Gerhart Hauptmann
Hamlet in Wittenberg
Gerhart Hauptmann

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Dritter Akt

Erste Szene

Gewölbter Saal auf der Fachusburg.

Balthasar von Fachus und Horatio.

Horatio. Es ist hier schön. Man lebt gut in dem alten festen Gemäuer. Die Vögel singen in deinem Burggarten. Aber ich fürchte, wir werden Proteus nicht mehr lange festhalten.

Fachus. Meine Bemühungen beim Stadtrat wie beim Senat der Universität sind, Gott sei Dank, erfolgreich gewesen. Der Staub, den sein blutiger Handel mit dem spanischen Abenteurer aufgewirbelt hat, hat sich mittlerweile gelegt. Dieser Juan Pedro de León ist eine Art von Mensch, die schwer zu durchschauen ist. Er weiß an allen Höfen, auch dem dänischen Hof, Bescheid und hegt für den Prinzen eine Art Haßliebe.

Horatio. In deine Seele wie in ein Grab: Seid gewarnt vor diesem Spanier! schreibt mir ein dänischer Freund. Er ist eine gedungene Kreatur von Hamlets Vaterbruder Claudius und soll den Prinzen womöglich beiseiteschaffen.

Fachus. Es wäre an sich bei den Praktiken der regierenden Häuser nicht verwunderlich. Aber ich bin nicht der Meinung des Briefschreibers. Ich habe nämlich Don Pedro besucht. Er wird ja am Ende von der Rauferei nur eine steife Schulter zurückbehalten. Ich fand ihn bettlägerig. Und kannst du's glauben: er wollte nicht von Hamlet verwundet sein. Die Wunden, die er sich lecke, habe er einem Lizentiaten aus Vigo zu verdanken, den er dafür schon am Ohr zupfen werde. Aber was er dann sagte, beweist mir, daß er kein gedungenes Werkzeug ist. Legt dem Prinzen nahe, befahl er mir, daß er so schnell wie möglich heimreise und mit allen irgend verfügbaren Degen eine Leibwache um seinen Vater, den König, bilde.

Horatio. Hast du Hamlet davon gesprochen?

Fachus. Nein! Er ist von der Übermacht seines reckenhaften Vaters und der Jämmerlichkeit seines Oheims so überzeugt, daß er mich auslachen würde. Übrigens, nicht der Spruch eines Gottes, wie du so gut weißt wie ich, risse ihn jetzt aus dem Umkreis von Wittenberg. Die Verzauberung heißt noch immer Hamida. Zweimal ist sie wie ein Schatten vor ihm aufgetaucht und ebenso wie ein Schatten verschwunden. Aber der Schatten hat Gewalt, weit mehr als die Wirklichkeit. Er trinkt dem Prinzen das Blut aus den Adern.

Horatio. Ich sah zuletzt in dem großen Durcheinander der Schlägerei, wie Paulus, der versoffene Bacchant, boxend und um sich hauend, sie gegen den Pöbel verteidigte.

Wilhelm tritt ein, schiebt den kleinen Thomas vor sich her.

Wilhelm. Das ist nicht wahr! Dieser Paulus ist ein grauer Wolf von der scheußlichsten Art, schlimmer als jeder, der jemals auf dem Schindanger Aas gefressen hat. Laßt euch von diesem Buben Bescheid geben.

Fachus. Wie heißt du? Du kommst mir bekannt vor, Bub.

Thomas. Ich heiße Thomas.

Wilhelm. Es ist der Bub, der den Rappel bekam in der Herberge Zum Pilgerstab.

Fachus. Richtig, und wie kommt er hierher?

Wilhelm. Nun, doch wohl per pedes apostolorum.

Fachus. Und was will er von uns?

Wilhelm. Das ist nicht aus ihm herauszubringen, da seine Botschaft, wie er sagt, durchaus und nur für den Prinzen ist. Doch er weiß von wilden Geschichten. Paulus, sagt er, habe den Zigeunerburschen Lischka kaltgemacht. Er ziehe auf Wochenmärkten herum und lasse eine Zigeunerin statt eines Bären am Strick tanzen.

Fachus. Gebt ihm zu essen. Wir sprechen später davon. Es sind eben Gäste eingeritten. Man führt Thomas hinaus. Rosenkranz und Güldenstern treten ein. Oh, welche Ehre, welches Glück! Seid auf meiner Stammburg willkommen!

Rosenkranz. Ein schöner Besitz, fast königlich. Eure Verdienste um den Prinzen Hamlet werden zu Helsingör nie vergessen werden. – Können wir den Prinzen sprechen?

Fachus. Er lebt augenblicklich sehr zurückgezogen, fast scheu verborgen, wie ihr wißt.

Güldenstern. Nun, wir bringen wichtige Nachrichten.

Horatio. Darf ich annehmen, werteste Herren, solche, die für den Prinzen angenehm zu hören sind?

Rosenkranz. Das ist im Augenblick nicht zu entscheiden.

Fachus. Ich bitte Euch, mir zu folgen, meine Herren. Immerhin habt Ihr keinen ganz kurzen Ritt hinter Euch. Ihr werdet Euch etwas erfrischen wollen.

Fachus mit Rosenkranz und Güldenstern ab. Horatio und Wilhelm sind allein.

Wilhelm. Was haben wir von diesen beiden zu halten, Horatio?

Horatio. Es sind hübsche geschniegelte Puppen, die nur der Draht, an dem sie gezogen werden, lebendig macht.

Wilhelm. Dann wären sie ohne den Draht zu nichts, mit ihm zu allem zu gebrauchen.

Horatio. Und das wäre das, was bei ihnen aufs Haar zutreffend ist und weshalb sie Karriere machen.

Wilhelm. Und wer würde der Drahtzieher sein, Horatio?

Horatio. In diesem Falle ist es die Königin Gertrud und Claudius.

Wilhelm. Liebst du die beiden dänischen Gecken, Horatio?

Horatio. Wie Ipecacuanha und Mäusedreck. Ich hasse sie und fürchte sie noch viel mehr. Sie führen gewiß nichts Gutes im Schilde.

Fachus kommt zurück.

Fachus. Wenn diese beiden Zierbengel auftauchen mit ihrem Getue in Ernsthaftigkeit, ist es mir immer, als seien mir zwei Wanzen in die Suppe gefallen. Sie deuteten an, sie hätten Aufträge von Helsingör.

Horatio. Hole der Teufel den Teil von Helsingör, der sich mit diesen Burschen befaßt!

Fachus. Ich stehe zu Proteus, was immer auch komme.

Wilhelm. Das ist auch bei mir eine Selbstverständlichkeit.

Fachus. Ich bin ein Deutscher, beinahe hätt' ich gesagt: wie Hamlet auch. Denn, er sei Däne oder nicht, er ist trotzdem deutsch in jeder Faser. Und weil er somit auf mirakulöse Weise mein Landsmann ist, liebe ich ihn wie einen Bruder. Wehe, wer ihm zu nahe tritt!

Horatio. Kommilitonen, was immer auch kommen möge, und sollten es Dinge sein, die den großen Schicksalen angehören: wie wäre es, wenn wir einen Schwur leisteten, jederzeit und immer, mit allem, was wir sind und haben, ihm beizustehn?

Wilhelm. Ich weiß, was ich tue, wenn ich sage: Leisten wir diesen Schwur!

Horatio. So legt eure Fingerspitzen auf meine Degenklinge und schwört! Es geschieht. Schwört auf mein Schwert!

Echo. Schwört auf mein Schwert!

Alle drei fahren auseinander.

Fachus. Was ist geschehen? Warum fahren wir auseinander?

Wilhelm. Ganz einfach: das Echo hat uns geneckt, das in den alten Gewölben sitzt.

Horatio. Richtig, es ist das Echo gewesen. Aber ich habe es nie so gehört. Ganz deutlich und laut, und mit einer tieferen Stimme als meine, schollen die Worte: Schwört auf mein Schwert!

Wilhelm. Also nochmals: was sollen wir schwören?

Horatio. Eins mit dem Prinzen Hamlet zu sein, heut, morgen und allezeit!

Wilhelm und Fachus gleichzeitig. Wir sind eins mit ihm, heut, morgen und allezeit!

Horatio. Hier, dort und überall! In Wittenberg wie in Helsingör! Im Himmel so gut wie in der Hölle! In Streit und Sieg! In Not und Tod!

Horatio, Fachus und Wilhelm gleichzeitig. Hier, dort und überall! In Wittenberg wie in Helsingör! Im Himmel so gut wie in der Hölle! In Streit und Sieg! In Not und Tod!

Tief atmend und bewegt treten sie auseinander. Horatio steckt den Degen in die Scheide.

Horatio. Der Prinz.

Hamlet tritt ein.

Hamlet. Gäste sind eingeritten. Ist es richtig, was Felix sagt?

Fachus. Ich wünschte, ich könnte dir liebere anmelden: Rosenkranz und Güldenstern.

Hamlet. Es sind harmlose Burschen. – Störe ich euch?

Alle drei. Um Gottes und Christi willen, niemals, Proteus!

Hamlet. Eure ernsten Mienen haben mich stutzig gemacht: als ob ihr über Gnade und gute Werke, das Problem der Dreieinigkeit oder die Erbsünde diskutiert hättet. – Ihr wißt, ich möchte nun gern wieder zurück nach Wittenberg. Die Schulbänke der Hörsäle entwickeln eine immer stärkere Anziehungskraft. Ich möchte Melanchthon wieder hören über die Sentenzen der heidnischen Klassiker, die Doktor Martin Luther seine lieben, teuren Meister nennt. Ich sehne mich nach Plautus und Terenz, nach Cicero, Ovid, Catull und Tibull. Und du, Wilhelm, sollst uns sozusagen als Vorgericht heute abend mit deiner wunderbaren Kunst, welche selbst die der meisten Schauspieler übertrifft, den »Hercules« des Seneca zu Gehör bringen.

Wilhelm. Wenn ich meine Kehle mit Malvasier geschmeidig machen kann, warum nicht?

Hamlet. Und dann: die Hochschule feiert am kommenden Sonntage ein Jubiläumsfest. Ein Umzug soll stattfinden in Gewändern aus alter Zeit. Man könnte einmal seinen schwarzen Mantel mit einem bunten vertauschen. Meint ihr nicht? – Habt ihr übrigens immer noch nichts von der kleinen Ägypterin, der kleinen Kleopatra, in Erfahrung gebracht? Ich finde mich selber lächerlich, aber wenn ich an sie denke, begreife ich den Antonius. Ich könnte das Weltreich Alexanders von Mazedonien für sie hergeben.

Fachus. Es steht nichts im Wege, Proteus, daß du dich mitten in den Festestrubel hineinstürzest. Du wirst nicht nur über die Begeisterung der Studentenschaft zu quittieren haben, sondern von der ganzen, dich ja schließlich vergötternden Stadt.

Hamlet. Und mein blutiger Zwist ist vergessen?

Fachus. Man hat nichts daraus gemacht, da ja schließlich niemand auf dem Platz geblieben ist.

Hamlet. Übrigens pfusche ich dir ins Handwerk, Wilhelm. Ich habe hier oben in dem oberen Turmzimmer allerlei zusammengeschrieben und werde dir demnächst einen »König Kophetua« einreichen. Du weißt: König Kophetua und das Bettelmädchen. Wir werden uns eine Truppe suchen, und wenn ich auch alle Kosten tragen muß.

Wilhelm. Du brauchst durchaus nicht die Kosten zu tragen. Ich sehe in dir einen Dichter vom höchsten Range heranreifen, Proteus.

Rosenkranz und Güldenstern treten ein, sie verbeugen sich tief und offiziell vor Hamlet.

Hamlet. Willkommen, Rosenkranz und Güldenstern! – Gut, daß wir Mitschüler alle uns wieder zusammenfinden, so können wir unsere kurzweiligen Disputationen und sonstigen studentischen Divertissements wiederaufnehmen. Wie ihr wißt, liebe ich Wittenberg, seine Dozenten und seine Studenten. Mein Geist hat hier seine Heimat gefunden. – Wenn es angängig wäre und Dänemark nichts dawider hätte, ich würde auf den Magister und Doktor hinarbeiten, um mein Leben hier, etwa als Lektor für Poetik, zu beschließen.

Rosenkranz. Eurer Königlichen Hoheit müssen wir leider, und zwar zu unserem tiefsten Leidwesen, mitteilen, daß Brief und Auftrag vom dänischen Hofe dieser Eurer Neigung nicht gerade günstig lauten.

Hamlet. Was bedeutet das? – Laßt uns allein, Freunde.

Fachus, Horatio und Wilhelm ab.

Güldenstern. Hier ist, durch einen Kurier uns eingehändigt, für Euch ein verschlossener Brief der Königin.

Er übergibt den Brief.

Rosenkranz. Die Königin wünscht dringend, Ihr möchtet, sofern Ihr sie noch als Mutter ehrt und liebhabt, sogleich nach Helsingör zurückkehren.

Hamlet. Und was sagt mein Oheim Claudius?

Güldenstern. Er scheint sich diesmal den Gründen Eurer hohen Frau Mutter nicht zu verschließen.

Hamlet. Habt ihr eine Ahnung davon, wer diese Verschwörung gegen mich am Hofe zu Helsingör angezettelt hat?

Rosenkranz. Euer blutiger Handel mit dem Spanier könnte an die Königin, Eure Frau Mutter, berichtet worden sein. Vielleicht, weil der Kurfürst für die Gefahren, in die Ihr Euch begebt, und das, was Euch darin zustoßen könnte, die Verantwortung nicht tragen will.

Hamlet. Mütter, die nur einen Sohn haben, wollen ihn meist überhaupt nicht losgeben von der Nabelschnur. Nun, wer ein Mann ist, wird sie zerreißen. – Ich würde sofort heimkehren, wenn es meines Vaters, des Königs, Wunsch wäre. Ist er mit dieser Sache befaßt worden?

Rosenkranz. Er lehnte es ab, wie stets, sich einzumischen.

Hamlet. Ich bin ihm nicht wert, einen Gedanken an mich zu verschwenden, wie mir scheint. – Ich werde die Sache überlegen.

Er winkt ihnen gebieterisch ab, und nach abermaliger tiefer Verbeugung entfernen sie sich.

Hamlet öffnet den Brief seiner Mutter und vertieft sich in ihn.

Mit einem Luftsprung, mit dem er den Brief zerknüllt und in die Brusttasche steckt

Ha, heißa, Jungens! Kommt! Vögelchen, kommt!

Horatio, Fachus und Wilhelm eilig herein.

Horatio Wie steht's, mein gnäd'ger Herr?

Fachus.                                                     Was gibt's, mein Prinz?

Hamlet. Nichts jetzt von gnäd'ger Herr und gnäd'ger Prinz!
Ihr, meine Lieben, herzensnahe Burschen,
nun heißt es eilen und nicht rückwärtsblicken,
will man zu Stein nicht werden wie Lots Weib.
Auf, auf, nach Wittenberg! Es drängt die Zeit.

Wilhelm. Was haben die Zierpuppen uns gebracht,
mein Proteus?

Hamlet.                 Ich soll heim nach Helsingör!
Soll unter Weiberröcken mich verkriechen!
Eh dies geschieht, spring' ich mit beiden Füßen
ins Reich der Namenlosen und verschwinde
auf immer!

Wilhelm.           Nichts von Weiberröcken, Proteus,
außer von solchen, die der Liebe Hauch
hinweg wie Schleier bläst. Du bist ein Mann,
und wir nicht minder, Proteus, sind drei Männer,
auf die der vierte sich verlassen kann.
Willst du, so werfen wir die Unglücksboten
zwei Stock hoch aus dem Fenster in den Schloßhof.

Hamlet. Im Gegenteil, holt sie zurück! Sie sollen
mit uns hohnsprechen ihrem eignen Auftrag. –
Wollt ihr es glauben . . .?

Horatio.                                 Was?

Hamlet.                                           Die Königin
liest mir den Text und fleht hernach mich an,
inbrünstig und inständig, heimzukehren.
Beginn ein neues Leben, schreibt sie mir,
doch schlägst du meine Worte in den Wind,
so werd' ich selbst die Müh' der weiten Reise
nicht scheuen und dem Vorschlag Seiner Liebden
Kurfürsten folgen, der entbieten läßt,
er wäre glücklich, wenn wir ihn besuchten.

Fachus. Für unser Land, mein Prinz, das höchste Fest!

Hamlet. Nur nicht für mich! Nichts da: das Lied ist aus,
wenn Eltern sich vermessen, Kinderruten
zu schwingen über einen bärt'gen Sohn.
Und dann: die Liebe? Was denn würde wohl
mit ihr, der Liebe?

Wilhelm öffnet eine Tür und ruft hinaus.
                            Thomas, komm herein!

Thomas erscheint, ängstlich.

Hamlet stutzt, faßt sich an den Kopf.
Knirps, unvergeßlicher, wo sahn wir uns
das letzte Mal?

Thomas                   Das war im Pilgerstab.

Hamlet. Ganz recht! Du kamst herein mit den Bacchanten
Paulus und – wie der andre immer hieß.
Mir ist nur Branntweinduft erinnerlich,
Bartwuchs und blaue Nasen. Nun, was willst du?
Unnütze Frage: hier, ein Groschen Geld.

Er will ihm Geld geben.

Thomas. Ich bin nicht um zu betteln hier, Herr Prinz.

Wilhelm. Der Anschein trügt für diesmal in der Tat,
mein Proteus.

Hamlet blickt scharf und befremdet von einem zum andern.
                      Darf man fragen, was ihr treibt
und was ihr etwa wohl im Schilde führt
mit diesem Büblein, dem der Rotz ins Maul läuft?

Wilhelm. Wir nichts, wir führen nichts im Schilde, nein.
Doch wie, wenn dieses Bürschchen plötzlich sich
mit Flügeln schmückte und am Ende gar
ein Götterknäblein sich aus ihm entpuppte?

Hamlet. Du sprichst in Rätseln.

Wilhelm.                                   Rätsel sind es, ja,
die uns, gleichwie im Herbst die Sommerfäden,
von überall anhaften und umschwimmen.
Doch scheint's, hier ist uns eine Lösung nah.

Hamlet. Macht ihr euch lustig über mich?

Thomas.                                                   Ich nicht,
Herr Prinz. Mich schickt ein armes Bettelkind,
das unter Grausamkeiten seufzt und Schlägen
von eben jenen beiden Peinigern –
sie heißen Paulus und Achazius –,
die mir, auch mir, die Welt zur Hölle machen.
Ich weiß es: was ich tue, kann mein Tod sein.

Hamlet. Wenn du was Guts im Sinn hast, nimmermehr.

Thomas. Herr, Ihr seid gut! Ich hab' es gleich gespürt,
als Ihr so freundlich Euch zu mir herabließt.
Und darum faßt' ich Mut, Euch aufzusuchen.

Er beginnt heftig zu weinen und küßt Hamlet die Hand.

Als Eure Finger mein verlaustes Haar
berührten, war's, als streichle mich der Heiland.

Hamlet. Komm zu dir, kleiner Tintenklecks des Herrgotts!
Und wenn's dir dann beliebt, sag deine Botschaft.
Wo stammst du her?

Thomas schluchzend.       Aus Wallis.

Fachus erklärend zu Hamlet.               In der Schweiz.

Hamlet. Und warum streichst du in der Welt herum?

Thomas. Drum, wil i äppis rächts ha wele werde.
I wollt' nid ewig hungre wie als Geißhirt.

Hamlet. Und was denn willst du also werden?

Thomas.                                                           Weiß nid.

Er hat sich gefaßt, wischt sich die Nase am Ärmel.

Hamlet. Nun sage, was ich hören soll. Mach's kurz.
Mein Gaul, gesattelt, wiehert schon im Hof.

Thomas. Was ich zu sagen hab', ischt nid für die da.

Hamlet winkt. Fachus, Horatio und Wilhelm schicken sich unter herzlichem Lachen an, den Raum zu verlassen.

Wilhelm. Ich rat' Euch, Prinz, faßt nur mit beiden Händen
den Sandsteinpfeiler, neben dem Ihr steht,
und klammert dran Euch fest! Im Mund des Thomas
ist eine Zunge; kommt dazu der Hauch
aus seiner platten Brust, so können Zung' und Hauch,
glaubt mir, Euch einen solchen Sturm erregen,
daß Ihr, aufrecht zu bleiben, Eure Not habt.

Hamlet. Das wird sich zeigen. Laßt uns nun allein.

Fachus, Horatio und Wilhelm ab.

Nun dein Geheimnis in mein Ohr: was willst du?

Thomas. Ich komme von Hamida, und ich bringe
Euch eine schwarze Locke ihres Haars.

Er übergibt die eingewickelte Locke. Hamlet wankt, stützt sich an die Säule.

Hamlet. Wilhelm hat recht, fürwahr, mehr, als er ahnt!
Geduld! Nur einen Augenblick! Schon gut!
Nun rede. Und ich bin jetzt so gefaßt,
daß ich dich bitte, kleiner Abc-Schütz,
mir vom geringsten Punkte deines Auftrags
auch nicht ein Tüttelchen zu unterschlagen.
Komm her!

Er faßt Thomas bei beiden Schultern.

                    So! Nicht nur durch das Ohr
soll mich durchdringen, was du in dir birgst,
aus deinem Körper zieh' ich goldne Ströme,
Ströme des Lebens, in den meinen! Schütte
den Goldschatz aus, o kleiner Abc-Schütz!
Doch hurtig, denn du könntest sterben, eh
du es getan hast, Ziegenhirt aus Wallis.
Hast du's vollbracht, sollst du Magister werden
auf Dänmarks Kosten: das verbürg' ich dir.

Thomas. Hamida fleht um Rettung! Morgen ist
Paulus mit ihr beim Wirte Bohnenmilch
am Großen Tor zu Wittenberg. Er will
beim Hochschulfest sie tanzen lassen und
Geld aus ihr schlagen. Und ich bin bereit,
zur rechten Zeit zum rechten Ort Euch
hinzugeleiten.

Hamlet. Zur rechten Zeit? Sofort! Im Augenblick!
Horatio! Wilhelm! Balthasar! Der Himmel
erinnert sich, daß Proteus-Hamlet lebt!

Fachus, Horatio und Wilhelm kommen herein.

Erinnert sich, wozu ein Hamlet da ist,
weshalb Gott Hamlet in die Welt gesetzt!
Was ist er wert, wenn nicht getretnes Recht
sich an ihn klammern könnte? Schönheit nicht
auf ihn als Ritter sich verlassen könnte?
als Ritter und als Retter, wo es sein muß!
Hört ihn: Ein Kind, Geschöpf der höchsten Liebe
des Allgestalters, in den sel'gen Himmeln
gebildet und auf Paradieses Grund
zu einer überirdisch schönen Blüte,
kämpft in der Jauchenbolge dieser Welt,
und wo wir sie nicht aus dem Unflat ziehn,
muß Gottes Ebenbild darin ertrinken.

Thomas schluchzend.
Jawohl, so ist's, so ist es, edler Herr.

Hamlet. Dies war der Tag, dem ich gelebt! Dies ist er,
und keinen andern wünsch' ich fürder mir
mit einem hellren Blitz aus hellrem Himmel.
Und also: Auf zur Rettung! Auf zum Fest!
Die Degen wollen wir mit Rosen kränzen,
wir Rosenbündler! Und auf meiner Brust
brennt hundertfach ein Zauber Salomos:
er schenkt mir alle Macht der Pharaonen
in einer einz'gen Locke schwarzen Haars.
Und Glück! Ich fühl's! Und Glück! Er schenkt mir Glück!
Ich schwör's, ich fühl's: Er schenkt mir Macht, die Glück ist!

Wilhelm. Und wo ein Tropfen dieses Glücks im Becher
zurückbleibt, treffe jeden Trinker Tod,
der es verschuldet!

Hamlet im Abgehen.
Und, Freunde, unser Feldgeschrei?

Alle.                                                         Hamida!

 

Zweite Szene

Wittenberg. Herberge Zum Strohsackl. Garküche und anstoßende Trinkgewölbe. Alles ist überfüllt von zusammengewürfeltem Gesindel, Kehricht der Landstraße.

Eine Art Chorus wird in bald anschwellendem, bald abschwellendem Ton durch die ganze Szene hin festgehalten. Es ist vormittags gegen zwölf Uhr.

An einem der Tische Paulus und Achazius. Neben ihnen, die Arme auf der Tischplatte, den Kopf darauf gelegt, schläft Hamida.

Bohnenmilch geht von Tisch zu Tisch.

Chorus bald hier, bald dort, bald einzelne, bald viele Stimmen.
Ich war noch jung und war doch arm,
kein Geld hatt' ich gar nicht, daß Gott sich erbarm'.
Da nahm ich meinen Stab und meinen Bettelsack
und pfiff das Vaterunser den lieben langen Tag.

Erster Gast. Das Geschäft blüht, Bohnenmilch.

Bohnenmilch. Markttag. Aber was kommt dabei heraus? Ihr freßt viel, wollt die Fässer leersaufen und zahlt nichts.

Achazius zu Paulus. Du hättest nicht sollen wieder durchs Wittenberger Tor hereingehen. Es schlug wie eine Falle hinter uns zu. Und nun gar deine Kebse mit dem braunen Gesicht, die wir mit Müh und Not aus der Stadt gebracht haben.

Paulus. Das Mensch muß Geld bringen, was beschlepp' ich mich sonst mit ihr. Soll ich sie draußen vor den Hühnern und Gänsen auf den Händen laufen und kopfstehen lassen?

Bohnenmilch. Ist's möglich? Der Paulus und der Achazius! Was habt ihr verloren zu Wittenberg, daß ihr so schnell zurückfindet? Und immer noch die Herumstreunerdirne an der Hand?

Paulus. Ach was, schaff mir Käufer, ich geb' sie um einen leidlichen Preis.

Bohnenmilch. Nehmt die Beine unter den Arm, so schnell ihr könnt! Dort hinterm Stückfaß sitzen zwei Scharfrichter.

Paulus. Wir stehen alle in Gottes Hand.

Achazius. Er hat recht, Paulus, wir müssen fort.

Paulus. Was hätt' ich getan, außer was sich ableugnen läßt?

Achazius. Um ihretwillen – er weist auf Hamida – haben der dänische Prinz und der spanische Teufel ihre Degen gekreuzt. Von beiden hast du nichts Guts zu gewärtigen.

Chorus wie vorher.
Und als ich kam Heidelberg hinan,
da packten mich die Bettelvögt'
gleich hinten und vorne an.
Der eine packt' mich hinten,
der andre packt' mich vorn:
Ei, ihr verfluchte Bettelvögt',
so laßt mich ungeschorn!

Paulus. Bettelvogt hin, Bettelvogt her: was geht's mich an, das vertrackte Geheule. Gäb's keine Bettler, woher nähmen die Bettelvögte das Brot?

Chorus. Da packten mich die Bettelvögt'
gleich hinten und vorne an.

Paulus. Mögen sie mich hinten und vorne, oben und unten anpacken! sind für mich nur bezahltes Lumpenpack. Bohnenmilch, eine Kanne Wein!

Bohnenmilch. Bist noch mit drei Gulden vom letzten Mal in der Kreide.

Paulus. Thomas bringt Geld, er muß gleich hereinkommen.

Brakka taucht plötzlich aus der Menge auf.

Brakka zu Paulus. Behüt' dich Gott, schöner junger Herr! Hast rundes Auge, stieren Blick. Träumst schlecht. Zeig Finger! O weh! Viel schlechte Handwerk! viel schuldlos Blut! Von Grenoble Venedig, Venedig Paris, Paris Straßburg Wittenberg: lange Straß', viel Versteck, viel blutige Hohlweg. Grand-diable kann nicht nur Büch lesen und Büch schreiben. Hast Angst vor Gebein, das hinter dir herklappert. Gib Gulden, gib Gulden halb! Hier Salbe, nimm! verjagt die Satane, Brandwunden, Hautflechten, Krätze, Beulen. Kaufst Mandragore: Gulden zehn. Klein, klein Galgenmann: kein Messer, kein Richtbeil, kein Strick kann dich schaden. Totenbeine klappert nicht mehr. In bezug auf Hamida. Schläft Kind? Ist Kind krank? ist eine von unsre Leit'?

Paulus. Mach, daß du fortkommst, Oder ich haue dir über den Kopf!

Nach einem langen scharfen Blick auf Paulus und Achazius verschwindet Brakka in der Menge.

Achazius. Sie hat uns erkannt, Paulus! Es ist das alte Weib aus dem Pilgerstab, das sich als Hamidas Mutter aufspielte. Wieder wimmelt es hier herum von Zigeunervolk. Wenn wir nicht achtgeben, fallen sie bei nächster Gelegenheit über uns her.

Paulus. Geziefer! Sie werden mir trotzdem die Dirne nicht abjagen. Denn was ich auch sage – Hamidchen, wach auf! Er pufft sie wach. Ich werde dich nie und an niemand abtreten. Notate hoc oraculum!

Chorus wie vorher.
Sie führten mich ins Zuchthaus 'nein,
da drinnen sollt' ich sitzen und dabei lustig sein!
Da drinnen sollt' ich sitzen bei Wasser und bei Brot:
Ach, du verdammter Bettelvogt, krieg du die schockschwere Not!

Paulus. Was für Scheißlieder singt das Bettelpack?!

Thomas taucht aus der Menge auf.

Achazius. Da ist Thomas.

Paulus. Wo bist du so lange gewesen, Thomas? Komm her, schütt aus, was du ergattert hast!

Thomas. Drei faule Eier und einen madigen Käse. Aber dafür fünf Heller an Geld und Schock ihrer dreizehn Beulen und Bisse.

Achazius. Tagedieb, du nichtsnutziger du! Du sollst noch beliebige Dresche dazu haben.

Hamida fährt auf. Ist Thomas? Thomas, Thomas! Komm her!

Thomas drückt Hamida etwas in die Hand. Paulus hat es bemerkt und nimmt es ihr weg.

Paulus. Was ist das? Ein rheinischer Gulden? was?!

Hamida sich wehrend. Nein, nicht! Schurke! Nicht! Dieb! Ich kratze dir Augen aus dem Kopfe!

Thomas verschwindet in der Menge.

Mit verlarvten Gesichtern, Kränze von Rosen um die Studentenbaretts und die Griffe der Rapiere, in reichen Phantasietrachten, erscheinen Hamlet, Horatio, Fachus, Wilhelm, Rosenkranz und Güldenstern, drei Knaben, als Narren verkleidet, mit Schellenkappen, und ein zahlreiches Gefolge junger Studenten.

Man ist still geworden, weiß nicht, was man von dem Aufzug halten soll. Viele, springen auf, einige laufen, da sie Häscher vermuten, Hals über Kopf davon.

Horatio. Es scheint hier das Bettelmannsparadies zu sein, wo die Blinden ihr Gesicht, die Einäugigen ihr zweites Auge, die Einarmigen ihren zweiten Arm wiederbekommen, die Stummen ihre Rede, die Tauben ihr Gehör. Von allen Gebresten hält sich keines, wie mir scheint, an diesem ältesten Wallfahrtsort. In dieser beliebtesten aller Kirchen werden die Schiefen gerade, die Lahmen werfen ihre Krücken, die Buckligen ihren Buckel weg.

Hamlet zu Bohnenmilch, der herangetreten ist.
Wir werden euch nicht stören. Unsre Absicht
geht nur auf einen Becher Weins.

Bohnenmilch.                                       Ihr Herrn,
wenn ihr vorliebnehmt, 's ist ein Kellerloch,
das arg nach Rinderfett und Weingeist duftet
und Schweiß der Arbeit. Meine Gäste sind
so, wie sie sind. Ich such' sie mir nicht aus.

Rosenkranz. So tief hat wohl der Dienst am Prinzen uns
noch nie zur Unterwelt hinabgeführt.

Güldenstern. Seltsame Neigung bei so hohem Herrn
für Gossenabhub, Ausguß und Latrine,
denn Weingeist ist der Düfte edelster,
die unsre armen Nasen hier umbrodeln.

Rosenkranz. Ein Lasterwirbel, gurges vitiorum.

Erster Gast. Nur mehr Latein, ihr Herrn, wir können's auch.

Güldenstern. Zu Wittenberg spricht's jeder Ziegelstein.

Rosenkranz. Es bellt's der Hund, und es miaut's die Katze.

Güldenstern. Die edle Sprache, rücksichtslos geschleift
durch jeden Kot, sie wurde übelduftig,
man nimmt sie widerwillig in den Mund.

Rosenkranz. Es kommt einem vor, als ob man ihr die Flöhe absuchen und sie entlausen müßte.

Zweiter Gast. Man muß den Hund mit den Flöhen hinnehmen.

Achazius zu Paulus. Es wäre nicht uneben, zu wissen, was diese Kommilitonen im Schilde führen und wer sie sein mögen.

Dritter Gast am Nachbartisch. Die Hohe Schule ist heut wie ein schwärmender Bienenstock. Ich wette, es ist die Kumpanei um den dänischen Prinzen.

Paulus. Komm, Bruder, ich denke, wir werden das Feld räumen.

Erste Schellenkappe zu Paulus, der sich halb erhoben hat. Der Argwohn riecht den Braten, eh noch das Kalb gestochen ist: Bleib hier!

Schlägt ihm mit der Pritsche über den Kopf.

Paulus. Komm mir beileibe nicht zu nah: ich heiße Paul mit der Hellebarde!

Zweite Schellenkappe. Wer einen bösen Namen hat, der ist schon halb gehangen! Bleib hier, bleib hier!

Er schlägt ihm mit der Pritsche auf den Kopf.

Paulus. Und wer ein loses Maul hat, zieht Maulschellen an!

Dritte Schellenkappe.
Büchsen, die nicht krachen,
Jungfern, die nicht lachen,
Vögel, die nicht singen,
wer hat Lust zu solchen Dingen?

Er klopft mit der Pritsche leicht Hamidas Scheitel.

Paulus. Laß meine Tochter in Ruh', verfluchter Hanswurst! Komm, Hamida, wir wollen nach Hause! Alle drei Schellenkappen klopfen jede mit den Worten Bleib hier! mit ihren Pritschen Paulus auf den Kopf. Es sind genug andre da, wenn ihr eure Narrenspossen an den Mann bringen wollt. Er schreit. Bohnenmilch, wirf diese Wickelkinder aus deiner Kaschemme!

Erste Schellenkappe. Das schlechteste Rad am Wagen macht den meisten Lärm!

Zweite Schellenkappe. Pillen muß man schlucken, nicht kauen, Bacchant!

Wilhelm halblaut zu Hamlet. Bei Gott, da ist, was wir suchen, Proteus!

Fachus. Die Hunde haben den Keiler gestellt, Proteus!

Horatio. Die Banderilleros haben dem Stier bereits einige Haken ins Fleisch gesetzt.

Bohnenmilch zu Hamlet. Wollt Ihr nun nicht gefälligst Platz nehmen, gnädiger Herr Mummenschanz?

Hamlet. Sag deinen Spruch, Wilhelm!

Wilhelm. Wir sind Schauspieler, gute Leute, und möchten euch gern alle hiermit zu unsrer Vorstellung eingeladen haben. Sie findet auf unsrer Bühne auf dem Platz vor dem Rathaus statt. Wir werden ein Stück von Proteus aufführen, das den Titel trägt: Kophetua und das Bettelmädchen. Die Rollen sind alle wohl besetzt, durchaus vollzählig, nur nicht die stumme Rolle des Bettelmädchens. Proteus, der Dichter, hat es sich in den Kopf gesetzt, diese Rolle von keinem Manne, sondern von einem echten Bettlerskinde gegen Gold und gute Worte agieren zu lassen. Es ist eine Neuerung, aber was wäre zu Wittenberg keine Neuerung?! Das Bettelmädchen nun suchen wir. Man hat uns hierhergewiesen als in ein Königreich der fahrenden Leute, wo gelegentlich Großwürdenträger der Zunft sich Rendezvous geben.

Allgemeines Schweigen.

Fachus. Der hohe Protektor, der hinter den Schauspielern steht, hat mir den Auftrag gegeben, euch zu einem Gelage auf dem Markt einzuladen. Es wird ein Ochse gebraten und auf Brettertischen, an denen die Zimmerleute bereits sägen, hämmern und hobeln, von euch mit beliebigen Mengen von Wittenberger Kuckucksbier verzehrt werden. Berühmte Lehrer der Universität haben ihre Gegenwart zugesagt.

Allgemeiner Ruf. Hoch Kophetua und das Bettelmädchen!

Hamlet und die Seinen nehmen die Masken ab.

Wilhelm zu Paulus. Ich schenkte dir einmal etwas, was einem Almosen zum Verwechseln ähnlich sah. Und was noch mehr ist: ich schenkte dir meinen zweiten Degen.

Paulus. Ich hab' ihn Bohnenmilch gegeben. Er bringt seine Hühner damit um.

Wilhelm. Das ist noch immer ehrenvoller für meine Klinge, als wenn er dich damit abtäte.

Man hat Hamlet erkannt, und viele Stimmen rufen »Der schwarze Prinz! Der schwarze Prinz!« Hamida erkennt den Mann, dem sie schon zweimal zu Füßen gelegen, zerteilt die Menge und umfaßt zum drittenmal seine Knie.

Hamida. Herr! Heiliger! Engel! Gottesgesandter! wenn du nicht Schemen, Schatten, Spiegeltrug, boshafter schadenfroher Geist bist, die letzen sich an Folterqualen des arme Menschen, so nimm mich endlich unter deine Schutz!

Hamlet. Ich will es tun und mehr noch tun als das!

Achazius. Ich will zehn Kannen Bier ohne Aufstoßen auf einmal hinuntergießen, wenn ich nicht gewußt habe, von wem und warum die Maskerade ausgeheckt worden ist.

Paulus. Ich habe mit der krätzigen Hure nichts zu tun. Was geht sie mich an. Aber wenn jemand, sei's, wer es sei, mit mir anbinden will, der bedenke: Wer wider den Wind brunzt, macht nasse Hosen!

Bohnenmilch. Vergebt ihm, er ist seit drei Jahren nicht nüchtern geworden.

Wilhelm. Halt die Nase zu, Proteus!

Zu Paulus

                                                    Und du deinen Mund! –
Und ihr, ihr alle: Die, die wir gesucht,
die schöne Bettlerin für unser Spiel,
sie ist bereits gefunden. Proteus, Prinz,
auch aus Genieland, hebe nun sie auf,
die Blume, die in unsren Träumen lebte
und nun Kophetua entgegenweint!
Der Schlammpfuhl, drin sie wurzelt, heiß und feucht,
er brodelt um sie her mit scharfem Duft,
er gärt und pufft Gewölke aus des Abgrunds.
Mag sein, auch sie betäubt, die Blume selbst.
Wer sich dem Purpur ihres Kelches naht,
der fühle die Gefahr: aus fremden Welten
stammt sie, vielleicht von einem fremden Stern.
Betörend ist ihr Duft. Ein König schenkte
dem Alexander eine Buhle, die
im Kusse Tod bringt. Doch der Herrliche,
zu stark für diesen Kuß, starb nicht an ihm. –
Und nun, mein Prinz:
befehlt, daß sich Musik um uns ergieße,
die unsre Füße von der Erde löst
und aller Erdenschwere uns entledigt. –

Wachsende Musik begleitet alles Weitere.

Hamlet zu Hamida.
Du bist es, die ich suchte. Diese Locke,
die heil'ge, Mädchen, stammt von deinem Haar,
das selig nun die Finger mir durchrinnt.
Gib mir die Hand! Kophetua, ein König,
der tausend Jahre tot ist und doch lebt
in mir, Hamida, dieser König wollte
kein Weib ansehen, bis er eines fand,
das vor der Pforte des Palastes stand
und bettelte, Hamida. Doch ich bin
nicht Hamlet, war sie keine Königin:
verhüllten Lumpen kaum den süßen Leib,
nun, um so hehrer strahlte sie als Weib.
Geschwärzt vom Elend nach dem äußren Schein,
war sie in Wahrheit weiß wie Elfenbein.
Horatio, Wilhelm, Paladine, kommt!
Geleitet sie, wie's einer Kön'gin frommt.
Rapiere blank! Tritt jemand ins Geheg,
dem zeigt mit ihrer Schärfe seinen Weg.
Baut auf dem Marktplatz einen goldnen Thron,
dort wollen wir die Holde hingeleiten.
Sie soll auf einem weißen Zelter reiten:
er ahnt die Last und wiehert draußen schon.
Ihr alle folgt uns nach in frohem Zug!
Es mag die Stadt die neuste Lehr' erfahren:
Verlogne Prozessionen gibt's genug,
die unsre nun gehöret zu den wahren,
wo alle Menschheit sich als eine zeigt
und aller Hader, aller Hochmut schweigt.

Wilhelm. Und eine Puppe wird vorangetragen,
groß wie ein Goliath, mit Stroh gestopft,
sie wird mit Bengeln immerzu geschlagen:
des Tiefsinns Stickluft wird ihr ausgeklopft.
Die böse Vettel heißt Melancholie,
und auf dem Rathausplatz verbrennt man sie.

Hamlet voran, gefolgt von Hamida, inmitten der Kavaliere mit bloßen Degen, entfernt sich die Studenteneskorte in Prozession. Dem Zuge folgt die große Mehrzahl der Gäste. Zurückgeblieben sind unter andern Paulus und Achazius.

Bohnenmilch zu Paulus, unwillkürlich stark belustigt.
Bah, bah, du großer Held!

Paulus.                                     Hund, geh zum Teufel!

Er wirft einen Krug nach Bohnenmilch, der über ihn hinwegfliegt, weil er sich rechtzeitig bückt.

 


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