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Man hätte annehmen sollen, daß Hoffmann gern die Gelegenheit benutzt hätte, einige Sommermonate bei Hippel zuzubringen. Aber es zog ihn nicht nach Leistenau, sondern zu dem Musikfreund Johannes Hampe nach Glogau. Mitte Juni reiste er nach Glogau ab, um bei Hampe den September abzuwarten. Sein ganzes Wesen war jetzt nur auf Musik gestellt. Die in den Briefen an Hippel erwähnten Chöre »La santa Virgine« wollten Gestalt werden, außerdem rumorten in seinem Innern neue Künstlerpläne. Wahrscheinlich ist seine erste bedeutende Dichtung aus Berliner Erinnerungen in Glogau bei Hampe niedergeschrieben worden, »Der Ritter Gluck«. Auch verspürte Hoffmann wohl das Bedürfnis, sich vor Antritt der wichtigen Stelle bei dem erfahrenen Musiker Rat für manches zu holen, was ihm in der musikalischen Praxis noch abgehen mochte.
Von Glogau aus holte Hoffmann dann seine Frau aus Posen ab. Am 1. September trafen Hoffmanns in Bamberg ein und bezogen das Haus des Schönfärbers Schneider »auf dem Zinkenwörth Nr. 56«, jetzt Nonnenbrücke 2. Das Theater war in dem Gasthaus »Zur Rose« untergebracht, das einer Witwe Cauer gehörte. Am 12. Oktober wurde der neu ausgemalte Theatersaal der »Rose« mit einem Festspiel eröffnet. Vier Tage darauf begann die eigentliche Saison mit einem Schauspiel. Am 21. Oktober dirigierte Hoffmann zum ersten- und letztenmal in Bamberg eine Oper. Sie fiel durch, und gleichzeitig mißfiel er den Bambergern als Dirigent so gründlich, daß ihm der Musikdirektorposten entzogen wurde. Wir wissen nicht genau, was an diesem Durchfall Hoffmanns Schuld trug. Vielleicht war er wirklich ungewöhnlich aufgeregt, vielleicht war es aber auch nur seine neue Art, vom Flügel aus zu dirigieren, die damals erst langsam aufkam und die die Bamberger und die Orchestermusiker befremdete. Jedenfalls dirigierte von da ab der Konzertmeister Dittmayer das Orchester weiter mit der Geige in der Hand. Mit Hoffmann machte der Theaterdirektor Cuno, an den Graf Soden das Theater verpachtet hatte, einen neuen Kontrakt. Hoffmann wurde lediglich als Komponist der Bühnenmusiken verpflichtet. Im übrigen mußte er sich seinen Unterhalt durch Stundengeben erwerben. Das Künstlerleben, von dem er geträumt hatte, begann also für ihn mit furchtbaren Enttäuschungen.
Bamberg, den 23. Dezember 1808.
... Ich fand alles anders, als ich erwartet hatte; Soden hatte das Theater einem gewissen Cuno abgetreten, und die Gesellschaft sowie die Theaterverhältnisse sind getreu im Wilhelm Meister geschildert (videatur der Name Malina usw.) daß mir das nicht behagen konnte, war natürlich, und um so weniger, als meine ganze Zeit aufgeopfert und das Ganze, mit Jarno zu reden, ein Spiel um taube Nüsse war.
Ich wurde dem hiesigen Publikum bald als Komponist und tüchtiger Singmeister bekannt, und so wurde es mir möglich, eine recht gemütliche, vom Theater fast ganz unabhängige Existenz zu begründen. Musikdirektor bin ich zwar geblieben, korrepitiere aber nicht mehr, und dirigiere nur höchst selten im Orchester, komponiere aber die Balette und Gelegenheitsstücke, wofür ich 30 fl. monatlich erhalte.
Nun fühle ich aber erst recht, wie durchaus nicht für mich die frühere Karriere war, und wie wohl mir das Künstlerleben tut, wozu die Wiedervereinigung mit meinem herrlichen Weibe nicht wenig beiträgt! – Und nun, mein teurer einziger Freund! kannst Du es irgend möglich machen, so reiße Dich los! – Komm in das herrliche südliche Deutschland, und Du wirst bald die Wunden, die der verderbliche Krieg auch Dir geschlagen hat, vergessen. Nur ein fixiertes Unterkommen bei irgendeiner fürstlichen Kapelle in hiesiger Gegend kann mich von Bamberg, wo es mir so wohl geht, entfernen! –
Hoffmann hatte in diesem Brief nicht durchaus die Wahrheit geschrieben. In Wirklichkeit war seine Lage nahezu trostlos. Der folgende Brief an Itzig, der inzwischen den Namen Hitzig angenommen hatte, schildert seine Lage weit treffender.
Bamberg, den 1. Januar 1809.
... Mein Eintreten in B. war von manchen höchst unangenehmen Ereignissen begleitet, das unangenehmste aber war, daß ich die Verhältnisse bei dem Theater ganz anders fand als ich es nach den Briefen des Gr. v. Soden erwarten konnte. – Soden hatte nicht allein die Regie, sondern die ganze Entreprise einem gewissen Heinrich Cuno abgetreten und sich nach Würzburg zurückgezogen. Dieser H. C. ist ein unwissender eingebildeter Windbeutel, der bei der Organisation des Theaters so übereilt zu Werke ging, daß in diesem Augenblick das Ganze seiner Auflösung nahe ist, indem das Publikum nun nicht mehr dem abscheulichen Unfug, der hier auf dem Theater getrieben wird, ruhig zusehen will. Wie schlecht ich mit meinem Enthusiasmus für die wahre Kunst und mit meinen Vorschlägen und Plänen, das Ganze nur zu irgendeinem Grad von Vollkommenheit zu erheben angekommen bin, können Sie sich bei jenen Umständen wohl denken; dies hat denn auch zur Folge gehabt, daß ich bereits seit zwei Monaten mein Musikdirektorat gänzlich aufgegeben und mich nur dazu verstanden habe, die etwa vorkommenden Gelegenheitsstücke, z.B. Märsche und Chöre in Schauspielen und dgl. zu komponieren, wofür ich monatlich 30 fl. erhalten soll aber nicht erhalte, weil die Theaterkasse bei der grenzenlosen Unordnung des Direktors fortwährend in den erbärmlichsten Umständen ist. Um so unangenehmer sind mir jene Theaterverhältnisse, als es hier ein Publikum gibt, wie es sich nur ein Schauspieldirektor, der wahre Ausbildung mit Geschmack und Talent verbindet, wünschen kann. Z. B. die lustigen Musikanten gut gegeben, würden hier recht sehr gefallen, doch davon nachher ein mehreres! – Das war das Schlechte – nun zu angenehmeren Dingen. – Ich stand, da Soden in Würzburg ist und der einzige, an dem ich sonst empfohlen war, der Pr. Graf v. Seckendorf, sich gar nicht um mich bekümmert hat, ganz allein hier; indessen ein glücklicher Zufall wollte es, daß ich schon im zweiten Monate dem besten Teil des Publikums bekannt wurde. An der Spitze dieses Publikums steht der Generalkommissar Freiherr v. Stengel, ein äußerst humaner und in der Kunst ganz ausgebildeter Mann; Sie können denken, wie ich erstaunte, als er bei der ersten Visite, die ich ihm machte, so tief in die Theorie der Musik hineingeriet, daß ich glaubte mit einem tüchtigen Kapellmeister zu sprechen; nun gelang es mir bald meine musikalischen Kenntnisse geltend zu machen und ich erhielt in den ersten Häusern als Singemeister Zutritt, so daß meine Existenz wenigstens gesichert ist, indem ich überall gut und prompt bezahlt werde. – Recht erfreulich ist es mir gewesen, hier in Deutschland so viel Empfänglichkeit für das wahre Schöne zu finden. Überall wo ich hinkomme, ist Tiek ein gefeierter Name, auch unser Freund Werner hat hier sein Publikum; im Gräflich Rothenhanschen Hause wo ich fünf! Komtessen im Gesange unterrichte, habe ich (mit welchen sonderbaren Empfindungen können Sie sich denken) den Attila gesehen, und als ich meiner Verhältnisse mit Werner erwähnte, mußte ich erzählen, was ich nur wußte aus seinem frühern Leben und von dem Gange, den seine Ausbildung genommen hat. Den andern Tag rollte ich sein Crayonbild auseinander und sagte: so sieht er aus. Das Bild wurde gleich in Beschlag genommen und eben jetzt kopiert es Gräfin Gabriele, ein recht liebenswürdiges sechzehnjähriges Mädchen. – Hört das Theater nun hier ganz auf, so erwerbe ich doch durch Unterricht und Komponieren mein notdürftiges Brot und werde das schöne Bamberg nicht verlassen, bis ich etwa ein fixiertes Unterkommen bei einer fürstlichen oder königlichen Kapelle finde, wozu sich vielleicht nach den Versicherungen meiner hiesigen Gönner eine Aussicht öffnen könnte. Unter andern (lachen Sie mich tüchtig aus, liebster Freund!) habe ich auch fürs hiesige Theater Verse gemacht. Es hatte mit ihnen folgende Bewandtnis. Die Tochter des hier residierenden Herzogs von Bayern, Prinzessin von Neufchatel, deren Gemahl (Marschall Berthier) bekanntlich in Spanien ist, ist hier. Herr Cuno beschloß ihren Namenstag im Theater zu feiern und übertrug mir die Ausarbeitung eines Prologs. Ich warf so ein recht gemein sentimentales Ding zusammen, komponierte ebensolche empfindsame Musik dazu – es wurde gegeben – Lichter – Hörner – Echos – Berge – Flüsse – Brücken – Bäume – eingeschnittene Namen – Blumen – Kränze nicht gespart, es gefiel ungemein und ich erhielt mit sehr gnädigen Ausdrücken von der Prinzessin-Mutter für die verschaffte Rührung 30 Karolin, die gerade hinreichten mich hier so ziemlich auf reinen Fuß zu setzen. – Bei einer gewissen Stelle im Prolog »Ich ging – ich flog – ich stürzt' in ihre Arme!« (ein ungemein schöner Klimax) umarmten sich in der herzoglichen Loge weinend Mutter und Tochter, wobei das Publikum ziemlich ironisch klatschte; nun hatte der Prolog auch dem Publikum gefallen und wurde für den andern Tag begehrt; die herzoglichen Personen erschienen in der Loge und umarmten sich richtig wieder bei jener Stelle, worüber das Publikum viel in die Hände klatschend seine Zufriedenheit äußerte. Mir schien es als ob dadurch sich das Ganze, Theater und Publikum, auf eine höchst vortreffliche Weise zu einer Aktion verband und so das fatale Verhältnis zwischen darstellen und zusehen ganz aufgehoben wurde; mir lachte das Herz im Leibe und ich hatte noch nicht einmal meine 30 Karolin sondern nur etwelche gnädige Blicke ins Orchester hinab erhalten. – Nun bin ich auch auf eine gewisse Weise bei dem Hofe introduziert, singe im Hofkonzert und werde die Gemahlin des Herzogs Pius, sobald sie den Katarrh verloren hat, welches wie der Hofmarschall versichert, sich Mitte März zu ereignen pflegt, wo Sie (die Durchlaucht) auf der Terrasse etwas weniges Sonnenschein gnädigst einzunehmen pflegen, im Gesange unterrichten. –
Bamberg, den 12. Januar 1809
... Ich wage es einen kleinen Aufsatz, dem eine wirkliche Begebenheit in Berlin zum Grunde liegt, mit der Anfrage beizulegen, ob er wohl in die Musikalische Zeitung aufgenommen werden könnte? – Ähnliche Sachen habe ich ehemals in obenerwähnter Zeitung wirklich gefunden, z. B. die höchst interessanten Nachrichten von einem Wahnsinnigen, der auf eine wunderbare Art auf dem Klavier zu fantasieren pflegte. – Vielleicht könnte ich mit der Redaktion der Musikalischen Zeitung in nähere Verbindung treten und zuweilen Aufsätze und auch Rezensionen kleinerer Werke einliefern. Ew. Wohlgeboren würden mich ganz außerordentlich verbinden, wenn Sie die Güte hätten Sich dafür zu interessieren und mich mit den Bedingungen unter denen es geschehen könnte, bekanntmachten. – Die Tendenz des beigelegten Aufsatzes werden Ew. Wohlgeboren gewiß nicht verkennen ...
25. Januar 1809: Einen sehr angenehmen Brief von Rochlitz aus Leipzig. Er nimmt den »Ritter Gluck« zum Einrücken, und mich zum Mitarbeiter an der Musikalischen Zeitung an. Abends bei dem Landesdirekt.-Rat Fuchs zum Tee. Als wir um 9½ nach Hause wollten, hatte die Rednitz die ganze Gegend bis zur Jüdenstraße überschwemmt, so daß wir nicht nach Hause konnten, wir gingen zu Madame Cuno, die uns aufnahm – Not bricht Eisen. – Meine Frau sehr erschrocken, ich aber nicht.
13. Februar. An der Fuge gearbeitet – die Theatergeschichte kommt zum Ausbruch – Cuno erklärt sich nicht länger halten zu können. Die Gesellschaft soll reduziert werden und von den Gagen 25 % Abzug – Wie wird das enden!! – Abends auf dem Ball im Kasino.
Bamberg, den 26. Februar 1809.
... Gleich den ersten Tag, als ich hergekommen war, merkte ich es dem Herrn Unternehmer Heinrich Cuno an, daß sein hoher Grad Windbeutelei und Unkenntnis die ganze Sache scheitern machen würde, und so ist es denn auch gekommen; er hat in wenigen Monaten bankerott gemacht und nach sechs Wochen hört das hiesige Theater auf. Das Orchester ist erbärmlich, die Fagotts Kämme, die Hörner Brummeisen und die Violinen Pappendeckel, dabei besitzen die Herren Kapellisten des vorigen Bischofs, dem die Musik allemal Leibschneiden verursachte, einen Dünkel ohne Grenzen und sind nie vergnügter als wenn sie eine Sache umgeworfen haben. Ich habe daher schon seit langer Zeit der Direktion des Orchesters entsagt, bloß die Komposition fürs Theater besorgt und mit einer Gage von 30 fl. vorliebgenommen. Auf diese Weise hatte ich die Zeit nebenher zu komponieren und im Gesange Unterricht zu erteilen, welches mein Auskommen, auch wenn das Theater aufhört und ich kein anderes Engagement finde, begründet, denn es lebt sich hier ganz angenehm und spottwohlfeil. In diesem Augenblick etabliere ich unter höherm Schutz eine Singakademie, welche allein mir so viel einbringen soll, daß ich zur Not leben kann. Sie mit Ihrer Violine würden hier als ein Phönix und rara avis bewundert werden, denn der erste und einzige Violinspieler hier, Herr Konzertmeister Dittmayer, spielt wenigstens zwölfmal schlechter als Sie. Die Hoffnung, daß Sie wieder neben meinem Flügel stehen und losstreichen sollen, gebe ich noch gar nicht auf, und vielleicht kann eine Reorganisation des Theaters und Orchesters Sie noch mit Vorteil nach dem schönen wohlfeilen Bamberg bringen.
Es schlägt ½6 Uhr – ich muß ins Theater, um in der Zauberflöte das Glockenspiel zu handhaben ...
Bamberg, den 26. Februar 1809.
Ew. Wohlgeboren werde ich schon durch den Herrn Hofrat Rochlitz bekanntgeworden sein, ich darf daher keinen Anstand nehmen, mich in einer Angelegenheit an Sie zu wenden, die vielleicht in ihrer Ausführung Ihnen nicht ganz (un)angenehm sein dürfte. – Es fehlt hier in Bamberg gänzlich an einem Musiklager und meine Scolaren (ich gebe Unterricht im Gesange und Klavier) sind in beständiger Verlegenheit, neue Sachen zu erhalten: ich bin daher gesonnen selbst einige Sachen, die hier gerade gesucht werden, in Kommission zu nehmen und frage Sie, ob Sie wohl geneigt wären, mir einige Sachen aus Ihrem Verlage in Kommission zu geben? – Zu diesem Behufe würde ich mir die gütige Zuwendung Ihres Verlagskatalogs erbitten und zugleich würden Sie gütigst bestimmen
Ew. Wohlgeboren würden an mir, wie ich als ein gewissenhafter ehrlicher Mann versichern kann, einen fleißigen, ordentlichen Korrespondenten jederzeit haben ...
13. März 1809: Im Konzert – Den »Ritter Gluck« gedruckt gelesen! – es ist sonderbar, daß sich die Sachen gedruckt anders ausnehmen als geschrieben.
14. März: Brief von Hampe und von Breitkopf und Härtel – Sie gehn die Verbindung ein – Hampe rühmt ganz ungemein die Ouvertüre der »lustigen Musikanten«.
Bamberg, den 5. April 1809.
... Es ist ganz richtig, daß es nicht der Mühe verlohnen würde, hier ein großes Kommissionslager zu etablieren, und Ew. Wohlgeboren Vorschlag, mir nur dasjenige zu senden, was ich des sicheren Debuts wegen verlange, ist meiner Meinung nach angemessen. In diesem Augenblick ist auch die unruhige kriegerische Zeit meinen Unternehmungen sehr entgegen, mehrere meiner Scolaren haben sich aufs Land zurückgezogen und dies erschwert mir den Debut der Musik, indessen hoffe ich doch die jetzige Sendung bald zu verkaufen und werde das Geld Herrn Göbhardt auszahlen, Quittung aber Ew. Wohlgeboren übersenden ...
1. Mai 1809: Neue angenehme Wohnung bezogen mit herrlicher Aussicht in Berg und Tal. Auch ein Poetenstübchen dabei!! –
Bamberg, Zinkenwörth Nr. 50.
Im Hause des Trompeters Warmuth. Den 25. Mai 1809.
... Der leidige Krieg hat mir aufs neue viel Schaden getan und einen großen Teil meiner Pläne und Hoffnungen zerstört. Als noch Franzosen und Österreicher hier herum standen, geriet alles in Furcht und Schrecken, so daß mehrere der ersten hiesigen Familien mit dem herzoglichen Hause den Ort verließen und noch nicht zurückgekehrt sind. So ist nicht allein mein Singe-Institut nicht zustandegekommen, sondern ich habe auch mehrere meiner Scolaren verloren; nehmen Sie noch dazu, daß mein Theatergehalt ausblieb, so können Sie denken, wie es mir schwer wurde mich durchzufristen, indessen – es muß gehen und geht auch, da ich nun und nimmermehr: Relatio ex Actis usw. schreiben darf und so die eigentliche Quelle alles Übels versiegt ist. Jetzt ist hier alles ruhig, wir leben wie im tiefsten Frieden, und dies läßt mich auch die Verbesserung meiner Lage hoffen, wozu nicht viel gehört, da man wirklich hier so wohlfeil lebt, als ich es mir nicht gedacht hatte. Überhaupt bin ich mit dem Orte meines Aufenthaltes sehr zufrieden, da er sich ganz dazu eignet ein ruhiges Künstlerleben zu führen, welches mir meine gänzliche Entfernung von dem Theater jetzt verstattet und wozu mir die Eröffnung einer gewissen literarisch künstlerischen Laufbahn eine nicht unangenehme Aussicht darbietet. – Über beides einige Worte! – Was zuerst das Theater anbetrifft, so ist es dabei dem Zeitgeiste getreu ganz revolutionär zugegangen und mit einer Schnelle sondergleichen hat es die verschiedensten Perioden durchlaufen. – Schon im Februar erklärte Hr. Cuno mit einem Male der ganzen Gesellschaft, daß er insolvent sei und das Theater aufgeben müsse; den Regisseur des Schauspiels Herrn Opel an der Spitze movierte sich die Gesellschaft gegen dies Verfahren und es kam zu gerichtlichen Verhandlungen, die den sauberen Hrn. Direktor nötigten die Vorstellungen fortzusetzen und die Administratur der Kasse einem aus der Gesellschaft gewählten Komitee zu überlassen – Daß hierbei auch nicht viel Gescheutes herauskam, können Sie sich denken, das Ganze kam wieder seiner völligen Auflösung ganz nahe, und nun traten die drei Hauptgläubiger des Hrn. C. auf und sprachen also: Wir müssen, koste was es wolle, Hrn. C. und sein Theater erhalten, denn nur auf diese Weise können wir noch zu unsern Gelde kommen, wir übernehmen daher die Direktion und garantieren die Gagen den Sommer über mit 30 p. C. Abzug. Die armen Schauspieler und Ihr Freund, der Mus. Dir. in dieser glücklichen Zeit, wo die großen Opern mit obligaten Kanonen alles übertäuben, sagten ja und das Ding ging aufs neue los. Die neuen Direktoren zeigten sich indessen bald dem ganz getreu was sie sind – knauserten und knickten, machten tolle Streiche, wurden grob, so daß, wer noch auf eine andre Art ein Stück Brot verdienen konnte, das Theater ganz verließ, wie ich es denn auch tat, so daß mein Kontrakt, in dem glücklicherweise sechswöchentliche Aufkündigung bedungen war, vorigen Montag sein Ende erreicht hat und ich nichts weiter von meiner Carr. übrig behalte als den Titel Mus. Dir., den ich für künftige Fälle konservieren will. Die neue Direktion besteht aus einem Zuckerbäcker, einem Liqueursieder und einem jüdischen Seidenhändler!! und damit Sie einen Begriff von dem Geiste des neu organisierten Theaters bekommen, lege ich Ihnen ein Stück Komödienzettel bei mit der Szenerie der Teufelsmühle.– Was nun meine artistisch-literarische Laufbahn betrifft, so ist darin ein nicht unbedeutender Schritt dadurch geschehen, daß ich von der Redaktion der Musik. Zeitung in Leipzig als Mit-Arbeiter feierlich auf und angenommen worden bin, welches übrigens natürlicherweise ganz unter uns bleibt. Sie können meinen Debut in Nr. 20 (ni fallor) Februar sub titulo Ritter Gluck lesen; ein Aufsatz der Ihnen in mancher Beziehung merkwürdig sein wird, dem Sie es aber auch anmerken werden, daß R. hin und wieder nach seiner Art gefeilt hat, welches ich geschehen lassen mußte, unerachtet es mir nicht lieb war. Das übrige von mir sind Rezensionen praktischer Werke die Sie nicht interessieren, finden Sie aber künftig zufällig einen Aufsatz über Operntexte, so würdigen Sie ihn Ihrer Aufmerksamkeit. Was meine praktische Arbeiten betrifft, d. h. Kompositionen, so soll das Wesen jetzt erst recht angehen, denn bis dahin habe ich fürs Theater nicht komponieren sondern Musikschmieren müssen, z.B. Alleg. Ballette pp., welches mir Zeit und Laune geraubt hat. –
Daß Ihre Geschäfte, mein teuerster Freund! so gut von statten gehen, daß Sie Ihren Grundsätzen getreu blieben und sich um das bessere in der schönen Literatur so hochverdient machen, das freut mich recht innig. Ihren Katalog habe ich abschriftsweise verteilt und glaube dadurch manche Nachfrage bei Göbhardt veranlaßt zu haben. Wie schmerzhaft ist es mir, zur Zeit nichts auf die Reorganisation meiner kleinen Bibliothek wenden zu können, indessen den Gozzi muß ich haben; vielleicht bekommt ihn Göbhardt, wo nicht, so könnte ich ihn vielleicht von Ihnen zugeschickt erhalten und das Geld dafür an Göbh. zahlen; schreiben Sie mir darüber das nötige. Den zweiten Teil des spanischen Theaters habe ich hier schon gesehen und durchblättert. – Nach dem ersten Blick interessiert mich die Brücke von Mantible ganz vorzüglich. –
Werner hat, wie ich in den öffentlichen Blättern gelesen habe, eine Pension von 1000 rth. vom Fürsten Primas (Dalberg) erhalten – nun ist ja seine Existenz für immer gesichert, und sein Genius könnte sich frei erheben, ob er aber jemals mehr werden wird als er ist, daran zweifle ich! – Sein kleinliches Verfahren gegen Sie, dem er doch sein Aufkommen recht eigentlich zu verdanken hat, hat mich recht sehr indigniert, wie er sich gegen mich benahm, mag ich gar nicht rügen. – Winzers Schicksal hat mich erschreckt, mich aber auch über die sonderbare Verstimmung, die ich immer an ihm bemerkte, aufgeklärt. –
Man debutiert hier seit einiger Zeit über den Zustand von Berlin und die dortigen Ereignisse seit dem romanesken Schillschen Ausmarsch die seltsamsten Gerüchte, so daß ich die innere Sicherheit für gefährdet glauben muß, können Sie mir darüber etwas Näheres schreiben, so tun Sie es, denn leicht können Sie glauben, wie sehr mich die neueren Tatsachen und Vorgänge in B. interessieren. –
Tun Sie mir die Freundschaft beiliegende kleine Anzeige (über das Singeinstitut), die für die gute Wirkung hier am Orte sehr berechnet ist, so schnell als möglich in die eleg. Zeitung oder ins Morgenblatt rücken zu lassen, bei Ihren Verbindungen kann es Ihnen nicht schwer fallen meine dringende Bitte darum zu erfüllen ...
Mit dem Kampf ums tägliche Brot war das Jahr 1809 ausgefüllt. Der Krieg zwischen Österreich und Frankreich gefährdete immer wieder Hoffmanns Lage. Österreichische und französische Truppen durchzogen die Stadt. Die vornehmsten Familien blieben fort oder kamen erst allmählich zurück. Aus dem geplanten »Singe-Institut« wurde nichts. Ebensowenig schlug der in Verbindung mit Breitkopf & Härtel begonnene Notenhandel ein. Aber die Mitarbeit für die Leipziger Musikalische Zeitung trug schönste Früchte, besonders seit Hoffmann die Werke Beethovens in dieser wichtigsten deutschen Musikzeitschrift anzuzeigen hatte. Bekanntlich wurde Hoffmann mit diesen Arbeiten zum ersten Vorkämpfer des größten musikalischen Genius der Zeit und zum Begründer der Musikkritik im modernen Sinne.
Das eigentliche Schicksalsjahr aber sollte für ihn 1810 werden. In dieser Zeit begann seine Leidenschaft zu Julia Mark, einer vierzehnjährigen Gesangsschülerin. Julia bedeutet für Hoffmann das größte innere Erlebnis, das ihn in den nächsten Jahren vom Musikschriftsteller zum unsterblichen Dichter entwickeln sollte. Fast sein ganzes späteres, dichterisches Werk baut sich auf diesem Julia-Erlebnis auf, von den ersten Aufsätzen der »Kreisleriana« bis zum »Kater Murr«.
Leider wissen wir von den Vorgängen des Jahres 1810 sehr wenig, da aus dieser Zeit nur der Briefwechsel mit Härtel erhalten und ein Tagebuch wohl überhaupt nicht geführt ist. Als das Tagebuch mit dem 1. Januar 1811 wieder einsetzt, sind bereits alle Personen dieser seltsamen Julia-Tragödie auf den Schauplatz getreten: Julias Mutter, die Witwe des Konsuls Mark, die das schöngeistige Haus in Bamberg führt. Der Medizinaldirektor Marcus, Leiter des Irrenhauses St. Getreu bei Bamberg, einer der hervorragendsten Psychiater seiner Zeit, überdies naher Verwandter des Markschen Hauses. Der Arzt Dr. Speier, ein Vetter Julias und Hoffmanns vertrauter Freund. Die wichtigste Figur dieser Jahre: Der merkwürdige Weinhändler und spätere Verleger Hoffmanns, Kunz, sein nicht immer ganz zweifelfreier Mäzen, damals bereits Besitzer einer großen Leihbibliothek.
Auch die Theaterverhältnisse hatten sich von Grund auf verändert. Im Frühjahr 1810 legte Graf Soden das Theaterprivileg in die Hände der Frau Cauer, Besitzerin der »Rose«, zurück. Im April absolvierte Hoffmanns alter Freund aus seiner Berliner Zeit, der einstige Gitarrenvirtuose und Schauspieler, jetzt Schauspieldirektor Franz v. Holbein, ein Gastspiel mit seiner Truppe. Ihm wurde das Theater für die nächsten Jahre übertragen. Holbein schuf in Bamberg, von Hoffmann nennenswert unterstützt, geradezu eine Musterbühne, deren Aufführungen Calderonscher und Kleistscher wie Shakespearescher Dramen vorbildlich wurden.
Holbein hatte in der Glogauer Zeit die Gräfin Lichtenau kennengelernt und war von ihr, der alten Mätresse Friedrich Wilhelms II., geehelicht worden. Er trennte sich bald von dieser Frau und lebte in freier Liebe mit Madame Renner, der besten Schauspielerin seines Ensembles, zusammen. Holbein und die Renner wurden somit ebenfalls zu ständigen Figuren von Hoffmanns Bamberger Leben. Es scheint sogar, daß der gewandte Mime der kleinen Julia Mark zuzeiten ein wenig den Kopf verdreht hat.
Die folgende Schilderung von Hoffmanns »Musikalischen Leiden«, die sich der vom Schicksal Gehetzte als »Johannes Kreislers, des Kapellmeisters, musikalische Leiden« von der Seele schrieb, stammt bereits aus dem Sommer 1810. Zum erstenmal tritt hier in dem Kapellmeister Kreisler jene Gestalt auf, die Hoffmanns zweites Ich darstellt. Auch hier wirft bereits die beginnende Liebe zu Julia ihren ersten Schatten auf Kreislers Gestalt, wie sie überhaupt mit dem Julia-Erlebnis verbunden blieb. Kreisler, der des geliebten Musikfreundes Hampe Vornamen Johannes erhielt, ist ja nicht nur der Held der unter dem Namen »Kreisleriana« zusammengefaßten Aufsätze, sondern auch des späteren Romans »Kater Murr«, in dem das Kreisler-Julia-Schicksal seinen künstlerischen Ausdruck finden sollte.
Sie sind alle fortgegangen. – Ich hätt' es an dem Zischeln, Scharren, Räuspern, Brummen durch alle Tonarten bemerken können; es war ein wahres Bienennest, das vom Stocke abzieht, um zu schwärmen. Gottlieb hat mir neue Lichter aufgesteckt und eine Flasche Burgunder auf das Fortepiano hingestellt. Spielen kann ich nicht mehr, denn ich bin ganz ermattet; daran ist mein alter herrlicher Freund hier auf dem Notenpulte schuld, der mich schon wieder einmal wie Mephistopheles den Faust auf seinem Mantel durch die Lüfte getragen hat, und so hoch, daß ich die Menschlein unter mir nicht sah und merkte, unerachtet sie tollen Lärm genug gemacht haben mögen. – Ein hundsföttischer, nichtswürdig vergeudeter Abend! Aber jetzt ist mir wohl und leicht. – Hab' ich doch gar während des Spielens meinen Bleistift hervorgezogen und Seite 63 unter dem letzten System ein paar gute Ausweichungen in Ziffern notiert mit der rechten Hand, während die Linke im Strome der Töne fortarbeitete! Hinten auf der leeren Seite fahr' ich schreibend fort. Ich verlasse Ziffern und Töne mit wahrer Lust, wie der genesene Kranke, der nun nicht aufhören kann zu erzählen, was er gelitten, notiere ich hier umständlich die höllischen Qualen des heutigen Tees. Aber nicht für mich allein sondern für alle, die sich hier zuweilen an meinem Exemplar der Johann Sebastian Bachschen Variationen für das Klavier, erschienen bei Nägeli in Zürich, ergötzen und erbauen, bei dem Schluß der dreißigsten Variation meine Ziffern finden und, geleitet von dem großen lateinischen Verte (ich schreib es gleich hin, wenn meine Klageschrift zu Ende ist), das Blatt umwenden und lesen. Diese erraten gleich den wahren Zusammenhang; sie wissen, daß der Geheime Rat Röderlein hier ein ganz scharmantes Haus macht und zwei Töchter hat, von denen die ganze elegante Welt mit Enthusiasmus behauptet, sie tanzten wie die Göttinnen, sprächen französisch wie die Engel und spielten und zeichneten und sängen wie die Musen. Der Geheime Rat Röderlein ist ein reicher Mann; er führt bei seinen vierteljährigen Dinés die schönsten Weine, die feinsten Speisen, alles ist auf den elegantesten Fuß eingerichtet, und wer sich bei seinen Tees nicht himmlisch amüsiert, hat keinen Ton, keinen Geist und vornehmlich keinen Sinn für die Kunst. Auf diese ist es nämlich auch abgesehen; neben dem Tee, Punsch, Wein, Gefrorenen usw. wird auch immer etwas Musik präsentiert, die von der schönen Welt ganz gemütlich so wie jenes eingenommen wird. Die Einrichtung ist so: nachdem jeder Gast Zeit genug gehabt hat, eine beliebige Zahl Tassen Tee zu trinken, und nachdem zweimal Punsch und Gefrorenes herumgegeben worden ist, rücken die Bedienten die Spieltische heran für den älteren, solideren Teil der Gesellschaft, der dem musikalischen das Spiel mit Karten vorzieht, welches auch in der Tat nicht solchen unnützen Lärm macht und wo nur einiges Geld erklingt. – Auf dies Zeichen schießt der jüngere Teil der Gesellschaft auf die Fräuleins Röderlein zu; es entsteht ein Tumult, in dem man die Worte unterscheidet: Schönes Fräulein, versagen Sie uns nicht den Genuß Ihres himmlischen Talents – o singe etwas, meine Gute –. Nicht möglich – Katarrh – der letzte Ball – nichts eingeübt. – O bitte, bitte – wir flehen usw. Gottlieb hat unterdessen den Flügel geöffnet und das Pult mit dem wohlbekannten Notenbuche beschwert. Vom Spieltisch herüber ruft die gnädige Mama: » Chantez donc, mes enfants!« Das ist das Stichwort meiner Rolle; ich stelle mich an den Flügel, und im Triumph werden die Röberlein an das Instrument geführt. Nun entsteht wieder eine Differenz: keine will zuerst singen. »Du weißt, liebe Nanette, wie entsetzlich heiser ich bin.« – »Bin ich es denn weniger, liebe Marie?« – »Ich singe so schlecht.« – »O Liebe, fange nur an usw.« Mein Einfall (ich habe ihn jedesmal!), beide möchten mit einem Duo anfangen, wird gewaltig beklatscht, das Buch durchblättert, das sorgfältig eingeschlagene Blatt endlich gefunden, und nun geht's los: Dolce dell' anima usw. – Das Talent der Fräulein Röderlein ist wirklich nicht das geringste. Ich bin nun fünf Jahre hier und viertehalb Jahr im Röderleinschen Hause Lehrer; für diese kurze Zeit hat es Fräulein Nanette dahin gebracht, daß sie eine Melodie, die sie nur zehnmal im Theater gehört und dann höchstens noch zehnmal am Klavier durchprobiert hat, so wegsingt, daß man gleich weiß, was es sein soll. Fräulein Marie faßt es schon beim achtenmal, und wenn sie öfters einen Viertelston tiefer steht, als das Piano, so ist das bei solch niedlichem Gesichtlein und den ganz leidlichen Rosenlippen am Ende wohl zu ertragen. – Nach dem Duett allgemeiner Beifallschorus. Nun wechseln Arietten und Duettinos, und ich hämmere das tausendmal geleierte Accompagnement frisch darauf los. Während des Gesanges hat die Finanzrätin Eberstein durch Räuspern und leises Mitsingen zu verstehen gegeben: ich singe auch. Fräulein Nanette spricht: »Aber liebe Finanzrätin, nun mußt Du uns auch Deine göttliche Stimme hören lassen.« Es entsteht ein neuer Tumult. Sie hat den Katarrh – sie kann nichts auswendig! – Gottlieb bringt zwei Arme voll Musikalien herangeschleppt: da wird geblättert und geblättert. Erst will sie singen: der Hölle Rache usw., dann: Hebe, sieh usw., dann: Ach ich liebte usw. In der Angst schlage ich vor: Ein Veilchen auf der Wiese usw. Aber sie ist fürs große Genre, sie will sich zeigen, es bleibt bei der Konstanze. – O schreie du, quieke, miaue, gurgle, stöhne, ächze, tremuliere, quinkeliere nur recht munter: ich habe den Fortissimo-Zug getreten und orgle mich taub. – O Satan, Satan! welcher deiner höllischen Geister ist in diese Kehle gefahren, der alle Töne zwickt und zwängt und zerrt. Vier Saiten sind schon gesprungen, ein Hammer ist invalid. Meine Ohren gellen, mein Kopf dröhnt, meine Nerven zittern. Sind denn alle unreine Töne kreischender Marktweiber-Trompeten in diesen kleinen Hals gebannt? – Das hat mich angegriffen – ich trinke ein Glas Burgunder! – Man applaudierte unbändig, und jemand bemerkte, die Finanzrätin und Mozart hätten mich sehr ins Feuer gesetzt. Ich lächle mit niedergeschlagenen Augen, recht dumm, wie ich wohl merke. Nun erst regen sich alle Talente, bisher im Verborgenen blühend, und fahren wild durcheinander. Es werden musikalische Exzesse beschlossen: Ensembles, Finalen, Chöre sollen aufgeführt werden. Der Kanonikus Kratzer singt bekanntlich einen himmlischen Baß, wie der Tituskopf dort bemerkt, der selbst bescheiden anführt, er sei eigentlich nur ein zweiter Tenor, aber freilich Mitglied mehrerer Singe-Akademien. Schnell wird alles zum ersten Chor aus dem Titus organisiert. Das ging ganz herrlich! Der Kanonikus, dicht hinter mir stehend, donnerte über meinem Haupte den Baß, als säng' er mit obligaten Trompeten und Pauken in der Domkirche; er traf die Noten herrlich, nur das Tempo nahm er in der Eil' fast noch einmal so langsam. Aber treu blieb er sich wenigstens insofern, daß er durch's ganze Stück immer einen halben Takt nachschleppte. Die übrigen äußerten einen entschiedenen Hang zur antiken griechischen Musik, die bekanntlich die Harmonie nicht kennend, im Unisono ging; sie sangen alle die Oberstimme mit kleinen Variationen mit zufälligen Erhöhungen und Erniedrigungen, etwa um einen Viertelton. – Diese etwas geräuschvolle Produktion erregte eine allgemeine tragische Spannung, nämlich einiges Entsetzen, sogar an den Spieltischen, die für den Moment nicht so wie zuvor melodramatisch wirken konnten durch in die Musik eingeflochtene deklamatorische Sätze: z. B. Ach ich liebte – achtundvierzig – war so glücklich – ich passe – kannte nicht – Whist – der Liebe Schmerz – in der Farbe usw. – Es nahm sich recht artig aus. – (Ich schenke mir ein.) Das war die höchste Spitze der heutigen musikalischen Exposition: nun ist's aus! So dacht' ich, schlug da« Buch zu und stand auf. Da tritt der Baron, mein antiker Tenorist, auf mich zu und sagt: »O bester Hr. Kapellmeister, Sie sollen ganz himmlisch fantasieren; o fantasieren Sie uns doch Eins! nur ein wenig! ich bitte!« Ich versetzte ganz trocken, die Fantasie sei mir heute rein ausgegangen; und indem wir so darüber sprechen, hat ein Teufel in der Gestalt eines Elegants mit zwei Westen im Nebenzimmer unter meinem Hut die Bachschen Variationen ausgewittert; der denkt, es sind so Variatiönchen: nel cor mi non più sento – Ah vous dirai-je, mamam usw. und will haben, ich soll darauf losspielen. Ich weigere mich: da fallen sie alle über mich her. Nun so hört zu und berstet vor Langeweile, denk ich und arbeite drauf los. Bei Nr. 3 entfernen sich mehrere Damen, verfolgt von Titusköpfen. Die Röderleins, weil der Lehrer spielte, hielten nicht ohne Qual aus bis Nr. 12. Nr. 15 schlug den Zweiwesten-Mann in die Flucht. Aus ganz übertriebener Höflichkeit blieb der Baron bis Nr. 30 und trank bloß viel Punsch aus, den Gottlieb für mich auf den Flügel stellte. Ich hätte glücklich geendet, aber diese Nr. 30, das Thema, riß mich unaufhaltsam fort. Die Quartblätter dehnten sich plötzlich aus zu einem Riesenfolio, wo tausend Janitationen und Ausführungen jenes Themas geschrieben standen, die ich abspielen mußte. Die Noten wurden lebendig und flimmerten und hüpften um mich her – elektrisches Feuer fuhr durch die Fingerspitzen in die Tasten – der Geist, von dem es ausströmte, überflügelte die Gedanken – der ganze Saal hing voll dichten Duftes, in dem die Kerzen düstrer und düstrer brannten – zuweilen sah eine Nase heraus, zuweilen ein Paar Augen: aber sie verschwanden gleich wieder. So kam es, daß ich allein sitzen blieb mit meinem Sebastian Bach und von Gottlieb, wie von einem spiritu familiari bedient wurde! – Ich trinke! – Soll man denn ehrliche Musiker so quälen mit Musik, wie ich heute gequält worden bin und so oft gequält werde? Wahrhaftig, mit keiner Kunst wird soviel verdammter Mißbrauch getrieben, als mit der herrlichen, heiligen Musika, die in ihrem Wesen so leicht entweiht wird! Habt ihr wahres Talent, wahren Kunstsinn: gut, so lernt Musik, leistet was der Kunst Würdiges und gebt dem Geweihten euer Talent hin im rechten Maß. Wollt ihr ohne das quinkelieren: nun so tut's für euch und unter euch, und quält nicht damit den Kapellmeister Kreisler und andere ...
... Das Blatt ist richtig vollgeschrieben; auf dem vom Titel umgeschlagenen weißen Streifen will ich nur noch bemerken, warum ich hundertmal es mir vernahm, mich nicht mehr bei dem Geheimen Rat quälen zu lassen, und warum ich hundertmal meinen Vorsatz brach. – Freilich ist es Röderleins herrliche Nichte, die mich mit Banden an dies Haus fesselt, welche die Kunst geknüpft hat. Wer einmal so glücklich war, die Schlußszene der Gluckschen Armida oder die große Szene der Donna Anna im Don Giovanni von Fräulein Amalien zu hören, der wird begreifen, daß eine Stunde mit ihr am Piano Himmelsbalsam in die Wunden gießt, welche alle Mißtöne des ganzen Tages mir gequältem musikalischen Schulmeister schlugen ...
(Aus »Johannes Kreislers, des Kapellmeisters, musikalische Leiden«.)
Unter Röderleins Nichte haben wir bereits Julia Mark zu verstehen, die im Laufe der Zeit mehr und mehr von Hoffmanns Herzen Besitz ergriff. Das Tagebuch dieser Zeit gibt deutlich die Kurve dieser seltsamen romantischen Leidenschaft an. Julia ist im Tagebuch, offenbar um Mischa zu täuschen, als »Kätchen von Heilbronn« aufgeführt, nach Kleists bekanntem Theaterstück, das Holbein auf seinem Theater gab. Hoffmann kürzt den Namen in Ktch oder Kthch ab.
6. Januar. Sonntag: Morgens Stunden – Mitt. bei Bevern, höchst erotischer Abend im »Pumpernickel« dann auf der Redute bis 6½ Uhr – exaltierte humoristische Stimmung – gespannt bis zu Ideen des Wahnsinns die mir oft kommen. Warum denke ich schlafend oder wachend so oft an den Wahnsinn? – Ich meine geistige Ausleerungen könnten wie ein Aderlaß wirken.
10. Januar. Donnerstag: Schlaflose Nacht – sehr krank – gefiebert und phantasiert – deutliche Ahndung daß Julchen kommen würde – und sie kam den Vormittag – Nachher Doct. Speier – viel Schmz. ausgestanden, doch gelesen im »Doctor Katzenberger« und Goethe.
28. Januar. Montag: Vormittags Stunden – bei Mark und Roth., dann bei Seifert diniert mit Holbein – dann zu Hause – zu Mark. Abend gegessen in einer exzellent poetischen Stimmung, exaltiert durch den herrlichen Gesang des Käthchens v. Heilbronn – fantasiert auf dem Flügel mit Glück – Nachts noch zwei Stunden auf der Redute – sehr herabgestimmt aus Mangel an jeder Ergötzlichkeit, die auf das Vorhergegangene hätte passen sollen.
31. Januar. Donnerstag: Vorm. Stunde bei Mark und Stepf – Nachmittags bei Holbein gearbeitet – dann geschlafen – ein wenig komponiert – auf dem Ball – von da und zwar von 8½ bis 10½ Uhr bei H. Kunz – Champ. non ... – auf dem Ball unangenehm exaltierte Stimmung – die Primanerliebe – sonderbar Humor durch das Kthchn erzeugt – ...
2. Februar. Sonnabend: Vormittags bei Holbein, dann Stunden bei der Mark – Mittags bei Holbein – dann ins Theater (Quodlibet – Ouvertüre von mir ... liert). – romaneske Stimmung – Abends in der »Rose« – stark gepunscht – Das Kthch wird obligat – o miserere mei domine.
3. Februar. Sonntag: Vormittags Stunden bei der Mark, dann zu Holbein. Nachmittags ebenfalls – dann nach Buch spät hinein – ins Theater! – Höchst ärgerliche Stimmung – bis zum Exzeß romant. und kapriziös. Ktchn ... De profundis clamamus – Abends in der »Rose« gepunscht –
5. Februar. Dienstag: Morgens Stunden bei Mark – Nachmittags bei Kunz – da bei Holbein – zu Hause – dann auf dem Kinderball – Ktch: plus belle que jamais et moi – amoureux comme quatre vingt diables – exaltiert – zu Kunz eingeladenermaßen ...
13. Februar. Mittwoch: Vormittags bei Mark – Theodory – Rothenhan. Kunz – 30 fl geborgt – Abends bei der Mark – Romeo und Julia – exaltiert romantische Stimmung – Ktch.
14. Februar. Donnerstag: Vormittags Mark – Holbein – Rothenhan – Nachmittags Holbein – Spaziergang – »Rose« – fortwährend fantastische Stimmung nebst enormer Faulheit – Kthch – Kthch Kthch.
15. Februar. Freitag: Vormittags Stunde bei Holbein – Roth. – Nachmittags bei der Mark – Ktch – fantast. St. – Abends im Theater, »Künstlers Erdenwallen«. Lämmermeier!! – Spät in der »Rose« – Ktch.
16. Februar. Sonnabend (Juliana): Vormittags bei Mark – Theod. – Roth. Neue Kleidung – Nachmittags in der »Rose« – Abends den Julianentag feierlichst begangen bei Mark – exaltierte Stimmung – διεσε ρομαντιοχε οτιμμυνγ γρειφτ ιμμερ μερ υρσιχ υνδ ιχ φυρχτε εσ ωιρδ υνϑειλ δαρανσ ενστεν – Κτχ
17. Februar. Sonntag: Vormittags bei Kunz – Mark – Nachmittags in Buch, dann im Theater – Holbein ist arriviert aus Würzburg – Abends in der »Rose« – Krankhafte Empf. – die gestrige griechische Bemerkung gilt für heute doppelt – Ktch.
18. Februar. Montag: Vormittags Mark – Roth. – Abends auf dem Kasino – Ktch – in ihr leben und sind wir! – ...
21. Februar. Donnerstag: Vorm. Mark – Stepf, Rothenhan. Nachmittags Holbein-Probe von »Belmonte und Konstanze« im Theater – Madame Koehl – herrliche Sängerin – Enthusiasm in Beziehung auf Ktch – Abends in der »Rose« –
22. Februar. Freitag: Vormittags Mark – Holbein – bis 1 Uhr gearbeitet – Nachmittags nach Buch – Augenschmerz, Anzeige einer Augenentzündung – Abende im Theater – »Bel. u. Konst.« – mit Ktch im Theater – Enth. – Unvernunft und Leidenschaft – quod deus bene vertat
25. Februar. Montag: Vormittags Mark – Roth. – Nachmittags Spaziergang mit K. Abends im Theater, nachher auf dem Ball – bei Kunz – wieder auf dem Ball (getrunken) im höchsten Grade – exotische Streiche im Übermaß. Ktch – Ktch – Ktch!!!! exaltiert bis zum Wahnsinn.
26. Februar. Dienstag: Bis 11½ Uhr geschlafen – dann noch exaltiert aufgestanden – Ktch – Ktch – Spazierengegangen – Nachmittags bei Holbein, abends Kunz bei mir – sehr vergnügt. Einen Augenblick auf der Redute.
28. Februar. Donnerstag: Vorm. Mark, Stepf, Rothh. Nachmittags Holbein, in Buch – im Theater, bei Kunz – Hol' der Teufel die kuriose Stimmung – entweder schieße ich mich tot wie einen Hund, oder ich werde toll! – q [uod] d [eus] b [ene] v [ertat]
3. März. Sonntag: Vormittag bei der Mark – Nachmittag »Rose« – Abends Theater (»das unterbrochene Osterfest«) mit Ktch – enthusiasmo – in der »Rose« Bekanntschaft des Komponisten Maria von Weber gemacht. Ktch – Ktch Ktch.
17. März. Sonntag: Vormittags bei Mark – bei Holbein. Nachmittags in Buch – Abends im Theater »Ida Münster« – ein Choral von mir sehr gut ausgeführt – Rose – Nachts beistehendes Sonett gemacht (zu Julias Geburtstag am 18. März!)
Der Frühling kommt auf blauen Wolkenwogen,
In duft'ger Ferne leuchtet sein Gefieder,
Den stillen Wald beleben frohe Lieder,
Der Heimat sind die Sänger zugeflogen. Und Strahl auf Strahl entbrennt am Himmelsbogen,
Und was er küßt, es muß sich schnell gestalten,
Die Blüte sich aus dunkler Knosp' entfalten,
Ins Leben ist des Lebens Glut gezogen. Aus grüner Wiege will die Rose glänzen,
Ihr holdes Rot sind holder Geister Töne,
Der Jugend Anmut – Reize, ihr Erglühen. Du Mägdlein! bist das Bild des süßen Lenzen,
Der Rosenknospe gleich an Anmut, Schöne,
Und was du wirst, das zeige ihr Erblühen.
18. März. Montag: Vormittags Mark – Anstalten zur Übersendung des Rosenstocks und des Sonetts – Nachmittags solissmo in Buch – Abends herrlicher Gesang der Koehl – enthusiasmo mit Ktch beinahe den höchsten Grad erreicht. Abends Pipicampu und geistiger Ehebruch.
1. April. Montag: Früh bei der Mark in der entsetzlichsten fatalsten Stimmung, das exotische verliert sich nicht.
4. – 20. April: Im Ganzen genommen in allen diesen Tagen nichts ins Leben Einschneidendes vorgegangen. Die gewisse exotische Stimmung, wovon so oft die Rede ist, hat sich nicht verloren, sondern wird eine besondere Episode unangenehmer Art bemerkenswert bleiben.
21. April. Sonntag: Die Gewißheit von Holbein erhalten, daß ich nach Würzburg gehen soll. – Im Theater zum ersten Male mit Ktch in nähere Berührung gekommen – Folge eine ganz caduce Stimmung.
22. April bis 1. Mai: Hier tritt eine etwas bessere Periode ein, die sich in vermehrter Tätigkeit ausspricht. Das Melodrama »Saul« wurde mit Anstrengung und anhaltend komponiert, wie ich glaube auch mit Glück, auch wurden Kartons zum gotischen Turm auf der Altenburg gezeichnet – ich schrieb an Holbein, – und siehe da, er bestimmte mich für Bamberg – ich bleib' also hier.
13. – 14. Mai. Montag – Dienstag: Der Herzog hat sich zu größerer Unterstützung des Theaters erklärt, und die Anstalt, sowie meine Lage ist jetzt ganz fixiert – besonders vergnügte Stimmung.
15. – 18. Diese Stimmung wird nur durch exotische Fantastereien unterbrochen – Ktch – der Himmel lenke alles zum Guten.
Nachträgliche Eintragungen für das Jahr 1811: – bei Holbein als Theater-Architekt mit 50 fl. monatlich engagiert.
Den 27. Juli: Die Nachricht von dem Tode des Onkels in Königsberg erhalten – zum Universalerben eingesetzt.
Bald darauf das Testament.
Den 27. Dezember: Einen Wechsel von 500 rth aus Königsberg erhalten.
Diese Tagebucheintragungen geben ein ungefähres Bild von dem Leben Hoffmanns in jener Zeit. Mit Holbein leitete er das Theater. Einsame Spaziergänge nach dem romantisch gelegenen Ausflugsort Buch, verlorene Stunden beim Wein in dem Gasthaus »Zur Rose« wechselten mit Arbeit an Kompositionen und Stundengeben in den Familien Mark, Rothenhan, Theodori, Stepf. Ganz überraschend kam die Nachricht von dem Tode des O-weh-Onkels aus Königsberg. Aber die seit einem Jahrzehnt ersehnte Erbschaft brachte nicht die Befreiung aus dem Joch der Fronarbeit. Vorläufig erhielt er nur in geringen Raten einige Zinsen, die ihn keineswegs vor Entbehrungen schützten. Als er einige Jahre später die Erbschaft kapitalisieren konnte, war sie so zusammengeschmolzen, daß sie gerade ausreichte, ihn aus der äußersten Bedrängnis für kurze Zeit zu befreien. Das war das Ende des einst so stattlichen Doerfferschen Vermögens.
Medizinaldirektor Markus hatte vor der Stadt die Altenburg erworben, eine alte Burg, die Hoffmann mit dem Freunde oft auf Spaziergängen besuchte, und auf die er sich auch einmal längere Zeit zu ungestörter Arbeit zurückzog. Er malte die Räume der alten Burg übrigens aus, und ebenso schmückte er die Räume des Kasinosaals mit eigenen Fresken. Diese Malereien unterbrachen wohltätig die Arbeit an den Kompositionen und für das Theater, für das er in jener Zeit mehr und mehr als Maschinist und Dekorationsmaler tätig war. Während all dieser Tätigkeit hörten aber die Gedanken nicht auf, um Julia zu kreisen.
Das Julia-Erlebnis regte ihn allmählich künstlerisch an; er fühlte die Notwendigkeit, dieses Erlebnis durch Gestaltung zu überwinden. Aber erst ganz allmählich drang er bis dahin vor. Über ein Jahr lang dauerte es, und viel Ereignisse mußten noch hinzutreten, ehe Hoffmann im »Berganza« zur dichterischen Gestaltung seines Erlebnisses kam. Sein Verhältnis zu Julia, der der verehrte Lehrer sicherlich nicht ganz gleichgültig geblieben war, nahm durch das Dazwischentreten des jungen Kaufmanns Gröpel eine verhängnisvolle Wendung. Gröpel, als Mensch wenig anziehend, ja ein roher und ungebildeter Wollüstling, wurde von Frau Mark für Julia zum Gatten bestimmt. Julia ließ sich von dem erfahrenen Mädchenjäger einspinnen und willigte in die Verlobung ein. Die folgenden Auszüge aus den Tagebüchern geben die Entwicklung dieser Verhältnisse wieder, die Hoffmann an den Rand des Wahnsinns brachte, die in ihm aber zugleich sein Dichtertum löste.
4. Januar 1812: ... bittere Erfahrungen – Anstoßen der poetischen Welt mit der prosaischen. Exaltati. – exaltatione grandissima!!!
9. Januar: ... Abends im Kasino – Ktch – sonderbare widersprechende Ereignisse – exotische Stimmung – in den eigenen Eingeweiden gewühlt – Ktch – Ktch – Ktch –
11. Januar: ... Sehr exotische Ideen – Ktch im hohen Grade – O dei – es ist zu arg – ihr Blick – Orakel – Ring – che fate voi –
19. Januar: ... Es bleibt noch von der gestrigen höchst exotischen Stimmung viel zu bemerken – Ktch – Ktch – Ktch. O Satanas – Satanas – Ich glaube, daß irgendetwas hochpoetisches hinter diesem Dämon spukt, und insofern wäre Ktch nur als Maske anzusehen – demasquez vous donc, mon petit monsieur! –
20. Januar: ... Abends Kasino sehr getanzt mit Theodori – Julchen – sämtlichen Rothh. – merkwürdige Erfahrungen in Rücksicht der Ktch – σιε ωεισ αλλεσ οδερ φιελμερ ανδετ.
23. Januar: ... Nachts bis 12 Uhr »Rose« – etwas widerwärtige Stimmung – Ktch im Zunehmen –. Hier ist eine Erinnerung von 20. anzumerken und zwar von dem σιε ωεισ αλλεσ οδερ ανδετ φιελμερ.
24. Januar: Mein Geburtstag! Vormittag gemalt. Nachmittag gemalt! – Abends bei der Mark! – Ganz ungemütlich, so daß der Vorsatz feststeht, nicht mehr hinzugehen – Julchen ins Theater geschickt, so daß wir allein saßen – Nachher in der »Rose« sich toll und voll gesoffen ...
30. Januar: Vormittag bei der Mark – Rothenhan – Nachmittag zu Hause. Abends Kasino – mit Mienchen Kunz, Julia und Friderike Roth, getanzt – exaltierte Stimmung – meine Wut und Schmerz in reichlichem Grade ausgelassen, so daß wahrscheinlich manche Folgen daraus entstehen werden.
31. Januar: Vormittag bei Kunz – einen Augenblick bei der Mark, bei Rothenhan – Nachmittag zu Hause – »Rose«. Ktch im Theater – die abscheulichste und widerwärtigste Stimmung seit langer Zeit – (getrunken) um sie zu verjagen. Ehstands-Szenen im Theater – alles vergebens – Ärgerlich – galligt zum (hier eine gezeichnete Pistole) – Schon zum zweitenmal das verhängnisvolle Zeichen!!!!
3. Februar: Vormittags die Dekoration im Kasinosaal aufgestellt. Mittags bei Kunz (getrunken) – Abends in der Redute, mißmutige Stimmung – demunerachtet einen alten Stutzer mit Glück ausgeführt – Sonderbar romanesk zärtliche Stimmung rücksichts Ktch – sie kränkelt, gemeinschaftliche Todesgedanken, sonderbare Blicke in die Tiefe des Herzens! – Wohl manches muß sich entwickeln – mit Furcht seh' ich ... entgegen und doch ist diese Furcht wohltätig.
4. Februar: Den ganzen Tag an »Roderich und Kunegunde« gearbeitet – Nachklang der gestrigen Stimmung tief im Gemüte – Wahlverwandtschaft? – Seroit il possible? – Non il n'est pas possible.
5. Februar: Dito gearbeitet – in einer wahrhaft fürchterlichen Stimmung – Ktch bis zum Wahnsinn, zum höchsten Wahnsinn – Eifersucht auf Hlb. (Holbein), ganz spät in die »Rose« – Stimmung geändert.
Betrachtungen über das Selbst – dem der Untergang drohte – es ist etwas Ungewöhnliches noch nicht Erlebtes.
6. Februar: Dito gearbeitet – Mark hat fragen lassen, wie ich dachte – Wollte Gott ich hätte geantwortet – Blutsturz!! – Abends bei Kunz – »Rose« – etwas bessere Stimmung.
7. Februar: Vormittag an »Roderich« gearbeitet. Dann bei der Mark – Gemütliche Stimmung – Nachmittag im Theater, »Rose« – Abends im »Käthchen von Heilbronn« beim Burgbrand geholfen – Sehr komische Stimmung – Ironie über mich selbst – ungefähr wie im Shakespeare, wo die Menschen um ihr offenes Grab tanzen –
25. Februar: – ... Es reißt eine gewisse ganz gleichgültige Stimmung in Rücksicht des Ktch ein und nur noch zuweilen flackert es auf – Gute Aspekten.
4. März ... Gewisse Ktch-Ideen bekommen einen sanfteren ruhigeren Charakter.
18. März (Anselmus): Vorm. die drei Chansonetten an Julchen zur Feier ihres Geburtstages mit einem eleganten und galanten Billett geschickt, bald darauf kam Moritz mit der Nachricht, daß Julchen auch krank ist und im Bette liegt – sonst hätte sie schriftlich gedankt – sehr abgespannt – Kopfweh.
26. März. (Gründonnerstag): ... Kaufmann Gröpel aus Hamburg angekommen.
30. März ( Ostermontag): Vormittag bei der Mark Visite – Mittags in der »Rose« gegessen – mit Speier – Nachricht, daß Gröpel die Julchen wahrscheinlich ehlicht – Ktch-Stimmung mit ... Das Schicksal meint es mit mir und meinem Künstlerleben gut –
31. März: ... Es reißt eine exotische Hasenfüßigkeit ein!! –
1. April: Vormittags Mark, Rothenhan – Gröpel ist Nachmittag abgereist ... Julchen sehr verstimmt über die Abreise ...
2. April: ... um 7 Uhr ins Kasino – Ganz infam gestimmt ... Julchen schlug aus mit mir zu tanzen, und war noch überdies unausstehlich grob (ich müßte in Schnaps besoffen sein) sowas irritiert mich ... zu sehr ...
18. April: ... Abends bei der Mark bis 9½ Uhr – ziemlich gemütlich – Ktch sehr aufgeklärter Himmel, welches die gewisse beinahe überstandene Affennatur wieder hervorlockt –
25. April: ... Dann zum Tee bei der Mark – Höchst merkwürdiges Gespräch mit Ktch »Sie kennen mich nicht – meine Mutter auch nicht – niemand – ich muß so vieles tief in mich verschließen – ich werde nie glücklich sein –.«
Was bedeutet das – Abends spät noch bei Kunz ... videatur ein Rätsel, dessen Aufschluß der Zukunft überlassen bleibt.
27. April: – ... Merkwürdige Gespräche rücksichts des 25 – Ich fühle mich kindisch und eselhaft und das von Rechts wegen – Brief an Hitzig und an Brausewetter. Erste Spur rücksichts des Rätsels – die Sphinx hat mich beim Schopf gepackt und wirft mich bergab kopfüber in ein verfluchtes Schlammgrab wenn ich nicht rate – Nach der Auflösung fällt ein Nebelvorhang herab und die Personen hinter demselben werden und wirken poetisch..
Bamberg, den 28. April 1812.
... Ich habe hier beinahe seit dem ersten Vierteljahr als ich hergekommen war in der Person des Weinhändlers Kunz einen sehr angenehmen interessanten Freund, der, wie man es in dieser Klasse von Kaufleuten gewiß selten findet, ästhetisch und literarisch ausgebildet ist, weshalb sein Umgang sich auch nur auf hiesige Gelehrte (Direktor Marcus, Prof. Klein pp.) und Künstler erstreckt. Schon seit mehreren Jahren sammelt er eine herrliche Bibliothek, die schon jetzt fünf bis sechstehalb tausend Bände und darunter sehr seltene alte Werke, sowie das Beste der neueren und neuesten Literatur und Poesie enthält. Diese Bibliothek gab die Veranlassung, daß er von seinen Freunden sowohl als von der öffentlichen Behörde aufgefordert wurde, eine Leihbibliothek zu errichten, die ganz abweichend von der Tendenz der gewöhnlichen Leihbibliotheken, nur das wahrhaft Gute der ästhetischen Literatur und wissenschaftliche Werke enthalten sollte, wozu er sich denn auch hat bereitfinden lassen. Um die neuesten Meßprodukte sogleich zu erhalten, hat er sich mit den mehrsten Buchhändlern in Leipzig (Hinrichs, Leo pp.) rücksichts ihrer Verlagsartikel in Verbindung gesetzt und ihnen, da er schon längst Wein nach Sachsen sandte, Drogatgeschäfte mit Wein gegen Bücher angeboten, welches sie alle auf das Bereitwilligste akzeptiert haben. Ein gleiches Anerbieten macht er Ihnen, mein bester Freund! in der Anlage und ich kann die Versicherung aus mannigfacher eigner Erfahrung hinzufügen, daß er in den Weinen ebenso wie in seiner Bibliothek nur das wahrhaft Gute, Geistvolle aufnimmt und hegt ...
Daß ich noch hier bin, muß Ihnen schon beweisen, daß es mir so ziemlich gut geht, und nur das einzige ist mir nicht recht gewesen, daß mir bis jetzt die ganz überhäuften Theatergeschäfte alle Zeit raubten, eigentlich für mich, das heißt für das Bekanntwerden, zu arbeiten. Als das Theater durch Holbein neu organisiert wurde, fiel mir die ganze Last der ökonomischen und ein großer Teil der ästhetischen Einrichtung zu, und bald darauf wurde ich nächstdem, daß ich fürs Theater fortkomponieren mußte, noch Theaterarchitekt und Dekorateur, indem der recht geschickte Maschinist Holbein mich bald in die Geheimnisse der Maschinerie praktisch einweihte und so die Theorie, die ich aus allen Büchern, die ich nur erhalten konnte, eingeschlungen hatte, ergänzte. – So haben wir denn die einstürzende Burg zum Käthchen von Heilbronn, das auffliegende Kreuz in der Andacht pp, die Fantasmagorieen in dem standhaften Prinzen und vorzüglich die Brücke von Mantible gebaut. Von letzterer werden Sie künftig eine genaue Zeichnung nebst Beschreibung von mir im Journal des Luxus und der Moden finden. – Jetzt ist Holbein in Würzburg und ich bin hiergeblieben, um einmal den Sommer hindurch mit Muße für mich selbst arbeiten zu können. Eine Oper von mir, Text von Holbein, kommt jetzt in Würzburg aufs Theater und wandert dann nach Wien zu Lobkowitz. Gefällt sie, so bin ich als Komponist durch. – Hier habe ich das Glück, daß meine Kompositionen Sensation machen. – Dann beschäftigt mich ein sonderbares musikalisches Werk, in welchem ich meine Ansichten der Musik und vorzüglich der innern Struktur der Tonstücke aussprechen will. Um jeder anscheinenden Exzentrizität Platz und Raum zu gönnen, sind es Aufsätze von einem wahnsinnigen Musiker in lichten Stunden geschrieben; ich behalte mir vor, Ihnen künftig mehr darüber zu sagen und vorzuschlagen ...
... – Sie können denken, wie mich das Käthchen begeistert hat; nur drei Stücke haben auf mich einen gleichen tiefen Eindruck gemacht – das Käthchen – die Andacht z. K. und Romeo und Julie – sie versetzen mich in eine Art poetischen Somnambulismus, in dem ich das Wesen der Romantik in mancherlei herrlichen leuchtenden Gestaltungen deutlich wahrzunehmen und zu erkennen glaubte! – Das Käthchen ist hier nur teilweise gut, die Andacht zum Kreuz aber durch ein glückliches Zusammentreffen günstiger Umstände beinahe vollendet gegeben worden. Die Andacht hat jedesmal wahre Andacht erweckt und das katholische von jeder Überbildung freie Publikum faßte die Erzählung Eusebius von des Kreuzes sonderbaren Wundern mit tiefem Sinne auf. – Noch einmal komme ich auf den herrlichen Kleist zurück um Sie zu bitten, mir einiges über seinen heroischen Untergang zu sagen; das dumme Geschwätz in öffentlichen Blättern von Leuten, die vor einem Strahl von Kleists Genius in die erbärmliche Nußschale, die sie für einen Palast mit sieben Türmen ansehen, sich verkrochen hätten, dieses dumme Geschwätz hat mich überaus angeekelt; und schon damals wollte ich mich an Sie mein lieber Freund! wenden, um etwas Rechtes vom Rechten zu hören, doch es unterblieb, wie vieles ...
... – Die Weimarer Bühne, die schon seit geraumer Zeit es sich recht ernstlich angelegen sein läßt, unser Theater aus der tiefen Erniedrigung, in die es versunken, zu erheben, und schon oft die Möglichkeit und Wirkung irgendeiner scheinbar ganz außer der Sphäre unseres Theaters liegenden Produktion den in Sinn und Geist beengten Direktoren größerer Bühnen praktisch bewiesen hat, gab bekanntlich zuerst den standhaften Prinzen mit Beifall, und nicht lange darauf wagte es die noch kleinere Bühne in Bamberg mit der Andacht zum Kreuz und dann auch mit dem standhaften Prinzen und der Brücke von Mantible hervorzutreten. Unter kenntnisreichen gemütvollen Freunden des Theaters in Bamberg wurde, als die Aufführung der Calderonschen Schauspiele im Werke war, lange die Frage debattiert, ob man wohl auf ihre Einwirkung auf das Publikum rechnen könne, und welches von jenen Schauspielen am mehrsten dazu geeignet sei. Gerade die Andacht zum Kreuz, welche bestimmt war, zuerst auf die Bühne gebracht zu werden, erregte den größten Zweifel, und gerade dieses sprach in der Folge das große Publikum, von dem doch bei dem Urteil über Theatereffekt nur die Rede ist, am mehrsten an. –
Ein Publikum, das Schauspiele, wie die des Calderon, in ihrer vollen Schönheit und Stärke auffaßt, das in das Ganze und Einzelne tief eingeht, dürfte wohl nicht so leicht gefunden werden, indessen möchte doch eines vor dem anderen fähiger und williger sein, die Idee, die Tendenz des Stückes zu begreifen und sich von der Gewalt der Sprache, von dem Fluge der kühnen, fantastischen Bilder fortreißen zu lassen; und eben diese größere Fähigkeit, vorzüglich aber den besseren Willen glaubte man bei dem Bamberger Publikum voraussetzen zu können, weil es nicht verbildet, von dem theatralischen Genuß noch nicht übersättigt und – katholisch fromm ist. Eben dieses letztere, der in Bamberg herrschende Katholizismus, war die Ursache, daß die Galerie, ebensogut wie Logen und Parterre, gleich bei der Exposition, vorzüglich bei der Herz und Gemüt gewaltsam ergreifenden Erzählung des Eusebio von den Wundern des Kreuzes, die der Andacht zum Kreuz zum Grunde liegende echtkatholische Idee verstand und mit steigendem Interesse den Faden des Stückes sich entwickeln sah ... Um dem Schauspiel einen desto gewisseren Eingang zu verschaffen, mußte für äußern Schmuck gesorgt werden, der jener Idee, in der sich das ganze Stück konzentriert, nicht allein angemessen sein, sondern dieselbe auch noch mehr herausheben sollte. Wie beschränkt kleine Theater sind, wo der Platz und das Geld so zurate gehalten (werden) muß, weiß wohl jeder Kenner der Bühne, indessen erreicht das Anständige, wodurch jede Störung der Illusion vermieden wird, und manche sinnige Einrichtung oft mehr den Zweck der theatralischen Erhebung und Täuschung bei dem Zuschauer als prächtige Dekorationen und Maschinerien, die nicht am Orte stehen oder der Tendenz des Stückes nicht entsprechen. – Auf jene Weise wurde der Tod des Eusebio, seine Beichte und Absolution, sowie seine und Julias Verklärung dem Zuschauer durch folgende Einrichtung versinnlicht. Eusebio erscheint in der rauhen felsichten Gegend, zu deren Muster dem Dekorateur eine Partie aus der Sierra Morena gedient hatte, von den Landleuten verfolgt, auf der Spitze eines Felsen, der im Mittelgrunde des Theaters angebracht, beinahe dessen Höhe erreichte, und stürzt hinab. Die Landleute finden den zerschmetterten Leichnam und begraben ihn unter dichten Zweigen, aus denen das dumpfe angstvolle: Alberto! hervortönt. – Als Alberto die Zweige weggenommen, richtete sich mittels einer durchaus nicht bemerkbaren Maschinerie Eusebio langsam in die Höhe und sank ebenso, nachdem er die Absolution erhalten, in sein Grab zurück. Die Wirkung dieser einfachen Idee war nach der tiefen Totenstille, die jedesmal im Theater bei dieser übrigens stummen Szene herrschte, zu berechnen. Als Julia zuletzt das Kreuz, welches in dem Hintergrund des Theaters angebracht war, umfaßte, verschwand ihr männlicher Anzug, und man sah sie in Nonnentracht an dem Kreuze knien, das sich mit ihr in die Lüfte erhob. Die Wolken teilten sich und wie in einer Strahlenglorie erschien Eusebio mit sehnsuchtsvoll nach Julia ausgestreckten Armen. Um so zweckmäßiger und wirkungsvoller war diese im Schauspiel nicht angedeutete Einrichtung, als der eigentliche Schluß desselben, nämlich Eusebios und Julias Verklärung als ein Mirakel sinnlich dargestellt wurde und es ganz in dem Geist des Katholizismus liegt, die Sinne bei der symbolischen Darstellung des Übersinnlichen in Anspruch zu nehmen. – Merkwürdig war es gewiß, wie der Ruf von dem heiligen Schauspiel sich nach jeder Ausführung mehr verbreitete und ein Publikum in das Theater zog, das man sonst nie darin gesehen hatte. Alte Bürger mit ihren Frauen, die es sonst für sündhaft geachtet hätten, das Theater zu besuchen, entschlossen sich hineinzugehen, wobei sie nicht vergaßen den Rosenkranz mitzunehmen, und mehrere Bänke des Parterres waren oft mit Geistlichen besetzt.
...Mein Himmel! Sie schildern ja ganz jenen höchst vortrefflichen Schauspieler, den mir Jahre hindurch jedesmal der Frühling zuführte, da er sich dann in der heiteren südlichen Gegend, wo meine Gesellschaft spielte, wohlbefand. Weniger, als er sich selbst einbildete, hatte der tiefe innere Unmut, von dem er sich beherrschen ließ, einen physischen Grund, da vielmehr, wie es so oft geschieht, der im Leben nicht festgestellte Wille, die nicht erlangte reine Erkenntnis des vorgesetzten Zwecks, auf den das Streben gerichtet, die rein physische Ursache jenes Unmuts war. Dieser Schauspieler trieb das Mißtrauen oder vielmehr den Argwohn, von dem Sie vorhin sprachen, so weit, daß er die geringfügigsten, beziehungslosesten Ereignisse während des Spiels für boshaft gegen ihn gerichtete Pfeile hielt. Ein in der Loge gerückter Stuhl, das leise Sprechen zweier Zuhörer, das er, beinahe unhörbar, doch Gott weiß! vermöge welches Organs und selbst dann hörte oder wohl am Ende nur sah, wenn er in effektvollen Stellen seine Stimme bis zur höchsten Stärke erhoben, alles das brachte ihn dermaßen aus der Fassung, daß er oft innehielt, oft sogar mit groben Schmähungen die Bühne verließ. –
So habe ich es selbst angesehen, daß er als König Lear in der Fluchszene, die er so wie alles übrige, wie die ganze Rolle mit hinreißender Kraft und Wahrheit spielte, plötzlich innehielt, den erhobenen Arm langsam sinken ließ, den Feuerblick nach einer Loge, in der ein paar Fräulein wahrscheinlich die wichtige Angelegenheit eines neuen Putzes, wiewohl leise genug, abhandelten, richtete, dann dicht an die Rampe tretend mit einer leichten Verbeugung nach der verhängnisvollen Loge hin sehr vernehmlich sprach: »Wenn Gänse schnattern, hab' ich nicht zu reden!« und die Bühne mit gemessenen Schritten verließ. Wie sich der Unwille des Publikums erhob, sowie daß er förmliche Abbitte leisten mußte, können Sie sich wohl denken. – Wir sprachen vorhin vom Hervorrufen – Nichts war meinem Mann, von dem ich rede, unleidlicher, als wenn er seine Rolle nicht gut durchgeführt zu haben glaubte und dann hervorgerufen wurde. – Ich bereue es noch in diesem Augenblick, daß ich einmal, als er den Hamlet vortrefflich dargestellt, nach seiner Meinung aber ein paar Momente verfehlt hatte, ihn trotz seines Weigerns nötigte, auf das Rufen des Publikums herauszutreten. – Er kommt langsam und pathetisch hervor, tritt bis dicht an die Lampen, läßt den verwunderten Blick über Parterre-Logen hinstreifen, wirft dann die Augen in die Höhe, schlägt die Hände vor der Brust zusammen und spricht mit feierlicher Stimme: »Herr! vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« – Sie können denken, daß dieser Rede ein betäubendes Pochen, Zischen und Pfeifen folgte. Er kam aber ganz freundlich und fröhlich, wie von einer schweren Last befreit, in die Garderobe zurück!
Leo war nach den übereinstimmenden Berichten der Zeitgenossen einer der begabtesten Schauspieler seiner Zeit. Die Freundschaft mit ihm, der jedes Jahr wiederkehrte, um einige Gastspielwochen an Holbeins Bühne zu absolvieren, nahm gewissermaßen Hoffmanns spätere Freundschaft mit dem großen Schauspieler Ludwig Devrient vorweg. Neben der Tätigkeit für Holbeins Bühne lief die innere Spannung der Leidenschaft für Julia ständig her. Die Entwicklung ging folgendermaßen: Gröpel war abgereist, und Hoffmann konnte wohl annehmen, daß der Rivale nicht wiederkehren würde. Seine Liebe regte ihn zum literarischen Schaffen an, das sich aber zunächst nur in den Aufsätzen für die Leipziger Allgemeine Musikzeitung und in dem Theateraufsatz über die Aufführung Calderonscher Stücke in Bamberg auswirkte. Dennoch wurde es ihm immer deutlicher, wie hinter der Maske seines Julia-Erlebnisses ein Dämon die Schwingen regte. Am 29. April 1812 trug er ins Tagebuch ein: »V. M. bei der Mark – das Ding wird merkwürdig und ich trete der wahren Auflösung näher – Göttliche Ironie! – herrlichstes Mittel Verrücktheiten zu bemänteln und zu vertreiben, stehe mir bei! – N. M. in Buch mit Kunz dito – schlechte Stimmung – ekelhafte Müdigkeit. Jetzt wird es Zeit ernsthaft in litteris zu arbeiten.« Zum Zwecke ungestörten Schaffens zog er sich auf die Altenburg des Freundes Markus zurück und faßte dort den Entschluß, Fouqués Märchen »Undine« zur Oper umzuarbeiten und zu komponieren. Fouqué wurde durch Vermittlung Hitzigs gewonnen, die Bearbeitung des Märchens selbst zu übernehmen. Der Undinenstoff arbeitet nun in Hoffmann die ganzen nächsten Jahre hindurch, auch wenn er an die Komposition erst später, als hier in den Briefen an Hitzig behauptet wird, heranging. Erst in der Dresdener-Leipziger Zeit wurde die Oper komponiert, aber der Gedanke an die Oper allein wurde schon hier zu dem Sicherheitsventil, das die quälende Spannung lockerte.
Sein Verhältnis zu Julia war inniger als je. Für Julia komponierte er sechs italienische Duette, die er selbst mit der Geliebten sang. Am 8. August kam aber plötzlich zu aller Überraschung Gröpel nach Bamberg zurück, zwei Tage darauf verlobte er sich mit Julia. Hoffmann raste, fand erst allmählich seine Fassung wieder. Er sah in dieser Verlobung das Werk der geldgierigen Frau Mark, die über ihre Verhältnisse gelebt hatte und nun den reichen Schwiegersohn zu fesseln verstand, die Tochter den konventionellen Verhältnissen aufopfernd. Auf einem Familienausflug nach Pommersfelden kam es zur Katastrophe. Hoffmann wie Gröpel hatten dem Alkohol zu eifrig zugesprochen. In seiner Erregung über das Verhalten Gröpels schlenderte Hoffmann der Konsulin die schlimmsten Beleidigungen ins Gesicht.
Bamberg, den 1. Juli 1812.
... Ich arbeite jetzt recht fleißig und habe, um recht mit Muße zu leben, 14 Tage auf der herrlichen Altenburg, wo ein alter gotischer verfallener Turm nach meiner Angabe vorigen Sommer restauriert und dekoriert wurde, eben in diesem Turm mit meiner Frau gewohnt, bloß das anhaltend böse Wetter trieb mich wieder herab. Der Sturm, der Regen, das in Strömen herabschießende Wasser erinnerte mich beständig an den Oheim Kühleborn, den ich oft mit lauter Stimme durch mein gotisches Fenster ermahnte ruhig zu sein, und da er so unartig war nichts nach mir zu fragen, habe ich mir vorgenommen, ihn mit den geheimnisvollen Charakteren, die man Noten nennt, festzubannen! – Mit andern Worten: die Undine soll mir einen herrlichen Stoff zu einer Oper geben!
Bamberg, den 15. Juli 1812.
... Holbein ist jetzt in Würzburg und unser Theater wird schon wieder reorganisiert; kommt es leidlich zustande, so bringe ich es bestimmt dahin, daß Shakespearesche noch nicht gegebene Stücke (vorzüglich seine Lustspiele) auf die Bühne kommen ... Aber nun komme ich mit einer recht großen Bitte angestiegen, die mein lieber Freund mir nicht abschlagen muß! – Sie wissen, daß mir das Versifizieren gar nicht geläufig ist und wie schwer würde es mir daher werden aus der Undine eine Oper zu machen. Sollte sich dann unter Ihren gemütvollen poetischen Freunden nicht einer finden, der zu überreden wäre die Bearbeitung der Undine für mich zu übernehmen? – Meine Ideen würde ich schriftlich in extenso mitteilen ohne den Dichter im mindesten zu genieren, aber ich müßte nicht gar zu lange auf den Text warten dürfen; die Erfüllung meiner Bitte wäre das angenehmste Ereignis für mich ...
16. Juli. Donnerstag Vormittags Mark – exotisches Gespräch – beinahe zuviel verraten – tolle Streiche, die zum Verderben führen, das mir denn doch am Ende unvermeidlich droht – ich wollt' es wäre Schlafenszeit und alles vorbei! Innerer Wurmfraß usw. ...
5. August. Mittwoch: ... (wollüstige Empfindung zum erstenmal rücksichts Ktch) Ein gewisses Ding nimmt jetzt wieder eine sehr verderbliche Gewalt an – Ktch –
12. August. Mittwoch: Lorbeer – Mark – herrlicher Brief von Hitzig, Fouqué selbst bearbeitet Undine. Künstlerisch exaltierte Stimmung ...
... Kreisler, keines Wortes mächtig, saß am Flügel, schlug die ersten Akkorde des Duetts an, wie von einem seltsamen Rausch betört und befangen. Julia begann »Ah che mi manca l'anima in si fatal momento..« Es ist nötig zu sagen, daß die Worte dieses Duetts nach gewöhnlicher italienischer Manier ganz einfach die Trennung eines liebenden Paares aussprachen, daß auf momento natürlich sento und formento gereimt war, und daß es wie in hundert anderen Duetten ähnlicher Art auch nicht an dem Abbi pietade o cielo und an her pena di morir fehlte. Kreisler hatte indessen diese Worte in der höchsten Aufregung des Gemüts mit einer Inbrunst komponiert, die beim Vortrage jedem, dem der Himmel ein paar passable Ohren gegeben, unwiderstehlich hinreißen mußte. Das Duett war den leidenschaftlichsten dieser Art an die Seite zu stellen und, da Kreisler nur nach dem höchsten Ausdruck des Moments und nicht darnach strebte, was eben ganz ruhig und bequem von der Sängerin aufzufassen, in der Intonation ziemlich schwer geraten. So kam es, daß Julia schüchtern mit beinahe ungewisser Stimme begann und daß Kreisler eben nicht viel besser eintrat. Bald erhoben sich aber beide Stimmen auf den Wellen des Gesanges wie schimmernde Schwäne und wollten mit rauschendem Flügelschlag emporsteigen zu dem goldenen strahlenden Gewölk, bald in süßer Liebesumarmung sterbend untergehen in dem brausenden Sturm der Akkorde, bis tief aufatmende Seufzer den nahen Tod verkündeten und das letzte Addio in dem Schrei des wilden Schmerzes wie ein blutiger Springquell hinausstürzte aus der zerrissenen Brust.
(Aus »Kater Murr«.)
Bamberg, den 15. August 1812.
... Ihr letzter Brief, Ihre Nachrichten von Fouqué und Undine haben mir eine wahrhaft kindische Freude verursacht – Zu allen meinen Freunden bin ich gelaufen mit Ihrem Briefe in der Tasche und in dem edelsten Rheinwein hat Herr Kunz mir die Vereinigung mit Fouqué zu einem Kunstprodukt zugetrunken. – Mach' ich keine gescheute Komposition, so bin ich ein Esel und es soll forthin von mir nicht mehr die Rede sein unter gemütlichen Menschen und Freunden. – Wie sehr, wie gar sehr habe ich Ihnen, mein lieber teuerster Freund! für Ihre Bemühungen zu danken, ich fühle es ganz, welch seltenes Glück mir dadurch beschieden, daß ein Dichter wie Fouqué für meine Noten arbeitet! ...
10. August 1812. Montag: Il colpo e fatto! – La Donna e diventa la sposa di questo maledetto asino di mercante e mi pare che tutta la mia vita musicale e poetica e smorzata – bisogna di prender una risoluzione degna d'un uomo come io credo d'esser – quest'era un giorno diabolico –
6. September. Sonntag: Partie nach Pommersfelden – sich ganz erschrecklich besoffen und die infamsten Streiche gemacht. Rücksichts Ktch gänzlich dementie gegeben schimpfend auf den sposo, der so besoffen war, daß er hinstürzte (es ist gewiß, daß etwas Verborgenes rücksichts Ktch im Hintergrunde liegt).
Auf eine mir selbst unbegreifliche Weise bin ich gestern mit einem gewaltsamen Ruck nicht berauscht worden – nein – in einen völlig wahnsinnigen Zustand geraten, so daß die letzte halbe Stunde in P. wie ein böser schwerer Traum hinter mir liegt! – Nur der Gedanke, daß man Wahnsinnige in ihren wütendsten Ausbrüchen nur bemitleiden, ihnen das Böse, was sie in diesem Zustande tun aber nicht zurechnen kann, läßt mich hoffen, daß Sie mir alles wahrhaft impertinente was ich, wie meine Frau und Herr K. mir leider versicherten, geradebrecht habe (denn reden konnte ich nicht sonderlich) nach Ihrer mir so oft bewiesenen Güte mit Bonhommie verzeihen werden! – Sie haben gewiß keinen Begriff von dem tiefen innigen Schmerz, den ich über meine gestrige Tollheit empfinde – ich büße dafür dadurch, daß ich mich des Vergnügens Sie und Ihre Familie zu sehen, solange beraube, bis ich Ihrer gütigen Verzeihung gewiß bin! – Könnte ich ein Mittel erfinden, Sie zu überzeugen, wie sehr mir Ihr Wohlwollen wert ist, und wie fern mir jede Idee, Ihnen auch nur die mindeste Unannehmlichkeit zuzufügen, liegt – möchten Sie doch jenes mir wahrhaft unheilbringenden Zustandes wegen keinen Groll gegen mich im Herzen hegen – möchten Sie doch auch dem Teil Ihrer Familie, dem ich leider in meinen sonderbaren Tendenzen noch unbekannt bin, versichern, daß nur wirklicher Wahnsinn mich so wie gestern erscheinen lassen konnte!
Ihr innigst ergebener
Hoffmann.
7. September 1812. Montag: Vormittag zu Hause nach einer schlaflosen Nacht aus Ärger – Mittags und abends bei Kunze. Speier wiedergesehen ...
(An die Mark ganz früh gleich einen Entschuldigungsbrief geschrieben).
8. September. Dienstag: Vormittags sich auf der Straße in ungemütlicher Stimmung umhergetrieben – Nachmittag mit Speier, Kunz, Leykamp in Bischberg, ziemlich gemütlich – (Antwort von der Mark – die Stunden werden eine kurze Zeit ausgesetzt).
10. Donnerstag: ... Es dauert eine gleichgültige abgespannte Stimmung, die die Raserei am 6. herbeigeführt hat – fort – Ich glaube kaum Ktch auf die alte Weise wiederzusehen! – Ich wollt' es wär' alles vorbei.
17. Donnerstag: Noch nie haben sich so auf Geist und Gemüt wirkende Unannehmlichkeiten zusammengedrängt – das Zeichen Ktch wird nicht mehr erscheinen – Billett von der Mark, welches mir in gewisser Art das Haus verbietet – ... (das Rätsel bleibt unentschieden, aber entschieden ist es, daß ein Rätsel obwaltet). (Aus dem Billett der Mark: »Es ist etwas in I.' Gemüt gekommen, das ihr unmöglich macht die Stunden fortzusetzen.)
Diese Vorgänge fanden ihren ersten Niederschlag in der »Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza«. Die Gestalt dieses Hundes entnahm Hoffmann den Erzählungen des Cervantes, aber das eigentliche Urbild dieses romantischen Hundes haben wir in dem Hund der Frau Cauer zu suchen, mit dem Hoffmann sich oft stundenlang auf seine Weise unterhalten konnte. Unter der Maske dieses Hundes schildert er die Vorgänge im Markschen Hause. Die Personen sind ohne weiteres zu erkennen. Julia tritt hier als Cäcilie auf. Hoffmann gab ihr also den Namen seiner eigenen früh verstorbenen Tochter. Auch Julias Geschwister sind historisch. Der Dichter und der Musiker, die sich beide um Cäciliens Gunst bewerben, sind Hoffmann und Holbein. Der »Monsieur George« scheint ein ziemlich getreues Abbild Gröpels zu sein. Genau so brutal und ungebildet, wie er hier geschildert wird, entpuppte er sich in seiner Ehe mit Julia.
... Als ich nun traurig und in mich gekehrt die Straße herablief, kam ein Trupp Menschen auf mich zu ... Ich ... sprang ... rasch um die Ecke in ein ansehnliches Haus, dessen Tür gerade offenstand. Alles verkündete Reichtum und Geschmack; die breite lichte Treppe war schön gebohnt; kaum die Stufen mit meinen schmutzigen Tatzen berührend, war ich in drei Sprüngen oben und kauerte mich in einem Ofenwinkel eng zusammen. Nicht lange darauf hörte ich lustiges Kindergeschrei auf dem Flur und die holde Stimme eines schon erwachsenen Mädchens: »Lisette! vergiß nicht die Vögel zu füttern, meinem Seidenhäschen gebe ich schon selbst etwas!« – Da war es, als triebe mich eine geheime unwiderstehliche Gewalt hervor. Ich trat demnach mich krümmend und schwänzelnd in der demütigsten Stellung, die mir zu Gebote steht, heraus, und siehe da – ein gar herrliches Mädchen von höchstens sechzehn Jahren, mit einem munteren goldlockigen Knaben an der Hand, ging gerade über den Hausflur. – Trotz meiner demütigen Stellung erregte ich doch, wie ich es gefürchtet hatte, keinen geringen Schreck. – Das Mädchen schrie laut auf: »Was für ein häßlicher Hund, wie kommt der große Hund hierher!« – drückte den Knaben an sich und schien fliehen zu wollen. Da kroch ich zu ihr hin, und mich zu ihren Füßen schmiegend, winselte ich leise und wehmütig. »Armer Hund, was fehlt dir«, sprach das Mädchen und streichelte mich mit der kleinen weißen Hand. Nun wußte ich nach und nach mein Vergnügen zu steigern, so daß ich zuletzt meine zierlichsten Sprünge versuchte. Das Mädchen lachte, und der Knabe jauchzte und hüpfte vor Freude. Bald äußerte er, wie Knaben gemeinhin zu tun pflegen, die Lust, auf mir zu reiten; die Schwester wehrte es ihm, ich drückte mich aber an den Boden und lud ihn selbst durch allerlei lustiges Knurren und Schnupfen zum Aufsteigen ein. – Endlich ließ ihm die Schwester seinen Willen und kaum saß er auf meinem Rücken, so erhob ich mich langsam, und indem ihn die Schwester in gar anmutiger Stellung mit einer Hand hielt, ging es erst im Schritt, dann in kleinen Courbetten den Hausplatz auf und ab. – Noch mehr als vorhin jauchzte und jubelte der Knabe, noch herzlicher lachte die Schwester. Da trat noch ein Mädchen heraus, sie schlug die kleinen Hände zusammen, als sie die Reiterei sah, aber alsbald lief sie heran und hielt den Knaben bei dem andern Arm. Nun durfte ich größere Sprünge wagen, nun ging es vorwärts im kurzen Galopp, und wenn ich prustend und kopfschüttelnd es dem schönsten arabischen Hengste gleich tat, da schrieen die Kinder auf vor Freude. Bediente. Mägde kamen Treppe herauf, Treppe herunter – die Küchentür öffnete sich, der stattlichen Köchin entsank die kupferne Kasserolle und fiel klirrend auf den steinernen Boden, da sie die glutroten Fäuste in die Seite stemmte, um das Schauspiel recht herzlich zu belachen. – Immer größer wurde das schaulustige Publikum, immer lauter der Jubel; von dem schallenden Gelächter erdröhnten Wände, Decke und Boden, wenn ich als ein wahrer Pagliasso irgendeinen närrischen Bocksprung ausführte. – Plötzlich blieb ich stehen, man hielt mich für müde, aber als man den Knaben heruntergehoben, sprang ich hoch auf und legte mich dann schmeichelnd zu des braunlockigen Mädchens Füßen – »Wahrhaftig,« sprach schmunzelnd die dicke Köchin, »wahrhaftig, Fräulein Cäcilia! es ist, als wollte der Hund Sie zum Aufsitzen nötigen.« Da fiel der Chor der Bedienten, der Zofen, der Mägde ein: »Ja, Ja! – ei, der kluge Hund! – der kluge Hund!« Eine leise Röte überflog Cäciliens Wangen, in dem blauen Auge brannte die Begier nach der kindischen Lust – soll ich – soll ich nicht, schien sie zu fragen, indem sie, den Finger an den Mund gelegt, mich freundlich anblickte. – Bald saß sie auf meinem Rücken; nun ging ich, stolz auf meine holde Last, den Paßgang des Zelters, der die Königin zum Turnier trägt, und indem vorwärts, rückwärts, seitwärts sich der gesammelte Troß anreihte, ging es wie ein Triumphaufzug den langen Flur hinauf, hinab! – Plötzlich trat eine große stattliche Frau von mittleren Jahren aus der Tür des Vorzimmers und sprach, indem sie meine schöne Reiterin scharf fixierte: »Seht mir die tollen Kinderpossen!« Cäcilia verließ meinen Rücken und wußte so kindlich bittend mein unvermutetes Einfinden, mein gutes Temperament, mein neckisches Wesen darzustellen, daß endlich die Mutter zum Hausknecht sagte: »Gebt dem Hunde zu fressen, und wenn er sich an das Haus gewöhnt, so mag er hierbleiben und des nachts Wache halten.« ...
... Der Ausspruch der gnädigen Dame war ein Donnerschlag in meinen Ohren, und hätte ich nicht in dem Augenblick auf meine höfischen Künste gerechnet, ich wäre auf und davon gelaufen. Ich würde dich nur ermüden, wenn ich dir alle Mittel weitläufig herzählen sollte, wie ich mich aus dem Stall in den Hausflur hinauf und endlich in die Prunkzimmer der Dame hineinschmeichelte. – Nur soviel davon! – Die Kavalkaden des kleinen Knaben, welcher der Mutter Liebling zu sein schien, retteten mich zuerst aus dem Stall, und die Zuneigung des holden Mädchens, der ich gleich mit ganzer Seele ergeben, als ich sie zum ersten Male sah, brachte mich endlich in die Zimmer. Das Mädchen sang so vortrefflich, daß ich es wohl merkte, wie der Kapellmeister Johannes Kreisler nur sie gemeint hatte, wenn er von der geheimnisvollen zauberischen Wirkung des Tons der Sängerin sprach, deren Gesang in seinen Werken lebe oder sie vielmehr dichte. – Sie hatte nach der Art der guten Sängerinnen in Italien die Gewohnheit, jeden Morgen eine gute Stunde lang zu solfeggieren; ich schlich mich dann bei guter Gelegenheit zu ihr in den Saal, wo der Flügel stand und horchte ihr aufmerksam zu. Hatte sie geendigt, so gab ich ihr meinen Beifall durch allerlei lustige Sprünge zu erkennen, wofür sie mich mit einem guten Frühstück belohnte, das ich auf die anständigste Weise, ohne den Fußboden zu beschmutzen, verzehrte. So kam es denn, daß man endlich im ganzen Hause von meiner Artigkeit und von meiner besonderen Neigung zur Musik sprach, und Cäcilie besonders nächst diesen guten Eigenschaften meine Galanterie gegen ihr Seidenhäschen rühmte, das mich ungestraft bei den Ohren zupfte usw. Die Dame vom Hause erklärte mich für einen scharmanten Hund, und ich wurde, nachdem ich einem literarischen Tee und einem Konzert mit der gehörigen Würde und einem nachahmenswerten Anstande beigewohnt, der Kammerklub, dem mein romanesker Eintritt ins Haus erzählt worden, mich auch mit dem einstimmigsten Beifall beehrt hatte, zum Leibhunde Cäciliens erhoben, und so war das Ziel, wonach ich gestrebt, richtig erlangt ...
... Bei jeder angenehmen körperlichen Empfindung kommen mir auch im Geiste die lieblichsten Bilder vor, und eben jetzt sah ich die holde Cäcilia, wie sie einmal in dem einfachen weißen Kleide, das dunkle Haar in glänzenden Zöpfen gar zierlich zusammengeflochten, aus der Gesellschaft weinend in ihr Zimmer trat. Ich ging ihr entgegen und kroch, wie ich zu tun pflegte, mich zusammenkauernd, zu ihren Füßen. Da faßte sie mich mit beiden Händen beim Kopfe, und indem sie mit ihrem hellen Auge, in dem noch eine Träne glänzte, mich anblickte, sagte sie: »Ach! – Ach! sie verstehen mich nicht! – Keiner, die Mutter auch nicht. – Darf ich denn mit dir reden, du treuer Hund! wie ich es meine tief im Herzen? Ach, ich kann es ja doch nicht aussprechen, und könnt' ich es, du würdest mir nicht antworten, mir aber auch nicht wehe tun.«
... Ich wollte dir nur sagen, daß meine Dame alles, was sich von irgend bedeutenden Künstlern und Gelehrten am Orte befand, in ihr Haus zu ziehen gewußt, und zusammentretend mit den gebildetsten Familien, so einen literarisch-poetisch-künstlerischen Zirkel gebildet hatte, an dessen Spitze sie stand. Ihr Haus war in gewisser Art eine literarisch-künstlerische Börse, wo mit Kunsturteilen, mit Werken selbst, mitunter auch mit Künstlernamen allerlei Geschäfte gemacht wurden. Meine Dame hatte die eigene Manier, alle Künste selbst treiben zu wollen. Sie spielte, wie schon gesagt, ja sie komponierte sogar, sie malte, sie stickte, sie formte in Gips und Ton, sie dichtete, sie deklamierte, und dann mußte der Zirkel ihre abscheulichen Kantaten anhören und ihre gemalten, gestickten, geformten Zerrbilder anstaunen ... In dem Zirkel meiner Dame waren bisweilen sehr obligat: der Musiker, der Cäcilien unterrichtete, ein Professor der Philosophie und ein unentschiedener Charakter ... und da ich nun gerade der drei gedenke, kann ich nicht umhin, ein Gespräch unter ihnen auszuführen, das ich belauschte.
Der Musiker sah die ganze Welt in dem Widerschein seiner Kunst, er schien schwachen Verstandes, weil er jede flüchtige Äußerung des Wohlgefallens an derselben für bare Münze nahm und die Kunst sowie den Künstler überall hochgeehrt glaubte. Der Philosoph, in dessen jesuitisch-faunischem Gesicht sich der wahre Hohn über das gewöhnliche menschliche Tun und Treiben spiegelte, trauete dagegen keinem und glaubte an den Ungeschmack und an die Roheit wie an die Erbsünde. Er stand mit dem unentschiedenen Charakter einmal im Nebenzimmer am Fenster, als der Musiker, der wieder einmal in den höheren Regionen schwebte, zu ihnen trat. – »Ha!« rief er aus ... Es ist doch eine herrliche Frau, mit ihrem tiefen Sinn für die Kunst, mit ihrer vielseitigen Ausbildung.
Der unentschiedene Charakter: Ja, das muß man sagen, Madame ist ganz außerordentlich für die Kunst portiert.
Der Professor der Phil. So? – So? Glaubt ihr denn das wirklich, ihr Leute? – Und ich sage: nein! – Ich behaupte das Gegenteil!
Der unentschiedene Charakter. Nun freilich, so mit dem Enthusiasmus, wie unser musikalischer Freund da denkt, möchte es doch wohl –
Der Professor der Phil. Ich sage euch, da der schwarze Hund unter dem Ofen, der so verständig dreinschaut, als hörte er unserm Gespräch recht aufmerksam zu, schätzt und liebt die Kunst mehr, als die Frau, der es Gott verzeihen möge, daß sie sich etwas aneignet, das ihr gar fremd ist. Ihre eiskalte Brust wird nie erwärmt, und wenn anderer Menschen Herz beim Hinausschauen in die Natur, in das All der Schöpfung, überströmt von heiligem Entzücken, da fragt sie, wieviel Grad Hitze wir haben nach Reaumur, und ob es wohl noch regnen wird. So kann auch die Kunst, diese Mittlerin zwischen uns und dem ewigen All, das wir nur durch sie recht deutlich ahnen, nie in ihr einen höheren Gedanken entflammen. Sie, mit allen ihren Kunstübungen, mit ihren Floskeln und Phrasen, sie lebt im Gemeinen! – Sie ist prosaisch – prosaisch – infam prosaisch! –
Die letzten Worte hatte der Philosoph, mit den Händen stark um sich fechtend, so laut herausgeschrien, daß im Gesellschaftssaal beinahe alles in Aufruhr geriet, um den Prosaismus, der wie ein tückischer Feind still und hinterlistig herangeschlichen schien, und den nun des Professors Feldgeschrei verraten hatte, mit vereinter Macht zu bekämpfen. Der Musiker war ganz verblüfft stehengeblieben, der unentschiedene Charakter nahm ihn aber beiseite und sagte freundlich schmunzelnd ihm leise ins Ohr:
»Freundchen, was halten Sie von des Professors Worten? – Wissen Sie denn, warum er so gräßlich eifert, warum er so mit Eiskälte – Prosaismus um sich wirft? – Sie gestehen, Madame ist für ihre Jahre noch ziemlich frisch und jugendlich. – Nun da hat – lachen Sie, lachen Sie! da hat der Professor ihr unter vier Augen durchaus gewisse philosophische Sätze erklären wollen, die ihr zu schwierig waren. Sie schlug den besonderen philosophischen Kursus, den der Herr Professor mit ihr machen wollte, überhaupt gänzlich aus, und das hat er denn nun sehr übelgenommen und schimpft und schmält.«
»Sehen Sie mir das Bocksgesicht! nun bin ich wieder fest in meiner Meinung!« sagte der Musiker, und beide mischten sich unter die Gesellschaft. ... In dem Zirkel meiner Dame befand sich ein junger Mann, den sie mit dem Namen: Dichter! beehrten ... Er war, wie die Dichter insgemein sind, und wie man es beinahe von ihnen fordert, sehr verliebter Natur und verehrte von weitem mit Inbrunst und Andacht Cäcilien wie eine Heilige ... Ebenso wie der Dichter ließ es sich auch der Musiker, der übrigens viel älter war, angelegen sein, ihr ganz im Geist der Chevalerie den Hof zu machen, und es entstand oft zwischen beiden ein komischer Wettstreit, in dem sie sich in tausend kleinen Aufmerksamkeiten und Galanterien überboten. Cäcilie zeichnete beide, die, im hohen Grade ausgebildet, all die musikalischen, deklamatorischen und mimischen Spielereien der Dame nur um ihretwillen duldeten und nur für sie in dem Zirkel lebten, merklich vor all den übrigen jungen Laffen und Gecken, die sie umschwärmten, aus und belohnte ihre ganz absichtslose Galanterie mit einer heiteren kindlichen Offenheit, die das Entzücken steigerte, womit sie das Mädchen im Gemüte trugen ...
... Zuweilen wurden nun auch nach der dir bekannten Methode ganze Gruppen dargestellt; Cäcilie ließ sich indessen nie dazu bereden, daran Anteil zu nehmen. Endlich aber, als die Mutter sehr in sie drang, und als der Dichter und der Musiker sich in stürmischen Bitten vereinigten, ließ sie es sich doch gefallen, in der nächsten mimischen Akademie, wie meine Dame ihre Übungen vornehm nannte, die Heilige, deren Namen sie bedeutungsvoll trug, darzustellen. – Kaum war das Wort gegeben, als die Freunde m rastloser Tätigkeit sich beeiferten, alles herbeizuschaffen und anzuordnen, was zur würdigen und effektvollen Darstellung der Heiligen durch die holde Geliebte nötig war. Der Dichter wußte eine sehr gute Kopie der heiligen Cäcilie von Carlo Dolce, die sich bekanntlich in der Dresdener Galerie befindet, aufzutreiben, und da er zugleich ein geschickter Zeichner war, zeichnete er dem Theaterzeichner des Ortes so genau jeden Teil der Gewänder vor, daß dieser imstande war, aus schicklichen Stoffen Cäciliens Draperie ganz herzustellen; auch der Musiker tat geheimnisvoll und sprach von dem Effekt, den man ihm allein verdanken werde. Cäcilie, als sie das emsige Bemühen der Freunde sah, als beide mehr als je sich beeiferten, ihr tausend angenehme Dinge zu sagen, fand immer mehr Interesse an der Rolle, die sie erst hartnäckig verschmäht hatte, und konnte kaum den Tag der Darstellung erwarten, der nun endlich herankam ...
... Man hatte diesmal einen Vorhang quer durch den Saal gezogen und die Beleuchtung zwar oben, aber nicht wie sonst aus der Mitte strömend und die Gegenstände von allen Seiten so wie durchsichtig beleuchtend, sondern auf der einen Seite angebracht. Als der Vorhang sich wegschob, saß ganz wie auf Dolce's Gemälde, in seltsame Gewänder malerisch gekleidet, die heilige Cäcilie vor der kleinen altertümlichen Orgel, und mit gesenktem Haupte tiefsinnig in die Tasten schauend, schien sie die Töne körperlich zu suchen, die geistig sie umschwebten. So glich sie ganz dem Gemälde Carlo Dolces. – Nun erklang ein ferner Akkord lang ausgehalten und in die Lüfte verschwebend. – Cäcilie erhob leise den Kopf. – Nun hörte man aus höchster Ferne einen Choral weiblicher Stimmen, ein Werk des Musikers. Die einfachen und doch in wunderbarer Folge fremd und wie aus einer andern Welt herabgekommenen klingenden Akkorde dieses Chors von Cherubim und Seraphim erinnerten mich lebhaft an manche Kirchenmusik, die ich vor zweihundert Jahren in Spanien und in Italien gehört, und ich fühlte denselben heiligen Schauer mich durchbeben, wie damals. Cäciliens gen Himmel gerichtete Augen erglänzten in heiliger Verzückung, und unwillkürlich sank der Philosoph mit emporgehobenen Händen auf die Knie, indem er tief aus dem Innersten heraus rief: »Sancta Cäcilia, ora pro nobis.« Viele aus dem Zirkel folgten in wahrhafter Begeisterung seinem Beispiel, und als der Vorhang zurauschte, war alles, selbst manches junge Mädchen nicht ausgenommen, in stille Andacht versunken, bis eine laute allgemeine Bewunderung dem Zwange des inneren Gefühls Luft machte. Der Dichter und der Musiker gebärdeten sich wie närrisch, indem sie sich einmal über das andere umarmten und dabei heiße Tränen vergossen ...
... Die Zirkel (waren) auf einige Zeit gestört, bis der Sohn eines Hausfreundes von der Akademie zurückkam und eine Anstellung erhielt, da wurde das Haus meiner Dame wieder lebendiger ... Kurz und gut, Cäcilia wurde an Monsieur George (so nannte ihn der schwindsüchtige Papa, dessen Bild mit Wasser in Wasser gemalt noch kräftig werden würde) verheiratet, und die Hochzeitsnacht führte die unglückliche Katastrophe herbei, welche mich herbrachte ...
... Madame hatte seine Ankunft mit vielem Pomp verkündigt, und das war nötig, um ihn vor dem lauten Spott zu sichern, den sonst sein linkisches Betragen, seine bis zum Ekel wiederholten Erzählungen nichtsbedeutender Dinge hervorgebracht haben würden. – Er hatte sichtlich früh an dem Übel gelitten, das den armen Campuzano in das Hospital der Auferstehung brachte; das sowie vielleicht noch andere Jugendsünden, mochte auf seinen Verstand gewirkt haben. Seine ganze Fantasie drehte sich um die Begebenheiten seiner akademischen Jahre, und zur Würze dienten ihm, war er unter Männern, die niedrigsten Zoten, wie ich sie kaum in den Wachstuben und gemeinen Schenken gehört habe, welche er mit sichtlichem Behagen und großer Freude nicht aufhören konnte zu erzählen. Waren Damen zugegen, so rief er diesen oder jenen in die Ecke des Zimmers und machte durch ein schallendes Gelächter bei dem Schlusse der Erzählung der Gesellschaft bemerkbar, daß das wieder ein ganz verfluchter Spaß gewesen sei. Du kannst denken, lieber Freund, daß dieser unsaubre Geist unter den Höhergesinnten des Zirkels einigen Abscheu und Ekel erregen mußte ... George näherte sich Cäcilien im Einverständnisse mit der Mutter. Er wußte durch anscheinend unbedeutende, aber mit der Erfahrung des abgefeimten Lüstlings wohlberechnete Liebkosungen ihre Sinnlichkeit zu reizen; er wußte durch manche leichtverhüllte Zote ihre Neugierde auf gewisse Geheimnisse zu leiten, die nun sie mit magischer Kraft umfingen, und begierig zog die unbefangene kindliche Seele, einmal in den verderblichen Kreis hineingelockt, den giftigen Dunst ein, von dem betäubt, sie sich als Opfer der unglückseligsten Konvenienz hingeben sollte ... Madames zerrüttete Vermögensumstände machten die Verbindung mit dem reichen Hause wünschenswert, und all' die hohen Kunstaussichten und Ansichten, von denen man in so vielen wohlgestellten Floskeln und Phrasen gesprochen, gingen darüber zum Teufel! –
... Cäcilia hatte noch nie geliebt, jetzt nahm sie die gereizte Sinnlichkeit für jenes hohe Gefühl selbst, und konnte das siedende Blut jenen göttlichen Funken, der sonst in ihrer Brust brannte, auch nicht verlöschen, so glimmte er doch nur mühsam fort und konnte nicht mehr zur reinen Flamme auflodern. – Kurz, die Heirat wurde vollzogen ...
... Du kannst denken, wie ich den George haßte. Er durfte in meiner Gegenwart seine ekelhaften Liebkosungen nur bis zu einem gewissen Grade steigern, gewisse ihm ganz eigne Zärtlichkeiten störte ich augenblicklich durch gewaltiges Knurren, und Georges Versuch, mich einmal mit einer Ohrfeige zur Ruhe zu verweisen, bestrafte ich mit einem tüchtigen Biß nach der Wade, die ich ausgerissen hätte, wenn es möglich gewesen wäre, etwas anderes zu fassen als den festen Knochen. Da stieß das Männlein einen Schrei aus, der bis in das dritte Zimmer nachgellte, und schwur mir den Tod. Cäcilie behielt mich dessenungeachtet lieb; sie bat für mich, aber mich mitzunehmen, so wie sie es im Sinne hatte, daran war nicht zu denken, alles war dagegen, weil ich nach des Bräutigams Wade geschnappt, wiewohl der unentschiedene Charakter, der noch zuweilen ins Haus kam, keck behauptete, Georgs Wade sei eine Negation, ein Nonsens, die Sünde dagegen daher unmöglich, in nichts könne man nicht hineinbeißen usw. Ich sollte bei Madame bleiben. Welch ein trauriges Verhängnis! Am Hochzeitstage spät abends machte ich mich heimlich davon; als ich aber bei Georgs hell erleuchtetem Hause vorüberkam und die Haustür weit geöffnet sah, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, von Cäcilien, koste es was es wolle, noch einmal ganz nach meiner alten Art Abschied zu nehmen. Ich schlich mich daher mit den hineinströmenden Gästen die Treppe hinaus, und mein Glücksstern ließ mich die freundliche Lisette, Cäciliens Kammermädchen, finden, die mich in ihr Stübchen lockte, wo mir bald ein stattliches Stück Braten entgegendampfte. Ich fraß im Zorn und Grimm, und um mich zu der mir wahrscheinlich bevorstehenden weiten Reise recht zu stärken, alles hinein, was sie mir gegeben, und schlich dann in den erleuchteten Korridor. In dem Gedränge der auf- und abtreibenden Bedienten, der Zuschauer, die sich eingefunden, bemerkte mich niemand. Ich schnupperte und spürte bedächtig umher, und mein feines Organ verriet mir Cäciliens Nähe; eine halbgeöffnete Tür erlaubte mir den Eingang, und eben in dem Augenblick kam Cäcilia im prächtigen Brautputz mit einem Paar Freundinnen aus dem Nebenzimmer. Unklug wäre es gewesen, sich jetzt schon zu zeigen, ich drückte mich daher in die Ecke und ließ sie vorüber. Kaum war ich allein, als ein süßer Duft, der aus dem Nebenzimmer strömte, mich hinanlockte. Ich schlüpfte hinein und befand mich in dem herrlich geputzten duftenden Brautgemach. Eine Alabasterlampe warf ihr mildes Licht auf die Gegenstände umher, und ich erblickte Cäciliens zierliche, mit Spitzen reich besetzten Nachtkleider, die auf dem Sofa ausgebreitet lagen. Nicht umhin konnte ich, sie mit Wohlgefallen zu beschnüffeln; indem hörte ich hastige Schritte in dem Nebenzimmer und eilte, mich in einem Winkel neben dem Brautbett zu verstecken. Cäcilia trat erhitzt hinein, Lisette folgte ihr, und in wenigen Minuten war das reiche Gewand mit dem einfachen Nachtkleide vertauscht. – Wie schön sie war! – Ich kroch leise winselnd hervor! – »Was, du da? mein treuer Hund«, rief sie, und meine plötzliche Erscheinung in dieser Stunde schien auf eine ganz eigne gespenstische Weise sie anzuregen, denn eine plötzliche Blässe überflog ihr Gesicht, und die Hand nach mir ausstreckend, schien sie sich überzeugen zu wollen, ob ich denn wirklich da oder ob ich nur ein Phantom sei. Seltsame Ahnungen mußten sie durchdringen, denn Tränen stürzten ihr aus den Augen, und sie sagte: »Geh! geh! treuer Hund, nun muß ich alles verlassen, was mir bisher lieb war, weil ich ihn habe, ach, sie sagen ja, er wird mir alles ersetzen; er ist auch wirklich ein recht guter Mann, er meint es gut, wenn auch bisweilen – doch ich versteh' es ja nicht – nun geh, geh!« – Lisette öffnete die Tür, ich kroch aber unter das Bett, Lisette sagte nichts, und Cäcilia hatte es nicht bemerkt. – Sie war allein und mußte bald dem ungeduldigen Bräutigam die Tür öffnen; er schien berauscht, denn er ergoß sich in den pöbelhaftesten Zoten und mißhandelte die zarte Braut mit seinen plumpen Liebkosungen. Wie er nun so schamlos mit der nie zu befriedigenden Begier des entnervten Lüstlings die geheimsten Reize des keuschen Mädchens enthüllte, wie sie, dem Opferlamm gleich, still weinend unter seinen rohen Fäusten litt, das machte mich schon toll, – ich murrte unwillkürlich, aber niemand hörte es. – Nun nahm er Cäcilien in seine Arme und wollte sie ins Bett tragen, aber der Wein wirkte immer mehr, und er taumelte mit ihr gegen den Bettpfosten, der sie an den Kopf traf, daß sie aufschrie. Sie riß sich aus seinen Armen und stürzte sich ins Bett. »Liebchen, bin ich besoffen? – sei nicht böse, Liebchen«, stammelte er mit lallender Zunge, indem er seinen Schlafrock herunterriß und ihr nachwollte. Aber im jähen Schreck über die entsetzliche Mißhandlung des elenden Schwächlings, der in der keuschen, engelreinen Braut nur das feile Freudenmädchen sah, schrie sie auf in schneidendem Jammer: »Ich Unglückselige, wer schützt mich vor diesem Menschen!« Da sprang ich wütend hervor aufs Bett, packte mit einem kräftigen Biß den dürren Schenkel des Elenden und riß ihn über den Boden des Zimmers zur Tür, die ich, mich mit voller Gewalt andrängend, aufsprengte, hinaus auf den Flur. Indem ich ihn zerfleischte, daß er blutbedeckt dalag, raste er vor Schmerz, und die fürchterlichen hohlen Töne, die er ausstieß, weckten das ganze Haus. Bald wurde es lebendig – Bediente – Mägde rannten die Treppe herab mit Ofengabeln – Schaufeln – Prügeln bewaffnet, aber mit stummem starren Entsetzen betrachteten sie die Szene, keiner wagte sich mir näher, denn sie hielten mich für toll und fürchteten meinen Verderblichen Biß. Unterdessen stöhnte und ächzte halb ohnmächtig Georg unter meinen Bissen und Tritten, ich konnte nicht von ihm ablassen. Da flogen Prügel, Geschirre nach mir, krachend zersplitterten die Fenster, – Gläser, Teller, noch vom gestrigen Schmause stehengeblieben, stürzten zertrümmert von den Tischen, aber mich traf kein wohlgezielter Wurf. Der lange verhaltene Grimm machte mich mordsüchtig; ich war im Begriff, meinen Feind bei der Kehle zu packen und ihm den Garaus zu machen, da sprang einer mit einem Gewehr aus dem Zimmer, das er sogleich auf mich abdrückte, die Kugel sauste mir dicht bei den Ohren vorbei. Ich ließ den Feind ohnmächtig liegen und setzte die Treppe hinab. Wie das wütende Heer kam mir nun der dicke Haufe nachgetrappelt. – Meine Flucht gab ihnen Mut. – Aufs neue flogen Besen – Prügel – Ziegelsteine mir nach, von denen mich einige hart genug trafen. Nun war es Zeit sich aus dem Staube zu machen; ich stürzte mich auf die Hintertür, sie war zum Glück nur angelehnt, und in dem Augenblick befand ich mich in dem weitläufigen Garten. Schon tobte mir der Haufe nach – der Schuß hatte die Nachbarn geweckt – »ein toller Hund, ein toller Hund!« erscholl es überall; nach mir geworfene Steine sausten durch die Luft, da gelang es mir nach drei vergeblichen Sprüngen endlich, über die Mauer zu setzen, und nun rannte ich unaufhaltsam fort durch das Feld und gönnte mir kaum einen Augenblick Ruhe, bis ich glücklich hier anlangte, wo ich auf eine seltsame Weise mein Unterkommen bei dem Theater fand ...
(Aus »Nachrichten von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza«.)
Bamberg, den 30. November 1812.
... Noch habe ich keine Note aufgeschrieben, die Oper ist aber doch beinahe fertig. –
Ein kleiner Abriß meiner jetzigen Lebensweise, den ich Ihnen bei dieser Gelegenheit gebe, wird Sie vielleicht belustigen – Ich habe die Unart, nicht früh aufstehen zu können – ist es endlich geschehen, so geht der Vormittag beinahe mit den Lehrstunden hin, die ich einigen Damen der hiesigen höhern Welt erteile – dann zwinge ich mich zu einer mir von Breitkopf übertragenen Übersetzung einer französischen Violinschule – endlich bin ich frei und nun eile ich (7 Uhr abends) mit der Undine in der Tasche in ein mir nahegelegenes mit dem Theater verbundenes Kaffeehaus, wo ich in einem einsamen Winkelchen eine Pfeife Tabak rauche, Tee trinke und – komponiere. Um 9 Uhr kommen mehrere Freunde aus dem Theater oder sonst her – wir verzehren ein frugales Abendbrot und trennen uns gewöhnlich um halb 11 Uhr – nun setze ich mich an mein Klavier – die aufgeschlagene Undine vor mir und nun geht erst das rechte begeisterte Komponieren los – So kommt es denn, daß ich, bin ich ganz fertig, sehr rasch und ohne eine Note ändern zu müssen, die ganze Komposition aufschreibe – Dem, seitdem Holbein die Direktion dem Nürnberger Direktor Reuter überlassen, ganz in die vorige Gemeinheit zurückgesunkenen Theater habe ich mich ganz entschlagen und meine dadurch entstandene Muße gefällt mir so wohl, daß ich mich nicht entschließen kann, nach Holbeins Wunsche in Würzburg wieder das mühevolle Geschäft der Leitung des mechanischen und ästhetischen Teils der Aufführung zu übernehmen ...
Mit der behaglichen Schilderung dieses Briefes vergleiche man die Tagebucheintragungen der Tage vorher. Von der Undine wurde jedenfalls damals kaum etwas komponiert.
22. November, Sonntag: V. M. zu Hause – Mittags in der »Rose« gegessen. Madem. Rieser – Schausp. aus Nürnberg – N. M. exaltiert (getrunken) – Abds. Souper in d. »Rose« bis 2½ Uhr – Kunz – Speier – Marcus – ziemlich gemütliche Stimmung.
23. November. Montag: V. M. Rothenhan – N. M. Kunz – Abends Ball – mit Ktch zum letzten mal getanzt – und ihr in ein. exalt. Stimmung noch ein Adio in allerlei Schnörkeln gesagt – bis 2½ Uhr – 24. November. Dienstag: V. M. Rothenhan – N. M. bei Kunz gemalt und dageblieben.
25. November. Mittwoch: V. M. kränklich zu Hause – höchste infamste Geldnot – Kunz nichts hergegeben – infame Stimmung – »Rose« –
26. November. Donnerstag: V. M. Lorbeer – Rothenhan – In der höchsten Not den alten Rock verkauft um nur fressen zu können!! – Zu Hause gearbeitet. Abends »Rose«.
... Wie war meine Brust so beengt, als ich den Konzertsaal betrat. Wie war ich so gebeugt von dem Drucke aller der nichtswürdigen Erbärmlichkeiten, die wie giftiges stechendes Ungeziefer den Menschen und wohl vorzüglich den Künstler in diesem armseligen Leben verfolgen und peinigen, daß er oft dieser ewig prickelnden Qual den gewaltsamen Stoß vorziehen würde, der ihn diesem und jedem andern irdischen Leide auf immer entzieht. – Du verstandest den wehmütigen Blick, den ich auf dich warf, mein treuer Freund! und hundertfältig sei es dir gedankt, daß du meinen Platz am Flügel einnahmst, indem ich mich in dem äußersten Winkel des Saals zu verbergen suchte. Welchen Vorwand hattest du denn gefunden, wie war es dir denn gelungen, daß nicht Beethovens große Sinfonie in C-Moll, sondern nur eine kurze unbedeutende Ouverture irgendeines noch nicht zur Meisterschaft gelangten Komponisten aufgeführt wurde? – Auch dafür sei dir Dank gesagt aus dem Innersten meines Herzens. – Was wäre aus mir geworden, wenn, beinahe erdrückt von all dem irdischen Elend, das rastlos auf mich einstürmte seit kurzer Zeit, nun Beethovens gewaltiger Geist auf mich zugeschritten wäre, und mich wie mit metallnen, glühenden Armen umfaßt und fortgerissen hätte in das Reich des Ungeheuern, des Unermeßlichen, das sich seinen donnernden Tönen erschließt. – Als die Ouverture in allerlei kindischem Jubel mit Pauken und Trompeten geschlossen hatte, entstand eine stille Pause, als erwarte man etwas recht Wichtiges. Das tat mir wohl, ich schloß die Augen, und indem ich in meinem Innern angenehmere Erscheinungen suchte, als die waren, die mich eben umgaben vergaß ich das Konzert und mit ihm natürlicherweise auch seine ganze Einrichtung, die mir bekannt gewesen, da ich an den Flügel sollte ... Nun strahlte wie ein himmlisches Licht die glockenhelle Stimme eines Frauenzimmers aus dem Orchester empor ... Alles war vergessen, und ich horchte nur entzückt auf die Töne, die, wie aus einer andern Welt niedersteigend, mich tröstend umfingen.–
Ebenso einfach wie das Rezitativ ist das Thema der folgenden Arie: Ombra adorata gehalten; aber ebenso seelenvoll, ebenso in das Innerste dringend spricht es den Zustand des Gemüts aus, das von der seligen Hoffnung, in einer höheren besseren Welt bald alles ihm Verheißene erfüllt zu sehen, sich über den irdischen Schmerz hinwegschwingt ...
Aber was soll ich von dir sagen, du herrliche Sängerin! – Mit dem glühenden Enthusiasmus der Italiener rufe ich dir zu: »du von dem Himmel Gesegnete!« Denn wohl ist es der Segen des Himmels, der deinem frommen, innigen Gemüte vergönnt, das im Innersten Empfundene hell und herrlich klingend ertönen zu lassen. – Wie holde Geister haben mich deine Töne umfangen, und jeder sprach: »Richte dein Haupt auf, du Gebeugter! Ziehe mit uns, ziehe mit uns in das ferne Land, wo der Schmerz keine blutende Wunde mehr schlägt, sondern die Brust, wie im höchsten Entzücken mit unnennbarer Sehnsucht erfüllt!« –
Ich werde dich nie mehr hören; aber wenn die Nichtswürdigkeit auf mich zutritt, und mich für ihresgleichen haltend den Kampf des Gemeinen mit mir bestehen, wenn die Albernheit mich betäuben, des Pöbels ekelhafter Hohn mich mit giftigem Stachel verletzen will, dann wird in deinen Tönen mir eine tröstende Geisterstimme zulispeln:
Tranquillo io sono; fra poco teco saro mia vita!
In einer nie gefühlten Begeisterung erhebe ich mich dann mächtigen Fluges über die Schmach des Irdischen; alle Töne, die in der wunden Brust im Blute des Schmerzes erstarrt, leben auf und bewegen und regen sich und sprühen wie funkelnde Salamander blitzend empor; und ich vermag sie zu fassen, zu binden, daß sie wie in einer Feuergarbe zusammenhaltend zum flammenden Bilde werden, das deinen Gesang – dich – verklärt und verherrlicht.
(Aus »Ombra adorata«.)
3. Dezember 1812. Donnerstag: Lorbeer – Rothenhan – Julchens Hochzeitstag con questo maledetto mercante – Mittags-Diner in der »Rose« – sich un poco beschampagnert mit Holst – Abends in der »Rose« geblieben – ma senza exaltatione – die alberne Periode rücksichts Ktch ist ganz vorüber –
18. Dezember. Freitag: V. M. Kunz – Mittag geblieben (getrunken) – Abschiedsvisite bei Julchen pour jamais! – sonderbar gespannte Stimmung – in der »Rose« eingeschlafen – Abends Gröpel –
20. Dezember. Sonntag: ...Um 9 Uhr ist Julchen wirklich abgereist –
21. Dezember. Montag: V. M. Rothenhan – N. M. zum erstenmal im Hospital eine Somnambule gesehen – Zweifel! – Abends »Rose«, sonderbare Stimg. – Ktch – Ktch – Ktch
25. Februar 1813. Donnerstag: Endlich ganz unerwartet aus Königsberg 485 Taler sächsisch bekommen – aller Kummer ein Ende..
27. Februar 1813. Sonnabend: Ganz unerwartet Brief von Leipzig erhalten, worin mir Joseph Seconda die Musik-Direktor-Stelle anbietet. Nichts gearbeitet – den Kopf voll –
4. März 1813. Donnerstag:.. διε εινςιγε Ναχριχτ δασσ Κτχ σχωανγερ –τραφ μιχ ωιε ειν Σχλαγ–
17.März 1813. Mittwoch: Den Brief erhalten, der meine Anstellung bei Seconda richtig macht – Große Freude!
18. März 1813. Donnerstag (Anselmus): D. Brief erhalten, durch den ich erfuhr daß Aurora in Wien gegeben wird. Mittags bei Kunz Kontrakt wegen Literatur.
Am 21. Dezember 1812 hatte Hoffmann in sein Tagebuch eingetragen: »zum erstenmal im Hospital eine Somnambule gesehen.« Das »Hospital« ist die Irrenanstalt zu St. Getreu, der Medizinaldirektor Marcus vorstand. In den Unterhaltungen der Serapionsbrüder führte Hoffmann die übersinnlichen Eindrücke, die er durch den ihm befreundeten Psychiater erhielt, und die bald einen so starken Einfluß auf seine dichterische Produktion ausüben sollten, weiter aus.
Meine Bestimmung führte mich nach B(amberg). – Auch dort wurde viel vom Magnetismus gesprochen, irgendeines praktischen Versuches aber nicht erwähnt. Man behauptete, daß ein merkwürdiger berühmter Arzt, hoch in Jahren wie jener Arzt in der Residenz, der grausamerweise antisomnabulistische Eisen in der Tasche führte, Direktor des dortigen, herrlich eingerichteten Krankenhauses, sich entschieden gegen die magnetische Kur erklärt und den ihm untergeordneten Ärzten geradehin untersagt habe, sie anzuwenden.
Um so mehr mußt ich mich verwundern, als ich nach einiger Zeit vernahm, daß jener Arzt selbst, jedoch ganz insgeheim, den Magnetismus im Krankenhause anwende.
Ich suchte, als ich näher mit dem würdigen Mann bekannt geworden, ihn auf den Magnetismus zu bringen. Er wich mir aus. Endlich, als ich nicht nachließ, von der dunklen Wissenschaft zu sprechen, und mich als ein Sachkundiger bewies, fragte er, wie es mit der Ausübung der magnetischen Kur in der Residenz stehe. Ich nahm gar keinen Anstand, ihm die wunderbare Geschichte mit der somnambulen Dame, die plötzlich aus himmlischer Verzückung zurückkehrte auf irdischen Boden, als sie was weniges gebrannt werden sollte, offen und klar zu erzählen. »Das ist es eben, das ist es eben«, rief er, indem Blitze in seinen Augen leuchteten, und brach schnell das Gespräch ab. Endlich, nachdem ich mehr sein wohlwollendes Vertrauen gewonnen, sprach er sich über den Magnetismus in der Art aus, daß er sich von der Existenz dieser geheimnisvollen Naturkraft und von ihrer wohltätigen Wirkung in gewissen Fällen durch die reinsten Erfahrungen überzeugt, daß er aber das Erwecken jener Naturkraft für das gefährlichste Experiment halte, das es geben, und das nur Ärzten, die in der vollkommensten Ruhe des Geistes über allen leidenschaftlichen Enthusiasmus erhaben, anvertraut werden könne. In keiner Sache sei Selbsttäuschung möglicher, ja leichter, und er halte jeden Versuch schon dann nicht für rein, wenn der Person, die zur magnetischen Kur geeignet, vorher viel von den Wundern des Magnetismus vorgeredet worden und sie Verstand und Bildung genug habe, um zu begreifen, worauf es ankomme. Der Reiz, in einer höhern Geisterwelt zu existieren, sei für poetische oder von Haus aus exaltierte Gemüter zu verlockend, um mit der heißen Sehnsucht nach diesem Zustände nicht unwillkürlich allerlei Einbildungen Raum zu geben. Sehr lustig sei die geträumte Herrschaft des Magnetiseurs über das fremde psychische Prinzip, wenn er sich ganz hingebe den Fantasien überspannter Personen, statt ihnen als Zaum und Zügel den krassesten Prosaismus über den Hals zu werfen, übrigens stelle er gar nicht in Abrede, daß er sich in seinem Krankenhause selbst der magnetischen Kuren bediene. Er glaube aber, daß bei der Art, wenn er sie aus reiner Überzeugung anwenden lasse, durch besonders dazu erwählte Arzte unter seiner strengsten Aufsicht, wohl nie ein Mißbrauch möglich, sondern dagegen nur wohltätige Einwirkung auf die Kranken und Bereicherung der Kenntnis dieses geheimnisvollsten aller Heilmittel zu erwarten sei. Aller Regel entgegen wolle er, wenn ich festes Stillschweigen verspräche, um den Andrang aller Neugierigen zu verhüten, mich einer magnetischen Kur beiwohnen lassen, sollte sich ein Fall derart ereignen.
Der Zufall führte mir bald eine der merkwürdigsten Somnambulen unter die Augen. Die Sache verhielt sich in folgender Art.
Der Arzt des Kreises fand in einem Dorfe ungefähr zwanzig Stunden von B. bei einem armen Bauer ein Mädchen von sechzehn Jahren, über deren Zustand sich die Eltern unter bitteren Tränen beklagten. Nicht gesund, sprachen sie, nicht krank sei ihr Kind zu nennen. Sie fühlte keinen Schmerz, kein Übelfinden, sie säße und tränke, sie schliefe oft ganze Tage lang, und dabei magre sie ob und würde von Tage zu Tage immer matter und kraftloser, so daß an Arbeit seit langer Zeit gar nicht zu denken. Der Arzt überzeugte sich, daß ein tiefes Nervenübel der Grund des Zustandes war, in dem sich das arme Kind befand, und daß die magnetische Kur recht eigentlich indiziert sei. Er erklärte den Eltern, daß die Heilung des Mädchens hier auf dem Dorfe ganz unmöglich, daß sie aber in B. von Grund aus geheilt werden solle, wenn sie sich entschlössen, das Kind dorthin in das Krankenhaus zu schaffen, wo sie auf das beste gepflegt werden und Medizin erhalten solle, ohne daß sie einen Kreuzer dafür bezahlen dürften. Die Eltern taten nach schwerem Kampf, wie ihnen geheißen. Noch ehe die magnetische Kur begonnen, begab ich mich mit meinem ärztlichen Freunde in das Krankenhaus, um die Kranke zu sehen. Ich fand das Mädchen in einem hohen lichten Zimmer, das mit allen Bequemlichkeiten auf das sorgsamste versehen. Sie war für ihren Stand von sehr zartem Gliederbau, und ihr feines Gesicht wäre beinahe schön zu nennen gewesen, hätten es nicht die erloschenen Augen, die Totenbleiche, die farblosen Lippen entstellt. Wohl mochte es sein, daß ihr Übel nachteilig auf ihr Geistesvermögen gewirkt, sie schien von dem beschränktesten Verstande, faßte nur mühsam die an sie gerichteten Fragen und beantwortete sie in dem breiten unverständlichen, abscheulichen Jargon, den die Bauern in der dortigen Gegend sprechen. Zu ihrem Magnetiseur hatte der Direktor einen jungen, kräftigen Eleven der Arzneikunde gewählt, dem die Offenheit und Gutmütigkeit aus allen Zügen leuchtete und von dem er sich überzeugt hatte, daß das Mädchen ihn leiden mochte. Die magnetische Kur begann. Von neugierigen Versuchen, von Kunststücken und dergleichen, war nicht die Rede. Niemand war zugegen außer dem Magnetiseur als der Direktor, der mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, mit sorglicher Beachtung der kleinsten Umstände, die Kur leitete, und ich. Anfänglich schien das Kind wenig empfänglich, doch bald stieg sie schnell von Grad zu Grad, bis sie nach drei Wochen in den Zustand des wirklichen Hellsehens geriet. Erlaßt es mir, all der wunderbaren Erscheinungen zu erwähnen, die sich nun in jeder Krise darboten, es sei genug, euch zu versichern, daß ich hier, wo keine Täuschung möglich, mich im innersten Gemüt von der wirklichen Existenz jenes Zustandes überzeugte, den die Lehrer des Magnetismus als den höchsten Grad des Hellsehens beschreiben. In diesem Zustande ist, wie Kluge sagt, die Verbindung mit dem Magnetiseur so innig, daß der Clairvoyant es nicht bloß augenblicklich weiß, wenn die Gedanken des Magnetiseurs zerstreut und nicht auf des Clairvoyants Zustand gerichtet sind, sondern daß er auch in der Seele des Magnetiseurs dessen Vorstellungen auf das deutlichste zu erkennen vermag. Dagegen tritt der Clairvoyant nun gänzlich unter die Herrschaft des Willens seines Magnetiseurs, durch dessen psychisches Prinzip er nur zu denken, zu sprechen, zu handeln vermag. Ganz in diesem Fall befand sich das somnambule Bauernmädchen. – Ich mag euch nicht mit all dem ermüden, was sich in dieser Hinsicht mit der Kranken und ihrem Magnetiseur begab, nur ein und für mich das schneidendste Beispiel! – Das Kind sprach in jenem Zustand den reinen, gebildeten Dialekt ihres Magnetiseurs und drückte sich in den Antworten, die sie ihm mehrenteils anmutig lächelnd gab, gewählt, gebildet, kurz ganz so aus, wie der Magnetiseur zu sprechen pflegte. Und dabei blühten ihre Wangen, ihre Lippen auf in glühendem Purpur, und die Züge ihres Antlitzes schienen veredelt! –
Ich mußte erstaunen; aber diese gänzliche Willenlosigkeit der Somnambule, dies gänzliche Aufgeben des eignen Ichs, diese trostlose Abhängigkeit von einem Fremden, geistigen Prinzip, ja diese durch das fremde Prinzip allein bedingte Existenz erfüllte mich mit Grausen und Entsetzen. Ja, ich konnte mich des tiefsten, herzzerschneidendsten Mitleids mit der Armen nicht erwehren, und dies Gefühl dauerte fort, als ich den wohltätigsten Einfluß der magnetischen Kur bemerken mußte, als die Kleine, in der vollsten, kräftigsten Gesundheit aufgeblüht, dem Magnetiseur und dem Direktor, ja auch mir dankte für alles Gute, das sie genossen, und dabei ihren Jargon sprach, breiter, unverständlicher als jemals. Der Direktor schien mein Gefühl zu bemerken und es mit mir zu teilen. Verständigt haben wir uns darüber niemals und das wohl aus guten Gründen! – Nie hab' ich seitdem mich entschließen können, Kursen beizuwohnen, was hätte ich weiter für Erfahrungen gemacht nach jenem Beispiel, das bei der vollkommenen Reinheit des Versuchs mich über die wunderbare Kraft des Magnetismus ganz ins klare setzte, zugleich aber an einen Abgrund stellte, in den ich mit tiefem Schauer hinabblickte ...
(Aus den »Unterhaltungen der Serapionsbrüder«, 3. Abschnitt.)
Mit diesem Einblick in das Wesen des tierischen Magnetismus, wie er damals seinen Siegeszug über die zivilisierte Welt antrat und alle bisherigen Vorstellungen der menschlichen Natur über den Haufen zu werfen schien, nahm Hoffmann noch einen starken Eindruck aus seiner Bamberger Zeit mit. Die Bamberger Periode mußte ein Ende nehmen. Auch wenn sich das Verhältnis mit dem Markschen Hause wieder eingerenkt hatte, war die Stadt Hoffmann doch verhaßt geworden. Alle Ereignisse seit Julias Hochzeit waren nur ein Abgesang dieser an Schmerzen und Erschütterungen reichen Epoche. Der Zufall fügte es, daß Hoffmann gerade jetzt eine Musikdirektorstelle bei der Truppe des Theaterdirektors Joseph Seconda angeboten wurde. Seconda spielte abwechselnd in Dresden und Leipzig. Hoffmann sollte also die geliebten Gegenden seiner ersten glücklichen Reise wiedersehen. Auch aus den größten Geldschwierigkeiten wurde er durch eine Summe aus der Königsberger Erbschaft herausgerissen. Die größte Freude stand ihm aber an Julias immer noch heilig gehaltenem Geburtstag, dem 18. März, bevor. Hier erfuhr er, daß seine Oper »Aurora«, deren Text Holbein verfaßt hatte, für Wien angenommen war. Auf diesen Tag verlegte er auch seinen literarischen Vertrag mit Kunz, der sich ihm als Verleger angeboten hatte. Die »Fantasiestücke in Callots Manier«, die zum größten Teil in der folgenden Zeit geschrieben werden sollten, waren die Frucht dieses Vertrages. Nicht nur für die musikalische, sondern auch für die literarische Laufbahn ergaben sich also die glücklichsten Auspizien.
Die politische Lage sah allerdings besorgniserregend aus. Napoleons Armee war vernichtet. Preußen bereitete den Befreiungskrieg vor. Es war noch nicht abzusehen, wo die Wetter des Krieges sich entladen würden. Hoffmann glaubte der Kriegsfurie zu entgehen, wenn er nach Dresden und Leipzig und nicht nach Würzburg ging, wohin ihn Holbein berufen hatte. Er sollte mit seiner Frau gerade mitten in den Krieg hineinkommen.
Am 21. April 1813 reiste das Ehepaar nach dem neuen Bestimmungsort Dresden ab.