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Während Herr Dr. Thorn an seinem Lebensabend mit mancherlei Unannehmlichkeiten zu kämpfen hatte, gestalteten sich die Verhältnisse seines Bruders recht angenehm. Mit Eugen war eine äußerst vorteilhafte Veränderung vorgegangen. Er hatte auf einmal sehr viel Gefallen an der Wissenschaft, die er früher mit vielem Fleiß gemieden hatte, gefunden. Er war ein in jeder Beziehung tadelloser Schüler geworden, und wenn Herr Thorn behufs Nachfrage des Sohnes im Gymnasium erschien, so hörte er stets die glänzendsten Urteile über seinen Nachkommen.
»Er gerät mir nach«, sagte er dann mit stolzer Miene; auch ich war am Gymnasium einer der hervorragendsten Schüler!«
Er hatte das auch seinem Sohne gegenüber öfter ausgesprochen. Als aber Eugen darauf bestand, doch einmal die Zeugnisse des Herrn Papa zu sehen, wich dieser in weitem Bogen aus, indem er erklärte, daß ihm sämtliche Semester- und Jahreszeugnisse abhanden gekommen seien.
»Und dein Maturazeugnis mußt du doch haben«, fragte sich der hartnäckige Sohn an.
»Mein Maturazeugnis, das werde ich wohl noch haben, aber es liegt unter einem Wust von Schriften«, verteidigte sich der angegriffene Herr Papa.
»Ich werd es einmal heraussuchen«, versprach die Mama.
Auch die Mama war in diesen Zeiten zumeist in weit besserer Laune als sonst, wozu sehr viel der Umstand beitrug, daß Fräulein Lise in ihrem Amte eine monatliche Aufbesserung um dreißig Kronen zuteil geworden war. Diese Aufbesserung war ganz unvermutet gekommen, und als Herr Thorn sich zu dem Bankdirektor begab, um ihm seinen Dank auszusprechen, ward ihm eine tiefe Demütigung zuteil. Der Herr Bankdirektor erkundigte sich in den wärmsten Worten um das Befinden des Herrn Dr. Thorn und teilte mit, daß es ihm ein großes Vergnügen gewesen sei, die Bitte dieses von ihm hochgeschätzten Herrn zu erfüllen und dem Fräulein die von ihm erbetene Bezugsvergrößerung zu bewilligen, wozu übrigens der Fleiß und die berufliche Hingabe der Bedachten die gesetzliche Grundlage abgegeben habe.
»Wir werden das Fräulein wohl nicht lange als Kollegin begrüßen können«, sagte der Bankdirektor; »sie wird sich bald einen anderen Beruf wählen, zu dem Beruf als Maschin- und Rechenfräulein ist sie zu hübsch.«
»Ja, es liegen Anträge vor«, sagte Herr Thorn in seiner pathetischen Weise, »aber es ist noch Zeit, sich die Sache zu überlegen!«
Er tat so, als wäre er daran, sich zu überlegen, irgendeinen bedeutenden Wertgegenstand zu den möglichst günstigen Bedingungen zu verkaufen.
»Wenn Sie Herrn Dr. Thorn schreiben, bitte ihm von mir einen Gruß auszurichten. Wenn es mir im nächsten Frühjahr nur halbwegs möglich ist, werde ich ihn auf seiner Besitzung besuchen. Ich habe erst unlängst wieder einen Bericht über neue wertvolle Bereicherungen seines Museums gelesen ...« erklärte der Herr Direktor dem glücklichen Vater, ohne zu bedenken, wie sehr er durch solche Lobeshymnen das Herz des Bruders verletze. »Und dann muß ich Ihnen auch sagen, es ist einem immer eine Herzensfreude, mit dem Manne beisammen zu sein; das ist einer von jenen wenigen, die das Talent zum Glück haben, es wird einem selber so froh und leicht ums Herz, wenn man mit ihm plaudert. Ich glaube, das muß schon ein recht böser, verdorbener Mensch sein, der Herrn Dr. Thorn nicht gut sein kann!«
Herr Thorn war schon nahe daran gewesen, den Bankdirektor über den wahren Charakter seines Bruders aufzuklären, aber die Rede des gewaltigen Mannes zeigte ihm, daß er da sehr vorsichtig sein müsse. Er versprach, in seinem nächsten Briefe die hochehrenden Grüße bestimmt auszurichten!
Mißvergnügt stieg er die blanken Marmorstufen des Bankgebäudes hinab.
»Also der Onkel gilt hier in diesem korrupten Institut mehr als selbst der Vater«, knurrte der alte Neidhammel; »es ist ein verhängnisvolles Schicksal, daß mir gerade gegenüber diesem Menschen die Hände gebunden sind!«
Er war ganz böse, als er nach Hause kam.
»Weißt du, wem also Lise die Gehaltsaufbesserung zu verdanken hat?« sagte er schmerzbewegt, während er im Vorzimmer den Winterrock auszog, zu Frau Charlotte.
»Nun, wem denn?« fragte sie begierig.
»Du kannst dir's wohl denken«, antwortete der Gemahl mit böser Miene, »meinem Bruder, der keine Gelegenheit vorübergehen läßt, um mich zu demütigen!«
»Johann ...!« klang scharf und drohend die Stimme Charlottens.
»Nun ... hab ich nicht recht!«
»Daß ich im Kreise der eigenen: Familie immer verkannt werde, das ist mein Schicksal; wenn ich einmal nicht mehr sein werde, dann werdet ihr erkennen, was ich euch gewesen bin, dann wurdet ihr froh sein, mich mit eueren: Fingern aus der Erde kratzen zu können.«
Frau Charlotte fragte ihn zuerst, ob er jetzt gänzlich verrückt geworden sei, und empfahl ihm dann dringendst das Maul zu halten, da Herr Breuer mit Eugen drinnen sitze.
Auf diese Nachricht hin veränderte Herr Thorn mit großer Geschicklichkeit sofort seinen Gesichtsausdruck und trat, die allerliebenswürdigste Miene von der Welt zeigend, in das Speisezimmer.
»Ich traf Eugen vor dem Schulhaus. Es ist wirklich eine Ehre, mit dem jungen Herrn Gelehrten zu gehen«, begann Herr Breuer, »sein Mathematikprofessor sprach mich an – er glaubte, ich sei der Vater – und erzählte mir, daß der Junge geradezu ein Phänomen sei, die Gleichung x hoch x ist gleich x hat er mit verblüffender Schnelligkeit gelöst, lange vorher, bevor die anderen jungen Herren die Aufgabe nur angeschrieben hatten. Er stellte ihm das glänzendste Prognostikon für die Zukunft. Ich bedauerte, nicht der Vater dieses Genies zu sein, und begleitete Eugen nach Hause.«
»Ich komme gerade aus der Bank«, sagte Thorn mit einer Miene, als ob er dort Tausende erliegen hätte. »Lise entwickelt dort eine derart hervorragende Tätigkeit, daß das Direktorium ihr aus diesem Grunde die Erhöhung ihrer Bezüge bewilligt hat. Mir ist das sehr angenehm, denn ich verachte jede Protektion; meine Kinder müssen sich im Leben alle Erfolge durch eigene Kraft – und nur aus; eigener Kraft allein erringen!«