Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Von Kalkutta aus führt die Eisenbahn südwestwärts durch die indische Halbinsel. Aber ehe wir nach Bombay gelangen, unterbrechen wir die Reise in Haidarabad. In der Nähe dieser Stadt wohnt ein alter Freund von mir, ein englischer Oberst, in einem mit luftigen Veranden umgebenen Haus mitten in einem üppigen Park. Am Abend fragt er mich, ob ich lieber im Haus oder in einem mit Bretterfußboden versehenen Zelt im Park schlafen wolle, und als ich mich für das letztere entscheide, bittet er mich, vor dem Schlafengehen ja gründlich nachzusehen, ob sich nicht eine Kobra eingeschlichen oder gar in meinem Bett aufgerollt habe, denn im Park seien viele Brillenschlangen, und man könne nicht vorsichtig genug sein! Angenehme Nachbarschaft!
Die Kobra ist Indiens giftigste Schlange. Sie kommt dort überall ziemlich häufig vor; ebenso in Hinterindien, in Südchina, auf den Sundainseln und auf Ceylon. Sie ist bald gelblich mit einem Stich ins Bläuliche, bald braun und auf dem Bauche schmutzig weiß, und anderthalb Meter lang. Wenn sie gereizt wird, hebt sie den Vorderteil des Körpers wie einen Schwanenhals empor und breitet die acht vorderen Rippenpaare so weit aus, daß unterhalb des Kopfes eine schirmartige Anschwellung entsteht; auf deren Rückseite zeigt sich eine gelbe Zeichnung, die an eine Brille erinnert. Der übrige Körper ist zusammengerollt und verleiht ihr den nötigen Halt, wenn sie mit dem Oberleib hin und her schwankt, bereit, blitzschnell ihren giftigen Biß auszuteilen.
Die Kobra lebt überall, wo sie eine geschützte Höhle findet, in altem Gemäuer, Stein- und Holzhaufen, unter Baumwurzeln oder in abgestorbenen Baumstämmen, und sie meidet auch Menschenwohnungen nicht. Oft kann man sie schläfrig und regungslos zusammengerollt vor ihrer Höhle liegen sehen. Nähert man sich, dann gleitet sie lautlos und schnell in ihre Höhle hinein; wird sie angegriffen, dann verteidigt sie sich mit einer Waffe, die ebenso gefährlich ist wie ein geladener Revolver. Sie ist eine Tag- oder vielmehr Dämmerungsschlange, meidet aber Sonnenbrand und Hitze und geht erst nach Sonnenuntergang im dichten Gestrüpp der Dschungeln auf die Jagd nach Eidechsen, Fröschen, Vögeln, Mäusen und anderen kleinen Tieren. Sie erklettert Bäume und schwimmt über große Bäche. Selbst ein an der Küste ankerndes Schiff ist vor ihr nicht sicher; sie schwimmt hinaus und klettert an der Ankerkette in die Höhe. Das Weibchen legt zwanzig längliche Eier, so groß wie Taubeneier, aber mit weicher Schale. Männchen und Weibchen sollen sehr aneinander hängen; ist eines von beiden getötet worden, zeigt sich das andere bald darauf an derselben Stelle.
Die Hindus sehen in der Brillenschlange einen Gott; viele würden sich daher nie überwinden können, sie zu töten. Kriecht die Schlange in eine Hütte hinein, dann setzt ihr der Besitzer Milch hin und schützt sie in jeder Weise, denn wo sie gastfreundlich behandelt wird, bringt sie, heißt es, Glück und Wohlstand. Oft wird die Schlange dann fast zahm, und wenn sie merkt, daß man sie in Frieden läßt, tut sie ihrem Wirt auch nichts zuleide. Hat sie aber doch einen Bewohner der Hütte durch ihren Biß getötet, dann wird sie eingefangen, weit fortgetragen und wieder freigelassen. Denn tötet man sie, dann muß der Gebissene auch sterben. Ein Schlangenbändiger, der eine Kobra tötet, verliert auf immer seine Macht über die Schlangen. So ist es begreiflich, daß sich das Reptil über Gebühr vermehrt. Alljährlich sterben in Indien etwa 20 000 Menschen an Schlangenbissen!
Das Gift der Kobra sammelt sich in Drüsen und wird durch die Giftzähne herausgepreßt, sobald diese die Haut eines Menschen oder Tieres durchdringen. Seine Wirkung ist entsetzlich. Ist ein größeres Blutgefäß getroffen, dann ist ein schneller Tod unvermeidlich. Sonst stirbt der Gebissene erst nach mehreren Stunden, doch kann er durch sofortige ärztliche Behandlung gerettet werden. Die Wirkung des Bisses kann schwächer sein, wenn die Schlange schon kurz vorher gebissen hat, das zweite Opfer wird vielleicht nur heftig erkranken, ein drittes von dem Gift kaum angegriffen werden; denn der Inhalt der Giftdrüsen erschöpft sich allmählich, ergänzt sich aber auch wieder sehr schnell. Ein von der Kobra Gebissener wird eiskalt und verliert alle Lebenszeichen; Atem und Puls sind unmerkbar, Sehfähigkeit, Gefühl und Schlingvermögen schwinden. Ist sachkundige Hilfe zur Stelle, was in den Dschungeln Indiens natürlich nur selten der Fall ist, dann bleibt der Kranke etwa noch zehn Tage sehr matt; erst dann tritt langsam Besserung ein. Liegt er achtundvierzig Stunden wie tot da, ohne jedoch zu sterben, so kann man hoffen, daß der Körper die Wirkung des Giftes überwindet.
Zu den seltsamsten Menschen in Indien gehören die Schlangenbändiger, und man weiß noch immer nicht recht, was es mit ihnen auf sich hat. Einige sehen aus, als ob sie sich selber vor den Schlangen, die sie vorzeigen, fürchteten, andere behandeln diese Tiere mit unbeschreiblicher Todesverachtung. Einige Vorsichtige ziehen ihnen die Giftzähne aus, andere lassen sie ruhig sitzen, und dann kommt es auf ihre Gewandtheit und Schnelligkeit an, dem Biß der Schlange auszuweichen. Oft genug aber werden die Bändiger von ihren eigenen Schlangen getötet.
Man glaubte früher, der Schlangenbändiger locke durch die einschläfernden Töne seiner Flöte die Schlange aus den Schlupfwinkeln hervor und bringe sie dazu, nach seiner Pfeife zu tanzen. In Wirklichkeit ist der Vorgang viel einfacher. Wenn die Schlange sich aufrichtet und mit dem Oberleib hin und her schwankt, hält ihr der Bändiger einen harten Gegenstand hin, etwa einen Ziegelstein. Die Schlange beißt zu, tut sich aber nur selber weh. Hat sich das mehrmals wiederholt, dann unterläßt sie das Beißen. Der Bändiger kann nun mit der Hand über den Kopf der Schlange hinfahren ohne gebissen zu werden. Doch behält das Tier, immer noch gereizt, seine Verteidigungsstellung und wiegt den Oberkörper hin und her. Das sieht so aus, als ob es nach den Tönen der Flöte tanze.
Es gibt indessen auch unerschrockene Schlangenbändiger, die durch Musik und Handbewegungen eine gewisse Herrschaft über die Kobra auszuüben scheinen, als ob sie sie zu einer Art hypnotischen Schlafes zwängen. Der Bändiger läßt sich auf einem Hofe nieder, wo ihn die Schaulustigen in gebührender Entfernung umringen. Er stellt den runden, flachen Korb mit der Brillenschlange auf die Erde und nimmt den Deckel ab. Dann reizt er die Schlange, bis sie ihren Oberleib aufrichtet und ihren Brillenschirm aufspannt. Unausgesetzt spielt seine eine Hand auf der Flöte, mit der anderen macht er einschläfernde Bewegungen, bis die Schlange allmählich ruhig wird. Dann kann er mit ihrem Kopf über sein Gesicht hinfahren und seine Lippen auf die Stirnschilder der Schlange drücken. Plötzlich weicht er dann mit blitzschneller Bewegung seitwärts aus, denn eben erwacht sie wieder aus ihrer Erstarrung. Die geringste Muskelspannung, schon der Augenausdruck der Kobra genügt, um den Bändiger erkennen zu lassen, wenn der gefährliche Augenblick da ist. Keine Sekunde darf der Bändiger den Blick von ihr lassen, und ebenso fixiert auch die Schlange ihn unausgesetzt; es ist wie ein Zweikampf, wo jeder Ausfall des Gegners den Tod bringen kann, wenn er nicht im rechten Augenblick pariert wird. Ein geschickter Schlangenbändiger soll mit einer eben eingefangenen Schlange ebenso leicht umgehen können wie mit einer schon gezähmten. Natürlich erfordert dieses Spiel großen Mut und stete Geistesgegenwart.
Auch die Geschicklichkeit der Schlangenbändiger beim Fang der Kobra wird vielfach bewundert. Doch ist das ein Taschenspielerkunststück, bei dem alles auf Fingerfertigkeit und Schnelligkeit ankommt. Der Schlangenfänger packt das Tier mit der bloßen linken Hand am Schwanz, die rechte läßt er blitzschnell am Leibe der Schlange hinaufgleiten und hält nun die Schlange zwischen Daumen und Zeigefinger wie in einem Schraubstock fest. Vermutlich ist der eigentliche Kniff dabei, daß er der Schlange mit der linken Hand ihren festen Halt raubt und Wellenbewegungen ausführt, welche die der Schlange aufheben. Die Schlangenbändiger gehen immer zu zweien oder mehreren auf Fang aus. Einer trägt die Heilmittel gegen den Schlangenbiß. Das gebissene Glied wird oberhalb der Wunde abgeschnürt und das Gift ausgesogen. Dann wird ein kleiner schwarzer Stein in der Größe einer Mandel auf die Wunde gelegt; er saugt ebenfalls Blut auf und wenigstens etwas auch von dem Gift. Er klebt an der Wunde fest und fällt erst ab, wenn er seine Arbeit getan hat.
Ein besonderes Schauspiel ist der Kampf zwischen einer Schlange und einem Mungo oder Rikki-Tikki. Der Mungo ist ein kleines Raubtier aus der Familie der Schleichkatzen und der Todfeind der Kobra. Er ist kaum so groß wie eine Katze und hat einen langgestreckten Körper. Solch einen Zweikampf sah ich einmal in einer indischen Stadt. Der Mann, der die Tiere mit sich führte, sicherte sich erst eine kleine Einnahme, da bei dem Zweikampf eines von beiden draufgehen mußte. Kaum war die Schlange aus ihrem Korb herausgekommen, als der Mungo schon über sie herfiel; und nun begann ein Kampf in Wendungen und Sprüngen der beiden Gegner von solcher Schnelligkeit, daß er sich kaum mit den Augen verfolgen ließ. Die Kobra, die ganz genau wußte, daß es ums Leben ging, ließ ihren Gegner keinen Augenblick aus den Augen, und der Mungo wich ihrem Angriff stets mit größter Geschicklichkeit aus. Schließlich hatte sich die Schlange, soweit sie konnte, nach der einen, Seite hingewandt und wollte nun den Kopf nach der anderen hinschwingen; da nahm der Mungo den Augenblick wahr und packte sie von hinten am Hals. Die Schlange ringelte und drehte sich, aber der Mungo ließ nicht los, und schließlich hing ihr Kopf nur noch an zwei dünnen Muskelsträngen. –
Außer der Kobra lebt in den Wäldern Ostasiens auch die Riesen- oder Pythonschlange. Sie ist hellbraun oder rotbraun, am Bauche weiß und hat auf dem Rücken dunkle Flecken. Die größte Art wird bis zu 8 Meter lang. Die allergrößten Exemplare können ein Hirschkalb auf einmal verschlingen; gewöhnlich begnügen sie sich aber mit kleineren Säugetieren oder Vögeln. Es soll vorgekommen sein, daß solch ein Reptil ein Kind verschlungen hat. Doch im allgemeinen geht die Pythonschlange nicht auf Menschen, wenn sie sich nicht gerade ihrer Haut wehren muß. Selbst ein ausgewachsener Mann ist ihr gegenüber unter allen Umständen verloren; sie besitzt ungeheure Muskelkraft, kann ihre Muskeln so lange anspannen wie sie will und läßt ihr Opfer nicht eher los, als bis es aufgehört hat zu atmen.
Stundenlang liegt sie aufgerollt auf den Zweigen eines Mangobaumes und beobachtet die sich niederlassenden Vögel, oder auf der Erde und späht nach Beute. Hat sie in einiger Entfernung ein Kaninchen erblickt, dann läßt sie es nicht mehr aus den Augen, entrollt sich mit langsamen, weichen Bewegungen und kriecht vorwärts, die Rippen auf den Boden stützend. Die Zunge spielt leicht und beweglich aus ihrem Munde heraus. Das Opfer sitzt wie verzaubert da und sieht nur starr die Schlange an. Sobald sie in Greifweite ist, schnellt sie den Kopf blitzschnell nach vorn, öffnet den Rachen, umringelt die Beute und hat sie im nächsten Augenblick zwischen zwei Windungen ihres Leibes erdrückt. Sobald das erbeutete Tier tot ist, ringelt sich die Schlange wieder auf und führt mit der Zunge darüber hin, als ob sie versuchen wolle, wo sie am besten mit dem Verspeisen beginne. Dann sperrt sie ihre Kiefer so weit auf wie nur möglich und fängt mit dem Kopfe des Opfers an. Nach und nach schiebt sie die Kiefer vorwärts und zwingt mit ihren nach innen gerichteten Zähnen die Beute in ihren Leib hinein. Der Unterkiefer wird so weit ausgedehnt, daß er wie ein Beutel aussieht. Die Speicheldrüsen entfalten die größte Tätigkeit, um das Fell oder die Federn glatt zu machen. Am schwersten ist das Verschlingen der Schulterblätter der Säugetiere und der Flügel der Vögel. Aber schließlich gleitet die ganze Portion doch hinunter, und man sieht es dem Schlangenleibe an, wie sie langsam in den Magen gelangt.
Die Pythonschlange ist in den meisten europäischen Tiersammlungen zu finden. In der Gefangenschaft liegt sie still und braucht zum Verdauen ihres Futters im Sommer acht Tage und im Winter einen Monat oder noch längere Zeit. Sie kann aber auch nach einer reichlichen Mahlzeit volle drei Monate ohne Fressen auskommen.