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Heute ist im Sudan alles anders geworden, eine Eisenbahn führt vom Nildelta nach Chartum und eine andere vom Roten Meer nach Berber. Chartum besitzt nun Schulen, Krankenhäuser, Kirchen und andere öffentliche Gebäude, und die Dampfer auf dem Weißen Nil gehen gefahrlos bis zu den großen Seen. Gordons Plan, den Viktoria-Njansa mit Mombasa an der Küste zu verbinden, ist verwirklicht, und eine Eisenbahnlinie durchschneidet Britisch-Ostafrika. Kurz, die Weißen sind von allen Seiten immer tiefer in den Weltteil der Schwarzen eingedrungen und haben sich zu Herren über fast ganz Afrika gemacht. Der Tierbestand dieses Erdteils ist dadurch vielfach beeinträchtigt worden, und durch den Übereifer der Jäger ist das jagdbare Wild in einigen Gegenden vollständig verschwunden; es hat unzugängliche Gebiete aufgesucht, wo es einstweilen noch in ungestörter Ruhe leben kann.
In der Sahara, in der Libyschen Wüste, auf den offenen Grassteppen am oberen Nil, auf den Steppen Südafrikas und überall, wo offenes und freies Terrain ist, lebt einer der schönsten und interessantesten Repräsentanten der afrikanischen Tierwelt, der Vogel Strauß. Obgleich er seiner kostbaren Federn wegen seit Jahrtausenden verfolgt wird, kommt er noch in großer Anzahl vor. In den schlimmsten Wüstengegenden hält er sich jedoch nicht auf, er durchkreuzt sie nur, wenn er muß; er bleibt nur da, wo er Wasser in der Nähe hat.
Dieser sonderbare Vogel wird zweiundeinhalb Meter hoch und wiegt in ausgewachsenem Zustand bis zu fünfundsiebzig Kilogramm. Sein langer nackter Hals trägt einen kleinen platten Kopf mit großen glänzenden Augen; die hohen Beine ruhen auf nur zwei Zehen. Die Flügel, an denen die wertvollen Federn sitzen, sind so klein, daß er sich nicht über den Erdboden erheben kann; dafür aber besitzt er eine schwindelerregende Schnelligkeit und läßt Pferd und Reiter weit hinter sich zurück.
Die Strauße leben in kleinen Scharen zu fünf oder sechs zusammen. Den Vormittag benutzen sie, um sich den Magen mit Pflanzen, aber auch kleinen Tieren und Insekten zu füllen. Dann ruhen sie oder spielen miteinander, wobei sie im Kreise über den Sand laufen, ohne Rücksicht auf Sonnenglut und erhitzten Boden. Dann trinken sie, und am Nachmittag gehen sie wieder auf Nahrung aus. Abends suchen sie ihr Lager auf.
Das Gesicht ist der schärfste Sinn des Straußes, aber auch sein Geruch und sein Gehör sind ungemein fein. Wenn er Gefahr wittert, flieht er mit flatternden Flügeln und nimmt drei bis vier Meter lange Schritte. Er ist stets sorgsam auf seiner Hut, so daß das Zebra gern in seiner Nähe weilt, um durch seine Wachsamkeit Schutz zu haben.
Die Jagd auf Strauße wird von den Arabern in Nordafrika seit alten Zeiten mit schnellen Pferden oder mit Renndromedaren ausgeführt. Zwei oder drei Reiter verfolgen ein Männchen, das nach einstündigem Laufe endlich erschöpft ist. Zwar ermüden auch die Pferde bei solcher Jagd. Aber einer der Reiter zwingt seinen Renner zu einer letzten Anstrengung, überholt schließlich den Strauß und schlägt ihn im Vorbeireiten auf den Kopf, so daß der Vogel tot niederstürzt. Dann springen die Jäger vom Pferde, häuten ihre Beute ab, kehren die Haut um, so daß sie einen Sack für die empfindlichen Federn bildet, und reiten dann wieder nach ihren Zelten zurück.
Die Federn des wilden Straußes sind bei weitem schöner und wertvoller als die des zahmen. Ein ausgewachsener Strauß hat nur vierzehn der größten weißen Federn.
Die Weibchen legen ihre riesigen Eier in eine flache Vertiefung des Sand- oder Tonbodens, und merkwürdigerweise brütet das Männchen sie aus. Bei Tage verlassen sie das Nest auf Stunden, decken es aber mit Sand zu. Schon nach anderthalb Monaten verlassen die Jungen ihr Gefängnis und zeigen sich in der Wüste. Dann sind sie schon so groß wie Hähne, aber ein Straußenei wiegt auch so viel wie vierundzwanzig Hühnereier und mißt in seinem längsten Durchschnitt fünfzehn Zentimeter.
Bewundernswert ist der Appetit des Straußes. Es gibt fast nichts, das sein Magen verschmähte. Der große Tierkenner Brehm, der auf seinem Tierhof zahme Strauße zog, erzählt, daß sie Ratten und Kücken verzehren, kleine Steine und Ziegelsteine verschlucken, und zweimal verschwand Brehms Schlüsselbund im Magen eines seiner Strauße. In einem solchen Straußenmagen fand man einmal vier Kilogramm »Diverses«, nämlich Steine, Lumpen, Metallstücke, Münzen, Schlüssel usw. Ein zahmer Pavian auf Brehms Hofe lebte mit allen Tieren dort in Feindschaft. Nur mit den Straußen vertrug er sich. Aber auch diese Freundschaft ging schließlich zu Ende, denn wenn sich der Pavian auf der Hofmauer sonnte und seinen Schwanz herabhängen ließ, kam jedesmal einer der Strauße, der seiner Gewohnheit nach alles, was er sah, auf seine Eßbarkeit probieren wollte, um nach dem empfindlichen Anhängsel zu schnappen. Der Affe geriet dann natürlich in Wut und fiel über den Strauß her, wobei es niemals ohne Kratzwunden und ausgerissene Federn abging.
Man sagt, der Strauß sei das dümmste aller Tiere. Einige Zoologen sind nicht dieser Ansicht. Der deutsche Forschungsreisende Schillings, den die nachts mit Blitzlicht aufgenommenen Photographien wilder Tiere berühmt gemacht haben, folgte einmal stundenlang der Fährte einiger Löwen; die Spur führte ihn plötzlich an einem Straußennest vorüber, in dem sich eben ausgebrütete Junge befanden. Gleichwohl waren die Eltern nicht sichtbar, und merkwürdigerweise hatten die Löwen den wehrlosen kleinen Geschöpfen nichts zuleide getan. Bald aber fand er eine Erklärung für diese ungewöhnliche Erscheinung: die alten Strauße, die in der mondhellen Nacht die Gefahr rechtzeitig gemerkt hatten, waren beim Herannahen der Löwen aufgesprungen, um sie vom Nest fortzulocken. Die List war ihnen auch gelungen, die Spur ergab deutlich, daß die Löwen die fliehenden Strauße verfolgt hatten und so immer weiter von dem Neste fortgejagt waren. Als dann das Straußenelternpaar meinte, die Feinde weit genug abgelenkt zu haben, kehrte es auf Umwegen wieder zu seinen Jungen zurück.