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Der Bäcker Einhorn war unter seinen Mitschülern immer der meistbewunderte Mann gewesen. In der Zeit, wie er noch im Dorfe in die Schule ging. Und daß er je ins Dorf zurückkehren würde, als er Schule und Lehre verlassen, hätte damals niemand geglaubt.
Denn einmal hatte er immer wie lustige Pfeifmelodien im Kopfe und auf den zugespitzten Lippen, und konnte bis zum vierzehnten Jahre, wenn er nur einigermaßen von Erwachsenen unbeobachtet war, nicht anders wie mit hüpfenden Schritten und lachenden Tanzgebärden vorwärtskommen. Und schon das allein gab ein solches Gefühl beweglichen Sinnes, daß jeder Mensch, der ihn kannte, immer denken mußte, Einhorn würde sicher einmal über alle Berge und in alle Lüfte gehen.
Dann aber, weil Einhorn den Kopf mit seinen braunen Seidenhaaren immer voller Flausen hatte und heute das und morgen jenes Luftschloß in die Ohren seiner Mitschüler hineinkalkulierte. Unglaubliche Phantasien hatte, weil er auch heimlich allerlei las. Einmal sogar behauptete, er würde sich unter das Türkenjoch begeben und als Befehlshaber der Scharwache die diamantenen Kronschätze des Sultans stehlen.
Aber diese Art Verstiegenheiten sind an sich nicht so wichtig. Wichtig ist nur, daß er schon als Knabe neben dem »öffentlichen« Leben, das er mit Händen und Füßen und mit Blicken und mit allerhand lustigen und pfiffigen Narrheiten lebte, wobei er für keine noch so gewichtige Person im Dorfe recht zu greifen war, ein eigenes Reich hatte; nicht bloß ohne Augen unter Tische und Stühle sah, auch das Gras wachsen, die Hühnchen aus den Eiern allenthalben ausschlüpfen hörte, und die Gedanken in den Köpfen nicht bloß des Lehrers und des Dorfpolizisten, auch des Pastors auf der Kanzel und der Bäuerin, die im Kirchstuhl saß, wie kleine Männchen leibhaftig spazieren sah.
Denn das war schon als Junge sein unbestreitbares Genie gewesen.
Für Einhorn gab es feine Fäden durch die Luft gezogen, an denen die Menschen und Dinge zusammenhingen. Und es war immer seine Lust gewesen, an diesen Netzen launig herumzuziehen und herumzuwackeln, wenn sie ihn zu sehr an Nase und Mund kitzelten.
Manchmal konnte man es von ihm hören, wie sehr solche für profane Sinne unsichtbare Verbindungen ihn zum Spiele mit aller Welt herausforderten.
Aber freilich, damals war er ein Junge. Und alles hatte noch mehr den Anstrich des neckischen Spieles. Etwa, wie wenn sich ein Pfifferling einredet, daß er mit den Heinzelmännchen Umgang pflegt, und daß er mit den Unterirdischen an der Tauftafel sitzt, während er nur in seinem modrigen Gartenversteck heimlich einen beim Nachbar gestohlenen Apfel verzehrt.
Aber jetzt war Einhorn plötzlich mit siebenundzwanzig Jahren wieder ins Dorf gekommen. Und jetzt begann die Sache ein anderes Gesicht zu zeigen.
Er hatte gleich seine Anhänger.
Die Geschichte war in mehr als einer Hinsicht auffallend.
Einhorn kam offenbar von sehr weit her. War sehr weltmännisch. Brachte viel Geld mit. Er war sogleich in der Lage, eine altbewährte Dorfbäckerei für sich zu kaufen.
Er war der Sohn einer Maurerswitwe gewesen. Aber seine alte Mutter, der seine Sendungen aus der Ferne noch ein sorgenloses Alter geschaffen, war unterdessen gestorben. Offenbar hatte sich sein Hang in die weite Welt hinaus schon sehr bald reichlich bezahlt gemacht.
Wie er dem Dorfvorsteher erzählte, und zwar weder mit Pfeifen noch mit Tanzen wie früher, sondern mit viel Ernst und Ehrsamkeit in seinem braungebrannten, braunbärtigen, aber schmächtigen und verhärmten Gesicht, mußte man an dem Bäcker Einhorn seine Verwunderung haben.
Er hatte sich, wie er sagte, gleich nach der Gestellung, weil man ihn als Soldat nicht hatte brauchen wollen, bis nach dem Kaplande durchgeschlagen. Und er lachte bei seiner freien, heiteren Rede mit seinen großen, braunen, ausdrucksvollen Augen, ganz, als wäre er des Vorstehers gleichen. So daß auch der Vorsteher sein aufquellendes Wohlwollen gar nicht unterdrücken konnte.
»Ein solcher wie Sie, Einhorn, kommt schon durch die Welt!« sagte der Vorsteher, indem er Einhorn dabei sehr zutraulich von oben bis unten betrachtete. »Wenn er nun gar noch alles Heimliche zwischen Menschen und Welt ausspüren kann, wie Sie früher immer das Spiel trieben!«
Das sagte der Vorsteher nämlich, weil ihn der durchdringende Blick Einhorns bei seiner Rede überrumpelt und ihm die Erinnerung an den übermütig phantastischen Jungen ganz plötzlich auf die Lippen getrieben.
Und der Bäcker Einhorn begann jetzt im Dorfe auch wirklich wieder ein Leben voll Doppelsinn.
Er hatte bald seine Anhänger.
Er behauptete nämlich nun bestimmter und in klare Worte gefaßt, daß die Welt eigentlich erst reizvoll und lockend würde, wo die Geheimkräfte begönnen. Und daß die Menschen danach trachten müßten, die unsichtbaren Fäden der Dinge zu greifen.
Er selber sähe und hörte natürlich auch die gewöhnliche Welt und den bekannten Lärm. Und verstünde auch die bekannten Allerweltsworte. Er könnte jetzt sogar obendrein noch Englisch und Portugiesisch reden. Und er wüßte wie gesagt selbstverständlich auch eine Semmel von einem Schwarzbrot und einen Dorfpolizisten von einem Dorfpastor zu unterscheiden.
Aber das wären alles nur grobe Kniffe. Das könnte auch ein Hund oder ein Esel.
Es käme darauf an, die menschlichen Gedanken leibhaftig zu sehen wie kleine Rauch- oder Nebelgestalten. Auch die Seelen der Sterne und Steine in sich greifbar zu spüren.
Denn darüber könnte gar kein Zweifel sein, daß selbst die Steine eine Seele hätten. Sonst würde der Mensch nicht immerfort zum Beispiel Salz durch Essen in seine Seele verwandeln können.
Aber vor allem behauptete er, es zu wissen und es genau und entscheidend tausendmal erfahren zu haben, daß alle Gedanken, auch wenn sie die Menschen nicht aussprächen, beständig aus ihnen wie kleine Wesen in die Luft und den Raum ausgingen und frei fortzögen, so daß man sich nur daran gewöhnen und sehr scharf aufpassen müßte, dann könnte man das Geheimste in der größten Ferne erfahren.
Und dazu erzählte er nun als Beispiel die Tatsache seiner Heimkehr.
Er sagte, daß er auf einer Krokodiljagd in Afrika irgendwo tiefer im Lande gewesen wäre, das einzige Mal, wo ihm durch einen Zufall dazu eine Gelegenheit geworden war. Nämlich damals war er Werkmeister in einer Bäckerei in einer Hafenstadt im Süden gewesen. Und weil ihn sein Herr wegen seiner sonderbaren Weisheiten geliebt hätte, sich sogar ein wenig an ihn angeklammert, hätte er ihn zum Besuche bei befreundeten Landsleuten auf eine Farm im Innern mit sich genommen.
Dort wäre es gewesen. Dort hätte er bei Nacht ein ganz klares Gesicht gehabt. Sie hatten, die drei Jäger zusammen, in einer Holzhütte zur Nacht tief geschlafen. Und das Gesicht hätte ihn sogleich völlig wach gemacht. Mit offenen Augen hätte er dagelegen und hätte völlig leibhaftig sein Heimatdorf im Sonnenlichte vor sich liegen gesehen. Alles haarscharf. Und die alten Stufen der Schälbäckerei nieder hätte sich ein langer Leichenzug auf die Dorfstraße bewegt, der den alten Bäcker Schäl als Toten mit feierlicher, dumpfer Grabemusik langsam auf den ihm wohlbekannten, evangelischen Dorfkirchhof getragen. Und er hätte sich gleich in dieser Nacht fest entschlossen, ohne auch nur irgend jemand noch um die Wahrheit dieser Tatsache zu fragen, heimzufahren, um die wohlgeachtete Bäckerei für sich zu erwerben.
»Bitte!« schloß Einhorn diese Erzählung, »hier sitze ich als Nachfolger dieses Toten, der damals in einem ganzen leibhaftigen Geisterzuge in der Wüste Kalahari tief im südlichsten Afrika an mir vorbeischwebte.« Man kann sich denken, daß alle Menschen, die ihm zuhörten, große Augen machten und etwas Unheimliches empfanden. Um so mehr, je deutlicher er die Sache beschrieb, und je bestimmter er versicherte, daß er nicht bloß den Sarg mit dem Toten gesehen, auch alle Leidtragenden einzeln erkannt, auch alle Lieder, die die Dorfkinder vom Trauerhause bis zum Kirchhof sangen, noch genau angeben konnte, was alles aufs Haar stimmte. Und daß er den Toten wie durch einen Glasschrein hindurch hatte liegen sehen.
»Mit seinen drei großen Warzen und seinem verbildeten linken Ohr, was ich als Junge immer habe belachen müssen, lag er im Sarge. Und fünf lange Haare standen im Büschel an der Warze am Kinn in diesem ganz demütigen Totengesicht; und mir fiel dabei sofort ein, daß ich als Junge immer gedacht hatte, drei Warzen und fünf Haare, das sind sichere Vorzeichen, daß der Mann mindestens achtzig Jahre alt wird ... und gerade achtzig Jahre ist er geworden!«
Um den Bäcker Einhorn hatte sich bald eine Gemeinde frommer Zeichendeuter gebildet.
Einhorn hatte jetzt mit seinen siebenundzwanzig Jahren eine seltsam überlegene Würde. Große Sanftmut, die mit seinem stechenden, braunen Auge und seiner leichten Adlernase fein kontrastierte.
Der Pastor des Ortes und der Pfarrer, beide kamen in lebhafter Teilnahme zu ihm. Sie besorgten, daß sie Abbruch hätten.
Aber der Bäcker Einhorn versicherte beiden, daß er immer nur der Bäcker Einhorn sein und bleiben würde. Nur sich niemals nehmen ließe, die göttlichen Geheimnisse zwischen den Menschen und Dingen, soweit sein eigener innerer Blick ihm Offenbarungen schenkte, auszuspüren.
»Ach Gott, Herr Pastor!« sagte Einhorn grundgütig, »es ist nicht viel... auch wenn selbst der Bäcker Einhorn es leibhaftig in Afrika spürte und vor sich sah, was in diesem kleinen, deutschen Dorfe vorging ... spüren Sie ja doch, was in Billionen Meilen im Weltenraume brennt!« Und er wies den Pastor, der noch freundlich auf den Stufen der Bäckerei stand, in den Nachthimmel und in die Sterne, die über ihnen funkelten.
Es hat im Verlaufe der Zeiten immer wieder solche Menschen gegeben wie den Bäcker Einhorn. Vielleicht war er von Geburt an schon gezeichnet. Irgend etwas in ihm redete unsäglich fein in seine eigene Seele hinein, so daß er viel begriff, was sonst hinter Mauern liegt. Schon in seinem Sprachton war jetzt eine leise Gewalt, die manchmal klingen konnte wie ein heller Orgelton. Und manchmal auch stockend und dumpf, wie wenn sie sich scheute, Geheimnisse ganz zu nennen. Und sein Blick war jetzt harmvoll und reich, so daß er mit der Tiefe der Sanftmut viele Menschen richtig zu sich zwang. Seine Mienen zeichneten eine Seherseele.
Viele Menschen werden ihn deshalb um so mehr einen Narren schelten. Zumal er unter seinen Freunden und Jüngern vor keiner Verantwortung zurückschreckte. Er erzählte seine bedrohlichsten Träume. Er sagte ganz unbedenklich in dem engeren Kreise des Dorfes Krankheiten und Tod vorher, wenn ihm die Rauchgestalten der inneren Ereignisse da und dort Offenbarungen gemacht.
Er sagte auch ganz mystische Dinge. Er sagte:
»Auch das inbrünstigste Umgreifen Gottes wäre ein leibhaftiges Umarmen, daß er sich selber sähe wie in Wolkendunst an den Himmel geschrieben ... und das Entweichen der Seele wäre, wie wenn Tannenzapfen oder auch Schlangen oder Mäuse aus den Mündern in die Luft hineinkröchen!«
Derartiges visionäres Ereignis mußte sich wohl in ihm vollziehen.
Aber zwei Dinge hat er wirklich für viele noch völlig glaubhaft gemacht. Die eine Geschichte betrifft seine Heirat.
In einer Nacht, mitten im Backen vor seinem glühenden Backofenloch sah er vor sich ein Mädchen des Ortes, das er seit seiner Schulzeit oder ein, zwei Jahr später nicht wieder gesehen. Er war jetzt siebenundzwanzig Jahre und also waren mehr als zwölf Jahre vergangen. Noch weniger hatte er je auf seinen Streifzügen im Auslande an das Mädchen gedacht. Sie war etwa sieben Jahre jünger als er und war erst ein acht-, neunjähriges, aschblondes Kind, als er das Heimatdorf verlassen hatte. Da geschah es, daß der Bäcker Einhorn plötzlich diese »Traute«, so hieß sie, wie eine wunderbare Venus, genau wie er sich aus der Galerie in Dresden eines Gemäldes erinnerte, nackt vor sich liegen sah. So sehnsüchtig die Hände nach ihm ausgestreckt, daß er gleich hell und glückselig auflachte und lange in einer wirklichen Umarmung mit ihr gebunden sich fühlte. Der Eindruck war so leibhaftig, daß er die Sommersprossen des Mädchens, den ein wenig vorgebauten Mund und die kühnen, selbstsicheren, grünlichen Augen anstaunte und anlachte und stundenlang noch in der Arbeit wähnte, sich in diesem Augenblicke seine Braut geholt zu haben.
Wie es nun in Einhorn einmal so geschah, lief er noch an demselben Morgen, nachdem er von der Arbeit nur kurz geruht und sich gewaschen und feierlich angetan hatte, sehr bald die Dorfstraße entlang, um zur Brautwerbung bei dem alten Dorflehrer einzutreten. Und in der Tür hatte auch ganz richtig das Mädchen gestanden. War über und über rot geworden, weil Einhorn gleich ihre Hand ergriff und nicht wieder losließ. Weil er voll heller Freude war, Traute genau im ganzen Wesen und Ausdruck wiederzusehen wie als nächtliche Geistergestalt. Und weil er sie also auch gleich an ihrer Hand festhielt, um sie als seine Braut vor den Alten in die lange, leere Schulstube hineinzuführen und vorzustellen.
»Sie muß mein Weib werden!« sagte er nur mit ganz verklärtem Blick. Was sich Traute auch unbegreiflicherweise gefallen ließ. Gar nichts dagegen sagte. Weil irgendwo da auch Geister schon mußten vermittelt haben. Denn selbst der alte, ein wenig mürrische Dorflehrer sah dabei den Bäcker Einhorn nur freundlich verwundert an. Es war auch hier gleich so eigentlich, als ob alles längst verabredet wäre. Obwohl Traute wunderlicherweise erst einen Tag vorher überhaupt nach zweijähriger Abwesenheit von daheim wieder ins Dorf gekommen war.
Traute und Einhorn standen schließlich in ganz zutraulichem Geplauder wie zwei innig gebundene Liebesleute beieinander. Und wie dann der alte Schulmeister in seine Arbeit mußte, küßte Einhorn Traute zum ersten Male zärtlich und sagte es ihr ganz offen ins Gesicht:
»Du mußt es doch gewußt haben ... du warst doch heute Morgen schon bei mir... ich will dir gar nicht erzählen wie ... vielleicht würdest du jetzt am Tage ganz rot werden, wenn du es aus meinem Munde hören würdest ... ach du ...
Traute ... wunderbar ... wie du schön bist ... wie die Menschen im Paradiese!«
Und Traute wurde wieder ganz rot, als ob sie irgend etwas begriffe, als ob auch sie etwas derartiges erlebt hatte, so daß ihr sogar Tränen in die Augen kamen. Und sie sagte dann mit einer drolligen Verschlagenheit:
»Ich habe wirklich deine Kohlenhände an meinem Leibe gefühlt... und deine Augen leuchteten gerade so stechend wie jetzt ... was bist du für ein Hellseher!«
Und es war wirklich unbegreiflich, daß beiden so zumute war, als wenn alles schon vorher abgemacht gewesen wäre, obgleich die Lehrerstochter und der Bäcker Einhorn über zwölf Jahre lang weder voneinander etwas erfahren noch gewußt hatten.
Es ist nicht viel weiter zu erzählen.
Der Bäcker Einhorn heiratete Traute. Und lebte ein Jahr mit der lustigen von aschblonden Kraushaaren umflogenen jungen Frau, die reichlich Sommersprossen im Gesicht und große, schöne Zähne in dem leicht vorgereckten Munde hatte. Und wie sich alles bei Einhorn angekündigt hatte, so hat sich auch sein Tod bei ihm gemeldet.
Es war im Herbste. Blätter wirbelten von den Kastanien im Garten der Bäckerei. Da hatte Traute die dicken Kastanienkugeln, die aus den platzenden Früchten sprangen, in einen Sack gesammelt, ein Purpurtüchel lustig um den blonden Kopf geschlungen. Und Einhorn hatte dabei gestanden und hatte zuerst die seltsamen Zeichnungen an einer Kastanie und dann an der großen Platane mitten im Garten die platten Rindenrisse untersucht. Und dabei hatte er plötzlich so milde und weise, wie er dozieren konnte, und mit dem stechendsten Blick seiner braunen Augen etwas ganz Geheimnisvolles gesagt.
»Traute ... sieh ... hier stehen sonderbare Zeichen, daß ich im November sterben werde ... und denke dir ... ich höre schon die Grabemusik... aber es sind ganz gedämpfte Stimmen ... weil der Schnee den Leichenzug mit weichen Flocken völlig einhüllt ... nämlich im Winter beim Schneefall hört man selbst die Bäche nicht rauschen!«
Traute hing an ihrem Manne. Er war ein heißes Feuerherz. Das Inbrünstige und doch Sanfte gab ihm eine Schönheit.
»Im Winter ist besser sterben als im Sommer!« sagte er noch achtlos.
Da hatte Traute einen Todesschrecken.
Aber der Bäcker Einhorn, weil er gesund und lachend dastand, und Traute sofort sanft tröstete, auch ohne die leiseste Scheu vor den Dingen, die dem Menschen einmal bevorstehen, gestimmt war und kindlich lachend in sie einsprach, verscheuchte den Schrecken. Aber der Tag im November, den er genau vorausgesagt hatte, kam, da trug man den beinah neunundzwanzigjährigen Bäcker Einhorn im Sarge im tiefsten Schneefall auf den Kirchhof des Dorfes hinunter. Und die Grabgesänge klangen, wie wenn Watte die Stimmen verhüllte. Und die Glocken läuteten nur ganz geheimnisvoll und fern wie aus einer versunkenen Stadt.
Traute ging mit ihrem alten Vater und ihrer Schwester hinter dem Sarge her. Es war eine überreiche Trauerbegleitung. Viele hatten die Augen voll warmer Tränen. Aber Trautes Augen waren voll einer fortwährenden Vision. Einhorn hatte sein Weib noch in den letzten Sterbestunden ganz gewiß gemacht, daß die Welt voll goldner Schicksalsfäden ohne Grenzen wäre, die ihn und sie für immer gebunden hielten in alle Ewigkeit. Sie schritt hinter dem Sarge her wie geheimnisvoll berührt von seiner Erleuchtung. Und als wenn man einen Heiligen vor ihr hertrüge, der nicht tot wäre.
Freilich manchem im Orte, dem Dorfpastor und auch dem alten Lehrer, seinem Schwiegervater, grauste es heimlich. Und manche Fromme bekreuzten sich heimlich gegen den Zauber, der vom Bäcker Einhorn ausgegangen.