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Benutzt ist die Übersetzung und der Kommentar von Ausfeld, nach dem auch gelegentlich die nicht griechische Überlieferung (syrische Übersetzung usw.) verwertet ist. Zu einigen Stellen hatte ich mich der freundlichen Unterstützung von Dr. Fr. Pfister zu erfreuen. Ich hebe nochmals hervor, daß die Auswahl nur die novellistischen Motive herausheben will und mit den Handschriften sehr willkürlich umspringt – vgl. Einleitung S XXVII.
Nachdem Alexander alle Völker des Binnenlandes bezwungen hatte, wollte er weiterziehen auch in die von der Sonne nicht mehr beschienene, unbewohnte Welt. Er befahl daher den Soldaten, Proviant für sechs Monate mitzunehmen. Als dies geschehen war, marschierten sie ungefähr zehn Tage lang und kamen dann in ein ebenes, wüstes Land. Und siehe, plötzlich erschienen Weiber, furchtbar anzusehn, mit wildem Gesicht. Ihr ganzer Körper war behaart wie bei wilden Schweinen, ihre Haupthaare aber reichten ihnen bis zu den Knien. Ihre Augen leuchteten wie Sterne. Nur das Gesicht war von Menschenart, an den Händen hatten sie Nägel von einer Elle Länge, und ihre Füße glichen denen von Wildeseln. Ihre Größe entsprach der von drei sehr großen Männern. Als die Soldaten diese erblickten und sich ihnen unbedenklich näherten, wandten sich die Riesinnen plötzlich nach ihnen um, griffen vier Soldaten von oben herunter auf, zerrissen sie mit ihren Nägeln, trugen sie weg und verzehrten sie vor den Augen aller. Während sie noch ratlos diesem Anblick gegenüberstanden, siehe, da erschien eine ganze Masse solcher Weiber, sie stürzten sich auf das Heer, griffen wieder von oben herab Soldaten mitten aus der Schlachtreihe heraus und verzehrten sie. Als nun alle völlig verzweifelt waren, kam Alexander auf einen klugen Einfall. Er ließ nämlich eine Menge Hunde aus dem Heere zusammentreiben, die er zum Jagen mitgenommen hatte, und hetzte sie auf die Unholdinnen. Als diese aber die Hunde sahen, ergriffen sie die Flucht. Das Heer setzte ihnen nach und erschlug viele von ihnen. Die andern flohen und verschwanden.
Von dort aus kamen sie nach dreißig Tagen in eine sandreiche Gegend. Da erschienen plötzlich riesige Ameisen und raubten Pferde und Menschen. Aber man entkam dieser Plage dadurch, daß man Feuerbrände anzündete.
Von dort kamen sie zu einem gewaltigen Fluß, der drei Tagereisen breit war. Da nun war Alexander vor diesem Wunder in großer Verlegenheit. Er lagerte sich am Rand und ließ das Heer sich verschanzen. Während er aber über den Übergang nachdachte, versiegte plötzlich das Wasser, und statt seiner floß Sand den Fluß hinab. Nun ließ Alexander Kasten aus viereckigen Brettern herrichten und auf die Strömung des Flusses setzen. Als sie den ersten der Kasten hineingesetzt hatten, ließ er ihn mit Steinen füllen: und als dies geschehen war, lag er unbeweglich fest. Den zweiten Kasten ließ er weiter in den Fluß hineintreiben und versenken. Dann ließ er Balken von 4-6 Ellen Länge von einem Kasten zum andern festnageln, während der erste Kasten vom zweiten 4 Ellen entfernt war. So machte er es auch mit dem dritten und vierten Kasten und setzte das so fort bis zum jenseitigen Ufer und führte dann das Heer auf dieser kunstvollen Brücke in drei Tagen hinüber. Als er dies getan, nannte er den Fluß den Sandstrom. Denn drei Tage war er fließendes Wasser und drei Tage Sand.
Jenseits des Sandstromes kam Alexander in eine ganz neue Welt; denn sie fanden wohlgebildete Zwerge von so kleiner Gestalt, daß der ausgewachsene Mann nur eine und eine halbe Elle maß. Als diese den Alexander sahen, fielen sie auf die Knie und baten um Gnade. Alexander entließ sie in Anbetracht ihrer Unterwürfigkeit mit freundlichen Worten: »Geht hin, ihr sollt von uns nicht geschädigt werden.« Nachdem sie dort längere Zeit gerastet hatten, rückte er weiter in die unbekannten Länder vor und kam nach zehn Tagen in ein ungeheuer ausgedehntes, ebenes Feld. Dort wollte er das Heer rasten lassen und sah sich nach Wasser um. Er sah auch einen Teich, und als er sich ihm näherte, sah er auf einem Felsen eine gewaltige steinerne Bildsäule. Auf ihr stand in griechischen Buchstaben: Bild des Sesonchosis, des jetzigen Weltbeherrschers. Das Bild stellte einen jungen Mann dar, der in allem dem Alexander sehr ähnlich sah. Außerdem stand auf der Bildsäule zu lesen, bis hierhin könne man kommen, wenn man die ganze Welt durchwandere, in die weiteren Länder aber sei es unmöglich vorzudringen. »Hier sah auch ich keine Möglichkeit weiter vorzugelangen. Deshalb kehrte ich um, um nicht mein Leben zu verlieren. So schrieb ich, Sesonchosis Mit diesem Namen wird im Roman der ägyptische König bezeichnet, den die Griechen sonst Sesostris nennen., der Weltbeherrscher.« Als Alexander dies gelesen hatte, ließ er sofort die Inschrift mit Teppichen verhüllen, als wollte er die Bildsäule schmücken. Er tat es aber, damit keiner der Makedonen die Inschrift läse und sie den Mut verlören. Er behauptete im Gegenteil, er habe von der Bildsäule ein Orakel bekommen: »Wenn du diese Gegenden durchziehst, Alexander, wirst du in eine andere, bessere Welt kommen, die noch kein anderer Mensch durchzogen hat.« Das sagte er, um seinem Heer Mut zu machen. Und nachdem er dort drei Tage verweilt hatte, brach er auf.
Aus einem Briefe Alexanders an seine Mutter Olympias und seinen Lehrer Aristoteles
Nun wollte ich mit Führern nordwärts in die entlegeneren Teile der medischen Wüste ziehen. Die aber sagten, in jener Gegend hausten wilde Menschen und schlimme Fabeltiere. Aber da ich die Gegenden und die Menschen kennen zu lernen wünschte, zog ich zehn Tage vorwärts, und wir kamen zu einer tiefen Schlucht. Acht Tage zogen wir durch sie hindurch. Am neunten kamen wir in einen Wald von dornigen Bäumen, die gurkenähnliche Früchte trugen. In dem Walde hausten riesige Menschen von 24 Ellen Höhe, mit langen Hälsen und mit Händen und Füßen, die die Form von Sägen hatten. Sie griffen uns an, als wir aber mit Kriegsgeschrei und Trompetenschall auf sie losgingen, flohen sie. Die Soldaten erschlugen 432 von ihnen, von unserem Heere aber fielen 164 Mann. Wir blieben dann dort drei Tage lang und lebten von jenen Früchten, denn das war die einzige vorhandene Nahrung.
… Von dort kamen wir in eine grüne Au, wo Menschen lebten, den Riesen ähnlich an Gestalt, zottig, feuerfarben und mit Gesichtern wie Löwenhäupter. Daneben wohnte ein anderes Volk, das keine Haare hatte, vier Ellen groß und nur so breit wie eine Lanze war Nach anderer Leseart: mit 4 Ellen langen Haaren, so dick wie eine Lanze.. Sie griffen uns, nur mit Fellen umhüllt, an und waren sehr begierig, mit uns zu kämpfen, indem sie mit Knütteln auf das Heer losschlugen und viele töteten. Deshalb befahl ich, einen großen Scheiterhaufen anzuzünden und mit Feuerbränden gegen sie zu kämpfen. Da zogen die tapferen Gesellen ab, nachdem sie 72 unserer Soldaten getötet hatten, deren Gebeine ich auf den Schiffen zu bergen und in die Heimat zu senden befahl. Am folgenden Tag wollten wir in die Höhlen der Riesen eindringen und fanden wunderbare Tiere an den Eingängen der Höhle angebunden. Sie sahen aus wie große Hunde, waren vier Ellen lang, dreiäugig und buntfarbig. Wir sahen dort auch Flöhe, die so groß waren wie bei uns die Frösche.
Von dort kamen wir in eine Gegend, wo eine herrliche, starkströmende Quelle entsprang. Dort ließ ich ein wohlbefestigtes Lager aufschlagen, damit das Heer hier ungeschädigt verweilen könnte. Um die neunte Stunde aber erschien ein Mensch, dicht behaart wie ein Schwein. Wir entsetzten uns über das Scheusal, und ich befahl, es zu ergreifen. Er aber sah uns furchtlos an, als er gefangen war. Nun ließ ich ihm ein entkleidetes Weib zuführen, daß er seine Freude an ihr habe. Er aber packte sie, sprang fort mit ihr und begann sie aufzufressen. Als die Soldaten hinzueilten und ihn fassen wollten, schrie er laut, und sofort kamen unzählige seiner Genossen aus einem Sumpfdickicht hervor. Unsrer waren nur 40 000. Ich befahl, das Dickicht anzustecken. Als jene das Feuer sahen, flohen sie, wir verfolgten sie und fingen 300 von ihnen. Diese starben uns aber später aus Mangel an Nahrungsmitteln. Sie sprachen nicht, sondern bellten wie Hunde …
Von dort kamen wir an einen Fluß mit wunderbaren Bäumen. Sie wuchsen von Sonnenaufgang bis zur sechsten Stunde, von der siebenten aber gingen sie wieder zurück, bis sie völlig verschwunden waren. Es träufelte Harz von ihnen, dem persischen Balsam ähnlich, und sie verbreiteten einen wundervollen süßen Duft. Ich befahl nun, die Bäume zu fällen und das Harz mit Schwämmen aufzusammeln. Aber die Leute, die das taten, wurden sofort von unsichtbaren Dämonen gegeißelt. Man hörte das Klatschen der Geißelhiebe und sah die Schwielen auf den Rücken der Getroffenen, aber die Geißelnden selbst sah keiner. Dazu verbot eine Stimme, die Bäume zu fällen und das Harz zu sammeln. »Hört ihr nicht auf, so wird das ganze Heer sprachlos werden.« Da erschrak ich und befahl zu gehorchen. In dem Flusse waren auch schwarze Steine. Wer nun einen dieser Steine anfaßte, wurde schwarz wie diese. Es waren auch Schlangen in dem Flusse und viele Arten von Fischen. Diese ließen sich nicht auf Feuer kochen, sondern nur in kaltem Quellwasser. Es hatte nämlich ein Soldat einen gefangenen Fisch gewaschen und in ein Gefäß getan. Dort fand er ihn nachher gekocht vor. Es waren in dem Fluß auch Wasservögel, die denen bei uns ganz ähnlich sahen. Wenn man sie aber anrührte, so ging Feuer von ihnen aus.
Am folgenden Tage gingen wir in die Irre. Und die Führer sprachen: »Wir wissen nicht mehr, wo es hinausgeht. Herr König, laßt uns umkehren, damit wir nicht an noch schlimmere Orte kommen.« Ich aber wollte nicht. Nun zogen wir zehn Tage weiter, während wir das Sonnenlicht nicht sahen; nur eine Stunde lang sah man einen schwachen Lichtschein. Und es begegneten uns viele Ungeheuer. Tiere mit 6 Füßen, solche mit 3 Augen und solche mit 5 Augen. Sie waren bis zu 10 Ellen lang. Die einen flohen vor uns, die andern stürmten auf uns los. Dann kamen wir in eine Sandwüste, wo es Tiere von 20 Ellen Länge gab, die den Wildeseln glichen. Sie hatten jedoch nicht zwei Augen, sondern sechs, sahen aber bloß mit zweien und waren nicht wild, sondern zahm. Die Soldaten erlegten ihrer viele mit Pfeilen. Als wir dann wieder aus der Wüste abbogen, kamen wir in eine Gegend, wo Menschen ohne Köpfe wohnten. Sie hatten Augen und Mund auf der Brust, sprachen aber nach Menschenart. Sie waren zottig, trugen Felle und verzehrten Fische. Auch fingen sie an der Meeresküste Fische und brachten die dem Heere. Weiter sahen wir dort viele große Seehunde auf dem Lande umherkriechen und Krebse so groß wie Schiffe.
Von da kamen wir an einen Ort, wo auf einem Baum ohne Früchte und Blätter ein Vogel saß, genannt Phönix, der leuchtende Strahlen um den Kopf hatte.
Meine Freunde baten mich oft, ich solle doch umkehren. Aber ich wollte nicht, denn ich wünschte das Ende der Welt zu sehen.
Von da zogen wir weiter auf einem öden Weg am Meer entlang, wo wir keinen Vogel sahen und kein Tier, nur Himmel und Erde. Und wir sahen wieder die Sonne nicht, sondern nur trübe Luft, zehn Tage lang. Dann kamen wir an einen Platz am Meer, und ich ließ dort Zelte aufschlagen und den Platz verschanzen. Dann bestieg ich mit den Soldaten Kähne, um nach einer Insel im Meere hinüberzufahren, die nicht weit vom Strande ablag. Denn von dorther hatte man Stimmen in hellenischer Sprache vernommen, aber keiner hatte die Redenden erblickt. Einige von den Soldaten versuchten tollkühn vom Kahne aus nach der Insel hinüberzuschwimmen. Aber sofort tauchten Krebse hervor und zogen 54 Männer unter das Wasser. Da bekamen wir Furcht und kehrten um.
Aus einer andern Fassung
Als sie aber aus den Schiffen ausstiegen, ging Alexander am Strande entlang und sah einen Krebs von ungeheurer Größe ans Land steigen, mit ausgebreiteten Vorderscheren. Die Soldaten eilten herbei und warfen mit Spießen nach ihm. Aber das Eisen drang nicht durch seine Schalen, und mit seinen Vorderfüßen zerbrach er die Speere. Da zerschmetterten sie ihn mit Felsstücken Die Stelle ist verdorben: »sie töteten ihn mit Gewalt.«. Als sie ihn ausnahmen, fanden sie in ihm sieben Perlen vom höchsten Wert; kein Mensch hatte jemals solche Perlen gesehen. Da schloß Alexander, daß diese auf dem Grunde des unbefahrbaren Meeres wüchsen. Nun ließ er einen großen eisernen Käfig bauen und in diesen ein großes Faß aus Glas einfügen von der Dicke von einer Spanne. Er befahl aber in dem Boden des Fasses eine Öffnung zu lassen, so groß, daß eine Menschenhand hindurchreichen könne. Denn er wollte erfahren, was auf dem Grunde des Meeres sei. Dazu wollte er hinabtauchen, während die Öffnung am Grunde des Fasses geschlossen war, drunten angekommen aber wollte er den Riegel wegschieben, mit der Hand durch die Öffnung hinausgreifen und das hereinholen, was sich auf dem untersten Grunde des Meeres fände, und dann die Öffnung wieder schließen. So tat er auch. Er befahl aber, ein Seil von 200 Klaftern anzubringen, und verbot, ihn heraufzuziehen, bevor dies nicht von unten gezogen werde. Nachdem alles angefertigt war, stieg Alexander in das gläserne Faß, um ein Ding zu unternehmen, das unmöglich war. Und als er drin war, wurde der Riegel vorgeschoben. Als er aber 120 Ellen tief herabgesunken war, kam ein großer Fisch, schlug mit dem Schwanz gegen den Käfig und veranlaßte so, daß man ihn wieder hinaufzog, da das Seil erschüttert wurde. Alexander aber befahl, ihn ein zweites Mal hinabzulassen. Aber es wiederholte sich das gleiche. Als er nun zum drittenmal ungefähr 200 Ellen hinabgestiegen war, sah er durch das Glas, daß er von einer Menge von Fischen umgeben war. Und siehe da, ein ungeheurer Fisch nahm den Käfig mitsamt dem Faß und dem Alexander in ihm in sein Maul und schwamm fort und brachte ihn eine Meile von seinen Schiffen entfernt ans Land. Es hielten aber 150 Leute auf vier Schiffen die Stricke, an denen der Käfig befestigt war. Diese alle mitsamt den Schiffen schleppte der Fisch hinter sich her. Mit dem Käfig im Maul fuhr er aufs Land hinauf, dann biß er den Käfig auf und schleuderte ihn auf den Strand. Der König Alexander aber kroch fast bewußtlos, zitternd und halbtot vor Schrecken heraus und dankte der göttlichen Vorsehung, daß sie ihn vor dem schändlichen Tier bewahrt habe. Dann aber sprach er zu sich selbst: »Höre auf, Alexander, Unmögliches zu versuchen. Sonst wirst du, in unerforschte Tiefen tauchend, dein eigenes Leben verlieren.« Und sofort befahl er, das Lager abzubrechen und weiter zu ziehen.
Brief Alexanders an seine Mutter Olympias
… Nun wollte ich mit einer großen Menge auserlesener Truppen das Land der Seligen aufsuchen. Aber mein Freund Kallisthenes riet mir, bloß vierzig treue Freunde, hundert Knaben und 1200 Soldaten mitzunehmen.
Nachdem wir 15 Meilen im Dunkel vorgedrungen waren, sahen wir einen Ort, an dem eine klare Quelle floß, deren Wasser leuchtete wie der Blitz. Die Luft dort war aber unendlich weich und wohlriechend. Ich war hungrig geworden und verlangte von meinem Koch, der Andreas hieß, er solle mir ein Mahl bereiten. Der nahm einen eingesalzenen Fisch und trug ihn zu der Quelle mit dem durchsichtigen Wasser, um ihn dort zu waschen. Kaum aber hatte er den Fisch ins Wasser getaucht, als dieser lebendig wurde und den Händen des Kochs entschlüpfte. Der Koch sagte niemand etwas davon, und es merkte es auch sonst keiner, da an dem Ort noch viele andere Quellen waren. –
Nun zogen wir wieder vorwärts, 30 Meilen weit, und der Himmel strahlte, ohne daß man Sonne, Mond und Sterne gesehen hätte. Und es erschienen uns zwei Vögel mit Menschenantlitz, die mir in hellenischer Sprache aus der Höhe so zuriefen: »Das Land, über das du wandelst, Alexander, gehört allein dem Gotte. Kehre um, Unseliger; das Land der Seligen zu betreten, ist dir nicht verliehen. Kehre um, o Mensch, und beschreite das Land, das dir zu betreten erlaubt ist, sonst wirst du dir Unheil zuziehn.« Da erschrak ich und schickte mich an, der Vogelstimme zu gehorchen. Der zweite Vogel aber rief: »Es ruft dich der Osten, Alexander, das Reich des Poros Der König von Indien, den Alexander 327 besiegte. soll dir als Sieger zufallen.« Und damit flog auch dieser Vogel weg. Ich aber betete zu der göttlichen Vorsehung und ließ den Soldaten verkünden: »Jeder soll mitnehmen von hier, was er will, Stein, Erde oder Holz.« Die einen taten so, den andern aber schien das eine törichte Rede. Und wieder sprach ich während des Marsches zu Philon: »Steig herab vom Pferd und nimm das auf, was deine Hand gerade findet«. Philon tat so und fand einen Stein, der ihm ganz gewöhnlich und unnütz erschien. Den nahm er mit. Und als wir durch ein Gehölz zogen, brachen sich auch viele Soldaten Zweige ab. Indem wir … immer dem Gestirn des Wagens folgten, fanden wir uns in 22 Tagen zurück. Und so waren wir diesem nächtlichen Lande entkommen.
Als wir nun aber wieder ins Reich des Lichts zurückgekehrt waren, da betrachteten die Soldaten, was sie aus dem Lande der Seligen mitgebracht hatten. Und es war alles Gold, Edelstein und Perlen. Da ärgerten sich diejenigen, die nichts mitgenommen hatten. Auch Philon zeigte mir seinen Stein, und er war ganz edelstes Gold. Nun erzählte auch der Koch, wie der Salzfisch lebendig geworden sei. Ich aber geriet in Zorn und befahl ihn gewaltig zu geißeln. Der aber sagte: »Was hilft dir, o Alexander, die Reue über Vergangenes?« Er sagte aber nicht, daß er von dem Wasser getrunken habe und daß er noch von dem Wasser aufbewahrte. Sondern der schlechte Koch ging zu einer Tochter von mir, die mir ein hunnisches Kebsweib geboren hatte und die die Schöne hieß. Die verführte er, indem er ihr von dem Wasser aus der Lebensquelle zu geben versprach. Und er gab es ihr auch. Als ich das erfuhr, mißgönnte ich ihnen die Unsterblichkeit. Ich ließ meine Tochter kommen und sagte ihr: »Nimm dein Gewand und ziehe von uns fort, denn du bist jetzt ein unsterblicher Dämon. Du sollst hier als Neraide Das neugriechische Wort für Fee. hausen.« Sie aber schied weinend und klagend von meinem Antlitz und zog zu den Dämonen in die Wüste. Dem Koch aber ließ ich einen Mühlstein um den Hals hängen und ihn ins Meer stürzen. Er aber ward zum Dämon und bewohnte fortan jenen Teil des Meeres, der nach ihm die Andreasbucht heißt. – Ich aber nahm aus diesem Wunderzeichen an, daß dort das Ende der Erde sei und ließ einen großen Torbogen erbauen. An dem ließ ich die Inschrift einmeißeln: »Geht rechts, wenn ihr zum Lande der Seligen gelangen wollt.«
Aus einer andern Fassung
Nun befahl Alexander, von den riesenhaften Vögeln jener Gegend zwei einzufangen. Diese waren sehr stark und gar nicht scheu, denn sie flohen nicht beim Anblick der Menschen. Einige Soldaten schwangen sich auch auf ihren Rücken, und die Vögel sprangen auf und trugen sie. Die Vögel nährten sich vom Fleisch wilder Tiere und kamen in Menge herbei wegen der gefallenen Pferde. Als Alexander zwei hatte fangen lassen, ließ er diese zwei Tage hungern. Am dritten Tage ließ er ein hölzernes Joch auf ihren Nacken befestigen. Dann stellte er sich auf die Mitte des Jochs und hielt seinen Speer vor sich, der eine Elle lang war. An seine Spitze aber hatte er eine Leber stecken lassen. Sogleich flogen die Vögel auf, um die Leber zu fressen, und mit ihnen erhob sich Alexander in die Luft. Er zitterte aber gewaltig wegen der kalten Luft, die von den Vögeln ausströmte. Sofort aber begegnete ihm wiederum ein Vogel mit Menschenantlitz und sprach zu ihm: »Alexander, du kennst die Erde nicht, wie kannst du es wagen, den Himmel erobern zu wollen? Kehre sofort auf die Erde zurück, sonst wirst du von diesen Vögeln zerrissen werden. Zuerst aber sieh einmal zur Erde hinab.« Und Alexander tat es mit Zittern und Zagen. Und siehe, er sah dort unten eine große Schlange, die im Kreis um eine Tenne herumlag. Und der Vogel sprach zu ihm: »Verstehst du, was das ist? Die Tenne ist der Kosmos, die Schlange aber das Meer, das die Erde umschließt.« Alexander befolgte nun den Rat der göttlichen Vorsehung, er landete aber einen Weg von acht Tagen von seinem Lager entfernt. … Und von da an versuchte er keine unmöglichen Dinge mehr …
Als sie aber den Rückmarsch antraten, erschienen dem Alexander Vögel mit Menschenantlitz und sprachen: »Wer den Weg zur Rechten einschlagen wird, der wird Wunderdinge sehn.« Nachdem Alexander einen ganzen Tag marschiert war, stieß er auf einen Teich, dessen Wasser aussah wie Honig. Dort ließ er das Heer lagern und ging selbst am Rand des Teiches einher. Da erblickte ihn aus dem durchsichtigen Wasser ein Fisch und schoß auf ihn zu. Alexander sprang rasch vom Teich weg, der Fisch aber schoß infolge des gewaltigen Schwungs aus dem Wasser heraus. Da drehte sich Alexander um und durchbohrte ihn mit dem Speer. Da er aber von wunderbarer Größe war, befahl er, ihn vor seinen Augen aufzuschneiden, damit er seine Eingeweide betrachten könne. Als dies geschah, leuchtete aus seinem Bauche ein Stein, so hell, daß alle glaubten, es wäre ein Fackellicht. Alexander ließ sich den Stein in Gold fassen und brauchte ihn nachts als Licht. In der Nacht aber stiegen Frauen aus dem Teich und gingen rings um das Lager herum und sangen ein liebliches Lied. Alle sahen sie und hörten den Gesang, dann aber verschwanden sie mit einemmal.
Mit Tagesanbruch zog Alexander seines Weges weiter und gelangte abends in eine ebene Gegend. Da zeigten sich ihm Wesen, die bis zum Nabel völlig Menschen glichen, von da ab waren sie Pferde. Sie waren sehr kriegerisch und trugen Bogen. Aber sie schossen nicht mit eisernen Pfeilen, sondern mit spitzen Steinen … Alexander fing durch List ungefähr 50 von ihnen und wollte sie in die von uns bewohnten Länder mitnehmen. Er brachte sie 22 Tage durch, da er aber ihre Lebensweise nicht kannte, starben alle. Von dort aus kamen sie in einem Marsch von 60 Tagen wieder in die von uns bewohnte Welt zurück. Und sie ruhten sich aus von ihren Mühen.
Nachdem Alexander den Inderkönig Poros im Zweikampf getötet hatte, ließ er ihn königlich bestatten, nahm alle Kostbarkeiten aus seinem Palast mit sich und zog weiter. Nun ging es nicht gegen kriegerische Völker, sondern zu den Brahmanen im Land der Oxydraker, den nackten Weisen, die in Hütten und Höhlen wohnten.
Als die Brahmanen erfuhren, daß Alexander zu ihnen komme, schickten sie ihre besten Philosophen ihm mit folgendem Schreiben entgegen. »Die Brahmanen, die nackten Philosophen, an Alexander, den Menschen. Wenn du uns bekriegen willst, so wird dir das wenig nützen, denn wir besitzen nichts, was man wegschleppen kann. Willst du aber das gewinnen, was wir besitzen, so bedarf es dazu keines Krieges, sondern der freundlichen Bitte. Denn wie du der Herr des Krieges bist, so sind wir die Herren der Weisheit.« Daraufhin nahte sich ihnen Alexander friedlich und fand sie, wie sie unbekleidet in Hütten und Höhlen wohnten. In weiter Entfernung von ihnen aber sah er ihre Frauen und Kinder wie Herden weiden.
Nun fragte Alexander sie folgendermaßen aus: »Ihr habt keine Gräber?« Sie antworteten: »Der Ort, an dem wir weilen, ist auch unser Grab. Denn wir begraben unsere Sorgen hier täglich im Schlafe auf der Erde, und wenn wir gestorben sind, werden wir unter der Erde den ewigen Schlaf schlafen.« Weiter fragte er: »Wer ist zahlreicher, die Lebenden oder die Toten?« Sie antworteten: »Die Toten sind zwar zahlreicher, aber sie kommen nicht in Betracht. Die man sieht, sind mehr als die man nicht sieht.« Dann fragte er weiter: »Was ist stärker, der Tod oder das Leben?« Sie antworteten: »Das Leben, denn die Sonne hat beim Aufgang stärkere Strahlen, beim Untergang scheint sie schwächer.« Er fragte weiter: »Was ist größer, die Erde oder das Meer?« Sie antworteten: »Die Erde. Denn das Meer wird von der Erde überdeckt.« Weiter fragte er: »Was ist das schlimmste aller Wesen?« »Der Mensch.« »Wieso?« »Das nimm von dir selbst ab. Denn du, selbst ein Tier, schau zu, wieviele Tiere du mit dir hast, damit du allein so viele andere Tiere ihrer Habe und des Lebens berauben mögest.« Er aber ward nicht zornig, sondern fragte lächelnd weiter: »Was ist Königsherrschaft?« »Habgier, ungerechte Macht, Kühnheit, die vom Glück begünstigt ward.« Er fragte weiter: »Was war früher, die Nacht oder der Tag?« »Die Nacht. Denn auch alles Geborene kommt aus dem Dunkel des Mutterleibs ans Licht.« »Wen können wir nicht täuschen?« »Gott, der alles weiß und alles sieht.« »Welche Seite ist die bessere, die linke oder die rechte?« »Die linke. Denn von links her geht die Sonne auf und wandelt dann nach rechts ihre Bahn am Himmel; von links her nahen wir uns auf dem Lager den Frauen; das Weib reicht dem Kinde zuerst die linke Brust; die Götterbilder tragen wir auf der linken Schulter, und auch die Könige tragen ihre Zepter in der Linken.« Als Alexander das gehört hatte, sprach er zu ihnen: »Verlangt von mir, was ihr wollt, und ich will es euch geben.« Da riefen sie alle miteinander: »Gib uns Unsterblichkeit!« Alexander aber sprach: »Darüber habe ich keine Macht, denn auch ich bin sterblich.« »Warum führst du dann so viele Kriege, um andern alles wegzunehmen? Mußt du es nicht selbst wieder andern hinterlassen?« Alexander sprach: »Das ist von der göttlichen Vorsehung so angeordnet, daß wir Diener ihrer Befehle sein müssen. Denn auch das Meer wird nicht erregt, wenn nicht der Wind stürmt, und der Baum schwankt nicht, wenn kein Luftzug geht. So handelt auch der Mensch nur durch den Willen der göttlichen Vorsehung. Ich möchte wohl aufhören, Krieg zu führen, aber der Herr meines Geistes läßt es nicht zu. Und wären wir alle eines Sinnes, so erschlaffte die ganze Welt, man beführe das Meer und bebaute das Land nicht, man heiratete nicht und zeugte keine Kinder. Wohl haben viele durch meine Kriege Unglück gehabt und das Ihre verloren, andere aber sind durch deren Gut glücklich geworden. Denn das ist das Gesetz des Lebens: wir alle streben nach der Habe anderer und geben die unsrige selbst andern preis. Denn einen festen Besitz hat keiner.«
Dann wollte Alexander dem Dandamis, dem Oberhaupt der Brahmanen, Geld, Kleider, Wein und Öl schenken. Dandamis aber sprach mit Lachen: »Das alles hat für uns keinen Wert. Aber damit wir dir nicht hochmütig erscheinen, wollen wir dein Öl nehmen.« Und er nahm's, errichtete einen Holzstoß, zündete den an und goß vor den Augen Alexanders das kostbare Öl ins Feuer.
Brief Alexanders an Aristoteles
König Alexander grüßt den Aristoteles. Ich muß dir von unsern wunderbaren Erlebnissen in Indien erzählen. Nachdem wir bis zu der Prasischen Stadt Damit ist hier das Reich des Poros gemeint. gelangt waren, die uns die Hauptstadt des ganzen indischen Landes zu sein schien, kamen wir an ein Vorgebirge. Ich ging mit einigen Begleitern hin es auszukundschaften, und wir stießen auf Menschen tierähnlicher Gestalt, die sich von Fischen nährten. Als ich sie anrief, antworteten sie in barbarischer Sprache, und als ich sie nach der Gegend ausfragte, zeigten sie auf eine Insel, die uns allen sichtbar mitten im Meere lag. Dort, sagten sie, sei das Grab eines Königs aus der Vorzeit mit vielen goldenen Weihgeschenken. Als wir nun hinüberzufahren wünschten, verschwanden die Barbaren plötzlich, ließen uns aber 12 kleine Fahrzeuge zurück. Pheidon, der wackerste meiner Freunde, Hephästion, Krateros und die andern wollten nicht dulden, daß ich hinüberfahre. Pheidon sprach: »Laß mich zuerst übersetzen, und wenn die Sache gefahrlos ist, schicke ich dir das Schiff zurück. Wenn ich zugrunde gehe, so wirst du neue Freunde finden; stieße aber dir ein Unglück zu, so wäre die ganze Welt unglücklich.« Ich gab nach, und hundert Mann setzten mit Pheidon hinüber. Als sie angelangt waren, zogen sie an einem hafenähnlichen Platz das Schiff ans Land. Nach ungefähr einer Stunde aber verschwand plötzlich die angebliche Insel, von der die heimtückischen Barbaren gesprochen hatten, mitsamt dem Grabmal und allen Menschen in den Fluten; denn es war ein Seeungeheuer, das nun in die Tiefe tauchte. Während wir laut aufschrien, gingen so der wackere Pheidon und alle seine Begleiter zugrunde. Erbittert ließ ich nach den Barbaren suchen, aber man fand sie nicht. Wir blieben acht Tage an diesem Vorgebirge, und nach einer Woche sahen wir das Tier wieder auftauchen, das diesmal Elefanten auf seinem Rücken zu tragen schien. Nach längerem Marsch kamen wir wieder in die Prasische Stadt zurück.
Von vielen andern Dingen, die des Studiums wohl wert sind, will ich dir noch berichten. Denn ich sah viel merkwürdige Orte und wunderbare Tiere. Das Wunderbarste aber ist, daß ich eine Sonnen- und eine Mondfinsternis erlebte und den Grund für den Wechsel der Jahreszeiten erkannte.
… Nachdem ich den Perserkönig Dareios besiegt hatte, zog ich vom kaspischen Paß aus weiter, um die Wunder der Welt kennen zu lernen. Nach der Mahlzeit um die zehnte Stunde ließ ich das Zeichen zum Aufbruch geben, und wir marschierten fünf Stunden bis zur dritten Nachtstunde. Dann waren sechs Stunden Ruhezeit, und mit Sonnenaufgang gab die Trompete das Zeichen zum Weitermarsch bis zur vierten Stunde. Die Ausrüstung der Soldaten war sehr sorgfältig ausgewählt. Sie trugen Schuhe, Beinschienen, Ledergamaschen und Panzer, denn die Einwohner hatten uns ermahnt, uns gegen die Schlangen zu schützen. Nachdem wir auf unbekannten Wegen zwölf Tage vorgerückt waren, kamen wir zu einer Stadt, die mitten im Fluß lag. Dort wuchsen Schilfrohre von 30 Ellen Höhe und 4 Ellen Umfang. Aus diesen waren die Dächer in der Stadt gemacht, und die Stadt selbst stand auf einem Gerüst von solchen Rohrstümpfen. Wir schlugen um die dritte Tagesstunde am Flusse ein Lager, fanden aber sein Wasser bitterer als Nießwurz. Als nun einige Leute nach der Stadt, die nur vier Stadien [700 m] entfernt zu sein schien, hinüber schwimmen wollten, tauchten Flußpferde auf und fielen sie an. Als wir an einer andern Stelle dasselbe versuchten, trat uns eine noch größere Herde dieser Tiere entgegen. So blieb uns nur übrig abzuziehen, ich gab das Zeichen zum Aufbruch und ließ von der sechsten bis zur elften Stunde marschieren. Da das Wasser gänzlich fehlte, war die Not so groß, daß ich Soldaten sah, die ihren eigenen Urin tranken. Durch ein glückliches Geschick kamen wir endlich zu einem waldumkränzten See, dessen Wasser uns süßer dünkte als Honig. Dort fanden wir auf einem Vorgebirge eine Steinsäule mit der Inschrift: »Ich, der Weltbeherrscher Sesonchosis, habe diesen Wasserbehälter erbaut für diejenigen, die das rote Meer befahren.« Dort befahl ich, das Lager aufzuschlagen und zahlreiche Feuer anzuzünden.
Um die dritte Nachtstunde, als der helleuchtende Mond hoch am Himmel stand, kamen die gesamten Tiere des Waldes zu diesem See zur Tränke. Da kamen ellenlange Skorpione und weiße und rote Sandvipern, mit denen schwer zu kämpfen war. Als schon einige von uns tot waren und überall Wehklagen und ungewöhnliches Jammern erscholl, kamen auch die Vierfüßler zur Tränke. Da sah man Löwen, größer als bei uns die Stiere, Nashörner, Wildschweine, die noch größer waren als die Löwen – allein die Zähne waren ellenlang –, Luchse, Panther und Tiger, Tiere mit Skorpionschwänzen, Elefanten, Ochsenwidder und Stierelefanten, Menschen mit sechs Händen, mit Riemenfüßen und Hundeschwänzen und viele andere Mißgestalten. Der Kampf ruhte keinen Augenblick, und wir hielten uns wie die Heroen. Wir kämpften mit den Schwertern und mit Feuerbränden, und schließlich ließ ich den ganzen Wald in Brand stecken. Aber die Tiere wichen erst, als in der sechsten Nachtstunde der Mond unterging. Vorher jedoch erschien noch jenes Ungeheuer, das der König dieser Untiere sein soll und Odontotyrannos [Zahnkönig] heißt. Es hat die Gestalt eines Elefanten, ist aber viel größer und wilder. Ich ermunterte die Soldaten zum Widerstand, aber das einhörnige Ungeheuer stürzte sich in unser Lager und tötete 26 Mann, bis es schließlich von allen Seiten mit Feuerbränden umzingelt und niedergemacht wurde. 300 Mann waren kaum imstande, die Leiche wegzuschaffen. Nach dem Monduntergang verschwanden diese Tiere; nun aber erschienen aus dem Sande heraus Fuchsameisen von 8-10 Ellen Länge, Krokodile kamen aus dem Wald und stürzten sich auf unsere Zugtiere, auch Fledermäuse, größer als Tauben und mit scharfen Zähnen, die den Unvorsichtigen Nasen, Ohren und Finger zerbissen. Erst mit dem Ende der Nacht verschwanden auch diese Tiere. Die indischen Führer, die uns sicheres Geleit versprochen und in solches Unglück gebracht hatten, fünfzig an Zahl, ließ ich verdientermaßen ertränken.
Nachdem wir all dies Neue erlebt hatten, kehrten wir auf dem gewöhnlichen Wege durch die Wüste in die Prasische Stadt zurück. Auf diesem kamen wir in eine fruchtbare Gegend, in der ich meinen Leuten eine fünftägige Rast vergönnte. Am sechsten zogen wir weiter und erlebten – es war am dritten Tage im Monat Dios Der erste Monat des makedonischen Jahres. – folgendes Schauspiel. Es brach plötzlich ein so gewaltiger Sturmwind aus, daß er nicht nur die Zelte, sondern auch die Menschen, die aufrecht standen, zu Boden schleuderte. Während wir die Zelte wieder aufrichteten, kam eine so finstere Wolke, daß wir einander nicht mehr sahen. Dann türmte sich in einer Entfernung von zehn Stadien dunkles Gewölk auf, aus dem fortwährend Feuer blitzte, bis alles in Feuer stand. Das dauerte ununterbrochen drei Tage, und fünf Tage sahen wir die Sonne nicht. Dabei schneite es so stark, daß Leute, die sich in das Freie wagten, aufrecht verschüttet wurden; wir fanden nachher mehr als siebzig Tote im Schnee. Als die Sonne wieder erschien, zeigte es sich, daß wir viel Mannschaft und Habe – fast unsre ganze Beute – verloren hatten, und wir konnten lange nicht weiterziehen, da der Schnee drei Ellen tief lag. Schließlich gelangten wir doch in fünf Tagen in die Stadt zurück.
… Nun sagten mir einige Inder: »König Alexander, wir können dir ein Wunder zeigen, das deiner würdig ist, nämlich Bäume, die mit menschlicher Sprache reden.« Ich hielt das erst für widernatürlich und unmöglich und glaubte ihnen nicht. Als sie aber darauf beharrten, folgte ich ihnen, und nach einem Marsch von zwölf Tagen gelangten wir an einen Ort, der, wie sie sagten, nach Osten hin die Grenze der Südseite der bewohnten Welt sei; jenseits von ihm liege nur eine Wüste mit wilden Tieren. Dort führten sie uns in einen Park, der nicht durch Mauern, sondern durch Baumpflanzungen umgrenzt war. In der Mitte war ein Heiligtum der Sonne und des Mondes. Dort standen auch die beiden Bäume, die fast bis zum Himmel reichten und an Gestalt unsern Zypressen ähnlich waren. Der Name des männlichen Baumes war Sonne oder in ihrer Sprache Mithra, der des weiblichen Mond oder, wie sie sagten, Mao »Wohl der Name des iranischen Mondgottes, der altbaktrisch Mâr hieß und noch auf den Münzen des indoskythischen Reichs genannt wird. Nach griechischer Auffassung ist die Mondgottheit hier weiblich gedacht« (Ausfeld).. Sie waren mit Fellen von Tieren umhängt, der männliche mit den Fellen männlicher Tiere, der weibliche mit denen weiblicher. Das waren die wertvollsten Dinge, die sie ihnen darbringen konnten, denn sie kennen weder Eisen und Erz noch auch Weberei und Töpferei. Als ich mich nun nach dem Geheimnis der Bäume erkundigte, sagten sie: »Wenn die Sonne aufgeht, wenn sie mitten am Himmel steht und wenn sie untergeht, spricht ihr Baum, und ebenso ist es mit dem Monde.« Und diejenigen, die die Priester zu sein schienen, sprachen zu mir: »Wenn du rein bist, so tritt ein und bete an, so wird dir ein Orakel zuteil werden.« Ich nahm mit mir zehn meiner Freunde, den Parmenio, den Krateros, den Iollas, den Philippos, den Machates, den Thrasyleon, den Machaon, den Theodektes, den Diphilos und den Neokles. Der Priester aber sprach: »O König, es ziemt sich nicht, Eisen in das Heiligtum zu bringen.« Da befahl ich ihnen, die Schwerter vorher abzulegen. Es folgten mir aber auch dreihundert Soldaten, und ich ließ alles durchsuchen, ob irgendwo ein Betrug vorläge, aber es fand sich nichts. Dann rief ich einen der Inder, die uns dorthin geleitet hatten, zu mir, damit er mir den Spruch übersetze, und ich sagte ihm: »Ich schwöre bei Zeus, Ammon, Athena und allen Göttern, die den Sieg verleihen, daß ich, wenn ich bei Sonnenuntergang kein Orakel höre, euch alle verbrennen werde.« Bei Sonnenuntergang aber ertönten indische Worte aus dem Baume. Ich befahl dem Inder, sie mir zu übersetzen, aber er geriet in Angst und wollte nicht. Als ich ihn aber beiseite führte und mit dem Tod bedrohte, da übersetzte er den Spruch also: »Du wirst bald von den Deinen getötet werden.« Da erschrak ich und alle, die bei mir standen. Nun wollte ich bei Aufgang des Mondes von dem andern Baum ein Orakel haben und befragte ihn, ob ich nicht meine Mutter und meine wahren Freunde noch einmal begrüßen würde. Da redete bei Mondaufgang der Baum in griechischer Sprache also: »König Alexander, du mußt in Babylon sterben. Du wirst von den Deinen getötet werden und wirst nicht zu deiner Mutter zurückkehren können.« Da wunderten ich und alle meine Begleiter uns sehr, und ich wollte den Göttern schöne Kränze weihen. Doch der Priester sagte: »Das ist nicht erlaubt. Aber wenn du darauf bestehst, magst du es tun. Denn für einen König gibt es kein Gesetz.« Da ich nun sehr traurig war, baten mich Parmenio und Philippos, ich sollte mich zur Ruhe legen. Aber ich wollte nicht, sondern blieb wach und begab mich um die Morgendämmerung mit den zehn Freunden, dem Priester und den Indern wieder zu dem Heiligtum. Dort entließ ich die andern und ging mit dem Priester hinein. Ich legte die Hand auf den Sonnenbaum und sprach: »Wenn die Jahre meines Lebens erfüllt sind, so begehre ich folgendes von euch zu wissen. Werde ich nach Makedonien zurückkehren und dort sterben, nachdem ich Mutter und Weib noch einmal begrüßt habe?« Gleichzeitig ging die Sonne auf, und die ersten Strahlen vergoldeten den Gipfel des Baums. Da ließ sich deutlich folgende Stimme vernehmen: »Die Jahre deines Lebens sind erfüllt, du wirst nicht zu deiner Mutter zurückkehren, denn du mußt in Babylon sterben. Kurz nach dir aber werden deine Mutter und dein Weib den traurigsten Tod finden durch die Hand ihrer eigenen Leute und ebenso deine Schwestern Das traf bekanntlich zu.. Und nun frage nichts mehr hierüber, denn du wirst keine Antwort erhalten.« So brach ich denn um die erste Morgenstunde auf und kam in fünfzehn Tagen wieder nach der Prasischen Stadt.
Von hier aus ziehe ich in Eile nach der Königsburg der Semiramis. Es schien mir notwendig, dir dieses zu berichten. Lebe wohl!
Anmerkungen eingearbeitet. joe_ebc für Gutenberg.
Verzeichnis der Abbildungen als Bilduntertitel eingearbeitet. Re. für Gutenberg