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III. Serapionsbruder und Kammergerichtsrat

An Kunz in Bamberg

Berlin, Anfang Oktober 1814
Französische Straße Nr. 28.

Sehr wichtige Gründe haben mich veranlaßt, wieder in den Justizdienst zu treten – vorläufig bin ich im Bureau des Justizministers und zugleich im Kammergericht angestellt, woselbst ich den Freund Hitzig bereits gefunden habe, der seine Buchhandlung verkauft hat (an den Verlagsbuchhändler Dümmler). – Ob ich in Berlin bleiben werde oder nicht, steht noch dahin – ersteres geschieht, wenn sich meine Karriere so wendet, wie ich wünsche und wozu ich Hoffnung habe. –

Gestern hatte ich eines der interessantesten Diners, die ich erlebte. – Ludwig Tieck, Fouqué, Franz Horn, Chamisso, Bernhardi, der Professor Moretto, der Maler Veith, Hitzig und ich, das waren die Personen, die sich bei dem ersten Restaurateur nach der ersten Weise und auf verschiedene Weise restaurierten.

Durch die Fantasiestücke bin ich hier ganz bekannt geworden, und ich kann auch sagen, merkwürdig, denn der Berganza ist ein Fehdehandschuh geworden, der unter die Damen gefahren, wogegen der Magnetiseur ganz nach der Frauen Wunsch geraten. – Nach dem Diner wurde ich gestern bei einem Tee unter dem Namen eines Doktors Schulz aus Rathenow eingeführt, und erst nachdem viel und gut musiziert, sagte Fouqué: der Kapellmeister J. Kr. befindet sich unter uns – und hier ist er! – Das übrige können Sie sich denken!

Daß Iffland tot und begraben ist, wissen Sie längst, der Graf Brühl, ein herrlicher, wahrhaft nach unserer Weise gesinnter Mann, wird Intendant des Theaters, und diesem steht eine große Revolution bevor, an der ich teilnehme, wenigstens mittelbar. –

An Hippel in Marienwerder

Berlin, den 1. November 1814.

Es ist in meinem Leben etwas recht Charakteristisches, daß immer das geschieht, was ich gar nicht erwartete, sei es nun Böses oder Gutes, und daß ich stets das zu tun gezwungen werde, was meinem eigentlichen tieferen Prinzip widerstrebt. – So glaubte ich mich auf immer der Justiz entschlagen zu haben, und Du siehst mich in diesem Augenblick von Akten hoch umwallt – dekretieren – referieren und was weiß ich alles! – Nach Kircheisens Verfügung soll ich bei dem Kammergericht sechs Monate umsonst arbeiten um zu lernen, daß es jetzt Wertstempel gibt usw., indessen muß ich rühmen, daß ohne die mindeste Bemühung von meiner Seite mir dadurch eine merkliche Erleichterung rücksichts meiner kärglichen Subsistenz geschehen, daß ich jetzt Urteilsgebühren erhalten werde. – Erst hier habe ich recht ausführlich erfahren, wie sehr Du, mein einziger teuerster Freund! Dich bemüht hast, mir meinem Wunsche gemäß eine meiner Neigung entsprechende Stelle in irgendeinem Ministerialbureau zu verschaffen, und nicht versichern darf ich es Dir wohl, wie tief im Innern ich Deine wahrhafte Freundschaft und Liebe fühle. – Daß Deine Bemühungen keinen glücklichen Erfolg hatten, daran ist die feindliche materia peccans schuld, die durch mein Leben schleicht, und recht verderblich, schon manche frohe Hoffnung weggezehrt hat. – Mein Mut verläßt mich indessen nicht, bin ich auch wieder hingeraten, wo ich durchaus nicht hingewollt, so muß ich doch gestehen, daß seit der entsetzlichen Zeit – 1806 – 7 – 8 sich meine Lage wirklich gebessert hat. – Ganz in meinem Wesen und Tun recht feindselig vernichten könnte mich aber, wenn man mich wieder in das mir verhaßte Polen nach Posen oder Kalisch schickte, indessen glaube ich wohl, daß man auf meine dringenden Protestationen deshalb Rücksicht nehmen wird. – Mein lebhafter Wunsch ist nun zwar in Berlin zu bleiben, das Schicksal eines Kammergerichtsrat ist indessen wohl nicht beneidenswert. Den p. Kircheisen deshalb angehen mag ich nicht, denn außerdem, daß er es für eine ganz besondere nur durch blitzendes Justiz-Brillantfeuer zu erlangende Auszeichnung hält bei dem Justiz-Garde-Normalbataillon angestellt zu werden, so würde er auch glauben, es sei mir darum zu tun recht fleißig in die Komödie zu gehen usw. Davon, daß dem Freunde der Kunst, ich kann wohl in gerechtem Bezug auf mich sagen, dem Künstler das Leben unter Freunden der Kunst, unter Künstlern, in besonderem Wohlbehagen manches leicht tragen läßt, dem er sonst erliegt, davon hat er wohl keine Idee – daß ich ferner endlich nach wahrem Vagabondieren endlich einmal einen Port finden will, in dem ich nun bleibe, das bedenkt er auch nicht – Genug! – für meine künftige Existenz ist mir in der Tat bange. – Könntest Du mir bei Deinen vielfachen hiesigen Konnektionen, vielleicht einen guten Rat geben, was ich für mein Hierbleiben tun soll und kann, so zeigst Du mir in dem verworrenen Buschwerk, in dem ich jetzt unsicher umhertappe, wenigstens einen Pfad! – Noch in diesem Augenblick nehme ich eine untergeordnetere Stellung als die eines wirklichen Rats ist mit einem auskömmlichen Gehalt mit Freuden an, wiewohl ich bei der Justiz, ohne meinem Ehrgefühl wehe zu tun, nicht herabsteigen könnte. – Genug von diesen Odiosis! –

Die beiden ersten Tage, als ich in B. angekommen, lebte ich in der Tat wie in einem Freudentaumel. – Der herrliche Fouqué kam nämlich gerade von Nennhausen herein und mit ihm lernte ich bei einem Mahl, das Hitzig angeordnet, Tieck, Franz Horn und Chamisso kennen. Denselben Abend hatte ich Gelegenheit herrliche Stimmen vieles aus meiner Undine (die Oper die Fouqué dichtete und ich komponierte) recht brav vortragen zu hören, und wie ging mir das poetische Leben wahrhaft auf, als Fouqué mir versicherte, nur erst in meiner Musik wären die fantastischen Gestalten – Undine – Kühleborn pp. recht lebendig ins Leben getreten. – Wahrscheinlich kommt, sobald nur der Graf Brühl als Intendant angekommen, Undine, jedoch nicht unter meinem Namen, auf das hiesige Theater – wenn ich dann als Oberlandesgerichtsrat nach Kalisch müßte! –

Aus dem Brief Hoffmann-Kreislers an den Baron Fouqué-Wallborn

... Als heute im Theater eine kräftige jugendliche Gestalt in Uniform, das klirrende Schwert an der Seite, recht männlich und ritterlich auf mich zutrat, da ging es so fremd und doch so bekannt durch mein Inneres, und ich wußte selbst nicht, welcher sonderbare Akkordwechsel sich zu regen und immer höher und höher anzuschwellen anfing. Doch der junge Ritter gesellte sich immer mehr und mehr zu mir, und in seinem Auge ging mir eine herrliche Welt, ein ganzes Eldorado süßer wonnevoller Träume auf – der wilde Akkordwechsel zerfloß in zarte Engelsharmonien, die gar wunderbarlich von dem Sein und Leben des Dichters sprachen, und nun wurde mir, da ich, wie Ew. Hoch- und Wohlgeboren versichert sein können, ein tüchtiger Praktikus in der Musik bin, die Tonart, aus der das Ganze ging, gleich klar. Ich meinte nämlich, daß ich in dem jungen Ritter gleich Ew. Hoch- und Wohlgeboren den Baron Wallborn erkannte. – Als ich einige Ausweichungen versuchte, und als meine innere Musik lustig und sich recht kindisch und kindlich freuend in allerlei munteren Melodien, ergötzlichen Murkis und Walzern hervorströmte, da fielen Ew. Hoch- und Wohlgeboren überall in Takt und Tonart so richtig ein, daß ich gar keinen Zweifel hegte, wie Sie mich auch als den Kapellmeister Johannes Kreisler erkannt und sich nicht an den Spuk gekehrt haben werden, den heute abend der Geist Droll nebst einigen seiner Konsorten mit mir trieb. – In solch eigner Lage, wenn ich nämlich in den Kreis irgendeines Spuks geraten, pflegte ich, wie ich wohl weiß, einige besondere Gesichter zu schneiden, auch hatte ich gerade ein Kleid an, das ich einst im höchsten Unmut über ein mißlungenes Trio gekauft, und dessen Farbe in Cis-moll geht, weshalb ich zu einiger Beruhigung der Beschauer einen Kragen aus E-Dur-Farbe darauf setzen lassen, Ew. Hoch- und Wohlgeboren wird das doch wohl nicht irritiert haben. – Zudem hatte man mich auch ja heute abend anders vorgezeichnet; ich hieß nämlich Doktor Schulz aus Rathenow, weil ich nur unter dieser Bezeichnung, dicht am Flügel stehend, den Gesang zweier Schwestern anhören durste – zwei im Wettgesang kämpfende Nachtigallen, aus deren tiefster Brust hell und glänzend die herrlichsten Töne auffunkelten. – Sie scheuten des Kreislers tollen Spleen, aber der Doktor Schulz aus Rathenow war in dem musikalischen Eden, das ihm die Schwestern erschlossen, mild und weich und voll Entzücken, und die Schwestern waren versöhnt mit dem Kreisler, als in ihn sich der Doktor Schulz plötzlich umgestaltete.

 

Das mitgeteilte Briefstück Hoffmann-Kreislers an den Baron Fouqé-Wallborn bezeugt die herzliche Freundschaft, die Hoffmann mit Fouqué und den anderen Mitgliedern des Berliner Freundeskreises vom ersten Tage seines Berliner Daseins an verband. An jenem hier und in den Briefen an Hippel und Kunz erwähnten Tee hatten auf Betreiben Fouqués die beiden Schwestern Marcuse, zwei singende Dilettantinnen, Stellen aus der Undine vorgetragen. Da die Schwestern ängstlich waren und sie Kritik des Komponisten fürchteten, hatte man Hoffmann zuerst als einen Doktor Schulz aus Rathenow eingeführt. Man kann sich das, Erstaunen der Schwestern denken, als sich der unbekannte Gast auf einmal als der durch die Fantasiestücke gerade berühmt gewordene Dichter Hoffmann und Komponist der »Undine« entpuppte.

Baron Wallborn ist eine Gestalt aus der Fouquéschen Novelle »Ixion«. Unter dem Namen Wallborns richtete Fouqué in seiner Zeitschrift »Die Musen« an den »Kapellmeister Kreisler« einen fingierten Brief, den Hoffmann als Kreisler beantwortete. In diesem durch launische Einfälle gewürzten Zusammenleben der Freunde würde gewissermaßen der spätere Serapionsklub vorweggenommen. Aus diesem Freundeskreis hervorgegangen ist auch das folgende Kreislerianum:

Kreislers musikalisch-poetischer Klub

Alle Uhren, selbst die trägsten, hatten schon acht geschlagen, die Lichter waren angezündet, der Flügel stand geöffnet, und des Hauswirts Tochter, die den kleinen Dienst bei dem Kreisler besorgte, hatte schon zweimal ihm verkündet, daß das Teewasser übermäßig koche. Endlich klopfte es an die Tür, und der treue Freund trat mit dem Bedächtigen herein. Ihnen folgten bald der Unzufriedene, der Joviale und der Gleichgültige. Der Klub war beisammen, und Kreisler schickte sich an wie gewöhnlich durch eine symphoniemäßige Fantasie alles in Ton und Takt zu richten, ja wohl sämtliche Klubbisten, die einen gar musikalischen Geist in sich hegten, so viel nötig, aus dem staubigen Kehricht, in dem sie den Tag über herumzutreten genötigt, einige Klafter höher hinauf in reinere Luft zu erheben. Der Bedächtige sah sehr ernsthaft, beinahe tiefsinnig aus und sprach: »Wie übel wurde doch neulich Euer Spiel, lieber Kreisler! durch den stockenden Hammer unterbrochen, habt Ihr denselben reparieren lassen?« – »Ich denke, ja!« erwiderte Kreisler. »Davon müssen wir uns überzeugen«, fuhr der Bedächtige fort, und damit steckte er ausdrücklich das Licht an, welches sich auf dem breiten Schreibeleuchter befand, und forschte, ihn über die Saiten haltend, sehr bedächtig nach dem invaliden Hammer. Da fiel aber die schwere auf dem Leuchter liegende Lichtschere herab, und im grellen Ton aufrauschend sprangen zwölf bis fünfzehn Saiten. Der Bedächtige sagte bloß: »Ei, seht doch!« Kreisler verzog das Gesicht, als wenn man in eine Zitrone beißt. »Teufel, Teufel!« schrie der Unzufriedene, »gerade heute habe ich mich so auf Kreislers Fantasie gefreut – gerade heute! – in meinem ganzen Leben bin ich nicht so auf Musik erpicht gewesen.« »Im Grunde«, fiel der Gleichgültige ein, »liegt so sehr viel nicht daran, ob wir mit Musik anfangen oder nicht.« Der treue Freund meinte: Schade sei es allerdings, daß Kreisler nun nicht spielen könne, allein man müsse dadurch sich nicht außer Fassung bringen lassen. »Spaß werden wir ohnehin genug haben«, sagte der Joviale, nicht ohne eine gewisse Bedeutung in seine Worte zu legen. »Und ich will doch fantasieren,« rief Kreisler, »im Baß ist alles ganz geblieben, und das soll mir genug sein.«

Nun setzte Kreisler sein kleines rotes Mützchen auf, zog seinen chinesischen Schlafrock an und begab sich ans Instrument. Die Klubbisten mußten Platz nehmen auf dem Sofa und auf den Stühlen, und der treue Freund löschte auf Kreislers Geheiß sämtliche Lichter aus, so daß man sich in dicker schwarzer Finsternis befand. Kreisler griff nun pianissimo mit gehobenen Dämpfern im Baß den vollen As-dur-Akkord. Sowie die Töne versäuselten, sprach er:

»Was rauscht denn so wunderbar, so seltsam um mich her? – Unsichtbare Fittiche wehen auf und nieder – ich schwimme im duftigen Äther. – Aber der Duft erglänzt in flammenden, geheimnisvoll verschlungenen Kreisen. Holde Geister sind es, die die goldenen Flügel regen in überschwenglichen herrlichen Klängen und Akkorden.«

As-moll-Akkord (mezzo forte)

»Ach! – sie tragen mich ins Land der ewigen Sehnsucht, aber wie sie mich erfassen, erwacht der Schmerz und will aus der Brust entfliehn, indem er sie gewaltsam zerreißt.«

E-dur-Sexten-Akkord (ancora piu forte)

»Halt dich standhaft, mein Herz! – brich nicht berührt von dem sengenden Strahl, der die Brust durchdrang. – Frisch auf, mein wackrer Geist! – rege und hebe dich empor in dem Element, das dich gebar, das deine Heimat ist!«

E-dur-Terz-Akkord (forte)

» – Sie haben mir eine herrliche Krone gereicht, aber was in den Diamanten so blitzt und funkelt, das sind die tausend Tränen, die ich vergoß, und in dem Golde gleißen die Flammen, die mich verzehrten. – Mut und Macht – Vertrauen und Stärke dem, der zu herrschen berufen ist im Geisterreich!«

A-moll (harpeggiando-dolce)

»Warum fliehst du, holdes Mädchen? Vermagst du es denn, da dich überall unsichtbare Bande festhalten? Du weißt es nicht zu sagen, nicht zu klagen, was sich so in deine Brust gelegt hat wie ein nagender Schmerz und dich doch mit süßer Lust durchbebt? Aber alles wirst du wissen, wenn ich mit dir rede, mit dir kose in der Geistersprache, die ich zu sprechen vermag und die du so wohl verstehst!«

F-dur

»Ha, wie geht das Herz dir auf in Sehnsucht und Liebe, wenn ich dich voll glühendem Entzücken mit Melodien wie mit liebenden Armen umfasse. – Du magst nie mehr weichen von mir, denn jene geheime Ahnungen, die deine Brust beengten, sind erfüllt. Der Ton sprach wie ein tröstendes Orakel aus meinem Innern zu dir!«

B-dur (accentuato)

Welch lustiges Leben in Flur und Wald in holder Frühlingszeit! – Alle Flöten und Schalmeien, die Winters über in staubigen Winkeln wie zum Tode erstarrt lagen, sind wach worden und haben sich auf alle Lieblingsstückchen besonnen, die sie nun lustig trillerieren gleich den Vöglein in den Lüften.«

B-dur mit der kleinen Septime (smanioso)

»Ein lauer West geht wie ein düsteres Geheimnis dumpf klagend durch dem Wald, und wie er vorüberstreift, flüstern die Fichten – die Birken untereinander: Warum ist unser Freund so traurig worden? – Horchst du auf ihn, holde Schäferin?«

Es-dur (forte)

»Zieh ihm nach! – zieh ihm nach! – Grün ist sein Kleid wie der dunkle Wald – süßer Hörnerklang sein sehnendes Wort! – Hörst im es rauschen hinter den Büschen? Hörst du es tönen! – Hörnerton voll Lust und Wehmut! – Er ist's – auf! ihm entgegen!«

D-Terz-Quart Sext-Akkord (piano)

»Das Leben treibt sein neckendes Spiel auf allerlei Weise. – Warum wünschen – warum hoffen – warum verlangen?«

C-dur-Terz-Akkord (fortissimo)

»Aber in toller wilder Lust laßt uns über den offenen Gräbern tanzen. – Laßt uns jauchzen – die da unten hören es nicht. – Heisa – Heisa – Tanz und Jubel, der Teufel zieht ein mit Pauken und Trompeten!«

C-moll-Akkorde ( fortissimo hintereinander fort)

»Kennt ihr ihn nicht? – Kennt ihr ihn nicht? – Seht, er greift mit glühender Kralle nach meinem Herzen! – er maskiert sich in allerlei tolle Fratzen – als Freijäger – Konzertmeister – Wurmdoktor – ricco mercante – er schmeißt mit Lichtscheren in die Saiten, damit ich nur nicht spielen soll! – Kreisler – Kreisler! raffe dich auf! – Siehst du es lauern das bleiche Gespenst mit den rot funkelnden Augen – die krallichten Knochenfäuste aus dem zerrissenen Mantel nach dir ausstreckend? – die Strohkrone auf dem kahlen glatten Schädel schüttelnd! – Es ist der Wahnsinn – Johannes halte dich tapfer. – Toller, toller Lebensspuk, was rüttelst du mich so in deinen Kreisen? Kann ich dir nicht entfliehen? – Kein Stäubchen im Universum, auf das ich, zur Mücke verschrumpft, vor dir, grausiger Quälgeist, mich retten könnte? – Laß ab von mir! – ich will artig sein! ich will glauben, der Teufel sei ein Galanthuomo von den feinsten Sitten! – hony soit qui mal y pense – ich verfluche den Gesang, die Musik – ich lecke dir die Füße wie der trunkene Kaliban – nur erlöse mich von der Qual – hei, Hei, Verruchter, du hast mir alle Blumen zertreten – in schauerlicher Wüste grünt kein Halm mehr – tot – tot – tot – «

Hier knisterte ein kleines Flämmchen auf – der treue Freund hatte schnell ein chemisches Feuerzeug hervorgezogen und zündete beide Lichter an, um so dem Kreisler alles weitere Fantasieren abzuschneiden, denn er wußte wohl, daß Kreisler sich nun gerade auf einem Punkt befand, von dem er sich gewöhnlich in einen düstern Abgrund Hoffnungsloser Klagen stürzte. In dem Augenblick brachte auch die Wirtstochter den dampfenden Tee herein. Kreisler sprang vom Flügel auf. – »Was soll denn das nun alles,« sprach der Unzufriedene, »ein gescheutes Allegro von Haydn ist mir lieber als all der tolle Schnickschnack.« – »Aber nicht ganz übel war es doch«, fiel der Gleichgültige ein. – »Nur zu düster, viel zu düster,« nahm der Joviale das Wort, »es tut not, unser Gespräch heut ins Lustige, Luftige hinauszutreiben« – Die Klubbisten bemühten sich, den Rat des Jovialen zu befolgen, aber wie ein fernes dumpfes Echo tönten Kreislers schauerliche Akkorde – seine entsetzlichen Worte nach und erhielten die gespannte Stimmung, in die Kreisler alle versetzt hatte. Der Unzufriedene, in der Tat höchst unzufrieden mit dem Abend, den, wie er sich ausdrückte, Kreislers törichte Fantasterei verdarb, brach auf mit dem Bedächtigen. Ihnen folgte der Joviale, und nur der reisende Enthusiast und treue Freund (beide sind, wie es hier ausdrücklich bemerkt wird, in einer Person vereinigt) blieb noch bei dem Kreisler zurück. Dieser saß schweigend mit verschränkten Armen auf dem Sofa. »Ich weiß nicht,« sprach der treue Freund, »wie du mir heute vorkommst, Kreisler! – Du bist so aufgeregt und doch ohne allen Humor, gar nicht so wie sonst!« – »Ach Freund!« erwiderte Kreisler, »ein düstrer Wolkenschatten geht über mein Leben hin! – Glaubst du nicht, daß es einer armen unschuldigen Melodie, welche keinen – keinen Platz auf der Erde begehrt, vergönnt sein dürfte, frei und harmlos durch den weiten Himmelsraum zu ziehen? – Ei, ich möchte nur gleich auf meinem chinesischen Schlafrock wie auf einem Mephistophelesmantel hinausfahren durch jenes Fenster dort!« – »Als harmlose Melodie?« fiel der treue Freund lächelnd ein. »Oder als basso ostinato, wenn du lieber willst,« erwiderte Kreisler, »aber fort muß ich bald auf irgendeine Weise.« Es geschah auch bald, wie er gesprochen.

An Hippel in Marienwerder

Berlin, den 12. März 1815.

... Eine zweite Angelegenheit, in der ich mich zutrauensvoll an Dich wende, ist die von mir gehoffte Zahlung meines rückständigen Gehalts, die mir nach der Verfügung der Kommission, die ich Dir abschriftlich beilege, rund abgeschlagen worden ist. – Du kennst meine Verhältnisse. Ich war gezwungen, von Warschau nach Berlin zu gehen und dort 1¼ Jahr in der drückendsten Lage zuzubringen. Auch nicht die mindeste Hoffnung irgendeiner Anstellung war vorhanden, überall fanden die verjagten Offizianten eine unfreundliche Aufnahme, die mich wenigstens empörte. So z. B. sagte der Großkanzler Goldbeck zu mir: Es ist mir unangenehm, Sie hier zu sehen. Sie hätten in Warschau bleiben sollen u. d. m. Dafür also, daß ich ein anderes Talent hatte, das mich nährte, so aber dem Staat in der damaligen Verhängnisvollen Lage nicht zur Last fiel und die Behörden nicht mit Gesuchen quälte, soll ich einer Wohltat verlustig gehen, die der König ohne alle engherzigen Einschränkungen ausgesprochen hat! – Daß ich im Jahre 1810 nicht im Preußischen war, ist irrelevant, da ich früher zurückkehrte und niemals in andern Staatsdiensten war, meine Reise ins Ausland daher einer Urlaubsreise gleichzustellen ist, überhaupt der deutliche Sinn der Kabinettsordre auch mir die ausschließt, die fremde Dienste genommen, und bis zum Jahre 1810 nicht zurückgekehrt waren. Daß es mir übrigens unmöglich war, in Berlin auch durch meine Kunst damals zu subsistiren, daß ich daher notgedrungen fort mußte, darf ich noch versichern ...

Endlich darf ich Dir nicht verschweigen, daß aus dem tiefsten Hintergrunde mir noch ein Stern der Hoffnung entgegenschimmert, der aber auch leicht wieder ganz in dunkler Nacht verschwinden kann – Meine Oper Undine, die der Major Fouqué dem p. Brühl überreicht hat, kommt höchst wahrscheinlich auf das Theater. Der Text ist ganz herrlich, wie Du wohl von Fouqué es glauben kannst, und ich hoffe ein tüchtiges Stück Arbeit gemacht zu haben, welches auf ganz honorable Weise durchgreifen wird. Fouqué hat der Prinzessin Wilhelm, sowie dem Kronprinzen von der Oper erzählt, beide interessieren sich dafür, und so könnte ich vielleicht, gefällt meine Oper, hohe Protektionen gewinnen, und dadurch in eine angenehme Künstlerlage versetzt werden! – Beide hier offene Kapellstellen werden nämlich vor der Hand nicht besetzt –, d. h. Theaterkomponist oder Kapellmeister werden. Daß dies vor der Hand kaum mehr als ein Traum ist, darf ich wohl behaupten, überdem kommt die Undine vor dem Herbst oder Anfang des künftigen Winters kaum auf die Bühne. Dies Interregnum ist daher auf jeden Fall zu überstehen.

In der Verzweiflung habe ich übrigens Diederichs geschrieben, daß wenn ich durchaus fort müßte, ich nach Posen gehen wollte. Du flehst, daß ich nur Raum und Zeit gewinnen, daß ich den Plänen für mein Lebensglück jedes Opfer bringen will, denn von Posen aus könnte ich ja selbst im schlimmsten Fall immer wieder ohne Aufsehen nach Berlin zurückwandern, und ich würde selbst meine Anstellung als Rat im Kollegio nur als ein Interimistikum ansehen. – Von der Kunst kann ich nun einmal nicht mehr lassen, und hätte ich nicht für eine herzliebe Frau zu sorgen, und ihr, nach dem, was sie mit mir ausstand, eine bequeme Lage zu bereiten, so würde ich lieber abermals den musikalischen Schulmeister machen, als mich in der juristischen Walkmühle trillen lassen! – Verzeih' es nur, mein geliebtester Freund, daß ich Dir wieder soviel vorklage! – Mit meinem zerrissenen Leben trage ich recht eigentlich die Schuld meiner wenigen Standhaftigkeit, meines Leichtsinns in früheren Jahren. – Als Knabe – als Jüngling hätte ich mich ganz der Kunst ergeben, und nie an etwas anderes denken sollen. Freilich lag es auch an verkehrter Erziehung. – Nun! – Du weißt ja alles!

So wenig die Juridica anschlagen wollen, so sehr steigt, wider mein Erwarten, mein Ruf in der Literatur, da die Callots gar viel Glück gemacht haben. Ich merke dies an den verschiedenen Anträgen, die mir von Buchhändlern gemacht werden, und denen ich nicht einmal recht genügen kann, da meine Arbeiten, die mit der Ungewohnheit wegen schwerer fallen als ehemals, das nicht zulassen. – Doch habe ich in diesen Tagen zwei Erzählungen für das Frauen- Taschenbuch und für die Urania gemacht. Wenn Du künftigen Herbst die Urania zu Gesicht bekommst, wird Dich meine Erzählung gewiß interessieren, da die Szene nach Danzig verlegt ist. Sie heißt »Der Artushof«. – Matuszewski (ein Mitschüler, der als Maler nach Italien ging) kommt darin vor und eine Kriminalrätin Mathesius aus Marienwerder, die eigentlich die Tochter eines wahnsinnigen Malers ist und früher als poetische Person, Felizitas genannt, auftritt. Das Ganze dreht sich um ein wunderbares Bild im Artushof, welches in der Seele eines jungen Kaufmanns den Funken der Kunst entzündet, so daß er sich von allem losreißt und Maler wird.

... Übrigens fehlt es mir hier nicht an wohlwollenden Bekannten und sehr spaßhaft ist es, daß man hin und wieder den Verfasser der Fantasiestücke pp. zu großen Tees einladet, als sei er eine merkwürdige Person! – Auf diese Weise habe ich aber unter recht interessanten Menschen schon recht angenehme Abende verlebt, welches in Posen wahrscheinlich nicht der Fall sein dürste ...

Auf dem Silvester-Ball

Ich hatte den Tod, den eiskalten Tod im Herzen, ja aus dem Innersten, aus dem Herzen heraus stach es wie mit spitzigen Eiszapfen in die glutdurchströmten Nerven. Wild rannte ich Hut und Mantel vergessend, hinaus in die finstere stürmische Nacht! – Die Turmfahnen knarrten, es war, als rühre die Zeit hörbar ihr ewiges furchtbares Räderwerk und gleich werde das alte Jahr wie ein schweres Gewicht dumpf hinabrollen in den dunklen Abgrund. – Du weißt es ja, daß diese Zeit, Weihnachten und Neujahr, die euch allen in solch heller herrlicher Freudigkeit aufgeht, mich immer aus friedlicher Klause hinauswirft auf ein wogendes tosendes Meer. Weihnachten! das sind Festtage, die mir in freundlichem Schimmer lange entgegenleuchten. Ich kann es nicht erwarten – ich bin besser, kindlicher als das ganze Jahr über, keinen finstern, gehässigen Gedanken nährt die der wahren Himmelsfreude geöffnete Brust; ich bin wieder ein vor Lust jauchzender Knabe. Aus dem bunten vergoldeten Schnitzwerk in den lichten Christbuden lachten mich holde Engelsgesichter an, und durch das lärmende Gewühl auf den Straßen gehen, wie aus weiter Ferne kommend, heilige Orgelklänge: »denn es ist uns ein Kind geboren!« – Aber nach dem Feste ist alles verhallt, erloschen der Schimmer im trüben Dunkel. Immer mehr und mehr Blüten fallen jedes Jahr verwelkt herab, ihr Keim erlosch auf ewig, keine Frühlingssonne entzündet neues Leben in den verdorrten Asten. Das weiß ich recht gut, aber die feindliche Macht rückt mir das, wenn das Jahr sich zu Ende neigt, mit hämischer Schadenfreude unaufhörlich vor. »Siehe,« lispelt's mir in den Ohren, »flehe, wieviel Freuden schieden in diesem Jahr von dir, die nie wiederkehren, aber dafür bist du auch klüger geworden und hältst überhaupt nicht mehr viel auf schnöde Lustigkeit, sondern wirst immer mehr ein ernster Mann – gänzlich ohne Freude.« Für den Silvesterabend spart mir der Teufel jedesmal ein ganz besonderes Frühstück auf. Er weiß im richtigen Moment, recht furchtbar höhnend, mit der scharfen Kralle in die Brust hineinzufahren und weidet sich an dem Herzblut, das ihr entquillt. Hilfe findet er überall, so wie gestern der Justizrat ihm wacker zur Hand ging. Bei dem (dem Justizrat meine ich) gibt es am Silvesterabend immer große Gesellschaft, und dann will er zum lieben Neujahr jedem eine besondere Freude bereiten, wobei er sich so ungeschickt und täppisch anstellt, daß alles Lustige, was er mühsam ersonnen, untergeht in komischem Jammer. – Als ich ins Vorzimmer trat, kam mir der Justizrat schnell entgegen, meinen Eingang ins Heiligtum, aus dem Tee und seines Räucherwerk herausdampfte, hindernd. Er sah überaus wohlgefällig und schlau aus, er lächelte mich ganz seltsam an, sprechend: »Freundchen, Freundchen, etwas Köstliches wartet Ihrer im Zimmer – eine Überraschung sondergleichen am lieben Silvesterabend – erschrecken Sie nur nicht!« – Das fiel mir auf's Herz, düstre Ahnungen stiegen auf, und es war mir ganz beklommen und ängstlich zumute. Die Türen wurden geöffnet, rasch schritt ich vorwärts, ich trat hinein, aus der Mitte der Damen auf dem Sofa strahlte mir ihre Gestalt entgegen. Sie war es – Sie selbst, die ich seit Jahren nicht gesehen, die seligsten Momente des Lebens blitzten in einem mächtigen zündenden Strahl durch mein Inneres – kein tötender Verlust mehr – vernichtet der Gedanke des Scheidens! – Durch welchen wunderbaren Zufall sie hergekommen, welches Ereignis sie in die Gesellschaft des Justizrats, von dem ich gar nicht wußte, daß er sie jemals gekannt, gebracht, an das alles dachte ich nicht – ich hatte sie wieder! – Regungslos, wie von einem Zauberschlag plötzlich getroffen, mag ich dagestanden haben; der Justizrat stieß mich leise an: »Nun, Freundchen – Freundchen?« Mechanisch trat ich weiter, aber nur sie sah ich; und der gepreßten Brust entflohen mühsam die Worte: »Mein Gott – mein Gott, Julie her?« Ich stand dicht am Teetisch, da erst wurde mich Julie gewahr. Sie stand auf und sprach in beinahe fremden Ton: »Es freut mich recht sehr, Sie hier zu sehen – Sie sehen recht wohl aus!« – und damit setzte sie sich wieder und fragte die neben ihr sitzende Dame: »Haben wir künftige Woche interessantes Theater zu erwarten?« – Du nahst dich der herrlichen Blume, die in süßen heimischen Düften dir entgegen leuchtet, aber sowie du dich beugst, ihr liebliches Antlitz recht nahe zu schauen, schießt aus den schimmernden Blättern heraus ein glatter, kalter Basilisk und will dich töten mit feindlichen Blicken! – Das war mir jetzt geschehen. – Täppisch verbeugte ich mich gegen die Damen, und damit dem Giftigen auch noch das Alberne hinzugefügt werde, warf ich, schnell zurücktretend, dem Justizrat, der dicht hinter mir stand, die dampfende Tasse Tee aus der Hand in das zierlich gefaltete Jabot. Man lachte über des Justizrats Unstern und wohl noch mehr über meine Tölpelhaftigkeit. So war alles zu gehöriger Tollheit vorbereitet, aber ich ermannte mich in resignierter Verzweiflung. Julie hatte nicht gelacht, meine irren Blicke trafen sie, und es war, als ginge ein Strahl aus herrlicher Vergangenheit, aus dem Leben voll Liebe und Poesie zu mir herüber. Da fing einer an, im Nebenzimmer auf dem Flügel zu fantasieren, das brachte die ganze Gesellschaft in Bewegung. Es hieß, jener sei ein fremder großer Virtuose, namens Berger, der ganz göttlich spiele und dem man aufmerksam zuhören müsse. »Klappre nicht so gräßlich mit den Teelöffeln Minchen«, rief der Justizrat und lud, mit sanft gebeugter Hand nach der Tür zeigend und einem süßen: Eh bien! die Damen ein, dem Virtuosen näher zu treten. Auch Julie war aufgestanden und schritt langsam nach dem Nebenzimmer. Ihre ganze Gestalt hatte etwas Fremdartiges angenommen, sie schien mir größer, herausgeformter in fast üppiger Schönheit, als sonst. Der besondere Schnitt ihres weißen faltenreichen Kleides, Brust, Schulter und Nacken nur halb verhüllend, mit weiten bauschigen, bis an die Ellbogen reichenden Ärmeln, das vorn an der Stirn gescheitelte, hinten in vielen Flechten sonderbar heraufgenestelte Haar gab ihr etwas Altertümliches, sie war beinahe anzusehen, wie die Jungfrauen auf den Gemälden von Mieris – und doch auch wieder war es mir, als hab' ich irgendwo deutlich mit hellen Augen das Wesen gesehen, in das Julie verwandelt. Sie hatte die Handschuhe herabgezogen, und selbst die künstlichen um die Handgelenke gewundenen Armgehänge fehlten nicht, um durch die völlige Gleichheit der Tracht jene dunkle Erinnerung immer lebendiger und farbiger hervorzurufen. Julie wandte sich, ehe sie in das Nebenzimmer trat, nach mir herum, und es war mir, als sei das engelschöne, jugendlich anmutige Gesicht verzerrt zum höhnenden Spott; etwas Entsetzliches, Grauenvolles regte sich in mir, wie ein alle Nerven durchzuckender Krampf. »0 er spielt himmlisch!« lispelte eine durch süßen Tee begeisterte Demoiselle, und ich weiß selbst nicht, wie es kam, daß ihr Arm in dem meinigen hing und ich sie oder vielmehr sie mich in das Nebenzimmer führte. Berger ließ gerade den wildesten Orkan daher brausen; wie donnernde Meereswellen stiegen und sanken die mächtigen Akkorde, das tat mir wohl! – Da stand Julie neben mir und sprach mit süßerer, lieblicherer Stimme als je: »Ich wollte, du säßest am Flügel und sängest milder von vergangener Luft und Hoffnung!« – Der Feind war von mir gewichen, und in dem einzigen Namen Julie! wollte ich alle Himmelsseligkeit aussprechen, die in mich gekommen. – Andere dazwischentretende Personen hatten sie aber von mir entfernt. – Sie vermied mich nun sichtlich, aber es gelang mir, bald ihr Kleid zu berühren bald dicht bei ihr ihren Hauch einzuatmen, und mir ging in tausend blinkenden Farben die vergangene Frühlingszeit auf. – Berger hatte den Orkan aufbrausen lassen, der Himmel war hell geworden, wie kleine goldne Morgenwölkchen zogen liebliche Melodien daher und verschwebten im Pianissimo. Dem Virtuosen wurde reichlich verdienter Beifall zuteil, die Gesellschaft wogte durcheinander, und so kam es, daß ich unversehens dicht vor Julien stand. Der Geist wurde mächtiger in mir, ich wollte sie festhalten, sie umfassen im wahnsinnigen Schmerz der Liebe, aber das verfluchte Gesicht eines beschäftigten Bedienten drängte sich zwischen uns hinein, der, einen großen Präsentierteller hinhaltend, recht widrig rief: »Befehlen Sie?« – In der Mitte der mit dampfendem Punsch gefüllten Gläser stand ein zierlich geschliffener Pokal desselben Getränkes, wie es schien. Wie der unter die gewöhnlichen Gläser kam, weiß jener am besten, den ich allmählich kennenlernte; er macht, wie der Clemens im Oktavian daherschreitend, mit einem Fuß einen angenehmen Schnörkel und liebt ungemein rote Mäntelchen und rote Federn. Diesen sein geschliffenen und seltsam blinkenden Pokal nahm Julie und bot ihn mir dar, sprechend: »Nimmst du denn noch so gern wie sonst das Glas aus meiner Hand?« – »Julia – Julia«, seufzte ich auf. Den Pokal erfassend, berührte ich ihre zarten Finger, elektrische Feuerstrahlen blitzten durch alle Pulse und Adern – ich trank und trank – es war mir, als knisterten und leckten kleine blaue Flämmchen um Glas und Lippe. Geleert war der Pokal, und ich weiß selbst nicht, wie es kam, daß ich in dem nur von einer Alabasterlampe erleuchteten Kabinett auf der Ottomane saß – Julie – Julie neben mir, kindlich und fromm mich anblickend wie sonst. Berger war aufs neue am Flügel er spielte das Andante aus Mozarts sublimer Esdur-Sinfonie, und auf den Schwanenfittichen des Gesanges regte und erhob sich alle Liebe und Lust meines höchsten Sonnenlebens. – Ja es war Julie – Julie selbst, engelschön und mild – unser Gespräch, sehnsüchtige Liebesklage, mehr Blick als Wort, ihre Hand ruhte in der meinigen. – »Nun lasse ich dich nimmer, deine Liebe ist der Funke, der in mir glüht, höheres Leben in Kunst und Poesie entzündend – ohne dich – ohne deine Liebe alles tot und starr – aber bist du denn nicht auch gekommen, damit du mein bleibest immerdar?« – In dem Augenblick schwankte eine typische, spinnbeinige Figur mit herausstehenden Froschäugen herein und rief, recht widrig kreischend und dämisch lachend: »Wo der Tausend ist denn meine Frau geblieben?« Julie stand auf und sprach mit fremder Stimme: »Wollen wir nicht zur Gesellschaft gehen? mein Mann sucht mich. – Sie waren wieder recht amüsant, mein Lieber, immer noch bei Laune wie vormals, menagieren Sie sich nur mit dem Trinken« – und der spinnbeinichte Kleinmeister griff nach ihrer Hand; sie folgte ihm lachend in den Saal. – »Auf ewig verloren!« schrie ich auf – »Ja, gewiß, Codille, Liebster!« meckerte eine L'Hombre spielende Bestie. Hinaus – hinaus rannte ich in die stürmische Nacht.

(Aus »Die Abenteuer der Silvesternacht«.)

Schon hier, gleich in der ersten Zeit in Berlin, wird das Doppelleben deutlich, das Hoffmann von jetzt zu führen gezwungen ist. Den größten Teil des Tages über ist er Beamter, dann wirft er die Akten beiseite und lebt als Künstler unter Künstlern. Die Verleger beginnen sich um ihn zu reißen, so daß er den glänzenden Anerbietungen nicht mehr zu genügen vermag. Es ist naturgemäß leichtere, für ein größeres Publikum geeignete Unterhaltungsware, die in erster Linie von ihm verlangt wird. Er ist schwach genug, diesen Wünschen der Taschenbuchverleger nachzukommen, und so entstehen jetzt diese vielfachen Erzählungen, die seinen Namen rasch bekannt machen, aber mit der dichterischen Produktion des enthusiastischen »Kapellmeisters Kreislers«, seines ganz der Kunst geweihten Abbildes, kaum noch etwas zu tun haben. Aus »Julias Seelenbräutigam«, wie er noch in den »Kreisleriana« und den »Abenteuern der Silvesternacht« lebt, wird er immer mehr zum heiter-fröhlichen Serapionsbruder. Es sind, außer Chamisso, der jedenfalls ein echter Dichter war, doch sonst nur Geister geringen Grades, unter denen sich Hoffmann nun vorzugsweise aufhält. Sein Hauptfreund für diese Periode seines Lebens ist Hitzig, der sich aus einem Verleger wieder in einen Kriminalrat zurückverwandelt hatte. Mit Fouqué, dessen Arbeiten immer oberflächlicher werden, verbindet ihn noch die Interessengemeinschaft ihrer gemeinsamen Oper »Undine«, deren Aufführung im Berliner Schauspielhaus sich der Verwirklichung näherte. Sonst seien von den Mitgliedern des Serapionsbundes, der übrigens seinen Namen erst später erhielt, noch der liebenswürdige Contessa und Dr. Koreff, Hardenbergs berühmter »Leib- und Seelenarzt«, genannt.

 

An den Baron Fouqué

Berlin, den 29. März 1815.

Am Sonnabend (also einen Tag zu spät) schickte mir Brühl beiliegenden Brief an Sie, Herr Baron, den ich zu öffnen mir die Erlaubnis nahm, weil die Undine ganz und gar just unsere gemeinschaftliche Sache ist und mir jede Erklärung von seiten der Theaterdirektion zu wissen nötig ist. – Jetzt haben wir es schriftlich, daß Undine mit allem nötigen Aufwande und Fleiß im Anfange künftigen Winters gegeben wird. – Etwas komisch kommt es mir vor, daß Brühl mich für einen angehenden Dilettanten zu nehmen scheint und mir vorzüglich die Kenntnis des Effekts nicht zutraut! – Lassen Sie sich, Herr Baron, dadurch nicht anfechten, was er über meine Komposition sagt. Ohne einbildisch zu sein, glaube ich gerade den Ton, die Farbe des Gedichtes getroffen zu haben, und finde nur darin, daß Brühl, als ich bei ihm spielte, immer herausgreifen wollte, wann Undine selbst sich vernehmen ließ, die Ursache, daß es ihm entgangen ist, wie die Partie der Undine höchst einfach und kantabel gehalten ist. – Erinnern Sie sich noch des: Morgen so hell! – Doch habeat sibi! – die Oper wird gegeben, und ich vermute sogar, daß Brühl nach der ersten Probe mit gehörigen Sängern seine Meinung ändern wird. – Gott gebe, daß man uns versteht! – Ich werde suchen Schinkeln für die Sache zu gewinnen, rücksichts des Ordnens der Maschinen usw. Übrigens finde ich so wie Hitzig, daß Brühls Brief viel Worte, aber wenig Ideen, vorzüglich tiefer eingreifende, enthält. – Eben fällt mir ein, daß der neu gekaufte Anzug des Königs von Neapel den Intendanten auch merklich zerstreute und abzog vom Flügel! – Nein! es tut alles nichts! – seine Bereitwilligkeit, das Neue und Ungewöhnliche auf die Bühne zu bringen, macht alles gut und ich kann auch nicht einen Moment auf den Intendanten zürnen, werde vielmehr mich bereit finden lassen, nach der ersten Probe seine gutgemeinten Winke zu benutzen ...


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