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Auf Korfu begonnen, in Neu-Phalère fortgesetzt. Alsdann Prosaentwurf in Villa Piuma. Bis dahin alles Freiluftprodukt. Schließlich Diktat in Agnetendorf, Hauptteil und Abschluß in Castello Paraggi.
Bleibt dahingestellt, worin ich hätte wärmer, sinnlicher sein können. Ich empfand sehr wohl von Beginn an, daß ich einen andern Weg geführt wurde, als ich eigentlich im Sinne hatte. Allein dieser andere war kein Irrweg: wenn ich auch wieder dort stehe, wo er von dem eigentlichen abweicht.
Klarheit, Helligkeit, tiefe, geschlossene Form lasse ich dem Werk nicht absprechen. Ebensowenig Kraft und Tiefe. Solche Eigenschaften an ihm können Leute negieren, die eigene unzulängliche Eigenschaften zu Maßstäben nehmen.
Ich habe vielleicht das meiste Verständnis für dieses Werk außerhalb der zünftigen Kritik gefunden. Vielfach traf es als ein unliebsamer Fremdkörper in betriebsame, lokal und zeitlich verankerte Koterien kritischen Kleinbürgertums.
Ich sah wieder einmal das literarische Blindekuhspiel in vollem Gange. Nur daß dabei, umgekehrt wie im wirklichen, viele Blinde nach einem Sehenden schlagen. Sie schlagen mit Schilfstöcken wild aneinander vorbei in die Luft.
Wer keine bewußte Beziehung zur Natur kennt, nichts von den elementaren Beziehungen weder zur Scholle noch zur Woge an sich hat, wer die großen physischen und typischen Erlebnisse des irdischen Abenteuers nicht kennt und statt dessen nur solche, die sich unter künstlichem Licht in narkotisierter Luft zwischen Cafés, Restaurants, Alkoven und so weiter abspielen, der kann unmöglich einen Pulsschlag für das Werk mitbringen. Ebensowenig, wer verwachsen, hektisch, pervers, ohne einen Tropfen gesunden Blutes, in seine Krankheit vernarrt, das ungeheure Siechenhaus, dem er angehört, mit dem weiten reinen Raume des Himmels verwechselt.
Wer sollte sich etwa hindern lassen, durch tiefe köstliche Atemzüge starkes ursprüngliches Leben einzusaugen, und wenn auch nur durch den eigenen heiteren Daseinspuls, gegen das Kranke zu protestieren? Wem kann es verboten sein, das Auge und das Ohr von dem Geraspel abzuwenden, das unermüdlich gefräßige Holzwürmer im Gebälk morscher Baracken vollführen, oder von dem Zersetzungsprozeß, dem gewisse Laboranten die menschliche Natur unterwerfen, wobei zunächst ihre eigene der Fäulnis verfallen ist? Der Teufel mag jenen Affen zuschauen, die ihre Geilheit beim Five o'clock aushökern und Schamlosigkeit zum Grundsatz erheben. Was geht mich der Affe an und das Schauspiel, das er zu geben fähig ist. Ich habe nicht nötig, Entwürdigung mit Kühnheit, Lasterhaftigkeit mit Natur, Käfiginstinkte des Affen mit freier, aufrechter Menschlichkeit zu verwechseln.
Odysseus bedeutet das Lebensabenteuer des Starken. Er bedeutet so ziemlich den ganzen Weg, den es beschreibt. Er bedeutet den äußeren Weg und den inneren Weg: den inneren Weg, der treffender unter dem Begriff des Wachstums zu fassen ist. Der äußere Weg ist äußere Wandlung im Raum, die Wandlung des Wachstums geschieht in der Zeit. Aber der äußere Weg und der innere Weg führen beide den höheren Menschen zu seinem Ausgangspunkte, zur Scholle zurück.
Der äußere Weg schafft das innere Schicksal, wobei das Schaffende und Geschaffene allerdings nirgend die Einheit verleugnet.
Die eigentümlichen Schriftzeichen, die unter dem Namen Odysseus vereinigt worden sind, wollen von dem Leidensprozeß des Manneswachstums einen Begriff geben. Ein Drama ist ein Begriff, eine Abstraktion. Die Gestalten verhalten sich zum Gesamtbegriff wie Teilbegriffe. Mit dieser abstrakten Einheit soll eine reale Wahrheit, ein reales Gesetz im Bilde sichtbar geworden sein. Das Bild soll jene Magie enthalten, die es zu einem täuschenden Schein der realen Welt erhebt. Der täuschende Schein dieses Dramas will unter anderem den Kreislauf des Lebens von Ausgangspunkt zu Ausgangspunkt anschaulich machen. Und was also nochmals den Teilbegriff, die Gestalt des Odysseus angeht, so will er, sagen wir, den höchsten Begriff vollendeten menschlichen Schicksals hinstellen.
Will man sich einen tausendjährigen Eichbaum ansehen und bei seinem gewaltigen Wurzelsystem etwa des ersten Keimes, bei seinem Stamm des ersten fadendünnen Stengels gedenken und so alles an ihm prüfend nach rückwärts vergleichen, so wird man von seinen Wandlungen, seinen Leiden, seiner Kraft, seinen Erlebnissen, seinen Erkenntnissen einen Begriff bekommen. So viele Geschlechter von Menschen haben von Geburt zum Tode in seinem Schatten geweilt. Tausend Winter haben seine Krone entblättert, ebensoviele Sommer sie neu belaubt. Unzählbare Generationen von Vögeln sind, wie Gedankenschwärme durch ein Menschenhaupt, durch sie gezogen, und haben in ihr geweidet. Er hat unzählbare Schweine gemästet. Ihn traf der Blitz; etwa alle hundert Jahre einmal. Er war ausgehöhlt vom Insektenfraß. Die Spechte kamen, ihn zu reinigen. Auch solche hilfreichen Spechtgedanken hat das Menschenhirn. Der alte Eichbaum mußte sich Tag und Nacht, jahraus, jahrein, wider Blitz, Hagel, Trockenheit, die Äquinoktialstürme nicht zu vergessen, durchsetzen. Aber nun steht er endlich da, und die Härte seines Holzes, die Mächtigkeit seines Stammes, die Muskelkraft seiner gewaltigen Äste, die Riesenhaftigkeit seiner Gestalt bedeuten ein ehrwürdiges Monument ebenso seiner Leiden als seiner Kraft.
Ein ähnliches Monument zu sein ist die immanente Forderung des Odysseus. Aber bis es uns anders bewiesen wird, müssen wir doch für den Menschen ein anderes höheres Leben als für den Eichbaum in Anspruch nehmen. Die Pflanze, so steht zu vermuten, erfährt sich selbst nicht so wie der Mensch. Der Mensch allein ist in das immer weiter und weiter sich enthüllende Wunder hineingestellt. Er allein, der zwar sein Hervorgehen in die Form des Leibes nicht ins Bewußtsein bringen kann, macht sich mit Bewußtsein reif für den Untergang und findet im Vollbesitz seiner höchsten Kräfte jene Gelassenheit, die allerdings vielleicht seine Wurzeln unmerklich aus dem Erdboden lockert, so daß sich eines Tages, auch ohne Sturm, der Riese willig und durch eigene Schwere gezogen zum Tode neigt.
Sollen wir dieses große Erlebnis des Menschen nicht eines Tages über die Angelegenheiten von Gevatter Schneider und Handschuhmacher stellen dürfen, ob es auch wirklich nichts für sie bedeuten kann?
Villa Costanza, 19. März 1914.