Gerhart Hauptmann
Hamlet in Wittenberg
Gerhart Hauptmann

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Vierter Akt

Erste Szene

Hohes Schlafgemach in der Fachusburg. Prunkbett mit rosenbekränzten Säulen.

Abenddämmerung.

Fachus, Rosenkranz und Güldenstern, noch in den Festkostümen
mit den Rosenabzeichen und festlich erregt.

Rosenkranz. Wär' dies, was sich, ereignet, menschenmöglich
anders als mit dem Prinzen, der sich auslebt
in völlig unberechenbaren Launen?
Man glaubt, es geht nach Nord – er schwenkt nach Süd.
Er will sich töten – und durchsticht den andern.
Er mag kein Weib sehn – und er hängt an eines
sich plötzlich an wie ein Ertrinkender . . .

Güldenstern. Erstaunlich, wie sich alles dies gefügt
zum heitren Krönungsfest der Bettlerin
und der gespielten Hochzeit auf dem Markt.
Ein königliches Paar, man darf es sagen,
wie Wittenberg noch selten eins geschaut.
Man muß gestehen, Hamlet ist beliebt,
denn bei der Trauung ging der gute Wilhelm
im nachgeahmten Ritual der Kirche,
der alten freilich, scheint mir, etwas weit.

Fachus. Fast an ein Wunder grenzt mir dieser Tag.
Wie alles wurde, scheint mir unbegreiflich.
Niemand befahl, und dennoch jedermann
schien heimlichen Befehlen zu gehorchen.
Wo kam der weiße Zelter her, auf dem
Hamida ritt? Und wer entband ihr Haar,
daß es sie, die fast nackt war, ganz umhüllte?
Aus welcher Kirche kam der Baldachin,
von Mesnerjungen über ihr gehalten,
als sie zum Thron emporstieg? Wer denn hieß
das Volk die Gärten plündern, bis ihr Pferd
und sie hernach auf einem Teppich schritt
von Blumen? Und weshalb befreite sich
kein einz'ger Ruf des Hohnes aus der Menge,
die teils in feierlicher Stille still
verharrte, teils zu Chorgesängen sich
lieblich, als ob man einer Heil'gen folgte,
zusammenschloß?

Rosenkranz.                 So weit ist alles gut.
Hier dies Beilager scheint mir fast bedenklich.

Fachus. Uns keineswegs. Die Kur geht ihren Lauf.
Sofern man Liebe eine Krankheit nennt
und sie die Heilung selber in die Hand nimmt,
wird man den Arzt Natur nicht unterbrechen!

Rosenkranz. Nun, was geschah, wir konnten es nicht hindern.
Den möcht' ich sehn, der einen Geist wie Hamlet
zäumen und zügeln kann. Doch darf nach Helsingör
nicht ein Bericht gelangen, der vielleicht
im üblen Sinne auszulegen wäre:
als offner Ungehorsam oder gar
aufsässige Verhöhnung mütterlicher
Verwarnung oder väterlichen Machtspruchs.
Wir stellen's dar als heitren Mummenschanz,
als wär's des Prinzen Dank an Wittenberg
vor seinem Abschied.

Fachus.                             Tut ganz, wie ihr wollt!
Nur macht den Eltern, bitt' ich, keine Hoffnung,
daß Hamlet sich vor Ablauf eines Jahres
von unsrer Hohen Schule lösen könnte.
Dazu vermag ihn nichts, es sei denn, daß man ihn
aufnehmen und entführen ließe mit
Gewalt, was Gott verhüte!

Rosenkranz.                             Wir befürchten
zunächst nicht diesen Ausweg, sind indessen
nicht sicher, daß man ihn nicht wählen würde
bei offenkund'ger Widersetzlichkeit.

Fachus. Wir wollen nicht von Übermorgen reden,
sondern vom Heut. Und dieses Heut ist schön.
War schön und ist's, wie selten in der Welt
ein Frühlingstag. Ein sel'ger Taumel fiel
wie Blumenregen über Wittenberg –
oder es war, als wenn ein Engel sich
verflogen von dem Stern der ew'gen Freude,
die Welt gestreift und weißen Federflaum
verloren, duft'gen Schnee, der Wittenberg,
die neue Gottesstadt, in Glück gehüllt.
Ihr Herren, dieser Tag war ein Geschenk,
ein Vorschmack jenes Tausendjähr'gen Reichs
König Kophetuas, alias Jesu Christi,
das nach dem offenbarten Gotteswort
der Heiland noch auf Erden will errichten.
Der Menschen Füße schritten wie beschwingt,
Patrizier und Bettler reichten sich
bewegt die Hände. Freudentränen weinend,
lag arm und reich einander an der Brust.
Und wer nicht alles, Freunde, drängte sich
herzu, der Bettlerin den Fuß zu küssen:
weißköpfige Dozenten unter Mönchen
und Nonnen, Edelleute, wohlbekannt
an Namen, mitten unter schlechtem Volk,
Leute von Stand inmitten ekler Krüppel.
Es war, als sei die Armut selbst vom Himmel
herabgestiegen und die Menschen hätten
begriffen, daß sie ihre Mutter sei
und ihrer aller einziger Besitz.
Und darum sah man sie nun hoch zu Roß
als Königin, als wahre Kaiserin,
als höchsten Erdenreichtum: nämlich Armut! –
als Göttin! – Daß man ihr nicht stets gedient,
und ihr allein, dies war's, was man bestürzt
begriff und nicht begriff im jähen Licht
glücksel'ger Offenbarung. Alles rang,
Versäumtes gutzumachen, sich den Fuß
der großen Mutter auf das Haupt zu setzen,
ihn zu berühren wenigstens und fort
und fort mit heißen Tränen ihn zu waschen.
Niemals vergess' ich diesen Augenblick,
wo sich des Menschenloses reiner Kern
mit einem Male Tausenden enthüllte.

Rosenkranz. Und was war Hamlets Teil?

Fachus.                                                     Er hielt die Zügel
des weißen Zelters, der die Armut trug,
erhabnen Haupts wie ein gefallner Engel,
im Auftrag Gottes. Feierlichen Schritts,
doch düstren mehr als heitren Angesichts,
bewegte sich der Prinz. Die Lippen zuckten,
und in den Augen glomm ein Tränenbrand.
Die Menge wich zurück an seiner Seite,
voll Furcht und auch voll Ehrfurcht. Ihn umgab,
wo immer, überall, ein freier Raum.

Güldenstern. Wer mag dem königlichen Schwärmer folgen,
wenn diese schwere Fremdheit ihn umschließt
und in sich selber kehrt?

Fachus.                                 Ich sage: niemand,
dieweil die Saiten unsrer toten Seelen
wie Stricke sind, verglichen mit den goldnen
und silbernen, die Gold und Silber rauschen
in ihm, wenn sie Apoll berührt, und Nacht
dem Hades schauerlich entströmen lassen
im Tönen, wenn sie Hades selber streift.

Horatio tritt ein.

Horatio. Sie kommen! Halb Wittenberg hinter ihnen her! Meine studentische Leibgarde hält das Paar umringt. Man kann die Zugbrücke herablassen. Es ist Fürsorge getroffen, daß niemand über sie geht außer denen, die von uns dazu berufen sind. Licht und Schatten der Fackeln, die dem königlichen Brautpaar geleuchtet haben, huschen bereits über die Schloßmauern. Sir William geht dem König Kophetua überall an die Hand.

Flügeltüren öffnen sich. König Kophetua-Hamlet und Königin Hamida, diese tief verschleiert, werden sichtbar, umgeben und geleitet von Wilhelm, bekränzten Schauspielern und Studenten.

Fachus. Willkommen, hohes Paar, in meiner Burg,
die nunmehr eurer Liebe ganz gehört!
Es ist kein Ziegelstein in sie verbaut,
den nicht der Wunsch beseelte, euch zu dienen.

Hamlet. Hab Dank, mein Balthasar, und du, mein Wilhelm,
ihr Lieben, Rosenkranz und Güldenstern!

Mit einem Wink entläßt er sie.

Die Türen werden geschlossen. Hamlet und Hamida sind allein.

Nun laß mich dich aus deinem Schleier schälen,
du dunkles Rätsel!

Er tut es mit Ehrfurcht, wie wenn er ein Götterbild entschleierte.

                                Köstliches Gebild!
Nicht Erde ist, nicht Lehm, nicht Ton der Stoff,
aus dem du wurdest! Nein, nicht Erde ist's,
aus der sich eine Göttin bilden läßt
wie du! Dein schwarzes Haar gebar die Urnacht:
die alte Mutter Nacht! Dein Meeresauge
die See, aus der Frau Venus selbst hervorging:
Opal, Opal, den ew'ge Dämonie
beseelt, entschleir' ich unter reinen Bögen
der beiden dunklen Brauen, die sich treffen.
Und nun erscheint die Muschel deines Ohrs,
des rechten. Ist es Schmuck für sich allein:
soll's ein Gehänge von Rubinen tragen
trotzdem! Und so das andre, linke, auch! –
Oh, Wunder über Wunder! Nun erblickt das Licht
zwei Wangen, mattes Gold, und Flügelchen
der feinen Nase, die im Abendschein
wie einer bunten Motte Flügelpaar
erzittern! – Fremder Gast, wo kommst du her?
Uralter wird mit ew'ger Jugend eins
in dir und feiert himmlische Vermählung. –
Noch jüngst umwarben dich die Kinder Gottes,
sooft sie niederstiegen unter Menschen.
Du warst Briseis, als Achill dich sah
und dir verfiel. Du warst Kleopatra,
die Mark Anton das wahre Leben gab,
als er erstickt war in gemeinem Machtrausch:
doch dies ist nichts, denn hier ist Gegenwart! –
Du schenkst mir deinen Hals und deine Schultern
unter dem vollen runden Kinn, des Grübchen
ich mit den Lippen bebend nun berühre. –
Oh, hab Geduld: in diesem Augenblick
bin ich der Geiz in eigenster Person.
Nie könnt' ich mir verzeihen, ließe ich
von allen diesen Reizen ungenossen
den winzigsten. Du siehst mich weinen. Oh,
Hamida! Denke nicht gering von mir,
wenn meine Tränen unaufhaltsam fließen –
ich weine oft, doch freilich nicht wie heut.
Kein Lot ermißt des Brunnens Tiefe, dem
das Feuer meiner Tränen heut entquillt. –
Du bist ein Kind! Das Kind! Du bist das Volkslied!
der Völker allergrößtes Wunder! bist
zugleich die Laute! der Gesang! der Dichter!
Verstehst du mich? Doch nein, versteh mich nicht
und laß dich, Heil'ge, knieend nur verehren!

Er sinkt an ihr nieder und verbirgt sein Gesicht zwischen ihre Knie.

Hamida. Bin ganz wie Nebel, Herr! Bin ganz wie Traum!
Aus finstre Loch, wo Henkersknecht mich quälte,
stieg, wie aus Grab und wie aus Puppe steigt,
mit bunte Flügel schlagend, Schmetterling.
Noch ist Haupt dumpf. Ich glaub' nicht, was ich seh',
mit mich geschieht. So viel begreift Hamida,
daß du ihr frei gemacht hast. Hast gerettet.
So nimm mich! Ewig, ewig bin dir Sklavin!

Hamlet. Nichts da von Sklavin! Du bist frei gemacht,
damit du frei seist, meine Königin!
Wenn hier ein Sklave ist, so bin ich deiner.

Hamida. Oh, du nicht Sklav'! Bist Prinz! bist Königssohn!
Ich Sklavin immer: aller immer Sklavin.
Leg mich in Ketten: mehr gebunden bin
auch dann nicht, Prinz, als jetzt schon.

Hamlet.                                                         Kein Gedanke
darf dich beschleichen an Gefangenschaft!
Ein jedes Schloß und jede Tür springt auf,
wo du nur immer mit der Braue winkst!
Wir trugen zwar dich aus der Unterwelt
zum Licht, doch war's der erst' und letzte Zwang.
Entlaß das Wort nun selbst aus deinem Geiste!

Hamida. Nicht gar so leicht das ist, als mancher denkt.
Ob lange flattern kann ein Schmetterling,
hat Blei im Flügel? Ich nicht weiß. Zu schwer
ist manches. Kann nicht einmal schwimmen
in klare Wasser, sonst was Sumpf bewohnt.

Hamlet. Du hast ihn bald vergessen, Kind, den Sumpf.

Hamida. Nicht leicht ist das, wenn Stille wiederkommt
nach Lärm. Mag sein, daß gut war: heut nicht rein!
Zu sehr beschmutzt von Schurke. Glaub mir, Prinz,
bin schlecht für dich. Nicht gut! Viel schlecht! viel schlecht!
Gut für ein Fastnacht, sonst nicht. Tust mir leid.

Hamlet. Schmutz rinnt von Schönheit ab, er haftet nicht.
Auch ich bin durch so manchen Schmutz geschritten
und ohne schweren Schaden an der Seele,
so hoff' ich. Denke, daß ich alles weiß
und du mir dennoch eine Heil'ge bist
und meine Königin, Hamida! Denke,
ich hätte dich erkannt in deiner Reinheit,
in jener, die nichts trübt, wo einmal sie
vorhanden ist. Du warst ein Raub. Was man
geraubt, es war nicht, was du wahrhaft bist
und was ich in dir liebe. Unversehrt
ist das. Es ist für ewig unversehrbar!
Ich weiß, was dich betroffen, was du leiden
und dulden mußtest. Leiden ist das Los
alles Erschaffenen, das Los der Schöpfung,
schon darum, weil sie eine Schöpfung ist.
Hamida, littest du bis jetzt allein,
so leid' ich nun mit dir. Denn unerfahren,
wahrhaftig, Kind, bin ich im Leiden nicht.

Hamida. Du hast von wilde Tier mich frei gemacht,
wie Lischka mich von andre wilde Tier.
Was früher, laß im Dunkel. Doch du kennst nicht
Zigeuner! Nicht verfluchte Nation
und was im Blute hat: verfluchte Erbschaft.
Fürcht' mich vor mich!

Hamlet.                               Sprich ohne Scheu, Hamida!
Dein bloßes Sprechen klingt mir wie Musik.
Die Sprache, die du ehrst mit deinen Lippen,
tönt einer Laute gleich! Vergiß es nicht,
was ich dir immer wieder zugeraunt:
aus welchen Höllen deine Hände mich
emporgeleitet: mehr mir Retter als
die meinen dir! Dein Dasein, deine Stimme
sind nun die neue Welt, in der ich lebe.
Denn daß du mir gehörst, dich gern mir schenkst,
dafür hab' ich die Zeugen deiner Küsse
und deiner Finger inn'ges Liebesspiel.

Hamlet, niedersitzend, zieht sie sanft auf sein Knie.

Hamida. Du bist ein hübscher, süßer Knabe, Prinz!
Ich hab' als Kind geträumt von dir!

Hamlet.                                                 Siehst du,
die Liebe macht gelehrig. Leichter schon
fließt dir die fremde Sprache von der Zunge,

Hamida. So schön und fremd und wundersam wie dich
sah ich noch keinen.

Hamlet.                           Wenn ich diese Worte
nur mit geringer Ändrung wiederhole,
so passen sie auf dich so gut wie mich. –
O wundervolle Nacht, die jetzt sich naht!
Wäret ihr Kerzen nicht so matt und fügsam,
so traulich-willig und zugleich voll Ohnmacht,
müßt' ich in einem Sinn euch hassen! – Jetzt,
Hamida, hasse ich den Tag! – Allein,
trieb' ich den Haß so weit, euch auszulöschen,
wär's Raub an meinen Augen: Sehn und Fühlen
bekämpfen qualvoll sich in Eifersucht.
Wir wollen in der Flämmchen sel'gem Dämmer
den Frieden stiften zwischen Sehn und Fühlen
und beidem unser Glück gerecht verteilen.

 

Zweite Szene

Im Wirtshaus Zum Pilgerstab. Die Räumlichkeiten wie in der ersten Szene.

Es ist um die Mittagszeit.

Don Pedro sitzt ungefähr wie in der ersten Szene an einem der Tische. Sein rechter Arm bis über die Schulter herauf ist noch bandagiert. Der Penneboß bringt ihm Wein.

Penneboß. Es freut mich, Euch wohlauf zu sehn, Don Pedro!

Don Pedro. Mensch, deine Freude wird mir wenig nützen,
sie ändert meinen schlechten Zustand nicht.
Als Schadenfreude mag sie höchstens gelten.
Ich bin wohlauf, wie ein verprügelter
und lendenlahmer Hund es immer sein kann.
Wohlauf wie einer, den man ausgeraubt
am Straßenrande liegenließ. Wohlauf
wie einer, den der Zahnschmerz plagt und so
in seinen beiden Kieferknochen wütet,
daß ihn Charakter nur und Religion
davor bewahren, in den Tod zu flüchten.

Penneboß. Was Tausend! Ist's Don Pedro, der so spricht,
der kühnste Mann und stolzeste der Spanier?
Was hat Euch so ins Gegenteil verkehrt?

Don Pedro. Stell dich nicht dümmer, Schurke, als du bist!
Du weißt, wonach du fragst, so gut wie ich
und willst, um dich an meiner Qual zu weiden,
daß ich an deinem Satansbeichtstuhl mich
besonders noch entblöße.

Penneboß.                             Meint Euer Gnaden
den Zweikampf mit dem schwarzen Prinzen? Gott!
das Waffenglück ist eine Metze, die
bald dem, bald dem sich hingibt. Damit wird
ein ausgekochter Kämpe, wie Ihr's seid,
wohl ohne viel Verwundern immer rechnen.

Don Pedro. Jawohl, allein, wo bleibt mein rechter Arm?
Ich bin um meinen rechten Arm geprellt
durch einen Stümper: an ihn muß ich denken,
den Stümper, wenn ich wie ein kleiner Schütz
mit meiner linken Hand das Schreiben übe,
mich quäle, mit der linken Hand zu fechten,
linksseitig auf den Klepper mich zu schwingen
versuche, und in infinitum fort.
Die Metze war hier nicht das Waffenglück,
die mich zur Strecke brachte. Nein, sie stand
vielmehr als übler Kampfpreis neben ihm,
dem stadtbekannten königlichen Milchbart.
Und so versah ich's. Ich versah es, weil ich
statt in des Gegners Aug' in ihres sah.

Penneboß. Das war nicht klug.

Don Pedro.                                 Du triffst es auf den Punkt.
Du Schurke hast an Weisheit zugenommen,
seit wir uns nicht gesehn. Ich kranker Esel
dagegen, den der leid'ge Satan reitet,
bin mehr als je mit Narrheit aufgezäumt.
Denk', daß mir schon ein wenig besser wird,
wenn ich im Hof das Lärmen wieder höre
von dem Zigeunerpack.

Penneboß.                         Nun ja, auch ich.
Wißt Ihr, daß es dieselbe Bande ist,
die damals hier Gericht hielt? Sonderbar
genug, daß Ihr mit ihr zusammentrefft.
Ja, selbst der Anlaß des, was heut geschieht,
ist noch der gleiche. Jener junge Kerl,
der mit Hamida sich vergangen hatte
und deshalb mit zerschlagnem linkem Arm
bestraft und aus dem Stamm gestoßen wurde,
ihn nimmt man heut in Gnaden wieder auf.

Don Pedro. Du faselst, Penneboß, du träumst, du lügst! –
Und mich ergreift ein Schwindel. Gib mir Branntwein!
Das Einst und Heut scheint wieder eins zu sein. –
Doch nehm' er sich in acht, der Bursch, vor mir,
dem ich mein ganzes Unglück ja verdanke.

Penneboß. Wieso? wieso? Erzählt, ich weiß von nichts.
Man ist hier fern vom Schuß und wie im Grabe.
So kennt Ihr Lischka? Habt zu tun mit ihm?

Don Pedro. Du Neugeborner, gib dir selbst die Antwort!
Nahm ich den angebißnen Apfel nicht
aus seiner Hand? Und hat er ebenden
mir nicht gestohlen, als sie auf der Leiter,
die er ihr heimlich zu beschaffen wußte,
zu ihm herunter in die Gosse stieg?
Kam nicht hernach der Zweikampf, nicht die Wunde,
die blut'ge so wie die unblutige
in meinem Innern, die noch schlimmer brennt?

Penneboß. Je nun, 's ist erste Liebe! Wenn zwei Kinder
wie Lischka und Hamida sich gefunden,
zwei Herzen, rauchend von Zigeunerblut,
vermag sie keine Macht der Welt zu trennen.
Das ist der Punkt!

Don Pedro.                   Ein Punkt, der mich nichts angeht.
Ich muß sie wiederhaben, sag' ich dir,
und nähm' ich sie dem Teufel aus dem Rachen!

Penneboß. Der kleine Lischka weiß es, wo sie ist.

Don Pedro. Gerücht, Gerede, Unsinn, weiter nichts!
Er kann nichts wissen, wie auch ich nichts weiß
im Augenblick. Doch meine Hunde suchen.
Glaub mir, und gingen Jahre hin, ich lasse
nicht nach, denn ich bin zäh!

Penneboß.                                   Wollt Ihr ihn sprechen?

Don Pedro. Wenn er nicht fürchtet, daß ein Prankenschlag
ihn rächend niederstreckt, so soll er kommen.
So viel vermag mein linker Arm schon jetzt.

Penneboß. Tut's nicht! Der Bursche schwelgt in Seligkeit,
weil man ihn heute wieder ehrlich macht:
er darf aus seines Häuptlings Becher trinken.

Ein großes Beifallsrufen der Zigeuner erschallt unten im Hof.

Und eben ist's geschehn. – Wenn Ihr die Wut
wirklich noch immer in den Gliedern habt,
versöhnt Euch mit dem Jungen und benutzt ihn!
Er kommt.

Lischka tritt ein.

Lischka.         Boß, ich bin ehrlich: gib mir Branntwein!

Er bemerkt Don Pedro und erstarrt.

Don Pedro lacht laut, bös und hämisch.
Ja, Lümmel, du bist ehrlich! Sieh mich an!
und sage nochmals, daß du ehrlich bist!
Elender Lumpenkerl, sag: »Ich bin ehrlich!«
Gehenkter Hammeldieb, sag: »Ich bin ehrlich!«
Einbrecher, Mädchenräuber, Malnacido,
so wie du zwei gesunde Arme hast,
Bube: so ehrlich bist du!

Lischka nunmehr trotzig.         Und Ihr seid
so ehrlich, wie Euer rechter Arm beweglich.

Don Pedro wild lachend.
Nun setz dich zu mir, habe keine Furcht.
Wir sind am Ende Brüder irgendwie,
zum mindsten sind dein linker Arm und mein
gelähmter steifer rechter Arm Verwandte.
Wenn's dir genehm ist, schicken wir die beiden
mit einem Dankesbriefchen an Hamida.

Lischka. Ich leide gern um ihretwillen, Herr.

Don Pedro. Ich keineswegs. Allein, sie wird dereinst
mit Zins und Zinseszinsen wiederzahlen,
was ich um ihretwillen litt.

Lischka.                                   Sie wird
nicht wiederzahlen, was sie Euch nicht schuldet.
Sie will von Euch nichts wissen, liebt Euch nicht.

Don Pedro. Das grade, Schuft, macht sie mir liebenswert,
sonst würd' ich sie aus meinem Munde speien
wie faden Kindsbrei. Eine Kätzin, die
nicht faucht und kratzt und mit den Tatzen schlägt,
nicht Feuer sprüht aus grünen Höllentrichtern,
ist mir so lieb, als hing' sie abgebälgt
im Rauchfang. Weißt du, wo mein Liebchen ist?

Lischka. Wo deins ist, weiß ich nicht. Wo meins ist, weiß ich.
Wo meins ist, hab' ich niemals nicht gewußt!
Zigeuner, wenn sie wollen, wissen alles.

Don Pedro. Was ich an ihr genoß, war mir genug.
Wer wird um Namen sich mit Kindern raufen?
Doch wenn du weißt, wo sie geblieben ist,
wieviel verlangst du, um es zu verraten?

Lischka. Verraten? Dir? Nicht einmal auf der Folter!

Penneboß. Ihr habt mit goldnen Füchsen nicht gegeizt,
drum sag' ich Euch, was von Gerüchten sich
in meinem Wirtshaus an den Tisch gesetzt.
Der Dänenprinz, der hier zu Wittenberg
sein Wesen treibt und seine Jugend austobt
im Kreis der Zechgenossen, spielt nunmehr
die Rolle eines sagenhaften Königs
Kophetua, der ein Bettelmädchen freite.
Und dieses Mädchen soll Hamida sein.
Das Paar wohnt auf dem Schlosse eines Freundes.
Was daran wahr, was falsch ist, weiß ich nicht.

Don Pedro. Ihm wird begegnen, was noch jedem zustieß:
sie zahlt es jedem heim, der je sie liebte.
Doch dieser rare Vogel, den sie fing,
hat wen'ger zu befahren als wir andern.
Es warten seiner andre Vogelsteller,
die schon am Werk sind. Ihrer einen kenn' ich,
der schon den Käfig für ihn scheuern läßt,
das Richtbeil schärfen, das den Lockenkopf
ihm vor die Füße legen soll – im Hui
und ohne Richtspruch. Hamlet, der Scholar,
der mit dem Stift die Schiefertafel kratzt,
statt den Verrätern auf den Dienst zu passen,
die seinen Vater schon getötet haben,
verdient's nicht besser!

Penneboß.                         Seid Ihr denn allwissend?

Don Pedro. Nicht grade! Nein! Allein, mir steht das Ohr
des Dionys von Syrakus zu Diensten.
Ich hör' das Gras in Höfen und Palästen
der Großen wachsen. Wenn Ihr Hamlet seht,
grüßt ihn von Juan Pedro de León –
Hasta la vista! Damit Gott befohlen! –
und fügt hinzu: von seinem besten Freunde.

Er geht sporenklirrend ab.

Lischka zeigt seinen Dolch.
Ich habe Not, an mich zu halten, Boß.
Krieg' keine Ruhe, glaub mir, ehe nicht
sein Blut von meinem Dolche tropfen sehe.

Penneboß. Verschon mein Haus, sonst tue, was du mußt.

Beide nach verschiedenen Seiten ab. – Paulus und Achazius mit Rucksäcken treten ein.

Paulus wirft seinen Packen ab. Ach, ach, ach! Weh, weh, weh! Das hieße soviel wie Ach und Weh! Ach und Weh ist das A und O meines Lebens. Ich bin fertig mit meinem Latein.

Achazius. Das kennt man. Bist du fertig, bedeutet das immer einen neuen dummen Streich.

Paulus. Wenn wir nur tausend Meilen weit von hier fort wären!

Achazius. Wenn und Aber sind immer beisammen, wie Paulus und Achazius. Du bist mein Aber, ich bin dein Wenn. Aber ist drauf und dran, das Wenn zu verschlingen. – Hier sind wir schon einmal gewesen, Paulus.

Paulus. Zeig mir eine Lasterhöhle, in der ich noch nicht gewesen bin, eine Pfütze, in die ich noch nicht getreten bin. Ich habe den rechten Weg verfehlt, ich bin durch die falsche Tür gegangen. Statt in die Alma mater Dei geriet ich in des Satans Hochschule. Ein Leben lang habe ich den Ausgang gesucht, aber der Rector magnificus hat ihn vermauert. Es hat keine Art mit der Reformation. Ich brauche zweihundert Beichtstühle. Ich will beichten. Hätte der Alte auf seinem Grauchen mir das Almosen nicht verweigert, er ritte jetzt heil und gesund durchs Tor von Wittenberg.

Achazius. Leb wohl, Paulus. Ich will sehen, ob der Zimmermann in deiner Hochschule für mich nicht doch ein Loch gelassen hat. Es ist wohl der letzte Augenblick, bevor man es mir mit eisernen Stäben verschließt. – Weißt du übrigens, wo wir sind, Paulus? Wir sind im Gasthaus Zum Pilgerstab, wo wir das Abenteuer mit den dänischen Gecken gehabt haben.

Paulus. Oh, du verdammter, verteufelter Pilgerstab! Hätt' ich dich nie in die Hand genommen! Wer zählt die Tritte und Schritte, die ich gemacht habe. Ach hieß immer der eine, der andre Weh. Ach und Weh heißen meine Beine. Ade, Vater! ade, Mutter! Übermorgen komm' ich zurück, achtspännig, wie der Kaiser einfährt am Krönungstage. Da, Vater, hast du Säcke voll Gold! Mutter, Perlen und Diamanten! Euer Sohn ist . . . Euer Sohn hat . . . Wenn er ex cathedra doziert, horcht die Welt. Und so fort, und so fort. Jawohl: Pferdekutteln und Sägespäne! Jawohl! Das ist der Humor davon.

Der Boß kommt wieder.

Penneboß. Wo kommt ihr her?

Achazius. Das geht Euch nichts an.

Penneboß. Ein Handelsmann auf einem Esel ist zu Schaden gekommen. Sagt's kurz. Habt ihr die Sache gedreht?

Paulus. Zerberus, heißt es, hat drei Reiche: Sünde, Gesetz und Tod!

Penneboß. Es steht auf deiner Fratze zu lesen. Wann hab' ich dich schon gesehn, Kerl?

Achazius. In der Gewitternacht mit den Kavalieren.

Penneboß. Du nanntest dich Paulus, erinnere ich mich, Paulus mit der zerschlagenen Nase.

Paulus. Der Zierat an meinem Giebel ist neu. Ich nannte mich Paul mit der Hellebarde.

Penneboß. Dann gnade dir Gott! Alle Sbirren von ganz Kursachsen sind hinter dir her!

Achazius. Leb wohl, Paulus! Es muß geschieden sein!

Achazius schnell ab.

Paulus. Monachus – ein Teufel! Diabolus – ein Mönch: er ist ein ausgelaufener und hat mich in alles Unheil hineingeritten.

Penneboß. Ein andrer natürlich! nicht du selbst! beileibe nicht! Das behaupten am Schluß alle Erzgauner.

Paulus. Hier ist Geld! Gib mir dafür eine Kanne Wein, einen Kanten Brot und ein halb Dutzend Knackwürste.

Penneboß. Lauf, was du kannst! mit und ohne Wein! Ich befahre sonst Dinge, die mir den Hals kosten.

Paulus breit hingelümmelt. Laß mich in Ruh', ich bin lebensmüde. Ich hänge am Galgen oder nicht, schließlich hat der Henker die Arbeit davon. Oder hast du nicht eine Falltüre, Penneboß, auf die man freiwillig treten kann?

Penneboß. Es kommen Menschen! Jawohl, Falltür! Hinten ist ein Kellerloch, dort verstecke ich dich, dorthin bringe ich dir Wein und Bratwürste.

Er jagt Paulus auf und zieht den Stolpernden mit sich.

Paulus. Branntwein, Branntwein! Gib mir Branntwein, soviel du hast, Penneboß! Wenn mich der Teufel in Fetzen reißt, will ich's nicht spüren.

Einen Augenblick bleibt der Raum leer. Dann erscheint Brakka, die den wilderregten Lischka bei den Händen hält.

Brakka. Nein! Nicht! Ist nicht wahr, ist nicht Paulus! Ist nicht Paulus Bacchant mit Hellebarde! Lass' dich nicht frei! Machst dich zweitemal unglücklich! Lass' dich nicht los! Lass' dich nicht frei! Sie drückt ihn auf ein Lager und setzt sich auf ihn. Schwör, daß Frieden hältst! Lischka, schwör! Schwör deine alte Zigeunermutter! Lischka schüttelt sie ab und springt auf. Er hat seinen Dolch in der Hand. Gib Dolch her! gib Dolch her! Stich mich! Lass' dich nicht! Er reißt sich los, springt gegen die Geheimtür, die eben der Boß von innen aufmacht. Halt ihn! Sie droht. Will Rache nehmen an Paulus Bacchant! Nimmt Rache! Bringt Unglück über uns!

Penneboß. Junge, du bist eben ehrlich geworden! Willst du die Galgenleiter hinaufrasen?! Lischka schlüpft wie eine Schlange an dem Boß vorbei durch die Tür. Hier mag sich dazwischenstellen, Alte, wer sein Leben überhat.

Man hört Geschrei, Trampeln, Ringen und zuletzt ein schwächer werdendes Gebrüll. Der Boß verschwindet, um irgendwie noch dazwischenzutreten. Die Zigeunerin Brakka, allein im Raum, schleicht an die Tür, um zu horchen.

Brakka. – Hat sein Fett. Ist nicht mehr gutzumachen. Ist aus. Der Boß kommt wieder, hält seine beiden Fäuste stumm vor die Stirn. Ist was Beses geschehn dort drin?

Penneboß. Paulus ist tot. – Mag immerhin noch leidlich ausgehn für mich: Lischka hat dem Scharfrichter vorgegriffen.

 

Dritte Szene

Studierzimmer des Philipp Melanchthon.

Melanchthon an seinem Schreibpult, Hamlet steht vor ihm.

Hamlet. Jung oder alt, was will das heißen? Nichts.
Ich zähle, meines Wissens, neunzehn Jahr,
bin also nach der Menschen Meinung jung.
Und dennoch, wenn der Gram mich überkommt,
der Gram ob dieser ganzen Schmerzenswelt,
so ist ein kranker, lebensmüder Greis
nicht lebensmüder. Alt ist einer, der
den Tod nicht nur berühret, sondern ihn
ersehnt. Uralt, wer ihn herbeiruft. Und
der Ruf ist oft schon meiner Brust entflohn,
obgleich die Welt behauptet, ich sei jung.
Es kommt mir vor, nicht nur, wenn mich der Geist
der Finsternis in dunklen Stunden knechtet,
als wär' ich mit der Menschheit eingefangen
in Netzen, in des Lebens Reusen, gleichsam
wie Fische. Satan wäre dann, nicht Gott,
der Fischer: das ist alte, ew'ge Weisheit,
so kommt's mir vor. Sei heiter, heißt es dann,
und dies gelingt mir manchmal. Doch was ist
denn Heiterkeit? Was anders als Vergessen?
Mitunter träumt man, daß man feine Schnüre
von seinen Gliedern streife, Bindungen.
Doch ist man eine los, so schnüren einen
zwei andre ein. Sind diese losgelöst,
sieht man den Zwang von sechsen, achten andern,
und immer dichter wird das Fesselnetz,
je mehr ein Armer sich dagegen müht. –
Wenn Ihr gestatten mögt, Hochwürdiger,
beweg' ich mich ein wenig hin und her,
es redet so sich besser.

Melanchton.                         Wie's beliebt, Prinz.

Hamlet. Der wunderliche Mummenschanz, der jüngst
im Schauspiel einer Trauung gipfelte,
hierorts auf offnem Markt, ist Euch bekannt.

Melanchton. Gewißlich, junger Herr, und wem wohl nicht?
Das Spiel war recht manierlich ausgeführt
und hat im großen ganzen mehr gefallen
als Widerspruch erregt. Der Gottesmann
sogar, der Doktor und mein großer Freund,
hier gegenüber hat vom Fenster aus
mit Wohlgefallen Euren Zug verfolgt.

Hamlet. Man hat's mir hinterbracht. Er wäre wohl
der Mann, so gut wie Ihr, mich zu beraten.
Allein, wer bin ich, daß ich diesem Berge
mich sollte nahen, der sein Feuer schleudert
über Europa und es beben macht
in seinen Tiefen. Mein geringer Fall
ist nur für mich ein Fall von Wichtigkeit,
und Eure Wesensart, Hochwürdigster,
in ihrer Milde gab mir das Vertrauen,
mich Euch zu nahn mit meiner Nichtigkeit.

Melanchton. Niemand ist nichtig! Ihr seid Götter, sagt
sogar der heil'ge Paulus zu den Seinen.

Hamlet. Es könnte meine Beichte mir erleichtern,
wenn Ihr mir sagtet, was Ihr von mir wißt.

Melanchton. Ihr seid ein Königssohn und seid der Erbe
von Dänmarks Krone.

Hamlet.                             Damit habt Ihr nur
den Marterpfahl genannt, an dem ich stehe,
den Pranger, der mich allem Pöbel preisgibt.
Doch freilich geb' ich zu: dies ist nicht wenig.
Was immer kommen mag, es bleibt mein Schicksal.
Doch hoff ich's zu entkräften.

Melanchton.                                 Warum das?

Hamlet. Ließ Kaiser Karl in allen Kirchen nicht
für die Befreiung eines Papstes beten,
den er, er selbst, gefangenhielt?

Melanchton.                                       Nun ja,
dergleichen Finten kennt die hohe Staatskunst.

Hamlet. Und darum hass' ich sie und schaudere,
wohl gar ein Meister dieser Kunst zu werden,
wie ich als Königssohn verpflichtet bin.

Melanchton. Nun aber lebt Ihr doch auf eine Art,
die, wunderlich genug, Euch keineswegs
im andern Lager zeigt: in dem der Tugend.
Ihr werdet's besser wissen, als ich's weiß,
ob man mich recht berichtet, wenn man sagt,
es gäbe keine Lasterhöhle hier
um Wittenberg und innerhalb der Mauern,
wo Ihr nicht heimisch seid. Es sei kein Pfuhl
zu tief für Euch, um nicht hindurchzuwaten.

Hamlet. So? sagt man dies, Hochwürdigster? Nun wohl,
Euch scheint, und vielen scheint, es seien
nur goldne Bande meiner würdig, solche,
die glorreich uns zur Höhe reißen, nicht,
die mich, so meint Ihr, binden an den Sumpf.
Nun, kommt das Gold denn aus der Erde nicht?
Demant, Rubin, Beryll nicht aus der Erde?
Bricht nicht der lautre Quell aus ihr hervor,
bald kühl, bald glühend und erfüllt von Heilkraft?
Steigt nicht der Baum, das Gras aus ihr ans Licht,
der Weizenhalm und jede holde Blume?
Und gingen wir nicht selbst zu guter Letzt
aus ihr hervor, der Erde? Sind wir selber
aus Wasser und aus Erde nicht gemacht?
Und dies ist Sumpf! Nein, geht mir, geht!
Und sprecht mir nicht von üblem Schmutz und Schlamm,
es sei denn, daß ihr ihm die hohe Würde
des Mutterleibes zuerkennt, ihr Herrn!

Melanchton. Ihr wolltet wissen, was ich von Euch weiß.
Nur was man von Euch sagt, konnt' ich Euch sagen.
Auch Euer Wort hat mich nur halb belehrt:
Schon das jedoch bedeutet viel. Sprecht weiter!

Hamlet. Verzeiht, Hochwürdigster, ich bin voll Unart,
ein Wildwachs, eine wilde Wucherung,
die sich zu zähmen trachtet zwar, allein,
bis jetzt vergeblich. Sagt mir mehr von mir.

Melanchton. Ihr selber, scheint mir, habt genug gesagt.
Wenn Ihr Euch nachts betrinkt und mit Gesindel
herumlärmt, mit verkommnen Lotterbuben
auf du und du steht, Euch in Schlägereien
verwickelt, einen Menschen niederstecht,
der Unzucht Opfer bringt, nun ja, Ihr sagt
es selbst: Ihr seid ein Wildwachs, seid ein Wildling . . .

Hamlet. . . . der sich bisher noch nicht gezähmt, nunmehr
mit sich und dieser Zähmung vollen Ernst macht.
Und darum kam ich zu Euch. Einstmals hab' ich
mich einem Klosterabte anvertraut,
um Mönch zu werden. Heut ist meine Frage:
Wie werd' ich Mensch, ein schlichter Mensch und Mann,
der, im Genusse seines stillen Glücks
umfriedet, weltfern lebt und sonst nichts will?

Melanchton. Nun ja – und seid gesegnet! Oder meint Ihr,
ich könnte mehr zu Eurem Zwecke tun?

Hamlet. Gebt uns zusammen, traut uns, heil'ger Mann!
Macht mit so wenigem uns zu Mann und Weib,
wie Doktor Luther einst und seine Hausfrau!

Melanchton erhebt sich.
Und Euer Weib?

Hamlet                       Ihr kennt sie.

Melanchton.                                     Wie?

Hamlet. Hamida!

Melanchton.         Meint Ihr die Zigeunerin?
Um Gottes willen, was verlangt Ihr, Prinz,
von einem unbescholtnen alten Mann!
Ich soll das Ärgernis, das Ihr seit Wochen
der Gegend gebt, mit meinem Segen krönen?
Denn der an sich erlaubte Mummenschanz,
von Euch und andern auf dem Markt agiert,
ist, wie es heißt, in Unfug ausgeartet,
der ihn in einem nahen Waldschloß fortsetzt.
Dort reihet sich Gelage an Gelage,
kaum unterbrochen mehr durch kurzen Schlaf,
wie man erzählt. Man metzgert, bäckt und brät
für Hundert' von Schmarotzern, schlechtes Volk
aus allen Ständen beiderlei Geschlechts.
Und solche Völlerei, die nicht mehr abreißt,
vielleicht den jungen Fachus ruiniert,
nennt sich noch immer King Kophetuas Hochzeit.
So meint Ihr nun, daß ich, nach einem Bad
im Schwefelpfuhl der Hölle und bekleidet
mit Satans Priesterrock, die Narrenkappe
des Gottesleugners, Sakramentsverächters
auf dem entehrten Haupt, euch beide traue:
dich und den Sukkubus, der dich im Bann hält?
die Dirne, die bereits als Hexe gilt?
nach der bereits, wie's heißt, die Häscher fahnden
Ein solcher Wunsch ist eitel Wahnwitz, Prinz!

Hamlet. Was ist an diesem meinem Willen Wahnwitz?

Melanchton. Alles, so kommt mir vor.

Hamlet.                                               Beweist mir das.

Melanchton. Beweis ist lächerlich in diesem Fall,
der ganz Beweis ist: eine große Torheit!

Hamlet. Beweist mir das!

Melanchton.                     Wir sind nicht im Kolleg,
mein Werter, sind im ungeheuren Leben,
das der Beweise spottet, so wie Ihr.

Hamlet. Nun ja, das läßt sich hören. Aber seht,
dies ungeheure Leben grade ist es,
in dem ich stehe und das mich bewegt
von Grund aus.

Melanchton.           Wirklich, Prinz? Beweist mir das!

Hamlet. Beweis ist lächerlich in diesem Fall,
der ganz Beweis ist!

Melanchton.                   Freund, so kommen wir nicht weiter!

Hamlet. Nein, und so geht es leider Euch wie mir.

Melanchton. Hatte ich Euren Rat gewünscht?

Hamlet.                                                             Nein, leider,
sonst hätt' ich Euch in meinem Fall gesagt:
Rette die Heidin, ziehe diese Seele,
die Gottes ist, zum Himmel aus dem Abgrund:
und deines Lebens Sinn ist voll erfüllt.

Melanchton. Tut, Prinz, was Ihr vermögt, und fragt mich nicht
um Rat deswegen: unberaten war
von je und soll sie sein, die echte Tat!

Hamlet. Ich danke Euch!

Er geht.

Melanchton Ein sonderbarer Fremdling: heilige Fremde
vielleicht in dieser sonderbaren Welt
ist seine junge Größe, die ich fühle.

 


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