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Unten im Dorfe am Eingang in das enge Flußtal lag, den weißen Häuschen mit dem schwarzen Balkenwerke oder mit böhmischen Holzaltanen und bunter Wäsche zum Trotz, hinter schwarzem Eisengitter mit goldenen Spitzen und einem Vorgarten, darin mächtige Kastanien Schatten über grünen Rasen und Kieswege warfen, ein feines, weißes Herrenhaus, die Fensterscheiben seltsam gewölbt, daß sie wie geschliffenes Glas spiegelten, und Portal und Brüstungen aus hellem Granit gehauen und gerundet.
In diesem Hause oder Schlößchen wohnte jetzt die alte Frau Rotkegel seit Jahren allein. Denn Herr Rotkegel war lange tot.
Und es ist wahr, was der schwarzbärtige Förster oben im Schlage zu Claus Tinnappel gesagt, daß die ganze Rotkegelsche Sippe sehr wunderlich war. Die armen Leute im Orte waren an dem hohen Eisenzaun nie entlang gegangen, ohne sich nicht in die schielenden Fenster wie in eine verborgene Zauberwelt hinein zu träumen, auch schon als Herr Rotkegel noch lebte.
Aber Herr Rotkegel war an sich nichts Geheimnisvolles gewesen.
Herr Rotkegel, so Sonderliches man sich auch von seinen Liebhabereien und Launen erzählte, hatte mit dem Dorfarzt und dem Oberförster zusammen im Wirtshaus gesessen.
Er war mit Flinte und seinen Hunden pürschend über die Dorffelder gestrichen.
Und wenn der lustige, breite Mann mit dem Doppelkinn und mit den vollen, weißen Bürsten über seinen kleinen, flinken Augen in die Kirche trat, so war an ihm mit Ausnahme der großen, funkelnden Busennadel und den reichberingten, dicken Fingern, mit denen er dann sein Gesangbuch vor sich hin hielt, nichts Auffälliges weiter gewesen, als eben die kleine, jugendliche, ganz schüchterne und immer wie in entschuldigender Güte lächelnd hinter dem breiten Rücken des Herrn Rotkegel verschwindende Frau Rotkegel, die er erst in seinen späteren Jahren, wie er längst ein reicher Mann war, aus der Stadt mit heimgebracht hatte. Frau Rotkegel immer ein wenig verschleiert, oder gar hinter den Spiegelscheiben, wo all das Wunderwerk stand, das Herr Rotkegel aus der weiten Welt gesammelt, allzeit ungesehen umgehend, so daß sie von Anfang an, sobald sie ins Dorf eingefahren war, unter die Reichtümer und sonderlichen Kostbarkeiten des alten, breiten Herrn Rotkegel von den Dorfbewohnern gleich mit eingerechnet worden war.
Man muß auch wissen. daß es mit den Vieren, womit, wie der alte Totengräber behauptete, Herr Rotkegel immer gefahren war, eine eigene Bewandtnis hatte.
Man denkt sich dabei zwei fliegende Doppelgespanne mit flatternden Mähnen vor einander, leicht in der Hand des betreßten Kutschers hineilend. Einen rollenden Wagen, der in Federn wiegt. mit allerhand vornehmer, herausquellender, seidener Frauenkleidung, wenn der Diener erst vom Bocke gesprungen ist und den Schlag einmal öffnet.
Aber das war alles ganz anders gewesen.
Der Wagen war ein haushoher, breiträderiger Planwagen gewesen, in dem feine Leinwanden gestapelt lagen, und vor dem vier mächtige Pferde aus Brabant mit Messingscheiben und anderem Geklingel und mit buntem Lederwerk reichlich aufgeputzt, alle Muskeln hatten spannen müssen, um ihn polternd und krachend und dröhnend die Landstraße fortzuziehen.
Erst war Herr Rotkegel selber im blauen Hemde, am Hute einen Strauß, die Peitsche lustig schwingend daneben gegangen. Später freilich hatte er genug Kutscher und Knechte und stand nur noch als reicher Herr unter den reichsten Händlern auf der Messe.
Und die seltensten Sonderlichkeiten brachte er der feinen, scheuen Frau Rotkegel von seinen Reisen mit heim. So daß das Rotkegelsche Haus bald gar nicht wie eine menschliche Wohnung, eher wie ein Märchen anzusehen war. Zimmer an Zimmer nur voller Glasschränke, darin geschliffene Gläser und Schalen, buntes Steinzeug, Mosaiken, Miniaturbildchen, Ringe und Gemmen, winzige Uhren mit Diamant- und Perleinlagen und tausenderlei anderer kostbarer Kleinkram dem Auge verlockend blinkten. Truhen mit getriebenen Beschlägen standen da, aus denen man die schimmerndsten Wirkereien in Gold und Steinen ausschälen und hinbreiten konnte, edle Arbeiten, wie man sie in den Ländern der Wunder Königinnen über die weißen Steinterrassen breitet, oder auf die Altäre der Götterbilder selber anbetend niederlegt.
Es standen auch solche Götterbilder auf elfenbeinernen Tischchen in den Winkeln der weiten Räume.
Überall brütete eine große Feierlichkeit.
Die scheue Frau Rotkegel ging in dem Rotkegelschen Hause herum ganz ohne Laut.
Sie hatte große, nächtliche Augen.
Und auch deshalb konnte man an eine Eule denken, weil ihre Augen viel blinzelten.
In vielen Zimmern waren die Vorhänge gegen die Sonne immer niedergelassen.
Auch ein fremdartiger Geruch lag über allem Möbelkram und quoll aus den Schüben, sobald man sie öffnete.
Die erlesensten Spitzen lagen in den Kästen und Schüben geborgen. Frau Rotkegel konnte im Anstarren der kleinen Wunderwerke, die darin in weiß gebildet waren, Reigen von Sternen und Tieren und Blumen, Stunden vergessen.
Auch Goldbecher und Goldschalen gab es, schwer und gediegen. Schmuckkästchen, darin Ketten und Geschmeide lagen, die Frau Rotkegel oft wie eine umspinnende Musik lange durch die Finger gehen ließ, als wenn sie sie mit ihren feinen, weißen Händen noch lebendiger fühlte, als mit ihren fast zugedrückten, blinzelnden Augen sah.
Frau Rotkegel ging in dem Rotkegelschen Schatzhause richtig wie verzaubert um.
Freilich war da auch ein Kind aufgewachsen. Rosalie. Salie hatte sie der Vater genannt. Das gesund und frisch und unternehmend war. Das mit viel Lärm und rücksichtslos schon auf seinen kurzen Beinen durch die stillen Räume gelaufen und der Feierlichkeit und Schätze nie geachtet hatte. So daß es der kleinen, scheuen Dame, wie der Alte tot war, wohlgetan, wie die Tochter sich mit ihren sechzehn Jahren gleich einen älteren Mann, einen Gymnasialprofessor erkoren, den sie mit ihren lustigen, dunklen Augen völlig betört hatte.
Jetzt war Salie kaum zwanzig.
Sie hatte außer dem Professor schon einen zweiten Mann, einen jungen Offizier gehabt, der auch unversehens gestorben war.
Und Salie sah schlank aus, achtete der Trauerkleider nicht, hatte Blicke wie eine spanische Tänzerin und lief wie ein Mädchen herum.
Wenn sie jetzt neu im Rotkegelschen Hause herumpfiff und sang, kam die kleine, scheue Frau Rotkegel gar nicht mehr aus ihren hintersten Verstecken hervor.
In Salies Stimme, die zärtlich war, lachte und girrrte es.
In ihren Hantierungen, wenn sie auch nur mit einem Blumenkelche tändelte, lagen Liebkosungen wie zum Trotze.
Manchen Alten, nicht bloß durch junge Sinne gesehen, stach ihr wissendes Wesen im Blute wie mit feinen Nadeln und machte ihn ihr nachblicken, wenn sie mit wehendem Brusttuch um die Schultern, ohne Hut in der Sonne, heute wie ein Bauernmädchen, und morgen wie eine Prinzessin durch die Dorfstraße lief. Mancher weise Blick lächelte über die Schalkheit und Inbrunst ihrer jungen, jähen Bewegungen, die ihr um Schultern und Hüften zuckten und ihren losen, dunklen Kopf zurückwarfen.
Vor dem Hause der Frau Rotkegel ragten jetzt im Schatten unter den Kastanien große Blüten von Purpurmohn hinter den Eisenstäben des Zaunes. Glut brannte in den Kelchen. Die Farbe der losen Blätter, die auch leicht abgeworfen im Kies lagen, war wie Feuer so glühend.
So waren die Stunden, die Salie hinwarf.
Im Grunde jeden losen Blütenblattes war ein Zeichen wie aus sammetschwarzem Tode. Es konnte nichts Unheimlicheres geben, als im Innersten der Blütenglut die Flecken von tiefster Finsternis zu sehen.
So ragten die Purpurblumen im Schattengarten am Julitage.
So ragte in dem verwunschenen Hause drinnen die junge, verzehrende Frau.