Gerhart Hauptmann
Und Pippa tanzt!
Gerhart Hauptmann

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Vierter Akt

Die Vorgänge sind in unmittelbarem Anschluß an den dritten Akt, im gleichen Zimmer. Der alte Huhn liegt, ein starkes, schreckliches Röcheln ausstoßend, auf der Ofenbank. Seine Brust ist bloß; das lange, rostrote Haar fällt bis auf die Erde. Der alte Wann steht aufrecht bei ihm, die linke Hand auf die Brust des Hünen gelegt. Pippa kommt scheu und zitternd mit dem Ausdruck großer Angst aus der Kammertür rechts.

Wann. Komm nur herein, du kleine, zitternde Flamme du! komm nur herein! Es hat jetzt, wenn du einigermaßen vorsichtig bist, keine Gefahr mehr für dich!

Pippa. Ich habe es gewußt! oh, ich habe es gewußt und gefühlt, signore! Halte ihn nieder! binde ihn fest!

Wann. Soweit er gebunden, kann ich ihn binden.

Pippa. Ist es der alte Huhn, oder ist er's nicht?

Wann. Die Folter entstellt sein Angesicht. Aber wenn du ihn dir genauer betrachtest . . .

Pippa. . . . so sieht er fast wie du selber aus!

Wann. Ich bin ein Mensch, und der will es werden: wie kommst du darauf?

Pippa. Non sò, signore!

Hellriegel erscheint aufgeschreckt in der Flurtür.

Hellriegel. Wo ist Pippa? ich habe es geahnt, daß der lausige Trottel auf unsern Fersen ist! Pippa! Gott sei Dank, daß du nun wieder in meinem Schutze bist! –

Wann. Es hat ihr auch niemand, als du nicht hier warst, ein Haar gekrümmt!

Hellriegel. Es ist aber besser, daß ich hier bin!

Wann. Das wolle der Himmel! – Hole mir einen Eimer voll Schnee herein! bring Schnee! Wir wollen ihm Schnee auf die Herzgrube legen, damit sich das arme, gefangene, flügelschlagende Tier in der Brust beruhigen mag!

Hellriegel. Ist er verwundet?

Wann. Das mag wohl sein!

Hellriegel. Was haben wir denn davon, wenn er wieder zu Kräften kommt? Er wird mit den Fäusten um sich schlagen und uns alle drei in die Pfanne haun!

Wann. Mich nicht! und auch niemand sonst, wenn du verständig bist.

Pippa. Er ist es ja doch! es ist ja der alte Glasbläser Huhn!

Wann. Erkennst du ihn jetzt? den Gast, der so spät noch gekommen ist, um hier einen Höheren zu erwarten!? Tritt nur nahe heran, Kleine, fürchte dich nicht! Dein Verfolger ist nun selbst der Verfolgte! – Hellriegel bringt einen Eimer voll Schnee. Was hast du draußen gesehen, Michel, daß du so bleich wie ein Handtuch bist!

Hellriegel. Ich wüßte nicht! – Während des Eisauflegens. Es ist ja gar nicht das alte Haarwaldgebirge, das in der Schenke mit dir getanzt hat und gesprungen ist und dem ich dich glücklicherweise entführt habe.

Pippa. Sieh nur genau hin, er ist es doch!

Wann. Aber er ist unser Bruder geworden!

Pippa. Was ist dir, Michel? wie siehst du denn aus?

Wann. Was hast du draußen gesehen, daß du so weiß wie ein Handtuch bist?

Hellriegel. Nun meinethalben: ich habe niedliche Dinge gesehen! Es war sozusagen wie eine Wand von fischmaulschnappenden Weibsvisagen, hübsch Entsetzen erregend! hübsch grausenhaft! Ich möchte sie nicht hier im Zimmer haben. So ist's, wenn man vom Hellen ins Dunkle kommt! –

Wann. Am Ende lernst du das Gruseln noch!

Hellriegel. Es ist allerdings kein Vergnügen, draußen zu sein. Augenscheinlich haben die Damen Halsschmerzen – man sieht es den zuckenden, schwarzviolett geschwollenen Gurgeln an! –, wozu wären sie sonst mit einem dicken Halstuch von langen, geifernden Würmern umknotet!

Wann. Gelt, Michel, du blickst dich nach Beistand um!

Hellriegel. Wenn nur die spaßhaften Engelchen nicht durch die Wand drücken!

Wann. Michel, könntest du nicht noch einmal ins Freie gehen und mit lauter Stimme ins Dunkel rufen, daß Er kommt?

Hellriegel. Nein! das geht mir zu weit, das tue ich nicht!

Wann. Du fürchtest den Blitz, der erlösen soll? So mach dich gefaßt, Gottes Lob auf eine markerstarrende Weise heulen zu hören, da anders dem Einbruch der Meute nicht zu steuern ist! Der alte Huhn stößt einen solchen Schmerzensschrei aus, daß Pippa und Hellriegel in mitleidiges Wimmern ausbrechen und willenlos hingerissen auf ihn zueilen, um ihm Hilfe zu bringen. Keine Übereilung! es hilft euch nichts! – Hier ist keine Gnade! Hier rast der giftige Zahn und der weißglühende Wind, solange er rast! Hier keltern typhonische Mächte den gellenden Qualschrei rasender Gotteserkenntnis. Blind, ohne Erbarmen, stampfen sie ihn aus der heulenden und vor Entsetzen sprachlosen Seele aus.

Hellriegel. Kannst du ihm denn nicht beistehen, Alter?

Wann. Nicht ohne ihn, den du nicht rufen magst.

Pippa, zitternd. Warum wird er so auf die Folter gestreckt? Ich hab' ihn gefürchtet und hab' ihn gehaßt! aber warum wird er mit einer solchen Wut und einem so unbarmherzigen Haß verfolgt? . . . ich fordere es nicht!

Huhn. Was denn? lußt los! lußt los, lußt los! schlagt mir de Fangzähne nee ei a Nacka! lußt los, lußt los! reißt m'r de Schenkel ne vo a Knocha! reißt mir a Leib ni uf! zerreißt mich nee! zerreißt mir de Seele nee ei Sticke azwee!

Hellriegel. Himmeldonnerwetter noch mal! wenn das eine Kraftprobe sein soll, wenn der große Fischblütige damit jemand zu imponieren gedenkt – mir imponiert das jedenfalls nicht! höchstens zwangsweise! – Hat er denn vor seiner Schöpfung nicht mehr Respekt, oder kann er nichts? daß er alle Augenblicke mal was kurz und klein haut? und zwar auf diese besondere Manier, die ihm doch hoffentlich nicht der einzige Spaß von der Sache ist!

Wann. Die Hauptsache wäre doch eigentlich, Michel, daß einer von uns geht und nachsieht, wo der, den wir sehnlich erwarten, bleibt. Dein Reden bringt uns nämlich nicht weiter.

Hellriegel. Geh du hinaus! ich bleibe hier.

Wann. Gut! – Zu Pippa. Aber tanze du nicht etwa mit ihm!

Hellriegel. O Himmel! wenn einer in solcher verzwickten Lage noch Witze macht, was soll man da zu dem Unglück sagen?!

Wann. Trau, schau, wem! gib jedenfalls acht auf das Kind! Wann entfernt sich durch den Flur.

Pippa. Ach, wenn wir bloß hier fort wären, Michel!

Hellriegel. Das wünschte ich auch! Gott sei Dank, daß wir jedenfalls jetzt auf der Höhe sind! Wir können morgen mit Tagesanbruch – meinethalben auf Schlitten, das geht sehr gut! – den südlichen Abhang hinuntersausen. Dann sind wir aus dieser Gegend der Walchen und Kugelblitze und grunzenden Paviane für immer heraus!

Pippa. Ach, wenn er bloß nicht wieder schreien wollte!

Hellriegel. Laß ihn schreien! es ist immer besser hier: die Stille draußen schreit noch entsetzlicher.

Huhn, mit schwerer Zunge. Mörder! Mörder!

Pippa. Er hat wieder gesprochen! – Ich glaube, der alte Spielzeughändler hat ihm etwas zuleide getan!

Hellriegel. Klammere dich an mich! drücke dich fest an mein Herz.

Pippa. O Michel, du stellst dich so ruhig, und es pocht so wild!

Hellriegel. Wie deins!

Pippa. Und seins! – ich höre seins auch pochen! – wie mächtig es arbeitet! wie schwer es sich müht!

Hellriegel. So? ist es wirklich ein Herz, das so pocht?

Pippa. Was denn sonst? so horch doch, was soll denn so pochen?! Ich weiß nicht, es zuckt immer so schmerzlich durch mich . . . es reißt mich immer so bis in die Zehenspitzen – bei jedem Schlage, als müßt' ich mit. –

Hellriegel. Sieh mal, ein kannibalischer Brustkasten! sieht er nicht aus wie ein mit roten Zottelhaaren besetzter Blasebalg, und als müßte er immer etwas wie'n Schmiedefeuerchen aufblasen?

Pippa. Oh, wie ihm das arme gefangene Vögelchen immer so angstvoll gegen die Rippen hüpft! – Michel, ob ich ihm meine Hand einmal auflege?

Hellriegel. Mit meiner Erlaubnis! es kann nichts geben in aller Welt, was von einer so wundertätigen Wirkung ist!

Pippa legt Huhn die Hand aufs Herz. Ich wußte ja gar nicht, daß der alte Huhn unter seinen Lumpen so weiß wie ein Mädchen ist! –

Hellriegel. Siehst du, es wirkt: er ist schon ruhiger! – Und nun geben wir ihm noch ein wenig Wein, damit mag er dann friedlich hinüberschlummern. Er tritt an den Tisch, um Wein einzugießen, Pippa läßt ihre Hand auf der Brust ruhen.

Huhn. Wer legt m'r sei Poatschla auf de Brust? – Ich soaß ei mir drinne – im Finstern – wir soaßa im Finstern! die Welt woar kalt! – 's wurde kee Tag ni meh, kee Murga ni meh! do soaßa mir um a kala Glasufa rim! – und do kama de Menscha, ju . . . do kama se vu weither durch a Schnee gekrocha! – se koama vu weither, weil se hungrig woarn: se wullten a Brinkla Licht uf die Zunge han: se wullta a klee bißla Wärme ei ihre verstarrte Knocha eitrinka. – Asu is's! – und do loga se ei d'r Nacht im de Gloashitte rum! – mir heerta se ächza! mir heerta se wimmern. Und do stonda mir uf und schierta eim Aschenluche rum – uff eemol stieg noch a eenzigstes Fünkla . . . a Fünkla stieg aus der Asche uf! – o Jees, woas stell' ich ock mit dem Fünkla uf, doas uf eemal wieder aus d'r Asche gestiega iis? – Sool ich an'n Diener macha, Fünkla? sool ich dich eifanga? sool ich nach dir schloon, Fünkla? – sool ich mit dir tanza, kleenes Fünkla?

Hellriegel. Sag ja, sag ja, widersprich ihm nicht! Du, sage doch mal, wie das weitergeht! – Hier, trinke zuerst mal einen Schluck, alter Urian! – Heute dir – morgen mir! wir wollen zusammenhalten, weil ich im innersten Herzen doch auch so was wie so'n verschneiter, gespenstischer Glasmacher bin.

Huhn, nachdem er getrunken. Blutt! schwarzes Blutt schmeckt gutt! oaber, woas der sichte macht, mach' ich ooch! ich mache oo Glasla! o jee, woas hoa ich ni schun oll's aus'm Glasufa rausgebracht! Perl'n! Edelsteene! großmächt'ge Humpa! – immer nei mit'm Feifla ei a Satz! – Luß gutt sein, ich tanz' mit dir, kleenes Fünkla! wart ock: ich zind' m'r a Gloasufa wieder uf! wie de Weißglut aus a Löchern bricht! mit'm ala Huhn kommt keener ni mit! satt ihr se ei d'r Feuerluft rumtanza?

Hellriegel. Wen meinst du denn?

Huhn. Wan? woas denn? dar wiß woll no nee, daß das Madl aus'm Gloasufa stammt!

Hellriegel, kichernd. Hör doch mal, Pippa, du stammst aus dem Glasofen!

Pippa. Ach, Michel, mir ist zum Weinen zumut.

Huhn. Tanze, tanze! doaß a weng lichter wird! foahr hie, foahr her, doaß die Leute Licht kriega! zind uff! zind uff! m'r wulln oa de Arbeit giehn!

Hellriegel. Hör mal! bei so 'ner Gelegenheit möcht' ich wirklich mal mitmachen! Teufel noch mal! und nicht bloß ein Gesellenstück . . .

Huhn. Mir stoanda im unsern Gloasufa rum, und ringsum aus d'r sternlosa Nacht kruch de Angst! Er röchelt stärker. Mäuse, Hunde, Tiere und Veegel krucha eis Feuerla. 's woard klenner und klenner und wullte auslöscha! mir soaga uns oa und soaga immer – o Jees, die Angst! ins Feuerla nei! – Da fiel's zusamma! da schriega mir uf! und wieder kam a blau Lichtla! da schriega mir wieder! und dann woarsch aus! – Ich soaß ei mir, ieber me'm kala Feuerla! ich sah nischt! ich wiehlte ock ei d'r Asche rum! Uf eemal stieg noch a Fünkla, a eenzigstes Fünkla vor m'r uf. Wolln m'r wieder tanza, kleenes Fünkla?

Pippa, zu Michel, flüsternd. Michel, bist du noch da?

Hellriegel. Nu freilich! glaubst du denn, daß der Michel womöglich ein Drückeberger ist? Aber dieser Alte, weiß Gott, ist mehr als ein ausrangierter Glasmacher! – Sieh doch, was für ein blutiger, qualvoller Krampf in seinen Mienen verbreitet ist!

Pippa. Und wie sein Herz ringt, und wie es stampft!

Hellriegel. Wie ein ewiger Schmiedetanz mit dem Schmiedehammer.

Pippa. Und es ruckt und brennt mir bei jedem Schlag in der eigenen Brust!

Hellriegel. Mir auch! es fährt mir mit Macht durchs Gebein und reißt mich, als sollte ich mittun und mitstampfen!

Pippa. Horch, Michel! es ist, als schlüge der gleiche Schlag tief unten und pochte an den Erdboden.

Hellriegel. Tief unten, jawohl, schlägt der gleiche furchtbare Schmiedeschlag!

Huhn. Sool ich mit dir tanza, klenner Geist?

Unterirdisches, gewitterartiges Rollen.

Pippa. Michel, hast du das unterirdische Rollen gehört?

Hellriegel. Nein! komm! das beste ist, du nimmst ihm die Hand von der Herzgrube! Wenn alles schwankt und die Erde schüttert und wir schießen, wer weiß wohin, wie ein unfreiwilliges Meteor in den Weltenraum hinaus, so ist es doch besser, daß wir uns bald zu einem unauflöslichen Knäuel verklammern. Ich spaße nur!

Pippa. Ach, Michel, spaße jetzt nicht!

Hellriegel. Morgen spaßen wir beide darüber!

Pippa. Weißt du, es ist mir fast so zumute, als wär' ich nur noch ein einziger Funke und schwebte ganz einsam verloren hin im unendlichen Raum!

Hellriegel. Ein tanzendes Sternchen am Himmel, Pippa! warum denn nicht!

Pippa, flüsternd. Michel, Michel, tanze mit mir! Michel, halte mich fest, ich will nicht tanzen! Michel, Michel, tanze mit mir!

Hellriegel. Das will ich, so wahr mir Gott helfe, tun, wenn wir nur erst hier aus der Klemme sind! – Denke an etwas Herrliches! Wenn diese Nacht erst vorüber ist, habe ich mir vorgenommen: – sollst du fortan nur noch über Rosen und Teppiche gehn. Dann lachen wir, wenn wir erst unten sind, in dem Wasserschlößchen . . . wir kommen hin, versichere ich dich . . . und dann leg' ich dich in dein seidenes Bettchen . . . und dann bring' ich dir immerzu Konfekt . . . und dann deck' ich dich zu und erzähl' dir die Gruselgeschichten noch mal . . . und dann lachst du aus voller Kehle noch mal, so süß, daß der Wohllaut mir Schmerzen macht. Und dann schläfst du! und ich spiele die ganze Nacht, leise, leise, auf einer gläsernen Harfe.

Pippa. Michel!

Hellriegel. Ja, Pippa!

Pippa. Wo bist du denn?

Hellriegel. Hier bei dir! ich halte dich fest umschlungen!

Huhn. Wolln wir wieder tanza, kleener Geist?

Pippa. Michel, halte mich . . . laß mich nicht los! er reißt mich! . . . es reißt mich! – sonst muß ich tanzen! – ich muß tanzen! sonst sterb' ich! – laß mich los!

Hellriegel. So!? Nun, ich denke, es wird das beste sein, man besinnt sich in diesen wirklich einigermaßen alpdruckartigen Dingen auf sein altes tapferes Schwabenblut! Wenn es einem in allen Gliedern zuckt, warum soll man nicht einem armen Schlucker, der darauf Wert legt, den Kehraus tanzen? Das kann meines Erachtens so schlimm nicht sein. – Es hat nicht umsonst lustige Brüder gegeben, die haben dem Satan den Höllenbrand unterm Zagel wegeskamotiert und die Tabakspfeife damit in Brand gesteckt. Warum soll man ihm nicht zum Tanze aufspielen?! Er nimmt seine Okarina hervor. Rumpumpum, rumpumpum! – wie geht denn der Takt? – Jawohl, tritt meinetwegen zum Tanze an, süße Pippa. Wenn es einmal sein muß . . . des Orts und der Stunde wegen darf man auf dieser Erde nicht wählerisch sein! Triller und Lauf auf der Okarina. Tanze drauflos und tanze dich aus! Es ist noch lange das Schlimmste nicht: froh sein mit den zu Tode Betrübten! Pippa macht zu den Tönen der Okarina, die Michel spielt, schmerzlich gedehnte Tanzbewegungen, die etwas Konvulsivisches an sich haben. Nach und nach wird der Tanz wilder und bacchantischer. Ein rhythmisches Zittern bewegt den Körper des alten Huhn. Dabei trommelt er mit den Fäusten tobsuchtsartig den Tanzrhythmus Pippas nach. Gleichzeitig scheint er von einer ungeheuren Frostempfindung geschüttelt wie jemand, der aus schneidendster Kälte in Wärme kommt. Aus der Tiefe der Erde dringen gedämpfte Geräusche: Donnerrollen, Triangel-, Becken - und Paukenschläge. Endlich tritt der alte Wann in die Flurtür.

Huhn. Ich mache o Glasla! ich mach' se . . .mit starrem, gehässigem Blick auf Wann – ich mach' se und schloo se wieder azwee! kumm – mit – mir – eis Dunkel – kleenes Fünkla. Er zerdrückt das Trinkglas, das er noch in der Hand hält; die Scherben klirren.

Pippa durchzuckt es, und eine plötzliche Starre befällt sie.

Pippa. Michel! Sie wankt, und Wann fängt sie mit den Armen auf. Sie ist tot.

Wann. Hast du doch deinen Willen durchgesetzt, alter Korybant?!

Hellriegel unterbricht für einige Augenblicke sein Okarinaspiel. Gut! Verschnaufe dich einen Augenblick, Pippa!

Huhn starrt krampfhaft und mit machtvollem Triumph Wann in die Augen; dann löst sich von seinen Lippen mühsam, aber gewaltig der Ruf. Jumalaï!!! Hierauf sinkt er zurück und stirbt.

Hellriegel wollte eben wieder die Okarina ansetzen. Was ist denn das? richtig! ich habe den Ruf gestern morgen auch gehört! – Was sagst du dazu, alter Hexenmeister? Es ist übrigens wirklich gut, daß du kommst! denn wir wären sonst immerfort, wer weiß wo noch hin, über Messer und Scherben ins Unbekannte fortgaloppiert! Hast du ihn denn nun endlich gefunden?

Wann. Allerdings!

Hellriegel, nach einem Triller. Wo fandest du ihn denn?

Wann. Hinter einer Schneewehe fand ich ihn. Er war müde. Er sagte, er hätte eine zu übermäßige Arbeitslast. Ich mußte ihn lange überreden. Auf Pippa niederblickend. Und nun scheint's, daß er mich mißverstanden hat.

Hellriegel, nach einem Triller. Und kommt er nun wenigstens?

Wann. Sahst du ihn nicht? er ist eben vor mir her eingetreten!

Hellriegel. Ich sah zwar nichts, doch ich fühlte was, als der Alte sein närrisches Fremdwort schrie, was mir übrigens noch in den Knochen summt.

Wann. Hörst du noch draußen das Echo rumoren?

Hellriegel tritt neugierig zu Huhn. Richtig! der alte Pferdefuß stampft nicht mehr. Ich muß sagen, daß mir ein Stein von der Seele gefallen ist! daß doch nun endlich das alte Nilpferd auf Nummer Sicher ist! – Sag mal, du hast ihm wahrscheinlich das Rückgrat lädiert. Aber eigentlich war das vielleicht nicht nötig, obgleich es uns möglicherweise gerettet hat.

Wann. Ja, Michel, wenn du gerettet bist, so war es auf andere Weise schwerlich wohl durchzusetzen.

Hellriegel. Gott sei Dank, ja, ich fühl's, wir sind aus dem Schneider raus. Deshalb will ich auch nicht weiter kopfhängerisch sein, weil der Alte – er ist ja über die Zeit der Jugendstreiche wirklich hinaus! –, weil der Alte an seinem Johannistriebchen verschieden ist und, was ich besitze, nicht haben kann. Jeder für sich und Gott für uns alle! was geht mich die Sache eigentlich an?! – Pippa!! Woher kommt es denn eigentlich, daß du zwei Lichter, rechts und links je eines, auf der Schulter hast?

Wann, Pippa im Arm. Ecce deus fortior me, qui veniens dominabitur mihi!

Hellriegel. Das versteh' ich nicht! Mit vorgebeugtem Kopf sieht er einige Sekunden lang die im Arme Wanns hängende Pippa forschend an. Ach, nun reißt es mich wieder so in der Brust! nun durchzuckt es mich wieder so ungeduldig! so peinvoll süß, als müßt' ich zugleich an dieser Stelle und Millionen von Jahren weiter sein. – Es ist ja alles rosenrot rings um mich! – Er spielt, unterbricht sich und sagt. Tanze, Kind! Freude! Freue dich, denn wir haben mit Hilfe des ewigen Lichtes in meiner Brust den Weg durch das nächtliche Labyrinth gefunden; – und wenn du dich ausgesprungen hast und in sicherem Glücke beruhigt bist, so rutschen wir wohl sofort – zu Wann – mit deiner Erlaubnis! über den klaren Schnee, wie mit Extrapost, in den Frühlingsabgrund dort unten hinein.

Wann. Ja. Wenn du einen Frühlingsabgrund siehst, braver Michel: gewiß!

Hellriegel, mit den Bewegungen eines Blinden, der nur noch nach innen sieht, am stockdunklen Fenster. Ho, ich sehe ihn gut, den Frühlingsabgrund! ich bin doch nicht blind! ein Kind kann ihn sehen! Man übersieht ja von deiner Hütte aus, du uriger Herbergsvater, alles Land . . . über fünfzig Meilen weit! Ich sitze durchaus nicht mehr wie der Geist in der Glasflasche drin und liege verkorkt am Grunde des Meeres. Das war einmal – gib uns nur noch den Goldschlüssel und laß uns abreisen!

Wann. Wenn der Winter plötzlich aufleuchtet, wird man leicht blind!

Hellriegel. Oder kriegt den allsehenden Blick! – Man könnte fast glauben, in einem Traume zu sein: so geheimnisvoll mutet der weiße, im Lichte des Morgens flammende Prunk der Berge und der lockende Duft der Halbinseln, Buchten und Gärten der Tiefe mich an, und was du sagst: man ist wie auf einem anderen Stern!

Wann. So ist's, wenn die Berge in den Elmsfeuerspielen des großen Pan gebadet sind.

Hellriegel. Pippa!

Wann. Sie ist bereits wiederum weit von uns auf ihrer eigenen Wanderschaft! Und er, der alte, rastlose, ungeschlachte Riese, wiederum hinter ihr drein. Er läßt Pippa auf die Bank niedergleiten. Darnach ruft er. Jonathan! – Es hat wieder einmal die unsichtbare Hand, die durch Mauern und Dächer langt, meine Pläne durchkreuzt und Beute gemacht. – Jonathan! – Er ist schon kalt! der glühende Krater ist erloschen. Was jagt der Jäger? das Tier, das er mordet, ist es nicht! Was jagt der Jäger? wer kann mir antworten?

Hellriegel, am schwarzen Fenster. Pippa, sieh doch nur: unten, die Landzungen sind mit goldnen Kuppeln bedeckt . . . und siehst du: dort ist unser Wasserpalast – und goldne Stufen, die hinauf leiten!

Wann. So freue dich. Freue dich über das, was du siehst, und über das, Michel, was dir verborgen ist!

Hellriegel. Das Meer! – oh, noch ein anderes, oberes Meer tut sich auf: das andere Meer gibt dem unteren Meer Millionen wankender Sternchen zurück! oh, Pippa . . . und sieh, noch ein drittes Meer tut sich auf! es gibt ein unendliches Spiegeln und Tauchen von Licht in Licht! wir schwimmen hindurch, zwischen Ozean und Ozean, auf unserer rauschenden Goldgaleere!

Wann. Dann brauchst du ja wohl nun mein Schiffchen nicht mehr! – Schlage die Läden zurück, Jonathan! Jonathan, der hereingeblickt hat, öffnet die Haustür, und schwaches erstes Morgenlicht dringt in den Flur.

Hellriegel. Pippa!

Wann. Hier ist sie, faßt euch an! Er ist zu Michel getreten, der mit dem Ausdruck eines blinden Sehers dasteht, und tut so, als ob Pippa neben ihm stünde und er Michels Hand in ihre legte. So! Ich vermähle euch! ich vermähle dich mit dem Schatten! der mit Schatten Vermählte vermählt dich mit ihm!

Hellriegel. Nicht übel, Pippa, du bist ein Schatten!

Wann. Ziehe aus, ziehe mit ihr in alle Welt . . . nach eurem Wasserpalast, wollt' ich sagen! – wozu du hier auch den Schlüssel hast! der Unhold kann dir den Eingang nicht mehr verwehren! und draußen steht schon ein Schlitten mit zwei gebogenen Hörnern bereit . . .

Hellriegel, mit großen Tränen auf den Wangen. Und dort werde ich Wasser zu Kugeln ballen!

Wann. Mit deinen Augen tust du es schon! – So! nun geht! vergiß deine Okarina nicht!

Hellriegel. O nein! mein kleines, süßes, vertrautes Weibchen vergesse ich nicht!

Wann. Denn es kann doch am Ende möglich sein, du mußt hie und da einmal vor den Türen der Leute spielen und singen. Aber deshalb verliere nur nicht den Mut. Erstlich hast du das Schlüsselchen zum Palast und, wenn es dunkel wird, diese Fackel, die Pippa vor dir hintragen mag; und dann kommst du gewiß und wahrhaftig dorthin, wo Friede und Freude deiner warten. Singe und spiele nur wacker und zweifle nicht!

Hellriegel. Juchhe! ich singe das Blindenlied!

Wann. Wie meinst du das?

Hellriegel. Ich singe das Lied von den blinden Leuten, die die große goldene Treppe nicht sehen!

Wann. Um so höher steigst du die Scala d'oro, die Scala dei giganti hinan!

Hellriegel. Und das Lied von den Tauben singe ich!

Wann. Die den Strom des Weltalls nicht fließen hören!

Hellriegel. Ja!

Wann. Das tu nur gewiß! aber Michel, wenn es sie nicht erweicht und sie dir mit harten Worten drohen oder mit Steinwürfen, was ja auch vorkommt, dann erzähle ihnen, wie reich du bist . . . ein Prinz auf Reisen, mit seiner Prinzessin! sprich ihnen von deinem Wasserpalast und flehe sie an, euch um Gottes willen einen Meilenstein weiter des Weges zu leiten!

Hellriegel, kichernd. Und Pippa soll tanzen!

Wann. Und Pippa tanzt!

Es ist ganz hell geworden. Wann gibt dem blinden und hilflosen Michel einen Stock in die Hand, setzt ihm den Hut auf und führt den Tastenden, aber leise und glücklich Kichernden nach der Ausgangstür. Nun setzt Michel die Okarina an den Mund und spielt eine herzbrechend traurige Weise. Im Flur übernimmt Jonathan den Blinden, und Wann kommt zurück. Er horcht auf die fern und ferner verklingenden Melodien der Okarina, nimmt die kleine Gondel vom Tisch, betrachtet sie und spricht mit schmerzlicher Entsagung im Ton.

Fahre hin, fahre hin, kleines Gondelschiffchen!

 


 


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