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VII.

Das Wiedererscheinen von Chivers mit Collinson in der Stube und die kurze Ankündigung, daß der Gefangene in einen befriedigenden Vergleich gewilligt habe, wurde von der Bande mit verächtlichem Lachen ausgenommen. Die Leute würden den unglücklichen Gefangenen wahrscheinlich über seine wahren Beziehungen zu dem Mann, dem er sein Vertrauen schenkte, aufgeklärt haben, hätte sie nicht der Wunsch und Wille ihres Anführers davon abgehalten. Vielleicht überlegten sie auch, daß die zwischen dem tölpisch dummen Gefangenen und ihrem geriebenen Genossen erzielte Einigkeit ihnen mehr Sicherheit bot, als sein grimmiger Haß, der sich möglicherweise nicht auf den Entführer der Frau allein beschränken, sondern alle gefährden konnte. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet fand der von Chivers halb spöttisch gemachte Vorschlag, man solle Collinson unter den Sicherheitsposten verwenden, um selber sein Eigentum zu bewachen, bei Riggs mürrische Einwilligung und bei den andern vergnügten Beifall. Chivers erbot sich, ihn selber aufzustellen, wobei er mit Riggs bedeutsame Blicke wechselte. Collinson erhielt sein eigenes Gewehr, und das seltsame Paar verließ einträchtig die Mühle.

Wie sehr Chivers als Mensch auch der Redlichkeit seines Begleiters traute, so vergaß er doch nicht die Vorsicht des Schurken, und beschloß, Collinson an einem Ort aufzustellen, wo er, selbst wenn er ihm die Treue nicht hielt, so wenig Schaden als möglich anrichten konnte. Von der Höhe des Berges über der Mühle führte der einzige Zugang, auf dem eine Abteilung von einiger Stärke sich ihr nähern konnte. Das war in Chivers Augen natürlich ein strategisch zu wichtiger Punkt, um ihn der Beaufsichtigung eines Gefangenen anvertrauen zu können. Der dort 500 Meter vorgeschobene Posten der Bande gewährte mehr Sicherheit. Aber links davon gab es noch eine alte, nur den Räubern bekannte, Wasserrinne, die durch dichtes Gestrüpp führte und von ihnen schon öfter als Fußpfad benutzt worden war. Das schien die richtige Stelle für Collinson. Sie entzog ihn nicht allein einem etwa nahenden Feinde, sondern auch, was fast ebenso wichtig war, einem Zusammentreffen und vertraulichen Verkehr mit den Posten der Bande. Hier angekommen, zog Chivers eine Zigarre aus der Tasche, reichte sie Collinson, steckte sich selber eine an, und gegen einen großen Felsblock bequem zurückgelehnt, betrachtete er vergnügt seinen Schützling.

Nun, Herr Collinson, können Sie rauchen, bis ich Sie verlasse, hob er gemütlich an, und wenn Sie wollen, auch noch später, doch müssen Sie sich dann mit Ihrer Pfeife hinter einem Felsen verbergen, damit Sie von den andern Wachen nicht bemerkt werden; ich würde übrigens an Ihrer Stelle deren nähere Bekanntschaft nicht suchen. Ihre Lage hier, sehen Sie, ist doch eine ganz eigentümliche. – Sie sagten, wenn ich nicht irre, daß Sie Ihr Besitztum aus Liebe zu Ihrer unvergeßlichen Frau nur noch für diese verwalten, obgleich Sie überzeugt sind, daß sie tot ist.

Collinsons Entzücken über Chivers Freundlichkeit war groß; seine Augen glänzten im Mondschein wie die eines treuen Hundes. Jawohl, ich hab' das gesagt, Herr Chivers, bestätigte er wie entschuldigend, aber ich hab doch auch gesagt, daß Sie 's Haus benutzen können, so lange Sie hier sind.

Das meinte ich jetzt nicht, Collinson, erwiderte Chivers mit einer pathetischen Handbewegung. Die unverkennbare Bewunderung, die er seinem Zuhörer einflößte, schien ihm hohen Genuß zu bereiten. Mir fiel nur auf, daß Ihre Aeußerung einen Zweifel an dem Tode Ihres Weibes andeutet und meiner Ansicht nach ist ein solcher Zweifel auch durchaus nicht unberechtigt.

Was meinen Sie damit? fragte Collinson, dem dunkle Röte ins Gesicht stieg.

Chivers blies langsam den Rauch seiner Zigarre in die Luft.

Hören Sie, begann er. Ich habe mich näher nach Ihnen erkundigt und gehört, daß Sie im Jahre 52 in Texas die letzte Spur Ihrer Frau verloren haben, wo eine Anzahl der sie begleitenden Auswanderer am gelben Fieber starb. Ist das so?

Ja, nickte Collinson rasch.

Nun, zufällig war ein Freund von mir, fuhr Chivers langsam fort, in einem Zuge, der jenem andern folgte, traf einige der Ueberlebenden und nahm sie mit.

Stimmt, das war der Zug, der die Nachricht brachte, sagte Collinson, in seine alte Ruhe verfallend. Auf die Art hab' ich erfahren, daß sie nicht mitgekommen war.

Haben Sie vielleicht die Namen von einigen der Auswanderer gehört? forschte Chivers gespannt.

Nein, von keinem einzigen nicht! Ich weiß bloß, daß es nur 'n kleiner Zug von zwei Wagen war, der dann durch 'nen südlichen Paß nach Kalifornien machte, und von dem nie nichts mehr gehört wurde. Das ist alles.

Dann wissen Sie eben nicht alles, Collinson, sagte Chivers mit Betonung. Ich traf den Zug im Südpaß, als ich da einen Freund mit seiner Frau erwartete, und bei diesen befand sich eine Dame – eine der vom gelben Fieber verschont gebliebenen. Ihren Familiennamen habe ich nicht gehört, aber mir ist, als hätte die Frau meines Freundes sie »Sadie« genannt. Sie war eine auffallend hübsche Frau – groß, mit zarter, weißer Haut, gerader Nase, vollem Kinn und merkwürdig kleinen Füßen. Ich sah sie nur vorübergehend, denn sie war auf dem Wege nach Los Angelos und wollte, glaube ich, ihren Mann irgendwo in den Sierras aufsuchen.

Der Schurke weidete sich mit heimlicher Freude an der furchtbaren Erregung, welche Collinson von neuem die dunkle Glut ins Gesicht trieb und sogar seine lange eckige Gestalt zu beleben schien; mit teuflischem Genuß führte er die Beschreibung des Weibes immer weiter aus und erkannte mit Befriedigung, wie seine Schilderung den apathischen Riesen immer mehr packte und ihm gleichsam neue Lebenswärme einhauchte. Doch sein Triumph war nur von kurzer Dauer. Das Feuer erlosch plötzlich in Collinsons Augen; die Röte seines Gesichts verschwand, es nahm seinen alten stumpfen, ergebenen Ausdruck wieder an.

Das ist alles gut und freundlich von Sie, Herr Chivers, sagte er traurig; Sie haben mir mein Weib bis aufs Tüpfelchen beschrieben und 's scheint alles auf ihr zu passen wie 'n Schuh, den ich kürzlich fand, aber meine Sadie war's doch nicht, denn wenn sie am Leben wär', würde sie hier sein!

Diese Hartnäckigkeit verdroß Chivers; sie erfüllte ihn mit Argwohn und einer gewissen Furcht, von dem scheinbar so treuherzigen Mann hinters Licht geführt zu werden. In seiner Wut darüber würde er gern mit der Nachricht von der Untreue der Frau herausgeplatzt sein, aber er wußte, Collinson würde ihm nicht glauben, auch hatte er jetzt andre Absichten. Seine vollen Lippen verzerrten sich zu einem süßlichen Lächeln.

Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen, Herr Collinson, sagte er sanft, aber mein Interesse für Sie drängt mich, Ihnen zu sagen, daß Sie doch vielleicht allzufest von Ihrer Meinung überzeugt sind. Es gibt tausend Dinge, die Ihre Frau verhindert haben können, zu Ihnen zurück zu kehren – vielleicht Krankheit, die Folge der Reisestrapazen oder Mangel an Mitteln, oder ein Mißverständnis bezüglich Ihres Aufenthaltsortes und vor allem vielleicht die falsche Nachricht Ihres eigenen Todes. Ist es Ihnen denn niemals eingefallen, daß sie sich über diesen Punkt ebenso täuschen könnte wie Sie – was leicht möglich ist?

Was reden Sie da? stieß Collinson mit unbestimmtem Argwohn hervor.

Nun, was ich denke. Sie glauben sich berechtigt, Ihre Frau für tot zu halten, weil sie nicht hier ankam; ist sie nicht ebenso berechtigt, von Ihnen dasselbe zu glauben, weil Sie sie nirgend anderswo suchten?

Aber 's war doch geschrieben, daß sie hierher kommen sollte, und – ich mein' wohl, daß ich jeden Auswandererzug, der in jenem Herbst eintraf, angesprochen hab', entgegnete Collinson mit einer bei seiner gewöhnlichen Ruhe ganz ungewöhnlichen Reizbarkeit.

Mit Ausnahme von einem – mein Lieber – mit Ausnahme von einem, erwiderte Chivers, indem er ihm lächelnd mit dem fetten Zeigefinger drohte. Und das kann vielleicht gerade der rechte gewesen sein. Nun hören Sie aber mal. Es bleibt noch eine Möglichkeit, die Spur zu verfolgen, wenn Sie wollen. Das mir befreundete Ehepaar hieß Barker. Leider ist er, der arme Barker, tot, fügte er hüstelnd hinzu. Er war kein so musterhafter Ehemann, wie Sie es sind, mein lieber Collinson, und ich fürchte, durchaus nicht so, wie Frau Barker gewünscht hätte; genug, er starb infolge verschiedener Ausschweifungen und versäumte es, mir Frau Barkers gegenwärtige Adresse zu hinterlassen. Doch sie besaß ein Mündel, welches sie sehr liebte, und dieses lebt im Kloster von Santa Louisa; der Name des Mädchens ist Rivers, und durch deren Vermittlung dürften Sie Nachrichten einziehen können. Und nun noch eins: Ich fühle mit Ihnen und verstehe, wie sehr Sie wünschen müssen, bald Gewißheit zu erlangen. Es liegt vielleicht nicht in meinem Interesse noch in dem meiner Gefährten, Ihnen einen Rat zu geben, aber – sich nach allen Seiten umblickend – Sie haben hier an diesem verborgenen Fußpfad einen so wundervoll abgelegenen Posten, daß ich, wenn Sie etwa morgen früh vermißt werden sollten, Ihre Gefühle verstehen könnte und mich fest auf Ihr Wort verlassen würde, daß Sie unser Geheimnis nicht verraten.

Weder Scham noch Mitleid regte sich in dem Herzen dieses Schuftes, als der betrogene Mann mit zitterndem Ungestüm seine Hand ergriff, die er in wortloser Dankbarkeit drückte. Doch sein früherer Argwohn und seine Furcht kehrte zurück, als Collinson ernst sagte:

Es ist mir gewissermaßen, als hätten Sie mir neues Leben gegeben, und ich wünscht' nur, ich könnt' so 'ne schöne Rede machen wie Sie, um Ihnen das zu verdeutlichen. Aber sehen Sie, ich hab doch dem Hauptmann und den andern mein Wort gegeben, daß ich hier draußen für sie aufpassen würde, und mein Wort brech' ich nicht. Vielleicht find' ich Sadie, vielleicht auch nicht, aber sie wird nicht schlechter von mir denken, wenn ich – nach all den Jahren des Wartens – nun noch eine Nacht hier bleibe, um meine Schuldigkeit zu tun.

Gut, machen Sie, was Sie wollen, sagte Chivers, sich auf die Lippen beißend, aber halten Sie reinen Mund. Es könnte welche geben, die Sie lieber von der Spur ablenken möchten. Und nun will ich Sie in diesem köstlichen Mondschein allein lassen. Ich beneide Sie ordentlich um Ihren ungehemmten Verkehr mit der Natur. Adios, amigo, adios!

Er stieg leichtfüßig auf einen breiten, überhängenden Felsblock und winkte mit der Hand.

Nehmen Sie sich in acht! rief Collinson erschrocken. Diese Felsen sind mächtig kitzlich, und der gerade ganz besonders. Eine einzige kleine Berührung bringt sie manchmal zum Kippen.

Chivers sprang eilig herunter, winkte noch einmal und verschwand in der Richtung nach dem Hause.

Aber Collinson fühlte sich nicht mehr einsam. Bisher hatten seine Träumereien der Vergangenheit gegolten; es waren Erinnerungen, die allein das Gedächtnis wachrief, bei denen die Hoffnung aber nur sehr wenig Raum fand. Unter dem Zauber von Chivers Worten begann nunmehr seine Phantasie sich zu regen. Er dachte daran, wie seine Frau wohl jetzt aussehen, wie es ihr ergehen mochte – vielleicht war sie krank, irrte verzweifelnd umher, wohl gar in Lumpen und mit wunden Füßen; oder hatte sie sich – wenn sie ihn für tot hielt – ebenso geduldig in ihr Geschick ergeben wie er seit der Nachricht von ihrem Tode in das seine? Das Bild, welches ihm hierbei vorschwebte, war aber nicht seine alte Sadie, nein, die hatte ganz anders ausgesehen. Eine leise Furcht, ein Schatten von Zweifel durchzitterte zum erstenmal sein starkes Herz und traf es mit eisiger Kälte. Er schulterte seine Waffe und schritt rasch nach dem Rande des dichten Waldes. Die Düfte des Lorbeers und der Sprossenfichte, welche der Sonnenschein des langen Tages durchglüht hatte, wehten ihm noch warm entgegen. – Merkwürdig, was es doch hier für wunderbar schnell wechselnde Temperaturveränderungen gab! Bald heiß, bald kalt wehte es ihm beim Auf- und Abschreiten an. Es schien ihm so verkehrt, daß er jetzt nach ihr suchen sollte, anstatt daß sie zu ihm kam. Sie wiederzufinden fern von dem Haus, das er für sie gebaut, würde freilich ganz anders sein, als wie er es stets erträumt hatte. – Er wanderte hin und her und warf immer von neuem einen Blick hinunter auf die alte Mühle drüben an der Felswand. Friedlich übergoß der Mond sie mit seinen weißen Strahlen und dämpfte das Blinken der Lichter in den Fenstern; aber das rohe Singen und Lachen, welches bis zu ihm herüber drang, berührte seine sonst eben nicht verwöhnten Ohren wie ein widriger Mißklang. Rastlos schritt er vor dem dichten Walde auf und ab. Plötzlich blieb er stehen und horchte.

Kein andres Ohr als ein an die Einsamkeit der Berge gewöhntes würde etwas vernommen haben. Aber, vertraut mit all den unzähligen Geräuschen, die die Stille des Waldes unterbrechen, stutzte Collinson jetzt doch bei einem sich wiederholenden Ton, der keinem der übrigen Laute glich. Es kam ihm vor wie ein gedämpftes, in ungleichen Pausen sich erneuerndes Pochen, das immer, wenn es wieder vernehmbar wurde, denselben regelmäßigen Takt beibehielt. Er erkannte es als den leichten Galopp eines Pferdes. Die Pausen entstanden jedenfalls durch die stellenweise den Weg bedeckenden Blätter. Die mitunter veränderte Gangart des Pferdes konnte man wohl dem Gestrüpp und andern Hindernissen zuschreiben. Augenscheinlich verfolgte der Reiter den geheimen Pfad, der ihm, Collinson, zur Bewachung übertragen war. Nach dem öfteren Richtungswechsel, den der Klang der Hufe verriet, hatte der Reiter offenbar große Schwierigkeit, sich in dem Gewirr zurecht zu finden. Trotzdem zeugten aber die immer wieder beschleunigt erklingenden Hufschläge von Eile und Entschlossenheit.

Collinson machte sich schußfertig und untersuchte sein Zündhütchen. Als der Ton näher kam, trat er hinter eine junge Sprossenfichte am Rande des Dickichts. Das Haus zu alarmieren oder die anderen Posten heranzurufen erschien ihm unnötig. War es doch nur ein einziger Reiter, und mit dem wurde er allein fertig. Er wartete ruhig und mit seiner gewöhnlichen Geduld, aber sogar in diesem Augenblick schweiften seine Gedanken zu seiner Frau zurück.

Der Reiter kam jetzt dicht heran. Die Büsche teilten sich. Staunen und Verwunderung erfaßten Collinson – auf einem schweißtriefenden aber noch mutigen Pferd kam ein Weib zum Vorschein. – Halt! rief er vortretend.

Das Pferd prallte zur Seite und warf die Reiterin beinahe ab. Collinson sprang herzu und ergriff die Zügel. Die Frau hob mechanisch die Peitsche, hielt sie aber zitternd in der Luft als sie in dem vergeblichen Bestreben, ihren verlorenen Sitz wiederzugewinnen, haltlos aus dem Sattel glitt. Sie wäre gefallen, doch Collinson, schnell zur Hand, umfaßte mit kräftigem Griff ihre Taille und ließ sie auf den Boden nieder. Ein Aufschrei entfuhr ihr.

Collinson stand wie vom Schlage getroffen!

Sadie! keuchte er.

Seth! zitterte es tonlos von ihren Lippen.

Wie betäubt starrten sie einander an. Aber Collinson fand rasch seine Fassung wieder. Der Mann von einfacher Geradheit und ohne Arg sah nichts, als daß sein Weib vor ihm stand – etwas atemlos, etwas verwirrt und vom schnellen Ritt zerzaust, so, wie er sie auch früher manchmal gesehen hatte, im übrigen aber unverändert. Auch er war unverändert, er nahm sie auf, wie er sie verlassen hatte. Sein ernstes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln und strahlte im lang entbehrten Glück, als er ihre beiden Hände in den seinen hielt.

Hab' ich dich endlich wieder! O mein Gott! Und noch eben erst dacht' ich, morgen dich suchen zu gehen, Sadie!

Sie blickte scheu umher. Mich – mich suchen? stammelte sie ungläubig.

Ja freilich; sieh doch, ich wollt' 'nüber nach'm Kloster, um dort nach dir zu fragen.

Im Kloster? wiederholte sie mit Schreck und Verwunderung.

Nun ja, Sadie, verstehst du denn nicht? Du dacht'st, ich wär' tot, und ich dacht', du wärst tot, das war an allem schuld. Aber es ist mir nie eingefallen, daß du mich für tot halten könnt'st, bis Chivers meinte, es müßt' so sein.

Der Mondschein verriet ihr Erbleichen. – Chivers? hauchte sie wie vernichtet.

Ja, der. Du kennst 'n natürlich nicht, mein Liebchen, aber weißt du, er hat dich mal gesehn, und da besann er sich wo und wie und redete dann immerzu, er könnt's nicht glauben, daß du tot wärst und gab mir an, wie ich dich finden könnt'. Er war mächtig freundlich und wußt' gar nicht genug zu tun, mich zu überreden und riet mir sogar, mich noch diese Nacht auf'n Weg zu machen.

Chivers? fragte sie abermals, ihren Mann mit blutleeren Lippen anstarrend.

Ja, so heißt er, und den solltest du mal sprechen hör'n! – Das hat er mächtig weg, sag' ich dir. Na, du wirst ihn ja auch kennen lernen, Sade. Er ist nämlich mit seinen Leuten hier, weil sie in Ungelegenheiten geraten sind, und da – du verstehst, da –

Ja, ja, ja! unterbrach sie ihn ungeduldig, und dies dort ist die Mühle?

Ja, das ist die Mühle – meine Mühle – deine Mühle – das Haus, das ich für dich, mein Weib, gebaut habe. Ich würde sie dir jetzt gleich zeigen, aber, siehst du, Sadie, ich steh' hier Posten.

So gehörst du zu ihnen? kreischte sie, verzweifelt seine Hand pressend.

Nein, mein altes Mädl, nein, suchte er sie zu beschwichtigen. Versteh' doch, ich gab ihnen mein Wort, wie ich ihnen diese Nacht unser Haus gab, und nun muß ich sie doch beschützen und ihnen durchhelfen. Lieber Gott, Sadie, du würdest dasselbe für Chivers getan haben.

Ja, ja, natürlich, rief sie, sonderbar ihre Hände zusammenschlagend. Er war ja so gütig, mich zu dir zurück zu bringen. Ohne ihn würdest du mich niemals gefunden haben!

Sie brach in ein hysterisches Gelächter aus, welches der arglose Mann wohl überhört haben würde, wenn nicht gleichzeitig ein Tränenstrom ihr blutloses Gesicht überströmt hätte.

Was ist dir denn, Sadie? fragte er, angstvoll ihre Hände ergreifend, das Lachen klingt ja gar nicht wie deins und auch die Stimme ist jetzt nicht mehr deine. Sag, du bist doch meine frühere Sadie? sprich doch! Er hielt inne. Einen Augenblick erbleichte er, als er nach der Mühle blickte, aus welcher schwache Töne bachanalischer Stimmen zu seinen scharfen Ohren drangen. Sadie, liebes Weib, du denkst doch nichts Schlechtes von mir? Du meinst doch nicht, daß ich dir etwas verschweige?

Ihr Gesicht wurde starr; sie wischte hastig die Tränen aus den Augen. Nein, erwiderte sie schnell und fuhr matt lächelnd fort, siehst du, wir haben einander doch so lange nicht gesehen – es kommt alles so plötzlich, so unerwartet.

Aber kamst du denn nicht hierher in der Erwartung, mich zu finden? fragte Collinson ernst.

Ja, jawohl, klang rasch ihre Antwort zurück; sie hielt noch immer seine Hände fest, aber ihren Kopf etwas der Mühle zugekehrt.

Wer sagte dir denn, wo du die Mühle finden würdest? fragte er mit freundlicher Geduld.

Eine Freundin, erwiderte sie flüchtig und setzte mit sonderbarem Lächeln hinzu: Vielleicht eine Freundin des Freundes, der dir Rat erteilte.

Collinson lachte erleichtert. Aha, weiß schon; 's ist wie 'n Märchen; war wohl die alte Barkern, die Bekannte von Chivers?

Sadies Zähne schimmerten im Mondschein wie die eines Totenkopfes. Ja, sagte sie trocken, es war die alte Barkern. Sage, Seth, fuhr sie langsam fort, nachdem sie ihre Lippen befeuchtet, bewachst du ganz allein diesen Ort?

Nein, 's steht noch 'n anderer oben auf dem Pfade – einer von ihren Leuten, weißt du – aber hab' keine Angst, Sadie, der kann uns hier nicht hören.

Auf dieser Seite der Mühle?

Na, freilich, wo denn anders? Aber du kannst's ja nicht wissen. Auf der andern Seite der Mühle, da fällt's steil ab bis runter ins Tal. Von dort kommt niemand rauf, als arme Auswanderer, und von oben muß einer viele Meilen in die Runde machen, wenn er ins Tal will.

Hast du deinen Freund Chivers nicht sagen hören, daß der Sheriff mit seiner Mannschaft unterwegs ist, um sie heut nacht noch zu fangen?

Nein, weißt du 'was davon?

Bestimmtes nicht, aber bei Skinner wurde etwas derart gesprochen. Vielleicht sollte es auch nur eine Warnung für mich sein, weil ich so allein reiste.

So wird's wohl sein, nickte Collinson, sie zärtlich anblickend. Von diesen Wegelagerern hat aber kein Weib was zu fürchten, da sorgt schon der Chivers davor, der ist nicht der Mann, der 'n Weib auch nur anrühren läßt.

Meinst du? lachte sie plötzlich wieder auf, so sonderbar wie schon einmal. Doch Collinson, der eben nach dem Baum schritt, an welchen er sein Gewehr gelehnt hatte, beachtete es nicht.

Wohin gehst du? fragte sie.

Na, es ist mir so, als wär's doch nötig, daß ich den Burschen sage, was du gehört hast. Ich bin bald wieder da.

Seth, willst du mich jetzt verlassen – jetzt – wo wir uns nach langen Jahren eben erst gefunden haben? klagte sie mit dem Versuch eines schmollenden Lächelns, welches indessen der kalte Glanz ihrer Augen Lügen strafte.

Bloß 'nen Augenblick, Liebchen. Außerdem mein' ich, verstehst du, wär's doch in der Ordnung, daß ich mich auch entschuldigen geh', denn wir werden wohl zu Skinner oder irgend wo anders hinmüssen, weil wir doch nicht mit denen zusammen in der Mühle bleiben können.

So läßt du also Chivers zu Gefallen dich und deine Frau aus dem Hause vertreiben? Sie versuchte, einen vorwurfsvollen Ton anzuschlagen.

Nein, da tust du ihm unrecht, Sadie, verteidigte Collinson mit bekümmertem Gesicht seinen Gönner, denn, siehst du, das ist dir 'n Mann, der würde bei seiner Achtung vor allen Weibsbildern die ganze Gesellschaft aus 'm Hause jagen, wenn ich 'm bloß 'ne Andeutung von deinem Hiersein machen tät, und dessentwegen wollt' ich 'm vor morgen nicht gern was von dir sagen.

Bis morgen, na meinetwegen, gab sie bereitwillig aber in unverkennbarer Geistesabwesenheit zu. Und da, bitte, störe sie jetzt nicht. – Du sagst ja, es steht drüben noch eine andre Wache. Die wird schon für ihre Sicherheit genügen. Ach, ich bin müde und krank – sehr krank! Setze dich neben mich, Seth, bleib bei mir! Wir können hier zusammen warten – wir haben so lange gewartet, Seth – und nun ist das Ende gekommen.

Sie taumelte plötzlich gegen einen Baum, an dessen Fuß sie sich wie erschöpft niedersetzte. Collinson warf sich an ihre Seite und legte den Arm um sie.

Was ist dir denn, meine alte Sadie? Du hast so kalte Hände und siehst so elend aus! Sieh! da drüben weidet gerade dein Pferd. Ich will dich wieder drauf setzen, nur schnell erst noch nach der Mühle laufen und dort sagen, daß ich weggeh', 's dauert nicht lange, da bin ich wieder da und dann bring ich dich zu Skinner.

Geh' nicht fort, bat sie sanft. Bleib' doch bei mir!

Oder in die Silbermine – das ist nicht so weit.

Sie faßte fast krampfhaft seine Hände. Wo liegt die Mine? fragte sie atemlos.

Dort hinten weg; 'n Freund von mir fand da Silber, er wird dich aufnehmen.

Ihr Kopf sank matt an seine Schulter. Nein, laß uns hierbleiben und warten.

Zärtlich stützte er sie. Collinson war es zufrieden, zu warten, sie so zu halten und das leise Kitzeln ihres Haares an seiner Wange zu fühlen wie in alten Zeiten. Sie saßen in tiefem Schweigen. Sadies wie in Erschöpfung halb geschlossene Augen zeigten in den stieren Pupillen den eigentümlichen Ausdruck des Lauschens.

Hörst du was, mein Lieb? fragte er besorgt.

Nein; alles ist so totenstill, flüsterte sie schaudernd.

Es war allerdings sehr still. Eine wunderbare Stille lag auf der ganzen Landschaft; kein Ton drang mehr aus der Mühle herüber; auch im Wald herrschte eine so beängstigende Ruhe, daß ein plötzliches Rascheln im Gezweig die beiden Wiedervereinigten erschreckte; sogar der Mond schien wie erwartungsvoll in der Luft zu hängen.

Es ist gerade wie die Stille vor dem Sturm, sagte Sadie mit ihrem sonderbaren Lachen.

Hast recht, stimmte Collinson zu. Dacht' auch eben, daß es gerade so still ist wie damals vor dem großen Erdbeben, wo der Fluß austrocknete und die Mühle stehen blieb. Ja, Sadie, das war die Zeit, wo die Nachricht kam, du wärst am gelben Fieber gestorben. Gott! Mein Liebchen, ich hab' immer gedacht, dir wär damals was zugestoßen.

Sie erwiderte nichts, aber er, der ihre Gestalt fester an sich drückte, fühlte, wie sie in nervöser Erregung zitterte. Plötzlich stieß sie ihn zurück und sprang mit einem Schrei auf. Da! kreischte sie wie wahnsinnig, sie sind gekommen! sie sind gekommen!

Ein Kaninchen war im Mondschein an ihnen vorüber geschlüpft und ein grauer Fuchs aus dem Gestrüpp in den Wald gehuscht. Das war alles.

Wer ist gekommen? fragte Collinson, sie anstarrend.

Der Sheriff und seine Leute! Sie umstellen sie jetzt. Hörst du nichts? keuchte sie.

Ein sonderbares Rasseln in der Richtung der Mühle ließ sich vernehmen, verbunden mit dumpfem Rollen und Poltern, wildem Geschrei und Geheul und dem Getrampel von Füßen auf der hölzernen Altane. Collinson sprang auf, wurde aber im selben Augenblick heftig gegen seine Frau geschleudert und beide klammerten sich hilflos an den Baum, die Augen starr auf den Felsrand gerichtet, den eine dichte Wolke von Staub und Nebel einhüllte.

Sadie stieß wieder einen Schrei aus und rannte in wilder Hast nach dem felsigen Abhang. Collinson stürzte ihr nach, und als er die Felsen erreichte, schrie er in Todesangst: Halt, Sadie! Zurück! um Gotteswillen! Doch zu spät. Im selben Augenblick verschwand sie vor seinen Augen, und als er in blindem Nachstürmen den Felsblock betrat, auf den Chivers gesprungen war, fühlte er, daß er unter ihm nachgab.

Wieder tiefe Stille, nur ein kurzer Windstoß aus dem Tal herauf. Dann sank alles in die frühere unheimliche Ruhe zurück. Als die Wolke sich hob, welche die Mühle verhüllt hatte, schien der Mond auf eine leere Fläche. Nach kurzer Zeit ein eigentümliches Flüstern und Murmeln aus dem Walde hinter der versunkenen Mühle. Es wird stärker und stärker und eine Stunde später strömt ein rauschender Fluß durch das Bett des früheren Mühlbachs.


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