Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Tennessee's Geschäftstheilhaber.

Ich glaube nicht, daß wir jemals seinen wahren Namen wußten. Unsre Unbekanntschaft mit demselben brachte niemals eine gesellschaftliche Unbequemlichkeit mit sich; denn 1854 wurden zu Sandy Bar die meisten Menschen neu getauft. Bisweilen wurden diese Beinamen von irgend einem Unterschied in der Kleidung hergenommen, wie in dem Falle von »Dungaree Jack«, oder von einer eigenthümlichen Gewohnheit, wie sie der »Gesalzne Bill« zeigte, der nach der ungebührlichen Masse dieses chemischen Stoffes so benannt war, welche er seinem täglichen Brote beimischte, oder von einem unglücklichen Mißgriffe, wie es sich mit dem »Eisernen Piraten« begab, einem sanften, harmlosen Manne, der sich diesen unheimlichen Titel durch seine unglückselige Aussprache des Ausdrucks »Eisen-Pyrit« erwarb. Dies kann vielleicht der Beginn einer Wappengeschichte in ihren Rudimenten gewesen sein, aber ich sehe mich genöthigt, zu glauben, daß es geschah, weil jemandes wahrer Name in jenen Tagen lediglich auf seiner eignen, durch nichts unterstützten Angabe beruhte. »Nennen sich Clifford, nicht?« sagt Boston, indem er einen schüchternen neuen Ankömmling mit unendlich spöttischem Gesichte anredete. »Die Hölle steckt voll von solchen Cliffords.« Er stellte dann den unglücklichen Mann, dessen Name zufällig wirklich Clifford war, als »Dohlen Karlchen« vor – eine unselige Eingebung des Augenblicks, die ihm dann für immer anhaftete.

Aber um zu Tennessee's Geschäftstheilhaber zurückzukehren, den wir nie anders als unter diesem relativen Titel kannten; daß er jemals als eine gesonderte Individualität für sich existirte, erfuhren wir erst später. Es scheint, daß er 1853 Poker Flat verließ, um nach San Francisco zu gehen, anscheinend, um sich eine Frau zu verschaffen. Er kam nie weiter als bis Stockton. An diesem Orte wurde er von einer jungen Person angezogen, die in dem Gasthause aufwartete, wo er seine Mahlzeiten einnahm. Eines Morgens sagte er zu ihr etwas, worauf sie sich veranlaßt fand, nicht unfreundlich zu lächeln, etwas coquett einen Teller mit Röstschnitten über seinem nach oben gewandten, ehrlichen, einfältigen Antlitze zu zerbrechen, und sich in die Küche zu flüchten. Er folgte ihr und tauchte ein paar Augenblicke später mit mehr Röstschnitten und Sieg bedeckt wieder auf. Eine Woche nachher wurden sie durch den Friedensrichter getraut und kehrten nach Poker Flat zurück. Ich bin mir bewußt, daß sich aus dieser Episode etwas mehr machen ließe, aber ich ziehe vor, sie so zu erzählen, wie sie zu Sandy Bar – in den Goldgräbereien und Schenkstuben – erzählt wurde, wo alles Gefühlvolle durch einen stark humoristischen Sinn modificirt wurde.

Von ihrem ehelichen Glücke ist wenig bekannt, vielleicht aus dem Grunde, weil Tennessee, der damals mit seinem Geschäftsfreunde zusammenwohnte, eines Tages die Gelegenheit ergriff, zu der jungen Frau etwas auf seine eigne Rechnung zu sagen, worauf sie, wie man sagt, nicht unfreundlich lächelte und sich keusch zurückzog – dieses Mal bis nach Marysville, wohin Tennessee ihr folgte, und wo sie sich ans Haushalten machten, und zwar ohne Hülfe des Friedensrichters. Tennessee's Geschäftsfreund nahm den Verlust seiner Gattin einfältiglich und ernsthaft hin, wie das seine Art war. Aber zu jedermanns Überraschung war Tennessees Geschäftsfreund, als Tennessee eines Tages von Marysville ohne seines Geschäftsfreunds Frau zurückkehrte – sie hatte einem Andern zugelächelt und sich mit ihm zurückgezogen – der Erste, der ihm die Hand schüttelte und ihn liebreich begrüßte. Die Jungens, die sich in der Schlucht versammelt hatten, um zuzusehen, wie sie sich schössen, waren natürlich entrüstet. Ihre Entrüstung würde sich vielleicht in spöttischen Reden Luft gemacht haben, wäre nicht ein Blick im Auge von Tennessee's Geschäftsfreund gewesen, der andeutete, daß es ihm an der Würdigung humoristischer Auffassung gebrach.

In der That, er war ein ernster Mann, der mit fester Hand in praktischen Einzelnheiten verfuhr, was bei Streitigkeiten unbehaglich war.

Inzwischen war auf der Bar die öffentliche Meinung für Tennessee ungünstig geworden. Man wußte, daß er eine Spielratte war, und man hegte den Verdacht, daß er ein Spitzbube sei. Bei diesen argen Vermuthungen war Tennessee's Geschäftsfreund ebenfalls compromittirt. Sein fortgesetztes Freundschaftsverhältniß mit Tennessee nach der oben angeführten Geschichte ließ sich nur durch die Hypothese einer Theilhaberschaft bei Verbrechen erklären. Zuletzt wurde Tennessee's Schuld flagrant. Eines Tages holte er einen Fremden auf seinem Wege zum Rothen Hunde ein. Der Fremde erzählte später, daß Tennessee ihm die Zeit mit interessanten Anekdoten und Erinnerungen verkürzt, aber die Unterhaltung unlogisch mit folgenden Worten beschlossen habe: »Und jetzt, junger Mann, möchte ich Sie um Ihr Messer, Ihre Pistolen und Ihr Geld bemühen. Sehen Sie, Ihre Waffen könnten Sie im Rothen Hunde in Verlegenheiten bringen, und Ihr Geld ist eine Versuchung für Arggesinnte. Ich glaube, Sie sagten, Ihre Adresse wäre San Francisco. Ich werde den Versuch machen, dort bei Ihnen anzuklopfen.« Es mag hier bemerkt werden, daß Tennessee einen schönen fließenden Humor besaß, den kein geschäftliches Vorurtheil ganz unterkriegen konnte.

Diese Leistung war seine letzte. Der Rothe Hund und Sandy Bar machten gemeinschaftliche Sache gegen den Straßenräuber. Man machte auf Tennessee in sehr ähnlicher Weise Jagd wie auf sein Urbild, den grauen Bären. Als die Garne sich um ihn schlossen, machte er einen verzweifelten Sprung durch Sandy Bar, indem er vor dem Arkaden-Salon und so weiter hinauf in der Bärenschlucht seinen Revolver auf die Menge abschoß. Aber an deren äußerstem Ende wurde er von einem kleinen Manne auf einem grauen Pferde aufgehalten. Die beiden Männer sahen einander einen Augenblick schweigend an. Beide waren furchtlos, beide voll Selbstbeherrschung und Rücksichtslosigkeit und beide Typen einer Civilisation, die man im siebzehnten Jahrhundert heroisch genannt haben würde, die im neunzehnten aber einfach als »frech« zu bezeichnen war.

»Was hast Du da in der Karte – ich frage,« sagte Tennessee ruhig.

»Zwei Königinnen und ein Aß,« sagte der Fremde ebenso ruhig, indem er ihm zwei Revolver und ein Bowiemesser zeigte.

»Da ist's aus mit meinem Spiel,« erwiderte Tennessee, und mit diesem Spielgaunerwitze warf er sein nutzloses Drehpistol hin und ritt mit dem, der ihn gefangen, zurück.

Es war eine warme Nacht. Der kühle Lufthauch, der gewöhnlich mit dem Sonnenuntergang hinter dem zackengekrönten Gebirge aufsprang, wurde diesen Abend Sandy Bar vorenthalten. Die kleine Schlucht war zum Ersticken voll von den Düften erhitzten Harzes, und das vermodernde Treibholz auf der Barre entsandte schwache Uebelkeit erregende Aushauchungen. Das fieberhafte Wesen des Tages und seine grimmigen Leidenschaften erfüllten noch immer das Lager. Lichter bewegten sich unruhig an dem Ufer des Flusses, sie riefen auf seiner trüben Strömung keinen antwortenden Widerschein hervor. Von der Schwärze der Fichten stachen die Fenster des alten Bodens über dem Eilpost-Bureau mit ihrer Helle grell ab, und durch ihre Vorhänge konnten die unten Herumlungernden die Gestalten derer sehen, die soeben das Schicksal Tennessee's zu entscheiden im Begriff waren. Und über alledem erhob sich, scharf abgegrenzt vom schwarzen Firmament, die Sierra, fern und leidenschaftslos, gekrönt mit noch ferneren leidenschaftslosen Sternen.

Der Proceß Tennessee's wurde so rücksichtsvoll geführt, als sich's mit einem Richter und einem Geschwornengericht vertrug, welche fühlten, daß sie bis zu einem gewissen Maße verpflichtet waren, durch ihren Wahrspruch die vorherigen Unregelmäßigkeiten bei der Verhaftung und Anklage zu rechtfertigen. Das Gesetz von Sandy Bar war unerbittlich, aber nicht rachsüchtig. Die Aufregung und die persönliche Empfindung hatten sich gelegt: indem sie Tennessee nun in den Händen hatten, waren sie bereit, jeder Vertheidigung ihr Ohr zu leihen, die doch, wie sie bereits überzeugt waren, unzureichend war. Indem in ihren eignen Seelen kein Zweifel herrschte, waren sie gewillt, dem Gefangenen die Wohlthat jedes Zweifels zukommen zu lassen, der etwa vorhanden war. Sicher in der Annahme, daß er nach allgemein gültigen Grundsätzen gehenkt werden mußte, gewährten sie ihm mehr Spielraum zur Vertheidigung, als seine dreiste Kühnheit zu erfordern schien. Der Richter schien ängstlicher zu sein als der Angeklagte, welcher, sonst gleichgültig, augenscheinlich ein grimmiges Vergnügen an der Verantwortlichkeit empfand, die er hervorgerufen hatte. »Ich mache bei Eurem Spiele nicht mit,« war seine unabänderliche, aber gutgelaunte Antwort auf alle Fragen gewesen. Der Richter, der zugleich derjenige war, welcher ihn gefangen genommen hatte, fühlte für einen Augenblick eine Anwandlung von Bedauern, daß er ihn diesen Morgen nicht beim Ansichtigwerden niedergeschossen, gab aber diese menschliche Schwäche bald als eines Richtergewissens unwürdig auf. Demungeachtet wurde, als es an die Thür klopfte und man meldete, daß Tennessee's Geschäftstheilhaber wegen des Angeklagten da wäre, derselbe sofort ohne Frage zugelassen. Vielleicht begrüßten die jüngern Mitglieder des Geschwornengerichts, denen die Verhandlungen allmählig unbehaglich viel nachzudenken gaben, in ihm eine Erleichterung.

Denn er war wirklich keine imponirende Gestalt. Kurz und breitschultrig, mit einem vom Sonnenbrand unnatürlich gerötheten viereckigen Gesichte, in eine schlottrige Segeltuchjacke und Hosen gekleidet, die mit dem rothen Boden gestreift und bespritzt waren, würde er unter allen Umständen wunderlich ausgesehen haben, während er jetzt geradezu lächerlich aussah. Als er sich bückte, um zu seinen Füßen eine schwere Reisetasche, die er trug, niederzusetzen, wurde es aus den dabei theilweise zum Vorschein kommenden Etiquetten und Inschriften klar, daß das Material, mit dem seine Hosen geflickt worden waren, ursprünglich zu einer weniger stolzen Bedeckung bestimmt gewesen war. Jedoch trat er mit großer Würde vor, und nachdem er jeder Person im Zimmer die Hand mit unbehülflicher Herzlichkeit geschüttelt, wischte er sich sein ernstes, verlegenes Gesicht mit einem rothen Bandanna-Taschentuche, welches um einen Schatten heller als seine Gesichtsfarbe war, legte seine gewaltige Hand auf den Tisch, um sich zu stützen, und redete den Richter folgendermaßen an:

»Ich ging eben vorbei,« fing er im Tone der Entschuldigung an, »und da dacht' ich, solltest doch 'mal 'rein gucken und sehen, wie die Sachen stehen mit Tennessee da – meinem Geschäftsfreunde. Es ist eine heiße Nacht. Ich kann mich nicht besinnen, daß wir einmal schon solch Wetter auf der Barre gehabt hätten.«

Er hielt einen Augenblick inne. Da aber niemand zu einer andern meteorologischen Erinnerung Anstalt machte, nahm er wieder zu seinem Taschentuch seine Zuflucht und rieb sich einige Augenblicke sein Gesicht fleißig ab.

»Haben Sie irgend etwas in Betreff des Angeklagten vorzubringen?« fragte schließlich der Richter.

»Richtig, das ist's,« sagte Tennessee's Geschäftstheilnehmer im Tone der Erleichterung. »Ich komme als Tennessee's Geschäftstheilnehmer hierher – indem ich ihn ziemlich vier Jahre kenne, innen und außen, im Nassen und Trocknen, in Glück und Unglück. Seine Wege sind nicht immer meine Wege, aber es ist kein Punkt an dem jungen Menschen, es giebt kein lustiges Stückchen, das er aufgeführt hat, wo ich nicht davon wissen thäte. Und Sie sagen zu mir – vertraulichermaßen und zwischen Mann und Mann – sagen Sie zu mir: Wissen Sie was von wegen seiner? Und ich sage zu Ihnen – vertraulichermaßen und zwischen Mann und Mann – sag' ich: Was soll Eins von seinem Geschäftstheilnehmer wissen?«

»Ist das Alles, was Sie zu sagen haben?« fragte der Richter ungeduldig, indem er vielleicht fühlte, daß ein aus humoristischer Stimmung hervorgegangenes Mitgefühl den Gerichtshof menschlicher zu stimmen begann.

»Das ist so,« fuhr Tennessee's Geschäftstheilnehmer fort. »Es ist nicht mein Amt, etwas gegen ihn zu sagen. Und jetzt, wie steht die Sache? Hier ist Tennessee, der das Geld sehr nothwendig braucht und keine Lust hat, seinen alten Geschäftstheilnehmer drum zu bitten. Na, was thut da Tennessee? Er lauert einem Fremden auf, und er kauft sich den Fremden. Und Ihr lauert ihm auf und kauft ihn Euch, und die Geschichte macht sich leicht. Und ich frage Euch, als ein großmüthiger Mann, und Euch, Ihr Herren alle, als großmüthige Männer, ob das nicht so ist?«

»Angeklagter,« sagte der Richter, »haben Sie an diesen Mann irgendwelche Fragen zu richten?«

»Nein, nein!« fuhr Tennessee's Geschäftstheilnehmer hastig fort. »Diese Karte hier spiele ich alleine. Um auf den Grund zu gehen, wo das Gold liegt, so ist er dieses: Tennessee da, der hat's ziemlich arg und kostspieligermaßen getrieben mit einem Fremden und mit diesem Lager hier. Und jetzt, wie läßt sich das billigermaßen zurechte rücken? Die Einen werden sagen mehr, die Andern weniger. Hier sind siebzehnhundert Thaler in rohem Golde und eine Uhr – 's ist ungefähr mein ganzer Kram – und nun sagt: 's ist glatt!« Und ehe eine Hand sich regen konnte, um ihn zu hindern, entleerte er den Inhalt des Reisesacks auf den Tisch.

Für einen Augenblick war sein Leben in Gefahr. Einige von den Männern sprangen auf ihre Füße, mehrere Hände griffen nach verborgnen Waffen, und der Vorschlag, ihn »aus dem Fenster zu werfen«, wurde nur durch eine Geberde des Richters vereitelt. Tennessee lachte. Und augenscheinlich ohne Ahnung von der Aufregung, benutzte Tennessee 's Geschäftsfreund die Gelegenheit, sich das Gesicht abermals mit seinem Taschentuche abzuwischen.

Als die Ordnung wieder hergestellt und dem Manne durch zwingende Gleichnisse und Gründe begreiflich gemacht war, daß Tennessee's Schuld sich mit einer Geldschenkung nicht sühnen ließe, nahm sein Gesicht eine ernstere und blutigere Färbung an, und Die, welche ihm am nächsten saßen, bemerkten, daß seine rauhe Hand auf dem Tische zitterte. Er zögerte ein Weilchen, als er langsam das Gold wieder in die Reisetasche that, wie wenn er noch nicht den erhabnen Gerechtigkeitssinn begriffen, welcher den Gerichtshof erfüllte, und verblüfft des Glaubens wäre, daß er nicht genug dargeboten hätte. Dann wendete er sich zu dem Richter und sagte: »Das hier hab' ich mit meiner Hand verdient, allein verdient und ohne meinen Geschäftsfreund,« wobei er sich vor den Geschwornen verbeugte und im Begriff war, sich zurückzuziehen, als der Richter ihn zurückrief. »Wenn Sie Tennessee noch etwas zu sagen haben, so thäten Sie gut, es jetzt zu sagen.« Zum ersten Male an diesem Abende begegneten sich die Augen des Angeklagten und die seines wunderlichen Anwalts. Tennessee lächelte, zeigte seine weißen Zähne und hielt ihm mit den Worten: »Diese Partie Euchre Euchre ist ein amerikanisches Kartenspiel, welches wie Poker zu den Hazardspielen gehört und unter den Goldsuchern, die der Verfasser uns schildert, viel gespielt wurde.
D. Uebers.
ist aus, Alter!« die Hand hin. Tennessee's Geschäftstheilhaber nahm sie in die seinige, sagte: »Ich kam nur so von ungefähr, beim Vorbeigehen, herein, um zu sehen, wie die Sachen stünden,« ließ dann seine Hand fallen, wischte sich, indem er sagte, »es wäre 'ne warme Nacht,« wieder das Gesicht mit seinem Taschentuche und zog sich ohne ein weiteres Wort zurück.

Die beiden Leute begegneten einander in diesem Leben nicht wieder. Denn die noch nie dagewesene Beleidigung, die in dem Versuche lag, den Richter Lynch zu bestechen, welcher, gleichviel ob vorurtheilsvoll, schwach oder engherzig, mindestens unbestechlich war, machte im Gemüthe dieser mythischen Persönlichkeit jeden noch schwankenden Entschluß in Betreff des Schicksals Tennessee's zu einem festen, und bei Tagesanbruch wurde er, dicht bewacht, fortgebracht, um es auf dem Gipfel von Marleys Hügel zu erleiden.

Wie er es erlitt, wie kaltblütig er war, wie er es ablehnte, irgendwas zu sagen, wie vollkommen die Vorkehrungen des Ausschusses waren, alles dies wurde und zwar mit Hinzufügung einer Warnung für alle künftigen Uebelthäter, sich dies zum Exempel dienen zu lassen, in der »Trompete des Rothen Hundes« durch deren Redacteur, welcher zugegen war, und auf dessen kräftiges Englisch ich den Leser fröhlich verweise, gebührend berichtet. Aber die Schönheit dieses Mittsommermorgens, die segensvolle Freundschaft zwischen Erde, Luft und Himmel, das erwachte Leben der freien Wälder und Berge, die freudenreiche Erneuerung und Verheißung der Natur, und vor Allem die unendliche Heiterkeit, die Jeden durchbebte, wurde nicht berichtet, da dies nicht zu der socialen Lection gehörte. Und doch, als die schwache und thörichte That geschehen war, und ein Leben mit seinen Möglichkeiten und Verantwortlichkeiten aus dem mißgestalteten Dinge entschwunden war, welches zwischen Himmel und Erde baumelte, sangen die Vögel, blühten die Blumen und schien die Sonne so freudig wie vorher, und vielleicht hatte die »Trompete des Rothen Hundes« Recht.

Tennessee's Geschäftsfreund war nicht in der Gruppe, die den verhängnisvollen Baum umstand. Aber als sie sich umwendeten, um sich zu zerstreuen, lenkte die eigenthümliche Erscheinung eines bewegungslosen Eselskarrens, der seitwärts von der Straße hielt, die Aufmerksamkeit auf sich. Als sie näher kamen, erkannten sie sofort die ehrwürdige »Jenny« und den zweiräderigen Karren als das Eigenthum von Tennessee's Geschäftstheilhaber, der sich ihrer bediente, um den Schmutz von seinem Grubenantheile wegzuschaffen, und ein paar Schritte davon entfernt den Eigenthümer der Equipage selbst, der unter einem Roßkastanienbaume saß und sich den Schweiß von seinem glühenden Gesichte wischte. Befragt, was er wolle, sagte er, daß er gekommen sei, um den Leichnam des »Hingeschiednen« zu holen, »wenn es dem Ausschusse egal wäre.« Er »hätte es damit nicht so eilig, er könnte warten.« Er arbeitete diesen Tag nicht, und wenn die Herren mit dem Hingeschiednen fertig wären, wollte er ihn nehmen. »Wenn etwan jemand zugegen ist,« fügte er in seiner einfältigen, ernsthaften Weise hinzu, »der sich dem Leichenzuge anschließen will, so kann er kommen.«

Vielleicht war es aus Geschmack am Humor, von dem ich bereits angedeutet habe, daß er einen Charakterzug von Sandy Bar bildete, vielleicht war es etwas Besseres als das, zwei Drittel der Lungerer nahmen die Einladung sogleich an.

Es war Mittag, als der Körper Tennessee's den Händen seines Geschäftstheilnehmers übergeben wurde. Als der Karren vor dem verhängnißvollen Baume vorfuhr, bemerkten wir, daß er einen rauhen, länglich runden Kasten enthielt – augenscheinlich aus dem Abschnitt einer Wasserleitung gemacht – der zur Hälfte mit Rinde und Fichtenzapfen gefüllt war. Der Karren war ferner mit Streifen von Weidenrinde geschmückt und mit Blüthen der Roßkastanie duftig gemacht. Als der Körper in den Kasten gelegt war, zog Tennessee's Geschäftstheilnehmer ein Stück getheerten Segeltuchs darüber, dann stieg er würdevoll auf den schmalen Sitz vorn, stemmte die Füße auf die Deichsel und trieb das Eselein vorwärts.

Das Fuhrwerk bewegte sich langsam fort, in jenem würdevollen Schritte, der bei »Jenny« Gewohnheit selbst unter weniger feierlichen Umständen war. Die Leute bummelten – halb neugierig, halb zum Spaße, aber alle gut gelaunt – neben dem Karren her, einige vor, andere ein wenig hinter dem wunderlichen Katafalk. Aber, sei es nun wegen der Verengerung der Straße oder einem bald sich einstellenden Gefühl für Anstand, als der Karren weiter passirte, ordnete sich die Gesellschaft paarweise hinter demselben, hielt Schritt und nahm auch sonst das äußere Gepräge einer förmlichen Procession an. Jack Folinsbee, welcher beim Aufbrechen mit dem entsprechenden Geberdenspiel auf einer Phantasieposaune einen Begräbnißmarsch gespielt hatte, ließ davon ab, da er sah, daß er keinem Gefallen und keiner Schätzung der Posse begegnete und vielleicht nicht die Fähigkeit des echten Humors des Lesers besaß, sich mit dem Genuß seines eignen Spaßes zu begnügen.

Der Weg führte durch die Bärenschlucht, die nunmehr sich in Begräbnißdraperie und Schatten gekleidet hatte. Die Rothholzbäume, die ihre mit zottigen Mockasins bekleideten Füße in den rothen Erdboden begruben, standen einer hinter dem andern wie die Indianer beim Marsch längs der Strecke und winkten auf die vorüberziehende Bahre mit ihren niederhangenden Zweigen einen rauhen Segen hernieder. Ein Hase, durch die Ueberraschung in hülflose Unbeweglichkeit versetzt, setzte sich auf die Hinterbeine und trommelte im Farnkraute neben der Straße, als das Cortège vorbeiging. Eichhörnchen beeilten sich, einen sichern Ausguck von höheren Zweigen zu gewinnen, und die blauen Eichelhäher breiteten ihre Schwingen aus und flatterten wie Vorreiter vor ihnen her, bis das äußerste Ende von Sandy Bar und die einsame Hütte von Tennessee's Geschäftsfreund erreicht war.

Unter günstigeren Umständen betrachtet, würde es kein heiterer Ort gewesen sein. Die unmalerische Lage, die rauhen und unschönen Umrisse, die unsaubern Einzelnheiten, welche den Nesterbau des californischen Bergmanns bezeichnen, waren hier alle vertreten, und dazu kam noch überdies die Trübseligkeit des Verfalls. Ein paar Schritte von der Hütte befand sich eine rohe Einzäunung, die in den kurzen Tagen des ehelichen Glückes von Tennessee's Geschäftsfreund als Garten gedient hatte, aber jetzt von Farnkraut überwuchert war. Als wir uns derselben näherten, waren wir überrascht, zu finden, daß das, was wir für einen neuerdings unternommenen Versuch zur Bebauung gehalten hatten, der aufgebrochne Boden um ein offnes Grab war.

Der Karren machte vor der Einzäunung Halt, und Tennessee's Geschäftsfreund hob, indem er die Anerbietungen von Beistand mit derselben Miene einfachen Vertrauens auf sich selbst, die er durchweg gezeigt, zurückwies, den rauhen Sarg auf seinen Rücken und legte ihn ohne andere Hülfe in das nicht tiefe Grab. Er nagelte dann das Bret darauf, welches als Deckel diente, und indem er den kleinen Erdhügel bestieg, der daneben war, nahm er seinen Hut ab und wischte sich langsam das Gesicht mit seinem Taschentuche. Dies war, wie die Menge fühlte, die Einleitung zu einer Rede, und man vertheilte sich an verschiedenen Stellen auf Baumstümpfen und Steinbrocken und wartete sitzend der Dinge, die da kommen sollten.

»Wenn jemand,« so begann Tennessee's Geschäftsfreund langsam, »den ganzen Tag lang recht ordentlich herumgelaufen ist, was ist dann das Natürlichste, das er thut? Je nun, heim zu gehen. Und wenn er nicht in der Lage ist, heim zu gehen, was kann da sein bester Freund thun? Je nun, ihn heim zu bringen. Und hier ist Tennessee, der ist herumgelaufen, und wir bringen ihn heim von seiner Irrfahrt.«

Er hielt inne und hob ein Stück Quarz auf, rieb es gedankenvoll an seinem Aermel und fuhr fort: »Es ist nicht das erste Mal, daß ich ihn auf meinen Rücken geladen habe, wie Ihr mich jetzt sahet. Es ist nicht das erste Mal, daß ich ihn in diese Hütte brachte, als er sich nicht selber helfen konnte. Es ist nicht das erste Mal, daß ich und Jenny auf jenem Hügel auf ihn gewartet und ihn aufgelesen und so heim geholt haben, wo er nicht sprechen konnte und er mich nicht kannte. Und jetzt, wo es das letzte Mal ist, ja –« er hielt inne und rieb sein Quarzstück sanft an seinem Aermel – »jetzt seht Ihr, ist's 'ne saure Sache für seinen Geschäftsfreund. Und jetzt, meine Herren,« fügte er rasch abbrechend hinzu, indem er seine langstielige Schaufel auflas, »ist das Begräbniß vorüber, und meinen Dank und Tennessee seinen Dank für Ihre Bemühung.«

Indem er allen Anerbietungen von Beistand widerstand, begann er das Grab aufzufüllen, wobei er der Menge den Rücken zudrehte, die sich nach ein paar Augenblicken des Zögerns allmählig verzog. Als sie über die kleine Bodenerhebung gingen, die Sandy Bar den Blicken entzog, dachten einige, die sich umsahen, sie könnten sehen, wie Tennessee's Geschäftsfreund nach Vollendung seines Werkes, die Schaufel zwischen seinen Knien und das Gesicht in sein rothes Bandanna-Taschentuch begraben, auf dem Grabe saß. Aber von Andern wurde geltend gemacht, daß man sein Gesicht auf diese Entfernung hin nicht von seinem Tuche unterscheiden könnte, und so blieb dieser Punkt unentschieden.

In der Reaction, die auf die fieberhafte Aufregung dieses Tages folgte, wurde Tennessee's Geschäftsfreund nicht vergessen. Eine geheime Nachforschung hatte ihn von jeder Mitschuld an Tennessee's Vergehen gereinigt und nur den Verdacht zurückgelassen, daß es bei ihm im Kopfe nicht ganz richtig sei. Sandy Bar legte sich darauf, ihn zu besuchen und ihm verschiedene ungeschlachte, aber gutgemeinte Freundlichkeiten anzubieten. Aber von jenem Tage an schienen seine derbe Gesundheit und seine große Leibesstärke sichtlich abzunehmen, und als erst die Regenzeit richtig anbrach und die winzigen Grashälmchen aus dem felsigen Hügel über Tennessee's Grab hervorzugucken begannen, legte er sich.

Eine Nacht, als die Fichten neben der Hütte im Sturme wogten und ihre magern Finger auf das Dach hinüberstreckten, und das Brüllen und Rauschen des geschwollenen Flusses drunten sich hören ließ, erhob Tennessee's Geschäftsfreund sein Haupt von seinem Pfühl und sagte: »Es ist Zeit, nach Tennessee zu gehen; ich muß Jenny in den Karren spannen,« und er würde von seinem Bette aufgestanden sein, wenn ihn sein Wärter nicht abgehalten hätte. Indem er sich loszumachen strebte, verfolgte er seine eigenthümliche Phantasie weiter: »Halt, stramm jetzt, Jenny, – stramm, altes Mädel. Wie dunkel es ist! Sieh Dich um nach dem Geleise, und sieh Dich auch nach ihm um, altes Mädel. Du weißt, manchmal, wenn er stockbetrunken ist, fällt er mitten in der Wagenspur um. Bleib nur immer in gerader Richtung auf die Fichte zu, oben auf dem Berge. Da – ich sagte Dir's doch! – Da ist er – da kommt er von hier noch dazu – ganz von selber, nüchtern und mit glänzendem Gesicht. Tennessee! Alter Geschäftsfreund!«

Und so trafen sie denn einander.


 << zurück weiter >>