätte ich dabei sein sollen!
Kann dir hier nicht Rechtsanwalt Rasch helfen? Ich selbst kann mich nicht darein mischen, sagte Pfarrer Lassen schließlich, indem er aufstand. Eine solche hitzige Bosheit und Rachsucht bei einem lahmen Mann wahrlich, Lassen war froh, daß er aus dieser Gesellschaftsklasse, wo eitel Sünde und Roheit herrschte, herausgekommen war! Leb wohl! sagte er kurz und bündig. Bekehr dich! sagte er.
Der Ladenper sah ihm lauernd nach. O, wenn das in den früheren Tagen, wo er den Gebrauch seiner Glieder noch gehabt hatte, vorgekommen wäre! Jetzt lag er gefällt am Boden.
Ich verstehe es, sagte er, Ihr habt mit Theodor geredet, und nun soll mir das heilige Abendmahl nicht gegeben werden, damit ich nicht wieder aufkomme.
Ich habe nicht mit Theodor geredet, erwiderte Pfarrer Lassen. Bekehr dich. Per, das ist mein Rat als Seelsorger. Was hast du dir denn gedacht? Ich sollte hier stehen und dir bei deiner jetzigen Gemütsverfassung Sündenvergebung von Gott selbst zuteil werden lassen? Das tu ich nicht.
Nein, nein, sagte Per. Und seine Zähne waren nicht mehr gut genug zu einem Biß in Lassens Schenkel.
Als Pfarrer Lassen ins Hotel zurückkehrte, sagte er, der Krankenbesuch sei nicht besonders angenehm gewesen. Es hätte ein großer Augenblick werden können, ach, nach Sündenbekenntnis und Reue hätte der Lahme Linderung fühlen und seine Seele hätte stille, kirchenstille werden können, aber leider
Am Sonntag predigte Lassen im Ornat mit dem Orden daran. Die Kirche war übervoll, die Predigt unvergleichlich. Obgleich er ein Gelehrter war und ein großer Kenner geistlicher Strömungen, rühmte er sich dessen doch nicht: Der geringe Diener der Kirche, der Braut Jesu Christi, war er. Und er sagte wörtlich: Das, was ihr höret, liebe Freunde, ist nur der Ton meiner Stimme: denkt euch dabei Gottes Stimme, wenn sie aus dem Dornbusch redet! Außerdem war es eine frohe volkstümliche Verkündigung, mit etwas Dialekt dazwischen, aber das übrige verständlich. Das ganze Pfarrhaus war anwesend, ausgenommen der Pfarrer selbst. Rechtsanwalt Rasch saß auch unter den Zuhörern.
Pfarrer Lassen liebte offenbar Kernsprüche und Lehrsätze, ob er sie nun selbst verfaßte, oder sie in einem Familienblatt gelesen hatte. Sechs von diesen Kernsprüchen lauteten folgendermaßen: Man ist meist schwächer, wenn man sich auf andere verläßt, als wenn man sich auf sich selbst stützt; aber man soll sich auf Gott verlassen. Wenn in einem Fernglas Flecken sind, hat selbst der klarste Himmel Wolken. Tu das Gute um des Guten willen und kümmere dich nicht darum, was daraus entsteht. Güte ist ein Fels im Meer, Gutmütigkeit eine wandernde Sanddüne. Nichts kann steinerne Herzen zum Schmelzen bringen, aber Gottes Mühlen können sie zermahlen. Ein Talent ohne Selbstzucht, ein Palast ohne Dach.
Nach der Predigt kam Frau Landmarck mit ihren Töchtern ins Hotel, um Pfarrer Lassen ihren Dank für die Predigt auszusprechen. Diese Predigt sei ein Erlebnis gewesen! Lassen fragte nach dem Gemeindepfarrer. Er sei verhindert, antwortete Frau Landmarck, aber er lasse grüßen. Papa ist mit so viel anderem beschäftigt, sagte das eine Fräulein Landmarck mit einem höflichen Knicks. Er studiert an einer Zeichnung für eine Dreschmaschine, fuhr die Schwester fort und knickste auch. Beide junge Damen durften das Ritterkreuz des Olafordens sehen und in der Hand halten. Die Pfarrfrau und Lassen waren einer Meinung darüber, daß man im südlichen Teil des Landes leben müsse.
Ja, auf Wiedersehen in Christiania! sagte Lassen. Die Damen müssen bestimmt zu mir hereinschauen und sich meine Bibliothek und meine Altertümer ansehen.