Heinrich Hansjakob
Afra
Heinrich Hansjakob

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.

Am Peter- und Paulstag ist alljährlich in Schilte ein vielbesuchter Jahrmarkt. Die Schiltacher und ihre nächsten Nachbarn, die Lehengerichter, sind protestantisch, haben also keinen Grund, an einem katholischen Feiertag keinen Jahrmarkt zu halten, und die vielen Katholiken ringsum versäumen keine Zeit, wenn sie am Nachmittag den »Peter- und Paulimärkt« zu Schilte besuchen.

Die Schiltacher sind noch keine hundert Jahre badisch und waren vorher Jahrhunderte lang gut württembergisch. Die Herzoge von Teck, dieses alte schwäbische Geschlecht, saßen ja auf der Burg über Schilte.

Drum sind die Schiltacher heute noch in Sprache und in angeborener Schlauheit und Findigkeit gut schwäbisch. Schwäbisch und dumm paßt aber nicht zusammen. Das bekannte Wort von den »dummen Schwaben« ist das dümmste Schlagwort, so es je gegeben hat. Unsere Nachbarn, die schwäbischen Württemberger, stehen in alleweg früher auf, als wir allzeit redseligen und maulfertigen »Badenser«.

Drum haben die schlauen, altschwäbischen Schiltacher alle ihre Jahrmärkte auf katholische Feiertage verlegt, wohl wissend, daß die katholischen Völker der Umgegend an solchen Tagen am besten Zeit und Lust haben, einen Ausflug nach Schilte zu machen.

Und so spielen sich die Märkte hier ab an Josefi, an Peter und Paul und an Maria Geburt.

»Sommerszeit die Menschen freut,« drum ziehen sie am liebsten, die Leute des oberen Kinzigtals, an Peter und Pauli z' Markt uf Schilte.

Und wer mag sie alle zählen, die Buren und Bürinnen und die jungen Völker, die am hellen, heißen Sommernachmittag dorthin wallen – aus dem Heuwich, aus dem Kaltbrunn, aus Wittichen, aus Bergzell, von St. Roman, von Halbmeil, von Lehengericht, von Schenkenzell und von all' den Bergen und aus allen Höfen, die in diesen Gebieten liegen?

Es war ein besonders warmer Sommertag, der Peter- und Paulstag des Jahres 1859. Draußen in der großen Welt war Krieg- und Kriegsgeschrei, während die Landleute des oberen Kinzigtales fröhlich und friedlich gen Schilte zogen.

Doch sprachen die Männer auch vom Krieg. Soldaten aus der Gegend hatten einrücken müssen und die Badischen mobil gemacht.

In Italien waren die entscheidenden Schlachten schon geschlagen.

Von Schenkenzell her wanderte eine Gruppe Bauern in kurzen, schwarzen Tuchschoben, ledernen Kniehosen, blauen Strümpfen und hohen Stiefeln das Tal herunter Schilte zu.

Unter ihnen war der Vogt von Bergzell, Gruber, den ich noch wohl gekannt.

»Was meint ihr ou vom Krieg, Vogt?« fragte einer der Bauern im Weiterschreiten, während sonnenbeglänzt die alte Ruine Schenkenzell auf sie herabschaute.

»Vom Krieg mein' i,« antwortete der Gefragte, »daß er bald ein End hat. Die Oestreicher haben, wie der ›Schwarzwälder‹ gebracht hat, zwei große Schlachten verloren, bei Magenta und Solferino. Und helfe will ihnen kein Mensch, die Preuße nit und die Badische ou nit. No werd's bald ous sei.«

»Aber die Oestreicher verlieret ou älleweil,« äußerte der Bühlbur von Schenkenzell, »und d' Franzose g'winnet älleweil.«

»'s isch vor fufzig Jahr scho so gsei,« gab der Vogt zurück. »Der alt Napoliun hot älleweil g'siegt und der neu' macht's ou a so, aber z'letzt hot der alt' Napoliun doch auf d' Hose kriagt,bekommen. und dem neue wird's am End ou so gau!«

»Doch komm's, wie's will, wir Baure müsset'smüssen's. nehme, wia's kummt, 's isch alleweil so gsei. Wir Baure müsset d' Leut' und 's Geld stelle, wenn die große Herre miteinander kriege.«

Hinter den Bauern her, die so und ähnlich vom Krieg sprachen und eben über die Kinzigbrücke schritten – kamen langsam zwei Meidle des gleichen Wegs.

Sie waren vom Fohrengrund herab auf die Talstraße gekommen und wandelten, wie viele vor und hinter ihnen, dem Peter- und Paulimärkt zu.

Sie hatten sich in vollen Putz gesteckt, denn einmal war's Feiertag, und dann gingen sie z' Märkt. In allen Farben, vom hellsten Rot bis zum tiefsten Blau, prangten die Meidle.

Eben, als sie bei der Brücke angelangt waren, steuerte von ferne ein Bursche, der aus dem Heubacher Tal gekommen, von der Flußseite her der Brücke zu.

»Dort unten kommt der Wildschütz, Mariev,« sprach leise das Oferle. »'s isch, wie wenn's sein müßt, daß er jetzt g'rad daher kommt.«

Die Mariev wußte längst, um was und wen es sich handle bei dem Worte Wildschütz, denn das Oferle hatte ihr gleich nach jener Begegnung mit dem Toni im Walde alles erzählt, auch daß sie einander treffen sollten auf dem Peter- und Paulimärkt.

»Des isch aber ein netter Bursch, der Wildschütz,« meinte die Mariev, an der Kinzig hinabschauend. »Jetzt wollen wir aber langsamer gehen, damit er uns einholt.«

»Nei,« gab das Oferle zurück, »wir laufen, als ob wir ihn nicht gesehen und nicht erkannt hätten. Wenn ihm was daran liegt und er noch denkt, was er im Wald g'seit hot, dann wird er schon machen, daß er uns trifft.«

Ohne weiter umzuschauen, schritten die Meidle über die Brücke.

Kaum hatten sie diese aber hinter sich, als der Toni sie einholte und, dem Oferle die Hand reichend, sprach: »Grüß Gott! So des isch ou schön, daß du Wort haltest und ouf den Paulimärkt kommst!«

»Des isch g'wiß dei Schwester?«

Als das Oferle dies bejahte, gab er auch der Mariev die Rechte mit den Worten: »Ou grüß Gott! Du wirst scho wisse, wo i und 's Oferle anander troffe haunt. Aber ouf'm Märkt darf ma's nit sage.«

»I weiß scho älles,« antwortete lächelnd und leise die Mariev. »Ou des weiß i, daß ma d' Wildschütze nit verrote soll.«

»Jetzt bleib i aber bei euch,« fuhr der Toni fort. »Z'erst wollen wir krome, und dann gehen wir zum Tanz. I muß Wetzstein' koufe, der Heuwet (Heuernte) kummt, und i soll dem Aeckerbur drobe helfe meje.«

»Und ihr zwei, was wollet ihr krome?«

»I will a rots Zeugle kaufe zume Rock,« antwortet das Oferle, »und i a rote Wulle zu Strümpfen,« die Mariev. »Und der Vater,« fuhr sie fort, »hot g'seit, i soll ihm ou a Mailänder Wetzstein bringe. Den könnt ihr mir koufe helfe.«

»Und der Muatter soll i a Strohhut bringe und ou a neue Reche zum Heuwen.«

Die Schiltacher sind nicht bloß schlau in bezug auf den Tag ihrer Märkte, indem sie dieselben auf katholische Feiertage verlegen, sondern auch noch in anderer Art.

Sie begnügen sich damit, die katholischen Landleute in ihr Städtchen gelockt zu haben, und überlassen sie dann den Wirten und Krämern, während sie selbst den täglichen Arbeiten in Feld und Werkstatt nachgehen.

Mit Vorliebe führen sie ihr Heu und ihren Reps ein am Peter- und Paulimärkt, und die katholischen Marktbesucher müssen oft in den Straßen von Schilte den Heuwägen Platz machen.

»Dia donderschlächtige Schiltacher,« flucht dann manch ein katholischer Bur, »nit g'nug, daß sie Markt halten an unseren Feiertagen, sie machet ei'm nit amol Platz, wenn ma in ihr Städtle kummt.«

Doch es kommen auch protestantische Landleute an dem Markttag nach Schilte, vorab die jungen Völker aus dem vorderen und hinteren Lehengericht, die an diesem Markt auch lieber tanzen, als »heuwen«.

Sie sind zweifellos die feinsten Erscheinungen auf dem Marktplatz, die jungen Lehengerichter in ihrer dunkelblauen, hellgrün verbrämten Volkstracht, mir die liebste von all den schönen Volkstrachten des Kinzigtales.

Die besten Geschäfte machen am Paulimarkt z' Schilte die Wetzstein- und die Strohhuthändler. Die Wetzsteine verkauft der Bürsten-Marx von Hasle, die Strohhüte bringen Flechterinnen von Aichhalden, dem nahen schwäbisch-württembergischen Bergdorf. Für die Meidle von Lehengericht haben sie die weißen Hüte gar schön verziert und garniert mit schwarzem Geflecht.

Der dicke Bürsten-Marx von Hasle ist der Nachfolger des Bürsten-Engel meiner Knabenzeit, der, wenn er auf den Märkten des Tales feil hielt, immer rief: »Bürste un Hoor d'ra, wer's nit glaubt, der griff d'ra!«

Der Bürsten-Marx macht in Schilte mit seinen Mailänder Wetzsteinen, die altberühmt sind bei den Buren im Tale, die besten Geschäfte auch deswegen, weil er aus dem Obertal stammt, aus dem Kaltbrunn, und die Buren alle kennt.

Doch hat der Marx Konkurrenz bekommen. Da steht unfern von ihm ein fremder Schleifsteinhändler, ein redegewandter Mann, um den sich die Buren und Bürinnen und die Völker drängen, so wie sie auf dem Marktplatz angekommen sind.

Er ruft: »Hierher, meine Herrschaften, die ihr mähen und heuen wollt! Hier sind die besten Wetzsteine der Welt, sie kommen lebendig aus dem Bruch und haben 30 Prozent Magnet oder Anziehungskraft. Wenn man mit diesen Steinen, die schneidig sind wie Gift, schleifen tut, ist das Mähen das reinste Kinderspiel!«

Hierauf bestreicht er eine alte Sense mit einem Stein und schneidet vor den Augen seiner Zuhörer einen Bogen Papier in Stücke.

Jetzt langen die Buren in ihre kurzen Lederhosen und kaufen von den Steinen, die viel billiger sind, als die Mailänder.

Der Toni kauft zwei und rät der Mariev, für den Vater auch einen zu nehmen. Aber die will nicht, sie muß einen Mailänder haben, die kennt der Xaveri und ist sie g'wohnt. Sie meint deshalb: »I trau mir nit, an andere als a Mailänder heimz'bringe.«

Drum gehen sie weiter, und der Toni liest ihr einen feinen Mailänder aus beim Bürsten-Marx.

Da ruft dem Toni der »rot' Hans«, der früher Knecht war und jetzt Jahrmarktkrämer ist. Er hat manchen Holländerstamm fällen helfen im Hirschgrund und kennt den Toni, der ihm ein »paar Zigarren« abkauft.

Als sie beim Hafner-Arnold vorbeikommen, der seine zerbrechlichen Waren auf dem Boden ausgestellt hat, fällt dem Oferle ein, daß die Mutter ihr aufgetragen habe, eine irdene Suppenschüssel zu bringen.

Sie kauft eine, aber der Hafner muß sie ihr aufheben, bis sie heimgeht.

Dort ist der Stand vom Schramberger Zeugleweber; dem steuern die drei zu, und der schlaue Württemberger begrüßt sie mit den Worten: »So, do kommt g'wiß a Hochzeitspärle. Welles isch ou d' Hochzeitere? D' Wahl tut oim weh, 's isch oine so schön, als die ander. Un a soubre Bursch isch ou dabei. Jetzt, wo gilt's und was möchtet ihr gern?«

»Keine von is isch a Hochzeitere,« gab das Oferle zurück. »Wir hont den Toni bloß troffe vor der Brück' drouße!«

»Was nit isch, kann noch werde,« meinte der Zeugleweber, und der Toni nickte lächelnd dazu.

Das Oferle aber kaufte ein rotes Zeugle zu einem Rock, und dann ging's weiter.

Dort an der Ecke steht ein Kirschenhändler. Er hat die ersten von Hasle heraufgebracht, und Kirschen sind am Peter- und Paulimärkt was ganz neues für die Obertäler.

Der Toni erbietet sich, den Meidle, die staunend auf die roten Dinger schauen, solche zu kaufen. Doch sollten sie dieselben mit heimnehmen, denn jetzt wollten sie zusammen den Durst löschen bei der Hitz, meinte er, und »ein Bier« trinken beim »Fritz in der Gaß«.

»Aber wir könnet die Chriesen doch nit im Schurz mitnehmen ins Bierhaus und dann zum Tanz in Engel?« sprach die Mariev.

»Die bringen wir dem Hafner-Arnold und legen sie in die Suppenschüssel bis z' Obed, und morn essen wir sie zum Andenken an den Toni,« war Oferles Ansicht, die einstimmig gebilligt wurde.

Der Toni ließ zwei Pfund Chriesen wägen, schöne, saftige, hellrote »Weißbäckler«, die Mariev trug sie zurück in die Suppenschüssel und eilte dann den andern nach zum »Fritz in der Gaß«.

Beim Fritz in der Gaß z' Schilte trinken die Obertäler gern ihr Bier. Da sitzt der alte Fritz zu ihnen, gibt ihnen eine Prise aus einer Riesendose und erzählt von Amerika, wo er lange gewesen.

In einer Ecke der Bierstube, über welcher ein Bild des Königs Gambrinus hängt, sitzen drei Meidle aus dem St. Romanschen. Sie sehen den Toni, der in ihre Pfarrei gehört, mit zwei fremden Meidlen.

Die eine äußerte: »Schout, der Toni ous dem Hirschgrund hot zwei Tänzerne, die i nit kenn'. Der kunnt ou überall rum.«

Die zweite sprach darauf: »Ma weißt scho, daß der Toni a Wildschütz isch, drum kennt er d' Meidle ouf alle Berge.«

»Mi dunkt's,« nahm die dritte das Wort, »die Meidle seien ous Bergzell. I moin, die Schwarz hätt' i schon g'sehe beim Fest in St. Roman und z' Wittiche ouf der Wallfahrt.«

Indes hat der Toni die Sprecherinnen auch erblickt. Er nimmt seinen Schoppen, geht zu ihnen, bringt's ihnen zu und frägt: »So, seid ihr ou z' Märkt? Was hont ihr kromet? Oder seid ihr bloß zum Tanze komme?«

Jede trinkt vom Toni, und die heiterste von ihnen, die Walburg aus der Trillen, antwortet ihm dann: »Wir hont Strohhüt kromet und Reche, der Heuwet goht an. Und zuam Tanz könnet wir nit, wir hont keine Tänzer. Du, Toni, hosch, scheint mir, Meidle kromet und kannst keine mehr brouche, sonst müßtest mich mitnehmen in Engel.«

»Der Toni ous dem Hirschgrund nimmt euch alle drei mit,« entgegnet lachend der Wildschütz. »Er kann auch mit fünf Meidlen tanze. Die zwei, so mit mir gekommen, sind über dem Kaibach drobe daheim. Hab' die eine kennen gelernt bei einem Spaziergang in den Wald und sie eingeladen zum heutigen Tanz. Die ander' ist ihre Schwester.«

»Ma weißt scho, was der Toni für Spaziergäng macht in Wald,« erwiderte die Walburg schelmisch. »Und im Wald geit's ällerlei für Vögel.«

»Du kannst gut sticheln, Walburg,« meinte der Toni und lud die Meidle nochmals ein, in Engel zu kommen, er tanze dann mit jedem der fünf Wibervölker gleich oft. Er sei noch ganz ledig, sein Herz noch nicht verkauft, und heimbegleiten müsse er am Abend sie, die drei, doch, weil sie den gleichen Weg hätten.

»Nei, nei, Toni,« nahm jetzt die Karolin aus dem hintern Heuwich das Wort. »Heut' vergönne wir dir die Meidle ousm Kaibach nit. Wir müsse zeitig heim. Wenn wieder einmal Tanz isch z' St. Roman im Adler, dann gilt's uns.«

Dem Oferle war's ganz warm geworden, als der Toni so lang mit den Meidlen in der Ecke verkehrte. Diese reichten ihm jetzt zum Abschied jede ihr Glas zum Trinken, und der Toni meinte im Weggehen: »Ihr b'sinnt eu g'wiß no anders, dann kommet ihr doch no in Engel.«

»Do kannst lang warte, Toni,« schloß die Walburg, »bis wir komme und im Engel z' Schilte feil stehen, bis ein Tänzer kunnt. Do kehren wir heut' abend lieber no im Auerhahn ein im Heuwich. Dort sitzt der Aeckerbur mit seine Flözer, die wolle morgen an Floz durch den Bach lassen, und die treffen wir sicher, wenn's is ums Tanze isch, und der Schultoni spielt ouf mit der Harmonika.« –

Eine halbe Stunde später war der Toni mit dem Oferle und der Mariev im Engel, die drei andern Meidle aber auf der Kinzigbrücke dem Heuwich zu.

Sie walzten und stampften schon, die ländlichen Paare, und die bunten Kleider und farbigen Bänder an den Trachten der Meidle zogen wie Kaleidoskope an den Augen der Zuschauer vorbei, als der Toni mit seinen Damen im Engel ankam.

Alsbald drehte auch er sich mit dem Oferle in dem dröhnenden Kreisel, dem Staubwolken entstiegen, so dick, wie der Rauch, der von den Kaminen der alten Häuser von Schilte vor Mittagszeit gen Himmel zieht.

Die Mariev hatte ein Bursche aus der Aichhalden »engagiert«, und so kam auch sie zu ihrem schweißtreibenden Vergnügen.

Zwischen hinein bekamen die ländlichen Damen Süßigkeiten, d. h. die Tänzer kauften ihnen Lebkuchen, die von einem alten Weible am Eingang zum Tanzboden feil gehalten wurden. Schilte hat zwei »Zuckerbäcker« bis auf den heutigen Tag. Der »Lehbäck« und der »Schmiedi-Bäck« versorgen die Jahrmarktgäste mit Lebkuchen und »Guts«.

Die Fiedel ächzte und die Klarinette krächzte, so toll mußten die Musikanten dem nimmersatten Volke aufspielen.

Machten sie einmal eine Pause, so warf ihnen der Toni einen Sechsbätzner hin und rief: »Einen ›;Extra‹ für mich!« Dann tanzte er allein mit dem Oferle, um es so zu ehren; und das Oferle war stolz in seinem Herzen, denn einen Extra hatte noch keiner mit ihm getanzt.

Die Burschen und die Knechte aber sahen scheel auf den Toni ob seines vielen Geldes und ob seines Großtuns, und des Hermenazis-Bure Andres meinte: »Der hat gut Extra spielen lassen, er schießt heut' nacht wieder einen Rehbock im Lehenwald, und dann hat er sein Geld wieder. Der verdient mehr mit dem Jagen, als wir mit Schinden und Schaffen.«

»Und seine Tänzerin, das Oferle,« nahm ein Bursche vom Dachsloch das Wort, »die hat er auch beim Jagen gefunden: sie wohnt im Fohrengrund, mitten im Wald.«

»Aber sagen darfst nichts, Andres, vom Wildern, sonst rennt er dir ein Messer in Leib. Der Toni ist wild wie ein Löb, wenn er gehänselt wird, aber sonst der best' Kerle von der Welt.«

»Doch lumpen lassen wir uns nit,« meinte der Andres, »wir müßten uns schämen vor unseren Meidlen. Wir tanzen jeder auch einen Extra.«

Und bald gab's nur noch Extras auf dem Tanzboden zur Freude der Musikanten, die dabei am meisten Geld verdienten.

Endlich brach der Toni ab. Das Oferle drängte heim – der Mutter wegen. Auch die anderen gaben Ruh, und alles ging in die Wirtsstube hinab, um, wie es üblich ist, die Tänzerinnen zu regalieren »mit Bröte und Salat«.

»Soviel auf einmal, wie heut', hab' i meiner Lebtag nit getanzt,« sprach das Oferle, sich den Schweiß abtrocknend und am Arm des Toni in die Stube wandelnd.

»Du mußt auch wissen, wenn du mit dem Toni aus dem Hirschgrund getanzt hast,« antwortete der und rief der Kellnerin zu: »Eine Botell' vom Besten und Bröte und Salat für drei.«

Schon schaute der Abend durch die dunklen Gassen von Schilte. Die Sonne verklärte im Scheiden nur noch die hoch über dem Städtle gelegenen Ruinen der einstigen Burg der Herzoge von Teck – als das Oferle und die Mariev sich zum Heimgehen anschickten.

Sie hatten Angst vor der Mutter, die eine böse Sieben war und den Meidlen jedesmal, so oft sie auswärts gingen, mit Aussperren drohte, wenn sie zu spät heimkämen.

»Aber singen muß der Toni noch eins, ehe er aufbricht und euch begleitet!« rief des Hermenazis-Bure Andres, der am gleichen Tisch saß.

»Ja, singen muß er!« riefen alle Burschen. »Der Toni hat noch immer eins gesungen, ehe er vom Tanz heimging, und ist der beste Sänger im Tal.«

»No, sing schnell eins!« bat das Oferle, welches nicht verriet, daß es den Toni schon einmal im Wald habe singen hören.

»I sing' eins,« sprach der Toni, »'s isch nit kurz, aber schön und neu. Des sing'i und dann gaut's heimzua.«

Es wollt' ein Jäger jagen,
So sagt' er.
Es wollt' ein Jäger jagen
Drei Stunden vor dem Tagen
Im Walde hin und her.

Einen Hirschen, einen Hasen und ein Reh,
So sagt' er.
Er grüßt das Mädchen seine;
Was tut sie so alleine
Wohl in dem Wald so früh?

Ich will mir pflücken Rosen,
So sagt' sie.
Ich will mir pflücken Rosen,
Wir wollen beide kosen
Wohl in dem Wald so früh.

Ich kann vor meinen Hunden nicht,
So sagt' er.
Ich kann vor meinen Hunden nicht,
Bleib' sie nur, Schönste, wer sie ist,
Wohl in dem Wald so früh.

Laß er die Hunde laufen,
So sagt' sie.
Laß er die Hunde laufen,
Wir wollen sie verkaufen
Wohl in dem Wald so früh.

Ich kann vor meinen Hasen nicht,
So sagt' er.
Ich kann vor meinen Hasen nicht,
Bleib' sie nur, Schönste, wer sie ist,
Wohl in dem Wald so früh.

Laß er die Hasen schmausen,
So sagt sie.
Laß er die Hasen schmausen,
Es sind ja mehr als tausend
Wohl in dem Wald so früh.

Ich kann vor meinem Pferde nicht,
So sagt' er.
Ich kann vor meinem Pferde nicht,
Bleib' sie nur, Schönste, wer sie ist,
Wohl in dem Wald so früh.

Laß er das Pferd doch stehen,
So sagt' sie.
Laß er das Pferd doch stehen,
Wir beide wollen gehen
Wohl in dem Wald so früh.

Ich kann vor meinen Sporen nicht,
So sagt' er.
Ich kann vor meinen Sporen nicht,
Bleib' sie nur, Schönste, wer sie ist,
Wohl in dem Wald so früh.

Laß er die Sporen klingen,
So sagt sie.
Laß er die Sporen klingen,
Wir beide wollen singen
Wohl in dem Wald so früh.

Alles lobte den Toni ob des schönen, neuen Liedes und seiner schönen Stimme. Das Oferle strahlte. Des Hermenazis-Bure Andres meinte: »Aber jetzt noch eins, Toni! Du allein kannst Lieder singen, die wir nicht kennen!«

»Nei, nei,« mahnte das Oferle, das sich schon vom Tisch erhoben hatte, »wir müssen heim. Bin aber nicht dawider, wenn der Toni noch dableibt.«

Die letzten Worte waren ihr natürlich nicht ernst.

»Noch eins zum Abschied, Toni!« rief der Andres.

»Da habt ihr noch eins, ein ganz kurzes,« sprach der Toni und sang stehend:

Meidle, hast dei Bettle g'macht?
»Nei, i hab's vergesse.«
Bist denn du die ganze Nacht
Bei dem Jäger g'sesse?

Wenn du willst den Jäger habe,
Mußt du grüne Schühle trage;
Grüne Schühle, Silberschnalle
Tun dem Jäger wohl gefalle.
Juchhe!

»Und jetzt guat Nacht, kommt guat heim mit euere Tänzerne,« schloß der Toni und ging mit seinen zwei Meidle von dannen.

Draußen aber auf der Gasse war's düster und menschenleer. Die Krämer waren bei Laternenschein schon wieder am Einpacken ihrer Waren. An ihren Ständen zeigten sich nur vereinzelt noch Schiltacher, die untertags wegen der Feldarbeit keine Zeit gehabt hatten zum Kromen.

Die Mariev holte die Schüssel mit den Kirschen beim Hafner, und hinaus ging's über die Brücke in den lauen Abend hinein.

Der Weg an der Kinzig hinauf war einsam. Die meisten Marktbesucher aus dem oberen Tal hatten ihn schon passiert.

Bis zum Tannenhof gab der Toni der Mariev und dem Oferle das Geleit, dann ging er wieder zurück bis zur Brücke vor Schilte und dem Hirschgrund zu.

Beim Abschied hatte er versprochen, bald wieder einmal »ums Haus zu streichen im Wald droben,« das Oferle ihn aber gebeten, ja vorsichtig zu sein, damit die Mutter nichts merke, sonst wäre sie des Lebens nimmer sicher.

»Ich treff' dich wieder beim Grasen in aller Herrgottsfrüh,« tröstete der Toni. »Es stehen noch ein paar stolze Rehböcke im Fohrengrund. Von denen muß noch einer mein werden.« –

Und er kam bald und kam oft, der Toni, und die »böse« Mutter, die Frenz, half wider Willen, daß die Afra und der Toni sich trafen »wohl in dem Wald so früh«.

Sie hielt sich einige Hühner um die Hütte, und die Hühner waren ihr ans Herz gewachsen, aber dem »Hennevogel«, der morgens über den »Schornwald« her geflogen kam und die Hütte schreiend umkreiste, auch.

Es gibt bekanntlich nichts Erfinderischeres auf Erden als zwei Verliebte, die gerne beisammen wären, aber Hindernisse im Wege liegen sehen.

So kam es, daß der Toni, welcher alle Vögel im Singen und Schreien nachmachen konnte, als Hühnerweih sich ankündigte, wenn er am Morgen oder am Abend um die Hütte im Wald streifte.

Sobald dann des Xaveris Weib, in der Küche oder im Stall beschäftigt, den Hennevogel hörte, rief sie: »Ihr Meidle, der Hennevogel isch drouße, gang eins nous und verscheuch ihn!«

»Der kaibe Vogel muaß sei Nest im Wald habe, daß er so oft schreit. Suchet, daß ihr's Nest findet.«

Das Oferle ging dann regelmäßig in den Wald, um den Hennevogel zu verscheuchen oder sein Nest zu suchen.

So verging der Sommer und der Herbst kam, der Hennevogel ließ immer noch seine Stimme hören, ohne Hühner zu holen; denn das Oferle hielt getreulich Wacht, und die Mariev half dabei.

Endlich bekam die Alte den Vogel einmal zu sehen, und das geschah also: An Sonn- und Feiertagen blieb, wie es auf einsamen Höfen und Hütten Sitte ist, nie »eines« allein daheim, wenn die andern ins Dorf hinab zur Kirche gingen. Entweder hüteten der Vater und ein Meidle oder die Mutter und das andere Meidle das Haus.

Das Oferle hütete am liebsten mit dem Vater, denn der Xaveri hörte nit gut; er saß den ganzen Morgen über in der Stube und las in einem alten Gebetbuch, oder er rauchte auf der Ofenbank sein Pfeifle.

Es ging schon dem Spätherbst zu, und es war Sonntag. Ueber Berg und Tal lag ein kaltes Nebelmeer, und an den Tannen setzte sich der erste Duft an.

Die Mutter und die Mariev waren hinabgegangen ins Tal zum Gottesdienst. Die erstere klagte, daß der wüst' Nebel ihr so zusetze auf der Brust und sie immer husten müsse und es fast nit erschnaufen könne.

Schon halb am Berg drunten, beim »Löchlebühl«, wird's der Mutter so übel, daß sie umkehren muß. Sie spricht zur Tochter: »Geh' du allein in d' Kirch, Mariev, ich muß heim. Ich kann's fast nicht mehr erschnaufen, und es fröstelt mich dazu. Schon zweimal hab' ich die Lungenentzündung gehabt, ich will sie nit wieder holen. Ich geh' heim und sitz' an warmen Ofen. Bet' du für mich in der Kirche.«

Langsam und von Zeit zu Zeit stehen bleibend und Atem holend keuchte des Xaveris Weib wieder bergan. Es läutete eben zur Wandlung in der Dorfkirch' drunten, als sie endlich ihrer Hütte sich wieder nahte.

In der Küche aber sitzt der Toni beim Oferle, und dieses meint, die Glocke vom Tal herauf zu dem offenen Fensterchen herein vernehmend: »Du kannst schon noch eine halbe Stunde bei mir bleiben, es läutet erst die Wandlung.«

Beide bekreuzen sich, und der Toni hat seinen Hut abgenommen, bis die Glocke verstummt.

»Horch! Da hustet jemand,« sprach der Toni.

Das Oferle schaut zum Küchenfenster hinaus, wird totenbleich und ruft voll Schrecken: »D' Muatter kunnt, lauf, Toni!«

Mit einem Satz ist der Toni aus der Küche, mit einem zweiten vor der Hütte und mit einem dritten im Wald. Aber ehe er diesen erreicht, hat ihn die alte Franziska erspäht.

Jetzt verläßt sie plötzlich der Husten. Wie eine Junge eilt sie ins Haus und in die Küche und fällt über das innerlich zitternde, äußerlich aber mit der unschuldigsten Miene der Welt mit dem Kochlöffel in der Gerstensuppe rührende Oferle her.

»Was für ein Kerl ist das gewesen, der eben in Wald g'sprungen ist?« schreit atemlos die Mutter.

»Muatter,« antwortet ganz ruhig das Oferle, »'s isch a Bursch gsei, der ins Haus komme isch und Feuer verlangt hot für sei Pfeife. Er hot Zundel und Feuerstein vergesse, wo er dehoim fort isch, hot er g'seit.«

»Warum ist er denn fortg'sprunge, wo i komme bei, und warum hot er kein Feuer beim Vater g'holt, der hot Zundel und Feuerstein?« kreischte die Alte.

»Er hot die glühende Kohle g'seha, wo er an der Küch' vorbei isch. Drum isch er nit in d'Stube nei. Und i hab' ihm selber g'seit: ›;Spring, was de kannst, mei Muatter kunnt, die tuat wüast, wenn sie an Burscht bei mir sieht‹«

»Wo isch er denn her, der Kerle?« fragte die Mutter, schon milder gestimmt; »daß er fremd ist, hab' i gleich g'sehen.«

»Er sei, wie er sagt, aus dem Hirschgrund im Heuwich,« erwiderte das Oferle, welches froh war, daß der Toni seine Flinte im Wald versteckt hatte, als er in die Hütte ging, so daß die Mutter ihn nicht mit der verdächtigen Waffe gesehen.

»Was schafft er aber am Sonntag Morgen, wo ein jeder Christenmensch, der kann, in die Kirche geht, do oben in unserm Wald?«

»Er hot g'seit, er wolle einen Gang machen ins Schwobaländle 'nüber, nach Röthenberg, und der nächste Weg führe do durch.«

Das erste Gewitter war vorüber. Die Mutter glaubte, was die Liebe dem Oferle auf die Zunge gelegt, und mit der Mahnung, ja keinen Burschen mehr ins Haus zu lassen am Sonntag, ohne dem Vater zu rufen, ging die Husterin in die Stube und fing an zu klagen, daß der Nebel sie heimgetrieben. –

Wir sehen, wie schlau und klug das Meidle in der Waldhütte sich aus der Gefahr gezogen. Die gleiche Schlauheit und erheuchelte Ruhe ist aber in ähnlichen Fällen allen Wibervölkern eigen, weil, wie ich anderwärts schon dargetan, alle über die gleichen Eigenschaften verfügen und jede jede Rolle zu spielen imstande ist, eine Kunst, die den Mannsleuten abgeht.

Es heirate heute ein Fabrikherr die armseligste Arbeiterin seiner Fabrik; in kurzem wird sie die Herrin und Dame zu spielen wissen, als ob sie von Geburt aus zu etwas Besserem bestimmt gewesen wäre.

Man mache aber einen Fabrikarbeiter zum Fabrikherrn, und man wird es ihm zeitlebens ansehen, daß er aus dem Proletariat stammt.

Aehnlich umgekehrt. Man lasse eine Dame von hohem Adel ins Proletariat hinabsinken, und sie wird hier ihre Rolle spielen, als ob sie darin aufgewachsen wäre. Einem König aber, der zum Bettler geworden, wird man es stets ansehen, daß er nicht Zeit seines Lebens Bettler gewesen.

Doch kommt diese Kunst, sich in jede Rolle zu finden, dem schönen Geschlecht von Natur aus zu und ist ihm deshalb auch weder zur Ehre, noch zur Schande anzurechnen. –

Am Nachmittag des Sonntags, an dem der Hennevogel aus dem Hirschgrund im Neste erwischt worden war, kam eine Bettlerin in die Waldhütte.

Sie war aus dem benachbarten Württemberg und über den Schornwald hergekommen, um ins Kinzigtal hinabzusteigen, wo sie ihrem Gewerbe nachzugehen pflegte.

Oft schon hatte sie in der Hütte des Xaveri angekehrt und »um der Gotts Wille« Atzung bekommen.

Heute, weil ein so wüster Nebel über Berg und Tal lag, kochte ihr die noch immer schwer atmende Franziska eine Schüssel voll warmer Milch und setzte sich zu ihr.

Die Meidle waren drunten im »Tannengrund« bei einer alten Base zu Besuch.

Ihre Mutter, im Geiste noch immer mit dem Burschen beschäftigt, der diesen Morgen in den Wald gesprungen, fragte die Bettlerin, ob sie auch drunten im Heuwich und im Hirschgrund bekannt wäre.

»Jo freile,« antwortete das Weib, »jedes Häusli, jedes Stegli und jedes Wegli kenn' i dort und jung und alt.«

»Gibt's im Hirschgrund,« fragte die Frenz weiter, »viele Burschen?«

»O nei, do geit's nur zwei Häusle und nur ein Burscht, des isch der Toni, den werdet ihr wohl kenne, er goht jo mit eurer Tochter; Afra heißt sie, glaub i.«

»Was, mit meiner Afra geht er? Was sagt ihr?« keuchte des Xaveris Weib.

»I weiß von nuits (nichts) anderem,« sprach ruhig das fremde Weib. »Am Peter- und Paulimärkt hoan i mit Lebkuache g'hausiert für de Lehbäck von Schilte, do hoan i beid' g'sehe beim Tanz im Engel und ouf'm Märkt!«

»Das ist mir das allerschönste, das allerneueste, was ihr mir do verzählet,« krächzte die Frenz. »Aber nit zehn Gulden nähm' i, wenn ihr mir nit die Neuigkeit gebracht hättet,«

»Aber ein rechter Burscht isch der Toni,« fuhr die Bettlerin fort, »schäffig, brav und lustig. Nur soll er gern wildern und Rehböck schießen.«

Sie trank nach diesen Worten den letzten Schluck ihrer Milch, steckte den Rest ihres Brotes in ihre Rocktasche und schied, nachdem sie ihrem Staunen Ausdruck gegeben, daß die Mutter nichts davon wisse, mit wem ihr Meidle gehe.

»Aber,« schloß die Bettlerin, »nehmet's eurem Meidle nit übel, daß es Bekanntschaft hot. Wir zwei sin ou jung gsei und hont Buabe gern g'sehe.«

»Schwätzet nit so dumm, sonst braucht ihr bei mir nimmer anzukehren,« schalt die Frenz ihr nach.

Kaum war sie im Wald verschwunden, dem Dorf zu, als von der andern Seite aus dem Tannengrund herauf das Oferle und die Mariev ihrem Heim zuschritten.

Daß die Bettlerin dem Oferle eine Hölle angezündet, davon hatten beide keine Ahnung. Und diese Hölle brannte schon lichterloh im Herzen der Mutter, ehe die Meidle des Vaters Hütte erreicht.

Die Frenz war ein kleines Weib mit starkem, blondem Haar, graublauen Augen und regelmäßigen Zügen. Aber zwei Dinge kennzeichneten sie für einen kundigen Beobachter als eine, mit der nicht gut Kirschen essen ist, wie das Sprichwort sagt.

Ihr Mund war lippenlos, und über dem dünnen Fleisch, welches die Lippen ersetzte, hatte sich ein Bärtchen gelagert, wie es in späteren Jahren manche Dame gerne heimsucht.

Frauen mit dünnen Lippen sind aber bekanntlich gemüt- und herzlos, und wenn über solchen Lippen gar noch männliche Bartspuren sich zeigen, so hat eine der Art ausstaffierte Evastochter, wie der Volksmund sagt, den Teufel im Leib.

Ein italienisches Sprichwort meint drum, eine bärtige Frau solle man mit Steinen grüßen, um sie sich vom Leib zu halten.

Von der Sorte also war die Mutter des Oferle, und das erklärt alles, was wir noch von ihr hören werden.

Daß sie nicht mit dem Küchenbesen die Meidle empfing, verdankten diese nur dem Umstand, daß sie denselben in der Aufregung nicht fand.

Wie ein Drache aber fiel sie über die Ankömmlinge her, vorab aber über das Oferle und dann über die Mariev als Hehlerin. Wie Schwertstreiche sausten die Drohungen und Beschimpfungen von der Mutter Mund auf die Kinder nieder.

Lug und Trug und jede Schlechtigkeit ward ihnen zugesprochen. Der gute Xaveri trat auf den Lärm hin aus der Stube in die Küche, wo der Spektakel sich abspielte, und hörte einige Zeit still zu. Dann nahm er seine Pfeife aus dem Mund und meinte, er und die Frenz hätten ja auch Bekanntschaft gehabt, ehe sie heirateten, die Mutter solle doch nit so unsinnig tun. Aber er beschwor mit dieser Beschwichtigung ein wahres Hagelwetter von Komplimenten auch auf sein Haupt herab.

»Auch noch einen Wildschütz!« rief sein Weib immer wieder. »Einen Menschen, den man in die Zuchthäuser führt! Wildschützen sind zudem noch Tagdiebe und Faulenzer. So einer kommt mir nit ins Haus, so lang ich lebe. Und wenn noch einmal eins zum Tanz geht mit dem Kerle, so darf es die Schwelle des Hauses nimmer betreten. Am Sonntag muß von jetzt an die Afra mit mir in die Kirche und darf nie mehr mit dem Vater daheim bleiben.«

»Für heute,« so schloß sie, »soll mir das gottlose Meidle aus den Augen. Marsch, hinauf in deine Kammer, wenn dir dein Rücken lieb ist!«

Das Meidle folgte – stumm und still. An seinem Bette saß das Oferle, bis es Nacht wurde, und weinte und besann sich vergeblich, wer der Mutter alles möchte verraten haben.

Draußen vor dem kleinen Kammerfensterchen nickten die Tannen im Abendwind und schauten mitleidsvoll herein auf das unglückliche Meidle, das heute zum erstenmal im Leben die Erfahrung machte, daß Lieben leiden heißt.

 


 << zurück weiter >>