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Jakob Böhme wurde zu Dresden einem theologisch-alchimistisch-astrologischen Examen unterworfen. Gegenwärtig bei diesem Colloquium war eine Menge von Professoren der Theologie, der Mathematik und so weiter. Da Böhme nichts vom Eiferer hatte und also sehr bescheidentlich auftrat, fand er auch eine glimpfliche Behandlung. Es fehlte den Herren Professoren der Angriffspunkt. Keiner ihrer fixen Glaubenssätze ward durch die Böhmesche Wissenschaft verletzt, berührt oder nur bedroht. Sie waren wohl sehr verblüfft deswegen; sie sollten doch urteilen, freisprechen oder verdammen – nun aber verstanden sie nicht einmal und konnten nur hoffen, »daß sich der Geist des Mannes deutlicher erklären werde«. Das geschah aber nicht; die Deutlichkeit jener Herren stand auf einem Gebiete, wo Böhme niemals etwas gesucht noch gefunden hatte. So ward er also in Graden entlassen. »Wer weiß, was dahinter steckt?« sagten die Herren Konfratres, einer zum anderen. »Wie können wir urteilen, was wir doch nicht begriffen haben, noch können begreifen?« Es sind sehr verständige Pfaffen gewesen. Verständig, weil sie fühlten und anerkannten, daß Gott sich immer aufs neue an sehr verschiedenen Orten und auf sehr verschiedene Weise zu offenbaren vermag, und weil sie im Unverstandenen ahnungsweise etwas Höheres begriffen, was sie mit halbem Respekt unangetastet auf sich beruhen ließen. Wie damals die Professoren zum Böhmeschen Geiste standen, so stehen die meisten Laien noch heute zu aller Kunst. Das Höhere in ihr ahnend, lassen sie es zumeist mit halbem Respekt auf sich beruhen.
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Um so viel tiefer und quellgründiger das religiöse Leben Böhmes war, verglichen mit dem seiner theologischen Examinatoren, um so viel tiefer ist Künstlergeist als Pfaffengeist. Im Geiste des Künstlers offenbart sich Gott. Er gleicht einem Meere mit rätselhaften Tiefen. Die Männer der theologischen Wissenschaft befahren nun dieses Meer auf der Oberfläche oder stehen am Rande und angeln mit der Angel der Logik darin herum. Aber die ganze Welt will trinken; da haben denn nun die Pfaffen Teiche gegraben und Wasser des Meeres hineingeleitet. Hier steht es ab, und erst wenn es abgestanden, bringen sie es in die Häuser der Menschen und schwören und drohen, dies sei das einzige Wasser des göttlichen Lebens.
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»Und fiel mir zuhand, also stark in mein Gemüt, mir solches für ein Memorial aufzuschreiben.« So sagt Jakob Böhme und will damit seine Schriften rechtfertigen: »für ein Memorial.« Der Dichter und Künstler hat eine ebenso einfache und reine Absicht. Nicht so der Prophet, welcher an sich mehr glaubt als an Gott. Er schmiedet seine Dogmen wie eiserne Ringe, und seine Gesellen und Helfer ziehen aus mit dem Schwert in der Hand, um die Köpfe der Menschen die eisernen Ringe ihres Propheten zu schweißen, und während das Blut rinnt, sprechen sie ihren Opfern von goldenen Kronen. »Für ein Memorial« schuf Homer seine Dichtungen, Pheidias seine Statuen, und ein leuchtendes Memorial ist in ihren Werken auf uns gekommen. Die großen Dichter und Künstler aller Zeiten bevölkerten die Räume unseres Innern mit einem Reichtum an Gebilden, die uns heiterste und freieste Besitzesfreude gewähren, ohne uns zu bedrohen noch zu beengen noch zu beleidigen noch zu verstümmeln noch in irgendwelche Fesseln zu schlagen.
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Jedes reife Kunstwerk ist und bleibt ein Mysterium. Mehr oder weniger kräftig muß seine Wirkung sein, je nachdem der Mensch reicher oder ärmer entwickelt ist, der es aufnimmt. Es kommt vor, daß die Seele des Ärmlichen im ersten Eindruck das Kunstwerk nahezu voll erfaßt, davon gänzlich bewegt ist und in allen Tiefen klingt. Wehe nun aber, wenn er hernach seinen Standpunkt verändert und den des Schöpfers selbst einnehmen will, nicht nur einnehmen will, um tiefer zu verstehen, sondern um den Meister zu meistern! Sogleich entfernt er sich von sich selbst, seine Seele klingt nicht mehr wieder, die ersten schweren Verfehlungen fallen im Negativen, die Barbarismen folgen im Positiven.
Agnetendorf, den 9. August 1900.