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V.

An dem Tage, der auf die Beraubung der Postkutsche folgte, befand sich Collinson ruhig und ungestört in seiner gewöhnlichen Zurückgezogenheit. Die Nachricht, welche Gallopers Ridge weit und breit in Aufregung versetzte, drang nicht bis zu den grünbelaubten Ufern des ausgetrockneten Flusses. Zwar war das Aufgebot zur Verfolgung der Räuber längs der ganzen Poststraße ergangen, aber keiner der berittenen Boten hatte es der Mühe wert gefunden, den weiten Umweg über den felsigen Abhang zu machen, welcher den einzigen Zugang zur Mühle bildete. Collinsons Einsamkeit war an diesem Tage selbst nicht einmal von einem der Westleute aus dem Tal unterbrochen worden, die immer nur von Mühsal und Entbehrung zu erzählen hatten. Die Vögel kamen noch näher an die alte Mühle herangeflogen, als ob die ungewohnte Stille sie kühner machte. Sogar der Abdruck einer Bärentatze hatte sich in dem Schlamm neben dem Mühlrad gezeigt, und als Collinson mit seinem spärlichen Vorrat Viehfutter aus dem Walde heimkehrend seine Stube betrat, fand er dort auf dem Schenktisch ein goldbraunes Eichhörnchen – einen kleinen schlauäugigen munteren Gast aus dem Wald, der gemütlich an einem Stück gestohlenen Zwiebacks knabberte. Collinson war an diesem Nachmittag ganz besonders zerstreut und in seine Träumereien versunken; am Holzhaufen stand er auf die Axt gestützt so tief in Gedanken, daß eine smaragdgrüne Eidechse keck auf den Holzklotz schlüpfte und im Gefühl ihrer Sicherheit zu schlafen begann.

Mit Einbruch der Nacht erhob sich der Wind wie ein fernes am Berg entlang ziehendes Summen. Dann schüttelte er die Gipfel der hohen Rotsandelholzbäume hinter der Mühle, ohne indessen die Mühle selbst, oder die trocknen Blätter im Flußbett zu berühren. Später wurde das Summen anhaltender, bis es dem ruhelosen Grollen eines fernen Meeres glich, und endlich tobte der Wind auch die Bergseite hinab. Er trieb den Rauch den kurzen Schornstein der Mühle herunter, rumorte in den von der Sonne verzogenen Schindeln des Daches, traf die Sparren im Innern mit seinem kühlen Hauch und heulte um die Vorsprünge der roh gezimmerten Dachtraufen. Um neun Uhr wickelte sich Collinson, wie es seine Gewohnheit war, vor dem Feuer in seine Decken und schlief ein.

Mitternacht war vorüber, als ihn das bekannte Poltern des Gerölls den Abhang herunter weckte. Es klang, als ob ein ganzes Heer in ungestümem Lauf rings gegen die Mühle anstürmte; dann folgte ein schwerer Stoß gegen die Tür, wie er ihn schon einmal gehört hatte. Er glaubte nichts Ungewöhnliches darin zu erkennen und drehte sich auf die andere Seite, um weiter zu schlafen. Diesmal aber fiel die Tür krachend aus den Angeln; ein Mann trat über ihn, die Gewehrmündung nach seinem Kopf richtend.

Im Nu sprang Collinson seitwärts nach seiner Waffe, welche am Herde lehnte. Diese Bewegung wäre vielleicht schon in der nächsten Sekunde seine letzte gewesen, und kein Sterblicher hätte je Seth Collinsons Einsamkeit wieder unterbrochen, wäre nicht das Gewehr des zuerst Eingetretenen von einem zweiten Mann schnell in die Höhe geschlagen worden und der einzige Schuß, welcher in dieser Nacht fiel, harmlos in das Dach gegangen. Gleichzeitig fühlte Collinson seine Arme gepackt und fest nach hinten gezogen. Durch den Rauch sah er undeutlich, daß maskierte und bewaffnete Leute das Zimmer füllten. Im nächsten Augenblick wurde er geknebelt und auf seinen Lehnstuhl geworfen. Auf ein Zeichen verließen drei der Männer die Schenkstube, und Collinson konnte hören, wie sie die anderen Räume und Nebengebäude durchsuchten. Dann traten die beiden Leute, welche ihn geknebelt hatten und noch neben ihm standen, mit einem gewissen soldatischen Respekt vor einem Mann mit glattem Kinn zurück, der durch die offene Tür hereinschritt. Er goß sich am Schenktisch ein Glas Whisky ein, leerte es bedächtig und stellte sich dann Collinson gegenüber. Nachlässig gegen den Herd gelehnt und die eine Hand leicht auf seine Hüfte gestützt, räusperte er sich. Wäre Collinson ein schärferer Beobachter gewesen, so würde er bemerkt haben, wie die beiden Männer in seiner Nähe plötzlich mit einer gewissen ergebungsvollen Miene die Köpfe senkten und einen ungeduldigen Seufzer zu unterdrücken schienen, und wäre er Zeuge des Postraubes gewesen, so würde er in dem Glattrasierten den »Redner« wiedererkannt haben. Er sah ihn aber nur mit seinem Blick voll stumpfer, unerschütterlicher Geduld an.

Wir bedauern unendlich, daß wir gezwungen waren, gegen einen Ehrenmann in seinem eigenen Hause Gewalt zu brauchen, begann der Redner mild. Umsomehr halten wir es für unsre Pflicht, der Wiederholung eines so beklagenswerten Vorfalls, wie er sich bei unseren Eintritt zutrug, vorzubeugen. Sie können uns darin sehr unterstützen, indem Sie uns einige Fragen beantworten, und wir empfinden die tiefste Dankbarkeit, daß Sie dazu noch imstande sind – was vor einigen Augenblicken außerordentlich unwahrscheinlich schien. Er hielt inne, hustete und lehnte sich an den Herd zurück. Wieviele Männer außer Ihnen befinden sich hier?

Nicht 'n einziger, sagte Collinson.

Der Fragende sah die drei Leute an, welche vorher hinausgegangen waren und eben zurückkamen. Sie nickten zustimmend.

Gut! Sie haben die Wahrheit gesagt – eine vortreffliche Gewohnheit, welche jedes Geschäft beschleunigt. – Nun, antworten Sie ebenso aufrichtig – gibt es ein Zimmer in diesem Hause mit einer verschließbaren Tür?

Nein.

Auch keinen Keller oder sonstigen Raum?

Nein.

Das tut uns leid, denn wir werden nun, ganz gegen unsre Absicht, gezwungen sein, Sie vorläufig gebunden zu lassen. Die Sache ist nämlich die: Umstände sehr dringender Natur nötigen uns, dieses Haus für einige Tage in Besitz zu nehmen – vielleicht auf unbestimmte Zeit. Wir achten jedoch die heiligen Gesetze der Gastfreundschaft zu hoch, um Sie hinaus zu werfen. Nichts könnte unser Gefühl mehr verletzen, als wenn sich dergleichen entehrende Gerüchte über uns in den ritterlichen Sierras verbreiteten. Wir müssen Sie daher in strenger Gefangenschaft halten, wenn Sie es ablehnen, uns Ihr Besitztum, wie es steht und liegt, für – sagen wir 500 Dollars – zu verkaufen. Wir würden Sie in dem Fall freundlichst ersuchen, sich einem Warentransport anzuschließen, welcher morgen früh durch das untere Tal nach dem Thompsonpaß aufbrechen wird. Doch müßten wir zur Bedingung machen, daß Sie geloben, den Staat auf drei Monate zu verlassen und diese Angelegenheit geheim zu halten. Drei von diesen Herren werden mit Ihnen gehen, um Ihre werte Person zu bewachen und Sie – wenn nötig – mit ihren Gewehren an Ihr Versprechen zu erinnern.

Wenn Sie mich kennten, würden Sie sich Ihr ganzes Gerede gespart haben, sagte Collinson grämlich.

Ja so, Sie erinnern uns, erwiderte verbindlich der Redner, daß wir allerdings noch des Vergnügens entbehren, zu wissen, wen wir vor uns haben.

Na, den Seth Collinson.

Totenstille legte sich auf das Zimmer und jedes Auge blickte gespannt auf die beiden Männer. Das Lächeln des Redners wurde etwas starr.

Woher? fragte er sanft.

Missouri.

Ah, ein sehr schönes Land, um dahin durch Thompsons Paß zurückzugehen. Aber Sie haben unsern Vorschlag noch nicht beantwortet.

Nun, ich schätze, daß ich nicht die Absicht habe, dieses Haus zu verkaufen oder es zu verlassen, sagte Collinson einfach.

Ich hoffe, Sie werden uns nicht den glücklichen Ausgang des bei unsrer Ankunft stattgehabten kleinen Zwischenfalls bedauern lassen, drohte der Sprecher mit eigentümlichem Lächeln. Darf ich fragen, warum Sie den Handel ausschlagen. Ist es der Preis?

Das Haus ist nicht mein, erklärte Collinson bedächtig. Ich hab's für mein Weib gebaut, das ich in Missouri zurückließ. Es gehört ihr, und ich vermute, ich will's behalten und drin bleiben bis sie kommt, es in Besitz zu nehmen! Und wenn ich euch sage, daß sie tot ist, da könnt ihr euch auskalkulieren, was ihr für Aussicht habt, es jemals zu bekommen.

Offenbar hatten seine Worte ihren Eindruck nicht verfehlt. Es entstand eine so tiefe Stille, daß nur das Wehklagen des Windes vernehmbar war. Ein großer, wohlgebauter Mann, der gleich allen andern eine Maske trug, die seinen dicken Schnurrbart kaum verbarg, hatte bisher in kaum zu bezähmender Ungeduld mit dem Rücken nach dem Redner dagestanden; jetzt drehte er sich plötzlich um und machte eine Bewegung, als wollte er sich in die Unterhandlung mischen. Kreuzdonnerwetter! tönte es zugleich aus einer Ecke.

Halt's Maul! gebot der Redner; dann wandte er sich barsch zu den andern. Schert euch alle miteinander raus, nehmt den Mann mit und stellt eine Wache zu ihm.

Collinson wurde aufgehoben und hinausgetragen. Im Zimmer blieben nur der Redner und der große Mann mit dem dicken Schnurrbart zurück. Beide nahmen die Masken ab und sahen einander an. Das Gesicht des Redners war glatt und trug den Stempel der Verderbtheit. Die Winkel des vollen, sinnlichen Mundes zeigten Linien höhnischer Spottsucht. Der Schnurrbärtige schien ihm, trotz seines düstern, unzufriedenen Ausdrucks, moralisch wie physisch überlegen. Derselbe warf einen raschen Blick durch das Zimmer, um sich zu überzeugen, daß sie allein waren und sagte dann:

Verdammt, Chivers, wenn mir das gefällt! Es geht zwar nur dich allein an, aber ich muß dir gestehen, in meinen Augen handelst du grundgemein und niedrig.

So? Und ich muß dir gestehen, daß du es hättest bleiben lassen können, das Gewehr von Brice in die Höhe zu schlagen. Das hätte die Sache sehr vereinfacht; wir würden dann nie erfahren haben, daß dieser Hund ihr Mann ist, entgegnete Chivers hitzig.

Nun aber, da du's jetzt weißt, wirst du die Angelegenheit gewiß als Ehrenmann erledigen wollen, erwiderte der andere höhnisch. Es ist noch immer Zeit dazu, du brauchst ihm nur zu sagen, daß du der Entführer seiner Frau bist, und ihr könnt es dann augenblicklich zum Austrag bringen. Die Jungens werden mit Vergnügen dazu leuchten. Wahrhaftig, fügte er mit beißendem Spott hinzu, ich vermute stark, daß sie schon darauf warten.

Sehr verbunden, Jack Riggs, höhnte Chivers. Vermutlich würde es einigen Leuten ganz gelegen kommen, wenn ich gerade jetzt, bevor unsre Beute geteilt wird, von einem Schuß dieses Bauerntölpels durchbohrt würde; oder käme es dir etwas ritterlicher vor, wenn ein Schütze wie ich einen Mann über den Haufen schöße, der vielleicht noch niemals einen Revolver abgefeuert hat? Mir paßt weder das eine noch das andere. Ich glaube, du schätzest mich nicht ganz nach meinem Wert, mein lieber Jack. Wenn du den einzigen Mann, der in ganz Kalifornien für den Hauptmann unsrer Bande gilt, wenn du den Mann, dessen Form und Lebensart sie populär gemacht hat – ja, populär, bei Mann, Weib und Kind – den Mann, dessen Reden und Taten die Zeitungen melden, den zu sehen die Leute sich in Gefahren stürzen, der so hoch in der Volksgunst steht, daß die Richter Anstand nehmen, Verhaftbefehle gegen ihn zu erlassen und die Häscher nach ihm auszuschicken – wenn du den Wert eines solchen Mannes nicht begreifst, so tue ich es doch. Anderthalb Spalten in der »Sacramento Union« sind wieder mit unserm letzten Geschäft gefüllt; sie nennt mich den Claude Duval der Sierras und spricht von meiner Höflichkeit gegen eine Dame! Eine Dame! – Seine Frau – ha, ha, es ist zum totlachen – unsre Verbündete! Mein bester Jack, du verstehst nicht nur nichts von Geschäftsbetrieb, sondern hast, meiner Seele, auch nicht den Schimmer von Verständnis für feinen Humor. Ha! ha!

Neben dieser zynischen Leichtfertigkeit und absichtlichen Uebertreibung zeugten die Worte des Mannes noch von lächerlicher Eitelkeit und von einem Selbstbewußtsein, das sein volles Gesicht überglänzte und seinen wulstigen Mund widrig verzerrte.

Riggs gerunzelte Stirn war während der langen Rede immer finsterer geworden. Du weißt, sagte er, daß der Frau das Leben bei uns verhaßt ist und sie je eher je lieber davonlaufen würde, wenn sie könnte – auch sogar dir. Bedenke, was sie vielleicht imstande wäre zu tun, wenn sie wüßte, daß ihr Mann hier ist. Ich sage dir, unser Leben liegt in ihrer Hand.

Daran bist du allein schuld, Jack Riggs. Bis du deine Schwester mit ihrer infernalischen Klosterunschuld in unser Haus im Felsenkessel brachtest, war Sadie uns blind ergeben. Aber das ist ja der reinste Unsinn. Vor ihr habe ich keine Angst. Das Weib lebt nicht, welches – um eines Ehemanns willen – Godfrey Chivers verlassen würde! Uebrigens ging sie nur fort, um Charley die Staatsschuldscheine zu überbringen und deine Schwester im Kloster zu besuchen. Bis Stockton saß der einfältige Narr, der Advokat neben ihr und seinen Papieren, die ich ihr wieder in ihre Reisetasche gesteckt hatte. Und dieser Erzdummkopf vertraut ihr während der Fahrt nicht allein an, daß er die Einlösung der Papiere verhindern würde, sondern übergibt ihr auch noch den Brief zur Besorgung, den er zu diesem Zweck auf der Station geschrieben hat! – Was, steckt da nicht Humor drin? Heh? Na, wir werden Zeit haben, uns ihren Mann vom Halse zu schaffen, ehe sie zurückkommt, so oder so – geht's nicht im Guten – nun dann – –

Davon darf keine Rede sein, Chivers, verstehst du? ein für allemal nicht! unterbrach ihn Riggs gebieterisch. Siehst du denn nicht ein, daß unser Ruf, mit dem du so prahlst, auf einen Schlag vernichtet wäre und jede Hand in der ganzen Sierra sich gegen uns erheben würde, wenn du ihn beiseite schaffst? Ich werde eine solche Tat unter keinen Umständen dulden. Daß wir gerade auf diesen Mann stoßen mußten ist ein niederträchtiges Spiel des Zufalls, und wenn nicht hier der einzige gottverlassne Fleck wäre, wo wir unser Geld teilen und in Sicherheit bringen können, so würde ich jetzt auf der Stelle aus der Gegend verduften.

So mag denn die verdammte Sadie im Kloster bleiben, sagte Chivers roh. Dort kann sie keinen Schaden anrichten. Sie wird sich ja sehr freuen, wieder mit deiner Schwester zusammen zu sein.

Nein, auch das muß aufhören, erwiderte Riggs scharf. Ich habe keine Lust, meine Schwester noch länger mit unsrer Genossin oder deiner Geliebten verkehren zu lassen. Das muß ein Ende haben – verstehst du mich?

Die beiden Männer hatten, an den Herd gelehnt, neben einander gestanden. Chivers trat jetzt seinem Gefährten gegenüber; seine wulstigen Lippen verzogen sich zu einem bösen Lächeln.

Ich denke, ich verstehe Sie, Herr Jack Riggs, oder – ich bitte um Verzeihung – Herr Rivers, oder wie sonst Ihr wirklicher Name auch sein mag, begann er langsam. Die Gesellschaft von Sadie Collinson, der Geliebten von Richter Godfrey Chivers – früher in Kentucky – war Ihnen damals gut genug, als Sie uns in unserm kleinen Felsennest auf Gallopers Ridge besuchten. Mein Mädchen und ich, wir führten dort, verborgen von den tadelsüchtigen Augen der Welt, ein wonniges, idyllisches Leben. Wir freuten uns der stillen, herrlichen Natur und lauschten dem Gesang der Vöglein. Ja, das war eine glückliche Zeit, fuhr er ohne Rücksicht auf die Ungeduld seines Gefährten mit einem erheuchelten Seufzer fort. Sie, mein Herr Riggs, waren damals jung, hatten Ihren ersten Kampf gegen die Gesellschaft gewagt und kamen soeben als Neuling – als ein ganz ungewöhnlich grüner Neuling, möchte ich sagen – von Ihrem ersten Abenteuer, das – Sie werden meine Offenheit verzeihen – ebenso lächerlich und dumm, wie plump und ungeschickt war. Ein Spieler hatte Sie ausgebeutelt und Sie besaßen ein häßliches Temperament. Sie wollten Ihr Geld zurück haben, fielen die Postkutsche an, in welcher der Glücksvogel davon fliegen wollte, und mußten zwei Menschen töten und alle die unschuldigen Passagiere erschrecken, um Ihre lumpigen tausend Dollars wieder zu erlangen; die Geldkiste von Wells Fargo & Komp. aber, mit 50 000 Dollars, ließen Sie sich entgehen. Sehen Sie, Teuerster, das war dumm, das war grausam dumm und tölpelhaft gehandelt. Ich meine, ich habe Ihnen das schon damals gesagt. Es war eine Verschwendung von Kraft und Material und machte Sie nicht zum Helden, sondern zu einem Ausgestoßenen! Ich denke, ich habe Ihnen das bewiesen und Ihnen gezeigt, wie es hätte gemacht werden müssen.

Genug davon, unterbrach Riggs ihn ungeduldig. Du erbotest dich zu meinem Kompagnon und wir machten gemeinsame Sache.

Verzeihung. Beachten Sie, mein ungestümer Freund, daß ich der Wahrheit gemäß konstatiere, daß Sie – Sie – unser unschuldiges Paradies vergifteten, daß Sie unsre Schlange wurden, daß erst durch Sie die nämliche Sadie Collinson, gegen die Sie jetzt eine so stolze Verachtung hegen, die Sie aber doch von vornherein als meine Geliebte kennen lernten, veranlaßt wurde, unsre Verbündete zu werden. Als wir unsre Bande bildeten, hatten Sie nichts gegen sie einzuwenden, im Gegenteil, ihr Haus erschien Ihnen als Versteck und zeitweiliger Zufluchtsort vortrefflich gelegen. Sie bedienten sich ihrer weiblichen Klugheit und Gewandtheit, um unsre Beute zu verwerten; Sie benutzten die Geheimnisse, die sie als meine Geliebte auskundschaftete, ebenso gern, wie Sie es niemals verschmähten, aus meiner – Ihres ergebenen Dieners – höherer Bildung und größeren Feinheit des Benehmens Vorteil zu ziehen. Gestatten Sie, daß ich dies besonders im Rückblick auf die Zeit betone, wo Ihre veraltete Verfahrungsart für brutal und gemein erklärt worden war. Entschuldigen Sie, verehrter Gönner, wenn ich hierauf zurückkam, aber es ist mir ein lebhaftes Bedürfnis, Ihnen in Erinnerung zu rufen, daß Sie mich und Sadie Collinson genau so formlos überfielen, wie Sie hier ihren Mann überfallen haben.

Zum Henker! Jetzt hab' ich dieses verdammte Geschwätz endlich satt! fuhr Riggs zornig auf. Ich gebe zu, daß die Frau ein nicht zu unterschätzendes Mitglied der Bande ist, als solches voll angesehen wird und auch ihren Anteil erhält – oder vielmehr, setzte er mit verächtlichem Lächeln hinzu, du ihn für sie erhältst – doch das gibt ihr noch lange nicht das Recht, sich in meine Familienangelegenheiten zu mischen.

Noch einmal Verzeihung, unterbrach Chivers sanft. Dein Gedächtnis, mein lieber Riggs, ist lächerlich schlecht. Wir wußten, daß du im Gebirge eine junge Schwester hattest, vor welcher du sorgfältig dein eigentliches Handwerk zu verbergen trachtetest. Wir respektierten dein Geheimnis, und werden, wie ich hoffe, es auch ferner respektieren. Aber erinnerst du dich jener Nacht, wo du sie nach der Klosterschule bringen wolltest – zwei Nächte vor dem Feuer? – Du wurdest unterwegs in der Nähe von Skinner erkannt und mußtest, um dem Stricke zu entgehen, mit ihr fliehen. Da brachtest du sie zu uns, deinen lieben alten Freunden, »Herrn und Frau Barker aus Chicago« – zu uns, in unser ländlich stilles Wohnhaus im Felsenkessel. Du wirst dich erinnern, wie wir sie aufnahmen und beflissen waren, sie zu täuschen, um dein Geheimnis vor ihr zu hüten. Und dann – weißt du nicht mehr – war es nicht dieses Weib, war es nicht diese meine Geliebte, unsre Genossin, die deine Schwester auf unsrem einzigen Pferde vor dem Feuer rettete, sie nach der Poststation und dann nach dem Kloster brachte? Hast du das vergessen?

Riggs schritt nach dem Fenster, drehte um, und zurückkommend streckte er seine Hand aus. Ja, du hast recht, das tat sie und ich danke es ihr. Er stockte und zögerte, als der andere seine Hand nahm. Aber trotz alledem, Chivers, siehst du denn nicht ein, daß Alice ein junges, unschuldiges Mädchen ist, und diese Frau – na, du weißt, was ich meine. Sieh, es könnte sie doch einmal jemand erkennen, und das würde für Alice noch schlimmer sein, als wenn man erführe, wer ihr Bruder ist. Großer Gott! Wenn das beides ans Licht käme, ihr Leben wäre für immer gebrandmarkt.

Jack, sagte Chivers plötzlich, du willst Sadie los sein! Gut – es soll geschehen! – Sie hat uns beide beinahe getrennt, und ich will offen mit dir sein, wie es sich zwischen Männern geziemt. Ich werde sie aufgeben! Weiber findet man schließlich genug, und Teufel auch, wir sind doch am Ende Kompagnons!

Was? Du willst sie verlassen? fragte Riggs langsam, den Blick fest auf seinen Gefährten gerichtet.

Ja, sie ist in letzter Zeit etwas sehr aufsässig geworden und führt wunderliche Reden. Es wird freilich ein kitzliches Stück Arbeit werden, denn sie weiß zu viel, aber es soll geschehen. Da, meine Hand darauf.

Riggs übersah die dargebotene Hand, und der frühere Ausdruck des Mißvergnügens, verschärft durch Widerwillen und Verachtung, stand ihm wieder im Gesicht geschrieben.

Sprechen wir nicht weiter davon, sagte er kurz; wir sind schon lange genug hier allein gewesen. Die Leute warten auf uns. Damit verließ er das Zimmer.

Chivers blieb mit starrem Lächeln am Herde stehen, nur seine Lippen zuckten; dann trat er an den Schenktisch, goß sich noch ein Glas Whisky ein, stürzte es hastig hinunter und folgte seinem Kompagnon mit halb geschlossenen Lidern, die seine Unheil drohenden Blicke kaum verbargen.

Auf dem Felsenrand waren Posten aufgestellt und ein Mann bewachte den unglücklichen Collinson, die übrigen Leute tranken und spielten um ihren Anteil an der ihnen in Aussicht stehenden Beute, welche sich noch in Mantelsäcken und Satteltaschen befand, die in der Mitte des Raumes aufgehäuft lagen. Sie enthielten den Ertrag ihres letzten Unternehmens; nur ein paar Säcke verrieten durch ihr verschimmeltes Aeußere, daß sie schon einige Zeit irgendwo vergraben gelegen hatten. Der größte Teil des Raubes bestand in Goldstaub, der sich nicht ohne Schwierigkeit in den Gebirgsstädten verkaufen ließ; deshalb hatte man den Entschluß gefaßt, die kostbaren Pakete auf Maultieren in dies von Menschen selten besuchte Tal zu schaffen und sie von da mit einem Planwagen auf dem alten Auswandererpfade in die südlichen Provinzen zu schicken, wo niemand mehr ausfindig machen konnte, woher das Gold kam. Seit den neuesten Raubanfällen hatten die Postgesellschaften und Banken die Annahme von Goldstaub verweigert, wenn die Absender sich nicht hinreichend zu legitimieren vermochten. Fiel der Bande gemünztes Geld in die Hände, dann wurde es stets eiligst verteilt, Schuldscheine und Wertpapiere aber wurden einem gewissen »Charley« anvertraut, welcher als Agent zwischen den Räubern und einem Bankier in Sakramento diente, der die Rolle des Hehlers übernahm. Chivers Aufgabe war es, dieses ebenso gefährliche als schwierige Geschäft zu beaufsichtigen, sowie es auch zu seinen besonderen Pflichten gehörte, alle erbeuteten Briefschaften zu öffnen. Letztere Arbeit hatte er bei der ihm eigenen Leichtfertigkeit und humoristischen Beanlagung stets unter allgemeiner Heiterkeit verrichtet, indem er den Inhalt der Privatkorrespondenz mit seinen drastisch-spöttischen Bemerkungen würzte. Der unorthographisch geschriebene Brief eines Bergmanns an sein Weib, welcher einen Wechsel einschloß, oder die gefühlvollen Herzensergüsse eines jungen Auswanderers an seine Geliebte, die das Geschenk einer »Probe« begleiteten, erzeugten immer besonders launige Ausbrüche seines Humors. In dieser Nacht aber vollzog sich die Durchsicht der Briefe schweigend und mit geschäftsmäßigem Ernst. Die beiden Anführer saßen einander gegenüber, und keinem der übrigen Mitglieder der Bande konnte es entgehen, daß sie ihre Bewegungen gegenseitig mit kaum verhehltem Mißtrauen überwachten. Als die Durchsicht beendet war, wurden die Werteinlagen beiseite gelegt und die Briefe auf die Kohlen gehäuft. Bald mischte sich das Geprassel der Flammen mit dem Geheul des Windes, die Funken flogen auf und erloschen in der mitternächtlichen Luft.

Dieses unsinnige Feuer ist eine verdammte Narrheit, grollte der Franzosen-Peter über seinen Karten.

Warum? fragte Chivers scharf.

Warum? Na, das lodert ja zum Schornstein raus und macht 'nen Rauch, daß jede etwa in der Nähe herumschleichende Spürnase davon angezogen werden muß.

Pah, wir sind hier vier Meilen von jeder Verkehrsstraße, erwiderte Chivers verächtlich. Der müßte früh aufgestanden sein, der schon jetzt hier herumlungern sollte.

Da fällt mir übrigens ein, fuhr der Franzosen-Peter fort, der Kerl, den wir gebunden haben – der Collinson – möchte Sie gern sprechen.

Mich? fragte Chivers. Er wird wohl den Hauptmann gemeint haben?

Vermute wohl kaum, denn er sagte: »Den Mann, der gar so schön zu mir gered't hat«.

Die Leute sahen einander lachend an und legten die Karten nieder. Einige standen auf, als wollten sie Chivers folgen, der nach der Tür ging. Riggs jedoch befahl ihnen gebieterisch, zu bleiben. Setzt euch, rief er barsch; und als Chivers bei ihm vorüber kam, raunte er ihm leise zu: Denke daran!

Die Brust herausdrückend und den Rock öffnend, damit nichts seinen Redefluß hemmte – was ihn indessen nicht hinderte, seine Rechte um den Revolverkolben zu legen – trat Chivers ins Freie. Collinson lag an einer durch das überhängende Dach geschützten Stelle; weniger wohl zu seiner eigenen Bequemlichkeit, als zu der der Wache, welche in seiner Nähe mit gekreuzten Beinen auf der Erde saß. Den Mann mit einer Handbewegung entlassend, stellte Chivers sich in theatralischer Haltung vor seinen Gefangenen hin.

Wir bedauern auf das tiefste, daß Ihr unglücklicher Entschluß, mein teurer Herr Collinson, uns des Vergnügens Ihrer Gesellschaft und Sie der völligen Freiheit beraubt hat, aber wir dürfen wohl die Hoffnung hegen, daß Ihr Wunsch, mich zu sprechen, auf eine Veränderung Ihrer Absicht hindeutet?

Beim Schein der Laterne, die der Wächter auf dem Boden hatte stehen lassen, konnte Chivers erkennen, daß Collinsons Gesicht einen bekümmerten Ausdruck trug.

Ich hab' nachgedacht, sagte er, wie mit schüchterner Bewunderung zu dem Mann aufblickend, dessen Gefangener er war, vielleicht weniger von wegen dem, was Sie sagten, als von wegen dem wie Sie's sagten, und 's hat mir keine Ruh' nicht gelassen, daß ich hier sitze und gegen euch Jungens nicht meine Schuldigkeit tue, wie's sich für mich passen täte. Sehn Sie, ich hab mir gesagt: Collinson, hab' ich gesagt, zwischen Bald Top und Skinner raucht kein Schornstein weiter, wo die Burschen 'nen Bissen zu essen und 'n Troppen zu trinken finden. Schämen sollt'st du dich, daß du nach'm Gewehr sprangst, anstatt ihnen was anzubieten. Es ist ganz egal, wer sie sind, und ob sie dir die Tür einschlugen, ob sie den Weg aus dem Tal rauf schlichen, oder ob sie herunter rasselten wie die Felsstücke von da oben, da sind sie nun mal, und du mußt das Haus für deine Frau versehen und geben, was du hast, wie sie's getan haben würde. Und nun bat ich, daß Sie kämen, weil ich Sie sagen wollte, daß ich einseh, daß ich 'ne mächtige Niederträchtigkeit beging, indem daß ich nach der Büchse griff, und daß ich's mein Lebtag nicht vergessen werde, wie ihr dann doch noch so milde mit mir umgingt und Sie, Herr, nun gar noch so sanft und freundlich zu mir redeten. Das hätten andre nicht getan. Na, und nun wollt' ich weiter sagen – nehmt das Haus mitsamt allem was drin ist und benutzt's so lange ihr nichts andres nicht habt. Ihr wißt, warum ich euch das Haus nicht verkaufen und warum ich's nicht verlassen kann. Aber solang ihr bleibt, seid ihr mir willkommen, und wenn ihr wieder fortmacht, verlaßt euch drauf, ich verrat' niemand nichts. Was Sie damit meinten – ich sollte mich verbindlich machen, Ihr Geheimnis zu bewahren – das weiß ich nicht, ich schätze aber – wenn Seth Collinson was verspricht, so hält er's auch, und wenn er jemand sein Wort gibt, oder jemand gibt's ihm, so ist die Sache abgemacht und 's ist kein Stück Papier zwischen ihnen nicht nötig.

Er sprach die Wahrheit, jeder Zweifel war unmöglich. In den ernsten, zu ihm aufgeschlagenen Augen seines Gefangenen las Chivers die Gewißheit, daß er ihm trauen konnte, weit mehr als irgend einem von denen, die er im Hause soeben verlassen hatte. Diese Erkenntnis angesichts des Mannes, dessen Lebensglück er zerstört hatte, erweckte ihm aber nicht etwa Gewissensbisse, die bei seiner Art wohl nur auf eine rasch verschwindende Wallung hinausgelaufen wären, er fühlte sich jedoch einer ihm bisher ungekannten, ihn lähmenden Macht gegenüber! Es regte sich in ihm kein Mitleid für den Mann, der in seiner Ahnungslosigkeit Vertrauen in ihn setzte; er empfand keine Scham, Vorteil daraus zu ziehen; er spottete sogar innerlich dieses kindlichen Gemüts und freute sich seiner geistigen Ueberlegenheit über den Tölpel, den er zum Narren hielt. Trotz alledem kam er sich aber in irgend welcher Weise geschlagen und beschimpft vor – er verstand sich selber nicht. – Zuerst hatte er, wie alle Schurken, den Mann nach sich selbst beurteilt, war argwöhnisch und auf einen Kampf vorbereitet gewesen – den treuen, redlichen Augen Collinsons aber stand er wehrlos gegenüber. Dieser ihm unverständliche Zustand beunruhigte und verwirrte ihn. Am liebsten hätte er, in dem dunklen Gefühl, eine Niederlage erlitten zu haben, Collinson umbringen mögen, aber das erschreckende Bewußtsein, etwas hinter sich zu haben, was er nicht gleichzeitig mit ihm aus dem Wege zu räumen vermochte, lähmte ihn. Dieser hartgesottene Schurke mußte es an sich erfahren, daß er jetzt wie ein unreifer Junge in Verlegenheit und Scham erglühend, vor seinem Gefangenen stand und seine glatte Zunge vergebens nach ihrem gewohnten Spott suchte.

Collinson in seiner geringen Menschenkenntnis merkte nichts davon und Chivers faßte sich bald.

Schon gut, sagte er jovial, mit einem raschen Blick auf die Tür hinter sich. Nun, wo Sie vernünftig geworden sind, will ich offen mit Ihnen reden und Ihnen sagen, daß ich es gut mit ihnen meine. Ganz unter uns – ich will Ihr Beschützer sein. Reden Sie nicht viel mit meinen Leuten – geben Sie sich nicht unnötig mit ihnen ab und – er lachte diesmal wirklich in durchaus natürlicher Verlegenheit – sprechen Sie besonders nicht von Ihrer Frau und diesem Hause; sagen Sie nur, Sie hätten mit mir alles abgemacht – verstehen Sie, mit mir, vergessen Sie das nicht – und wenn Sie irgend etwas wollen, so wenden Sie sich an mich.

Dem Schuft war mitten in seiner Verwirrung, wenn auch vorderhand nur undeutlich, der Gedanke gekommen, die unerwartete Lenksamkeit des schlichten, arglosen Mannes vielleicht in irgend einer Art für seine Zwecke auszubeuten. Daneben fand er sich sonderbarerweise in seiner unbegrenzten Eitelkeit durch die offenbare Bewunderung des von ihm so gering geschätzten Mannes höchst geschmeichelt. Und seine Freude darüber wurde noch größer, als der Gefangene sagte:

Hören Sie, wär'n meine Hände nicht gebunden, würd' ich Ihnen die Hand schütteln. Sie scheinen mir die rechte Art von 'nem Manne. Sie haben mir von Anfang an gefallen. Wissen Sie, wenn das Haus nicht ihr gehörte, Ihnen zuliebe hätt' ich vielleicht Ihr Angebot angenommen, oder Ihnen vielleicht auch selber eins gemacht. Es ist mir so, als wenn wir zwei beide gewissermaßen zusammen passen könnten. Na, Sie werden mich ja verstehn und 's mir nicht für ungut halten, daß ich so was sage. Aber, sehn Sie, ich mein' halt, wir zwei brauchen kein Stück Papier nicht, uns darüber die Hände zu schütteln, und ich sag's noch mal, Ihr Geheimnis und das Ihrer Leute ist mein's, und ich will verdammt sein, wenn ich darüber zu jemand auch nur 'n Sterbenswort rede, oder, wie Sie mich verwarnigten, zu Ihren Leuten über das, was mich allein angeht, 's Maul auftu.

Wie einem plötzlichen Impuls folgend, beugte Chivers sich nieder und löste verwirrt und mit unsichern Händen die Stricke, mit denen Collinson gebunden war. Als dieser sich zu seiner vollen Höhe emporreckte, blickte er ernst in die brennenden Augen seines Befreiers und reichte ihm seine starke Rechte. Chivers nahm sie. – Besaß Collinsons ehrlicher Druck eine geheime Kraft? In Chivers behendem Geist blitzte der Gedanke auf, ob nicht die beste Art, die Frau des Mannes los zu werden, die sein würde, sie ihm in den Weg zu führen und von ihm finden zu lassen. Einen Augenblick empfand dieser Erzschurke eine glühende Leidenschaft für die Tugend.


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