Heinrich Hansjakob
Afra
Heinrich Hansjakob

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2.

Es war im Vorsommer, der dem Winter vorausging, in welchem das spielte, was wir eben gehört. Die Kirschen hatten gerade verblüht, was sie auf der winterlichen Höhe des Föhrengrunds erst um Johanni tun. Das Gras in den von einer kleinen Bergquelle berieselten Matten des Fohrengrund-Xaveri war schnittreif.

Der Vater hatte dem Oferle eines Abends den Auftrag gegeben, morgen in aller Frühe das erste Gras zu mähen. Er habe keine Zeit, meinte der Xaveri, er müsse in Wald, sonst werde er mit dem Zurichten des Holzes nicht fertig, bis der Holzhändler Trick von Alpirsbach es kaufen und auf der Kinzig »verflöße« wolle.

Die Meidle im Fohrengrund konnten jede männliche Feldarbeit, also auch »mejen«.

Das Oferle fuhr ums Morgenrot hinab auf die Matte am westlichen Waldrand mit einem Handkarren, auf dem die Sense lag.

Der Morgentau glänzte in unzähligen Perlen auf Gras und Blumen, und es war drum gut mähen. Dichte »Schoren« lagen bald am Boden, und das Oferle begann den Karren zu laden.

Eben war es damit zu Ende und wollte mit einem Seil die »Fahrt« einbinden, als es plötzlich im Wald singen hörte:

Es wollt' ein Mädchen grasen,
Wohl grasen im grünen Klee;
Da kam ein stolzer Jäger,
Wollt' jagen auf der Höh' –

und hinter dem Singen drein ein junger Bursche mit einem Stutzer erschien. Er trug die Bauerntracht des oberen Kinzigtals: lederne Kniehosen, kurze Rohrstiefel, blaue Strümpfe, schwarzen Kittel, grüne Weste und runden Filzhut, der über einem frischen, bartlosen Gesichte saß.

Das Oferle erschrak heftig, und der Jäger rief: »Guate Morge, Meidli, scho früh am Grasen!«

»Du häst mi ou verschrecket,« antwortete das Meidli, »I kenn di gar nit. Ein Häs treist,trägst. wie ein Obertäler, aber ous unsrem Kirchspiel bist nit, sonst müßt' i di kenne.«

»I bin ousm Kirchspiel von St. Roman, Meidli, und kenn' di ou nit, aber g'falle tust mir doch.«

»I heiß Oferle und g'hör dem Xaveri im Fohrengrund, dort drübe steht unser Hous.«

»Und i heiß Toni und wohn' im Hirschgrund im Heubach drüben. I komm aber 's erstemal do herouf.«

»Was schaffst da oben mit deinem G'wehr?« fragte das Meidli.

»Dir will i's sage, denn es hot no kei Meidli an Wildschütz verrote. I will schaue, ob's do obe keine Reh und keine Hase geit:gibt. 's isch bei uns drüben nimmer koscher. Der Förster, der Fürst vom Teufelstein, geht unsereinem z' stark auf d' Socke.«

»Du bist also ein Wilderer? Das seien aber, so hat der Vater schon erzählt, verwegene Leute, die manchmal erschossen würden.«

»'s isch was dran,« entgegnete der Toni. »Aber i mein', wir könnten ou sitze zu unserem G'spräch. I sitz auf den Loche da und du auf deinen Graskarren, und dann erzähl' i dir was vom Wildern, denn du g'fallst mir, bist ein gar soubers Meidli.«

Ein sauberes Mädchen war das Oferle; klein, aber fein, mit blauen Augen, vornehm gebogener Nase, was bei Landleuten selten, und ihre Lippen und ihre Wangen waren so schön rot, wie die Vogelbeeren im November.

»Und no was sagt die Mutter von den Wilderern,« fuhr das Oferle zu reden fort, nachdem es sich auf seinen Karren aufs Gras gesetzt hatte; »sie seien Leute, die ihre Arbeit versäumen und im Wald und in den Wirtshäusern herumziehen, statt zu schaffen.«

»Du bist der erst von der Sorte, den ich sehe, aber du schaust mir nit so aus, wie einer von denen, wie Vater und Mutter sie meinen.«

»Des freut mi,« lachte der Toni, welcher, in der Linken sein Gewehr haltend und die Rechte auf den Lederhosen ruhen lassend, auf dem Lochen saß und nun dem Oferle erzählte:

»Im Hirschgrund scheint die Sonne nur vierzehn Tage im Jahr, in der höchsten Sommerszeit, und da wächst kaum das Gras für einige Geißen. Drum waren die Leute im Hirschgrund allzeit Holzmacher. Ein Holzmacher sieht aber gar viele Rehe an der Atzung. Wenn er nun am Morgen in Wald und am Abend heimgeht, so ladet er gerne eins oder das andere ein, mitzugehen.«

»Mein Großvater hat gesagt, was im Wald, im Wasser und in der Luft lebe, gehöre allen Menschen, und drum hat er gewildert, so gut er konnte. Und in jenen Zeiten, wo noch die Waldungen in unserer Gegend den Klosterfrauen von Wittichen gehörten, da hat die Aebtissin beide Ohren zugedrückt, wenn sie hörte, es habe ein Bauersmann ein Reh oder einen Hirsch geschossen. Seit die fürstenbergischen Jäger die Wälder unter sich haben, ist's schon gefährlicher, aber auch pläsierlicher.«

»Du kannst dir nicht vorstellen, Meidle, was das eine Freude ist, heimlicherweise am Morgen vor Sonnenaufgang im Wald herumzustreifen, ehe die Vögel aufwachen, und am Abend, wenn sie eingeschlafen sind, auf dem Anstand stehen und warten, bis die Rehe und Füchse wechseln. Das ist ein größeres Vergnügen, als zum Tanz gehen oder zur Kirchweih oder auf den Jahrmarkt.«

»Und unter Tags liegst dann im Bett und schläfst?« fragte das Oferle.

»Schlafen? – nein, am Morgen, wenn i heim komm aus dem Wald, geht's wieder in Wald und wird Holz g'macht den ganzen Tag. Ist die Arbeit im Wald vorbei, so geht's ans Floßmachen, und ist der Floz fertig, so geht's am Bach hinunter in die Kinzig und hinab bis unter die Mauern von Straßburg in den Rhein.«

»Dem Toni im Hirschgrund geht die Arbeit nie aus, und das Jagen treibt er im Sommer nur, wenn er sich eine besondere Freud' machen will, und zur Winterszeit, wenn die Bäche gefroren sind.«

»Du bist also doch ein braver Bursch und kein Faulenzer, wie die Mutter die Wildschützen nennt.«

»Des freut mi, Meidle, daß du mir glaubst.«

»Aber jetz muß i heimfahre,« meinte das Oferle, »d' Sonne guckt scho über den Schornwald, und um fünfe steht d' Mehlsupp' auf dem Tisch, und d' Muatter zanket, wenn i nit daheim bin. I tät dich gern einladen zum Morgenesse, hast doch g'wiß noch nichts warm's g'hot heut, aber i fürcht' d' Muatter; sie kann d' Wildschütze nit leiden.«

»I dank dir, Meidle, mein Morgenessen hab' i in mei'm Kittel, a Budele Chriesewasser und Speck, des isch besser als die best' Mehlsupp'. Aber das Lied will i dir noch singen zum Abschied, das i eben ang'fangen hab', als i zu dir kommen bin, 's paßt auch auf deine Mutter. I kann alle Jägerlieder noch vom Großvater her, und heut kann i laut singen, der Fürst vom Teufelstein liegt im Bett und isch krank.«

Es wollt' ein Mädchen grasen,
Wohl grasen im grünen Klee;
Da kam ein stolzer Jäger,
Wollt' jagen auf der Höh'.

Er breitet seinen Mantel hin
Wohl auf das grüne Gras
Und bat das schwarzbraune Mädchen,
Bis daß es zu ihm saß.

Ach Gott, ich darf nit ruhen,
Ich hab' ja noch kein Gras,
Ich hab' ein zänkisch Mütterle,
Die zankt mich alle Tag.

Hast du ein zänkisch Mütterle,
Die dich zankt alle Tag,
So sagst, du hätt'st dich g'schnitte,
Dei' Fingerle halber ab.

Ach Gott, ich darf nit lügen,
Das steht mir gar nicht an;
Viel lieber will ich sagen:
Der Jäger hab's getan.

Ach Mutter, liebste Mutter,
Geb' sie mir einen Rat;
Es lauft mir alle Morgen
Ein stolzer Jäger nach.

Ach Tochter, liebste Tochter,
Den Rat, den geb' ich dir:
Laß du den Jäger fahren,
Bleib noch ein Jahr bei mir.

Ach Mutter, liebste Mutter,
Der Rat, der ist nicht gut;
Der Jäger ist mir lieber
Als all' mein Hab und Gut.

»So, jetzt hab' i dir eins g'sungen,« schloß der Jäger und erhob sich. Das Oferle aber lächelte unter Tränen über das schöne Lied.

»I hab' drunten im Wald ein Reh liegen, das will i mit Laub decken, bis die Nacht wieder kommt und i es hole. Und jetzt behüt di Gott, Schatz, und wenn du wieder Gras holst, kommen wir vielleicht wieder z'sammen.« Mit diesen Worten reichte der Bursche dem Oferle die Rechte.

Das Meidli hielt des Wildschützen Hand in der seinen und fragte: »Kommst übermorgen nit ouf den Peter- und Paulimärkt nach Schilte? I komm ou nunter und mei Schwester, die Mariev.«

»I geh nit oft ouf die Jahrmärkt', an diesen Tagen ist unsereiner am ungestörtesten im Wald, aber dir z' lieb komm' i. Wo kehret ihr ein?«

»Wir sitzet gewöhnlich im Engel.«

»Also im Engel z' Schilte, wenn wir uns nit vorher auf dem Markt treffe,« antwortet der Toni, drückt dem Oferle nochmals die Hand, springt in den Wald und singt:

He, he, he,
Hirsch und Reh
Droben ich von ferne seh;
Eins davon,
Weiß ich schon,
Wird mir bald zum Lohn.

Hu, hu, hu,
Drum schau ich zu,
Daß ich ja nicht fehlen tu.
Puff und Knall,
Daß es schall',
Daß das Rehlein fall'.

Das Oferle, schon in den »Landen« seines Graskarrens stehend, lauschte ihm noch nach. Dann fuhr es davon. Drunten vom Tal herauf läutete es. Die Sonne glitzerte in den Tautropfen des Grases, die Vögel jubilierten rings um den Fohrengrund, das Oferle allein fuhr nachdenkend und mäuschenstill über den grünen Weg der Hütte zu.

 


 << zurück weiter >>