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Hieronymus van Dorn hatte immer hinter Mauer und Dornen gelebt. Auch jetzt saß er eingekerkert und gebunden und verstrickt in seine heiligen Entsagungen.
Es war gut, daß der Winter gekommen war und die Sonne im Lande ganz ausblies.
Da gab es viele Einsamkeiten in den verstreuten niederen Giebelhäuschen am Meerstrand. Und aus dem einst wetterharten Gesichte manchen Fischermannes, der in der Wogenwelt im Sturme unerschrocken die Segel gerefft, und der jetzt die finstere Balkendecke des einsilbigen Raumes anstarrte, seinen inneren Blick in Demut und Begier der Erlösung zugewandt, gab es ein Leuchten und eine rechte Verklärung, wenn Hieronymus van Doorns weihevoller Schatten im Dämmer ragte und Hieronymus heiße Flüstergespräche den Engeln riefen, die arme, sterbende Seele in Gottes Schoß zu tragen.
Es gab viele Einsamkeiten über das Land und den Meerstrand gebreitet.
Hunderttausende von weißen, schillernden Meervögeln saßen reglos im Sande, darin Eisscheiben sich zerbrochen stauten, oder machten ein gelles, schrilles Gekreisch, das die graue, grenzenlose Meerluft ganz ausfüllte, wenn sie sich flügelrauschend wie hoffnungslose Geister erhoben, dem Zuge der wilden Wolkennacht nachzuziehen. Hunderttausende von Krähen krächzten im Meersande, scheu und gewitterhaft zusammenhockend, nur aufgestört von dem verhallenden, harschen Schritt eines Fischers, den der Sturm fast zerriß. Oder sie gaben sich eintönig klagende Warnrufe am dunklen Nachtufer hin, wenn die heilige Berufung als Helfer und Rat den jungen Priester hinausgeführt und er in der flatternden Finsternis mit verlorenem Stapfen, fast nachtwandlerisch nur in seine inneren Gesichte eingehüllt, durch die Dünenhügel heimkehrte.
Was in Hieronymus van Doorn vorgegangen war, seitdem er aus dem Hause der Kroens heimgekehrt und die fröhlichen Worte und das klingende Lachen von Frau Hartje noch im Ohre mit sich getragen, wußte niemand. Wenn er noch im Auge von Frau Hartje schüchtern und scheinbar froh dagestanden und zu all den heiteren Worten der blonden Genesenden auch seinerseits heiter sich verneigt hatte, schon daheim im Pfarrhaus hatte die Gottesjungfrau auf seinem Altare wie mit überirdischem Lichte geleuchtet. Und er hatte davor gelegen mit harten Schwüren, daß die Heilige sich zu ihm geneigt und himmlische Chöre aus dunkler Nachthöhe das Cyrie eleison in seine erlösenden Gebete gesungen.
Aber in einer Nacht im Winter, in der Weihnacht, wie die Glocken der Strandkirche längst verhallt waren, fand Hieronymus in seiner Einsamkeit keine Ruhe. Er war noch im Meßgewand in die Dünen hinausgelaufen. Der Nachthimmel war Stern an Stern. Es war eisig. Es war in ihm gleich eine seltsame Freude. Wie wenn einer, der lange in einer Umnachtung gelebt, plötzlich irgend woher ein Licht sieht.
Die Tage vorher hatte er nicht geruht mit Fasten und Beten.
Er war in die Dünen gelaufen und hatte vor sich hin ein Lied psalmodiert. Es war gleich wie ein Rausch. Er ging und ging, Hügel auf, Hügel ab. Die Schneedecke war dünn und knirschte. In den Dünen stand auch ein Bild der Gottesmutter in einer Nische, davor ein Strandhase aufgescheucht in die Höhe sprang und als mächtiger schwarzer Schatten entschwand. Das Licht der Sterne war in dieser Nacht so hell, daß es auch die heilige Jungfrau kräftig beschien und man die goldenen Metallsterne um ihr seliges Angesicht blinken sah. Aber der junge Priester hatte sich dabei durchaus nicht weiter aufgehalten. Ein Gebet war ihm in diesem Augenblicke gar nicht auf die Lippen gekommen. Das Lied, das er psalmodierte und das wie ein Weihnachtslied klang, hatte etwas ganz Fröhliches. Fröhlicher noch, als wie es in der Gemeinde der Fischer aus den harschen Kehlen geklungen. Der junge Pfarrer sang es jetzt ganz voll und hörbar in die Sterne.
Es ist ein Reis entsprungen Aus einer Wurzel zart, Wie uns die Alten sungen, Von Jesse kam die Art; Und hat ein Blümlein bracht, Mitten im kalten Winter, Wohl zu der halben Nacht. |
Am Himmel war ein wundersames Leuchten. Die Sterne waren groß wie goldene Bälle. Und die Nachttiefen wie tiefblaue Gründe. Wer aufblickte, mußte die Weihnacht fühlen. Und der Pfarrer wanderte und psalmodierte ohn Unterlaß:
Das Blümlein war sei kleine Und duftet doch so süß, Mit seinem milden Scheine Verklärt's die Finsternis: Und blüht uns immerdar, Tröstet die Menschenkinder, Holdselig, wunderbar. |
Wer sein schmales, mageres, zerhärmtes Gesicht sonst kannte, hätte jetzt ein sonderlich vom Aufblick wie erschöpftes, vom Heißhunger seliges Gesicht gesehen. Und es ist gar kein Zweifel, daß wie er lange in den finsteren Nachthügeln stand, und am Rande der nachtschwarzen Erde die schönen Sterne des Orion funkelnd aufstiegen, er einen Augenblick auch das Gesicht der Frau Hartje mit unter den Sternen und in den blauen Nachtgründen leuchten und empor schweben gesehen.
Wer kann für Gesichte?
Auch wie Hieronymus in tiefer Nacht ins Pfarrhaus kam, das große Türschloß schnappen gehört und Licht gemacht, hatte er sich nicht weiter sonst umgeblickt nach den heiligen Nischen. Er hatte das Kreuz mit dem Christ, das auf seinem Schreibtisch stand, und das Betpult mit der Gottesmutter auch hier nicht weiter angesehen. Er war auch hier, von der Zerknirschung der nächtlichen Weihe Gottes ganz losgelöst, nur auf's Bett gesunken, wie endlich ganz schwach und müde geworden. Und war in der Tiefe der Belebung, die ihm doch noch in allen Sinnen zuckte und rann, jäh und geheimnisvoll bei brennendem Licht in dem ärmlichen Dunkelraume eingeschlafen.
Aber das Licht, diese kleine Kerzenflamme, fiel ihm durch die geschlossenen Augenlider in seine Träume und begann die Welt innen noch seliger und ungebundener zu beleben.
Da kamen allerhand fröhliche Kinder um ein flackerndes und hin und her bewegtes Wesen. Das mochte wohl immer noch die lichte Feuersäule im Dunkeln sein.
Und die Kinder, die Fischerkinder waren und in Holzschuhen liefen und hörbar trappten und in irgend einem Paradiesgarten einher liefen, waren auch ebenso rasch wieder vom Dunkel eingeschluckt.
Das war durchaus nur ein rechtes Schlafen und ein rechtes Versunkensein.
Der junge Priester hatte die Augen nur fester dem Lichte zugetan.
Aber das kleine Licht leuchtete weiter und durchdrang noch seine tieferen Dunkelheiten.
Da gab es schon wieder ein heiteres Jubiliren.
Es waren allerlei harsche Wettergesichter und ein Schwarm gieriger Vögel kam kreischend aus heller Luft, wie wenn Frühling wäre. Und es schien, wie wenn eine seine, lachende Stimme sie alle riefe und nun die weißen Vögel alle in der Luft zu kreisen begönnen und der Irrende nicht vermöchte, den wunderlichen Visionen aus diesen Lauten, die auch ihn bestürmten, Einhalt zu tun. Er vermeinte, daß er selber mitten im Schwarm daher liefe, der lachenden Stimme nachzueilen, und als wenn ihn eine Sehnsucht ganz schwach und elend doch wieder zurück ins Dunkel würfe.
Der junge Geistliche schlief jetzt wieder den tiefsten Schlaf in den Gründen, die zu allerfernst in dem Lande der Träume dämmern.
Zu allerfernst liegen die Gründe der tiefsten Geheimnisse. Und aus ihnen können Sirenen singen.
Aber der junge Geistliche schlief noch den tiefsten, schwersten Schlaf in den letzten Gründen.
Nur das kleine Licht brannte heiß und streckte sich und arbeitete selber wie eine Seele, um des jungen Hieronymus Seele tiefer und tiefer aufzuhellen.
Die Flamme hatte noch immer das tiefe Dunkel um sich, indem sie ragte wie ein goldenes Geheimnis. Und vor sich das tiefe Dunkel von Hieronymus Seele, die im innersten Schlafe jetzt inbrünstig stöhnte und schwer nach Atem sich mühte. Beinahe schien der junge Geistliche auf seinem Bette, worauf er mit dem Priestergewand angetan, von Eisflocken der Nachtfee angeweht und durchnäßt, hingestreckt lag, zu erwachen.
Er regte sich.
Aber er erwachte nicht.
Er sank nur in letztes, völliges Vergessen.
Da hatte die kleine Flamme endlich den Grund der schlafenden Seele langsam und sanft erreicht.
Und es kamen allerlei frohe Menschen, die in einem Bergtale schritten. Es mußte ein Fest sein. Es kamen auch Züge von weißen Tieren. Es kamen auch glänzende Engel mit Schalmeien und mitten inne in einer Schar, die ihm deuchte wie dienende, heilige Frauen, ging lächelnd von einer unbeschreiblichen Güte Frau Hartje wie unter einem Baldachin, und ihre Blicke riefen in die Luft . . . riefen seinen Namen . . . nur immer wieder seinen Namen, den alle Lüfte wiedergaben, wie ein Echo . . . und er hörte seinen Namen rufen . . . er wollte aufstehen . . . er konnte sich nicht lösen, weil ihn ein Bann gebunden hielt . . . es war eine furchtbare Pein. Er konnte sich nicht lösen. Er war gebunden an Händen und Füßen. Gefesselt richtig, daß Blut von Händen und Füßen rann. Er hatte eine Qual, weil er in glühenden Ketten lag, die ihm den Odem aus der Seele preßten . . . er mußte sich lösen. Er mußte dem Rufe folgen, der in den hellen Lüften nicht ausklang. Frau Hartje rief ihn. Sie rief ihn mit lockender heimlicher Stimme. Jetzt hatte er Kraft! . . . jetzt begann er zu wachsen! . . . jetzt zerbrach er alle Fesseln und sprang in die Höhe . . . und stand wie verstört . . . blickte sich um . . . sah das kleine Licht im Raume . . . der weite Himmel sank krachend zusammen . . . Hieronymus erkannte wieder den engen, schwarzen Raum seiner ärmlichen Stube . . . und seine Verwirrung ging unter in heißen, zerreißenden Tränen, die er in die irdische Nacht unaufhörlich weinte.
Aber am anderen Morgen kam zufällig auch ein Brief von Frau Hartje Kroen und auch von Herrn Kroen, worin ihm beide Grüße aus dem Sonnenlande sandten, darin sie den Winter zur vollen Genesung Hartjes leben mußten, und worin es geschrieben stand, daß sie sich auf die Rückkehr in ihr Strandschlößchen sehr freuten oder wie Frau Hartje stärker sagte, nach nichts als wie danach sich sehnten. Worin noch geschrieben stand, daß sie nichts mehr wünschten, als daß dann der Pfarrer oft ihre Schwelle mit seinem hehren Wesen beglücken möchte.
Hieronymus van Doorn erschienen dann bald seine Aufwühlungen und Träume wie ganz fern und fremd.