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Semester hatte zwar, mit den üblichen Feierlichkeiten, am Lukastage begonnen, der neue Professor konnte seine Vorträge aber noch lange nicht beginnen. Als man den Stundenplan zusammengestellt hatte, ergab sich erstens, daß er Sternkunde und Geometrie lesen müsse, wozu er sich aber noch gründlich vorzubereiten hatte; dann schien es auch unmöglich, seine Stunden unter die anderen einzuordnen. Jeder Professor hatte schon seit Jahren seine gewohnte Zeiteinteilung und keiner wollte sie umstoßen lassen. Auch er hätte sich schließlich gesträubt, eine Stunde anzusetzen, in der einer seiner angesehenen Kollegen las, weil er es einerseits nicht schicklich fand, gleich bei seinem ersten Auftreten mit der Beliebtheit anderer zu wetteifern, andererseits sich aber auch dem nicht aussetzen wollte, daß wegen anderer populärer Vorlesungen der Saal leer wäre, wenn er dozierte. Das lange Hin und Her, das dadurch entstand, war ihm sogar ganz angenehm, denn solange er seine eigene Wohnung noch nicht beziehen konnte, war er ein gern gesehener Gast im Hause Pinellis. Dort setzte er sich in die Bibliothek und arbeitete fleißig.
An die zwei Monate waren auf diese Weise vergangen, ehe der neue Professor vor dem Auditorium erscheinen konnte. Den ehrwürdigen Überlieferungen des Bo entsprechend, hatte er in seiner ersten Stunde keinen Vortrag, sondern eine große Rede zu halten, in deren Verlauf er die Bedeutung seiner Wissenschaft umreißen, die Richtlinien seiner Arbeit festlegen und die Säulen seiner Weltanschauung aufrichten mußte.
Der Saal, den Messer Antonio Rosato, der Hauptpedell der Artisten-Fakultät, für ihn ausgewählt hatte, füllte sich bis auf den letzten Platz, was man jedoch nicht als besonderen Ruhm bezeichnen konnte; denn es war der kleinste Saal in der ganzen Universität. Nach dem vorgeschriebenen Zeremoniell begleitete der Rektor mit dem gesamten Professorenkollegium den neuen Professor in den Saal. Neugierig blickte Galilei seine Studenten an; das Gesicht des einen oder des anderen war ihm schon von der Straße oder von der Universität her bekannt. In der nächsten Sekunde erfüllte eine leidenschaftliche Freude sein Herz. Er fühlte sich wie ein Verliebter, der nach der Hochzeit endlich mit seiner Auserwählten allein bleibt. Mit eifernder Liebe hätte er nur zu gerne diese jungen Seelen in den Bänken an sein Herz gedrückt und ausgerufen: ihr gehört mir, endlich habe ich euch bekommen, um euch unterrichten zu können!
Vorerst war es aber noch nicht seine Aufgabe, zu unterrichten, sondern eine Rede zu halten. Seine lange Ansprache in gewählter lateinischer Sprache war schon seit Tagen fertig, er hatte sie oftmals sorgfältig durchgelesen und sich gut vorbereitet. Als der Rektor seine kurze Eröffnungsrede beendet hatte, begann er. Würdig, feierlich, in einem der ernsten Angelegenheit angepaßten Tonfall sprach er die sorgfältig gehämmerten Sätze. Lampenfieber empfand er nicht einen Augenblick lang; das kannte er übrigens auch sonst nicht, denn die Glut seiner Überzeugung versengte alle zwischen ihn und seine Zuhörer sich drängenden Hemmnisse. Zu zweit an einem Tisch sitzend, hätte er sich dieses ciceronischen Pathos geschämt. Und diese Scham beschlich ihn auch jedesmal, wenn sein Blick auf ein Studentengesicht fiel, das sich ihm mit menschlicher Anteilnahme zuwandte. Einige Minuten lang vermochte er noch seiner vorher zurechtgelegten Rede zu folgen, dann bekam er es aber satt und begann frei zu sprechen. Zunächst streute er nur irgendeine geistreiche Bemerkung in seinen Text ein mit der Absicht, bald wieder zu dem ursprünglichen Wortlaut zurückzukehren, aber seine Gedanken griffen so schnell ineinander, daß er kaum imstande war, sie auszusprechen. Alsbald bemerkte er, daß er schon lange keine Rede mehr vortrug, sondern plauderte, als ob er in einem Kreise geistvoller Freunde das Wort führe. Er bekam gute Laune, seine Rede wurde heiter und farbig: wenn ein Scherzwort, ein Witz ihm einfiel, verschwieg er ihn nicht, er erzählte sogar eine Anekdote aus Florenz, die große Heiterkeit erregte. Alles andere kam dann ganz von selbst. Die bereits fertig ausgearbeitete Rede ließ er völlig im Stich und plauderte fröhlich und nach Herzenslust.
Er sprach im allgemeinen von der Herrlichkeit der geistigen Arbeit, von der Freude am Können, und ging dann dazu über, eingehend zu erklären, welch schöne und anziehende Wissenschaft die Geometrie sei.
»Bedenkt doch: ohne Geometrie gäbe es weder eine Architektur noch eine Fabrikindustrie. Es ist schon richtig, daß ihr, wenn euch ein fürchterliches Gebäude oder ein häßliches Glas vor die Augen kommt, ausruft: ›Es wäre besser, wenn es gar nicht geschaffen wäre!‹ Aber denkt nur an den Dogenpalast und denkt nur an eine Glasvase mit Rosenmustern aus Murano. Ohne die Geometrie würden die Schönheiten dieser Welt dem menschlichen Leben fehlen. Ihr müßt wissen, daß die Schiefertafel, auf der ihr eure ersten geometrischen Figuren versucht habt, nichts anderes ist, als der Stein der Weisen selbst. Die Geometrie verleiht euch verzauberte Flügel, mit denen ihr in den unendlichen Himmel fliegen könnt, damit ihr zwischen unendlich vielen glänzenden Planeten und Fixsternen umherblicken könnt wie die Engel selber. Wer die Geometrie versteht, der kann in dieser Welt alles verstehen; wer diese Wissenschaft aber nicht versteht, der möge sein Buch schließen, denn dann kann er von keiner einzigen der anderen Wissenschaften etwas verstehen. Die Geometrie lehrt euch erst, wirklich zu können; denn sie ist die Wissenschaft, die sich von selbst versteht. Wer der Geometrie widerspricht, der widerspricht der offensichtlichen Wahrheit … Und dann hört einmal her, ich will euch ein Geheimnis anvertrauen …«
Aus dem bisherigen kraftvollen, begeisterten Ton ging er in den spaßig wispernden Ton der Geheimniskrämer über und schloß mit einem schelmischen Blick sogar ein Auge.
»Das Geheimnis besteht darin, daß ihr mit Hilfe der Geometrie ganz sicher feststellen könnt, wer ein Esel ist und wer nicht. Bei den anderen Wissenschaften kann jemand kühn eine Dummheit behaupten, man kann sich höchstens mit ihm streiten. Hier aber gibt es keine Debatte, hier kann man immer nur eins sagen. Und wer nicht dieses eine sagt, der ist ein Esel. Achtet die Geometrie, diesen wachsamen Hund, der das Haus der Vernunft hütet. Die Geometrie ist die einzige zuverlässige Probe für den Esel.«
So fuhr er auch weiterhin fort, nach Lust und Laune von dem vielen redend, was er auf dem Herzen hatte. Er war angeregt und regte an, es war etwas in der Luft dieses Saales, was ihm verriet, daß jeder ohne Ausnahme auf alle seine Worte achtete. Bedauernd bemerkte er, daß ihm der Rektor verborgen zuwinkte: die für die Rede vorgesehene Zeit war vorüber. Da kehrte er geschickt zu den vorher ausgearbeiteten Schlußsätzen seiner Rede zurück, ohne zu stocken verlangsamte er das Tempo, seine Stimme wurde wieder feierlich, sein Gesicht kleidete sich in ernste Würde. Und in klassisch entworfenen, prächtigen lateinischen Sätzen beendete er schließlich das, was vor fünf Minuten noch eine lustige Plauderei war. Die Studenten klatschten tobend Beifall. Aus ihren Blicken, wohin er nur sah, strahlte Anteilnahme und Zuneigung, als ob jedes Gesicht sagen wollte: das ist unser Mann! Nur einen Augenblick lang dachte er ganz verschwommen an seine Vorlesungen in Pisa, die in unlustiger Stimmung dem Ende der Stunde zutrotteten. Wie war das möglich? Was war hier anders als dort? Unter lautem Jubel verließ er den Saal. Die Kollegen beglückwünschten ihn überschwenglich, mancher konnte aber seinen nagenden Neid nur schlecht bemänteln. Auf dem Gang trat der Oberpedell Messer Rosato auf ihn zu.
»Euer Gnaden, wir werden den Saal wechseln.«
»Wieso?«
»Ich bin ein alter Fuchs in den Mauern des Bo. Wenn wir bei diesem Saale bleiben, wird in der nächsten Stunde unter den drängelnden Studenten Tumult ausbrechen oder sich sogar eine Schlägerei entwickeln. Geruht also die nächste Stunde im großen Artistensaal zu halten. Das ist der größte Saal der Fakultät.«
Galilei wußte, daß ihm eine größere Anerkennung als diese nach seiner ersten Rede nicht hätte zuteil werden können. Aber auch andere Anzeichen eines großen Erfolges machten sich bemerkbar. Noch am gleichen Tage erschien eine ganze Reihe von Besuchern im Hause Pinellis, ungezählte bedeutende städtische Persönlichkeiten und vornehme Herren, unter ihnen auch Graf Querenghi, der Propst, dem man ihn auch empfohlen hatte; aber es kamen auch Leute, die er noch nie gesehen hatte. Einige Tage später trafen auch schon Briefe ein. Die Nachricht von seinem Erfolge war mit unerklärlicher Schnelligkeit nach Vicenza gelangt, von woher Bissaro geschrieben hatte. Aus Venedig sandte Giacomo Contarini einen warmen und begeisterten Brief.
Auf dem angeschlagenen Stundenplan der Universität erschien nunmehr endlich auch sein Name wie der der anderen Professoren. » Galileo Galilei: Sfera ed Euclide.« Das hieß, daß der neue Professor zwei Wissenschaften vorträgt, und zwar die Sternkunde der Sphären und die Geometrie des Euklid.
Der sechste Tag nach seiner Antrittsrede fiel auf den dreizehnten Dezember. Es war ein harter Wintertag. Dieser Tag gefiel ihm besonders gut, weil er die Zahl dreizehn liebte. Bei eisigem Wind eilte er zum Bo. Vor ihm und neben ihm strömten Studenten in der gleichen Richtung. Hurtig setzten sie ihre Füße und bliesen in ihre frierenden Fäuste. Als er unter dem geflügelten Löwen eintrat, erwartete ihn schon der Oberpedell.
»Was habe ich gesagt, Euer Gnaden? Die Aula ist voll. Viele müssen sogar stehen.«
Fröhlich stieg er in das erste Stockwerk hoch. Vor dem Eingang des Saales ein dichter Knäuel von Studenten. Nur mit Mühe konnte er sich einen Weg bahnen. Auch drinnen im Saale mußte er sich zum Katheder drängen. Der Oberpedell, der ihn begleitete, half ihm. Galilei saß schon am Katheder, mit dem Vortrag konnte er aber noch immer nicht beginnen, weil man die Türe nicht hatte schließen können. Die auf dem Gang Stehenden wollten sich nämlich nicht damit zufrieden geben, daß sie draußen bleiben mußten, und forderten, daß die Türe offen bleibe. Rosato war gezwungen, sich mit Faust und Ellenbogen bis zur Tür durchzuzwängen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Endlich schloß sich die Tür mit Mühe und Not.
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!« begann laut der junge Professor.
Dann machte er eine Pause. Er lächelte.
»Meine Söhne, hört her. Von dem, was ihr von mir zu hören bekommt, soll niemand etwas aufschreiben. Jeder kann sich zu Hause aufschreiben, woran er sich zurückerinnert, und wenn er Zweifel hat, mag er seinen Freund fragen. Diktat gibt es hier nicht. Wer nach Diktat büffeln will, gehe in die Jesuitenschule, dann wird hier wenigstens mehr Platz. Nun? Geht niemand? Antwortet nur tapfer, damit auch ich euch hören kann, nicht nur ihr mich. Nun?«
»Wir bleiben!« rief die erste tapfere Stimme.
Er lachte. Die anderen fielen ein. Ein langanhaltendes fröhliches Geschrei erhob sich. Und unerwarteter Beifall. Die Zuhörer applaudierten ihrer eigenen Ausgelassenheit. Galilei nickte.
»Gut. Also dann hört weiter her. Vor allem werde ich euch einen besonderen Unsinn beibringen. Der besteht aus einem einzigen Wort, es heißt: › Almagest‹. Ich lehre es euch, aber ich sage euch zugleich, daß das gar keinen Sinn hat. Andererseits stammt alles irgendwoher, sogar das Unverständliche. Dies stammt zum Beispiel daher, daß vor anderthalbtausend Jahren in Ägypten ein Sterndeuter namens Ptolemäus gelebt hat, der auch ein Buch unter dem Titel: › Megale syntaxis tes astronomias‹ schrieb. Wer kann Griechisch? Übersetzt mir das. Es soll aber immer nur einer auf einmal reden, sonst ergeht es mir, wie es vor einigen Zähren in Pisa einem meiner Professorenkollegen ergangen ist. Sein Name tut nichts zur Sache. Diesen Professor störten seine Studenten andauernd, insbesondere einer, der während der Vorlesung seinem Nachbar fortwährend irgend etwas ins Ohr tuschelte. Der Professor wurde schließlich ungeduldig und brach los. ›Es ist doch nicht zum Aushalten, daß mein Vortrag so wenig wert ist, daß ein Ochse hier ständig redet.‹«
Stürmische Heiterkeit. Entzückt sahen sich die Studierenden an. Das läßt sich hören!
»Auf einmal soll nur einer reden. Du Rothaariger, du sollst mir antworten, du hast so ein gescheites Gesicht. Nun?«
»Das große astronomische System.«
»Recht so. Wie heißt du?«
»Gallio Jasceride, zu dienen.«
»Großartig. Kurz und gut also, dieses Werk, das jener Ägypter Ptolemäus geschrieben hatte, übersetzte ein Kalif von Bagdad in die arabische Sprache. Das wißt ihr doch, daß der arabische Artikel ›al‹ heißt? Wenn nicht anderswoher, werdet ihr es von solchen arabisch-spanischen Wörtern wissen, wie Alkazar, Alhambra oder Algebra. Die Araber nannten also dieses Werk, das bei ihnen sehr berühmt wurde: das Große. Oder: › al megistos‹, das Größte. Mit der Zeit wurde dann aus dieser arabisch-griechischen Wortverwendung ›Almagest‹. Ich wiederhole, es hat kaum noch einen Sinn, aber es gehört zur allgemeinen Bildung. Im übrigen wird man euch noch viel Unverständlichkeiten beibringen, ehe ihr gebildet sein werdet.«
Sie lachten, sie ergötzten sich an seiner Art, er hatte sie ganz in seinem Bann.
»Aber jetzt kommen verständliche Sachen an die Reihe. Eine ganze Zeitlang kannte die Wissenschaft nur die arabische Übersetzung dieses › Almagest‹, im vorigen Jahrhundert aber, als in Italien der Humanismus die antiken Handschriften so sehr in Mode brachte, kam irgendwie auch der griechische Urtext zum Vorschein, und ein gewisser Giorgio di Trebisonda übertrug es in die lateinische Sprache. Das Buch erschien in Venedig. Und in dieses Buch will ich euch einführen. Daher muß ich euch zunächst erklären, was die Lehre von den Epizykeln ist. Paßt ihr auch gut auf?«
»Wir passen auf!« schrien sie stürmisch.
»Bevor ich euch das aber erklären kann, müßt ihr erst die schon vor Ptolemäus bekannten exzentrischen Kreise kennen. Das jedoch könnt ihr auch nicht verstehen, wenn ihr nicht wißt, daß ein noch viel älterer Gelehrter, Hipparchus, die Gleichförmigkeit der Bewegung der Planeten mit jenen exzentrischen Kreisen erläutert hat. Aber was sind die Planeten? Nun, da wären wir. Jedermann mag seine Ohren gut aufsperren: der Mittelpunkt des Weltalls ist, wie ihr wißt, die Erde …«
Er fuhr in seiner Erklärung fort. Ab und zu unterbrach er sich, um einen Spaß zum besten zu geben, einen oder den anderen der Schüler anzureden, ins Gespräch zu ziehen und ihn gleichzeitig auch nach seinem Namen zu fragen. Mit neugieriger Begeisterung lauschten sie seinen Worten. Als die Stunde zu Ende war, meinte man das Bedauern darüber förmlich zu hören. Der Oberpedell hielt den jungen Professor nach der Stunde abermals an.
»Ich weiß nicht, Euer Gnaden«, rief er lachend, »wohin das ausarten wird. Wir brauchen einen noch größeren Saal als diesen. Ich werde von der juristischen Fakultät deren großen Saal erbitten. Die juristische Aula ist nämlich noch größer als dieser Saal hier. Aber in die St. Antoniuskirche werden wir schwerlich gehen können …«
Der nächste Vortrag fand tatsächlich in der Aula der juristischen Fakultät statt. Der Erfolg des neuen Professors loderte gen Himmel. Ein jeder suchte seine Bekanntschaft, von Fremden erhielt er Briefe. Aber auch von weither meldete sich der Erfolg. Als die ersten beiden unter den glücklichen Freunden ließen natürlich der Marchese del Monte aus Pesaro und Mazzoni aus Pisa von sich hören. Der Brief Mazzonis enthielt recht interessante Mitteilungen: er berichtete darüber, welche Erregung unter den Professoren in Pisa der fabelhafte Erfolg des dort hinausgeekelten jungen Professors heraufbeschworen hatte. Manche hätten diesen Erfolg heftig in Zweifel gezogen, andere verächtlich die Schultern gezuckt und versucht, den Rang des Bo herabzusetzen; es hätten sich jedoch welche gefunden, die seine, Galileis, Partei ergriffen hätten. So der alte Mediziner Mercuriali, der betont hätte, daß er den jugendlichen Gelehrten immer für außerordentlich begabt gehalten habe. Aus dem Brief von Mazzoni konnte man ungefähr herauslesen, daß der alte Mercuriali, der einstmals selbst Professor am Bo war, sehr glücklich wäre, wenn er einige Zeilen als freundschaftliche Erinnerung von seinem Professorenkollegium erhalten könnte …
Galilei wunderte sich und lächelte. In der Tat hatte ihn Mercuriali noch am wenigsten schlecht behandelt. Er hatte sich zwar gleich den anderen von ihm ferngehalten, ihn aber nicht verfolgt, und über seine Begabung hatte er tatsächlich hier und da eine wohlwollende Bemerkung fallengelassen. Galilei schrieb also jetzt mit der Großherzigkeit eines glücklichen Menschen, der der ganzen Welt mit Gutem zahlen will, einige höfliche Zeilen an Mercuriali nach Pisa und erwähnte, daß man sich seiner in Padua noch oft erinnere. Er titulierte ihn als »Palastgraf«; denn dem berühmten Mediziner war von dem Kaiser Maximilian, den er mit Erfolg behandelt hatte, dieser Titel verliehen worden. Folgende Antwort erhielt er von ihm:
»Mein allergnädigster Herr, ich habe bislang nicht geglaubt, daß die Mathematiker, die ja nur die nackten Tatsachen lieben, auch daran Gefallen finden könnten, die Gelehrten der Rhetorik zu überbieten. Euer Brief aber, den ich vorgestern in die Hände bekam, änderte meinen diesbezüglichen Glauben, und wie ich nun sehe, sind auch die Mathematiker bestrebt, sich Zuneigung durch Liebenswürdigkeit zu erwerben. Ihr habt mir viel zuviel Honig um den Bart geschmiert, wie man zu sagen pflegt, aber Ihr habt es vielleicht in dem Glauben getan, daß ich mit halbem Ohr irgendein Gerücht gehört haben könnte, und deshalb wolltet Ihr mich trösten. Sei es so, wenn Ihr des Glaubens seid. Ich auf alle Fälle bin dessen sicher, daß ich die Zuneigung Eurer so hochgeschätzten und mit meinen schwachen Worten so sehr gepriesenen Person besitze. Euer Gnaden können sich sicherlich noch ganz gut daran erinnern, als ich erklärte, daß für Eure Fähigkeiten nur die Universität von Padua ein würdiges Heim wäre …«
Galilei schüttelte lächelnd den Kopf. Er dachte daran, für welch einen unnützen und unverschämten Kerl ihn das gesamte Professorenkollegium in Pisa gehalten hatte.
»… Daß man sich in Padua meiner noch erinnert, vermag ich ohne weiteres zu glauben. Ich war ja achtzehn Jahre lang dort ein eifriger Verehrer der zahlreichen Talente unter den Vortragenden Professoren, denen Ihr allesamt und auch im einzelnen meinen Handkuß übergeben möget, und so verbleibe ich zugleich mit allen meinen Kindern Euer Euch verbundener und sehr zugetaner Diener
Hieronimo Mercuriali.«
Dieser Brief glitt Galilei aus der Hand. Er versank in Nachdenken. In einigen Tagen wurde er neunundzwanzig Jahre alt, Mercuriali war jetzt an die zweiundsechzig. Er erhielt jetzt siebenundzwanzigeinhalb Lire monatlich, Mercuriali das höchste Honorar von allen Universitätsprofessoren Italiens: sechshundertzehn.
Dann schüttelte er aber diese Gedanken von sich ab. Auch jetzt würde er mit dem Alten weder Wissenschaft noch Einkommen tauschen. Den Brief übergab er dem eintretenden Pinelli, dann kehrte er zurück zu seinen Studien. Er beschäftigte sich fleißig mit Fragen der Befestigungslehre; denn das war für die Republik zur Erhaltung ihrer Burgen und ihres Vermögens von größter Wichtigkeit. Die Schüler würden allmählich schon hübsch nacheinander kommen, alles würde gut werden, Padua war eine entzückende Stadt, und wenn der Mensch neunundzwanzig Jahre alt ist und gesund, dann kann ihm das Leben noch sehr viel Schönes bieten.