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Neuntes Kapitel

Galileo verbrachte eine Woche in diesem gastfreundlichen Hause. Er hatte Zeit genug, um im Meer zu baden, auf dem Gut herumzukutschieren, die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu besichtigen, hauptsächlich aber mit dem Hausherrn zusammenzusitzen. Zur Zeit bewohnte der Marchese das Haus ganz allein. Seine Frau war schon längst gestorben und seine erwachsenen Söhne reisten im Auslande umher. Der Hausherr und sein Gast konnten sich deshalb auch, wenn sie sich in der Bibliothek niederließen, stundenlang über ihre wissenschaftlichen Probleme unterhalten, oder den Feldzugsplan zur Eroberung des Lehrstuhles in Padua entwerfen, – niemand störte sie.

Dem Marchese war die Organisation der Universität zu Padua genauestens bekannt. Auch er hatte Vorlesungen dort besucht, einst in seiner Jugend, und er liebte es, mit einem gewissen Stolz zu behaupten, daß er zu den Studenten des Bo zählte. Er erklärte seinem Gast bis in die kleinsten Einzelheiten, daß diese Universität nicht so sei wie alle anderen. Ein Studio kann es überall auf der Welt geben, das Studio zu Pisa, zu Bologna, zu Siena, wie man eben die Universitäten zu nennen pflegt, aber es gibt nur einen Bo auf der ganzen Welt. Und wenn es schon für einen Studenten das Höchste ist, die Toga des Bo zu tragen und dort zu lernen, dann ist es für einen Gelehrten geradezu eine tausendfache Freude, dort zu unterrichten.

»Die Sache fängt damit an«, erklärte der kleine Weise, »daß der Bo so nahe zur Serenissima liegt …«

»Wer ist das?«

»Nicht wer, sondern was. Wir nennen Venedig »Serenissima«, weil ihr altehrwürdiger Titel lautet › Respublica serenissima‹. Also: es hat schon eine große Bedeutung, daß der Bo so nahe bei der Serenissima liegt; es ist leichter, nach Padua ein Buch kommen zu lassen, als in irgendeine andere Stadt, denn die Verbindung Venedigs mit der äußeren Welt ist unübertrefflich.«

»Verzeihung, aber Florenz ist auch …«

»Mein vortrefflicher Herr, ich will Eure toskanischen Gefühle in keiner Weise verletzen, aber darüber besteht wohl kein Zweifel, daß Venedig mit seinen ihm zu Gebote stehenden Wasserwegen über Möglichkeiten verfügt, wie keine andere italienische Stadt. Und in Venedig selbst ist der Buchdruck außerordentlich hoch entwickelt, die Bücher sind gut und billiger als sonstwo.«

»Auch bei uns in Florenz …«

»Zweifellos, zweifellos. Ich weiß sehr gut, daß Florenz lange Zeit die maßgebende Hauptstadt der Wissenschaft war. Diesen Rang hat es seitdem aber verloren. Und daran war hauptsächlich die Buchdruckerkunst schuld; denn es ist wissenswert zu erfahren, daß zu der Zeit, da man den Buchdruck aus Deutschland nach Italien einführte, nicht Florenz die erste Stadt war, die ein Buch drucken ließ, sondern die kleine Stadt Subiaco. Dort hatten sich diese zwei Deutschen aus Mainz niedergelassen, die die Kunst des Buchdruckes zu uns brachten. Alsbald lockte man sie aber nach Rom in das berühmte Haus der Massimi. Die dritte Stadt, die ein Buch drucken ließ, war wiederum nicht Florenz, wie es eigentlich seinem Range geziemt hätte, sondern Venedig. Erst viel später ließ man in Florenz einen Kommentar zu den Bucolica des Vergil drucken. Das ist überraschend genug; denn gerade zu dieser Zeit war Lorenzo Magnifico Herr von Florenz, dessen Vorliebe für solche Dinge nicht in Abrede gestellt werden kann. Hier aber ließ er doch aus irgendwelchen Gründen Venedig den Vorrang.«

Galileo schwieg und beschloß, seine Heimat nun nicht mehr in Schutz zu nehmen; denn mit den verwirrenden Kenntnissen des alten Edelmannes konnte er den Kampf sowieso nicht aufnehmen. Und der Marchese fuhr fort:

»Die Kultur des Buches ist also in Venedig älter als irgendwo anders. Professor und Schüler können hier leichter zu einem Buche gelangen. Und dann verfügt der Bo über weit mehr Stipendien, als jede andere Universität auf dieser Welt, und eine ganze Reihe von Studierenden der Theologie kann hier auch umsonst lernen. Das Leben in Padua ist billiger als in allen anderen italienischen Städten. Vor allem aber gibt es noch etwas, was dem Bo erst seinen wahren Wert verleiht: die freisinnige Denkart Venedigs. Über die Politik kann man verschiedener Meinung sein und über die Zweckmäßigkeit der einzelnen Staatsformen kann man viel streiten. Es gibt solche, die Machiavellisten sind, und es gibt andere, die schwören auf die Republik. Ich bin nicht so klug, um dazu Stellung nehmen zu können, ich weiß nicht, was von beiden besser ist: die Staatsform der Republik oder ein begabter Tyrann. Aber eines weiß ich, schon zu meiner Zeit war es so und ist seitdem auch so geblieben, daß Serenissima den Studenten des Bo und zugleich auch seinen Professoren völlige Denkfreiheit gewährt. Ein jeder kann vortragen, was er will. Das hat schon sonderbare Dinge gezeitigt. In Venedig herrscht die Zensur; der Buchhändler kann ein Buch nur verlegen, wenn Serenissima es vorher genehmigt hat. In Padua aber kann ein jeder lehren, was er will. Es ist also durchaus möglich, daß ein Paduaner Professor sein Buch zwar in Venedig nicht drucken lassen, denselben Stoff aber vor Tausenden und aber Tausenden von Studenten ungehindert vortragen darf. Die Freiheit der Wissenschaft ist eine sehr, sehr wichtige Sache. Sie ist wie der Sonnenschein, der die Frucht zum Reifen bringt, während sie im Dunkeln zugrunde gehen muß. Und dann dürfen wir auch nicht vergessen, daß der Einfluß der Kirche in Venedig nicht ganz so groß ist wie in anderen Ländern. Und meistens ist es ja die Kirche, die, obwohl aus durchaus achtenswerten Gründen, mit der Starre ihrer Dogmatik einzelne Gebiete der Wissenschaft belastet …«

»Mein Gott«, rief der jugendliche Gast, »wie wahr gesprochen! Wie habe ich deswegen in Pisa gelitten! Als ich die unhaltbaren Lehrsätze des Aristoteles zu widerlegen begann und seine Fehler klarer denn die Sonne zu beweisen vermochte, wandten sich gerade die, die der Kirche angehörten, am heftigsten gegen mich. Das kann ich heute noch nicht begreifen. Aristoteles hat doch nicht zur Kirche gehört. Und trotzdem verteidigten sie ihn mit einem wütenden Eifer, als ob ihn die Kirche heilig gesprochen hätte …«

»Aber das müßt Ihr doch verstehen, mein Herr! Ich will Euch meine Meinung einmal auseinanderlegen. Vorweg möchte ich nehmen, daß ich ein Gläubiger und guter Katholik bin. Die Kirche glaubt aber vielleicht nicht ganz unbegründet, daß es ihre Pflicht sei, über die Seele zu herrschen. Sie befleißigt sich also, genauestens darüber zu wachen, welche Gedanken und Ideen die Wissenschaft in die Seele verpflanzt. In vergangenen Jahrhunderten kannten nur die Mönche die Buchstaben, sonst niemand. Einzig die Geistlichkeit befaßte sich nicht nur mit der Theologie, sondern auch mit jeder anderen Wissenschaft. Die Kirchenväter, die Heiligen unserer Religion, waren große Gelehrte und haben sich auch in die Wissenschaft des Altertums vertieft. Euklid war ihnen ebenso vertraut wie Aristoteles. Dadurch gewannen die Lehren der einstigen Griechen geradezu dogmatische Bedeutung. Aristoteles wuchs sich sozusagen zur Autorität eines Kirchenvaters aus. Wer also den Aristoteles angreift, kann leicht auch gegen die Autorität der Kirche verstoßen. Denkt Ihr denn, mein Herr, daß es dem Papsttum angenehm ist, wenn sich herausstellt, daß ein Lehrsatz vollkommen irrig ist, den die heiligen Väter der Kirche im Verlauf der christlichen Jahrhunderte anerkannten und glaubten? Kann sich die Kirche ohne weiteres damit einverstanden erklären, daß derjenige, den sie als Heiligen verehrt, sich einfach geirrt haben soll?«

»Das sehe ich schon ein, trotzdem steckt hier irgendwo ein Fehler. Es steht doch zweifelsfrei fest, daß die Wissenschaft sich ständig weiterentwickelt und vorwärts schreitet. Ihre Forschungen lehren neue und den bisherigen Lehrsätzen vollkommen entgegengesetzte Wahrheiten. Diese Wahrheiten werden mit der Zeit so offensichtlich, daß man an ihnen einfach nicht mehr zweifeln kann. Warum begibt sich die Kirche in eine solche Gefahr? Warum beeilt sie sich nicht selbst, diese neuen Wahrheiten zu lehren und zu verkünden, damit ihre Frommen um so gefestigter an sie als den heiligen Quell aller Wahrheit glauben?«

»Das müßt Ihr nicht mich, sondern die Kirche fragen. Da ist zum Beispiel der Fall Giordano Bruno. Ist er Euch bekannt?«

»Nein, ich habe noch nichts davon gehört.«

»Dieser Giordano Bruno stammt aus Nola. Er war ein Dominikanermönch, benahm sich aber in Neapel so ungebührlich, daß er den Behörden auffiel. Da flüchtete er aus dem spanischen Neapel in das päpstliche Rom. Aber auch hier fand er keine Ruhe, ein unbegreiflicher, nicht einzudämmender innerer Trieb wütete in ihm und hetzte ihn zu ständigem Disputieren und zum Wandern. Er bereiste fast die ganze Welt; in Genf debattierte er mit den Calvinisten, in London stritt er sich mit den Puritanern, hier zu Hause mit der Kirche. Vor zwei Jahren war er als Dominikanermönch hier in Padua und hielt einige Vorträge. Ich ging auch hin, hörte ihn mir an und machte seine Bekanntschaft. Ein eigenartiger, leidenschaftlicher, hitziger, maßloser Mensch, aber was er spricht, hat Hand und Fuß.«

»Und was spricht er?«

»Er will die ganze Welt vergeistigen. Die Materie verachtet er. Mir erklärte er so etwas, wie daß die ganze Welt als eine gewisse Einheit aufzufassen sei, wie etwa der menschliche Körper. Kurz und gut, dieser Giordano Bruno befaßt sich mit Astronomie. Habt Ihr, mein Herr, schon etwas von Kopernikus gehört?«

»Gehört habe ich schon von ihm, aber noch nichts gelesen.«

»Nun, Giordano Bruno hat ein Buch geschrieben, in dem er auch über die Lehre des Kopernikus spricht. In diesem Buche erklärt er, daß die Fixsterne nicht nur einfache kleine, helle Punkte sind, sondern jeder eine Sonne für sich. Daraufhin hat ihn die Kirche verhaften lassen.«

»Deswegen?«

»Ganz genau weiß man es nicht. Aber man hört immer wieder, daß die Kirche es nicht schätzt, wenn ein Gelehrter das Dasein so vieler Sonnen behauptet. In der Heiligen Schrift ist nur von einer Sonne die Rede. Von der, die der Herrgott auf Josuas Bitten hin stillstehen ließ. Giordano Bruno sitzt jetzt im Gefängnis. Ich hörte, daß ihm die Inquisition den Prozeß macht. Die sachverständigen Theologen beraten sicherlich nunmehr darüber, ob es Ketzerei ist, wenn man lehrt, daß noch mehr Sonnen als die eine vorhanden seien, oder ob das keine Ketzerei ist.«

»Da haben wir es ja«, entgegnete Galilei heftig, »da haben wir es! Darf denn die Kirche überhaupt in eine Frage der Astronomie dreinreden? Und wenn es sich nun später einmal herausstellt, daß eine solche Behauptung doch wahr gewesen ist, nachdem einige Torquemadas sie verdammt hatten und die ganze Kirche einem schändlichen Irrtum verfallen war? Was ist dann?«

Der Marchese schüttelte den Kopf.

»Nicht die Kirche beging einen schändlichen Irrtum, mein verehrter Herr, sondern lediglich einige wenige beschränkte Geistliche. Nicht mit der Kirche hapert es, sondern mit den Theologen, die sich bemüßigt fühlen, auf jedem Sachgebiet ihr Urteil abzugeben. Und das ist eben das Herrliche in Padua: dort kann jeder Fachgelehrte ruhig über sein Fach reden, die Theologen setzen sich ihm dort nicht in den Nacken. In Padua könnt Ihr frei leben und noch dazu in einer reichen, gut ausgestatteten Universität. Welch ein Gebäude, welche Internate! So etwas konnte nur mit dem Geld Venedigs geschaffen werden! Für Euch kommt einzig und allein Padua in Frage. Und angesichts der dortigen Organisation kann jedem Gelehrten nur das Herz im Leibe lachen.«

»Was für eine Organisation?«

»Schon vor zweihundert Jahren etwa hat man den Bo in zwei Fakultäten aufgeteilt, in die Juristen-Fakultät und die Artisten-Fakultät. An jener lehrt man die Rechtswissenschaften, an dieser studieren Philosophen, Ärzte und Theologen. Beide Fakultäten haben ihre Gesetze für sich. Auf beiden Fakultäten bilden die Studenten nationale Gruppen. Zu meiner Zeit hatte die juristische Fakultät dreiundzwanzig Gruppen: Polen, Böhmen, Ungarn, Provenzalen, Burgunder, Genueser, Toskaner, Friauler, Schotten, Venezianer, Dalmatiner, Spanier, und ich weiß nicht, was noch alles. Alle diese Gruppen haben Autonomie. Die Schotten wählen ebenso wie die Ungarn ihren Präsidenten, Anwalt, Bibliothekar und so weiter. Das Professorenkollegium wählt in allen beiden Fakultäten den Rektor, die sogenannten Weisen, die Räte, den Verwaltungsdirektor und die Oberpedellen. Die Standespersonen der Universität unterhalten einen ständigen Verkehr mit den Gruppenführern der verschiedenen Nationen. Für jeden einzelnen Fall gibt es ein Gesetz, die Statuten der Universität regeln alles. Es gibt auch nirgends auf der Welt so ein Studentenleben wie in Padua. In der Umgebung des San Bagio wohnen die meisten Studenten, zu meiner Zeit habe ich auch da gewohnt. Gott, war das ein Leben! Noch heute erinnere ich mich, was für prächtige Schlägereien wir mit den Sbirren ausgefochten haben …«

»Mit wem, Exzellenz?«

»Mit den Sbirren. Mit den Polizeispitzeln von Venedig, die uns ständig nachstellten.«

»Verzeiht, aber das verstehe ich nicht. Warum stellen Euch die Sbirren nach, wenn dort die politische Freiheit so groß ist?«

»Ich habe nicht von politischer Freiheit gesprochen, nur von Lehrfreiheit. Das ist ganz etwas anderes und übrigens in Venedig, zugleich aber auch in dem ganzen Gebiete der Republik eine derartig verwickelte Frage, daß es nur der verstehen kann, der dort lebt. Venedig ist eine Republik, aber die tyrannischste Republik, die man sich nur vorstellen kann. Der Grundsatz des Staates ist, daß alles erlaubt ist, was der Republik zum Vorteile gereicht. Einen der Republik gefährlichen Menschen also durch einen Häscher von hinten niederstechen zu lassen, ist wünschenswert und durchaus anständig. Und wer gefährlich für die Republik ist, das entscheidet der Zehnerrat; diese Zehn aber wählt die Volksversammlung. Mit einem Wort: das Volk beseitigt seine Schädlinge selber. Ihr wart noch nie in Venedig, nicht wahr?«

»Nein, noch nie.«

»Aus ganzem Herzen beneide ich Euch um die Minute, in der Ihr diese Stadt zum ersten Male erblickt. Und um Eure jungen Jahre, die Ihr dort verbringen werdet; denn wer in Padua wohnt, läuft schnell einmal nach Venedig hinüber. Ein Grund dazu ist immer vorhanden: Festbeleuchtung, Serenaden, Bucentoro, Dogenwahl, dieser Feiertag, jener Feiertag … Ihr werdet schon sehen, mein Herr, Euer Leben wird prachtvoll werden.«

»Verzeiht, Exzellenz, aber ich wage gar nicht daran zu denken. Kann ich denn noch Hoffnung haben?«

» Ecco«, nickte der Marchese, »da wären wir also angelangt. Ihr müßt wissen, daß die Universität von Padua Venedig untersteht. Die Republik übt ihre Oberaufsicht durch drei Männer aus. Diese Herren nennen wir Riformatori. Wir wählen sie jeweils auf ein Jahr. Diese drei Herren beschließen über die Besetzung der Lehrstühle. Als vor vier Jahren mein armer Freund Moletti starb, bestimmten die damaligen Riformatori, daß die Republik diesen Lehrstuhl aus Pietät bis auf weiteres unbesetzt lassen solle. Die jetzigen Riformatori dagegen werden beschließen, daß der Pietät nunmehr Genüge geschehen und der Lehrstuhl mit Euch zu besetzen sei und mit keinem anderen Kandidaten.«

Galilei hob erschrocken den Kopf.

»Gibt es denn noch einen zweiten Kandidaten? Wer ist das?«

»Das wißt Ihr nicht? Magini. Dessen Vertrag läuft gerade in Bologna ab, und er käme gern nach Padua.«

Galileo stand erregt auf, vergaß ganz, wo er war, und schlug auf den Tisch. Sogleich bat er aber auch um Verzeihung.

»Zürnt mir nicht, aber ich glaube eine Entschuldigung für meine Aufregung zu haben. Als ich unter den jämmerlichsten und schändlichsten Verhältnissen auf Kosten meiner Eltern lebte, hatte ich die schöne Hoffnung, in Bologna einen Lehrstuhl zu erhalten. Da kam mir dieser Magini zuvor. Nur weil er älter war als ich. Jetzt stehe ich wieder ohne Unterkommen in der Welt da, mit dem Unterschied, daß noch größere Sorgen meine Schultern drücken. Abermals blitzt ein Hoffnungsstrahl vor mir auf, und wieder ist es Magini, der ihn mir stiehlt. Auf mir liegt ein Fluch. Ich bin unter einem schlechten Stern geboren.«

»Setzt Euch nur wieder, mein Herr, und beruhigt Euch. Magini hat gar keinen Namen. Das Unglück ist nicht allzu groß. Natürlich kann alles Mögliche geschehen, wenn wir nicht aufpassen, aber wir werden schon aufpassen. Kehren wir also zu den drei Riformatori zurück. Ich kenne alle drei sehr gut. Der erste ist Herr Michiel. Er ist reich, von Adel, liebt die Wissenschaften, ist ein großer Antiquitäten- und Waffensammler; von Mathematik versteht er nicht viel, ist aber sonst ein kluger Mensch. Sein einziger Fehler ist, daß er ein Magenleiden hat und deswegen ein wenig launisch ist. Es hängt sehr viel davon ab, in welcher Stimmung wir ihn antreffen. Der andere ist Alois Zorzi. Er stammt aus einer angesehenen Patrizierfamilie, ist ein liebenswerter Mensch, ständig guter Laune, immer zum Zechen aufgelegt und sehr klug. Ein guter Mathematiker. Er ist schon ein älterer Mann und hat einen Sohn in Eurem Alter, mein Herr. Der dritte ist Zaccaria Contarini, aus dem berühmten Geschlecht der Contarini. Der ist nun leider ein unzuverlässiger, eitler Mensch, der immer alles besser weiß und nicht aufrichtig ist. Er wird alles versprechen, auf seine Versprechungen kann man aber nicht bauen. Aber man kann ihm doch beikommen. Er hat nämlich einen Verwandten, Giacomo Contarini. Das ist ein sehr interessanter Mann, ein hervorragender Politiker und ebenso hervorragender Geschichtsforscher. Zaccaria kann diesem Verwandten nichts abschlagen und zu ihm haben wir unseren Weg. Damit sind wir bei unserem wichtigsten Mann angelangt, und der ist niemand anderes als Gianvincenzo Pinelli. Habt Ihr seinen Namen noch nie gehört?«

»Nein.«

»Um so mehr werdet Ihr nun von ihm hören. Er ist der angesehenste Mann in Padua, und zwar kraft seiner Bildung und seiner Gelehrtheit, was in einer solchen Universitätsstadt keine Kleinigkeit ist. Er stammt aus Neapel. Er wird bald sechzig sein, man könnte ihn aber nicht älter als fünfundvierzig schätzen. Er stammt aus einer sehr, sehr reichen Familie und es war ursprünglich so geplant, daß er nach Beendigung seiner juristischen Studien irgendeinen glänzenden Staatsposten übernehmen sollte. Mit fünfzehn Jahren ging er nach Padua als Student der Universität und seit dieser Zeit hat er sich von dort nicht weggerührt. Schon daran könnt Ihr erkennen, was für eine Stadt dieses Padua ist. Dort also lebt Pinelli, er hat ein großes Vermögen, auf dem ganzen Gebiete der Republik nennt er die schönste Bibliothek sein eigen, führt ein großes Haus, sein Palast ist Tag und Nacht, wenn man so sagen kann, voll von Gelehrten; und er kennt kein größeres Vergnügen, als sich mit gelehrten Männern zu unterhalten. Er ist ein sehr guter Freund von mir, meine Empfehlung ist für ihn ausschlaggebend. Und das bedeutet sehr viel; denn wenn dieser Mensch sich in den Kopf setzt, jemandem helfen zu wollen, dann saugt er sich an einer Sache fest, wie ein Blutegel. Merkt Euch also wohl, mein Herr, daß Pinelli ein guter Freund jenes Contarini ist, besten Verwandter einer der Riformatori ist und des weiteren eine innige Freundschaft mit dem zweiten Riformatori, mit Michiel, unterhält. Aber Zorzi kann er Euch ebenso empfehlen. Ich bin nun gerade jetzt in der glücklichen Lage, daß ich neulich meinem Freunde Pinelli zwei seltene Bücher zukommen lassen konnte und er mir schrieb, ich könne von ihm verlangen, was ich wolle. Ich habe nur eins von ihm verlangt; er möge sich zu Euch bekennen, mein Herr, mit einer Kraft und Inbrunst, als ob er sich neben mich stellen müßte. Es ist das Beste, Ihr geht gar nicht erst nach Venedig, sondern mit meinem Brief gleich nach Padua zu Pinelli.«

»Ich danke herzlichst …«

»Nichts zu danken, mein Herr. Wir sind aber noch nicht zu Ende. Mein Verwandter, der General, ist einer der Vertrauten des Dogen. Er wird auf meine Bitte hin den Dogen selbst besuchen. Außerdem habe ich die Adressen von achtzehn Herren aufgeschrieben, die zum Teil meine adligen Verwandten, zum Teil meine Freunde sind und sich für die Wissenschaft interessieren. An die wendet Euch getrost wegen der Riformatori, von denen wir schon sprachen. Diese Briefe werdet Ihr, mein Herr, sämtlich erhalten, wenn Ihr zu meinem größten Leidwesen mein bescheidenes Haus wieder verlaßt. Und nun erlaubt, daß ich Euch zu Eurem Zimmer geleite.«

An der Tür folgte wiederum ein zeremonieller Abschied, dann zog sich Galileo zurück. In seinem Zimmer erwartete ihn süßer Wein, Obst und Leckereien. Er naschte von allem wie ein Kind. Er hatte noch keine Lust, sich niederzulegen, obwohl er sich sehr schläfrig fühlte; aber es war so schön, hier zu leben, so herrlich, alles zu genießen, daß es ihm leid tat, das Bewußtsein durch den Traum zu verlieren. Noch lange lauschte er dem Murmeln des Meeres, das zu ihm durch das Fenster drang, dann legte er sich doch nieder. Genießerisch überließ er sich der schmeichelnden Weichheit des vorzüglichen Bettes. Magini fiel ihm noch für einen Augenblick ein, aber er wies diese Gedanken von sich und freute sich im Halbschlaf weiter an diesem königlichen Leben in Pesaro.

Und so ging das jeden Tag. Wenn sie sich nicht gerade über die Vorzüge des Bo unterhielten, dann befaßten sie sich an dem großen Zeichentisch mit mathematischen Fragen.

Nur am letzten Tage gab es einen unangenehmen Zwischenfall. Ein neuer Gast war gekommen, einen Tag früher, als man ihn erwartet hatte. Er hieß Scipione Chiaramonti, ein Liebhaber der Mathematik, wie Galileo selbst, nur um ein Jahr jünger. Er lebte bei seinem Vater, einem Arzte in Cesena und war durch Briefwechsel mit dem Marchese bekannt geworden. Er war ein hoher, schlanker, blonder junger Mann mit auffallendem Adamsapfel, sehr stolz auf seine Wissenschaft und mit einem sehr steifen Benehmen. Daß er in diesem vornehmen Hause einen Kollegen vorfand, behagte ihm sichtlich nicht.

Die beiden jungen Männer konnten sich vom ersten Augenblick an nicht vertragen. Anfangs flogen die Sticheleien hin und her, dann aber waren sie bemüht, sich zu beherrschen. Chiaramonti war am Nachmittag eingetroffen und bis zum Abend ging noch alles ziemlich glatt. Doch beim Abendessen geschah dann das Unglück. Chiaramonti bemerkte lässig, daß er an einem spannenden Werk arbeite, er schriebe an einem Kommentar zu Aristoteles. Galileos Augen leuchteten auf.

»Auch über die Bewegung?« fragte er.

»Sicher. So weit bin ich aber noch nicht.«

»Alsdann gebt nur recht Obacht, wenn Ihr dort angelangt seid, Messer Scipione; denn diese Lehrsätze des Aristoteles sind voller Dummheiten.«

Der Sohn des Arztes aus Cessna hörte auf zu essen und sah Galilei an.

»Verzeihung, ich habe vielleicht nicht recht gehört. Voll von –?«

»Von den größten Dummheiten, mein Herr. Wenn Ihr es so hörtet, hörtet Ihr richtig.«

Chiaramonti schüttelte entsetzt den Kopf.

»Ich habe mir vieles vorstellen können, aber daß ich in diesem heiligen Hain der Wissenschaft ein derartiges Sakrileg einerseits und in diesem vornehmen Hause eine so ungepflegte Äußerung andererseits zu hören bekommen würde, darauf war ich nicht vorbereitet.«

»Mein Freund«, entgegnete Galilei erregt, »Ihr sollt nicht meine unbeherrschte Art tadeln – denn das ist meine Sache – bleibt Ihr nur bei dem wissenschaftlichen Teil der Angelegenheit. Ich mache Euch darauf aufmerksam, daß Aristoteles Behauptungen über Mechanik aufgestellt hat, die ich, wie es auch Seine Exzellenz, der Marchese, sehr gut weiß, widerlegen und als Unsinn entlarven konnte.«

Chiaramonti wandte sich mit einem vertrauten Ton, der die beiden irgendwie gegen den Ankömmling aus Pisa vereinte, an den Hausherrn:

»Mir will es scheinen, Exzellenz, daß der vorzügliche Wein unserem gesprächigen, im übrigen durchaus angenehmen Gaste zu Kopfe gestiegen ist. Aber er wird seinen Rausch schon ausschlafen, der Bedauernswerte.«

Galilei schnellte empor, stieß den Sessel zurück und packte den Hals einer Kristallkaraffe. Einer der Diener war aber sogleich zur Stelle und ergriff seinen Ellenbogen. Er holte tief Atem und sagte:

»Ich bitte um die Erlaubnis, Exzellenz, mich zurückziehen zu dürfen; denn wenn ich hierbleibe, packe ich diesen Burschen noch an der Kehle.«

Er wartete die Antwort gar nicht erst ab und lief in den Garten. Dort ging er mit schnellen Schritten auf und ab, pustend, zornig wie ein Stier, bis oben im Hause das Licht ausging. Dann stieg er hoch und schrieb dem Marchese einen langen Entschuldigungsbrief. Die ganze Angelegenheit tat ihm unendlich leid. Er schalt sich selbst und machte sich Vorwürfe, daß er sich in seiner Unbeherrschtheit soweit vergessen hatte und das Wohlwollen seines größten Gönners aufs Spiel setzte. Als er sich am anderen Morgen ankleidete, fand sich der Marchese mit unveränderter Höflichkeit bei ihm ein.

»Ich habe Euer Schreiben erhalten, mein Herr, und betrachte den ganzen Vorfall als nicht geschehen. Mit Eurer Erlaubnis wollen wir über die Sache nicht mehr sprechen. Ich bin jetzt gekommen, um mich zu verabschieden und die Empfehlungsschreiben aufzusetzen.«

Dann hielt Galilei in Anwesenheit des Hausherrn und der gesamten Dienerschaft seinen Auszug aus dem Schlosse. Er bestieg die auf ihn wartende Kutsche, die ihn bis zum Brückenkopf befördern sollte.

Am Brückenkopf nahm das königliche Leben von Pesaro ein Ende. Er bestieg mit seinen Habseligkeiten einen elenden Leiterwagen, der ihm unter gefährlichem Poltern die Seele aus dem Leibe zu rütteln drohte und in höllischer Hitze der Ungewißheit entgegenfuhr.


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